Heiße Blicke - heiße Nächte?

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Ein Blick in Walkers Augen verheißt Tamra eine Welt voller Sinnlichkeit. Dabei hat sie eigentlich den Männern abgeschworen. Doch Walker ist nicht nur sexy - er trifft sie auch mitten ins Herz. Und ehe Tamra sich versieht, haben sie eine heiße Affäre …


  • Erscheinungstag 20.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747114
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

1983

Verdammt, warum musste David sterben? Und warum zum Teufel hatte er eine Indianerin heiraten müssen?

Spencer Ashton starrte durch die Windschutzscheibe und atmete frustriert aus. Er hatte gerade wegen familiärer Angelegenheiten ein äußerst strapaziöses Wochenende in Nebraska verbracht. Doch was war ihm anderes übrig geblieben? Wer sonst hätte die Trümmer von Davids verpfuschtem Leben beseitigen und seinen Mischlingskindern ein besseres Leben bieten sollen?

Diese Squaw war nicht geeignet, Davids Nachkommen großzuziehen, und Spencer würde auf keinen Fall zulassen, dass sie die Kinder in ihr von bürgerkriegsähnlichen Zuständen beherrschtes Reservat mitnahm. Es war schon schlimm genug, dass sie auf einer heruntergekommenen Farm gelebt hatten. David hatte die Farm mit Spencers Unterstützung gekauft, lange bevor er Mary Little Dove geheiratet hatte.

Aber am Ende war er zu stolz gewesen, um zuzugeben, dass er und seine Familie am Hungertuch nagten.

Spencer klappte die Sonnenblende herunter und blinzelte gegen die Nachmittagssonne. Er war auf dem Weg vom Flughafen nach Hause, nach Napa Valley, Kalifornien, wo er ein florierendes Weingut und eine riesige Villa besaß. Neben ihm auf dem Beifahrersitz seiner luxuriösen Limousine saßen die Kinder seines verstorbenen Bruders, ein Junge und ein Mädchen.

Er blickte zur Seite auf die dreijährige Charlotte, die wie ein verschrecktes Vögelchen neben ihm kauerte. Sie piepste sogar wie ein Vogel und ging ihm damit schrecklich auf die Nerven. Er hatte versucht, sie auf den Rücksitz zu verbannen, doch sie wollte unbedingt neben ihrem großen Bruder bleiben. Spencer hatte keine Verwendung für schwache Kreaturen, aber was sollte er machen. Sie war Davids Tochter.

Der achtjährige Junge dagegen war von anderem Kaliber. Walker hielt den Kopf hoch. Das Kind hatte Mut und verdiente es, ein Ashton zu sein.

Schade nur, dass Indianerblut in seinen Adern floss.

Trotzdem, aus diesem Jungen konnte etwas werden, und dafür würde Spencer sorgen. Er hatte zwar genug eigene Kinder, und das nächste war schon wieder unterwegs, aber er spürte es ganz deutlich, dass Walker anders war. Er hatte mehr Biss.

Charlotte gab wieder ein nervöses Geräusch von sich, und Spencer umklammerte das Lenkrad.

„Sie hat Angst“, sagte Walker.

„Ja, natürlich. Eure Eltern sind gerade gestorben.“ Das zumindest war ihnen gesagt worden. Dass ihre Mutter noch lebte, war Spencers Geheimnis. Alle, außer seinem Anwalt, waren mit derselben tragischen Geschichte abgespeist worden: Mary Little Dove war angeblich genau wie David den Verletzungen erlegen, die sie bei dem Autounfall erlitten hatte.

Spencer und sein Anwalt hatten Mary unglaublich unter Druck gesetzt, damit sie ihre Kinder weggab, aber es war das einzig Richtige gewesen.

Walker war der Beweis dafür. Der Junge sah nett aus in der Kleidung, die Spencer für ihn gekauft hatte. Und er hatte sich auch nicht gegen einen Kurzhaarschnitt gewehrt. Spencer wollte auf keinen Fall Kinder mit nach Hause bringen, die wie verwilderte Indianer aussahen.

