Hochzeitsglocken in Wickham Falls?

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Um das Lokalblatt zu retten, kommt der renommierte Journalist Langston Cooper nach Wickham Falls. All seine Auszeichnungen würde er darauf verwetten, dass er hier nie seine Seelenverwandte findet. Bis er Georgina begegnet! Schön, smart – aber leider nicht an ihm interessiert?


  • Erscheinungstag 27.02.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521437
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Eine Mischung aus Bestürzung und Traurigkeit stieg in Georgina Powell auf, als sie sich im Spiegel betrachtete. Wann hatte sie sich eigentlich das letzte Mal schick gemacht? Das musste noch vor ihrer Abschlussfeier an der Highschool gewesen sein – aber das war inzwischen eine Ewigkeit her. Wo waren die letzten vierzehn Jahre nur geblieben? Sie kannte die Antwort: Sie hatte nicht gelebt, sondern lediglich existiert.

Kurz nach ihrem Highschool-Abschluss hatte der unerwartete Tod ihres dreizehnjährigen Bruders an Meningitis ihren Traum, Kunst zu studieren und Buchillustratorin zu werden, zerstört. Eigentlich hatte Kevin im Kaufhaus der Familie anfangen und später die Leitung übernehmen sollen, wenn ihre Eltern in Rente gingen, doch nach seinem Tod war diese Aufgabe automatisch Georgina zugefallen.

Sein Tod hatte so viel verändert. Georginas Mutter war bis heute nicht darüber hinweggekommen, und ihr Vater rackerte sich so sehr ab, als wäre das Kaufhaus gerade erst eröffnet worden, anstatt schon seit Generationen etabliert zu sein. Georgina hatte lange gebraucht, um zu begreifen, dass ihr Bruder, dem sie den Spitznamen Shadow gegeben hatte, weil er wie ihr Schatten ständig hinter ihr hergelaufen war, nie mehr zurückkehren würde.

Aber der heutige Abend war ein Wendepunkt in ihrem Leben und ihr schickes Outfit das Signal dafür. Georgina hatte den marineblauen Verkaufskittel mit dem Logo von Powell’s Department Store durch ein hautenges schwarzes Kleid mit dazu passenden Seidenpumps ersetzt, sich sorgfältig geschminkt und das lockige Haar hochgesteckt. Doch sie hatte sich nicht nur äußerlich verändert, auch ihr Leben würde sich schon bald komplett ändern. Mit zweiunddreißig Jahren hatte sie nämlich beschlossen, endlich von zu Hause auszuziehen.

Nachdem ihr Vater die Kunst- und Handarbeitsabteilung des Kaufhauses nach und nach verkleinert und schließlich ganz aufgelöst hatte, hatte sie beschlossen, das restliche Inventar zwischenzulagern und in derselben Stadt, in der sie schon ihr ganzes Leben verbracht hatte, einen eigenen Handarbeitsladen zu eröffnen.

Da die Märzabende in Virginia immer noch empfindlich kalt waren, nahm sie ihr seidengefüttertes Kaschmirtuch und ergriff ihre mit Perlen bestickte Abendtasche samt der Einladung, um das Haus über die hintere Treppe zu verlassen. Sie wollte nämlich vermeiden, ihrer Mutter über den Weg zu laufen, wenn sie zu dem Wohltätigkeitsdinner der Handelskammer von Wickham Falls aufbrach, um nicht womöglich unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand aufgehalten zu werden.

Es war das erste Mal, dass sie zu dieser Veranstaltung ging. Damals, vor Kevins Tod, waren ihre Eltern immer gemeinsam dort gewesen und danach ihr Vater allein. Es hatte sie ziemlich verblüfft, als Bruce Powell ihr vor Kurzem nach Ladenschluss mitgeteilt hatte, dass er dieses Mal nicht hingehen würde und sie das bitte übernehmen sollte und dass sie sich auch schon mal darauf einstellen sollte, demnächst die Leitung des Kaufhauses zu übernehmen. Er wusste immer noch nicht, dass sie keine Absicht hatte, das zu tun. Wenn sie schon so viel Verantwortung übernehmen würde, dann nur bei einem eigenen Laden.

