Historical Exklusiv Band 52

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SÜßER ZAUBER DER SINNLICHKEIT von HALE, DEBORAH
Armand Flambard lebt! Dominie De Montford kann es kaum fassen. Ihre totgeglaubte Jugendliebe, der Mann, dem sie einst versprochen war, bis eine Familienfehde sie entzweit hat, ist wieder gesehen worden. Gerade jetzt, da sie seinen Beistand so bitter nötig hätte … Doch als sie Armand tatsächlich findet, weist er sie eiskalt zurück. Dominie ist verzweifelt: Waren seine Liebesschwüre von einst etwa nur vorgetäuscht?

DER WOLF VON WISBOROUGH von SIMMONS, DEBORAH
England, 1270: Was für ein aufmüpfiges Frauenzimmer! Dunstan de Burgh, Baron of Wessex, ist alles andere als begeistert, die junge Marion Warenne, Schützling seiner Familie, zurück in ihre Heimat geleiten zu müssen. Erst im Laufe der gefahrvollen Reise entwickelt er allmählich Respekt für sie - und heiße Gefühle. Aber sie scheint ihn nicht ausstehen zu können. Denn immer wieder versucht sie zu fliehen …


  • Erscheinungstag 14.04.2015
  • Bandnummer 52
  • ISBN / Artikelnummer 9783733760724
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Deborah Hale, Deborah Simmons

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 52

DEBORAH HALE

Süßer Zauber der Sinnlichkeit

Schuldgefühle plagen Armand, seit er gegen seine einstigen Verbündeten die Waffen erheben musste. Nie wieder, hat er sich geschworen, wird er zum Schwert greifen! Da bittet ihn seine große Liebe Dominie um Hilfe gegen eine Bande von Gesetzlosen. Nun muss er sich entscheiden: seinen Eid zu brechen – oder Dominie für immer zu verlieren!

DEBORAH SIMMONS

Der Wolf von Wisborough

Was für ein Mann! Lady Marion Warenne ist fasziniert von der schieren Kraft Dunstans, des „Wolfs von Wisborough“ – ihrem attraktiven Beschützer, der sie zu ihren ungeliebten Verwandten geleiten soll. Lieber würde sie jedoch bei ihm bleiben. Und noch lieber würde sie ihm ihre Leidenschaft schenken – doch er hält sie stets auf Distanz …

1. KAPITEL

Norfolk, England, im Jahre 1143

Armand Flambard lebt!

Diese Erkenntnis ließ Dominie beim Anblick von Breckland Abbey bis in die letzten Nervenfasern erschaudern. Hoch und erhaben strebten die Mauern des Klosters himmelwärts, umgeben von akkurat gepflegten Klostergärten, die sich bis zum Rande eines verwilderten, dicht verschlungenen grünen Waldes erstreckten.

Armand am Leben? Konnte das sein? Seit sie vor drei Tagen von Harwood aus zu ihrer heiklen Reise aufgebrochen war, hatte Dominie De Montford sich diese Frage immer wieder gestellt. Oder hatte Pater Clement, als er ihre Mutter bei einer Wallfahrt zum Heiligen Brunnen von Breckland begleitete, lediglich eine wundersame Erscheinung gehabt? Einem Phantom aus trügerischer Hoffnung nachzujagen und deswegen ungebührlich lange von den Ländereien ihrer Familie fern zu bleiben durfte Dominie sich eigentlich nicht leisten!

Und dennoch …

Wenn sie Armand hier im Kloster finden würde, wäre dies für ihre Familie und deren Gefolgsleute ein kleiner Hoffnungsschimmer, dem drohenden Hungertod im nächsten Winter zu entgehen. Inzwischen fielen jene Menschen zwar in Dominies Verantwortung, doch einst war Armand für sie zuständig gewesen. Damals, ehe er die ihm Anvertrauten – und Dominie! – schmählich im Stich gelassen hatte!

Ein Rascheln hinter ihr im Gras riss sie plötzlich aus ihren bitteren Gedanken, sodass Dominie sich blitzschnell duckte und Deckung in einem kleinen Gehölz aus Buchen und Haselnussbüschen suchte. Als dann ein mageres Moorhuhn aus dem Heidekraut aufflatterte, stieß Dominie stockend den Atem aus. Nachdem sie sich drei Tage lang klammheimlich durch Englands Wälder und Flure geschlagen hatte, spürte sie nun, dass ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren.

Eine sanfte Brise wehte von der Abtei herüber und marterte Dominies Nase mit verlockendem Bratenduft. Seit drei Tagen hatte sie kaum einen Bissen zu sich genommen. Das Wasser lief ihr im Munde zusammen, und ihr Magen ließ ein erbärmliches Knurren vernehmen. Nachdem sie sich auf dem Boden niedergekauert hatte, um hastig ihren Leinenbeutel zu durchwühlen, zog sie schließlich einen Kanten trockenen Brotes hervor. Während sie daran kaute, verdrängte sie jegliche Gedanken an den Hungerwinter, der den Bewohnern von Harwood und Wakeland drohte, sollte es nicht gelingen, den Wolf von den Toren fernzuhalten – Eudo St. Maur, ehemals Graf von Anglien und Geißel der Fenns.

Lieber Gott, mach, dass Armand hier ist, betete sie, obwohl sie insgeheim nicht davon überzeugt war, dass der Allmächtige ihr verzweifeltes Flehen erhören würde. Vielleicht war er ja wirklich mitsamt seinen Engeln eingeschlafen, wie manche Frevler lästerten. Wären die himmlischen Heerscharen nämlich wachsam gewesen, dann hätten sie niemals zulassen dürfen, dass das Land von diesem abscheulichen Geschmeiß heimgesucht wurde!

Plötzlich war vom Turm der Klosterkapelle helles Glockengeläut zu hören, das die Mönche zu Breckland von der Andacht zur Arbeit rief. Kurz darauf schwang die Klosterpforte weit auf, und heraus kam ein Pulk von Patres und Laienbrüdern, allesamt in einfache, schwarze Kutten gehüllt und mit Hacken, Spaten oder sonstigem Gartengerät über der Schulter.

Obwohl sie ihren Hunger nicht gestillt hatte, stopfte Dominie den Brotrest in den Leinenbeutel zurück. Schritt für Schritt schlich sie verstohlen durch das Gehölz, näher und näher an die klösterlichen Feldarbeiter heran. Einen nach dem anderen musterte sie die Kuttenträger, bis ihr Blick schließlich auf der größten Gestalt verharrte.

Der sehnige, hagere Wuchs des Mannes, sein energischer Gang erinnerte sie an Armand Flambard. Noch zierte keine Tonsur sein Haupthaar, was den Schluss zuließ, dass er das Mönchsgelübde nicht abgelegt hatte – noch nicht!

Vielleicht hatte der allmächtige Gott sich im Schlummer geregt und Dominies verzweifeltes Flehen doch vernommen!

Wortlos verteilten die Klosterbrüder sich auf die verschiedenen Beete und Rabatten, um ihr Tagewerk in Angriff zu nehmen. Der Hüne strebte geradewegs auf Dominie zu, als würde er von ihren durchdringenden Blicken regelrecht angezogen oder von einer außergewöhnlich wohlwollenden höheren Macht gelenkt.

Als er am Rande des Gartens angelangt war, zückte der Laienbruder die mitgebrachte Hippe und machte sich an das Säubern der Begrenzungshecke, indem er die frischen Triebe kappte oder nach unten bog und mit dem Gertengewirr verzweigte. Noch stand er, den Kopf über die Arbeit geneigt, recht weit entfernt, sodass Dominie nicht mit Sicherheit sagen mochte, ob sein Gesicht jenes war, das sie in Gedanken vor sich sah.

So mach schon, schalt sie sich. Sie konnte es sich nicht leisten, ihre Zeit zu vergeuden, um herauszufinden, ob Armand Flambard hier war! Und doch hielt sie irgendetwas zurück. War es die Angst, dass auch diese Hoffnung vergebens war, wie so viele andere zuvor?

Nachdem sie all ihren Mut zusammengenommen hatte, trat Dominie aus der Deckung der Bäume heraus und ging auf die Einfriedung zu. In seine Arbeit vertieft, werkelte der Novize ungerührt weiter, ohne sie zu bemerken. Schließlich trennte die beiden bloß noch die schmale Barriere aus gestutztem Strauchwerk.

„Armand Flambard?“, fragte sie.

Der Ordensbruder schaute auf, und der Hieb seiner Hippe verfehlte das Ziel – eine Reaktion, welche seiner schroffen Auskunft in keiner Weise entsprach. „Einen Mann dieses Namens wirst du hier nicht finden, Junge!“

Junge? Für einen Augenblick war Dominie von dem Ausdruck nicht weniger konsterniert als von Armand Flambards Leugnen. Als er nämlich aufgeschaut und gesprochen hatte, vollführte ihr Herz einen Hüpfer, denn sie hatte ihn erkannt.

Gewiss, seit ihrer letzten Begegnung hatte er sich äußerlich ein wenig verändert. Sein Gesicht zeigte ein noch tieferes Braun als damals schon, und die einst jungenhaft weichen Züge waren mit den Jahren kantig geworden, was seinem Profil einen herben, maskulinen Reiz verlieh.

Seine Schultern waren so breit wie eh und je, die Glieder schlank und durchtrainiert. Seine Hände wirkten größer und kräftiger als in ihrer Erinnerung, und doch bewegten die Finger sich mit jener eleganten Gewandtheit, die früher der Laute solch berückende Klänge entlockt hatte … und ihr selbst seelenvolle Seufzer.

Dominie verwarf dieses betörende Bild und überprüfte ihr Äußeres. Kein Wunder, dass Armand sie für einen Burschen hielt!

Sie riss sich die Filzkappe vom Kopf und ließ den vollen, dicht geflochtenen Zopf aus kastanienbraunem Haar über die Schultern fallen. „Schau mich noch einmal an! Vielleicht hilft das deinem Gedächtnis auf die Sprünge … Bruder!“

In jüngeren Jahren hatte sie ihn zuweilen Bruder genannt, natürlich nur zum Scherz. Obwohl er zu Wakeland im Hause der De Montfords aufgewachsen war, hatte sie niemals schwesterliche Gefühle für Armand Flambard gehegt, und das war auch jetzt nicht anders.

Als er ihr abermals einen Blick zuwarf, rang Dominie sich ein Lächeln ab, damit er sie erkannte. Zwar wollte sie weder vergessen noch vergeben, was er ihr in der Vergangenheit angetan hatte, doch ihre Leute bedurften nun seiner Hilfe. Und sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihnen diese Unterstützung zu sichern!

„Dominie?“ Das Werkzeug entglitt seinen Fingern und schlug dumpf auf dem Boden auf. „Wie hast du mich gefunden? Warum bist du hergekommen?“

Also erkennt er mich doch! Dominie versuchte die freudige Erregung, von der sie wie von einer Woge erfasst wurde, zu unterdrücken, was ihr nicht gelang.

„Vor Kurzem pilgerte Pater Clement zum Kloster, und bei seiner Rückkehr sagte er, er glaube dich dort gesehen zu haben. Also bin ich gekommen, um mich persönlich zu vergewissern, ob das wahr ist. Wir hielten dich nämlich für tot, Armand!“ Dominie konnte sich den scharfen, vorwurfsvollen Unterton nicht verkneifen. „Bei Lincoln gefallen, wie mein Vater und Denys.“

Wie sehr sie um ihn getrauert hatte! Und umso länger und bitterer, je angestrengter sie versuchte, es nicht zu tun! Gegenüber dem Vater und auch dem Bruder kam es ihr wie ein Verrat vor, einen von ihren gefallenen Feinden zu beweinen!

Armands wohlgestalte Züge verzerrten sich, genauso wie damals, wenn er bei seinen Schwertübungen, bei denen Dominie ihm manchmal zusah, einen Hieb abbekam.

Sie konnte sich denken, was dieser Gesichtsausdruck zu bedeuten hatte. „Hattest du nicht gehört, dass sie gestorben sind?“

„Doch, doch!“ Er warf einen Blick über die Schulter zu den übrigen Brüdern. Sie waren alle zu weit entfernt und zu sehr in ihre jeweiligen Aufgaben vertieft, als dass sie ihm und Dominie Beachtung geschenkt hätten.

„Auch ich wurde bei Lincoln getötet!“ Er bückte sich, um die Hippe aufzuheben. „Zumindest zum Teil!“

Was mochte er damit meinen? Hatte er durch eine schwere Verwundung seine Kampffähigkeit eingebüßt, obwohl es nicht den Anschein hatte?

Ein Schauder überlief Dominie, doch dann mahnte sie sich, dass sie ja nicht von Armand erwartete, er müsse es ganz allein mit St. Maur und seinen Spießgesellen aufnehmen. Vielmehr benötigte sie sein taktisches Geschick als Krieger und Führer, auch wenn ihr ein zusätzlicher kräftiger Schwertarm gewiss nicht ungelegen gekommen wäre.

„Auf mich machst du einen recht gesunden Eindruck!“ Für meine Zwecke zumindest!

Armand zuckte die Achseln und begab sich wieder ans Stutzen der Hecke.

„Ich habe dich aufgesucht, weil ich deine Hilfe brauche, Armand!“

Er erstarrte. „Nenne mich bitte nicht bei diesem Namen! Ich bin hier jetzt Bruder Peter … beziehungsweise werde es bald sein.“

„Es ist einerlei, wie du dich nennst – du musst mir helfen!“ Ihre Worte klangen halb wie ein Flehen, halb wie eine Forderung. „Der König tut zwar, was er kann, jedoch zu spät und nicht genug, so wie es seiner Art entspricht. Das Problem ist Eudo St. Maur. Hast du gehört, was dieser Lump alles verbrochen hat, seit König Stephen so töricht war, ihn freizulassen?“

„Ich war nur im Kloster!“, entgegnete Armand hitzig. „Nicht in einer Krypta! Natürlich habe ich es gehört! Einige unserer Brüder hier zu Breckland sind Flüchtlinge aus jenen weiter ostwärts gelegenen frommen Abteien, die er geschändet hat!“

Der grimmige Zorn, den sie in seinen Worten vernahm, ließ ihr Herz höher schlagen. Normalerweise äußerten fromme Brüder sich nicht in einem solchen Ton!

Krieger schon eher!

