Julia Ärzte zum Verlieben Band 130

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VOR DR. PLAYBOY WIRD GEWARNT! von CAROL MARINELLI
"Herzlichen Glückwunsch!" Alle im Krankenhaus gratulieren Schwester Emily zu ihrer Beziehung mit dem umschwärmten Dr. Hugh Linton. Niemand ahnt: Sie hat sich auf eine Scheinverlobung mit dem sexy Doc eingelassen. Auf keinen Fall darf sie sich verlieben. Aber zu spät …

DER CHIRURG MIT EINEM GEWISSEN RUF von CHARLOTTE HAWKES
Dr. Delaroche hat goldene Hände, die Leben retten. Die Anästhesistin Alex ist von dem französischen Chirurgen sehr beeindruckt! Als er sie auf seinem Familiensitz Château Rochepont verführt, ist es um sie geschehen. Obwohl sie doch weiß: Louis ist nicht frei für die Liebe …

STÜRMISCHES WIEDERSEHEN IN DER ALPENKLINIK von ANNIE O’NEIL
Arztkittel oder Ballkleid? Beatrice di Jesolo ist Ärztin - und eine Prinzessin mit gebrochenem Herzen: Vor zwei Jahren wurde sie gezwungen, ihre große Liebe, den Kinderarzt Jamie Coutts, zu verlassen. Nun sieht sie ihn in einer Alpenklinik wieder. Jamie ist ihr neuer Boss …


  • Erscheinungstag 20.09.2019
  • Bandnummer 130
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713546
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carol Marinelli, Charlotte Hawkes, Annie O’Neil

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 130

CAROL MARINELLI

Vor Dr. Playboy wird gewarnt!

Die perfekte Lösung? Dr. Hugh Linton verlobt sich mit der hübschen Schwester Emily zum Schein. Dann ist sein familienorientierter Chef hoffentlich zufrieden! Aber als er nach Cornwall fährt, wo seine „Verlobte“ gerade Urlaub macht, wird aus dem spontanen Besuch ein sinnliches Wochenende zu zweit – das Hughs Plan in Gefahr bringt!

CHARLOTTE HAWKES

Der Chirurg mit einem gewissen Ruf

Als Chirurg ist er weltbekannt, als Verführer auch. Dr. Louis Delaroche hat einen pikanten Ruf! Bis sein Vater droht, ihn wegen seiner Liebschaften aus der Familienstiftung zu werfen. Louis braucht eine Ehe in aller Freundschaft! Nur die warmherzige Anästhesistin Alex kommt für ihn infrage. Aber kann Louis sie von sich und einem Diamantring überzeugen?

ANNIE O’NEIL

Stürmisches Wiedersehen in der Alpenklinik

In der Alpenklinik sieht Dr. Jamie Coutts die wunderschöne Bea wieder: Vor zwei Jahren hat die italienische Prinzessin mit ihm Schluss gemacht und ihm das Herz gebrochen. Doch nun müssen sie zusammenarbeiten. Für Jamie beginnt alles von Neuem: die Faszination dieser adligen Ärztin – und seine Zweifel. Besonders, als er ihr kleines süßes, Geheimnis erfährt …

PROLOG

An ihrem ersten Tag als OP-Schwester am Londoner The Royal hatte Emily noch nicht einmal ihre Schwesternkleidung angezogen, da erfuhr sie schon von Louise, einer der anderen Schwestern, dass Hugh Linton, der chirurgische Oberarzt, der an diesem Morgen operieren würde, ein Herzensbrecher war.

„Wie geht es Candy?“, fragte Louise eine Kollegin, während sie sich das lange blonde Haar unter die Haube schob.

„Was glaubst du?“, kam die Antwort. „Ich habe sie gerade in der Kantine gesehen, sie heult sich die Augen aus dem Kopf.“ Lächelnd sah sie Emily an. „Hi, ich bin Annie.“

„Hi, Annie“, sagte Emily, aber Annie sprach schon wieder mit Louise.

„Warum hat sie sich nur darauf eingelassen?“, sinnierte sie. „Jeder hier weiß, dass ein Verhältnis mit Hugh bestenfalls eine flüchtige Affäre wird und schlimmstenfalls mit einem gebrochenen Herzen endet.“

„Pass also auf dich auf.“ Louise zwinkerte Emily zu.

„Nicht nötig, meins kann er nicht brechen.“ Zwar lachte Emily dabei, meinte es aber bitterernst.

Affären kamen für sie nicht infrage, und außerdem ließ sie niemanden nahe genug heran, um sich unsterblich zu verlieben. Das hatte sie vor vielen Jahren beschlossen.

Allerdings war sie einen Moment lang abgelenkt, als Hugh Linton den OP-Trakt betrat. Nicht nur, dass der Mann blendend aussah, nein, Emily erlebte auch zum ersten Mal, wie jemand mit seinem Auftreten einen ganzen Raum beherrschte.

Er war groß und sein Haar von einem leuchtenden Blond. Er hatte die faszinierendsten grünen Augen, die sie je gesehen hatte, und seine Stimme klang tief und klar. Mit einer solchen Stimme brauchte man sich nicht erst Gehör zu verschaffen, man wurde vom ersten Wort an beachtet. Während er mit Louise sprach, fiel sein Blick auf Emily, und er lächelte. Auf eine Art, die ihr die Röte in die Wangen trieb und ihr nur bestätigte, was sie bereits wusste: Hugh Linton war alles andere als der ideale Mann für sie.

„Morgen allerseits!“ Alex, der leitende Chefarzt, erschien, nachdem er noch einmal mit dem Patienten gesprochen hatte, und machte sich daran, Arme und Hände zu schrubben.

Einem Sechsundzwanzigjährigen sollte ein Bauchtumor entfernt werden. Alex erläuterte, wie komplex das Geschwür war und weshalb er sich gegen einen endoskopischen Eingriff entschieden hatte. Danach blieb noch etwas Zeit zum Plaudern.

„Von deinem Wochenende habe ich schon gehört, Hugh“, meinte Alex, während ihm eine Schwester in den sterilen Kittel half. „Aus verschiedenen Quellen, sodass ich nicht noch mehr darüber wissen muss.“

Hugh grinste nur.

Die scherzhafte Stimmung verflog, sobald der Bauchraum eröffnet war und Alex feststellte, dass der Tumor schlimmer war als gedacht.

„Das sieht nicht gut aus. Wir werden einige Stunden brauchen, Rory“, wandte er sich an den Anästhesisten.

Es war eine lange, komplexe Operation, aber sie verlief glatt bis auf eine unvorhergesehene Wendung, die eine schwierige Situation heraufbeschwor – allerdings nicht für den Patienten. Es gab unerwartete Neuigkeiten für den leitenden Chirurgen.

„Alex, Jennifer ist am Telefon“, sagte Louise, und Emily beobachtete, wie Alex innehielt und die Stirn runzelte.

„Bringen Sie mir das Telefon her“, sagte er.

Louise hielt es ihm ans Ohr.

„Sie befolgen nur meine Anweisung, dich jederzeit zu mir durchzustellen“, meinte Alex zu seiner Frau, die anscheinend darum gebeten hatte, ihren Mann nicht zu stören. Dann lauschte er einen Moment. „Zwei Stunden brauche ich hier mindestens noch.“ Wieder hörte er zu. „Okay, Darling, halte mich bitte auf dem Laufenden. Ich liebe dich.“

Als Louise die Verbindung unterbrach, schwieg Alex einen Moment, bevor er schließlich verkündete: „Jennifer ist oben auf der Entbindungsstation.“

„Wann ist ihr Termin?“, wollte Hugh wissen.