Er betrachtete die Haltung des Jungen. Obwohl er seine Schwester schützend an sich gezogen hatte, strahlte er eine gewisse Selbstständigkeit aus. Seine Mutter hatte ihn einen Kämpfer genannt. Ein Sioux durch und durch.

„Ich war auch arm, als ich klein war“, sagte Spencer. „Aber ich wollte ein besseres Leben.“

Walker blickte auf. „Mein Dad hat von dir erzählt.“

„So?“

„Ja.“

„Ich hätte seine Farm retten können. Ich wusste nicht, dass sie zwangsversteigert werden sollte.“ Spencer war bekannt, was die Leute über ihn sagten. Dass er ein Mistkerl war, ein selbstgerechter, mieser Hund. Aber was wussten die schon? Er hatte David immer geholfen, auch wenn sein jüngerer Bruder ein sentimentaler Idiot gewesen war. „Ich habe versucht, deinem Vater zum Erfolg zu verhelfen.“

„Und jetzt hilfst du Charlotte und mir“, sagte Walker.

„Stimmt, das tue ich. Ohne mich hättet ihr, deine Schwester und du, kein Zuhause.“

„Ich habe für Mom und Dad gebetet.“

Normale Gebete, hoffte Spencer. Nichts von diesem heidnischen Käse.

Walker blickte aus dem Fenster. Er hatte ein scharfkantiges Profil – schön, trotz der dunklen Haut. Offensichtlich betrachtete er das Land, den Reichtum des Weingebiets. Dem Jungen schien zu gefallen, was er sah. Das Kind würde eines Tages sehr dankbar für die Großzügigkeit seines Onkels sein.

„Wird mein Dad hier begraben?“, fragte Walker.

„Ja.“

„Und meine Mom?“

„Nein, mein Sohn. Sie wird im Reservat die letzte Ruhe finden. Dort, wo sie hergekommen ist. Aber das ist zu weit weg, um an der Beerdigung teilzunehmen.“

„Ich war nie dort.“

Und du wirst auch niemals dorthin kommen, dachte Spencer. Er bemerkte, dass die Stimme des Achtjährigen ein wenig zitterte, aber er würde nicht wagen zu weinen. Er war zu stark, um sich wie ein Baby zu benehmen. Nein, Walker Ashton war keine ängstliche Heulsuse.

Es war kaum zu glauben, dass diese Sioux so ein Kind geboren hatte. Sie war psychisch zusammengebrochen, besaß kein Rückgrat. Aber um sicherzugehen, dass sie sich an ihren Teil der Abmachung hielt, hatte Spencer ihr dreißigtausend Dollar gezahlt.

Peanuts für ihn, ein Vermögen für sie.

Und was Walker und Charlotte betraf, sie waren ein paar Dollar wert. Der Junge zumindest. Das schüchterne kleine Mädchen war lediglich Nutznießerin des Deals.

Aber es war das Beste, was den beiden passieren konnte. Spencer war stolz auf sich.

1. KAPITEL

Walker wünschte, seine Schwester hätte nie herausgefunden, dass ihre Mutter noch lebte. Noch schlimmer aber war, dass Charlotte ihn überzeugt hatte, dass er derjenige sein sollte, der sie suchte.

Erschöpft und ausgelaugt saß er auf dem Bett in seinem Motel in Gordon, Nebraska. Den ganzen Tag über hatte er das Reservat in South Dakota ausgekundschaftet, ein Gebiet, das etwa zehntausend Quadratkilometer umfasste und von ungeheurer Armut geprägt war. Er war von einem Distrikt zum nächsten gefahren und hatte Pine Ridge verflucht.

So schnell wie möglich wollte er dieses Reservat und seine eigene Abstammung von den Oglala Lakota Sioux wieder vergessen. Während seine Schwester romantische Vorstellungen von dem Leben der Indianer hatte, war Walker Realist. In einem der schäbigen kleinen Orte hatte ihm ein total betrunkener Indianer „blöder iyeska“ nachgerufen, als er fast über den am Boden liegenden Mann gestolpert wäre.

Iyeska.

