Heiße Küsse auf dem Schiff der Träume

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Die abenteuerlustige Fotografin Sheela fühlt sich wie eine Piratenbraut. Eigentlich schien wegen eines dummen Fehlers ihre Reise auf Rhodos schon beendet – und somit das Preisgeld für einen Fotowettbewerb, das sie dringend braucht, verloren. Doch als der verwegene Charmeur Nikos ihr vorschlägt, mit seinem antiken Dreimaster nach Thessaloniki zu segeln, um doch noch das beste Fotomotiv zu finden, wird aus dem heißen Flirt pure Leidenschaft. Sheela fühlt, der umwerfende Nikos Stephanidis ist ihre große Liebe. Aber etwas verheimlicht er vor ihr …


  • Erscheinungstag 06.09.2022
  • Bandnummer 182022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509947
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Jetzt war alles verloren!

Heftig atmend vom schnellen Lauf stand Sheela im Hafen von Rhodos, am äußersten Rand des Anlegers, und starrte der Fähre nach, die inzwischen gute zwanzig Meter zwischen sich und den Kai gebracht hatte. Das riesige Schiff verdeckte fast die gesamte Sicht auf die Hafenausfahrt. Der Anblick stand in krassem Kontrast zu dem, was Sheela in den letzten drei Tagen auf der zauberhaften Mittelmeerinsel gesehen hatte: Abertausende von filigranen Schmetterlingen, die jedes Jahr wie auf Verabredung plötzlich in einem bestimmten Tal auf Rhodos auftauchten.

Warum nur hatte sie sich für ein paar Fotos des interessanten Schauspiels auf den allerletzten Bus verlassen? Sie kalkulierte doch auch sonst immer eine größere Sicherheitsspanne ein! Schließlich hatte sie auf ihren zahlreichen beruflichen Reisen bereits öfter erlebt, dass bei Busfahrten mal etwas schiefging. Und ausgerechnet dieses Mal hatte sie gehofft, dass schon alles klappen würde?

Aber die Fotos waren einfach zu wichtig. Sheela hatte sie unbedingt noch in aller Frühe machen wollen, um sie für einen Wettbewerb einzureichen, den das griechische Tourismusbüro vor einigen Wochen ausgeschrieben hatte. Ganze dreißigtausend Euro bekam derjenige, der das beste Bild einsandte – ein Foto, das die Schönheit von Griechenlands Inseln auf einzigartige Weise mit einem ausdrucksvollen Motiv verband. Es war Geld, das Sheela dringend brauchte.

Seit vor ein paar Monaten ihr Vater verstorben war, dessen Behandlung seiner schweren Krankheit fast das gesamte Vermögen der Familie aufgezehrt hatte, überlegte sie zusammen mit ihren Schwestern fieberhaft, wie sich die familieneigene Pension in Galway und die angeschlossene Connemara-Pferdezucht doch noch retten ließen. Alle drei Schwestern wollten um jeden Preis verhindern, dass ihr Zuhause unter den Hammer geriet.

Brenda, die mittlere, schickte deshalb jeden Monat einen Scheck aus London, obwohl ihre vor drei Jahren gegründete Hochzeitsagentur erst seit Kurzem Gewinn abwarf und sie das Geld selbst dringend benötigt hätte. Aislyn, die jüngste, kümmerte sich zu Hause um die Pferde. Sie hatte neulich sogar verzweifelt vorgeschlagen, den letzten Zuchthengst zu verkaufen, um damit zumindest die Pension zu retten, die sie mit der Mutter seither allein führte.

Und sie, Sheela, die älteste Schwester, verfügte leider aufgrund eines schlimmen Vorfalls in ihrer Vergangenheit über keinerlei Geldreserven. Vor wenigen Wochen jedoch hatte sie von dem Fotowettbewerb erfahren und sich eine reelle Chance auf den Sieg ausgerechnet, denn sie war selbstständige Reisefotografin. Als solche besaß sie auch eine professionelle Fotoausrüstung, anders als Hobbyfotografen, die sich meistens mit weniger gutem Gerät begnügten. Außerdem hatte sie schon für die Tourismusbranche gearbeitet.

