Ich liebe Dich - noch immer

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Kates größter Wunsch - eine eigene Familie. Doch seit sie weiß, dass sie keine Kinder bekommen kann, widmet sie sich voll und ganz ihrer Karriere. Bis sie auf der malerischen Isle of Wight durch Zufall ihrem ersten Freund Gideon wieder begegnet. Der gut aussehende Restaurantbesitzer, inzwischen allein erziehender Vater zweier süßer Töchter, weckt lang verdrängte Gefühle in ihr. Wenn er ihr seine Liebe gesteht, wird sie für immer bei ihm bleiben. Doch Gideon schweigt...


  • Erscheinungstag 29.07.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778866
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Die Seeluft schmeckte salzig auf ihren Lippen, eiskalte Regentropfen schlugen auf ihre Wangen. Kate Simmonds blickte starr auf das schiefergraue Meer, während ihr das Haar ums Gesicht wehte.

Sie war unterwegs nach Hause.

Zu spät.

Aunt Babs war tot.

Mit bebenden Fingern strich sich Kate die Haare zurück. Noch vor einer Woche war alles ganz anders gewesen – oder hatte zumindest so geschienen. Sie hatte viel Zeit gehabt, Zeit, um irgendwann nach Hause zu fahren, nur nicht sofort. Sie war noch nicht bereit dazu gewesen. Aunt Babs hatte es verstanden.

Nun war es zu spät.

Kate lehnte sich an die Reling auf dem Oberdeck der Fähre und blickte weiter unverwandt auf die See. Irgendwie rückte die riesige graue Weite alles in den richtigen Blickwinkel und ließ ihre bittere Lebensangst klein und geringfügig erscheinen. Sie hätte sich Zeit nehmen sollen!

Aunt Babs hatte ihr ein Zuhause gegeben und sie – die linkische, zornige Zehnjährige – von Anfang an wie ihre eigene Tochter geliebt. Ja, Aunt Babs war eine Pflegemutter gewesen, wie man unter Millionen nur eine findet, und sie hätte Besseres verdient gehabt als den wöchentlichen Anruf, zu dem Kate sich hatte aufraffen können. Oder die gelegentlichen Treffen in London. Ihr Versäumnis bereute sie jetzt – und es gab in ihrem Leben schon so vieles, was sie bedauerte.

Es war beinah sechs Jahre her, seit sie die Fahrt zuletzt gemacht hatte. Vieles hatte sich inzwischen geändert. Vor allem sie hatte sich verändert. Man hätte in ihr kaum die zweiundzwanzigjährige Katie von damals wiedererkannt. Sie hatte sich sozusagen neu erschaffen: als Kate Simmonds, selbstsicher und elegant, die ihr Leben im Griff hatte.

Wenn es nur wahr wäre! Insgeheim plagten sie noch immer Unsicherheit und ein verzweifeltes Verlangen nach Zugehörigkeit. Noch immer schmerzten sie die seelischen Narben der Zurückweisung. Und inzwischen gab es ein Kümmernis mehr, eine Pein wie von einem glühenden Brandeisen.

Kate schob die Hände in die Taschen ihres langen schwarzen Mantels und wandte sich von dem bedrückend grauen Märzhimmel ab.

Nur eine Hand voll Touristen hatte sich ebenfalls nach draußen gewagt, um die Isle of Wight in der Ferne auftauchen zu sehen. Sie standen dicht beieinander unter ihren Regenschirmen.

Vage war sie sich eines fragenden Blicks bewusst, dann eines zaghaften Lächelns – ganz so, als würde die ältere Dame im roten Anorak sie kennen.

Rasch sah Kate weg. Nein, sie kannten sich nicht. Es war nur eine Illusion, wie so vieles in ihrem jetzigen Leben. Sie wollte sich nicht auf ein banales Gespräch einlassen – was unweigerlich folgen würde, wenn sie es zuließ –, sondern mit ihren Gedanken allein sein, so schmerzlich diese auch waren.