„Dann dürfte dir wohl bekannt sein, dass er die Umgebung seines Lagers im Moor nach Strich und Faden ausgeplündert hat, und zwar im Umkreis von Meilen!“

Armand erstarrte abermals, als habe ihn eine Klinge getroffen. „Harwood?“

Dominie nickte. „Ende des Winters überfiel eine von St. Maurs Raubritterbanden eines unserer abgelegenen Gehöfte. Der Pächter und seine Familie kamen nur knapp mit dem Leben davon.“

„Der Teufel soll den Lump holen!“, knurrte Armand durch die zusammengebissenen Zähne.

„Vielleicht erhört uns der Leibhaftige ja eines Tages“, erwiderte Dominie. Wegen seiner Gewalttaten gegen den Klerus war St. Maur exkommuniziert worden. „So lange aber muss jemand die Unschuldigen vor dieser Bande von Gesetzlosen beschützen!“

Obgleich er ihre Bitte wohl begriffen haben musste, gab Armand keine Antwort, sondern hackte ungerührt auf die Triebe ein.

Dominie unternahm einen erneuten Anlauf. „Als der Pächter und seine Familie fortritten, drohten St. Maurs Schergen damit, wiederzukommen, sobald Harwood und Wakeland lohnendere Ziele abgäben. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses Raubgesindel unsere Ernte plündert! Sonst verhungern uns noch die Gefolgsleute!“

Armand straffte sich, richtete sich zu seiner vollen, imposanten Größe auf und bedachte Dominie mit einem Blick seiner beeindruckend blauen Augen.

Sie schickte ein stummes Dankgebet zum Himmel. Also war ihre gefährliche, von Hunger begleitete Wanderung doch nicht vergebens! Armand Flambard, Nachfahre aus einem bis zu Karl dem Großen zurückreichenden Geschlecht gottesfürchtiger Kriegsmänner würde ihr zur Seite stehen – als siegreicher Held gegen die Geißel der Fenns!

Gewiss würde er siegen! Dominie war sich sicher, so wie sie schon als Kind mit dem Glauben aufgewachsen war, dass das Gute dem Bösen zum Schluss überlegen sein würde.

Endlich ergriff Armand das Wort. „Ich werde mit ganzer Seele dafür beten, dass Wakeland und Harwood vom Übel erlöst werden.“ Bedauernd, aber entschlossen schüttelte er den Kopf. „Mehr als das kann ich nicht tun.“

„Wie bitte?“, rief Dominie empört, der es vollkommen gleichgültig war, ob sie die anderen Benediktiner auf sich aufmerksam machte oder nicht. Hätte sie Armands Hippe in die Finger bekommen, sie hätte ihn wohl glatt damit geköpft. „Armand Flambard! Ich will nicht deine Fürbitten! Ich will dein Schwert!“

Eigentlich durfte mörderische Wut in Frauenaugen nicht dermaßen wunderschön aussehen!

Bei den tausendfachen Gelegenheiten, in denen Armand sich Dominie in den vergangenen fünf Jahren vorgestellt hatte, war sie ihm nie anders erschienen als mit einem Ausdruck engelsgleicher Unschuld. Und wenn sie in seinen Träumen mit ihm gesprochen hatte, dann ausschließlich in süßestem, sanftestem Flüsterton.

Nun aber stand sie vor ihm in langen Beinkleidern und dem Wams eines Knaben, die smaragdgrünen Augen hart und erfüllt von einem erbosten Blick, die Stimme vorwurfsvoll zornig. Und er begehrte sie mit einem wilden, zügellosen Verlangen, welches ihm schier die Sprache verschlug.

Fünf Jahre zuvor hatte Armand gegen seinen Willen ein Mädchen zurückgelassen. Nunmehr stand ihm die Frau gegenüber, zu der diese Jungfer herangewachsen war.

Und was für eine Frau!

Ihr üppiges Haar war kastanienbraun und glänzend! In ihren Augen mischten sich warmes Braun und das frische Grün eines Waldes zur Sommerzeit. Darin schimmerten goldene Pünktchen – wie Sonnenstrahlen, wenn sie sich durch den Baldachin aus grünen Blättern bohren. Einzeln für sich betrachtet, wiesen keine ihrer Züge auf ausgesprochene Schönheit hin: die hohen Wangenknochen, ein kantiges Kinn, dichte Brauen und volle, sinnliche Lippen. Dennoch verschmolzen sie alle zu einem Antlitz von solch bezauberndem Ebenmaß, dass Armand kaum den Blick abzuwenden vermochte.

„Gibt es dort etwa Ungemach?“ Wie heranrollendes Donnergrollen tönte aus dem rückwärtigen Bereich hinter Armand der tiefe Bass von Bruder Ranulf. Einmal mehr fuhr es Armand durch den Sinn, welch vorzüglichen Ordnungshüter der Gute abgegeben hätte!

„Mitnichten!“ Armand warf Dominie einen raschen Blick zu, der sie zur Zusammenarbeit auffordern sollte. Wiederholt war der Vorgänger von Bruder Ranulf dagegen gewesen, dass Armand sein Gelübde ablegte, und zwar mit der Begründung, er habe sein früheres Leben noch nicht ganz aufgegeben. Der neue hingegen wirkte ein wenig umgänglicher und war womöglich schon bald zu überreden … vorausgesetzt, Dominie vermied jegliches Aufsehen!

Armand wandte sich zu dem Wirtschaftsverwalter des Klosters um. „Bruder Ranulf, dies hier ist Lady Dominie De Montford, meine Pflegeschwester aus Wakeland. Sie ist zu uns nach Breckland gekommen …“

Er rang nach Worten. Einen Mitbruder zu täuschen wäre nicht nur unehrenhaft gewesen, sondern geradezu eine Sünde. Die Wahrheit hinauszuposaunen, das allerdings konnte womöglich zu allerlei unangenehmen Fragen führen, die er besser nicht beantwortete.

„Ich bin auf Wallfahrt“, verkündete Dominie vollkommen ernst, „um Euren Heiligen Brunnen zu besuchen!“ Sie bedachte Bruder Ranulf mit jenem treuherzigen Lächeln, von welchem Armand so häufig in seinen Träumen heimgesucht worden war.

Bruder Ranulf konnte ihrem Liebreiz nicht widerstehen. „Den ganzen Weg von Wakeland her? Und mutterseelenallein? Liebes Kind, das ist sehr gefährlich! Was fehlt dir denn?“

Der Unterton in der Frage ließ ahnen, dass sie nicht eben leidend aussah. Da konnte Armand nur zustimmen. Diese junge Frau wirkte viel zu gesund, als dass sie sich eine Wallfahrt auferlegt hätte, bei dir sie um Heilung betete.

„Stechende Bauchschmerzen, Bruder!“ Schützend schlang Dominie die Arme um den Leib. Ein Ausdruck stummen Leidens verzerrte ihre Züge, was Armand schließlich überzeugte, dass sie die Wahrheit sagte. „Schon geraume Zeit plagen sie mich. Ich bete darum, dass die heilige Muttergottes ein gutes Wort für mich einlegt. Denn sonst …“

War Dominie vielleicht todkrank? Ein düsterer, abgrundtiefer Schmerz breitete sich in Armands Leib aus. Zugegeben, seit fünf Jahren hatte er sie nicht mehr gesehen und sogar ernsthaft gebetet, sie möge ihm nie mehr im Leben begegnen. Wie aber kam es dann, dass der Gedanke an eine Welt ohne sie ihn derart bekümmerte?

Und noch etwas fiel ihm ein. Es war edelmütig von ihr, dass sie sich bei ihm für ihre Gefolgsleute einsetzte! Und alles ohne ein einziges Klagewort über das Gebrechen, das sie nach Breckland Abbey geführt hatte! Armand verachtete sich wegen der fleischlichen Gelüste, die so plötzlich in ihm aufgelodert waren. Vielleicht hatte der alte Abt ja doch recht getan, indem er Armand die volle Mönchsweihe verweigerte!

Bruder Ranulf schüttelte das Haupt mit der kreisrunden Tonsur. „Ich bete für dich. Möge dir in unserem Hause Heilung zuteilwerden, mein Kind! Komm nur um die Hecke herum, dann bringe ich dich zu Bruder Alwyn, unserem Herbergsvater.“

„Ich danke Euch!“ Dominie hüstelte verlegen. „Wäre es wohl zu viel des Guten, wenn ich euch bäte, dass Armand … äh, Bruder Peter … mir den Weg zeigen möge? Zu Kindertagen war er mir lieb und teuer wie ein leiblicher Bruder. Hier ganz zufällig auf ihn zu treffen, kommt mir wie ein Zeichen unseres himmlischen Vaters vor!“

Ihre süße, bekümmerte Art hätte einen Säulenheiligen zu Tränen gerührt. Als Armand begriff, dass Dominie es keineswegs darauf anlegte, ihm Scherereien mit seinen Oberen zu bereiten, fiel ihm ein Stein vom Herzen, auch wenn ihm bei ihren Worten recht mulmig wurde. Sie hatte ihn schließlich keineswegs zufällig oder durch die göttliche Vorsehung hier im Kloster Breckland aufgetrieben!

Nein, erst kurz zuvor hatte Dominie ihm mitgeteilt, sie sei in voller Absicht gekommen und auf der Suche nach ihm!

Bruder Ranulf indes sah keinen Anlass, an ihrer Ehrlichkeit zu zweifeln. „Gott bewahre, mein Kind! Ganz wie du möchtest!“ Seine mächtige Stimme hatte noch niemals so lammfromm geklungen. Er nahm Blickkontakt mit Armand auf und nickte in Richtung der Abtei. „Geleite die junge Dame zu Bruder Alwyn. Er wird gewiss Sorge tragen, dass sie angemessen untergebracht ist.“

Armand quittierte den Auftrag mit einem leichten Neigen des Kopfes, das sowohl Gehorsam als auch Dank signalisierte. Da er Dominie zum ersten Mal nach fünf Jahren wiedergetroffen hatte, fiel es ihm schwer, schon so bald wieder von ihr zu scheiden. Auch wenn sie in ihm Gefühle erweckte, die er nicht zulassen durfte.

Er bog das Heckengewirr auseinander, um ihr einen Durchlass zu öffnen. Als sie sich mit einem munteren Schritt hindurchwand, hatte Armand seine liebe Müh und Not, den Blick von ihren schlanken, wohlgeformten Beinen loszureißen, die in einer hautengen grünen Wollstrumpfhose steckten. Als es ihm endlich gelang, stellte er fest, dass er ihr nun auf die weichen Rundungen starrte, die auch die weiten Falten des Wams nicht verhüllen konnten. Als er die Heckenzweige wieder an Ort und Stelle zurückschnappen ließ, überlegte er kurz, ob er nicht einige Gerten abschneiden solle, um sich später damit für seine unzüchtigen Gedanken zu geißeln. Dann fiel ihm ein, dass der neue Abt nichts von derlei Praktiken hielt.

Er straffte seinen Oberkörper und schritt mit energischen Schritten zum Klostergebäude. Er hörte, wie Dominie hinter ihm sich beeilen musste, um zu ihm aufzuschließen. Er verlangsamte seinen Schritt, ohne sich zu ihr umzudrehen: „Warum hast du mir deine Krankheit verschwiegen?“

„Es wäre doch ohnehin einerlei!“, seufzte sie schwer.

Armand stieß die Pforte auf. „Mir aber nicht!“

„So?“ Dominie streifte ihn mit einem herablassenden Blick, während sie schwungvoll an ihm vorbeieilte und die Abtei betrat.

Sie ging so dicht an ihm vorbei, dass er den erdigen Duft des Waldes riechen konnte, der noch an ihren Kleidern hing. Er folgte ihr durch die Pforte und schlug diese dann, heftiger als beabsichtigt, hinter sich zu.

Ohne jede Vorwarnung blieb Dominie wie angewurzelt stehen und wirbelte zu Armand herum, der um ein Haar mit ihr zusammengestoßen wäre. „Können wir hier irgendwo unter vier Augen sprechen?“, fragte sie. „Ehe du mich beim Herbergsvater ablieferst?“

Obgleich er wusste, dass ein zwar bedauerndes, doch konsequentes Nein die beste Antwort gewesen wäre, guckte Armand sich verstohlen im Innenhof um, sah jedoch keinen der Patres oder der Laienbrüder. Zu dieser Tageszeit waren jene, die nicht auf den Feldern arbeiteten, wahrscheinlich anderweitig eingeteilt: im Schreibsaal, im Krankenrevier oder wohin sonst die übliche Pflicht sie rief.

Armands Blick streifte zurück zu Dominie, und aufs Neue merke er, wie er sich rettungslos im betörenden Grünbraun ihrer Augen verlor. Sie stand so dicht vor ihm, dass er das Gefühl hatte, ihre Körperwärme zu spüren. Eigentlich durfte kein Weib einem Manne so nahe sein, es sei denn, sie war ihm versprochen … oder er ihr.

„Dort hinten können wir reden“, beschied er, indem er zum Kreuzgang wies. Seine mönchische Disziplin gewann wieder die Oberhand. „Aber bloß für einen Moment, wohlgemerkt!“

„Ich brauche nicht lange!“ Dominie nickte beifällig. „Trödeln können wir uns nicht leisten!“ Dass sie das Wort wir benutzte, weckte eine bittersüße Regung in Armands Herz. Sie riss sich von seinem eindringlichen Blick los, drehte sich um und schritt den überdachten Wandelgang entlang, der unter dem Schlafsaal der Mönche verlief.

„Was hast du in einem Kloster zu suchen, Armand Flambard?“ Mit einer gereizten Handbewegung deutete sie auf die Säulenreihe, welche den äußeren Rand des Kreuzganges stützte. „Zu unserer Jugendzeit war bei dir nie die Rede davon, dass du einmal in den Dienst der Kirche treten würdest!“

Natürlich war es das nicht! Nichts hätte ihm damals fernergelegen als das! Solange Armand zurückdenken konnte, war die Klinge sein Credo gewesen.

„Ich war doch der einzige Sohn!“ Er bot ihr eine Erklärung, von der er hoffte, sie werde sie akzeptieren. „Ich hatte andere Verpflichtungen! Der Landbesitz der Flambards, unsere Gefolgsleute!“

Es lag zwar nicht in seiner Absicht, sich so kurz angebunden zu geben, doch er konnte nicht anders. Dominies plötzliches Auftauchen, ihre aufdringlichen Fragen, ihre Probleme – all das hatte den hart erkämpften, aber zerbrechlichen Seelenfrieden, den er in den stillen Klosterwinkeln gefunden hatte, zutiefst erschüttert.