Also hatten die Mutter und die Schwestern zusammengelegt, um ihr die Reise zu ermöglichen – ein Inselhopping, bei dem Sheela möglichst viele kleine Eilande besuchen wollte, da Inseln für das Motiv vorgeschrieben waren. Sämtliche Tickets waren bereits gekauft. Aber die würden nun unweigerlich verfallen, denn leider bauten alle weiteren Anschlüsse auf dieser einen verpassten Fährverbindung auf.

Und das nur für ein paar Schmetterlingsfotos!

Sheela seufzte und schulterte den schweren Rucksack wieder. Auf ihrem Rücken wirkte er wie ein Ungetüm, bedrohlich schwankte er hin und her. Sie hatte ihn heute Morgen viel zu eilig gepackt. Jetzt riss sein Gewicht sie bei jedem Schritt nach hinten und sorgte dafür, dass sie sich nach vorn stemmen musste, um das Gleichgewicht einigermaßen zu halten. Bestimmt sah ihr Gang von fern aus wie der einer Hundertjährigen. Dabei war sie gerade mal neunundzwanzig, eigentlich kein Alter, bei dem man sich wankend fortbewegte.

Aber das war nun auch schon egal.

Wütend und verzweifelt lief Sheela zur befestigten Uferpromenade zurück. Nun musste sie mit diesem Ungetüm die Pensionen von Rhodos Stadt abklappern und hoffen, dass sich in dem von Touristen überlaufenen Ort noch eine bezahlbare Unterkunft fand. Bezahlbar war hierbei das Stichwort.

Aber auf jeden Fall würde sie dafür auf ihr Budget für unvorhergesehene Ausgaben zurückgreifen müssen, das sie sich bei Beginn ihrer Rundreise eingerichtet hatte. Das Geld war genau für solche Situationen gedacht, und viel war davon auch nicht mehr übrig, aber: guess what, Sheela Kavanagh? Nach dieser Pleite wirst du sowieso keins mehr brauchen, denn hier auf Rhodos endet deine Reise. Weitere Tickets kannst du dir leider nicht leisten!

Das Einzige, was neben der Unterkunft jetzt noch zu bezahlen war, waren die Gebühren für die Umbuchung des Heimflugs nach Galway. Und eventuell ein oder zwei weitere Nächte, wenn es keinen sofortigen Rückflug gab. Müde und frustriert zog Sheela die Augenbrauen zusammen. Die Enttäuschung und der vorherige Sprint über den Anleger machten ihr zu schaffen, sie fühlte, wie ihre Beine zu zittern begannen.

Sie brauchte jetzt dringend Koffein! Auf der Promenade angekommen, hielt sie kurz inne und orientierte sich. Schräg gegenüber lag ein kleines Café mit einem wunderbar romantischen Blick auf den Hafen. Wenigstens etwas. Mit schweren Schritten steuerte Sheela auf die Terrasse zu.

Nikos hatte es sich an einem Einzeltisch auf der vollbesetzten Terrasse im Schatten eines Schirms bequem gemacht und beobachtete die vorbeiflanierenden Touristen. Seiner braungebrannten Haut machte die gleißende Sonne allerdings nichts aus. Da er in den letzten Tagen ohnehin viel auf dem Meer unterwegs gewesen war, hatte sich sein Körper wieder an das Spiel der Elemente gewöhnt – genau wie früher, als er sich als Kind fast den ganzen Tag am Wasser aufgehalten hatte.

Vor sich hatte er ein Glas Wein sowie die neueste Ausgabe von Kathimerini, eine der großen griechischen Tageszeitungen, die man hier auf Rhodos wie auf allen anderen größeren Inseln bekam.