„In sechs Wochen.“ Alex operierte weiter. „Wie lange braucht das vierte Kind, Louise? Wenn es zu früh kommt?“

„Hoffentlich mehr als zwei Stunden“, antwortete die Krankenschwester mit dem ihr eigenen schwarzen Humor. „Ich bin auch Hebamme“, fügte sie für Emily hinzu.

Der OP-Saal war eine Welt für sich.

Jeder Tupfer wurde gezählt, jede Unterbrechung notiert, bei jedem Instrument das Sterilisationsdatum kontrolliert. Kein Skalpell und keine Nadel blieben unbeachtet. Eine Aufgabe, die wie am Schnürchen abgespult werden musste und von jedem im Raum höchste Konzentration erforderte.

In einer kurzen Pause tranken Alex und Hugh ein Glas Wasser, bekamen neue sterile Handschuhe und machten sich wieder an die Arbeit.

Ohne Hast.

Für den jungen Mann auf dem OP-Tisch bedeutete Alex Hadfields Können die beste Überlebenschance. Emily beobachtete, wie Alex Hugh geduldig erklärte, was er tat. Niemand hätte vermutet, dass seine Frau ganz in der Nähe ihr Kind zu früh zur Welt bringen musste. Gegen Mittag jedoch sah er seinen Kollegen an.

„Ich kann übernehmen“, sagte Hugh im selben Moment, als Louise ans Telefon ging.

„Ihre Frau ist am Apparat.“

Alex streifte sich die Handschuhe ab, nahm das Telefon und versicherte seiner Frau, dass er unterwegs sei.

„Hey!“, rief Hugh ihm nach, als er Richtung Ausgang marschierte. „Erfahren wir nicht, was es ist?“

Aber Alex war schon verschwunden.

Den Vorschriften entsprechend bat Hugh darum, die Tupfer zu zählen, bevor er die Wunde schloss.

Dann verlangte er eine zweite Zählung.

Emily nahm es nicht persönlich. Der Eingriff war unterbrochen worden, und außerdem war sie neu im Team. Gewissenhaft überprüfte sie, ob kein Tupfer oder Instrument im Bauchraum vergessen worden war.

„Danke“, sagte Hugh zufrieden, als nichts fehlte, und begann zu nähen.

Emily freute sich auf die Mittagspause, doch als es so weit war, musste sie sich nicht nur auf ihr Essen konzentrieren. Hugh setzte sich neben sie.

Selbst nach Stunden im OP duftete er, als hätte er frisch geduscht, und wie er seine langen, kraftvollen Beine ausstreckte, war allein schon eine Augenweide.

Aber oh, er war alles andere als der richtige Mann für sie!

Emilys idealer Mann musste gewisse Voraussetzungen erfüllen. Das Äußere war nicht so wichtig, dafür sollte er ernsthaft sein und sie nicht zu oft zum Lachen bringen. Und vor allem durfte er in ihr nicht das plötzliche Bedürfnis wecken, sich nackt auszuziehen!

Wenn überhaupt, suchte sie nach einem netten, ruhigen, ja, gern auch farblosen Mann.

In ihrer Vorstellung schliefen sie samstags miteinander, mehr aus Pflicht als aus der Notwendigkeit heraus, und gelegentlich dienstags, wenn Emily am nächsten Tag Spätdienst hatte und es nichts Gutes im Fernsehen gab.

„Sind Sie neu hier?“, fragte Hugh.

„Emily arbeitet bereits seit einem Jahr bei uns!“, mischte sich Louise tadelnd ein.

„Emily Jackson“, stellte sie sich vor.

Natürlich war sie Hugh aufgefallen – von ihren blassblauen Augen bis zu ihrer makellosen hellen Haut. Er fragte sich, ob die dunkle Locke, die unter der OP-Haube hervorlugte, zu langem oder kurzem Haar gehörte. Und auch ihre Stimme mit dem weichen schottischen Akzent fand er faszinierend.

„Wie lange leben Sie schon in London? Anfangs kann die Stadt ein bisschen einschüchternd sein.“ Er wollte gerade vorschlagen, ihr die Metropole zu zeigen, da lächelte sie kühl.

„Das stimmt, aber ich wohne seit Jahren hier und fühle mich alles andere als eingeschüchtert.“

„Tatsächlich?“, meinte er lächelnd.

Wie wäre es mit einem Flirt? sagten seine Augen.

Darauf wollte Emily sich auf keinen Fall einlassen. Wenn sie eingeschüchtert war, dann von diesem Mann.

Hugh nahm einen Anruf an. Seinem Lächeln nach zu urteilen, gab es gute Nachrichten. Er gratulierte, legte auf und teilte den anderen die Neuigkeiten mit. „Die kleine Josie ist da, und es geht ihr gut.“

„Wie viel wiegt sie?“, wollte Louise wissen.

„Habe ich vergessen zu fragen.“ Hugh stand auf. „Ich muss los, auf mich wartet ein Leistenbruch.“ Lächelnd wandte er sich Emily zu. „Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen.“

„Gleichfalls“, antwortete sie freundlich.

Und doch war etwas an ihrem Lächeln, das Hugh stutzig machte. Er konnte nur nicht genau sagen, was es war.

Der Nachmittag verging wie im Flug, und Hugh war schon fast auf dem Weg zu seinen frisch operierten Patienten, als er mehr über Emilys Haar herausfand.

Dichte, schimmernde dunkle Locken fielen ihr auf die Schultern. Und da sie die formlose OP-Kleidung nicht mehr trug, sondern Jeans, Jacke und lange Stiefel, konnte er auch sehen, dass sie eine tolle, sehr weibliche Figur hatte.

„Wir sehen uns“, sagte er.

„Gute Nacht.“ Wieder lächelte sie, und endlich fiel ihm ein, wie ihr Lächeln zu beschreiben war.

Sparsam. Ein flüchtiges Lächeln, nicht mehr und nicht weniger.

Hugh ertappte sich dabei, dass er mehr wollte.

Anscheinend hatte man Emily vor ihm gewarnt. Warum sonst sollte sie ihm gegenüber so zurückhaltend sein? Oder war sie kein Single?

Emily hätte nie freiwillig zugegeben, dass Hugh Linton ihr unter die Haut ging. Dennoch knisterte es jedes Mal im OP heftig zwischen ihnen. Das beschäftigte sie so sehr, dass sie zwei Wochen später auf der Weihnachtsfeier Ginas Angebot, sie nach Hause zu fahren, dankbar annahm. In einer Viertelstunde wollte die Anästhesistin aufbrechen.

Also sagte Emily auch nicht Nein, als Hugh sie fragte, ob er ihr einen Drink holen dürfe. Sie hatte ja die sichere Ausrede, demnächst aufbrechen zu müssen.