Sicherlich ein Schimpfwort, das er nicht einmal übersetzen konnte.

Verschwitzt und müde knöpfte Walker sein Hemd auf und zog es aus seinen Jeans. Er wollte duschen und den Schmutz von seinem Körper waschen. Er war weder an die drückende Hitze gewöhnt noch an die deprimierende Weite des Landes.

Als es klopfte, sprang Walker beunruhigt auf. Er hatte bei Postangestellten, Mitarbeitern der Behörde, die sich um die Belange der Indianer kümmerte, und allen, die überhaupt in der Lage waren zuzuhören, seinen Namen und derzeitigen Aufenthaltsort hinterlassen. Er hatte sogar mit Stammesführern gesprochen, aber niemand war besonders hilfsbereit gewesen. Wenn überhaupt, dann hatten sie ihn mit Gleichgültigkeit behandelt. Wie man in den Wald ruft, so schallt es zurück, dachte er.

Er öffnete und starrte die Frau an, die an seiner Tür stand. Er hatte nicht mit einer jungen, hübschen Besucherin gerechnet. Die Frau war etwa einen Meter siebzig groß, hatte schulterlange schwarze Haare und exotisch dunkle Augen.

Sie trug eine einfache Bluse und unauffällige Shorts, aber ihre Beine …

Als sie ihn mit gerunzelter Stirn ansah, erinnerte er sich an sein offenes Hemd, das seine nackte Brust und die schweißnasse Haut entblößte.

Ihm war unbehaglich zumute, und er fragte sich, ob sie ihn auch als iyeska betrachtete. Sie war eine Indianerin, so viel stand fest. Wahrscheinlich aus dem Reservat.

„Sind Sie Walker Ashton?“, fragte sie.

„Ja.“ Er wollte sich die Hände an seinen Jeans abwischen. Er mochte das Gefühl, ungepflegt und desorganisiert zu sein, überhaupt nicht. Als stellvertretender Geschäftsführer von Ashton-Lattimer, einer Investmentfirma in San Francisco, setzte er auf saubere Designeranzüge, Handys, E-Mails und Faxgeräte in seiner Umgebung.

Sie neigte den Kopf. „Ich bin Tamra Winter Hawk. Ich lebe bei Mary Little Dove Ashton.“

Seine Unruhe wuchs. Tief im Inneren hatte er gehofft, dass er seine Mutter nicht finden würde. Dass er Charlotte sagen könnte, dass er sein Bestes getan hatte, aber eine Familienzusammenführung nicht möglich war.

Er verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. „Wie lange leben Sie schon bei ihr?“

„Mary hat mich als Kind zu sich genommen.“

„Verstehe.“ Seine Mutter hatte ein fremdes Kind großgezogen, während seine kleine Schwester sich nach Mutterliebe gesehnt hatte? Das machte ihn wütend, auch wenn er die Umstände nicht kannte. „Ich würde gern mit ihr sprechen.“

„Sie arbeitet gerade. Und sie weiß noch nicht, dass Sie nach ihr suchen. Sie hat keine Ahnung, dass Sie hier sind.“

„Aber Sie.“ Offensichtlich hatte irgendjemand Tamra von dem aalglatten Städter erzählt, der sich hier umsah und behauptete, Marys verlorener Sohn zu sein. „Wo ist also das Problem? Warum halten Sie sie von mir fern?“

Tamra antwortete nicht sofort. Mit ihren markanten Gesichtszügen und ihrer stolzen Haltung erinnerte sie Walker an eine Bronzeskulptur aus dem Museum, ein unberührbares Objekt hinter Glas.

„Ich würde gern Ihren Ausweis sehen“, sagte sie schließlich.

„Warum?“

„Um sicher zu sein, dass Sie wirklich Walker Ashton sind.“

Wer zum Teufel sollte er sonst sein? Ein Regierungsbeamter, der einen Vertrag mit den Indianern brechen wollte? Warum sollte er seine Zeit opfern – seine kostbare Zeit – und dieses gottverdammte Land absuchen, wenn er nicht Marys Sohn war?