Nicht, dass er sich großartig für Politik begeistert hätte. Ihn interessierte vor allem der Businessteil und dort wiederum die Aktienkurse der verschiedenen griechischen Unternehmen. Eins davon nämlich, die Reederei Stephanidis, gehörte seinem Vater und war – bei aller Bescheidenheit – die größte und bekannteste Reederei in der griechischen Geschäftswelt.

Allerdings gab es im Unternehmen in letzter Zeit einige Probleme: Nikos’ Vater Konstantinos hatte sich bei einem größeren Geschäft verspekuliert. Der Verlust war empfindlich und hatte das Potenzial, die Reederei von ihrem Spitzenplatz zu verbannen. Zum Glück war davon aber noch nichts in die Geschäftswelt durchgedrungen, wie Nikos der Blick in die Wirtschaftsseiten erneut bestätigte.

Damit das so blieb, hatte sein Vater einen Plan gefasst: Er wollte mit dem zweitgrößten Reeder Griechenlands fusionieren und diese Fusion gleichzeitig noch durch die gewitzteste aller Geschäftsverbindungen besiegeln – durch eine Hochzeit. Nikos sollte Georgina Papadakis heiraten, die achtundzwanzigjährige Tochter des anderen Reeders.

Es war keine Liebesheirat, das wussten sowohl Nikos als auch Georgina. Aber zumindest mochten sie sich. Vor Jahren hatten sie sogar einmal eine Affäre gehabt, sich dann aber einvernehmlich wieder getrennt. Seither jedoch waren sie in lockerer Verbindung geblieben – bis vor wenigen Monaten ihre Väter auf die Idee mit der Hochzeit gekommen waren. Wobei keiner der Geschäftspartner wusste, dass der andere auf die Verbindung genauso stark angewiesen war wie er selbst. Denn auch der alte Papadakis steckte in geschäftlichen Schwierigkeiten, wie Nikos von Georgina erfahren hatte.

Die Geschäftswelt wiederum wusste nur von der geplanten Heirat. Und so sollte es auch bleiben. Genau deshalb saß Nikos jetzt hier auf Rhodos, denn seine letzten freien Tage wollte er möglichst ohne nervende Paparazzi verbringen, die ihn zu Hause in Thessaloniki ständig belagerten.

Natürlich versuchte er, die Zeit, die ihm bis zur Hochzeit blieb, zu genießen, aber so ganz gelang es ihm nicht. Denn in wenigen Wochen war sein unbeschwertes Leben unwiderruflich vorbei. Dann würde er eine Frau heiraten, die er nicht liebte.

Sicherlich war unter den gegebenen Umständen Georgina die beste Option, das sah Nikos genauso wie sein Vater. Aber betrog er sich damit nicht trotzdem um den wichtigsten Aspekt, den das Leben einem Mann zu bieten hatte? Ratlos strich Nikos sich durchs Haar. Himmel, worauf hatte er sich da nur eingelassen?

Er griff nach dem Weinglas und ließ seinen Blick wieder über die Touristen schweifen, die auf der Promenade vorüberflanierten. Eine Menge junger Leute aus nördlichen Ländern war dabei, das verrieten ihm die blonden Haarschöpfe. Anscheinend genossen hier alle ihren Urlaub und hatten nicht den Anflug einer Ahnung, mit welchem Problem er sich herumschlug.

Wenigstens schmeckte der Wein. Es war ein kräftiger Retsina, der in Nikos unvermittelt Gedanken an frühere, unbeschwerte Tage aufkommen ließ. Er nahm einen zweiten Schluck und gab sich den angenehmen Bildern hin, die jetzt vor seinem geistigen Auge dahinflimmerten. Es waren Erinnerungen an ein Gefühl von Leichtigkeit, Übermut und jugendlichem Heldentum. Nikos seufzte leise auf. Vielleicht gelang es ihm ja, zumindest noch ein letztes Mal so unbeschwert zu flirten wie in jenen Tagen, als das Leben noch heiter und sorgenfrei gewesen war.