„Nur einen kleinen“, erklärte sie und reichte ihm ihr Glas. „Ich möchte bald nach Hause und will meine Mitfahrgelegenheit nicht verpassen.“

Kurz darauf kehrte er mit ihrem Getränk und einem Vorschlag zurück. „Falls Sie länger bleiben wollen, bringe ich Sie gern nach Hause.“

Emily schüttelte den Kopf. „Ich muss früh raus, ich fahre morgen nach Schottland.“

„Lebt Ihre Familie dort?“

„Meine Mutter. Und eine zahlreiche Verwandtschaft.“

„Haben Sie hier in London auch Familie?“

„Ja. Als meine Eltern sich trennten, zog mein Vater nach England …“ Sie zögerte. Nur ungern erinnerte sie sich an die Zeit, in der sie mit ihrem Vater, dessen damaliger Freundin Katrina und deren Tochter Jessica zusammengewohnt hatte. Die Erinnerungen schmerzten, sodass sie schnell darüber hinwegging. „Ich habe ihn oft besucht.“

„Wie oft?“

„Die Hälfte aller Schulferien. Nachdem ich mit der Schule fertig war, bin ich für die Krankenschwesternausbildung ganz hergezogen.“

„Verstehe.“

„Tun Sie nicht!“ Emily verdrehte scherzhaft die Augen. „Im Ernst, wir wären noch nächste Woche hier, wenn ich versuchen würde, Ihnen alles zu erklären.“

„Von mir aus gern.“

Ihr Herz flatterte, als sie ihm in die lächelnden grünen Augen sah. Emily wehrte sich gegen die gefährlichen Gefühle, die dieser Mann in ihr auslöste.

„Und, verbringen Sie Weihnachten in Schottland?“, fragte er.

„Nein, ich habe Dienst.“

Sie verriet ihm nicht, dass es ihr mehr als recht war. Zu Weihnachten, ob sie nun bei ihrer Mutter oder ihrem Vater war, fühlte sie sich immer wie ein fünftes Rad am Wagen. Mum und ihr zweiter Mann vergötterten ihre gemeinsame Tochter Abby, und ihr Dad – mit seiner neuesten Ehefrau Donna – war nun Vater von einjährigen Zwillingen.

Ja, es war viel zu kompliziert, Hugh ihre Familienverhältnisse zu erklären.

„Was machen Sie Weihnachen?“, fragte sie stattdessen.

„Ich besuche meine Eltern. Meine Schwester hat gerade ein Kind bekommen, also das erste Enkelkind …“ Er grinste jungenhaft. „Ich werde mich von meiner besten Seite zeigen und Kate nicht aufregen.“

„Ihre Schwester?“

„Genau.“

„Verstehen Sie sich nicht gut?“

„Doch … normalerweise jedenfalls.“

Emily fiel es erstaunlich leicht, sich mit ihm zu unterhalten, und Hugh ging es genauso. Gestern hatte er versucht, mit Alex über seine Schwester Kate zu sprechen, da beide Babys zur selben Zeit geboren worden waren, und ihn gefragt, wie es Jennifer ginge. Wunderbar, erzählte sein Chef stolz. Obwohl Josie das vierte Kind und zu früh zur Welt gekommen war. Daraufhin behielt Hugh die Sorgen um seine Schwester für sich. Jetzt hingegen erschien es ihm nur natürlich, sie auszusprechen.

„Ich glaube, sie leidet an postnatalen Depressionen.“ Er seufzte. „Aber ich habe ja keine Ahnung – zumindest sagen das meine Mutter, mein Vater, mein Schwager … und Kate auch.“

„Es ist nicht einfach. Ich kann mich noch erinnern, als Donna die Zwillinge bekam …“ Ihre Stimme verlor an Kraft, was Hugh sofort auffiel.

„Donna?“

„Die zweite Frau meines Vaters.“

Emily hatte das Thema gar nicht anschneiden wollen, aber da es passiert war, verriet sie ihm noch ein bisschen mehr. „Nach der Geburt der Jungs habe ich viel mitgeholfen. Es war eine schwierige Situation.“ Sie dachte an Hughs Schwester. „Können Sie nicht noch mal mit ihrem Mann sprechen?“

„Ich werde es versuchen. Was hat Ihr Vater unternommen?“

„Nicht viel.“ Emily lächelte matt. Sie konnte ihm schlecht erzählen, welche Sorgen sie sich gemacht hatte. Ihr Vater war kurz davor gewesen, das Weite zu suchen.

„Und Sie?“

„Ich habe Donna zu ihrem Hausarzt gebracht. Zuerst habe ich angerufen und ihnen gesagt, dass es so nicht weitergehen kann. Als Nächstes habe ich ihr den Termin verschafft und sie hingefahren. Danach dauerte es eine Weile, aber die Lage wurde langsam besser.“

Mit Nebenwirkungen. Emily hatte versucht, ihre kleinen Halbbrüder nicht zu sehr ins Herz zu schließen, aber letztendlich war sie machtlos. Natürlich stand sie doch nachts auf, wenn sie weinten, badete sie, fütterte sie, hielt sie im Arm.

„Wie geht es ihr inzwischen?“

Sie konnte nicht antworten. „Ich muss los.“

„Emily?“

Am liebsten hätte sie sich in Luft aufgelöst, um ihre Gedanken nicht aussprechen zu müssen. Ja, Donna ging es gut, aber Emily war sich nicht sicher, ob das auch für ihre Ehe galt.

„Bleiben Sie noch ein bisschen“, drängte Hugh.

Sie wollte nicht. Zu verlockend war es, bei ihm zu sein. Zu leicht, sich ihm zu öffnen, Vertrautes mit ihm zu teilen. Flüchtige Affäre, gebrochenes Herz … Emily dachte an Annies Worte. Weder das eine noch das andere konnte sie gebrauchen.

Lieber suchte sie etwas länger nach dem perfekten Mann. Einem, bei dem ihr Herz nicht in Gefahr war.

Gerade jetzt hämmerte dieses Herz, als wollte es weg von ihr, hin zu dem Mann, dessen sexy Mund auf einmal viel zu nahe war …

„Ich muss wirklich gehen“, unternahm sie einen letzten Versuch, es festzuhalten.

„Warum?“

„Das habe ich doch schon gesagt. Damit ich meine Mitfahrgelegenheit nicht verpasse.“

„Und ich habe gesagt, dass ich Sie gern nach Hause bringe.“

Hugh hatte gehofft, sie heute Abend etwas näher kennenzulernen. Sie faszinierte ihn, seit er sie das erste Mal gesehen hatte. Emily war freundlich, aber zugleich auffallend zurückhaltend, und das nicht nur bei ihm. Sie unterhielt sich munter mit Kolleginnen und Kollegen und war ohne Zweifel eine ausgezeichnete Krankenschwester. Aber sie trug ihr Herz nicht auf der Zunge. Hugh wurde das Gefühl nicht los, dass sie etwas verbarg.

Bis heute Abend. Der kurze Blick, den sie ihm auf ihre Familie erlaubt hatte, machte Hugh erst recht neugierig. Er wollte mehr über sie erfahren.

„Emily!“

Beim Klang ihres Namens drehte sie sich um. Hugh hingegen seufzte still, als er sah, dass es Gina war, mit der Emily nach Hause fahren wollte.

Gestern erst hatte er gegenüber Alex und Dr. Eccleston, dem Chefarzt der Anästhesie, seine Bedenken geäußert. Wochenlang war er unentschlossen gewesen, schließlich hatte er mit Gina zusammen studiert. Sie waren gute Freunde, und er hatte immer auf sie aufgepasst.

Aber zuallererst musste er auf seine Patienten aufpassen.