„Bei jenem Land sowie den Leuten stehst du nach wie vor in der Pflicht!“, mahnte sie ihn mit tadelnder Stimme, dass es schmerzhaft an seinen überstrapazierten Nerven zerrte.

„Nichts da!“ Armand wies ihre Worte zurück. „Alles gehört jetzt deiner Familie. Das ist die Belohnung dafür, dass dein Vater eidbrüchig wurde!“

Selbst jetzt, nach Jahren im Kloster, traf ihn die Ungerechtigkeit noch tief, dass die Menschen, die ihm am liebsten waren, das Erstgeburtsrecht gestohlen hatten. „Wie kannst du es wagen, dich an mich zu wenden? Jetzt, wo deine Vasallen in Gefahr sind? Meine Hilfe zu fordern, an mein Pflichtgefühl zu appellieren?“

„Eidbrüchig?“ Dominie ballte die Hände zu Fäusten, und die goldenen Pünktchen in ihren Augen glommen wie Höllenfeuer. „Du eingebildeter Esel, du! Meinem Vater, Gott sei seiner Seele gnädig, lagen die Gefolgsleute eben mehr am Herzen als jenes dumme Versprechen, das der alte König Henry ihm abnötigte! Er wusste nämlich, dass jene einfachen, fleißigen Menschen einen tatkräftigen Lehnsherren brauchten, der sie regierte und beschützte – und sie brauchten ihn dringender als den Ritterdienst, den Maud, die einstige Gemahlin des deutschen Kaisers Heinrich V., von ihm verlangte!“

Teufel auch! Das war ja, als stritt man sich aufs Neue mit dem leibhaftigen alten Baldwin De Montford herum!

Armands Pflegevater war stets ein pragmatischer Mann gewesen, der über den Tellerrand seiner eigenen Interessen nie hinausgeblickt hatte. Alltägliche Dinge wie Säen, Ernten, Essen und Trinken galten ihm mehr als hochtrabende Ideale.

Noch gut entsann Armand sich an die Auseinandersetzungen mit ihm, als es darum ging, im Thronstreit nach dem Tode Henrys I. einem der beiden Anwärter auf die englische Krone den Treueschwur zu leisten – entweder Stephen von Blois, dem Neffen Henrys und Enkel von Wilhelm dem Eroberer, oder aber Maud, auch Mathilde genannt, einer der beiden Töchter Henrys I., welche in Deutschland den Kaiser Heinrich V. geheiratet hatte und nach dessen Tod nach England zurückgekehrt war. Ständig hatten diese Dispute sich im Kreise gedreht, in einer Abwärtsspirale bitteren Grolls, in dem schließlich das einst so mächtige Band zwischen Pflegevater und Pflegesohn unterging.

„Wenn dein Vater sein Wort ohnehin nicht halten wollte, dann hätte er’s gar nicht erst geben sollen!“ Armand klammerte sich an die beruhigende Gewissheit, dass er selber recht gehandelt hatte, ganz gleich, wie laut sein Gewissen dagegen protestierte. „Der Eid bindet den Lehnsmann nicht nur so lange, wie es ihm beliebt! Hätten alle Grafen und Lords den der Kaiserin gegebenen Treueschwur gehalten, dann wäre England nicht zu solch einem umkämpften, gesetzlosen Tummelplatz verkommen!“

Für einen Augenblick sah es so aus, als wolle Dominie ihm wie eine Furie ins Gesicht springen. Stattdessen jedoch schloss sie die Augen und holte tief Luft. Sie musste sich derart anstrengen, die Fassung zu wahren, dass sie vor Erregung am ganzen Körper zitterte.

Als Armand dies bemerkte, überkam ihn Reue. Sie war krank. Wie konnte er so hundsgemein sein und dies vergessen? Nur weil er sich von jenem uralten Zerwürfnis, das er längst hätte abschütteln sollen, erneut überrumpeln ließ?

„Dominie!“ Er streckte die Hand nach ihr aus, und zu seiner Überraschung wehrte sie sich auch nicht gegen seine Umarmung. „Verzeih mir! Ich hätte meine Zunge im Zaume halten müssen und dich angesichts deiner Erkrankung nicht noch zusätzlich erzürnen dürfen!“

„Krank?“ Schlagartig öffnete sie ihre Augen.

Es tat dermaßen wohl, sie in den Armen zu halten, dass Armand sogleich Böses schwante. Er versuchte sich einzureden, dass es bloß eine unschuldige Geste menschlichen Mitgefühls war, weiter nichts. „Die … deine Leibschmerzen!“

„Ach, die!“ Sie schniefte. „Ein, zwei deftige Mahlzeiten aus eurem Refektorium würden bei meinen Beschwerden gewiss wahre Wunder bewirken!“

„Was?“ Armands Umarmung lockerte sich.

Sie hob die Hand und versetzte ihm einen Klaps auf die Schulter. „Ich habe Hunger, du tumber Tor!“

Armand zuckte zurück. „Du hast Bruder Ranulf erklärt, du habest Schmerzen!“

„Na, und ob ich die habe! Versuch du doch einmal, eine dreitägige Wanderung mit einem winzigen Kanten Brot und einem Stück Käse zu überstehen! Und dann schau, ob du nicht auch am Ende der Reise Magengrimmen bekommst!“

Plötzlich vernahm Armand vom Innenhof her das Geräusch herannahender Schritte und Stimmen. „Komm!“ Er packte Dominie beim Arm. „Wenn du nicht nach Brackland gekommen bist, um gesund zu werden, sondern um mir Ärger zu bereiten, solltest du schleunigst verschwinden! Ich kann dir nicht helfen!“

Aus Mangel an Übung hatten seine Kampfreflexe gelitten, sodass er nicht mehr so rasch reagierte wie früher. Irgendwie gelang es Dominie, ihm ein Bein zu stellen, sich mit ihrem ganzen, wenn auch leichten Gewicht gegen ihn zu werfen und ihn in eine ganz bestimmte Richtung zum Straucheln zu bringen. Ehe er auch nur einen Finger rühren konnte, sah Armand sich um die eigene Achse gewirbelt und mit dem Rücken an eine der Kreuzgangsäulen gepresst, Dominies Hand fest über dem Mund, ihr Knie genau zwischen seinen Schenkeln.

„Hör zu!“, zischte sie. „Ich für meinen Teil hätte nicht übel Lust, diesem Kloster den Rücken zu kehren und dich von dieser Stunde an für tot zu halten, so wie ich es bis vor einigen Tagen noch tat!“ Ihre Worte klangen kalt, als hätte ihm jemand eine Eisenklinge tief in den Leib gejagt. „Doch die Menschen von Harwood und Wakeland brauchen einen siegreichen Helden wie dich, wenn sie überleben sollen. Mit hehren Prinzipien allein werden sie im kommenden Winter weder ihren Hunger stillen noch St. Maurs Folterknechten entgehen können. Was ich für sie tun muss, das werde ich tun. Dazu ist mir jedes Mittel recht. Falls du mit mir zurückkehrst und mithilfst, uns St. Maur vom Leibe zu halten, werde ich dafür sorgen, dass man dir das Lehen der Flambards zurückgibt! Das verspreche ich dir hoch und heilig.“

Eigentlich sollte ein frommer Bruder außer der Kutte, die er am Leibe trägt, nur wenige irdische Dinge besitzen, und er sollte auch keine fordern. Dennoch lösten Dominies Worte bei Armand ein abgrundtiefes Verlangen aus, das sich durch Mark und Bein fraß. Von Kindesbeinen an war er dazu erzogen worden, jene Ländereien als sein Schicksal zu betrachten. Er hatte sie nur widerstrebend aufgegeben, obwohl Dominie das Gegenteil vermutete.

Er riss ihre Hand von seinen Lippen herunter und fragte atemlos: „Wie denn?“ Welche Mittel standen ihr schon zur Verfügung, um ihm das zurückzugeben, was ihm vom König genommen worden war?

Jetzt hielt sie ihre Hand an seiner Wange, als wolle sie ihn liebkosen, und in ihrer Stimme schwang ein Unterton von betörender Schmeichelei. „Indem ich dich zum Gemahl nehme! Wie denn sonst? Diese Ländereien sind meine Mitgift!“

Feuer gesellte sich zu jenem tief in Armands Seele wühlenden Verlangen, denn seine Heirat mit Dominie war einst geplant gewesen. Nur mit bitterstem Groll hatte er davon gelassen!

Die vom Hofe her schallenden Schritte und Stimmen näherten sich. Armand war, als hörte er Prior Gerard, seinen Beichtvater, der Stellvertreter des Abtes war.

Verzweifelt wehrte er sich gegen Dominies Griff. Wie aber sollte er sich befreien, wenn schon bei der kleinsten Bewegung die köstlichen Flammen der ewigen Verdammnis um sein Fleisch züngelten? Versuchte er, Dominie von sich zu stoßen, schlossen seine Hände sich über dem üppigen Rund ihres Busens und rührten sich auch bei äußerster Willensanstrengung nicht von der Stelle!

Die Erkenntnis, dass ihre weiblichen Reize ihn auf eine Weise in Geiselhaft hielten, wie eines Mannes Muskelkraft dies nie und nimmer vermocht hätte, entsetzte und verblüffte Armand gleichermaßen.

„Was geht hier vor?“, entrüstete sich Prior Gerard, während polternde Schritte sich rasch näherten.

Unter Aufbietung all seiner Willenskraft versuchte Armand, seine Fesseln abzuschütteln, doch zuvor stahl sich die Hand, die seine Wange liebkoste, in seinen Nacken und zwang sein Gesicht dem von Dominie entgegen. Als sie sich ihm entgegenreckte, öffneten sich ihre Lippen zu einem Kuss, der ihn traf wie der letzte, vernichtende Hieb in der Schlacht.

„Bruder! Was hat all dies zu bedeuten?“ Diesmal stammte die empörte Frage nicht vom Prior, was an sich schon schlimm genug gewesen wäre.

Endlich gelang es Armand, seine Hände von Dominies Busen loszureißen, seine Gegnerin an den Schultern zu packen und sie von sich zu stoßen. Als ihre Blicke sich für einen kurzen Moment begegneten, leuchteten ihre Augen schadenfroh und triumphierend auf.

„Ich kann Euch alles erklären, Vater Abt!“, keuchte er erstickt und verneigte sich tief vor dem neben dem Prior stehenden Mönch.

„So, so!“ Abt Wilfrids Blick flog zwischen Armand und Dominie hin und her. „Das würde ich an deiner Stelle auch schleunigst tun, mein Sohn!“

2. KAPITEL

Sollte sich doch dieser Moralapostel Armand selbst aus dem Schlamassel herausreden!

Während sie mit dem Rücken gegen die Säule lehnte, sah Dominie genüsslich zu, wie Armand sich wand und zu erklären versuchte, wieso er ausgerechnet in dem Moment überrascht worden war, als er im Kreuzgang ein junges Weib küsste und ihren Busen betätschelte. Ein Frauenzimmer, wohlgemerkt, welches in Knabenkleidern steckte – was die Sache noch skandalöser erscheinen ließ!

„Vater Abt, Bruder Prior, dies hier ist Lady Dominie De Montford!“ Blitzschnell warf Armand ihr einen warnenden Blick zu, nur ja den Mund zu halten. „Ihre Familie nahm mich als Pflegekind auf, zur höfischen Erziehung als Page. Von Kindesbeinen an waren wir verlobt.“

Der kleinere und ältere der beiden Mönche nickte, so als sei ihm Armands Bericht nicht neu. Er musterte Dominie von Kopf bis Fuß mit einem Blick, in welchem Scharfsinn als auch Mitmenschlichkeit lagen.

Obwohl sie sich einredete, dass ihr keine Wahl geblieben war, als Armand auf diese Weise bloßzustellen, schämte sie sich insgeheim.

Der Abt schenkte ihr keinerlei Beachtung. „Was wurde denn aus dieser Verlobung?“, wollte er von Armand wissen.

„Dasselbe, was so vielem anderen widerfuhr, ehrwürdiger Vater Abt! Sie fiel dem Thronstreit zum Opfer. Dominies Vater erklärte sich für König Stephen, ich mich für Kaisergemahlin Maud. Alle meine Ländereien büßte ich ein. Niemals hätte ich eine Familie ernähren können, selbst wenn der Vater damit einverstanden gewesen wäre, dass seine Tochter einen Feind ehelicht.“

Wer’s glaubt, wird selig! Dominie spürte, wie ihre Lippen sich zu einem verächtlichen Grinsen kräuselten. Armand Flambard hatte ihr den Rücken gekehrt, genauso wie jeder sonstigen Verbindung mit ihrer Familie und seinen eigenen Vasallen. Wie konnte er da behaupten, er habe in dieser Angelegenheit Rücksicht auf ihre Gefühle genommen?

Selbst wenn eine Heirat möglicherweise ihre Leute vor Eudo St. Maur bewahrte, war Dominie der Gedanke unerträglich, einen Mann zu heiraten, dem sie so wenig bedeutete. Ihm Kinder zu gebären, das Lager mit ihm zu teilen – nein, niemals!

Der Abt warf Armand einen strengen Blick zu. „Das mag alles sein! Allein, es erklärt weder, was die Jungfer hier zu suchen hat, noch was ihr zwei da eben getrieben habt!“

Als Armand erneut zu einer Erklärung ansetzen wollte, brachte der Abt ihn jedoch mit erhobener Hand zum Schweigen. Er ließ den Blick nach links und rechts über die ganze Länge des Kreuzganges gleiten und reckte den Hals, um in den Innenhof zu spähen.

Nachdem er sich mit eigenen Augen davon überzeugt hatte, dass es keine weiteren Zeugen gab, senkte er seine Stimme. „Ich lasse keinesfalls zu, dass Breckland Abbey diskreditiert wird durch diesen Vorfall, was immer auch seine Gründe sein mögen. Jene selbstgerechten Brüder von Citeaux wirbeln bereits genug Staub auf und bezichtigen unseren Orden der Laxheit und Verdorbenheit!“ Er winkte die beiden zu sich heran. „Begeben wir uns in mein Empfangszimmer. Dort können wir diese Angelegenheit vertraulich besprechen.“

Während sie dem Abt folgten, ließ Dominie sich seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Sie verspürte eine leise Sympathie für diesen Klostervorsteher, verbunden mit einem süßen Hoffnungsschimmer. Anscheinend wusste der ehrwürdige Abt, was es bedeutete, wenn man für etwas einstehen musste, das einem anvertraut war. Stellte sie es geschickt genug an, konnte sie in ihm einen Verbündeten gewinnen. Jedes Mittel wäre ihr recht gewesen, um ihr Ziel zu erreichen.