Sie ging in die Garage und setzte sich hinters Steuer ihres geräumigen neuen Nissan Rogue – eines SUV, den sie sich zu ihrem zweiunddreißigsten Geburtstag gegönnt hatte, schon allein, um das eingelagerte Inventar zu ihrem neuen Laden transportieren zu können.

Auf dem Weg zum Dinner erschauerte sie vor Vorfreude. Sie konnte es kaum erwarten, endlich ein neues Leben anfangen zu können. Sie würde hart dafür arbeiten und einige Opfer bringen müssen, um ihren Traum von einem eigenen Laden zu verwirklichen, aber sie freute sich unglaublich darauf, schon bald zu den neuen Geschäftsfrauen von Wickham Falls, West Virginia, zu gehören.

Eine Viertelstunde später parkte sie vor dem diesjährigen Veranstaltungsort des Dinners zwischen zwei Pick-ups. Nur gut, dass die Gibsons, denen der Wolf Den gehörte, den Parkplatz vor der neuen Scheune auf dem Grundstück ihrer Sportbar hatten betonieren lassen.

Georgina nahm ihre Sachen vom Beifahrersitz und stieg aus. Vor dem Eingang hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Als sie sich anstellte, erkannte sie sofort mehrere Stammkunden und wechselte ein paar Worte mit ihnen. Das von den Einheimischen nur Powell’s genannte Kaufhaus lief trotz der vielen neu entstandenen Einkaufszentren in der Umgebung sehr gut, da die Stadtverwaltung die Einwohner stets dazu anhielt, ihren Bedarf vor Ort zu decken, und die Pläne fremder Investoren für ein Einkaufszentrum mit den üblichen Fast-Food-Restaurants und Franchise-Filialen bisher erfolgreich abgeschmettert hatte.

Kurze Zeit später zeigte sie ihre Eintrittskarte vor, um ihren Namen auf der Gästeliste abhaken zu lassen. Die dafür zuständige Frau riss erschrocken die Augen auf, als sie Georgina sah. „Mein Gott, ich hätte Sie ja fast nicht erkannt!“

Georgina lächelte die Frau des Schatzmeisters der Handelskammer freundlich an. „Für manche Anlässe muss man sich eben schick machen, Mrs. Bachmann.“

Die ältere Frau nickte lächelnd. „Ich muss sagen, Sie sehen toll aus. Schön, dass Sie heute kommen konnten. Sie sitzen übrigens an Tisch sieben. Ihr Platz ist mit einem Namensschild gekennzeichnet.“

„Danke.“ Georgina fragte sich, ob Mrs. Bachmann wusste, dass Bruce Powell nicht schon wieder ohne seine Frau bei dieser Veranstaltung auftauchen wollte, um der Gerüchteküche über ihre Ehekrise keine neue Nahrung zu geben. Dabei war die Ehe ihrer Eltern stabil. Evelyn Powell verließ einfach nur nicht mehr das Haus. Seit dem Tod ihres Sohns setzte sie keinen Fuß mehr in das Kaufhaus und hatte auch sämtliche Ehrenämter niedergelegt. Nach all den Jahren trauerte sie noch immer um ihren Sohn und ignorierte Georginas gelegentliche Hinweise, dass sie auch noch eine Tochter hatte.

Georgina betrat nun den Veranstaltungsraum und betrachtete bewundernd die mit Lichterketten geschmückte Decke. Kronleuchter und Retro-Deckenlampen tauchten die runden Sechsertische in ein warmes Licht. Da das Motto der Feier das frühe zwanzigste Jahrhundert war, gab es einen kunstvoll geschnitzten Mahagonitresen, der für ein passendes Ambiente sorgte. Kellner mit weißen Jacketts gingen mit Tabletts voller Horsd’œuvres und Sektgläsern herum.

Georgina begab sich zu ihrem Tisch, suchte ihren Platz und hängte ihr Tuch über die Rückenlehne ihres Stuhls.