Unvermittelt wandte sie sich um und verließ das obere Deck. Nachdem sie die schwere Metalltür geöffnet hatte, stieg sie die steile Treppe hinunter – keine leichte Aufgabe in Stiefeln mit hohen Absätzen.

In der Cafeteria unten roch es nach ranzigem Fett und abgestandenem Zigarettenrauch, aber es tat gut, dem scharfen Wind entkommen zu sein. Kate schüttelte die Regentropfen aus dem Haar und stellte sich am Büfett an.

„Falls du Kaffee möchtest, bist du in der falschen Reihe.“

Überrascht sah sie beim Klang der Männerstimme hoch und Gideon Manser direkt in die Augen. Sein Name fiel ihr sofort wieder ein. Ja, sie erinnerte sich genau an Gideon, an seine dunkelblauen Augen und sein markantes Gesicht. Er besaß mehr Sexappeal als die meisten Filmstars und war der Held ihrer Jungmädchenträume gewesen. Unnötig zu sagen, dass er ihre Gefühle nicht erwidert hatte.

„Die Kaffeemaschine auf der Seite ist kaputt“, erklärte er gelassen und lächelte, wobei sich Fältchen um seine Augen bildeten.

Instinktiv hob Kate die Hand, um sich die Haare zu glätten, und war sich unangenehm bewusst, wie feucht und zerzaust sie ihr ums Gesicht hingen. Gideon hatte sich kein bisschen verändert. Oder doch – er war etwas dünner als früher. Und er sah müde aus. Abgekämpft. Doch er war noch immer sexy. Sehr sexy sogar.

„Danke für den Hinweis“, brachte sie schließlich heraus.

Nur allzu genau erinnerte sie sich, wie sie sich aufgeführt hatte, als er auf die Insel kam. Mit siebzehn hatte sie ihn für das wunderbarste Wesen gehalten, das jemals über die Erde gewandelt war – und es war ihr deutlich anzumerken gewesen.

Gideon war älter als sie, viel älter. Ein Starkoch aus London, der auch in Frankreich und Italien gelebt hatte und den Glamour und die Weltgewandtheit besaß, die sie für sich ersehnte. Beim Gedanken daran, wie sie ihn damals angehimmelt hatte, wäre sie jetzt am liebsten im Boden versunken.

Kate straffte die Schultern. „Du bist Gideon, stimmt’s? Erkennst du mich wieder? Ich bin Kate Simmonds. Früher nannte jeder mich Katie. Na ja, vermutlich erinnerst du dich gar nicht mehr an mich. Ich …“

Hör um Himmels willen auf, sinnloses Zeug zu plappern, ermahnte sie sich verzweifelt. Es wäre viel besser, wenn er sich nicht an sie erinnerte!

Er hatte sich nie für sie interessiert. Wahrscheinlich hatten die beiden – er und Laura – sie ausgelacht. Oder sie bemitleidet, was noch schlimmer wäre!

„Natürlich erkenne ich dich wieder!“, sagte Gideon und schüttelte ihr die Hand. „Was kein Wunder ist, denn Babs hat … hatte überall Fotos von dir stehen. Und Debbie wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass du beim Fernsehen bist. Du bist eine Berühmtheit: das Mädchen von der Insel, das eine großartige Karriere gemacht hat.“

„Ja, stimmt.“ Verlegen betrachtete Kate ihre Stiefel. Als sie den Job als Society-Reporterin in Los Angeles bekommen hatte, war Debbie begeistert gewesen. Und Aunt Babs stolz.

Gideon sah zur anderen Reihe hinüber. „Wir sollten uns lieber anstellen, sonst haben wir keine Zeit mehr, Kaffee zu trinken.“

„Ja, richtig“, stimmte Kate zu und spürte ein nervöses Flattern im Bauch. Warum übte Gideon noch immer diese Wirkung auf sie aus? Lieber Himmel, sie war schließlich achtundzwanzig! In ihrer Welt wimmelte es von Männern mit Sexappeal. Sie hatte die meisten von ihnen bereits interviewt. Gideon war wirklich nichts Besonderes!