Und heute Abend war er nicht sicher, ob Gina nicht getrunken – oder etwas anderes genommen hatte.

Auf keinen Fall wollte er, dass Emily zu ihr in den Wagen stieg. Angesichts des sensiblen Themas konnte er ihr natürlich nicht sagen, warum. Hugh sah nur eine Möglichkeit, sie davon abzuhalten.

„Ich bringe dich nach Hause.“

Das klang entschieden, dazu das vertrauliche Du … Überrascht sah Emily ihn an. Ihr Verstand riet ihr, schnellstens zu gehen, aber er verlor den Kampf.

Hugh würde sie küssen, und sie wollte es.

„Emily!“, rief Gina erneut, doch sie schien weit weg zu sein.

Sein Duft, der Emily schon bei der ersten Begegnung zu Kopf gestiegen war, stieg ihr in die Nase. Oh, wo war der perfekte Mann, wenn sie ihn brauchte? Der, der sie nicht so aufwühlte wie dieser …

Hugh beugte sich vor und berührte mit seinen festen Lippen ihren Mund. So sanft und warm, dass Emily sich ihnen fast ergeben hätte. Doch sie schaffte es, sie geschlossen zu lassen. Deshalb musste sie durch die Nase atmen, was bedeutete, dass sie seinen Duft noch stärker wahrnahm. Unwillkürlich suchte sie Halt an der Wand hinter ihr. Hugh hielt ihr Gesicht in beiden Händen, vertiefte seinen Kuss mit forschenden, drängenden Lippen, und da war es um Emily geschehen.

Hugh spürte es sofort. Hatten sie sich eben noch geküsst, versanken sie jetzt in einem lustvollen Rausch. Die Party verschwand im Hintergrund, nichts existierte mehr außer ihnen beiden. Wie von selbst glitten seine Hände zu ihren Hüften, und Emily löste sich von der Wand, presste sich erregt an ihn.

Im letzten Moment, bevor sie Gefahr liefen, ein öffentliches Ärgernis zu werden, setzte seine Vernunft ein, und Hugh ging auf Abstand.

Emily schmeckte ihn auf ihren Lippen, sah, wie seine feucht von ihrem Kuss glänzten, und hätte ihn am liebsten wieder geküsst. Aber sie widerstand.

Nicht etwa, weil Hugh ein schlimmer Kerl war, sondern weil er so gut war. Zu gut.

„Ich muss los“, brachte sie mühsam hervor und drängte sich an ihm vorbei.

Hugh versuchte, wieder zu Atem zu kommen und gleichzeitig nicht weiter darüber nachzudenken, dass sie ihn einfach hatte stehen lassen. Da hörte er, wie Louise zu ihr sagte, dass Gina schon gefahren sei, und musste ein Lächeln unterdrücken. „Sie meinte, du hättest beschäftigt ausgesehen.“

Emily wurde rot, aber nicht aus Verlegenheit, sondern weil sie wieder die Erregung spürte, als Hugh an ihrer Seite auftauchte.

„Lass uns gehen“, sagte er.

Sie hätte verlegen, peinlich berührt sein können, als sie neben ihm im Auto saß. Stattdessen fieberte sie dem entgegen, was da kommen mochte. Emily war dreiundzwanzig, und noch nie hatte ein Mann sie so verwirrt wie Hugh.

Während der Fahrt lag seine Hand auf ihrem Schenkel, und es machte ihr nichts aus, weil ihre auf seinem lag. Als er schließlich vor ihrem Haus den Motor abstellte und die Handbremse anzog, löste sie im selben Moment den Sicherheitsgurt. Sie konnte es kaum erwarten, wieder seinen Mund auf ihrem zu spüren.

„Emily …“ Er schob ihr die Hand unter den Rock, hielt jedoch dann inne. „Nicht hier.“

Sie sehnte sich danach, dass er mitkam, wollte dort weitermachen, wo sie vorhin aufgehört hatten …

Stattdessen riss sie sich zusammen. „Ich gehe jetzt rein …“

„Klar.“ Hugh, das sah sie ihm an, hätte es auch lieber gehabt, wenn sie ihn in ihre Wohnung gebeten hätte. Er schlug vor, nächste Woche zusammen essen zu gehen, wollte sie wiedersehen. Dass er die Hand immer noch zwischen ihren Schenkeln hatte, sagte ihr, dass das nächste Treffen definitiv im Bett enden würde.

Zeit, eine rote Linie zu ziehen.

„Hugh …“ Sie atmete hörbar aus. „Ich weiß nicht, ich …“ Wie konnte sie das Verlangen, das zwischen ihnen schwelte, ignorieren? Emily sah nur einen Ausweg: Sie musste zu einer Notlüge greifen. „Ich habe einen Freund.“

„Oh.“

„Gregory.“

„Okay, verstehe …“ Was natürlich nicht stimmte. Armer Gregory, dachte Hugh, als er seine Hand zurücknahm. Fünf Minuten später, und ich hätte ihr das Höschen ausgezogen.

„Er lebt in Schottland, und wir sehen uns nicht so oft wie …“

„Du musst es mir nicht erklären.“

Und so war das Phantom Gregory geboren.

Als ihr Vater und Donna sich am Neujahrstag trennten, erzählte sie Hugh nichts davon. Er bekam es nur mit, weil sie im Personalraum telefonierte und er gerade zur Tür hereinkam.

„Donna, ich verstehe, dass du auf meinen Vater nicht gut zu sprechen bist, aber was hat das mit mir zu tun? Wenn du mich nicht sehen möchtest, ist das okay für mich. Kann ich nicht trotzdem ab und zu mit den Zwillingen im Park spazieren gehen, ihnen ein Eis kaufen …?“ Sie wandte sich in dem Moment zu Hugh um, als Donna abweisend antwortete, dass sie damit auf keinen Fall einverstanden sei.

„Will sie nicht, dass du Kontakt zu den Kindern hast?“, fragte er, nachdem sie aufgelegt hatte.

„Nur, wenn sie bei meinem Dad sind, was nicht oft der Fall ist.“

„Darf sie dir das verbieten?“

„Ja, natürlich.“ Emily stand auf und wollte an ihm vorbeigehen, da griff er nach ihrem Arm.

„Emily?“

„Was ist?“

„Möchtest du …?“ Hugh wusste selbst nicht, was er ihr anbieten sollte.

Aber Emily wusste es. Ja, sie wollte in Tränen ausbrechen, wollte irgendwohin mit ihm, nicht, damit er sie aufmunterte, sondern um ihren Kummer mit ihm zu teilen.

Weil es dann nicht mehr so wehtun würde.

Emily blickte auf seine Finger, die ihr Handgelenk immer noch umfasst hielten. Oh, auch Hugh könnte ihr wehtun. Sehr, sehr wehtun.

„Ich finde schon einen Weg“, sagte sie. „Gregory spricht bestimmt noch einmal mit ihr.“

Sofort ließ Hugh ihre Hand los.

In den nächsten drei Monaten besuchte Emily regelmäßig ihre Mutter, und jedes Mal erfuhr Hugh davon. Als er sich irgendwann wunderte, warum Gregory nie nach London kam, da fand Emily ihren echten Mr. Perfect, und Gregory verschwand in der Versenkung.

Marcus war perfekt!