„Georgi Powell, lange nicht gesehen!“

Überrascht drehte sie sich zu Langston Cooper um, der ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit in der Hand hielt. Er lächelte ihr zu, wobei sich die Lachfältchen um seine Augen vertieften. Langston hatte Wickham Falls nach der Highschool verlassen, um zu studieren, und hatte danach lange als Journalist in Afrika und im Nahen Osten gearbeitet. Sie hatte ihn früher sehr attraktiv gefunden mit seinem markanten Gesicht und dem sexy Grübchen im Kinn, aber da er vier Jahre älter war als sie, hatte sie nie viel mit ihm zu tun gehabt.

„Dito“, erwiderte sie lächelnd. „Bist du als Mitglied hier oder für die Zeitung?“

„Beides. Warst du letztes Jahr auch schon hier? Ich kann mich nämlich gar nicht erinnern, dich gesehen zu haben.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin heute zum ersten Mal dabei.“

Bewundernd ließ er den Blick über ihr schwarzes Neckholderkleid mit dem geschlitzten Rock gleiten. Bisher hatte er sie immer nur im Kaufhauskittel und ungeschminkt gesehen. Ihm war zwar bewusst, dass es ziemlich unhöflich war, sie so anzustarren, aber es fiel ihm nun mal schwer, den Blick von ihrem wunderschönen Gesicht loszureißen … oder ihr nicht in den Ausschnitt über ihren Brüsten zu starren, die sich bei jedem Atemzug verführerisch hoben und senkten.

Die Attribute ihres rothaarigen schottisch-irischen Vaters und ihrer afroamerikanischen Mutter hatten sich bei ihr aufs Vorteilhafteste vereint. Sie hatte eine zartbraune Haut mit ein paar Sommersprossen auf der Nase, die heute allerdings von Make-up verdeckt waren, und eine rotbraune Lockenmähne, die sie raffiniert hochgesteckt hatte. Sie wirkte unglaublich schick und kultiviert.

Als er vor einem Jahr nach Wickham Falls zurückgekehrt war, um das schwächelnde Lokalblatt The Sentinel zu übernehmen, war ihm im Kaufhaus nur aufgefallen, dass Georgies Zahnlücke verschwunden war. Hübsch hatte er sie zwar immer schon gefunden, doch heute sah sie absolut umwerfend aus.

„Kann ich dir etwas zu trinken von der Bar bringen?“

Ihr Blick fiel auf die Kellner mit den Tabletts. „Ich nehme mir einfach einen Sekt. Aber wenn ich Alkohol trinke, brauche ich dringend etwas zu essen.“

Langston schob ihr ihren Stuhl zurecht. „Setz dich schon mal hin, ich hole uns ein paar Häppchen.“ Er streifte sein Jackett ab und hängte es über die Rückenlehne des Stuhls neben ihrem.

Lächelnd nahm sie Platz. „Vielen Dank, Sir.“

Langston erwiderte ihr Lächeln. „Gern geschehen, Ma’am.“

Er ging auf einen der Kellner zu, zog eine Geldklammer aus der Hosentasche und reichte dem jungen Mann einen Geldschein. „Würden Sie bitte zwei Gläser zu Tisch sieben bringen?“

Der junge Mann steckte das Geld nickend ein. „Selbstverständlich, Sir. Vielen Dank.“

Auf dem Weg zum Buffet mit der Grillstation ärgerte sich Langston, weil er Georgina kein Kompliment zu ihrem Aussehen gemacht hatte. Andererseits wollte er auch nicht den Eindruck vermitteln, sie anmachen zu wollen. Vielleicht hatte sie ja einen Partner. Dass sie allein hergekommen war, hatte schließlich nichts zu bedeuten. Sie war immerhin eine sehr schöne Frau und noch dazu die Erbin eines Kaufhauses, das nicht nur erfolgreich die Weltwirtschaftskrise, sondern auch alle anderen Wirtschaftsflauten überstanden hatte.

Als Langston mit dem Essen zu ihrem Tisch zurückkehrte, sah er zu seiner Überraschung vier Gläser darauf stehen.

„Der Kellner scheint uns für sehr durstig gehalten zu haben“, meinte Georgina belustigt.