Gemessen an dieser riesigen und begüterten Abtei nahm sich das Besprechungszimmer des Abts eher bescheiden aus. Zumindest kam es Dominie so vor, als sie den Raum betrat. Es verfügte über eine kleine Feuerstelle sowie ein Fenster, das zum Innenhof hinausging. Die einzigen Möbelstücke waren ein niedriger Tisch und drei Stühle, von denen der eine größer und aufwendiger gestaltet war.

Das einzige Zeichen von Luxus bestand in einem Paar herrlich bestickter Gobelins, die neben dem Fenster die äußere Wand bedeckten und offenbar Szenen im Leben von englischen Heiligen darstellten. Wahrscheinlich, so Dominie, dienten sie dazu, den Raum im Dezember, wenn die Nordseestürme über die Ebenen von Ostanglien brausten, einigermaßen wohnlich zu halten.

An diesem lauen Frühlingsnachmittag erschien den meisten Leuten der Winter wohl endlos weit weg. Dominie aber hatte das Gefühl, als säße er ihr wie eine frostige Faust im Nacken.

Der Abt schritt auf den größeren der drei Sessel zu und setzte sich, während der Prior den Kopf in den Korridor steckte, um sich zu vergewissern, dass nicht etwa einer der Mönche oder jemand vom Klostergesinde in Hörweite lauerte. Offenbar schien das nicht der Fall zu sein. Zufrieden schloss er die Tür und nahm neben dem Abt Platz. Stumm saßen die zwei eine Zeit lang da, den Blick auf Dominie und Armand gerichtet.

Endlich forderte der Abt Armand mit einem kurzen Nicken des Kopfes zum Sprechen auf. „Redet, Bruder! Heraus mit dem Rest der Geschichte!“

Regungslos saß Armand da, aber Dominie vermutete, dass er innerlich sehr angespannt war. „Was wünscht Ihr denn noch zu hören, ehrwürdiger Vater Abt?“

Schon besser!

Dominie hatte nämlich befürchtet, er werde womöglich in der irrigen Annahme, dies könne sein Gewissen erleichtern, jedes kleinste Detail hinausposaunen. Aus Erfahrung wusste sie, dass man die Wahrheit am Besten scheibchenweise servierte, ähnlich wie bei einem opulenten Mahl – Happen für Happen nur jeweils auf Wunsch und alles zum äußeren Schein aufs Appetitlichste garniert.

Sie stellte sich einen fetten Fasanen vor, langsam geröstet, kandiert mit einer Mischung aus Früchten und Honig und mit den eigenen langen, spitz zulaufenden Schwanzfedern geschmückt. Beim Gedanken an ein solches Festmahl lief ihr das Wasser im Munde zusammen, und plötzlich knurrte ihr Magen so laut, dass alle aufhorchten.

Abt und Stellvertreter tauschten einen Blick.

„Wann hast du das letzte Mal gegessen, mein Kind?“, wollte der Abt von ihr wissen.

Sag ihm, vor einem Tag, forderte ihr Magen drängend. Vor zweien! Im Grunde hätte sie das ohne Gewissensbisse tun können, denn das bisschen, das sie in der Zwischenzeit zu sich genommen hatte, ließ sich ja kaum als Mahlzeit bezeichnen!

„Etwas trockenes Brot, Pater, als ich darauf wartete, dass die Brüder herauskommen und mit der Feldarbeit beginnen würden!“

Ehe sie begriff, was in sie gefahren war, so streng bei der Wahrheit zu bleiben, ergriff Armand das Wort. „Lady Dominie ist den ganzen Weg von Harwood zu Fuß gekommen, Vater Abt! Über dreißig Meilen und das mit einem Kanten Brot und etwas Käse als Marschverpflegung!“

Armand setzte sich für sie ein? Und das, obwohl sie ihm diese Scherereien mit seinen Oberen eingebrockt hatte? Dominie war zwischen Rührung und Verachtung hin- und hergerissen. Hätte sie wohl in umgekehrter Lage dasselbe für ihn getan?

„Danke, Bruder!“ Der Abt sprach in einem energischen Ton, der ahnen ließ, dass Armand sich von nun an gefälligst zurückzuhalten und sich nicht ungefragt zu äußern habe. Dann richtete er den Blick auf Dominie. „Stimmt das, mein Kind? Wie viel Brot hast du zu dir genommen?“

„So viel, Pater!“ Sie zog die Brotkruste aus dem Leinenbeutel und hielt sie für alle sichtbar hoch.

Beim Anblick des Brotkantens rümpften die Mönche angewidert die Nase und wechselten abermals einen Blick. Offenbar verstanden sie sich ohne Worte. „Gehe mit dem Bruder Prior, mein Kind“, ordnete der Abt an. „Er wird dafür sorgen, dass man dich erst einmal anständig verpflegt!“

Dominie folgte dem Prior, blieb aber nach zwei Schritten wie angewurzelt stehen. Was würde Armand Abt wohl in ihrer Abwesenheit erzählen? Hoffte er darauf, dass man ihm die delikate Situation von vorhin verzieh?

„Mit Verlaub, ehrwürdiger Vater, ich würde doch lieber bleiben!“ Wieder meldete sich ihr Magen mit vernehmlichem Protest. „Ihr batet um einen Bericht. Lord Flambard aber kann Euch nur seine Version der Geschehnisse schildern!“

Der Abt nickte. „Und du magst mir die deinige unterbreiten, sobald du gespeist hast, meine Tochter. Ich möchte nicht, dass du mir noch vor Hunger ohnmächtig auf meinem Fußboden zusammensackst!“

„So hungrig bin ich gar nicht!“, log sie. „Es macht mir nichts aus zu bleiben.“

„Ein großmütiges Angebot zwar, doch kaum notwendig.“ Der Abt winkte sie zur Tür. „Eins habe ich im Leben gelernt: Gibt es Hader zwischen zwei oder mehr Parteien, kommt man der Wahrheit am besten auf den Grund, indem man die Streitenden getrennt voneinander befragt und sie danach mit den jeweiligen Schilderungen konfrontiert.“

„Dann werdet Ihr eine Entscheidung also erst dann treffen, wenn ich Gelegenheit hatte, Euch meinen Teil der Geschichte darzustellen?“ Sie bildete sich ein, man könne Armand womöglich in ein abgelegenes Benediktinerkloster schmuggeln, wo sie ihn nie wieder auftreiben würde, geschweige denn auch noch rechtzeitig, um Eudo St. Maur am Plündern der Ernte zu hindern.

„Ich gebe dir mein Wort!“, beschied der Abt.

Als Dominie auf dem Wege zur Tür an Armand vorbeiging, sah sie ihm kurz in die Augen. Er warf ihr einen provozierenden Blick zu, als wollte er sie fragen: Was wird aus der Welt werden, wenn alle Menschen ihr Wort nach Belieben verpfänden und brechen würden?

Kaum hatte die Tür sich hinter Dominie und Prior Gerard geschlossen, stützte der Abt sein Kinn auf die gefalteten Hände und fixierte Armand mit einem Blick, als könne er ihm geradewegs bis auf den Grund seiner unreinen, arg gepeinigten Seele schauen. Seine buschigen Brauen hoben sich. „Das also war die Jungfer, die du in der Welt draußen zurückgelassen hast? Fürwahr ein bemerkenswertes Wesen! Man könnte es einem Mann verzeihen, wenn es ihm nicht leicht fällt, sie zu vergessen!“

Das mochte ja sein! Aber galt das auch für die Schamlosigkeit, deren Zeugen Abt und Prior vorhin erst geworden waren?

„Ja, Vater Abt“, murmelte Armand, wobei er hoffte, seine Antwort werde als grundsätzliche Zustimmung gewertet, nicht aber als Schuldeingeständnis. Dass der neue Abt offenbar so viel Verständnis für die Schwächen eines Männerherzens zeigte, beruhigte ihn. „Es lag keineswegs in meiner Absicht, die junge Frau zu belästigen“, beteuerte er. „Ich geleitete sie gerade zurück zur Pforte, als ich ins Straucheln geriet und gegen den Pfeiler stolperte.“

„So?“ Der zweifelnde Ausdruck auf den gebieterischen Zügen des Abts hätte deutlicher nicht sein können. „Vielleicht wäre es hilfreich, wenn du erklären würdest, wieso du dich denn überhaupt allein mit der Jungfer im Kreuzgang aufhieltest!“

Armand nickte. „Ich befand mich beim Säubern der Begrenzungshecke am Rande des westlichen Feldes, als Lady Dominie gleichsam aus dem Nichts auftauchte. Zunächst hielt ich sie für einen jungen Burschen, denn sie hatte sich das Haar unter eine Kappe gesteckt, und ihre Stimme klang rau.“

Anschließend berichtete er, was sie nach Breckland geführt und wie sie ihm und Bruder Ranulf eine Krankheit vorgetäuscht hatte. Sosehr er sich auch bemühte – allmählich konnte er seinen wachsenden Unmut über Dominies Verhalten nicht unterdrücken.

„Als sie Euch und Bruder Prior kommen hörte“, schloss er, „schlang sie mir die Arme um den Hals und … nun, Ihr saht es ja! Ich glaube, das Ganze sollte bewusst so unzüchtig wie möglich erscheinen, damit Ihr mich deswegen aus dem Kloster weisen würdet. Dann nämlich wäre mir kaum etwas anderes übrig geblieben, als mich ihren Absichten zu fügen.“

„Bemerkenswert!“ Der Abt erhob sich von seinem Sitz und trat langsam zum Fenster, wo er eine Weile wortlos stand und hinaus auf den Vorhof starrte. „Das klingt mir ganz so, als sei diese Lady Dominie eine junge Dame von beträchtlicher Tatkraft!“

„Und vollkommen skrupellos obendrein“, knurrte Armand unterdrückt.

Falls der Abt seine Bemerkung vernommen hatte, ersparte er sich jeden Kommentar, sondern machte kehrt und sah Armand an. „Sag an, Bruder, warum sperrst du dich so hartnäckig gegen ihre Bitte?“

Sosehr Armand auch auf alle möglichen Fragen eingestellt war: Diese traf ihn wie aus heiterem Himmel. Mühsam rang er nach Worten. „Ich … ich habe gelobt, der Gewalt zu entsagen, Pater. Ich habe den Rest meines Lebens der Kirche geweiht!“

„Durchaus. Nur – warum? Hatte es mit dem Bruch zwischen dir und den De Montfords zu tun?“

Schmerzhaft verzog Armand das Gesicht, so ähnlich wie früher als kleiner Knabe, wenn der Schmied zu Harwood mit seiner Zange zu nahe an einen wehen Zahn kam. „In der Tat“, gestand er, nachdem er sich gesammelt und die Fassung wiedererlangt hatte. „Bevor ich als Zögling zur höfischen Bildung nach Harwood gelangte, mahnte mein Vater mich dazu, den Idealen von Ehre, Gerechtigkeit und Tugend stets treu zu bleiben.“

Der Abt kreuzte die Arme und schob die Hände in die Ärmelöffnungen seines Mönchsgewandes. „Die in der Kindheit ausgebrachte Saat ist in deinem Charakter auf fruchtbaren Boden gefallen, so scheint mir!“

„Das hoffe ich, Pater!“ Armand neigte den Kopf. Obwohl nach wie vor fest von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt, war er doch keineswegs stolz auf den bisherigen Ausgang. „Viele Jahre lang taten diese Prinzipien mir gute Dienste … bis die Frage der Thronfolge aufkam und ich mich in diesem Konflikt auf jene Seite schlug, die der Haltung derer, die mir lieb und teuer waren, genau zuwiderlief.“

Mehr wusste Armand nicht zu sagen. Seinem Beichtvater hatte er das alles bereits gestanden und auch die Absolution erhalten. Innerlich indes fühlte er sich keineswegs erlöst.

Der Abt lachte leise auf. „Um wie viel leichter wäre das Leben für uns sündhafte Geschöpfe, müssten wir uns lediglich zwischen richtig und falsch entscheiden! Zu oft aber sind wir gezwungen, uns auf steinigen Pfaden durch außerordentlich unterschiedliche Dinge zu winden, die allesamt richtig sind. Oder ein kleines Übel in Kauf nehmen, um ein größeres zu vermeiden.“

Welch einzigartige Gnade, wenn man auf Verständnis stieß … vorausgesetzt, es ging nicht zu weit!

Armand hielt weiter den Blick zu Boden gesenkt. „Aus diesem Grunde kam ich hierher nach Breckland, ehrwürdiger Abt. Hier brauche ich mich nicht mit solcherlei Entscheidungen zu plagen. Irdischem Besitz sowie persönlichen Bindungen, die mich in Versuchung führen könnten, habe ich entsagt. Ich gehorche meinen Oberen und vertraue darauf, dass Eure Weisheit mich zum Rechten lenkt.“

Armut, Keuschheit, Gehorsam – für einen Mann wie ihn war das der einzige gangbare Weg. Und dies umso mehr, als er ihn so viel gekostet hatte! Der Verlust seiner Ländereien und Vasallen hatte ihn nicht weniger hilflos gemacht, als wenn er in der Schlacht Arm oder Bein eingebüßt hätte. Davon abgesehen ließ sich die Armut von allen drei Gelübden noch am leichtesten ertragen. Gehorsam hingegen fiel da schon schwerer, erst recht einem Kriegsmann und Lord, der von Kindesbeinen an zum Befehlen erzogen worden war.

Und was die Keuschheit anlangte … bei der flüchtigen Erinnerung an Dominies süße, feste Brüste unter seinen Händen begannen ihm die Handflächen verheißungsvoll zu jucken.

„Du verlässt dich in deinem Tun also auf meinen Ratschluss?“ Abt Wilfrid fühlte sich durch das ihm entgegengebrachte Vertrauen offenkundig leicht geschmeichelt.

„Voll und ganz, Vater Abt!“

„Auch wenn der von mir vorgeschlagene Weg dem zuwiderläuft, was du für dich ausersehen hast?“

„Dann mehr denn je, hochwürdiger Vater!“ Als er an seinen eigenen ehrenhaften Vorsätzen gescheitert war, da hatte Armand den Schierlingsbecher der Schuld bis zur Neige ausgekostet.