Dunkelhaarig, sehr ernsthaft, Sozialarbeiter am Krankenhaus und in seiner Freizeit begeisterter Wanderer. Sex fand samstags und gelegentlich dienstags statt, und Emily entwickelte bei ausgedehnten Wandertouren durchtrainierte Wadenmuskeln.

Fast zwei Jahre lang dauerte ihre perfekte Beziehung, bis sich eines Tages im Krankenhaus wie ein Lauffeuer eine pikante Neuigkeit verbreitete: Marcus war mit Heidi, der schwedischen Röntgenassistentin, in einem Lagerraum der Abteilung erwischt worden.

Hugh, der inzwischen zum leitenden Oberarzt aufgestiegen und derzeit mit Olivia befreundet war, erwartete das übliche Drama mit tränenreicher Bewältigung und verschämten Blicken im Personalraum. Es passierte … nichts.

Emily zuckte nur mit den Schultern und arbeitete einfach weiter.

Was für eine Frau!

Am folgenden Montag standen sie gemeinsam im OP, und Emily schaute auf, als der Herzmonitor Alarm schlug.

„Alles im Lot“, vermeldete Rory, der Anästhesist, und da hatte sich das Herz des Patienten bereits gefangen und schlug wieder gleichmäßig.

Alles unter Kontrolle, keine Dramatik – genau so liebte Emily es.

1. KAPITEL

„Ich will dort nicht arbeiten.“ Für Emily war die Sache sonnenklar.

Seit nahezu drei Jahren arbeitete sie bereits mit Hugh zusammen, und sie trafen sich in der Regel an den Montagen, um sich ausführlich auszutauschen. Auch heute saßen sie in der Mittagspause an ihrem Lieblingstisch.

„Du wärst aber genau die Richtige in der Notaufnahme“, meinte Hugh. „Außerdem ist es nur für drei Monate.“

„Okay, warum gehst du nicht für ein Vierteljahr auf die Entbindungsstation? Würdest du mir dann immer noch mit dem Argument kommen?“

„Stimmt auch wieder.“

„Ich spreche nachher mit Miriam. Mal sehen, ob ich das nicht irgendwie abbiegen kann.“

Miriam, die Leiterin der Intensivpflege, hatte im letzten Jahr beschlossen, das Personal in den verschiedenen Abteilungen rotieren zu lassen. Widerstrebend übernahm Emily drei Monate lang Dienst auf der Intensivstation und hoffte, dass sie danach wieder an ihren angestammten Platz zurückkehren konnte. Doch Miriam machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Das Personalkarussell drehte sich weiter, im Juni sollte Emily in der Notaufnahme arbeiten.

Ein beunruhigender Gedanke. Der OP-Trakt war ihr Zuhause, die Hektik und emotional aufgeladene Atmosphäre in der Notaufnahme dagegen bescherten ihr schon bei dem Gedanken daran ein flaues Gefühl im Magen. Entweder litt man ständig mit, wenn man sich Mitgefühl erlaubte, oder stumpfte aus reinem Selbstschutz gegen das Leid der Welt ab. Emily wusste nicht, was schlimmer war.

Da sie nicht vorhatte, Hugh die wahren Gründe für ihre Ablehnung anzuvertrauen, wechselte sie das Thema.

„Und, ist es wahr?“, begann sie. „Habt ihr euch getrennt, Olivia und du?“

„Ja.“

„Ich dachte, ihr wärt glücklich.“

„Waren wir auch“, antwortete Hugh. „Wenn wir zusammen waren.“

„Wie meinst du das?“

Hugh schwieg. Ja, sie waren glücklich gewesen. Jeder war überzeugt, dass sie großartig zueinander passten. Und tatsächlich hatte er in ihrer Beziehung gefunden, was er brauchte.

Bis auf zwei Punkte.

Zum einen war Olivia extrem eifersüchtig, und zum anderen …

Er blickte über den Tisch zu Emily, die ihr Croissant auseinanderbrach und schwarzen Pfeffer auf die Käse-Tomaten-Füllung rieseln ließ. Sie liebte schwarzen Pfeffer und hatte immer ein paar Tütchen in ihrer Kitteltasche.

Hugh kannte sie inzwischen sehr viel besser als vor drei Jahren.

Aber längst nicht gut genug.

„Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, Em“, begann er. „Mir ist schleierhaft, wieso Olivia jedes Mal halb durchgedreht ist, wenn ich abends länger gearbeitet habe oder beruflich unterwegs war …“

„Du hast eben einen gewissen Ruf.“ Obwohl sie sich gern mit Hugh unterhielt, so wollte sie gar nicht so viel über sein Privatleben, seine Freundinnen, die wilden Partys und seine häufigen Wochenend- oder Urlaubstrips hören.

Montage konnten eine Qual sein.

Tatsächlich hatte sie sie schon oft gefürchtet.

„Mag ja sein, aber wenn ich mit einer Frau zusammen bin, pflege ich treu zu sein …“ Hugh sah, wie Emily rot wurde. „Dann würde ich eine andere nicht einmal küssen.“

„Okay …“ Nervös schwieg sie. Von ihm aus betrachtet, hatte sie ihn geküsst, während sie mit Gregory zusammen war. Aber nach all den Jahren war es zu spät, ihm zu gestehen, dass es nie einen Gregory gegeben hatte. Und vor allem sicherer. Mit dem winzigen schwarzen Fleck auf ihrer Seele konnte sie leben, verschaffte er ihr doch Abstand zu Hugh. „Und? Was war schließlich der Auslöser für eure Trennung?“

„In zwei Monaten findet eine Konferenz statt, zu der Hadfield mich schicken will. Ich hatte es Olivia gegenüber nur flüchtig erwähnt. Die Sache ist nämlich die: Eine echte Chance auf den Chefarztposten habe ich nur, wenn ich teilnehme, und zwar hoch konzentriert. Leider kam Olivia auf die Idee, dass wir die Gelegenheit nutzen und uns dort einen netten Kurzurlaub gönnen sollten. Als ich nicht gerade begeistert reagierte, wurde sie misstrauisch, sagte, sie wüsste schon, warum ich sie nicht dabeihaben wollte …“

Hugh sah Emily in die Augen. „Als Chefarzt bin ich noch mehr gefordert als jetzt. Nenn mich egoistisch, aber meine Karriere ist mir sehr wichtig. Da kann ich nicht ständig eine eifersüchtige Partnerin beruhigen, die ohne Grund an mir zweifelt.“ Er schüttelte den Kopf. „Findest du das übertrieben?“

„Nein.“ Emily hatte schon vor langer Zeit von ihren Eltern gelernt, dass selbst Hunderte von Anrufen oder SMS nichts zu bedeuten hatten. „Wer betrügen will, findet immer einen Weg.“

Hugh verdrehte die Augen. „Tatsache ist, dass ich nicht betrüge, Em. Und um auf den Punkt zu kommen – Alex ist ziemlich aufgebracht, weil ich mit Olivia Schluss gemacht habe. Aber ich will diese Beförderung.“ Mit düsterer Miene fügte er hinzu: „Letztes Jahr wurde ich abgelehnt.“

„Autsch.“

„Mag sein, dass ich wirklich noch nicht so weit war, aber jetzt bin ich es definitiv.“

„Er kann dich nicht nach deinem Privatleben beurteilen.“

„Das würde er auch nie zugeben, aber er ist nun einmal der festen Meinung, dass ohne ein stabiles Familienleben im Hintergrund kein Chirurg zu wahrer Größe aufsteigen kann.“ Er schnitt eine Grimasse, und Emily lachte. „Ich möchte den Posten haben“, fügte er hinzu.