Puh, das war geschafft. Erleichtert ließ Sheela den Rucksack von ihrem Rücken auf einen Stuhl gleiten, wo er leider etwas wackelig stand, und sank auf den nebenstehenden Stuhl. Endlich hatte sie einen Tisch auf der heillos überfüllten Terrasse ergattert. Zweimal schon hatten andere Touristen ihr einen bereits sicher geglaubten Platz weggeschnappt, weil sie sich mit dem Ungetüm auf dem Rücken nicht so schnell bewegen konnte.

Durstig griff sie nach der Speisekarte. Nach dem Sprint auf dem Anleger und dem Warten in der heißen Sonne hatte sie sich definitiv ein Kaltgetränk verdient. Außerdem brauchte sie jetzt Koffein. Ein Frappé – ein kalter Mocca mit Eiswürfeln – war genau das Richtige.

Als der Kellner kam, bestellte Sheela, und zwar auf Griechisch, denn inzwischen beherrschte sie ein paar Vokabeln. Das machte sie auf ihren Reisen immer so. Nicht erst einmal hatten sich ihr dadurch Türen geöffnet, die sonst verschlossen geblieben wären, was für eine Reisefotografin natürlich eine gute Sache war.

Anschließend scannte sie mit fotografischem Blick die Umgebung. Die Aussicht auf den malerischen Hafen, in dem eine Menge Jachten festgemacht hatten, war fantastisch. Ganz hinten ankerte sogar ein antikes Segelschiff und hob sich eindrucksvoll gegen den Himmel ab. In der lichten Atmosphäre lag bereits jener leicht goldene Ton, der hier im Süden den oft spektakulären Sonnenuntergängen vorausging. Die Farben, die in der Mittagshitze noch silbern geflirrt hatten, waren intensiver geworden, und das Meer bekam langsam einen dunkleren, beinahe aquamarinblauen Ton. In einigen Stunden würde die ganze Szene in eine Orgie aus flammenden Orange- und Rottönen getaucht sein – genau der richtige Hintergrund für den Dreimaster, der wirkte, als stamme er aus einer vergangenen Zeit.

Die Aussicht war wirklich wunderschön. Aber sie tröstete leider überhaupt nicht über den Fakt hinweg, dass für Sheela und ihre Familie nun alles verloren war.

Der Kellner, ein blutjunger hübscher Bursche, kam und stellte den Frappé vor ihr ab, wobei er ihr unverschämt flirtend direkt in die Augen sah. Sheela erwiderte den Blick leicht amüsiert. Sie wusste, dass sie eine anziehende Ausstrahlung besaß, das hatten ihr schon viele Menschen gesagt. Auch wenn sie hinsichtlich ihrer Körpergröße keine Modelmaße hatte, war ihr Gesicht auffallend schön, mit hohen Wangenknochen und umrahmt von rotblondem Haar, das durch die Einwirkung von Salzwasser und südlicher Sonne in letzter Zeit einen sandgoldenen Ton angenommen hatte. Dazu hatte sie faszinierend meergrüne Augen und eine Haut, die auf Nase und Wangen einige Sommersprossen zeigte.

Brenda und Aislyn, ihre Schwestern, bezeichneten Sheela oft als Laufstegschönheit, irisch, wild und ungebändigt, nur leider etwas zu klein geraten, als dass sie eine Modelkarriere hätte anstreben können. Brenda hätte da schon eher Chancen gehabt.

Der junge Keller schien aber über alle Maßen beeindruckt und stieß beim Servieren, weil er sich mehr auf Sheela konzentrierte, versehentlich gegen den Stuhl, auf dem der Rucksack stand. Der Rucksack schwankte bedrohlich, fiel gegen den Tisch und drohte ihn umzukippen. Im letzten Moment sprang vom Nachbartisch ein Mann auf und verhinderte das Chaos. Er packte den Rucksack und zog ihn auf den Stuhl zurück.

„Um Himmels willen!“, rief Sheela, die ebenfalls aufgesprungen war und dabei blitzschnell nach dem Eiskaffee gegriffen hatte, während der junge Kellner sich entschuldigend Richtung Tresen eilte.