Und trotzdem …

Wahrscheinlich wurden gewisse – jahrelang verdrängte – Erinnerungen jetzt wieder geweckt, weil sie unterwegs auf die Insel war. Es brachte sie aus dem inneren Gleichgewicht. Oder war Gideon ein Symbol für etwas, was sie nicht haben konnte? Für noch etwas, was ich nicht haben kann, korrigierte sie sich im Stillen.

Sie betrachtete ihn eingehend. Den Jackenkragen hatte er gegen den kalten Wind hochgeklappt, er trug dunkle Jeans, und seine Hände waren … schön. Anders ließ es sich nicht beschreiben.

Er nahm ein Tablett vom Stapel. „Debbie sagte mir, dass du zum Begräbnis ihrer Mutter nach Hause kommst.“

„Ach so.“

„War es schwierig für dich, einige Tage freizubekommen?“ Als Kate sich ebenfalls ein Tablett nehmen wollte, stoppte er sie. „Lass nur, ich übernehme das.“

„Das brauchst du nicht. Ich kann …“, sie blickte ihn kurz an und ließ die Hand sinken. „Okay! Danke.“

„Also …“ Er wandte sich ihr zu und lächelte. „War es schwierig?“

Sein Lächeln war wie der Eingang zu einem Zeittunnel. Kate hatte das Gefühl, mit Lichtgeschwindigkeit in die Vergangenheit zu stürzen. So viele Erinnerungen blitzten auf … von der Art, die einen hinterrücks überfallen, wenn man es am wenigsten erwartet.

Mit siebzehn hatte sie sich ausgemalt, wie es wäre, ihn zu küssen. Nachts im Bett hatte sie sich vorgestellt, das Kissen wäre seine Schulter, und sie hatte davon geträumt, ihn sagen zu hören, wie sehr er sie liebte.

Sie war eine Närrin gewesen! Kein Wunder, dass ein Mann von sechsundzwanzig sich nicht für ein unreifes Mädchen wie sie interessiert hatte.

„Hattest du Probleme, dir für das Begräbnis Zeit zu nehmen?“ Gideon ließ nicht locker. „Debbie befürchtete, du könnest zu beschäftigt sein, um es zu schaffen.“

„Nein, es war kein Problem.“

Er schien sie kritisch zu betrachten. Wahrscheinlich fragte er sich, warum sie Aunt Babs und Debbie nicht häufiger besucht hatte, wenn es so leicht war.

„Wie lange bleibst du?“, erkundigte er sich weiter.

„Nicht lang. Nur bis Mittwoch, dann muss ich nach London zurück.“ Kate nahm einen Porzellanbecher, froh darüber, ihre Hände beschäftigen zu können. Sie stellte ihn unter die Kaffeemaschine und drückte den Knopf für koffeinfreien Milchkaffee.

„Du kehrst also nicht sofort in die USA zurück?“

„Nein.“ Sie stellte den Becher aufs Tablett und versuchte, sich endlich zu entspannen. „Und wie geht es dir, Gideon?“

„Na ja, soweit gut.“ Er zögerte kurz. „Du hast das von Laura gehört?“

Ihr wurde flau, und sie hatte das Gefühl, ihr würde der Boden unter den Füßen weggezogen. Verdammt! Ja, sie hatte gehört, was mit Laura geschehen war.

Mit vernichtender Klarheit erinnerte sie sich an Debbies Anruf. An die tränenerstickte Stimme. An den Schock, zu hören, dass Laura tot war.

Wie hatte sie jetzt nur so gedankenlos sein können?

„Ja, ich weiß. Sie ist … gestorben. Es tut mir so leid, Gideon!“ Sie fuhr sich durchs Haar. „Ich wollte dir damals schreiben, aber …“ Befangen verstummte sie.