Alex war inzwischen Professor, eine Chefarztstelle war frei geworden, und Hugh konnte sich niemand anders vorstellen, mit dem er lieber zusammenarbeiten würde. Alex war ein bewundernswerter Mentor. Seine Technik und sein Wissen bei laparoskopischen Eingriffen waren phänomenal, und Hugh lernte tagtäglich Neues bei ihm.

„Dann benimm dich eben ein paar Monate. Das kann doch nicht so schwer sein.“

„Oh, das ist es, wenn man plötzlich wieder Single ist.“ Hugh leerte seine Tasse, stand auf und ging zurück an die Arbeit.

Gedankenverloren saß Emily noch eine Weile allein da. Hugh ist wieder solo.

In diesen Phasen konnte sie ihn nicht ausstehen. Oder vielmehr, sie konnte diese Phasen nicht ausstehen. Hugh arbeitete hart und feierte wild. Falls nicht montags im OP-Trakt darüber getratscht wurde, war das verdammte Facebook voll davon!

Emily wollte sich ebenfalls wieder an die Arbeit machen, da entdeckte sie Miriam, die gerade den Personalraum verließ. Statt ihr Geschirr abzuwaschen, stellte Emily beides rasch in die Spüle und eilte Miriam nach.

„Hast du kurz Zeit, Miriam?“

„Jetzt?“

„Ja, wenn es geht.“

Sie betraten Miriams Büro, und Emily setzte sich. Die Pflegedienstleiterin schenkte ihr ein dünnes Lächeln. „Ich kann mir schon denken, wo der Schuh drückt. Ich weiß, dass du nicht besonders erpicht darauf bist, in die Notaufnahme zu wechseln.“

„Weil ich hier lieber arbeite.“

„Emily, die Rotation zeigt erste Erfolge. Die Übergaben funktionieren besser, und es kommt allen zugute, dass sie mit den Abläufen in den verschiedenen Abteilungen vertraut sind.“

„Das verstehe ich, aber ich habe mich bewusst dafür entschieden, OP-Schwester zu werden.“

„Und eine sehr gute, die es hoffentlich weit bringen wird.“ Mehr sagte sie nicht, aber die Botschaft war klar: Wenn du weiterkommen willst, musst du kooperativ sein. „Es ist ja erst in ein paar Monaten“, fügte Miriam hinzu. „Zeit genug, dich an die Vorstellung zu gewöhnen.“

Genau das wollte Emily nicht. Sie hatte sich schon zu gut an die Arbeit im OP gewöhnt!

„Und, hast du bei Miriam Erfolg gehabt?“, fragte Hugh, als er Emily in Straßenkleidung aus den Umkleideräumen kommen sah. Er war ziemlich fertig, hatte seit heute Morgen um acht operiert und wollte nun nach seinen Patienten sehen.

„Nein.“ Emily atmete hörbar aus. „Wenn ich hier Karriere machen will …“

„Ha!“, unterbrach Hugh sie. „Sei froh, dass du nicht Alex zum Chef hast. Ich brauche erst eine Frau, um befördert zu werden.“

Gemeinsam gingen sie den Flur entlang. Hugh musste zur Intensivstation, Emily machte sich auf den Weg zum Ausgang. Für Hugh lag der nächste Montag gefühlt unendlich weit weg.

Wahrscheinlich war er der Einzige hier, der sich auf die Montage freute. Natürlich redeten sie auch in der Woche ab und zu miteinander, aber der Montag war ihr Tag, und Hugh vermisste Emily, wenn sie montags im OP stand.

Ja, er wollte mehr. Wollte einen hübsch gedeckten Tisch zwischen ihnen, mit Kerzenschein und leiser Musik und vorzugsweise einem Kellner, der nicht müde wurde, frisch gemahlenen Pfeffer auf Emilys Essen zu streuen.

„Ist dir aufgefallen, dass wir das erste Mal in den letzten drei Jahren gleichzeitig Single sind?“ Hugh beglückwünschte sich zu der eleganten Eröffnung.

„Keine Ahnung, wie es bei dir aussieht, aber bei mir soll es so bleiben“, bügelte sie ihn gnadenlos ab. „Nacht, Hugh, war schön, heute mit dir zu arbeiten.“

Hatte er etwas verpasst? Sprachlos blickte Hugh ihr nach. Strömte er einen unangenehmen Körpergeruch aus, den nur Emily riechen konnte?

Wir mögen uns doch!

Wir stehen aufeinander!

Das spürte er bei jeder Begegnung.

Warum blieb sie auf Abstand?

„Gibt es ein Problem?“ Alex war der verdatterte Gesichtsausdruck seines Kollegen nicht entgangen.

„Eher ein Rätsel“, antwortete Hugh. „Das ich zu lösen gedenke.“

Es wurde eine harte Nuss daraus. Emily schien ernsthaft Single bleiben zu wollen, und genau so verhielt es sich zwei volle Monate lang.

Bis Hugh beschloss, sich ein bisschen Hilfe zu holen.

„Kommst du auch zu Emilys Abschiedsfeier am Freitag?“, fragte Louise Hugh, und Emily hoffte, dass er Nein sagte. Eine Kleinigkeit zu essen im Imelda’s und hinterher ein paar Drinks, das war ihm sicher zu öde.

„Können wir die Tupfer zählen, bevor ich schließe?“, sagte Hugh anstelle einer Antwort.

Er lässt sich nicht ablenken, weil er ein brillanter Chirurg ist, dachte Emily. Hugh plauderte und scherzte gern, aber wenn es darauf ankam, war er voll konzentriert.

„Es ist keine Abschiedsfeier“, knüpfte er an die Frage wieder an, während er die Wunde zunähte. „Emily wechselt nur für drei Monate in die Notaufnahme. Aber ja, ich bin dabei. Alex und seine Frau wollen auch kommen, sofern sie einen Babysitter finden.“

„Es ist nichts Großes, nur ein paar Drinks …“, meinte Emily. Was zum Teufel hat Alex dabei zu suchen, ganz zu schweigen von seiner Frau? „Wie du sagtest, ist es ja gar keine richtige Abschiedsparty.“

Allerdings konnte es wirklich eine werden, was außer Emily bisher niemand wusste.

Bisher hatte sie ihre Kündigung nicht eingereicht, sondern sich eine Weile Bedenkzeit gegeben. Nächsten Mittwoch wollte sie für eine Woche nach Cornwall fahren. Falls sich dann in ihr immer noch alles dagegen sträubte, in der Notaufnahme zu arbeiten, würde sie kündigen.

„Wir werden dich vermissen“, sagte Hugh, und für einen Moment trafen sich ihre Blicke.

„Wann geht es los?“, wollte Louise wissen.

„Mittwoch. Eine volle Woche, die ich mit Nichtstun, Wandern und Lesen verbringen darf. Ich kann es kaum erwarten!“

„Es ist ganz nettes Wetter angesagt.“ Louise lächelte.

„Das heißt, es regnet“, kommentierte Hugh trocken.

„Das macht mir nichts. Ich möchte nur lesen, am Strand spazieren gehen und entspannen.“

„Tja, das wirst du brauchen, bevor du in der Notaufnahme anfängst“, meinte Louise.