„Es ist ja nichts passiert“, erwiderte der Mann und sah sie an. Seine Augen waren dunkel, fast schwarz. Sein Kinn war markant, die Haut zeigte ein sattes tiefes Bronzebraun. Sein weißes T-Shirt spannte leicht über seiner Brust, die muskulösen Oberarme deuteten an, dass er auch sonst kräftig zuzupacken verstand.

„Obwohl der Himmel da auch nicht viel ausrichten könnte“, fügte er hinzu.

„Ist mir schon klar“, erwiderte Sheela. „Was sagt man denn hier auf Rhodos in so einer Situation? Ruft man einen dieser griechischen Götter an?“

„Das können Sie gern tun“, meinte der Mann amüsiert. „Aber eigentlich bin ich ja schon da.“

„Wie jetzt? Als Gott?“, fragte Sheela zurück, die sich die Bemerkung nicht hatte verkneifen können. Sein Lächeln hatte sie herausgefordert. Der Typ wirkte gar zu selbstsicher.

„Warum nicht? Wenn Sie mich unbedingt so bezeichnen wollen“, konterte er sofort und grinste noch breiter. Das Funkeln seiner Augen wurde dabei beunruhigend intensiv und trug nicht dazu bei, Sheelas Herzschlag wieder zu verlangsamen. Aber das Verrückte war, dass der Kerl tatsächlich wie eine dieser perfekten griechischen Götterstatuen aussah, die hier in jedem Museum herumstanden.

Mit dem Unterschied, dass weder Götter noch Statuen sich in Jeans und T-Shirt dermaßen cool bewegten.

Solche Typen wussten meistens sehr genau, wie man eine Frau aus dem Konzept brachte. Aber nicht mit ihr! Kampfeslustig sah Sheela ihm direkt in die Augen.

„Echt jetzt?“, fragte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Solche Anmachen funktionieren hier auf Rhodos?“

„Manchmal schon.“ Immer noch stand das Lächeln in seinen Augen. „Wieso? Sind Sie von der Sorte, die es lieber subtiler mag? Ich kann auch das.“

Gegen ihren Willen musste Sheela nun doch lachen. „Von subtil sind Sie noch meilenweit entfernt. Tut mir leid“, entgegnete sie ironisch, „im Moment fühlt es sich eher an wie mit dem Vorschlaghammer.“

„‚Vorschlaghammer‘? Das ist hart. Geben Sie mir eine zweite Chance?“

„Nur zu“, erwiderte Sheela amüsiert. Die Sache begann, ihr Spaß zu machen.

„Das heißt, ich darf mich zu Ihnen setzen“, sagte der Mann.

„Ähm …“, machte Sheela überrumpelt.

„Das nehme ich mal als ein Ja“, nutzte er ihre Verwirrung sofort aus und hatte sein Glas auf ihrem Tisch abgestellt, bevor sie etwas sagen konnte. Dann zog er seinen Stuhl an ihren Tisch heran, setzte sich und grinste sie breit an. „Was ist?“, fragte er mit einem Gesicht, als könne er kein Wässerchen trüben. „Setzen Sie sich doch wieder. Sie müssen mir jetzt nicht huldigen.“

Unglaublich! Der Kerl war ziemlich unverschämt. Aber leider auch verdammt gutaussehend. Sheela musste aufpassen, dass er sie mit seinem Holzhammercharme nicht doch beeindruckte. Zögernd setzte sie sich und stellte den Eiskaffee vor sich ab. Das Glas war nur noch zu drei Vierteln gefüllt, der Rest war verschüttet. Eben kam der Kellner mit einem Lappen zurück, wischte über den Tisch und wandte sich wieder zum Gehen.

„Einen Moment!“ Nikos nahm Sheela den Kaffee aus den Fingern und drückte dem Jungen das Glas in die Hand. „Dasselbe noch einmal für die Dame“, sagte er in einem Ton, der zeigte, dass er keinen Widerspruch duldete. „Und natürlich geht das aufs Haus.“

Der Kellner nickte eingeschüchtert und zog wieder ab.