Er starrte sie an. Die Polizei hatte nicht nach seinem Ausweis gefragt, warum tat sie es? „Ich muss Ihnen überhaupt nichts beweisen.“

„Dann gehe ich wieder.“ Sie drehte sich entschlossen um, ihre schwarzen Haare flogen um ihre Schultern.

Walker hätte sie am liebsten ziehen lassen, doch das hätte Charlotte ihm niemals verziehen.

Frustriert nahm er seine Brieftasche und folgte Tamra. „Warten Sie.“

Tamra drehte sich zu ihm um. Einen Moment lang war er beeindruckt davon, wie schnell sie es geschafft hatte, sein Herz höherschlagen zu lassen und ihm einzuheizen.

Normalerweise passierte ihm so etwas nicht.

Wieder erinnerte sie ihn an eine Bronzestatue. Wunderschön, atemberaubend, viel zu reserviert. Schade, dass ich gelernt habe, mich in Museen zu benehmen und nichts zu berühren, dachte er.

„Würden Sie ihn bitte herausnehmen?“

Was herausnehmen, überlegte er. Sein Verstand arbeitete plötzlich nicht mehr.

„Den Ausweis, bitte.“

Er zog seinen Führerschein aus der Brieftasche. Sie prüfte das Dokument, betrachtete das Foto. Eine schreckliche Aufnahme, aber Fotos in Ausweisen waren selten schmeichelhaft.

„Zufrieden?“ Sein Hemd klebte an seiner Haut.

Sie gab ihm den Führerschein zurück. „Ich werde mit Mary sprechen, sobald sie nach Hause kommt.“

„Und was dann?“

„Ich rufe Sie an und sage Ihnen Bescheid, wann Sie sie sehen können.“

Natürlich, dachte er. Weil Mary die Königin des Reservats war.

Tamra spürte seine Feindseligkeit und seufzte. „Ihrer Mutter ist böse mitgespielt worden. Ich versuche nur, sie zu schützen.“

Was sie nicht sagte. Nun, ihm war es nicht besser ergangen. Er hatte keine Ahnung, warum Spencer vor Jahren gelogen und behauptet hatte, seine Mutter wäre tot. Und jetzt war Spencer tot, erschossen von einem Unbekannten.

Walker war total durcheinander.

Er deutete auf sein Zimmer. Die Tür stand offen. „Ich werde dort sein. Brauchen Sie die Nummer?“

„Nein, danke. Ich habe sie bereits.“ Sie legte eine kurze Pause ein. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme weicher. „Seien Sie nicht wütend, Walker. Zumindest nicht auf Mary. Sie hat nie aufgehört, Charlotte und Sie zu vermissen.“

Er hatte das Gefühl, als würde ihm die Brust eingeschnürt und er könnte nicht mehr frei durchatmen.

Als er und Charlotte zu Spencer gekommen waren, hatte er seiner kleinen Schwester erzählt, dass Mommy und Daddy Engel waren, die aus dem Himmel auf sie herabblickten. Aber irgendwann hatte er sich in sein neues Leben eingewöhnt und aufgehört, seine Schwester zu trösten.

Spencer war Walkers Mentor geworden, der einzige Mensch, dem er imponieren wollte. Er hatte den älteren Mann über jeden anderen gestellt, selbst über Charlotte, und hatte sie ihrem Schicksal überlassen.

„Ich bin nicht zornig“, sagte er. Aber er war es natürlich doch. Tief im Inneren war er total wütend.

Auf sich, auf Spencer, auf Mary.

Und auch auf sie. Auf Tamra Winter Hawk.

Das Mädchen, das seine Mutter aufgezogen hatte.

Während der Duft nach Rindergulasch durch das Haus zog, half Tamra Mary, das Wohnzimmer aufzuräumen und zu saugen und die Sofakissen aufzuschlagen.

Mary stellte den Staubsauger aus und sah sich um. „Die Wohnung ist schäbig, nicht wahr? Egal, was wir anstellen, es ist und bleibt eine alte Hütte.“

„Sie ist genauso alt wie ich. Und ich bin nicht alt.“ Außerdem hatte sie eine gemütliche Einrichtung, eine Toilette im Haus, Heizung im Winter und viel zu essen im Tiefkühlschrank. In Tamras Augen war das genug.