Abt Wilfrid ließ sich wieder auf seinem Platz nieder. „Dann fürchte dich nicht, mein Sohn! Alles wird gut werden.“

Als er die tröstlichen und warmen Worte hörte, hob Armand den Blick, um dem Abt ins Gesicht zu sehen. Das wohlwollende, väterliche Lächeln zerstreute all seine Befürchtungen.

Eigentlich hätte das nahrhafte warme Mahl in ihrem Magen Dominie wieder Mut und Zuversicht verleihen müssen.

Ach, der leckere Duft, der aus der randvollen Schüssel mit Eintopf emporstieg, er war schon beinahe eine Mahlzeit für sich! Bohnen und Graupen, stundenlang gegart mit Zwiebeln und Kräutern, um der Suppe jenes appetitliche, deftige Aroma zu geben! Dass Dominie ordentlich zulangen durfte, ohne sich über die dahinschmelzenden Lebensmittelvorräte auf Harwood den Kopf zerbrechen zu müssen, ließ das Gericht noch umso trefflicher munden.

Als Nächstes folgte ein saftiger Hühnerbraten mit frischem Brot, heiß und knusprig, geradewegs aus der Klosterbäckerei, das sie mit einem leichten, bekömmlichen Klosterbräu herunterspülte. Solch ein Festmahl allein lohnte schon beinahe die Reise nach Breckland Abbey!

Als Prior Gerard sie aber zurück ins sonnige Besprechungszimmer des Abtes bat, mischte sich in die Speisen in ihrem Bauch ein bitterer Beigeschmack des Zweifels, der ihr säuerlich in der Kehle emporstieg.

So sehr Armand Flambard auch versuchte, sich den Anstrich geläuterter Demut zu geben, so deutlich strahlte er doch eine gelassene Zuversicht aus, welche Dominie nicht geheuer vorkam. Was war während ihrer Abwesenheit wohl zwischen ihm und dem Abt besprochen worden? Insgeheim hoffte sie, dass es nicht zu ihrem Nachteil war. Wenn sie den Gesichtsausdruck des Abtes doch nur halbwegs deuten könnte!

Er war keineswegs von jener hochgewachsenen Gestalt und kultivierten Strenge, die sie bislang immer einem Abt zugeschrieben hatte. Obwohl der dichte Haarkranz um die Tonsur schneeweiß war, wirkten die Züge jünger als jene seines Stellvertreters, kräftig und kantig, eher wie die eines Knechtes denn eines Edelmanns. Dominie schätzte den Abt als einen Mann ein, der alles tun würde, um seine Schützlinge zu verteidigen – was einen gewissen Laienbruder seines Ordens einschloss. Das alles verhieß nichts Gutes für Dominies Mission.

„Tritt nur herein, mein Kind!“ Der Abt winkte sie zu sich. „Ich will hoffen, du hast dich auch richtig satt gegessen!“

„Oh ja, ehrwürdiger Vater. Danke! Es war das beste Mahl, das ich seit Langem zu mir genommen habe!“ Diese Gelegenheit, ihr Anliegen vorzutragen, hatte ihr der Himmel geschickt! Die durfte sie nicht verpassen! „Solange die Dinge daheim auf Wakeland und Harwood nicht wieder ins Lot geraten – wer weiß, wann ich wieder einmal so üppig speisen darf?“

„Bruder Armand hat mir bereits von deiner misslichen Lage berichtet“, erwiderte der Abt.

Dominie warf Armand einen trotzigen Blick zu. „Verzeiht mir, ehrwürdiger Vater, aber er vermag Euch unser Elend nicht ansatzweise zu schildern, denn ich konnte ihm nicht einmal knapp die Hälfte darstellen.“

„Dennoch habe ich den Eindruck, genug zu wissen, um mir ein Urteil in dieser Sache erlauben zu dürfen.“

Genau das hatte sie befürchtet!

„Aber Ihr hattet mir doch Euer Wort gegeben!“ Mit gefalteten Händen ließ Dominie sich flehentlich auf die Knie sinken. „Ich bitte Euch inständig, Vater Abt, hört mich an, bevor Ihr entscheidet!“

„Warum denn, mein Kind?“ Der Mönch wies auf Armand. „Glaubst du etwa, dieser Mann würde mir etwas anderes als die Wahrheit erzählen?“

Es drängte sie heftig, den Abt zu ihren Gunsten zu beeinflussen und ihm deshalb alles Mögliche vorzutragen. Aber Armand der Täuschung zu bezichtigen? Wo er doch ein so hoffnungslos aufrichtiger Mensch war, wie sie keinem jemals zuvor begegnet war?

„Nein, Vater“, räumte sie ein, wenn auch mit äußerstem Missmut. „Würde Armand Flambard versuchen, etwas Unwahres zu sagen – ich fürchte, seine Zunge würde sich in Stein verwandeln.“

Die Mundwinkel des Abts zuckten, doch schnell hatte er sich wieder in der Gewalt. „Er hat mir berichtet, dass du ihn darum gebeten hast, ihn zu deinen Gütern zu begleiten, um sie gegen den Earl of Anglia verteidigen zu helfen … besser gesagt, gegen den einstigen Grafen von Anglien!“

Dominie konnte sich des Verdachtes nicht erwehren, dass die Wurzel allen Übels, welches ihre Leute heimgesucht hatte, genau in diesen Worten zu suchen war – einstiger Graf! Als Reaktion auf Untreue und Verrat hatte der viel zu gnädige König Stephen seinem Earl Eudo St. Maur zwar Titel und Lehen abgesprochen, dem Schurken jedoch leider die Freiheit gelassen. St. Maur seinerseits hatte sich an seinem König gerächt, indem er eben die Menschen ausraubte, die ihm zuvor Tribut gezahlt und sich seinem Schutz anvertraut hatten.

„Sehr wohl, ehrwürdiger Vater.“ Dominie erhob sich. Ihr Kniefall hatte den Abt offenbar nicht im Mindesten gerührt. „Ohne Lord Flambards Hilfe werden, so fürchte ich, viele getötet werden und gar noch mehr Hungers sterben, wenn St. Maur unsere Ernte verwüstet.“

„Hast du denn keine eigenen Verteidigungskräfte? Nach meinem bisherigen Eindruck bist du doch eine überaus tatkräftige junge Frau!“

Sollte das etwa ein Scherz sein? Doch nein, die Hochachtung, die in den grauen Augen des Abtes aufleuchtete, war ehrlich.

„Ich bin nur ein schwaches Weib“, widersprach Dominie. „Selbst wenn mir das Kriegshandwerk läge, was nicht der Fall ist, würden mir die Männer von Wakeland und Harwood nur ungern gehorchen. Ähnlich wie die vielen normannischen Barone, die Maud von Anjou die Gefolgschaft verweigerten, weil sie eine Frau ist.“

Der Abt hob die Schultern. „Andere hingegen würden ihr offenbar selbst in die Hölle folgen! Und vergiss König Stephens Gemahlin nicht, mein Kind! Wieder und wieder hat sie ihren Herrn und Gebieter aus der Bedrängnis gerettet, in die er sich selbst manövriert hatte.“

Plötzlich tippte Abt Wilfrid sich mit dem Zeigefinger ans Kinn, als wäre ihm bei seinen Worten ein ganz neuer Gedanke in den Sinn gekommen. „Ich fürchte, ohne die resolute Unterstützung durch seine Gemahlin hätte unser König längst seinen Thron eingebüßt. Und wo stünde wohl Maud von Anjou, hätte sie nicht einen Heerführer wie den Grafen von Gloucester?“

„Das ist mir einerlei!“, rief Dominie aus. „Inzwischen kümmert es mich nicht mehr, wer von den beiden siegt – wenn es mich überhaupt jemals interessiert hat! Sie sollen nur aufhören, brave Männer aus beiden Parteien bis aufs Messer aufeinander zu hetzen! Dann hätten sie nämlich einige übrig, welche mit Bösewichtern wie Eudo St. Maur kurzen Prozess machen könnten!“

So! Nun war es heraus! Der Abt würde sie wahrscheinlich für eine Verräterin an König Stephen halten und die Untaten, welche Eudo St. Maur gegen Harwood und Wakeland beging, als die gerechte Strafe einstufen!

„Wohl gesprochen, mein Kind!“

Sie musste sich wohl verhört haben. „Wie bitte, Pater?“

„Wohl gesprochen!“, wiederholte der Abt. „Hätte ich etwas zu sagen, so würde ich ihre Gnaden und den König mit dir in eine kleine Kammer sperren. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden wären wohl rasch gelöst, glaube ich!“

Bei den Worten wurde ihr zwar warm ums Herz, doch Lobreden nutzten ihr nichts. Sie brauchte vielmehr Armand! „Ich fürchte, da tut Ihr mir zu viel der Ehre an, ehrwürdiger Vater!“

Der Abt schmunzelte. „Ich habe den Eindruck, du gehst zu hart mit dir ins Gericht, Dominie De Montford! Nun, wie ich gerade im Begriffe war zu sagen, bevor du mich unterbrachest: Beide Seiten in dem Konflikt beweisen doch überdeutlich, dass viel erreicht werden kann, wenn ein fähiger Mann und eine fähige Frau zusammenarbeiten!“

Ein Mann und eine Frau! Meinte er etwa …?

„Bruder …“ Der Abt wandte sich an Armand. „Ich möchte dich bitten, mit dieser Jungfer zu gehen und alles in deiner Macht Stehende zu unternehmen, um ihr gegen den abscheulichen Feind der Kirche beizustehen. Solltest du den Wunsch verspüren, nach Breckland zurückzukehren, sobald deine Arbeit zu deiner und ihrer Zufriedenheit getan ist, so wird dir unsere Pforte offen stehen. Solltest du aber bezüglich deiner Berufung einem Sinneswandel unterliegen, so werden wir dafür Verständnis haben.“

Gleich einer gewaltigen warmen Woge flutete die Erleichterung über Dominie hinweg. Abermals sank sie auf die Knie nieder, teils aus Dankbarkeit gegenüber dem Abt und teils auch deswegen, weil die Beine unter ihr nachgaben.

„Aber ehrwürdiger Vater!“, rief Armand dazwischen. „Ihr sagtet doch …“

„… fürchte dich nicht, alles wird gut! Ich bete dafür, dass dies auch so eintrifft.“ Der Abt erhob sich und trat auf Armand zu. „Bedenke aber auch du, was du gelobt hast, mein Sohn! Dass du dein Handeln meinem Ratschluss anheimstellst!“

Hatte er das tatsächlich gesagt? Ob sie es wollte oder nicht: Dominie empfand leises Mitleid mit Armand. Es schien fast so, als habe der listige Abt ihn in einer Schlinge gefangen, die Armand sich selbst durch seine eigenen hehren Ideale gewunden hatte!

„Gewiss, Vater Abt, nur …“ Inzwischen klang Armand so verzweifelt, wie Dominie sich noch kurz zuvor gefühlt hatte.

„Auch wenn der von mir vorgeschlagene Weg dem zuwiderläuft, was du für dich ausersehen hast“, unterbrach der Abt ihn.

„Dann mehr denn je, Vater“, seufzte Armand resigniert.

„Vortrefflich!“ Der Abt hatte es sichtlich gern, wenn er sich durchsetzte. „Ein Kloster ist mehr als nur eine Zuflucht vor der Versuchung oder vor den Rätseln der Welt, mein Sohn! Sonst würden die uns anvertrauten Seelen schwach und leichte Beute des Bösen werden!“

Von seinem Platz an der Tür hatte der Prior das Wortgefecht stumm verfolgt. Nun nickte er wie zur Bestätigung der Worte des Abtes.

„Obwohl wir von unseren Brüdern Gehorsam verlangen“, fuhr der Abt fort, „nehmen wir ihnen nicht ihr gottgegebenes Wahlrecht zwischen Gut und Böse!“

„Ja, Vater.“ Wenn der Abt ihn zum Tode verurteilt hätte, hätte Armand kaum niedergeschlagener klingen können. Dominie wurde ungehalten. Wäre es denn tatsächlich so schlimm, wieder in sein altes Lebens als Kriegsmann zurückzukehren, zu dem er ja eigentlich ausgebildet worden war? Um die Ländereien zurückzugewinnen, die den Flambards seit der normannischen Eroberung des Jahres 1066 gehörten? Und eine Frau zur Gemahlin zu nehmen, welcher er einst seine Liebe gestanden hatte?

Bei seinem Anblick fragte sie sich, ob er sich wohl jemals wirklich etwas aus ihr gemacht hatte. Obwohl sie sich einredete, dass es inzwischen sowieso einerlei war, verlieh dieser Zweifel ihrem Triumph einen leicht bitteren Beigeschmack.

3. KAPITEL

Und all die Jahre hatte er sich eingebildet, er sei nach wie vor in Dominie De Montford verliebt! Mann stelle sich das vor! Und dass er sich an das absurde Ideal einer süßen, züchtigen Maid geklammert hatte, war der Gipfel der Dummheit gewesen! Armand hatte selbst kampferprobte Söldner gekannt, die unschuldiger und bescheidener aufgetreten waren!

Und obendrein weniger stur!

„Ich begreife nicht, warum wir so zeitig aufbrechen mussten!“, protestierte Armand, während er mit Dominie querfeldein über die hügelige Landschaft von Norfolk stapften. „In einigen Stunden wird es dunkel. Wäre es denn so schlimm gewesen, noch im Kloster zu übernachten? In einem richtigen Bett zu schlafen und dann im Morgengrauen mit einem ordentlichen Frühstück im Bauch loszuziehen?“

Knapp zwei Stunden waren seit der Audienz beim Abt vergangen. Im Kloster selbst würden die Brüder sich inzwischen zum Abendbrot niederlassen, zweifellos seine Abwesenheit bemerken und beredte Blicke tauschen, möglicherweise sogar tuscheln, denn während der Mahlzeiten im Refektorium wurde das Schweigegebot nicht ganz so streng eingehalten.

Diejenigen, die zur Feldarbeit eingeteilt gewesen waren, mochten vielleicht berichten, sie hätten gesehen, wie er einen Jüngling zum Kloster geleitete. Ob Bruder Ranulf wohl die höchst interessante Auskunft preisgeben und erzählen würde, dass der Knabe in Wirklichkeit eine Jungfer gewesen war? Noch dazu eine recht ansehnliche?