„Sie sind es anscheinend gewohnt, dass andere nach Ihrer Pfeife tanzen“, stellte Sheela fest und gab sich größte Mühe, weiterhin völlig unbeeindruckt zu wirken.

„Weil ich dafür sorge, dass Sie hier anständig behandelt werden? Das Bürschchen hätte Ihnen ganz von selbst einen neuen Frappé anbieten müssen. Was macht das denn für einen Eindruck!“

„Wieso?“, fragte Sheela. „Sind Sie der Besitzer des Cafés?“

„Wie kommen Sie denn darauf?“ Nikos lachte belustigt auf. „Nur weil ich finde, dass man Touristen nicht zu sehr übers Ohr hauen sollte? Die Preise an der Küste sind ohnehin völlig überteuert, und bei Locations wie dieser, mit so einem Ausblick, wird noch einmal kräftig was draufgeschlagen. Im Landesinneren sieht das anders aus, da bekommen Sie noch echte griechische Gastfreundschaft. Und zwar ganz umsonst.“

Ich weiß, hätte Sheela beinahe geantwortet, schließlich kam sie gerade aus dem Landesinneren, wo sie für ein paar Schmetterlingsbilder alles aufs Spiel gesetzt – und verloren hatte. Gut, mit den zuletzt geschossenen Fotos bestand vielleicht wirklich die Aussicht, den Wettbewerb zu gewinnen, aber ihre Rundreise durch die griechische Inselwelt war hier definitiv zu Ende. Dabei hätte es sicher auch andernorts noch gute Chancen auf das Siegerfoto gegeben.

„Es geht Ihnen also nur um Gastfreundschaft?“, hakte sie nach.

Nikos lächelte, zuckte mit den Schultern und schaute sie treuherzig an. Dabei wirkte er plötzlich so attraktiv, dass sie kurz wegsehen musste.

„Sicher“, ruinierte er den angenehmen Eindruck aber sofort wieder. „Bei so hübschen Touristinnen wie Ihnen ist mir natürlich dran gelegen, mein Land nicht in schlechtem Licht dastehen zu lassen.“

„Schade“, meinte Sheela und stand auf. „Das war jetzt leider wieder der Vorschlaghammer. Sie sollten wirklich noch ein wenig üben.“

„Gern. Helfen Sie mir dabei?“, konterte er sofort wieder und sah ihr erneut tief in die Augen.

„Ich bin sicher, es gibt genug Frauen, die auf sowas abfahren“, entgegnete Sheela. „Ich gehöre leider nicht dazu.“

Wirklich nicht, Sheela Kavanagh? Gestehe dir doch wenigstens ein, dass du jetzt nur die Flucht ergreifst, weil du Angst hast, er könnte dich mit seinem Charme doch noch einwickeln.

Genau wie ihr Ex-Freund Robert das geschafft hatte. Nur dass die Sache damals denkbar schlecht für Sheela ausgegangen war. Nein, noch einmal fiel sie auf ein paar coole Sprüche und diesen treuherzigen Blick bestimmt nicht herein!

„Hey, wo wollen Sie denn so plötzlich hin?“, fragte Nikos unerwartet ernst und legte seine Hand auf ihre. Die Berührung ließ unvermutet eine Gänsehaut auf ihren Armen entstehen. „Bleiben Sie doch noch. Dass wir uns hier getroffen haben, hat bestimmt etwas zu bedeuten. Außerdem kommt dort gerade Ihr neuer Frappé. Den müssen Sie jetzt schon noch mit mir trinken. Sonst hätte ich den ganzen Aufruhr ja völlig umsonst veranstaltet.“

Appellierte er jetzt auch noch an ihr schlechtes Gewissen? Dann hatte er leider die falscheste aller Strategien gewählt, denn mit emotionaler Manipulation erreichte er bei ihr gar nichts. Dafür hatte Robert gesorgt, und Sheela würde die Lektion ihr Leben lang nicht vergessen. Erst hatte er sie mit angeblichen Gefühlen umschmeichelt, dann ihr Vertrauen ausgenutzt und sie am Ende auf allerschlimmste Art betrogen.