Aber sie war damals völlig mit sich beschäftigt gewesen. Richard hatte sie verlassen, und sie konnte sich nicht vorstellen, irgendjemand anders würde so sehr leiden wie sie.

Nicht einmal für Debbie hatte sie Mitgefühl aufbringen können, die am Boden zerstört gewesen war über den Verlust ihrer Freundin … Und an Gideon hatte sie damals kaum einen Gedanken verschwendet.

Sie blickte zu ihm auf. Der Kummer hatte Spuren in sein Gesicht gegraben, nistete noch immer in seinen Augen. Doch es gab einfach nichts Tröstliches, was man einem Mann sagen konnte, der seine geliebte Ehefrau verloren hatte.

Gideon lächelte gezwungen. „Es ist jetzt schon zwei Jahre her. Kurz nach Tillys Geburt …“

„Ich weiß. Ich war gerade nach L. A. gegangen. Debbie hat mich telefonisch benachrichtigt.“ Zum Glück bewegte sich die Reihe nun weiter vorwärts zur Kasse, und sie mussten nachrücken. „Es tut mir wirklich leid, Gideon, und ich …“

„Möchtest du ein Muffin?“, unterbrach er sie. „Oder lieber eine Tafel Schokolade?“

Erstaunt blickte sie hoch. In einem Moment redeten sie über einen Todesfall, im nächsten über Kuchen. Wirklich seltsam, wie manche Menschen es schafften, Trauer sozusagen ein- und auszublenden. Als ob sie es nicht ertragen würden, zu lange darüber nachzudenken.

„Nein danke, Gideon, ich möchte nichts Süßes.“

Er nahm sich einige Kekse. „Ich schon. Ich habe nämlich nicht gefrühstückt“, erklärte er. „Weil ich sehr früh losmusste.“

Langsam bewegten sie sich weiter vorwärts, bis sie die Kasse erreichten, wobei Kate unentwegt an Laura dachte.

Laura hatte alles gehabt, was sich ein Mädchen nur wünschen konnte: Eltern, die es liebten, ein wunderschönes Zuhause, ein eigenes Pony. Dazu noch blonde Haare, keine Akne – und Gideon.

Es fiel Kate schwer, sich bewusst zu machen, dass Laura tot war. Und sie war entsetzt, als ihr einfiel, wie sehr sie die andere gehasst hatte. Nein, „beneidet“ traf es besser. Lauras Leben war ihr immer wie ein Märchen vorgekommen, und wenn sie einen Zauberstab hätte schwingen und mit Laura tauschen können, hätte sie es getan.

Jetzt natürlich nicht mehr! Die arme Laura war tot. Das hatte damals niemand vorhersehen können. Kate hätte gern gewusst, woran Laura gestorben war, doch sie traute sich nicht zu fragen.

Nachdem er bezahlt hatte, nahm Gideon das Tablett. „Wo möchtest du sitzen, Kate? Im Raucherbereich?“

„Nein, Nichtraucher!“, antwortete sie schnell. „Ich habe das Rauchen letztes Jahr aufgegeben. Vor genau neun Monaten, zwei Wochen und drei Tagen.“

„Gratuliere!“

„Danke.“ Ob er wusste, dass sie mit dem Rauchen angefangen hatte, um älter zu wirken? Wieso hatte sie geglaubt, ihn damit beeindrucken zu können? Sie hatte sich bloß eine schlechte Angewohnheit eingehandelt, die sie nur schwer wieder losgeworden war.

Gideon trug das Tablett zu einem Tisch am Fenster. „Ist es dir hier recht?“

„Ja, wunderbar.“ Kate knöpfte sich den Mantel auf und setzte sich.

„Wirst du bei Debbie wohnen?“, erkundigte Gideon sich.