Denn das, kein Zweifel, war sie allemal! In dieser Hinsicht zumindest hatte sein Gedächtnis ihn nicht getrogen. Wenn sie nicht gar seit dem letzten Zusammentreffen noch anziehender geworden war! Umso schlimmer! Es war nur ein Jammer, dass sich ihr Charakter nicht so vorteilhaft weiterentwickelt hatte wie ihr Aussehen!

„Wir müssen uns beeilen!“, entgegnete Dominie. „Bis zum Einbruch der Dunkelheit will ich Thetford Forest erreicht haben. Im Wald wird uns niemand entdecken!“

Wie schaffte sie es bloß, so Armand verwundert, ihm andauernd voraus zu sein? Er schritt doch recht zügig aus und spürte dies auch schon in den Muskeln! Sie hingegen musste sich offenbar nicht einmal anstrengen! Obwohl sie die kürzeren Beine hatte, blieb er dennoch dauernd hinter ihr zurück – eine Rolle, die er nur ungern spielte. Die Jahre im Kloster hatten seinen Stolz zwar gezügelt, doch keineswegs verschwinden lassen.

„Wenn du es so eilig hast – warum hast du dann auf das Pferd verzichtet, dass der Abt uns angeboten hat? Dann hätten wir mit dem Aufbruch bis zum Morgen warten können, und wären trotzdem eher angekommen als jetzt zu Fuß bei diesem Tempo!“

Pah! Der Abt hatte gut reden mit seiner Zusammenarbeit von Mann und Weib! Er hatte ja auch mindestens zwanzig Jahre seines Lebens hinter Klostermauern verbracht, und die einzigen weiblichen Wesen, die er kannte, stammten aus der Heiligen Schrift!

„Auf der Landstraße? Ja, bist du denn noch bei Trost?“, zürnte Dominie in einem Ton, den die frommen biblischen Frauenfiguren wohl kaum angeschlagen hätten, Delilah oder Jezebel vielleicht ausgenommen. „Die verläuft durch das von St. Maur geplünderte Gebiet! Falls einer von seinen Räubern den Weg kontrolliert, würden wir überfallen und unseren Gaul auf der Stelle los sein, wenn nicht gar Schlimmeres! Lieber mache ich einen Umweg, so wie auf dem Hinmarsch, wenn dadurch die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass wir mit heiler Haut ankommen!“

Bei der Aussicht auf eine dreitägige Wanderung in ihrer Gesellschaft wurde ihm mulmig zumute – nicht so sehr wegen der Tage an sich, denn da würden sie ja unterwegs sein und manchmal rasten. Die Nächte hingegen … die standen auf einem anderen Blatt!

Im Schlafsaal seines Klosters hatte er sich während zu vieler Nächte schlaflos auf seiner schmalen Pritsche gewälzt und sich mit Träumen von Dominie herumgeplagt, die ihn andauernd heimsuchten. Wie würde er damit leben, dass sie nur einige Ellen von ihm entfernt ruhte? Wenn sie schlummerte und ihre sanften Atemzüge lockend nach ihm riefen?

„Du scheinst nicht zu glauben, dass ich dich verteidigen würde, wenn du angegriffen wirst“, entrüstete er sich, ohne an sein Gelübde der Gewaltlosigkeit zu denken. „Dennoch behauptest du die ganze Zeit, ich sei der Einzige, der ganz Wakeland und Harwood vor der Geißel der Fenns retten könne! Ein Widerspruch in sich!“

„Das wäre ja auch etwas völlig anderes.“ Wieder hastete Dominie ihm voraus. „Dann wirst du eine Stellung zu verteidigen haben! Eine der Burgen, ein Herrenhaus, eine Scheuer. Und ein Trupp bewaffneter Männer wird deinem Befehle folgen. Aber hier auf offener Landstraße, bedrängt von drei oder vier Banditen – welche Chance hätten wir ohne Waffen?“

„Ohne Waffen?“, spottete er. „Hätte mein Wanderstock Verstand, wäre er durch deine Worte tödlich gekränkt!“

Sofort zückte er den Stock aus leichtem robustem Eschenholz, mit dem er ihr die Kappe vom Kopf fegte, sodass Dominies langer Zopf auf den Rücken fiel. Er war sich ohnehin schon mehr ihrer weiblichen Reize bewusst, als ihm lieb sein konnte. Da kam es auf einen weiteren nicht mehr an.

Allerdings hatte er nicht mit ihrer Reaktionsschnelligkeit gerechnet. Rasch griff Dominie nach dem Stockende. Armand geriet ins Straucheln und wäre um ein Haar der Länge nach mitten ins frühlingsgrüne Heidekraut gefallen.

Die Beine weit gespreizt und die Hände in die Hüften gestemmt, brach Dominie in Lachen aus. „Dein Stock hat möglicherweise mehr Hirn als du, Armand! Nimm dich in Zukunft in Acht, falls du mir auf den Leib rücken willst! Lass dir das eine Warnung sein! Einer Kampfansage an mich oder die Meinigen weiche ich niemals aus!“

Ihr auf den Leib rücken? Kampfansage? Ihre Warnung brachte ihn mehr aus dem Gleichgewicht, als wenn sie den Stock gepackt und ihm Armand mit dem anderen Ende in den Leib gerammt hätte. Er hatte erst vor ein paar Stunden das Kloster verlassen, und schon vergaß er sein Gelübde und benahm sich wie ein Krieger!

Da sich noch Monate bis zur Ernte vor ihm erstreckten – würde er wohl der Versuchung widerstehen können, sein altes Leben wieder aufzunehmen? Und auch der Aussicht auf eine alte Liebe, einer Hoffnung, die einst durch sein Schwert zunichtegemacht worden war?

Der Kerl sah aus, als habe ihn ein tödlicher Schlag getroffen!

„Ist etwas mit dir, Armand? Fühlst du dich krank?“ War das vielleicht der Grund, warum er in der Abtei Zuflucht gesucht hatte? Immerhin wäre es eine Erklärung dafür gewesen, warum sich Armand dort aufhielt! Und dann diese absonderliche Bemerkung, er sei ebenfalls bei Lincoln gefallen!

„Krank? Keineswegs!“, entgegnete er fest. „Die Arbeit in der Abtei ist hart. Viele Stunden jedoch sind dem stillen Gebet gewidmet, was natürlich den Körper nicht gerade ertüchtigt. An solch lange Märsche wie diesen bin ich nicht mehr gewöhnt!“

Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hätte Dominie fast annehmen können, er habe ihr eine Todsünde gestanden. Sie konnte sich erinnern, dass er von seinen Leuten immer höchsten Einsatz erwartet hatte, aber an sich selbst hatte er die größten Maßstäbe gestellt. Es muss ihn Überwindung gekostet haben, diese Schwäche zuzugeben, dachte sie.

„Es ist nicht mehr weit.“ Sie wies nach vorn. „Jenseits der Anhöhe dort gelangen wir an ein Flüsschen. Sobald wir das durchquert haben, wird der Wald in Sicht kommen. Durchs Unterholz kommen wir zwar langsamer voran, aber wir werden auch nicht so leicht entdeckt.“

„Zu Befehl, Feldherrin!“ Die breiten Schultern gestrafft, atmete Armand tief durch. „Ich folge Euch!“

Auf Zehenspitzen gereckt, die Augen mit der Hand gegen die blendenden Sonnenstrahlen geschützt, ließ Dominie den Blick ringsum in alle vier Windrichtungen schweifen. Es war nichts Bedrohliches zu sehen außer einem Mann, der weiter ostwärts offenbar beim Torfstechen war.

Beruhigt, dass keine Gefahr drohte, setzte sie sich wieder in Marsch, diesmal allerdings mit langsamerem Tempo und im Gleichschritt mit Armand. „Ich begreife nicht“, begann sie, „warum du uns deine Hilfe verweigert hast, bis der Abt dich unter Druck setzte.“ Etwas in ihr riet ihr zwar von der Frage ab, doch sie verlangte geradezu brennend nach einer Antwort. „Bist du so verbittert, weil der König dein Lehen meinem Vater gab? Du musstest doch ahnen, dass es nach deiner Entscheidung so kommen würde! Wäre es dir etwa lieber gewesen, Harwood wäre einem völlig Fremden in die Hände gefallen?“

Sie machte sich auf eine scharfe Entgegnung gefasst, aber Armand schwieg.

Schließlich stieß er einen tiefen Seufzer aus. „Wären die Dinge anders verlaufen, hätte ich Harwood niemandem lieber abgetreten als den De Montfords. Seit ihrer Ankunft in diesem Land und zuvor schon in der Normandie waren unsere Familien Verbündete. Stets haben wir uns gegenseitig den Rücken freigehalten, unsere Söhne zur Pagenausbildung ausgetauscht und uns in schwierigen Situationen gegenseitig unterstützt.“

Hatte er wohl nur vergessen zu erwähnen, dass zwischen den früheren Generationen der beiden Familien auch Heiratsbande bestanden hatten? Oder hatte er es bewusst nicht erwähnt? Denn genau diesem Aspekt sowie allem anderem, von dem er soeben gesprochen, hatte Armand den Rücken gekehrt – nur um eines törichten Eides willen, den sämtliche Angehörige des Großadels gezwungenermaßen hatten ablegen müssen und den die meisten danach klugerweise wieder gebrochen hatten.

Mühsam schluckte Dominie den Zorn hinunter, der ihr stets beim Gedanken an Armands Treuebruch die Kehle zuschnürte. Abt Wilfrid hatte schließlich angeordnet, dass sie zum Wohle ihrer Leute zusammenarbeiten sollten!

„Dies ist für die Flambards und die De Montfords eine Chance, wieder Schulter an Schulter zusammenzustehen“, mahnte sie ihn … und auch sich selbst. „Weiß der Himmel! Nie haben sich unsere Lehnsträger und Pächter einer schlimmeren Plage gegenübergesehen als der Geißel der Fenns!“

„Leicht wird es nicht!“ Armand schüttelte den Kopf, während er den Blick in die Ferne gerichtet hielt. „Selbst wenn es uns gelingt, St. Maur in die Schranken zu weisen, bis die Ernte eingebracht ist – wie kommst du darauf, dass seine Raubgesellen nicht nächstes oder übernächstes Jahr wieder auftauchen und noch schlimmer wüten als je zuvor, weil sie diesmal leer ausgehen?“

„Sollen sie doch!“ Dominie zuckte die Achseln. „Du wirst sie abermals gebührend empfangen, denn du hast ein ganzes Jahr, dich darauf vorzubereiten! Im Übrigen ist der König bemüht, den Dämon, den er auf uns losgelassen hat, zu zähmen. Um St. Maur Einhalt zu gebieten, lässt er Burgen bauen, wenn auch nicht so schnell, dass sie uns dieses Jahr schon verteidigen könnten.“

Als sie Armand von der Seite musterte, konnte sie seiner verdüsterten Miene ansehen, dass er Bedenken hatte – Bedenken, die sie unbedingt zerstreuen musste … um ihres eigenen als auch um seines Seelenfriedens willen.

„St. Maur unterscheidet sich nicht von anderen Despoten. Außer in Macht und Bösartigkeit! Holt er sich bei uns eine blutige Nase, wird er sich wahrscheinlich auf die Suche nach leichterer Beute begeben und unsere Gebiete in Ruhe lassen.“

„Wollen wir’s hoffen!“, entgegnete Armand skeptisch. „Euretwegen! Ich werde zwar nach Kräften bemüht sein, einen Nachfolger für mich auszubilden. Aber ich erinnere dich noch mal daran, dass der Auftrag des Abtes mich nur so lange bindet, bis die Ernte eingebracht ist. Danach muss ich nach Breckland zurück.“

„Was sagst du da? Nach Breck…“ Dominie geriet ins Stottern. „So höre, Armand Flambard! Ich dachte, wir sind uns handelseinig!“

Er schüttelte den Kopf. „Ein Angebot hast du mir gemacht … als du mich gegen die Säule gedrückt hieltest, das ich nicht angenommen habe! Ich begleite dich nicht freiwillig, sondern weil der Abt es so will! Und wenn, dann überhaupt nur bis zum Ende der Erntezeit!“

Warum in aller Welt machen mich seine Worte so fuchsteufelswild? fragte Dominie sich. Sie hatte niemals erwogen, Armand Flambard zu heiraten oder ihm seine Lehen zurückzugeben. Das wäre lediglich ein notwendiges Opfer, das sie gebracht hätte, um sich seine Unterstützung im Kampfe gegen St. Maur zu sichern.

Das unbehagliche, verkrampfte Gefühl in ihrem Innern hielt sich hartnäckig. Vielleicht war es ja bloß ihre Sorge, was wohl aus ihrer Familie und deren Besitz werden würde, sollte Armand sie erneut in der Not im Stich lassen.

„Warum solltest du mich zum Gemahl nehmen?“, wollte Armand wissen. „Nach allem, was in der Vergangenheit zwischen uns geschehen ist?“

Mit einer raschen Körperdrehung stellte Dominie sich ihm direkt in den Weg. Obgleich sie zu ihm hinaufstarren musste, ließ sie sich nicht im Mindesten anmerken, dass er zum Fürchten aussah. „Bilde dir bloß nicht ein, Flambard, ich sei eine liebeskranke kleine Närrin und würde nach wie vor einen Mann vergöttern, der mich verlassen hat!“ Wie einen Dolch stieß sie ihm den Zeigefinger vor die Brust, genau dorthin, wo sein Herz sein musste … falls er eines besaß! „Einzig und allein aus praktischen Gründen würde ich dich heiraten! Wärest du nicht ein geübter Krieger und Anführer, würde ich nichts mehr mit dir zu schaffen haben wollen!“

„Das dachte ich mir!“ Aus tief liegenden, strahlend blauen Augen schaute er auf sie herab.

„Gehört Liebe ebenfalls zu deinen hochtrabenden Idealen?“, fragte sie ihn verächtlich. „Meinst du, eine Frau und ein Mann müssten sich lieben, um zu heiraten? Zum Henker!“, schimpfte sie laut, um ihre eigene Frage zu beantworten und gleichzeitig Armand zuvorzukommen. „Eine Ehe ist eine praktische Angelegenheit und viel zu gewichtig, als dass man sie mit törichten Fantasien belasten sollte!“

Langsam hob sich seine Hand zu Dominies Gesicht. Sie zuckte zurück, so als fürchte sie, er wolle sie schlagen. In Wahrheit aber hatte sie davor gar keine Angst. Dieser Mann konnte mit Zärtlichkeiten viel Schlimmeres anrichten als mit Züchtigung!