Aber sie wusste, wie nervös Mary war. Wie ein aufgescheuchtes Huhn sprang sie herum und bereitete sich innerlich auf das Wiedersehen mit ihrem Sohn vor, erstickte aber fast an der Angst davor.

„Erzähl mir von ihm, Tamra. Erzähl mir von Walker.“

Was sollte sie erzählen? Was würde der Frau die Angst nehmen? „In etwa einer Stunde ist er hier, Mary.“

„Ich weiß, aber ich will wissen, was du von ihm hältst. Das hast du mir noch nicht gesagt.“

Das stimmte. Sie hatte Mary nicht erzählt, dass er verwirrende Gefühle in ihr ausgelöst hatte. Oder dass er sie an die Vergangenheit erinnerte, an die Jahre, die sie in San Francisco verbracht hatte, an den Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte.

Sie blickte zu Mary und sah, dass sie auf eine Antwort wartete. „Er sieht toll aus.“ Groß und schlank, dachte sie, stark und muskulös, ohne ein Muskelprotz zu sein. „Er war lässig gekleidet.“ Und sie hatte seine nackte Brust gesehen, seinen Waschbrettbauch, seinen Bauchnabel. „Aber das entsprach eigentlich nicht seinem Typ.“

Mary runzelte die Stirn. „Du hast ihm angesehen, dass er reich ist?“

„Ja.“

„Teure Uhr? Designerkleidung?“

Tamra nickte. Es machte ihr Sorgen, dass Mary so verunsichert war. „Aber weißt du was?“, sagte sie in der Hoffnung, den Schock ein wenig mildern zu können. „Er sieht aus wie sein Dad.“ Tamry hatte Fotos von David Ashton gesehen. Sie wusste alles über den Farmer, den Mary geheiratet hatte. „Und er ähnelt auch dir.“

Walkers Mutter entspannte sich ein wenig. „Als Kind hat er wie wir beide ausgesehen.“ Sie atmete hörbar ein. „Meinst du, er mag Gulasch?“

„Sicher.“ Und wenn nicht, dann würde er es nicht sagen. Aus Höflichkeit. Obwohl er Tamra gegenüber nicht besonders höflich gewesen war. Aber sie war auch nicht besonders nett zu ihm gewesen. Sie misstraute ihm, und sie ahnte, dass er ihr Leben komplizieren würde.

Dass er ihre Lakota-Welt durcheinanderbringen würde.

Die meisten Indianer, die sich dem weißen Mann angepasst hatten, waren dreist und unnachgiebig. Tamra wusste, wovon sie sprach. In gewisser Weise kämpfte sie immer noch mit ihrer Identität.

„Ich frage mich, warum er Charlotte nicht erwähnt hat“, sagte Mary. „Bist du sicher, dass er nichts über seine Schwester gesagt hat?“

„Ganz sicher. Aber du kannst ihn ja nach ihr fragen.“

„Ja, natürlich.“ Nervös strich Mary über ihre Bluse. Sie hatte ein Oberteil mit Blumenmuster gewählt, dazu eine blaue Hose. Ein Outfit, das sie im letzten Sommer gekauft hatte. Sie machte kein großes Aufheben um ihre Kleidung, und sie schminkte sich nur ganz selten. Aber heute Abend hatte sie Lippenstift aufgetragen. Und sie hatte ihre glatten Haare eingedreht.

Doch trotz aller Bemühungen wirkte sie älter als siebenundfünfzig Jahre. Ihre Schönheit war verblasst. Marys Leben war nicht einfach gewesen, und die Linien in ihrem Gesicht zeugten von der harten Last.

Von dem Schmerz über den Verlust ihrer Kinder.

Und jetzt war Walker zurück. Ein Fremder. Ein Mann mit einem kühlen Herz. Er hatte nicht danach gefragt, wie es seiner Mom ging. Es interessierte ihn offensichtlich gar nicht.