„Ich weiß es noch nicht.“

Er wickelte den einen Keks aus und brach ihn mittendurch. „Möchtest du wirklich nichts?“

„Ganz sicher. Ich esse nie Kekse. Das sind nur leere Kalorien.“ Sie hob die Tasse. „Es ist eine Frage der Disziplin.“

Gideon runzelte die Stirn. Disziplin, wiederholte er im Stillen. Es überraschte ihn nicht, Kate das sagen zu hören. Disziplin war wahrscheinlich das, was in ihrem Leben zählte.

Nicht viele schafften den Durchbruch vom Radio zum Fernsehen. Dazu brauchte es Entschlossenheit und eine bestimmte Art zielgerichteter Hartnäckigkeit. Die Art, die einen blind für die Empfindungen anderer machte.

Kurz verfinsterte sich seine Miene. Er kannte sich mit dieser Sorte Ehrgeiz aus und wusste, wie viel er einen Menschen kosten konnte …

Welchen Sinn hatte es denn noch, dass Kate Simmonds jetzt zurück auf die Insel kam? Als es darauf ankam, war sie zu beschäftigt gewesen, um die Menschen zu besuchen, die sie liebten. Nun war es zu spät. Babs war tot.

Und er war, als es darauf ankam, zu beschäftigt gewesen, um zu merken, wie schlecht es Laura ging.

„Keine Schokolade? Das ist ein ziemliches Opfer“, bemerkte Gideon und musterte Kate.

Bestimmt würde sie Aufsehen auf der Insel erregen. Sie trug teure Sachen, ihre Haare waren von einem Experten geschnitten, das Make-up war makellos, die Nägel waren perfekt manikürt. Nur der schmerzliche Blick in ihren großen braunen Augen war noch derselbe wie früher.

„Sich mit den Schönen von Hollywood abzugeben würde jeden in den Schlankheitswahn treiben.“ Kate zuckte die Schultern, dann trank sie einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. „Pfui Teufel, der schmeckt ja scheußlich!“

„Ja, es ist der schrecklichste Kaffee der Welt. Hattest du das vergessen? Na gut, du warst sehr lange weg.“

„Betreibst du noch das Quay Inn?“, erkundigte sie sich.

„Ja. Wir haben sogar einen Stern im Restaurantführer von Michelin. Schon seit einigen Jahren. Wir hoffen, bald einen zweiten zu bekommen.“

Hoffen war gut gesagt! Er schuftete Tag und Nacht dafür – und vernachlässigte seine Töchter. Babs hatte gemeint, es sei eine kurzfristige Quälerei für einen langfristigen Gewinn, aber lohnte es wirklich?

„Das ist ja fantastisch!“

„Ja.“ Gideon blickte auf die Tischplatte. Es war wirklich fantastisch. Sein Lebensziel. Ein ehrgeiziges Ziel. Laura hatte es geteilt, doch ohne sie schien es die Mühe nicht mehr wert zu sein. „Laura und ich hatten immer gehofft … Damals schien es wichtig zu sein. Aber … na ja.“

Rasch blickte Kate beiseite. Sie kam sich vor, als müsste sie auf rohen Eiern balancieren. Der Kummer, den Gideon ausstrahlte, war beinah greifbar. Ihr war klar, dass er alle beruflichen Erfolge dafür tauschen würde, seine Frau zurückzubekommen, und sie konnte es bis zu einem gewissen Grad nachempfinden.

Um das lastende Schweigen zu brechen, fragte Kate unüberlegt: „Wie alt sind deine Töchter jetzt?“

Dabei wusste sie fast auf den Tag genau, wie alt das erste Kind war! Bei ihrem letzten Besuch auf der Insel war Laura schwanger gewesen – und strahlend vor Glück. Es hatte wehgetan.

„Jemima ist fünf. Und Matilda drei.“ Er senkte den Kopf. „Gerade drei geworden.“

Kate dachte, dass Gideon aussah, als trage er die Last der ganzen Welt auf seinen Schultern. Sie hatte die Formulierung schon immer merkwürdig gefunden und sich gefragt, was genau sie bedeutete. Bei seinem Anblick wusste sie es.