„Wie sieht es aus, Rory?“, wandte sich Hugh an den Anästhesisten, als ein paar Geräte Alarm schlugen.

„Alles gut. Wie lange brauchst du noch?“

„Bin fertig.“

Im Personalraum trafen sie sich wieder. Emily holte ihr Lunchpaket aus dem Kühlschrank, und Hugh wollte sich gerade an den Tisch setzen, da klingelte sein Pager.

„Verdammt, ich wollte mit dir reden.“

„Das hat doch sicher Zeit.“

Hugh überlegte, während er auf den Anruf antwortete. Emily hatte recht. Sein Anliegen konnte noch ein bisschen warten und wurde am besten beim Wein besprochen!

„Kann ich dich Freitagabend für zehn Minuten sprechen?“

„Worum geht es?“ Verwundert blickte sie ihn an.

„Ich weiß, dass du beschäftigt sein wirst, aber ich möchte dich etwas fragen – unter vier Augen.“

„Was denn?“

„Nicht hier.“

„Hast du wieder Ausschlag?“, neckte Emily.

„Haha.“

Beide grinsten, als sie sich an den Tag erinnerten, an dem Hugh große Schwierigkeiten gehabt hatte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Als Instrumentierschwester entging ihr nicht, dass Hugh schwer atmete, dass sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten und er unruhig von einem Fuß auf den anderen trat. Kaum war der Eingriff beendet, flüchtete er buchstäblich aus dem OP-Saal. Kurz darauf ging sie am Männerumkleideraum vorbei. Die Tür öffnete sich, und sein gequältes Gesicht erschien am Türrahmen.

„Emily …“, zischte er. „Ich brauche Antihistamine!“

„Was?“

„Sofort. IM …“

„Eine Spritze?“

Statt einer Antwort hob Hugh das Handtuch leicht an, und Emily starrte überrascht auf die knallroten nesselfieberartigen Quaddeln, die sich über eine Gesäßhälfte zogen.

„Glaub mir, Emily, das ist nicht die schlimmste Stelle.“

„Ich will den Rest gar nicht sehen.“

Du meine Güte! Emily beschaffte Injektion und eine Cortisonsalbe, die er sich selbst auftragen konnte, und verabreichte ihm die Spritze intramuskulär.

Glücklicherweise beruhigte sich seine Haut, und sie konnten mit der OP-Liste weitermachen. Nur Emily hatte etwas Mühe, nicht immer wieder daran zu denken, dass er unter der OP-Kleidung splitternackt war.

„Was werde ich nur ohne dich machen?“, fragte er jetzt lächelnd, in Gedanken bei jenem Tag.

„Dir selbst Antihistamin spritzen.“

Hugh lachte. „Wenn wir uns vorher nicht mehr sprechen, sehen wir uns Freitag.“

„Okay.“

Am frühen Freitagabend machte sie sich in der Personalumkleide für den Umtrunk im Imelda’s fertig, einer gemütlichen Bar, wo es die köstlichsten Kleinigkeiten zu essen gab und am Wochenende Livemusik.

Allerdings war sie hundemüde, bevor der Abend überhaupt angefangen hatte. Was sie nicht zu zeigen versuchte, da die Leute ihretwegen dorthin kamen.

Emily schlüpfte in Bleistiftrock und Bluse, Louise in ein eng anliegendes rotes Kleid und High Heels. Die beiden Frauen waren inzwischen gute Freundinnen geworden.

Louise sah umwerfend aus, vor allem, nachdem sie sich die Lippen tiefrot geschminkt hatte.

„Flittchen“, neckte Emily.

„Aber ein glückliches.“ Louise lächelte.

„Wirklich?“, hakte Emily nach. Louise hatte eine aufwühlende Trennung hinter sich und war oft gedrückter Stimmung gewesen. Inzwischen schien sie sich gefangen zu haben.

„Sagen wir, auf dem besten Weg dahin. Komm!“

Sie verließen den OP-Trakt und waren erst ein paar Schritte gegangen, als ihnen Anton entgegenkam, der italienische Gynäkologe und Geburtshelfer. Neu am Krankenhaus und atemberaubend gut aussehend, flogen ihm die weiblichen Herzen nur so zu.

„Hi, Anton.“ Louise lächelte. „Guten Abend. Wir sind auf dem Weg ins Imelda’s – es werden einige von uns dort sein.“ Wieder lächelte Louise, ein süßes Lächeln, das mit den roten Lippen jedoch einladend lasziv wirkte.

Anton erwiderte es nicht. „Ich arbeite“, sagte er knapp und marschierte davon.

„Das war ja sehr subtil“, meinte Emily.

„Er ist neu hier, ich habe nur meine soziale Pflicht getan. Junge, ist der heiß. Möchtest du ihn nicht auch beim Stethoskop packen und daran hochklettern?“

„Nein.“ Emily lachte. „Kein bisschen. Ist mir zu launisch.“

Sie hatten ein Hinterzimmer der Bar reserviert, es herrschte eine ausgelassene Stimmung, und Emily genoss die Gesellschaft von Freunden und Kollegen. Hugh war noch nicht da, was vielleicht gar nicht so schlecht war. Sie wollte nicht seiner neuesten Flamme gegenüberstehen.

Er hatte bestimmt eine.

Zwei Monate Single, das war für Hugh absoluter Rekord. Oder genoss er seine Freiheit, indem er von einem Bett ins andere stieg? Die Gerüchteküche blieb kalt.

Emily saß zwischen Louise und Alex’ Frau Jennifer, und es stellte sich heraus, dass Louise eigene Neuigkeiten hatte.

„Die nächste Abschiedsparty ist meine“, verkündete sie. „Ich wechsele auf die Entbindungsstation.“

„Wann hast du das beschlossen?“

„Gewünscht habe ich es mir schon lange. Ich kann es kaum erwarten, dort anzufangen.“

„Es hat nicht zufällig etwas mit einem gewissen Anton zu tun?“ Emily lächelte vielsagend.

„Du liebe Güte, nein! So oberflächlich bin ich nicht.“ Das verführerische Kleid und die roten Lippen durften nicht darüber hinwegtäuschen, dass Louise ihre Arbeit sehr ernst nahm. „Ich brauche Veränderung. Die Kaiserschnitte im OP habe ich am liebsten, aber in letzter Zeit reicht mir das nicht mehr. Ich möchte bei den Müttern und ihren Winzlingen sein.“ Sie lächelte Emily an. „Du magst die kühle, ruhige Atmosphäre im OP, oder?“

„Ja.“

„Und ich will da raus.“

„Hast du es Miriam schon gesagt?“

„Noch nicht.“ Louise verzog das Gesicht. „Ich habe mich noch nicht um eine Stelle beworben, sondern strecke erst mal die Fühler aus. Miriam wird sicher nicht begeistert sein, in letzter Zeit sind schon einige abgesprungen.“

„Das hätte sie sich überlegen müssen, bevor sie die Messlatte für eine Beförderung höherhängte.“ Als Louise den Mund öffnete, um etwas zu sagen, fuhr sie fort: „Wenn mir jetzt noch jemand sagt, wie toll ich bin, und dass mir die Beförderung nur so zufliegen wird, kann ich für eine freundliche Antwort nicht garantieren!“

„Dann schweige ich lieber und hole dir stattdessen etwas Feines zu trinken“, meinte Louise vergnügt.