„Ich bereite den Salat zu“, bot Tamra an. Sie musste sich mit irgendetwas beschäftigen, denn auch sie war nervös.

„Ich wette, er ist Steaks und Hummer gewöhnt.“ Mary stellte den Staubsauger in den Flurschrank und runzelte die Stirn, als sie in die unaufgeräumte, armselige Küche sah. „Glaubst du, Spencer weiß, dass er hier ist?“

„Ich habe keine Ahnung.“ Tamra wusste, dass Spencer Ashton Walker und Charlotte ihrer Mutter weggenommen hatte. Er war verantwortlich für den Kummer in Marys Leben und die vielen Tränen, die sie geweint hatte.

„Ist es zu warm im Haus?“, fragte Mary und rührte das Gulasch. „Sollen wir noch ein Fenster öffnen?“

„Es kühlt bereits ab. Es ist okay.“

„Meinst du wirklich?“

„Ja.“ Sie ärgerte sich, dass sie sich plötzlich wegen ihrer bescheidenen Lebensumstände schämten. Bisher waren Mary und sie immer bestrebt gewesen, ihren Lebensstil zu akzeptieren und stolz darauf zu sein.

Als Walker erschien, befand Mary sich im Badezimmer und erneuerte ihren Lippenstift.

Tamra öffnete die Tür, und einen Moment starrten Walker und sie sich an.

Er lächelte nicht. Er sah in seinem hellbraunen Hemd und der farblich passenden Hose unglaublich gepflegt aus. Er war glatt rasiert und hatte die kurzen schwarzen Haare aus dem Gesicht gekämmt, was seine markanten Gesichtszüge betonte.

Tamaras Puls begann zu rasen.

Von dem letzten Mann, der eine derartige Wirkung auf sie ausgeübt hatte, war sie schwanger geworden. Das Baby lag in San Francisco begraben, der Stadt, in der Walker lebte.

„Kommen Sie herein“, sagte sie. Es war kein Zufall, dass Tamra eine besondere Verbindung nach San Francisco hatte. Dass sie dort ans College gegangen war. Sie hatte die Region wegen Walker und seiner Schwester gewählt.

„Danke.“ Er betrat das Haus und reichte ihr einen Strauß Rosen. „Ich wollte eine Flasche Wein mitbringen, aber da im Reservat kein Alkohol verkauft wird, bin ich davon ausgegangen, dass Sie ihn auch nicht trinken dürfen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Allerdings habe ich viele Indianer gesehen, die trinken. Vermutlich halten sich nicht alle an die Regeln.“

Sie nickte nur. Die Spirituosengeschäfte in den Grenzstädten, die den Weißen gehörten, versorgten die Lakota. Mary betrachtete selbst eine gelegentliche Flasche Wein als unnötigen Luxus. Sie kannte die Gefahren, die im Genuss von Alkohol lauerten. Ihre eigene Mutter war an Alkoholismus gestorben. „Ihre Mutter wird sich über die Blumen freuen.“

„Wo ist sie?“

„Sie macht sich frisch. Sie kommt sofort.“

In dem Moment erschien Mary im Flur.

Walker drehte sich um, und Tamra wurde Zeuge, wie sich Mutter und Sohn das erste Mal nach zweiundzwanzig Jahren gegenüberstanden.

Mary traten Tränen in die Augen, doch sie trat nicht vor, um ihren Jungen zu umarmen. Er schloss sie auch nicht in die Arme.

Peinliche Stille entstand zwischen ihnen.

Walker wusste nicht, was er sagen sollte. Mary war ihm völlig fremd. Er besaß auch keine alten Fotos oder irgendetwas, womit er seine Erinnerung vor dem Besuch hätte auffrischen können.

War er ein kaltherziger Mistkerl? Oder war es normal, dass er nichts empfand? Dass er in Mary Little Dove nicht seine Mutter sah?

Sie blinzelte, und die Tränen, die sie mühsam zurückgehalten hatte, strömten über ihre Wangen. Sollte er ihr sein Taschentuch anbieten? Oder würden dann noch mehr Tränen fließen? Walker wollte sie nicht zum Weinen bringen.