Energisch zog sie ihre Hand unter Nikos’ weg, wobei sie ein ganz kleines bisschen Bedauern fühlte – nur so viel, um kurz zu zögern.

„Dass wir uns hier treffen, war vom Schicksal garantiert nicht vorgesehen“, erwiderte sie, „denn eigentlich wäre ich gar nicht mehr auf der Insel. Und jetzt muss ich auch los, tut mir leid. Ich muss mir noch eine Unterkunft besorgen.“

Nikos sah ihr prüfend in die Augen. „Verstehe“, sagte er dann. „Aber zwei Dinge würde ich Ihnen gern noch sagen.“

„Ich höre“, sagte Sheela, verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn herausfordernd an.

„Erstens: Trinken Sie bitte Ihren Frappé noch aus. Ich habe vorhin gesehen, wie lange Sie auf diesen Platz gewartet haben. Sie müssen jetzt nicht die Märtyrerin spielen, nur um zwei oder drei Minuten früher von mir wegzukommen. So furchtbar bin ich nun auch wieder nicht.“

Womit er leider nur allzu recht hatte. Wenn er gewusst hätte, wie verräterisch schnell ihr Herz jetzt schon klopfte, hätte er den Satz auch gar nicht gesagt. Hastig griff Sheela nach dem Glas und begann, es auszutrinken. Eigentlich hätte dies ein Moment der Ruhe werden sollen, eine kleine Entschädigung für die verpasste Fähre. Stattdessen kippte sie den Frappé hinunter, als wäre der Teufel hinter ihr her.

Dabei saß der genau genommen schon vor ihr, schrieb gerade etwas auf einen Zettel und hatte dabei ein diabolisches Lächeln in seinem attraktiven Gesicht.

„So“, sagte sie und stellte das Glas mit Nachdruck auf den Tisch zurück. „Und zweitens?“

„Zweitens“, sagte Nikos, „gibt es hier außerhalb der Stadtmauer eine kleine Pension, die ein bisschen versteckt liegt und deshalb ein Geheimtipp ist. Wenn überhaupt, dann kriegen Sie dort noch ein Zimmer. Ich habe Ihnen die Adresse mal aufgeschrieben.“

Zögernd schaute Sheela auf den Zettel, den er ihr entgegenhielt.

„Nun nehmen Sie schon“, sagte Nikos, „er ist nicht vergiftet. Die Pension wird privat geführt, sie ist klein, sauber und gemütlich. Und vor allem preiswert.“

„Danke“, sagte Sheela.

„Kein Problem“, erwiderte Nikos, stand ebenfalls auf und griff nach ihrem Rucksack.

„Und was wird das jetzt wieder?“, erkundigte sich Sheela misstrauisch.

Nikos zuckte mit den Schultern. „Nichts. Ich helfe Ihnen, den Rucksack aufzusetzen.“

„Vielen Dank, aber das kann ich auch allein“, entgegnete Sheela kratzbürstig. Glaubte er wirklich, sie brauchte Unterstützung?

Nikos sah sie an. „Jetzt enttäuschen Sie mich aber. Nach dem Gespräch hätte ich vermutet, dass Sie zu den Frauen gehören, die eine plumpe Anmache von Höflichkeit zu unterscheiden wissen. Oder würden Sie es besser finden, wenn ich zusehe, wie Sie sich mit diesem Ungetüm abmühen?“

Autor

Ally Evans
<p>Ally Evans kam erst spät zum Schreiben. Als Fremdsprachenlehrerin und Bibliothekarin arbeitete sie zuvor in Berufen, die immer auch mit Sprache oder Büchern zu tun hatten. Heute geht sie zum Schreiben gern in Cafés, genießt dort eine heiße Schokolade und lässt sich für ihre mitreißenden Romances von ihren Reisen inspirieren,...
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