„Nein, Dominie!“ Schon das Aussprechen ihres Namens war beinahe eine Liebkosung. Obwohl er sie nicht berührte, ließ er seine Hand nicht sinken. „Die Ehe ist eine viel zu bedeutsame Einrichtung, als dass sie nicht einen höheren Zweck heiligen würde!“

Seine reumütig gemurmelten Worte trafen sie härter, als es ein Handstreich je vermocht hätte. Sie erweckten in ihr ein Sehnen nach ihrem ehemaligen Glauben und ihrer einstigen Unschuld, die beide unwiderruflich verloren waren. Liebend gern hätte sie in seinen Armen die Antwort auf all ihre drängenden Fragen gefunden.

Aber das waren gefährliche, törichte Hirngespinste!

„Für einen höheren Zweck?“ Sie versuchte zu lachen, hielt aber aus Furcht inne, gleich in Tränen auszubrechen. „Und das aus dem Mund eines Mannes, der sich vor der Welt in einer Einsiedelei verkriecht!“

Da sie nun einiges von dem in ihr aufgestauten Gift versprüht hatte, riss sie sich von Armand los und stapfte die letzten Schritte hinauf zum Scheitel der sanft ansteigenden Höhe. Auf gar keinen Fall wollte sie sich anmerken lassen, wie sehr es sie damals verletzt hatte, von ihm verlassen zu werden.

Und sie mochte es sich kaum eingestehen, dass er nach wie vor die Macht besaß, ihr aufs Neue wehzutun – schlimmer denn je zuvor.

Bin ich nur ins Kloster gegangen, um mich vor der Welt zu verstecken? fragte sich Armand.

Ja, aber das war nur ein Teil der Wahrheit. Er hatte Zuflucht gesucht vor einer Welt, in der kein Grundsatz mehr zu gelten schien, an den er glaubte. Eine Welt, in der Ehre als Dummheit galt, und in der man keinem Schwur trauen durfte. Eine Welt, in der ein Mann urplötzlich eines großes Unrechts bezichtigt werden konnte, obgleich er stets nach dem Rechten gestrebt hatte.

Die Erkenntnis, dass die Frau, deren Tugendhaftigkeit er so lange gerühmt hatte, selbst ein Geschöpf dieser Welt geworden war, schmerzte ihn tief.

„Gibt es denn kein Ideal, das dir etwas wert wäre?“, brüllte er hinter ihr her.

„Kein einziges!“, entgegnete Dominie trotzig. „Um mich selbst und meine Leute zu ernähren, werde ich ohne Skrupel tun, was getan werden muss! Soll ich ein schlechtes Gewissen haben, nur weil wir überleben wollen?“

Ein kleiner, verräterischer Teil in ihm beneidete sie. Zumindest schien sie nachts besser zu schlafen als er! Missgelaunt schleppte Armand sich mit schweren Schritten das letzte Stück der Erhebung hinauf. Am Fuße eines langen, sacht abfallenden Abhangs lag der zuvor von Dominie erwähnte Flusslauf.

Nach Armands Empfinden war das Gewässer an seiner engsten Stelle nicht mehr als fünf, sechs Schritte breit. Auch wirkte es nicht allzu tief, denn drei große Felsblöcke ragten aus der rasch dahinwirbelnden Strömung heraus. Jenseits des Flusses, nach Süden hin, erkannte Armand vor dem dunkler werdenden Himmel den schmutzig-grünen Streifen von Thetford Forest. Dort konnten sie haltmachen, ohne entdeckt zu werden.

Dominie ging vor ihm zum Flussufer. Als sie dort angelangt war, ließ sie sich auf den Boden nieder, streifte ihre kurzen Lederstiefel ab und fing dann zu Armands Entsetzen an, ihre wollenen Strümpfe abzurollen.

„Was machst du denn da?“, rief er, während er sich bemühte, ihr nicht auf das nackte, geschmeidige Bein zu starren, das sich über das üppige grüne Graspolster streckte.

Als sie zu ihm aufschaute, bemerkte Armand in ihren Augen den Anflug eines teuflischen, golden schimmernden Glitzerns. Sie erkannte seine Schwäche und würde sie ohne Zögern zu ihrem Vorteil ausnutzen – entweder aus reiner Lust an der Rache oder aus drängenderen Gründen!

Mit einer Lässigkeit, die aufreizend wirkte, rollte sie nun den anderen Strumpf an den Fesseln herunter. „Genau das, was ich auf dem Hinmarsch auch getan habe, um durch den Fluss zu kommen. Ich ziehe meine Kleider aus, damit sie nicht nass werden!“ Während er sie fassungslos anstarrte, ließ Dominie den Blick von seinen sandalenbeschuhten Füßen bis zum Halsausschnitt seiner dunklen Kutte wandern. „Dir würde ich dasselbe vorschlagen!“

„Den Teufel werde ich tun!“ Armand hätte sie am liebsten wegen dieses frechen Vorschlags an den Schultern gepackt und durchgeschüttelt, aber er scheute sich, sie zu berühren. „Es wäre unangemessen!“

„Du sturköpfiger Tugendbold!“ Dominie knüllte die Strümpfe zusammen und warf sie ihm an den Kopf. „Wie hast du eigentlich so lange in der Welt überlebt?“ Inzwischen war Dominie wieder aufgestanden und zeigte auf den Fluss. „Im Umkreis von Meilen ist das die engste Stelle und die einzige Furt. Als ich heute Morgen hindurchwatete, war das Wasser eiskalt. Und ich bezweifele, dass es seitdem wärmer geworden ist!“

In Anbetracht der Jahreszeit mochte Armand das nicht bestreiten. Allerdings war Dominie offenbar noch nicht fertig mit ihm. „Wenn wir unsere Kleider ausziehen und sie beim Waten über dem Kopf halten, sind wir bis zum anderen Ufer zwar durchgefroren. Aber trockene Sachen und ein bisschen Bewegung – da wird uns schnell wieder warm werden.“

„Zugegeben, nur …“

„Wenn wir die Sachen anlassen, dann kommen wir drüben auch durchgefroren an und sind klitschnass. Und vor Einbruch der Dunkelheit bekommen wir sie im Leben nicht mehr trocken!“

Zum Teufel auch! Die Jungfer hätte selbst den Heiligen Augustinus sprachlos gemacht! Aber Armand wollte seinen Prinzipien treu bleiben. „Nichts da! Es gehört sich nicht!“

Mit einem Schwung fischte Dominie die zu seinen Füßen liegenden Beinkleider auf. „Ich weiß, wie Männer gebaut sind, falls du um deine Züchtigkeit fürchten solltest! Du hast mein Wort: Ich bin nur daran interessiert, ans andere Ufer zu kommen. Da bleibt mir keine Zeit, deinen Körper ausgiebig zu bewundern!“

Armand wusste nicht recht. Er hatte zwar schon oft gehört, dass kaltes Wasser die Fleischeslust abtöte, aber er bezweifelte, dass selbst die Wassermassen der ganzen Nordsee bei ihm dazu ausgereicht hätten. „Ich kann über die Trittsteine gehen! So bekomme ich keine nassen Füße!“ Allmählich machte sich pure Verzweiflung in ihm breit, die er nur mühsam unterdrücken konnte.

„Das sind keine Trittsteine!“ Auf Dominies lebhafter Miene zeichneten sich Ungläubigkeit und Verachtung ab. „Zufällig hingepurzelte Brocken sind das! Vom Ufer bis zu dem ersten mag man ja noch hinkommen, und auch vom letzten bis zum anderen Ufer ist es ein Kinderspiel. Aber von den beiden zu dem großen Stein in der Mitte, dazu sind selbst deine Beine nicht lang genug!“

„Dann springe ich eben!“

„Du wirst ins Wasser fallen!“

„Ich bin flink und geschickt!“

„Ein Esel bist du!“

Derartig provoziert ließ Armand Flambard sich nun erst recht von nichts und niemandem mehr aufhalten, sondern kniete nieder und löste seine Sandalen. Dann stand er auf und schleuderte sie über das Flüsschen zur anderen Seite hinüber. Er hoffte, barfuß einen besseren Halt auf den Steinen zu finden. Dann warf er seinen Wanderstock wie einen Sperr über den Fluss, denn er musste die Hände frei haben. Zum Schluss lupfte er die Schöße der Kutte, sodass die Beine bis zum Knie bloß waren. Er durfte nicht riskieren, sich auf den Saum zu treten oder sich beim Springen von dem langen Gewand einengen zu lassen.

Dominie beachtete ihn nicht, während sie ihren Umhang ablegte und ihr Wams abstreifte. Nachdem sie auch noch aus dem leinenen Untergewand geschlüpft war, rollte sie sämtliche Kleidungsstücke zu einem handlichen Paket zusammen.

Mit aller Macht konzentrierte Armand sich darauf, bekleidet an das andere Ufer zu gelangen. Wie Dominie es vorausgesagt hatte, erreichte er mühelos den ersten Felsbrocken mit einem langen Schritt. Aber der Stein war glitschiger, als er gedacht hatte, sodass Armand sich niederkauerte und die Arme ausbreitete, um das Gleichgewicht zu halten. Hinter sich vernahm er Dominies scharfes Einatmen, als sie in das kalte Wasser trat. Mit einem gewaltigen Sprung setzte er über zum mittleren Stein, auch wenn dabei sein rechtes Bein kurz unter Wasser tauchte, das so eisig war, dass es ihm durch und durch ging. Er konnte hören, wie Dominie, die auf gleicher Höhe mit ihm war, durch die aufspritzenden Fluten watete.

Zum letzten Felsbrocken war es zwar kein so weiter Satz wie bis zum mittleren, doch die Oberfläche wirkte unebener. Aber zum Umkehren war es zu spät. Armand biss die Zähne zusammen und sprang, landete aber in einem derart unglücklichen Aufschlagswinkel, dass sein Standbein fürchterlich schmerzte.

Was aber machte das schon aus? Er hatte es geschafft! Das andere Ufer lag nur noch ein kurzes Stück entfernt.

Als Armand einen Schritt tat, sprang auch Dominie direkt neben ihm aus den Fluten heraus. Ihre Haut war vor Kälte bläulich verfärbt. Wie eine heidnische Priesterin, die ihrer Gottheit ein Opfer bringt, hielt sie ihr Kleiderbündel über dem Kopf.

Plötzlich spürte Armand bei ihrem Anblick, wie die Begierde in ihm aufstieg!

Obwohl er fast am rettenden Ufer war, landete sein Fuß nicht weit genug auf der Böschung. Die glitschige, lose Uferkante bröckelte unter seinem Gewicht weg, sodass er den Halt verlor. Er spürte, wie er seitlich abrutschte, und kurz bevor er ins eisige Wasser klatschte, merkte er noch, wie Dominie herumwirbelte und panisch nach ihm griff.

Da aber war es zu spät.

4. KAPITEL

Für einen Augenblick, der kaum länger gewährt haben konnte als der hundertste Teil eines Herzschlags, versenkte Armands Blick sich in die Augen von Dominie, die sich krampfhaft bemühte, ihn vor dem Sturz zu bewahren. Aber noch ehe sie ihn zu fassen bekam, fiel er schon mir rudernden Armen rücklings ins Wasser.

Zwar war der Fluss an der Stelle nicht sonderlich tief, doch wegen des ungeschickten Falls und seiner schweren klatschnassen Kutte drohte die Gefahr, dass Armands Füße keinen Halt im Flussbett finden würden und die Strömung ihn fortriss.

In diesem Moment hatte Dominie das Gefühl, als würde die Zeit stehen bleiben. Gleichzeitig wirbelte ihr eine Flut von Gedanken durch den Kopf, rasch und geschwind wie der schnell dahinströmende Wasserlauf.

Sie hatte gleich geahnt, dass so etwas passieren würde! Warum hatte Armand nicht auf sie gehört und war mit ihr gemeinsam durch das Wasser gewatet? Zum Teufel mit seiner mönchischen Sittsamkeit! Sollte er doch ertrinken oder erfrieren! Es geschah ihm nur recht!

Nein, das durfte sie nicht zulassen! Dafür waren die Menschen von Wakeland und Harwood zu sehr auf ihn angewiesen. Obwohl sie davor zurückschreckte, sich erneut in die unbarmherzige Eiseskälte zu stürzen, musste sie sich überwinden, denn jetzt stand Armands Leben auf dem Spiel!

Gewiss, einst war sie von ihm schmählich im Stich gelassen worden. Wahrscheinlich war er nicht mehr jener Mann, dem sie einmal ihr Herz geschenkt hatte. Vielleicht entsprach er auch gar nicht dem Bild, das sie sich noch von ihm machte. Niemals jedoch würde sie jenen nagenden Kummer vergessen, der damals, als sie ihn für immer verloren glaubte, an ihr zehrte. Der Gedanke, ihn wieder zu verlieren, war schlimmer als der eiskalte Fluss.

Ohne weiter darüber nachzudenken, hechtete sie ins Wasser.

Nach ihrem Sprung gelangte sie an die Oberfläche, während sie sich verzweifelt bemühte, sicheren Stand auf dem Flussgrund zu finden und gleichzeitig nach Armand zu greifen.

Er kam ihr zuvor. Eine riesige Hand streifte ihre Brust und klammerte sich an ihren Oberarm. Beide Hände um seinen Arm gekrallt, stemmte sie die Füße in den Untergrund und zerrte Armand mit einer Kraft, die sie sich selbst nicht zugetraut hätte, zur Uferböschung. Sein Körper gab rascher nach als erwartet, wodurch sie vom Schwung hintenüberkippte, sodass Armand auf sie geschleudert wurde und ihr den Kopf unter Wasser drückte. Um wieder an die Wasseroberfläche zu kommen und Luft holen zu können, stieß sie ihn von sich.

Die ganze Zeit hatte Armand ihren Arm nicht losgelassen. Nun packte er den anderen, obwohl Dominie sich ihm zu entwinden suchte. Sie stieß mit den Knien um sich und rammte sie ihm, mit jedem rasenden Herzschlag schlimmer von Todesangst ergriffen, in seinen Körper.

Als sie plötzlich keine Luft mehr bekam, rollte Armand auf den Rücken und stieß Dominie an die Wasseroberfläche. Keuchend und hustend tauchte sie auf.