Langston stellte die Teller mit dem dünn geschnittenen Roastbeef mit Meerrettich, die Pasta mit Wodkasoße, Garnelen mit scharfem Dip und mit Shrimps gefüllte Minipasteten auf den Tisch. „Ich glaube, wir können ein paar Drinks gut gebrauchen. Das Essen ist heute nämlich ziemlich scharf.“

Georgina faltete erwartungsvoll ihre Serviette auseinander und legte sie auf ihren Schoß. „Umso besser.“

Langston musterte sie überrascht. „Scharfes Essen stört dich nicht?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich mag eine gewisse Schärfe“, sagte sie, während sie Meerrettich auf eine Scheibe Roastbeef strich. „Kochst du eigentlich?“

Diese Frage überrumpelte ihn etwas. „Ja, ich kann kochen. Warum fragst du?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Nur so aus Interesse.“

Langston wartete mit seiner nächsten Frage, bis sie den ersten Bissen gekaut und runtergeschluckt hatte. „Interessiert dich sonst noch etwas?“

„Aber natürlich“, erwiderte sie lächelnd. „Wie läuft der Sentinel, seit du das Blatt übernommen hast?“

Langston unterdrückte einen Anflug von Enttäuschung, denn er hatte mit einer etwas persönlicheren Frage gerechnet. Warum er ohne Begleitung hier war zum Beispiel.

„Anfangs lief der Verkauf etwas schleppend, aber inzwischen konnten wir die Auflagenzahl erhöhen und bekommen auch wieder mehr Anzeigen.“

„Wir hatten schon befürchtet, dass das Blatt eingestellt werden würde. Wir veröffentlichen dort nämlich immer unsere Tages- und Wochenangebote.“

„Seit der allerersten Ausgabe, ich weiß“, sagte Langston nickend und spießte eine Garnele auf. „Seltsam, dass die Gibsons ein so vielseitiges Buffet zusammengestellt haben, obwohl sie doch eigentlich berühmt für ihr Grillfleisch sind, oder?“

Der Wolf Den hatte seit Generationen den Ruf, zusätzlich zum Alkoholausschank das beste gegrillte und geräucherte Fleisch von ganz Johnson County anzubieten. Man munkelte außerdem, dass die Vorfahren der heutigen Betreiber während der Prohibition illegal Alkohol gebraut und angeboten hatten und ihre Gäste ihnen dafür so dankbar gewesen seien, dass sie diese trotz wiederholter Bestechungsversuche seitens der Steuerbehörde nicht verpfiffen hatten. Was in Wickham Falls passierte, blieb in Wickham Falls.

„Ich bin auch etwas überrascht“, stimmte Georgina ihm zu. „Aber sie bieten inzwischen auch Catering für private Feiern an. Vermutlich wollen sie zeigen, was sie außer Grillfleisch noch alles draufhaben.“

„Mir schmeckt’s jedenfalls.“

„Mir auch.“

Sie aßen eine Weile in einvernehmlichem Schweigen. „Wie geht’s eigentlich deiner Mutter?“, fragte Langston irgendwann.

„Gut.“

Das Thema brachte Georgina unweigerlich wieder auf ihre Umzugspläne. Sie hatte vor allem die ständigen emotionalen Erpressungsversuche ihrer Mutter satt. Jedes Mal, wenn sie etwas vorhatte, was nichts mit dem Kaufhaus zu tun hatte, schob Evelyn sofort irgendein Leiden vor, damit ihre Tochter bloß niemanden kennenlernen und womöglich ein eigenes Leben anfangen konnte.

„Grüß sie von mir.“

„Das mache ich“, versprach sie. „Wie geht es deinen Eltern? Genießen sie ihren Ruhestand in Key West?“

Er nickte. „Das kann man wohl sagen. Dad hat vor Kurzem ein Boot für vier Personen gekauft. Er, Mom und ein befreundetes Paar segeln gerade in der Karibik herum. Ich habe ihn gefragt, warum sie sich überhaupt einen Bungalow in Florida gekauft haben, wenn sie sowieso ständig auf dem Wasser sind, und ihm fiel keine plausible Erklärung ein.“

„Ihr Leben klingt toll, Langston. Anscheinend haben sie sehr viel Spaß.“

Er lächelte schief. „Wahrscheinlich bin ich einfach nur neidisch.“

„Weißt du schon, was du machen willst, wenn du dich irgendwann mal zur Ruhe setzt?“

Er schüttelte den Kopf. „Ehrlich gesagt habe ich noch nicht darüber nachgedacht, und du, Georgi? Weißt du schon, wie deine Zukunft aussieht?“ Er drehte seinen Stuhl herum, damit er sie besser ansehen konnte.