„Das sind hübsche Namen“, meinte sie beifällig.

„Laura …“ Seine Stimme wurde rau. „Laura hat sie ausgesucht. Ich wäre für die Namen unserer Söhne zuständig gewesen. Wir wollten ursprünglich viele Kinder haben.“ Er zuckte die Schultern, und man merkte ihm an, wie sehr er sich bemühte, wieder normal zu klingen. „Na ja, es hat eben nicht sein sollen. Hast du keine? Kinder?“, fügte er hinzu, als sie nicht sofort antwortete.

Beinah wäre sie zusammengezuckt. Es war eine nahe liegende Frage, und sie würde sich mit der Zeit bestimmt daran gewöhnen, dass man sie ihr stellte.

„Nein, ich habe keine Kinder.“ Und ich werde niemals welche haben, fügte sie im Stillen hinzu. Sie konnte keine haben.

„Wahrscheinlich, weil du dich bisher auf deine Karriere konzentriert hast.“

Sie lächelte und wusste, dass das Lächeln ihre Augen nicht erreichte. „Die bewahrt mich jedenfalls vor Dummheiten.“

„Gibt es denn einen Mann in deinem Leben?“

„Nicht so, dass ich es merken würde“, erwiderte sie sarkastisch und blickte durchs Fenster. Es gab keinen mehr.

Das Gespräch würde nun nicht mehr lange dauern, denn sie näherten sich rasch der Insel. Ein Glück! Es war ausgesprochen unbehaglich, Gideon wiederzusehen.

„Ich bin zu beschäftigt für eine Beziehung“, fügte Kate noch hinzu. Eine glatte Lüge.

Er lehnte sich zurück. „Du hast deinen Traum verwirklicht. Das muss sehr aufregend sein.“

Aufregend? Am liebsten hätte sie gelacht. Sie konnte ihren Job durchaus als aufregend beschreiben – sofern sie nicht bedachte, wie viel Zeit sie vergeudete mit Warten auf Interviewpartner, die nicht wirklich interviewt werden wollten. Falls sie das ungute Gefühl außer Acht ließ, wenn ihr Gegenüber nur einsilbig antwortete und sie aus dem spärlichen Material einen interessanten Bericht zusammenstellen musste. Natürlich gab es auch gute Momente bei ihrer Arbeit, Augenblicke, die man durchaus als aufregend bezeichnen konnte …

Doch diese Momente reichten nicht, um die Leere in ihrem Leben auszufüllen. Aber sie konnte nicht in Worte fassen, wie sie sich fühlte, wenn sie noch ein Interview mit noch einem Star führen musste, der für noch einen Film Werbung machte! Alles in allem zählte ihre Arbeit nicht viel, und irgendwann hatte sie den Glanz eingebüßt. Und immer träumte Kate einen anderen Traum. Einen, der nicht in Erfüllung gehen konnte.

„Ja, ich habe viel Glück gehabt“, gab sie schließlich halbherzig zu.

Um Gideons Lippen spielte das leise Lächeln, das sie schon immer so sexy gefunden hatte. „Um Glück zu haben, muss man hart arbeiten. Das weiß ich am besten. Mein Restaurant Quay Inn ist nicht zufällig so erfolgreich. Ich habe dem Erfolg viele Stunden meines Lebens geopfert. Und nicht nur Stunden …“

„Trotzdem: Auch das Schicksal spielt eine Rolle. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Mir haben sich die günstigen Gelegenheiten meistens zufällig geboten.“ Wieder blickte sie hinaus, erfreut, wie nah sie schon dem Hafen waren. Nicht mehr lange, und sie konnte Gideon entkommen.