Je mehr sie zu Atem kam, desto klarer konnte sie denken. Sei’s Zufall, sei’s göttliche Gnade – sie hatten das Flussufer erreicht. Armand lag schräg gegen die Böschung gelehnt, die Schultern noch eben über Wasser und Dominie splitternackt über ihn hingestreckt.

„Los!“, stieß sie hervor und krabbelte angestrengt die Böschung hinauf. „Bewegung, sonst holen wir uns den Tod!“ Sie drehte sich um und packte ihn am Arm. Auch mit dem Auftrieb des Wassers als Unterstützung würde es ihr niemals gelingen, ihn an Land zu ziehen, wenn er nicht mithalf! „Mach schon, Armand!“

Während er immer noch hustete, begriff er, was ihr Drängen und ihr zupackender Griff zu bedeuten hatte. Angestrengt wälzte er sich auf die Seite und ließ sich der Länge nach auf den Bauch fallen. Langsam robbte er sich aus dem eisigen Griff des Flusses heraus.

Dominie, die sich über ihn gebeugt hatte, nahm ihn unter den Achselhöhlen, und jedes Mal, wenn er sich ruckartig vorwärts schob, zerrte sie unter Aufbietung aller Kräfte. Selbst wenn er dadurch nur ein, zwei Zoll weiter vorankam als aus eigener Kraft, lohnte sich diese zusätzliche Mühe doch, und als er sich endlich vollständig und mit Dominies ungelenker Hilfestellung aus dem kalten Nass befreit hatte, brach sie heftig keuchend neben ihm im Gras zusammen. Wäre die Sonne wärmer und das Tageslicht nicht am Verlöschen gewesen, so hätte sie nichts dagegen gehabt, einfach an Ort und Stelle liegen zu bleiben, bis sie wieder zu Kräften gekommen war. Aber sie durften keine Zeit verlieren, denn sie waren bis auf die Knochen durchgefroren.

Ihr Kleiderbündel lag noch am selben Platz, wo sie es hatte fallen lassen – auf trockenem Grund, gottlob! Sie schlüpfte in ihr leinenes Untergewand und wollte gerade ihre Beinkleider ausrollen, als ihr plötzlich Armand einfiel.

Nachdem sie sich umgedreht hatte, sah sie ihn hustend und zitternd in seiner klatschnassen Kutte der Länge nach im Gras liegen. Dominie schluckte eine Verwünschung hinunter. Hätte der vermaledeite Kerl doch gleich auf ihre Warnung gehört!

Vielleicht ist es auch meine Schuld, denn ich hätte ihn zwingen sollen, durchs Wasser zu gehen, überlegte sie. Die Selbsterkenntnis traf sie wie ein Schlag ins Gesicht, aber sie konnte sie nicht verdrängen. Hätte sie ihn sanft, aber bestimmt überredet, statt ihn mit Befehlen und kindischen Seitenhieben zu provozieren, dann säßen sie wahrscheinlich jetzt nicht in dieser elenden Klemme!

Armand hatte die Gefahr nicht voll erfasst. Sie hingegen durchaus!

Aus diesem Grunde hätte sie alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen müssen, um ihn zu überzeugen, selbst auf Kosten ihres Stolzes und ihres Trotzes. Möglicherweise war sie nicht so vernünftig, wie sie immer geglaubt hatte!

Von Gewissensbissen geplagt, rutschte sie auf Armand zu und begann, den Saum seiner Kutte hochzuziehen.

Kraftlos versuchte er, ihre Hand abzuwehren. „Was ha-ha-hast du d-d-denn nun vor?“

Mit einiger Mühe verbiss sie sich die zornige Erwiderung, die ihr schon auf der Zunge lag. Stattdessen schlug sie einen gutmütigen, aufmunternden Ton an, wie sie es bisweilen ihrer Mutter oder dem jüngeren Bruder gegenüber tat, um sie zu etwas zu bewegen, was zwar unangenehm, aber nur zu ihrem Besten war.

„Nun komm schon! In diesen nassen Sachen holst du dir ja den Tod! Jetzt sei vernünftig und hilf mir lieber beim Ausziehen!“ Sie rechnete schon mit heftigem Protest, aber er nickte nur, bevor er sich mühsam auf die Knie stemmte.

„D-d-das ist die gerechte St-st-strafe“, stammelte er. „Für m-m-meinen Irrtum! H-h-hätte ich n-n-nur auf dich g-g-gehört!“

Obwohl er zerknirscht war, verspürte Dominie weniger Genugtuung, als sie gedacht hätte. „Wohl wahr!“, gab sie zurück. „Doch vorbei ist vorbei und Schnee von gestern, wie man landläufig sagt!“

Schnee von gestern, wiederholte Dominies Gewissen in spöttischem Flüsterton. Etwa auch seine Entscheidung, sich im Thronstreit auf die Seite der Kaisergattin Maud zu schlagen, der selbst ernannten Herrscherin? Und zwar mitsamt allen Folgen? Das konnte Armand ebenso wenig wieder gutmachen wie seinen zum Scheitern verurteilten Entschluss, den Fluss durch Hüpfen von Stein zu Stein zu überqueren!

Er wälzte sich auf den Rücken und nestelte an dem um die Hüfte geschlungenen, verknüpften Strick herum. „Z…z…zumindest hätte ich d…d…dich meinen Umhang h…h…hinübertragen lassen s…s…sollen! D…d…dann hätte ich w…w…was Trockenes zum Überziehen!“

„Vielleicht hättest du ja daran gedacht, wenn ich dich nicht gereizt hätte!“ Dominie fasste den widerspenstigen feuchten Knoten, vor dem seine klammen Finger schlicht kapitulieren mussten. „Komm, ich helfe dir!“

So reumütig Armand auch geklungen hatte – es setzte sie dennoch in Erstaunen, dass er die Hände sinken ließ und ihr gestattete, den Knoten zu lösen. Sie musste sich beeilen, denn bald brach die Dämmerung herein und mit ihr die kalte Nacht. Endlich gab die fest verknotete, aufgequollene Schleife unter ihren Fingern nach.

Als sie Armand half, die schwere, durchweichte Kutte über den Kopf zu streifen, starrte er in einer Mischung aus Dankbarkeit und Verwirrung zu ihr auf – ein Blick, der ihr Herz anrührte. „Du hast mir das Leben gerettet!“, murmelte er.

Auch in ihrem Innern löste sich nun ein fest verschlungener Knoten.

Hatte das rasch dahinströmende Wasser den Groll zwischen ihnen besänftigt? Armand stellte sich diese Frage, während er Dominies sanftem Zureden lauschte und sich ihrer zarten, doch kundigen Berührung überließ. Oder hatte die Kälte nur seinen verfluchten Stolz geläutert?

Er war ein rechter Esel gewesen, sich ihrem Rat so zu widersetzen und einfach drauflos zu springen, ohne Rücksicht auf die möglichen Folgen! Den nassen Denkzettel hatte er durchaus verdient! Gänzlich unverdient war indes, dass Dominie sich zu seiner Rettung erneut in die Fluten gestürzt hatte, obwohl sie ohnehin bis auf die Knochen durchgefroren sein musste.

Offenbar verschlug seine Zerknirschtheit ihr einen Moment die Sprache. „Ja, sollte ich dich denn ertrinken lassen?“ Während sie seinem Blick auswich, schüttelte sie angesichts seines durchnässten Untergewands den Kopf. „Doch nicht nach all dem, was ich durchmachen musste, um dich so weit zu bekommen! Ein kalter Leichnam wäre ein armseliger Schirmherr!“

Aha, natürlich! Gerettet hatte sie ihn nur um Harwood und Wakeland willen, wie sie auch die beschwerliche und gefährliche Wanderung nur deswegen unternommen hatte! Genauso hatte sie ihm ihre Hand und die Rückgabe seiner Besitztümer versprochen, obwohl sie ihn viel lieber für tot und vergessen halten würde! Ein Hornochse war er, dass er sich eingebildet hatte, sie wäre um seinetwillen gekommen!

Nachdem er mit Dominies Hilfe sein nasses Unterkleid abgestreift hatte, empfand er plötzlich ein merkwürdiges Gefühl. Es war ihm, als legte er seinen Status als Benediktiner ab. Als er schließlich nackt im Grase hockte, die Knie an die Brust gezogen, um ein Mindestmaß an Keuschheit zu wahren, nahm Dominie die zusammengeballten Strümpfe und begann, ihm mit der groben Wolle Rücken und Schultern abzurubbeln.

„Um die Wahrheit zu sagen: Ich habe den Eindruck, wir haben uns gegenseitig gerettet.“ Ihre muntere und nüchterne Stimme vertrieb allmählich die Trübsal, welche von ihm Besitz ergriffen hatte. „Für einen Augenblick dachte ich schon, mit mir wär’s aus und vorbei! Ich hoffe, ich habe dir nicht wehgetan, als ich so um mich trat!“

„Von dem Abreiben müsste dir eigentlich gleich warm werden“, beruhigte sie ihn. „Danach kannst du dich hoffentlich in mein Wams zwängen! Das bedeckt zwar nicht deinen ganzen Körper, ist aber zumindest trocken!“

„Das kann ich doch nicht annehmen!“ Der Gedanke, noch tiefer in ihrer Schuld zu stehen, war ihm unerträglich. „Es ist meine eigene Schuld, dass meine Kleidung zu nass zum Tragen ist! Du sollst doch nicht wegen mir leiden müssen! Zumal du mich gewarnt hast!“

Spielerisch zog sie ihm eins mit dem Wollstrumpf über den Schädel. „Rede nicht so töricht daher! Ich habe noch mein Untergewand und außerdem diese Beinkleider hier, dazu Stiefel und einen Umhang, in den ich mich hüllen kann! Da kann ich das Wams entbehren, damit du mir nicht erfrierst! Erfroren kann ich dich nicht gebrauchen!“

„Darauf hätte ich auch kommen müssen!“ Missmutig verzog Armand das Gesicht.

Aber die Tatsache, dass Dominie nur daran interessiert war, wie er ihr nützlich sein konnte, machte es ihm leichter, das Wams anzunehmen. Dennoch saß dieser Stachel tief, wenn auch auf eine Weise, die Armand sich ungern eingestand.

Nachdem Dominie ihm Rücken, Schulter und Arme so trocken gerieben hatte, dass ihm die Haut fast kribbelte, ließ sie den Strumpf an seiner Brust hinabgleiten und ihm in den Schoß fallen. „Den Rest erledige selbst!“

Damit kehrte sie ihm den Rücken zu, durchwühlte seine aufgehäuften nassen Sachen und wrang jedes Kleidungsstück bis auf den letzten Tropfen Feuchtigkeit aus. Die untergehende Sonne warf dabei ihre Strahlen auf das ausgebleichte Leinen von Dominies Untergewand, sodass ihre weiblichen Rundungen besonders betont wurden. Armand wusste, er musste eigentlich so ritterlich sein und den Blick abwenden, genauso wie sie es zuvor bei ihm getan hatte. Seine Augen gehorchten ihm auch, wenngleich nur äußerst widerwillig!

Nachdem sie seine Kleidungsstücke ausgewrungen hatte, warf Dominie ihm ihr Wams, ihre Filzkappe sowie seine Sandalen zu, ließ sich im Grase nieder und streifte die Strümpfe über. „Sobald wir angezogen sind, müssen wir uns sputen, um noch den Wald zu erreichen.“ Sie blickte hinauf zum Himmel. „Ich fürchte, es wird eine klare kalte Nacht!“

Armand widersprach nicht, denn es fröstelte ihm bereits jetzt. Das Wams, das Dominies schlanke Gestalt so locker umspielte, schmiegte sich eng an seinen Körper wie die abgestreifte Hülle einer sich häutenden Schlange und reichte ihm kaum bis über das Hinterteil.

Er schlüpfte in die Sandalen, stülpte sich die Mütze über den nassen Haarschopf und warf Dominie den zweiten Strumpf zu. „Dann auf! Beim Marsch wird uns vielleicht ein wenig warm!“

Sie sah zu ihm auf, denn sie wollte ihm bereits antworten. Doch statt zu sprechen, brach sie in ungestümes, schallendes Gelächter aus.

Vom Halse her breitete sich die Zornesröte über Armands ganzes Gesicht! „Ach, so hör schon auf, Frauenzimmer! Ich habe den Fetzen nur angezogen, weil du es so wolltest! Hast du mir das etwa nur befohlen, damit ich mich lächerlich mache?“

Heftig schüttelte Dominie den Kopf, bemüht, ihm zu antworten, doch ihr Lachen wurde nur noch hysterischer und schriller. Obgleich Armand Scherzen nie sonderlich zugetan war, erst recht nicht, wenn sie auf seine Kosten gingen, so fuhr ihm ihre Heiterkeit doch durch und durch … und brachte tief in ihm etwas zum Schwingen.

Zwar guckte er anfangs noch griesgrämig drein, doch seine Mundwinkel begannen zu zucken, und allmählich entfuhr ihm ein verhaltenes Glucksen, wenn auch noch unwillig. Je heftiger er es aber zu unterdrücken suchte, desto schlimmer musste er sich vor Lachen schütteln, bis er japsend nach Luft schnappte, als wäre er schon wieder dem Ertrinken nahe – diesmal allerdings auf angenehme Weise!

„Genug!“, keuchte sie schließlich. „Wenn einer in Hörweite ist und uns etwas Böses will, dann sind wir erledigt!“

Ihre Warnung ernüchterte ihn zwar, aber Armand bereute seinen Heiterkeitsausbruch nicht. Er hatte etwas Hartes, Unnachgiebiges in ihm zum Schmelzen gebracht.

„Sei unbesorgt!“, rief er ihr vergnügt zu. „Ein Blick auf mich genügt, und unsere Gegner fallen vor Lachen um! Dann kannst du sie mühelos entwaffnen.“

Während Dominie in Strümpfe und Stiefel schlüpfte, trat er auf sie zu und bot ihr die Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Wie ein flüchtiger Schatten huschte der Argwohn über ihr Gesicht, sodass Armand schon fürchtete, sie werde ihn zurückweisen.

Autor

Deborah Simmons
Die ehemalige Journalistin Deborah wurde durch ihre Vorliebe für historische Romane angespornt, selbst Historicals zu schreiben. Ihr erster Roman "Heart's Masquerade" erschien 1989, und seitdem hat sie mehr als 25 Romane und Kurzgeschichten verfasst. Zwei schafften es bis ins Finale der alljährlichen RITA Awards, einer Auszeichnung für besondere Leistungen im...
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