Sie verkrampfte sich unwillkürlich unter seinem direkten Blick. Langston war so schrecklich weltgewandt und gebildet. Ob er wohl hinter ihre kultivierte Fassade blicken und ihr ansehen konnte, dass sie sich seit der Highschool kaum weiterentwickelt hatte? „Dafür müsste ich erst mal eine Wohnung finden.“

Verwirrt runzelte er die Stirn. „Wohnst du denn nicht bei deinen Eltern?“

„Ja, aber ich habe beschlossen auszuziehen.“

„In welcher Stadt suchst du denn?“

„Am liebsten würde ich in Wickham Falls bleiben, aber zur Not würde ich auch nach Mineral Springs ziehen.“

Langston schüttelte mit gespielter Fassungslosigkeit den Kopf. „Was? Das kannst du doch nicht machen!“

Georgina lachte so schallend, dass sich die Leute am Nebentisch zu ihnen umdrehten. Wickham Falls und Mineral Springs waren nämlich erbitterte Rivalen. Die Feindschaft hatte vor vielen Jahren mit einem Highschool-Footballspiel angefangen, bei dem das Mineral-Springs-Team so heftig gefoult hatte, dass einer der hiesigen Spieler so schwer verletzt worden war, dass er sein Sportstipendium nicht hatte antreten können. Seitdem wurde jeder Schüler, der sich mit jemandem aus Mineral Springs einließ, sozial geächtet.

„Ich weiß, aber was bleibt mir anderes übrig, wenn hier nichts frei ist?“ Da Mineral Springs größer war als Wickham Falls, gab es dort mehr leer stehende Wohnungen und Häuser.

„Willst du etwas mieten oder kaufen?“

„Ist mir egal.“ Georgina hatte genug zusammengespart, um sich etwas leisten zu können, das ihren Vorstellungen entsprach. Aber solange sie nichts Passendes gefunden hatte, würde sie auch eine Mietwohnung nehmen. „Du bist doch bei der Zeitung. Da kriegst du bestimmt eine Menge mit, oder?“

Langston lächelte vielsagend. „Ehrlich gesagt manchmal mehr, als mir lieb ist. Hast du schon mal mit Viviana Remington gesprochen? Ach nein, sie heißt ja inzwischen mit Nachnamen Wainwright. Ihr Mann baut nämlich gerade Einfamilienhäuser auf dem Remington-Anwesen. Ich würde daher vorschlagen, dass du sie zuerst anrufst, bevor du einen Makler einschaltest.“

„Danke für den Tipp“, sagte Georgina erfreut. „Ich sage dir Bescheid, was dabei rausgekommen ist.“

Er beugte sich vertraulich nach vorn, sodass sich ihre Schultern berührten. „Ich wollte dich übrigens um einen Gefallen bitten.“

Bei Georgina schrillten sofort sämtliche Alarmglocken, denn der letzte Mann, der sie um einen Gefallen gebeten hatte, hatte zwanzigtausend Dollar von ihr verlangt, um seine Spielschulden begleichen zu können. Davor hatte er Einnahmen aus den Autoverkäufen des Gebrauchtwarengeschäfts seines Vaters unterschlagen und Panik bekommen, als der Steuerberater nach den Geschäftsunterlagen gefragt hatte. Obwohl sie damals schon fast acht Monate zusammen gewesen waren und Georgina ihn geliebt hatte, hatte sie die Beziehung sofort beendet und seine Nummer blockiert.

Sie hatte geglaubt, dass er als Sohn des erfolgreichsten Gebrauchtwarenhändlers von Beckley anders als die Männer von Wickham Falls war, aber anscheinend hatte auch er es nur auf ihr Geld abgesehen gehabt. Schon während ihrer Schulzeit hatten die Jungs nicht deshalb um ihre Gunst gebuhlt, weil sie hübsch, intelligent oder begabt war, sondern weil sie die Erbin des ältesten Familienunternehmens der Stadt war.