„Es hilft natürlich, wenn der Zufall auf deiner Seite ist“, stimmte er zu und blickte auf, als eine ältere Frau in einem roten Anorak an den Tisch kam. „Kann ich etwas für Sie tun, Madam?“

Sie wandte sich an Kate, als diese ebenfalls aufsah. „Ja, nun … tut mir leid, wenn ich störe, aber Sie sind doch vom Fernsehen, stimmt’s? Sie machen den Wetterbericht.“

Beim Anblick von Gideons Miene hätte Kate beinah hellauf gelacht, aber sie antwortete gelassen, denn sie war insgeheim für die Unterbrechung des Gesprächs dankbar.

„Nein, ich berichte nicht übers Wetter, sondern über die Prominenz von Hollywood.“

In L. A. war sie auf der Straße überhaupt nicht beachtet worden. In den zwei Wochen, die sie nun wieder in London war, hatte man sie schon mehrmals erkannt und angesprochen. Allmählich gewöhnte sie sich daran.

Die Frau wandte sich um und nickte triumphierend ihrer Freundin zu, die neben dem Notausgang stand, dann kramte sie in ihrer Anoraktasche. Schließlich zog sie Notizblock und Kugelschreiber heraus.

„Wären Sie so nett, mir ein Autogramm zu geben? Ich hab vorhin zu Yvonne gesagt – das ist die Dame im braunen Mantel dort drüben … die mit der Brille. Also, ich hab zu ihr gesagt, dass ich Sie erkenne. Ich sehe mir immer Ihre Sendung an. Yvonne auch, und sie meinte, Sie seien es nicht. Aber ich merke mir Gesichter sehr gut.“

Kate unterdrückte ihr aufsteigendes Lachen, während sie die oberste Seite des Blocks mit einer Einkaufsliste darauf umblätterte. „Natürlich gebe ich Ihnen gern ein Autogramm!“ Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ungläubig Gideon das Ganze beobachtete. „Wie heißen Sie denn?“

„Cynthia“, antwortete die Frau mit stolzgeschwellter Brust. „Mrs. Cynthia Puttock.“

Kate schrieb eine Widmung, setzte ihre Unterschrift darunter und gab Mrs. Puttock den Block zurück. „Nett, Sie kennen zu lernen, Cynthia.“

Zufrieden betrachtete Cynthia den Schriftzug. „Würde es Ihnen was ausmachen, sich mit mir fotografieren zu lassen? Sonst glaubt mir mein Mann nicht, dass ich Sie persönlich getroffen habe.“

Auf die Zustimmung wartete sie gar nicht, sondern winkte ihre Freundin zu sich, obwohl gerade per Lautsprecher verkündet wurde, dass alle Fahrer sich zu ihren Autos begeben sollten.

„Es dauert keine Sekunde! Yvonne, würdest du …“ Dann hatte Cynthia offensichtlich einen neuen genialen Einfall und wandte sich impulsiv an Gideon. „Oder würden Sie das Foto machen? Yvonne, stell du dich da hin!“

Kate gab anstandslos nach. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und stellte sich zwischen die beiden Frauen. Jetzt fühlte sie sich beinah wie eine Berühmtheit, aber noch berühmter wollte sie gar nicht sein. Es verursachte ihr Unbehagen, wenn man so viel Aufhebens von ihr machte.

Nachdem Gideon kurz in die Eigenheiten der Kamera eingewiesen worden war, schoss er das Foto und reichte den Apparat zurück.

„So, ich hoffe, ich habe ein schönes Bild gemacht.“

„Oh, vielen Dank, junger Mann, ich …“

Der Lautsprecher unterbrach die Dankesbezeugung mit dem neuerlichen Aufruf an die Fahrer, sich aufs Autodeck zu begeben.