Er ging einen Schritt auf sie zu. Warum erinnerte er sich nicht an sie? Die Farm war ihm dunkel in Erinnerung, doch nicht seine Mutter.

Weil es einfacher gewesen ist, einfach zu vergessen, dachte er.

„Mein Sohn“, brach Mary schließlich das Schweigen. „Mein Junge. Ich habe nicht gedacht, dass ich dich jemals wiedersehen würde. Aber jetzt bist du da. Du bist so ein attraktiver Mann geworden.“

„Wir dachten, du wärst tot.“

„Ich weiß.“ Die Tränen glitzerten auf ihren Wimpern. „Ich weiß, was Spencer euch gesagt hat.“

Sie wusste es? Sie hatte bei der Lüge mitgespielt? Walker wollte sich auf der Stelle umdrehen und sie wieder aus seinem Leben ausschließen, doch seine Füße gehorchten ihm nicht. Er stand wie angewurzelt da.

„Geht es Charlotte gut?“, fragte sie. „Weiß sie, dass du hier bist?“

„Meiner Schwester geht es gut, und das alles war ihre Idee.“

Mary presste die Hand ans Herz. „Mein kleines Mädchen. Charlotte war erst drei Jahre alt. Wie könnte sie sich an mich erinnern?“

Walker antwortete nicht. Wie sollte er auch? Er erinnerte sich auch nicht an sie. Und er wollte es auch gar nicht. Er hatte nicht den Wunsch, ihr Sohn zu werden, zu Pine Ridge zu gehören und sich seiner Lakota-Wurzeln zu besinnen.

Spencer hatte ihn gelehrt, dass seine indianische Abstammung kein Vorteil war und er sie besser vergaß. Und nach dem zu urteilen, was er bisher gesehen hatte, konnte Walker ihm nur zustimmen.

Er blickte zu Tamra und sah, dass sie ihn beobachtete. Konnte sie seine Gedanken lesen? Sie hielt die Rosen in der Hand, die er mitgebracht hatte. Mit dem Strauß und dem langen Sommerkleid sah sie aus wie eine Indianerbraut.

„Die Blumen sind von Walker.“ Sie reichte Mary die Rosen.

Seine Mutter nahm das Geschenk und lächelte.

Walker holte tief Luft. Sie sah hübsch aus, wenn sie lächelte. Weicher. So hatte sie wahrscheinlich ausgesehen, als sein Vater sich in sie verliebt hatte. Er wusste, dass David Ashton ein sentimentaler Mann gewesen war. Spencer hatte es ihm erzählt.

„Danke“, sagte Mary zu Walker.

Er nickte. „Bitte schön.“

„Ich werde dir ein Stammesschild anfertigen.“ Sie suchte seinen Blick. „Es war immer der Wunsch deines Vaters, dass du eins besitzt.“

Sein weißer Vater hatte gewollt, dass er ein Kultobjekt der Lakota besaß? Walker verstand es nicht. Er hatte keine Ahnung, was er mit einem Schild anfangen sollte.

Einem anderen Stamm den Krieg erklären? Es in seinem Wohnzimmer an die Wand hängen? Irgendwie glaubte er nicht, dass es zu der modernen Einrichtung seiner Eigentumswohnung in San Francisco passte.

Tamra meldete sich zu Wort. „Das Essen ist fertig. Lasst uns anfangen.“

„Ja, gern.“ Das lenkt meine Mutter vielleicht ab, dachte er, und lässt sie das Schild vergessen.

„Ich stelle die Blumen ins Wasser.“ Mary brachte sie in die Küche, wo ein einfacher Tisch mit billigem Geschirr, Papierservietten und Edelstahlbestecken gedeckt war.

Walker wartete auf die Frauen, wollte ihnen den Stuhl zurechtrücken. Aber seine Mom klopfte ihm auf die Schulter und bat ihn, sich zu setzen, begierig darauf bedacht, ihn zu bedienen. Als sie ihm Milch einschenkte, fragte er sich, ob sie vergessen hatte, dass er keine acht Jahre mehr war.

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