Georgina versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Um welchen Gefallen geht es denn?“

Langston lachte beim Anblick ihres versteinerten Gesichtsausdrucks. „Du siehst aus, als würde ich gleich von dir verlangen, mir dein Erstgeborenes zu übergeben.“

„Das wäre kein Problem für mich“, antwortete sie steif. „Ich habe nämlich keine Kinder.“

Er musterte sie aufmerksam. „Willst du keine bekommen?“

Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Ihre Beziehung mit Sean war schon so lange her, dass sie in letzter Zeit nicht mehr über Ehe und Kinder nachgedacht hatte. „Eigentlich schon, aber dafür müssen erst einmal bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.“

„Zum Beispiel, ein Ehemann?“

Sie zuckte mit den Achseln. „Das wäre zwar von Vorteil, ist aber nicht zwingend notwendig.“

„Dann hättest du also nichts dagegen, eine alleinerziehende Mutter zu sein?“

„Ein Partner wäre mir natürlich lieber, aber wenn es nicht anders gehen würde …“

Er nickte verstehend.

Sie holte tief Luft. „Um welchen Gefallen wolltest du mich denn bitten?“

Er kam ihr so nahe, dass seine Nase fast ihr Ohr berührte. „Spar einen Tanz für mich auf.“

Georgina erschauerte, als sie seinen warmen Atem an ihrem Ohr spürte. Er wollte nur mit ihr tanzen? Was für eine Erleichterung! „Was hältst du von zwei Tänzen?“, fragte sie ihn schelmisch.

Er lachte. „Hätte ich gewusst, dass du so großzügig bist, hätte ich gleich drei oder vielleicht sogar vier Tänze verlangt.“

„Übertreib es nicht, Langston, sonst überlege ich es mir vielleicht noch anders“, zog sie ihn auf.

In gespielter Abwehr hob er die Hände. „In Ordnung. Zwei sind genug.“

In diesem Augenblick fiel Georginas Blick auf ihre Freundin Sasha Manning – die einzige Freundin, die sie in der gesamten Stadt hatte. Seit Sasha nach ihrer Scheidung von einem berühmten Country-Sänger nach Wickham Falls zurückgekehrt war, um eine Konditorei zu eröffnen, hatten sie wieder regelmäßig Kontakt miteinander. Sasha war auch diejenige, die Georgina dazu ermutigt hatte, bei ihren Eltern auszuziehen und auf eigenen Beinen zu stehen.

Sie schob ihren Stuhl zurück und stand auf. „Bitte entschuldige mich kurz, meine Freundin Sasha ist hier. Ich möchte sie gern begrüßen.“

2. KAPITEL

Als Langston Georgina hinterhersah, war er insgeheim ganz froh über die Atempause. Er wusste selbst nicht, woran es lag, aber in ihrer Gegenwart war er irgendwie weniger selbstsicher als bei anderen Frauen. Die Einzige, die je eine solche Wirkung auf ihn gehabt hatte, war seine Ex-Frau gewesen, auch wenn Ayanna vom Typ her ganz anders gewesen war als Georgina.

Er war schon weit in der Welt herumgekommen, hatte viele Jahre im Ausland gelebt und war vielen Menschen begegnet, bei denen er nie gewusst hatte, ob sie Freund oder Feind waren. Bei neuen Bekanntschaften war er daher immer besonders vorsichtig. Aber Georgina betrachtete er aus irgendeinem Grund nicht durch die Brille des wachsamen Journalisten, sondern eines Mannes, dem gefiel, wie toll sie sich gemacht hatte.

Sie war mindestens drei, wenn nicht gar vier Jahre jünger als er, sodass sie während ihrer Schulzeit kaum etwas miteinander zu tun gehabt hatten, obwohl sie im selben Viertel aufgewachsen waren. Ihre einzige Gemeinsamkeit war es gewesen, dass ihre und seine Eltern Kaufleute waren. Seinen Eltern gehörte die Apotheke im Ort und ihren das Kaufhaus. Nach hiesigen Standards galten die Coopers und die Powells als wohlhabend, was an den öffentlichen Schulen von Johnson County jedoch niemals eine Rolle gespielt hatte. Dort wurden immer alle gleich behandelt.