„Wir müssen jetzt wirklich los“, sagte Kate entschuldigend. „War nett, Sie beide kennen gelernt zu haben.“

Gideon legte ihr die Hand auf den Rücken und führte sie zur Treppe aufs Autodeck. „Passiert dir das öfter?“

„Erst seit ich wieder hier in England bin.“ Kate lächelte strahlend, das erste richtige Lächeln. „Aber keine Sorge, ich lasse mir den ‚Ruhm‘ nicht zu Kopf steigen. Wie auch? Ich komme erst nach den Gartentipps dran, und diese Cynthia dachte sowieso, ich sei die Wetterfee! Nett zu wissen, welch unvergesslichen Eindruck ich auf mein Publikum mache.“

Als er laut lachte, sah sie ihn über die Schulter hinweg an. Er wirkte viel jünger, wenn er lachte. Und noch attraktiver. Nachdem sie ihn jahrelang nicht gesehen hatte, fühlte sie sich plötzlich wieder wie damals als Siebzehnjährige. Ihr war der leichte Druck seiner Hand überdeutlich bewusst …

Rasch löste sie sich von ihm, und ihr Lächeln erstarb. „Wir müssen jetzt zu unseren Autos. War nett, dich mal wieder getroffen zu haben nach all der Zeit.“

„Ich habe mich auch gefreut.“ Er öffnete ihr die Tür aufs Autodeck.

„Ach, und danke für den Kaffee.“ Sie raffte den langen Mantel, während sie nach unten ging, damit er nicht über die Stufen schleifte. Am Fuß der Treppe wandte sie sich nochmals zu Gideon um. „Na dann: Ich hab mich wirklich gefreut, dir über den Weg zu laufen. Auf Wiedersehen.“

„Darauf kannst du wetten, dass wir uns wiedersehen“, erwiderte er und hielt dem Paar hinter ihnen die Tür auf.

„Ach, tatsächlich?“ Plötzlich kam sie sich albern vor.

„Ja, es ist unvermeidlich. Schon deshalb, weil Debbie heute auf meine Töchter aufpasst.“ Irgendjemand hupte laut. „Jetzt sollten wir uns schleunigst zu unseren Autos begeben. Die Leute werden schon ungeduldig.“

Kate wandte sich gehorsam ab und bahnte sich einen Weg zwischen den Wagen hindurch zu ihrem kleinen grünen MG.

„Ein nettes Auto“, lobte Gideon, was sie freute.

Bewusst blickte sie nicht zu ihm, sondern stieg möglichst anmutig in den niedrigen Sportwagen.

Still saß sie da, während die schweren Tore aufschwangen und die Autoreihe neben ihrer als erste die Fähre verließ. Wieso hatte sie nicht gleich, als sie Gideon erkannt hatte, daran gedacht, dass Laura gestorben war?

Kate legte die Stirn aufs Steuer und schloss beschämt die Augen. Anscheinend war es ihr Schicksal, sich wie eine Närrin aufzuführen, sobald sie Gideon begegnete. Manche Dinge änderten sich offensichtlich nie, egal, wie viel Zeit auch verstrich.

Endlich startete sie den Motor und legte den ersten Gang ein. Gideon hatte so bekümmert ausgesehen. Aber was erwartete sie denn? Seine Frau war gestorben. Schlimmeres konnte einem Mann nicht passieren, oder?

Verglichen damit hatte sie wirklich keinen Grund zu klagen. Dass Richard sie verlassen hatte, war doch gar nichts gemessen an Gideons Verlust. Sie umklammerte das Steuer, als eine Welle der Traurigkeit sie durchflutete. Das Gefühl lauerte ständig knapp unter der Oberfläche ihres Bewusstseins. Es machte sie unzufrieden – und wütend.

Gideon hatte immerhin noch seine Töchter! Sie würde nie Kinder haben, nie eine eigene Familie. Nie jemanden, der sie wirklich liebte …

Kate fuhr langsam los, nachdem der Lastwagen vor ihr gestartet war. Nun stand ihr die Begegnung mit Debbie bevor.

Autor

Natasha Oakley
Auf die Frage „Was willst du denn werden, wenn du groß bist?“ hatte Natasha Oakley schon in der Grundschule eine Antwort. Jedem, der es hören wollte, erzählte sie, dass sie einmal Autorin werden würde. Ihr Plan war es, zu Hause, bei ihren Eltern in London, wohnen zu bleiben und sich...
Mehr erfahren