Bis auf einen länger zurückliegenden Streik der Bergwerkarbeiter war die Stadt ein friedlicher und dank seiner hübschen Häuschen auch idyllischer Ort – ein Umstand, der ihm die Entscheidung, seinen Eltern ihr Haus abzukaufen, seinen Job als Auslandskorrespondent bei einem Nachrichtensender in Washington DC zu kündigen und in seine Heimatstadt zurückzukehren, äußerst leicht gemacht hatte.

Sich dazu durchzuringen, die schwächelnde Lokalzeitung zu kaufen, war ihm hingegen schon etwas schwerer gefallen. Obwohl er ein preisgekrönter Journalist war, der sogar für die New York Times geschrieben hatte, hatte er nicht gewusst, ob es wirklich eine so gute Idee war, in eine gedruckte Zeitung zu investieren, zu einer Zeit, in der sogar beliebte Magazine immer häufiger ausschließlich online erschienen.

Doch schließlich hatte er den Schritt gewagt, und jetzt war er Eigentümer, Herausgeber und Chefredakteur des zwei Mal pro Woche erscheinenden Lokalblatts. Er hatte seine ganze Energie in die Umgestaltung und Modernisierung gesteckt. Mehrmals die Woche traf er sich mit seinen Angestellten, um sich ihre Ideen anzuhören. Das Ergebnis war, dass sich die Zeitung binnen eines Jahres wieder in eine wichtige Informationsquelle für die Einwohner von Wickham Falls verwandelt hatte. Auch die Geschäftsleute kamen allmählich an Bord und schalteten immer mehr Anzeigen.

Langston beobachtete, wie Georgina über eine Bemerkung von Sasha Manning lachte. Seit er wieder in Wickham Falls war, hatte er noch kein persönliches Wort mit Georgina gewechselt. Er hatte sie nur ab und zu von Weitem im Kaufhaus gesehen, und dass auch immer nur in diesem unförmigen Verkaufskittel. Niemals hätte er damit gerechnet, dass sich darunter eine so tolle Figur verbarg. Besonders ihre langen schlanken Beine mit den schmalen Fesseln hatten es ihm angetan.

Irgendwie erinnerte sie ihn an Aschenputtel – tagsüber blass und unscheinbar, aber nachts eine verführerische Sirene, die jede Menge Blicke auf sich zog.

Doch er war nicht in seine Heimatstadt zurückgekehrt, um etwas mit einer Frau anzufangen, sondern um sich von seiner Posttraumatischen Belastungsstörung zu erholen. Die vielen Jahre als Kriegsberichterstatter in zwei afrikanischen Ländern und im Nahen Osten waren leider nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Wegen seiner Albträume war er zwar schon länger in Therapie, doch erst seit er wieder in Wickham Falls lebte, verblassten die schrecklichen Bilder in seinem Kopf allmählich.

Er stand auf, als Georgina an ihren Tisch zurückkehrte, und wartete, bis sie sich wieder gesetzt hatte, bevor er selbst Platz nahm.

Die Reden schienen gar kein Ende nehmen zu wollen. Georgina konnte allmählich gut verstehen, warum ihr Vater keine Lust mehr auf solche Veranstaltungen hatte. Aber wahrscheinlich würde ihr in Zukunft nichts anderes übrig bleiben, als weiterhin hinzugehen. Als zukünftige Geschäftsinhaberin waren gute Kontakte zur Handelskammer natürlich sehr wichtig.

Autor

Rochelle Alers
Seit 1988 hat die US-amerikanische Bestsellerautorin Rochelle Alers mehr als achtzig Bücher und Kurzgeschichten geschrieben. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Zora Neale Hurston Literary Award, den Vivian Stephens Award for Excellence in Romance Writing sowie einen Career Achievement Award von RT Book Reviers. Die Vollzeitautorin ist Mitglied der...
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