Hugh erschien, als der Nachtisch serviert wurde. Emily saß mit Alex und Jennifer zusammen. Er kam zu ihnen und gab ihr einen Kuss, was sie ein bisschen überraschte. Aber schließlich war es ihre Abschiedsfeier.

„Tut mir leid, dass ich nicht eher kommen konnte …“

„Macht doch nichts.“

„Ich wurde auf der Intensivstation aufgehalten …“

„Ehrlich, Hugh, es ist okay.“ Warum machte er so einen Wirbel? Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen sahen nur auf einen kurzen Drink vorbei.

„Ich bringe dir etwas zu trinken“, bot er an.

„Danke, ich möchte nichts“, sagte sie, doch er war schon auf dem Weg zur Bar.

Gleich darauf kehrte er mit einem Prosecco zurück, und Emily seufzte. Heute Abend schien jeder ihr einen ausgeben zu wollen, sodass sie schon mehr Prosecco und Sekt intus hatte, als ihr lieb war. Abgesehen davon, war sie Alkohol nicht gewohnt, weil sie selten trank.

„In ein paar Wochen wirst du hier auf den Tischen tanzen“, meinte Hugh und quetschte einen Stuhl in die schmale Lücke zwischen Louise und Emily.

„Wieso?“

„Morgen Abend feiert die Truppe von der Notaufnahme hier Ginas Dreißigsten. Glaub mir, verglichen mit der Bande ist die OP-Clique zahm wie eine Herde Lämmer.“

Emily ging zu Connor, einem der OP-Pfleger, aber Hugh folgte ihr wie eine lästige Wespe und wich ihr nicht von der Seite, als hätte er sich plötzlich in einen liebeskranken Teenager verwandelt. Bald fiel er ihr auf die Nerven.

„Was ist los, Hugh?“, fuhr sie ihn an.

„Kann ich jetzt meine zehn Minuten haben?“

Seufzend wandte sie sich ihm zu. „Okay.“

„Draußen.“

„Hugh, das ist meine Abschiedsfeier, ich werde jetzt nicht …“

„Nur zehn Minuten.“

Emily drängte sich durch die Menge nach draußen.

„Ich möchte dich etwas fragen“, begann Hugh. „Erinnerst du dich, wie ich dir sagte, dass wir beide Single sind? Möchtest du, dass wir es miteinander versuchen?“

Seine Direktheit machte sie für einen Augenblick sprachlos.

„Nein“, sagte sie dann.

„Darf ich wissen, warum nicht?“

„Ich muss dir keinen Grund nennen.“ Sie wollte wieder ins Haus gehen, doch Hugh griff nach ihrem Arm.

„Neun von meinen zehn Minuten habe ich noch.“

„Dann nutze sie weise.“

„Gut.“ Hugh holte tief Luft. „Zweite Frage. Könntest du dir vorstellen, so zu tun, als wären wir zusammen?“

„Wie bitte?“

„Ich möchte den Chefarztposten haben. Alex mag dich …“

„Das ist das Albernste, was ich je gehört habe. Er wird im Handumdrehen herausfinden, dass du lügst.“

„Nicht, wenn wir es klug anstellen.“

„Nein.“

„Nenn mir einen guten Grund, der dagegen spricht.“

Das leicht zerzauste blonde Haar fiel ihm in die Stirn, seine grünen Augen blitzten, als er lächelte. Hugh bot das Bild eines selbstbewussten Mannes, der nicht begriff, wie jemand die Chance ausschlagen konnte, seine – wenn auch vorgetäuschte – Freundin zu sein.

„Du weißt, wie Alex ist“, fuhr er beschwörend fort. „Zwar hat er es noch nicht ausgesprochen, aber die Sache ist klar. Er möchte sicher sein, dass Schluss ist mit wilden Partys, bevor er mir die Chefarztstelle gibt.“

„Aber du hast noch nicht damit Schluss gemacht“, betonte Emily.

„Könnte ich aber für die nächsten zwei Monate.“

„Ich vergeude nicht zwei Monate meines Lebens, um deine Alibi-Freundin zu spielen …“

„Sollst du auch nicht“, unterbrach Hugh sie. „Alles, worum ich dich bitte, sind ein paar Samstagabende und gelegentlich deine Begleitung zu Hochzeitsfeiern und so. Ich könnte am Wochenende nach Cornwall kommen, und wir setzen ein paar Fotos in die Welt. Da du zurzeit solo bist, könnte es …“ Er zögerte.

„Rede ruhig weiter.“

„… Spaß machen.“

„Ach ja?“ Emily hatte Mühe, ein ungläubiges Lachen zu unterdrücken. „Wie denn, zum Beispiel?“

„Nun …“ Hugh besaß wenigstens den Anstand, verlegen zu wirken. „Du hast doch gesagt, dass dein Urlaub etwas langweilig …“

„Nein, das habe ich nicht“, berichtigte sie ihn. „Ich sagte ‚sehr ruhig‘, was irgendwo zwischen hier …“ Sie tippte sich auf die Lippen. „… und dort …“ Sie tippte gegen seine Stirn. „… von dir mit ‚langweilig‘ übersetzt wurde. Eine Woche wohlverdientes Nichtstun in einem Cottage ist nicht langweilig, Hugh.“

„Vor allem nicht, wenn ich vorbeikomme.“ Er grinste frech.

„Müsste ich mit dir schlafen? Ist bei deiner kleinen Scharade Sex inbegriffen?“

„Wenn du möchtest“, antwortete er, überrascht, dass Emily das Thema direkt ansprach. „Meine Freundin zu sein, hätte für dich gewisse Vorteile …“

„Dein Ego ist grenzenlos.“

„Denk darüber nach, Emily.“

„Habe ich schon.“ Sie schickte sich an, wieder ins Haus zu gehen. „Die Antwort ist Nein.“

„Ach, komm, Emily …“

„War das der Grund für deinen Begrüßungskuss und die wortreiche Entschuldigung? Und dafür, dass du wie eine Klette an mir geklebt hast?“

„Ja.“

„Eins solltest du wissen.“ Sie beugte sich vor. „Wir wären nicht lange zusammen, wenn du mir auf Schritt und Tritt folgen würdest.“

„Ich weiß.“ Hugh lachte. „Ich wollte nur Alex signalisieren, dass da zwischen uns etwas laufen könnte. Ich bin mir selbst auf die Nerven gegangen.“

Plötzlich kämpfte sie mit den Tränen. Seine falsche Freundin. Oh, verflucht, dachte Emily. Sie wünschte sich, es wäre ihm ernst gewesen.

Verdammt, Hugh!

Nach der Trennung von Markus war es ihr nicht schwergefallen, nach vorn zu blicken, aber über Hugh hinwegzukommen … Emily stellte sich vor, wie es wäre, als seine Ex mit ihm zusammenzuarbeiten – auch wenn es nur eine vorgetäuschte Ex war.

Hör auf, ermahnte sie sich. Denk jetzt nicht daran. Erleichtert stellte sie fest, dass die Leute allmählich aufbrachen. Sie konnte also auch gehen. Hughs seltsames Angebot hatte sie durcheinandergebracht, und sie wollte nur noch nach Hause.

Hugh allerdings hatte andere Vorstellungen.

Als sie die Bar verließ, hörte sie ihn rufen.

„Emily …“ Er griff nach ihrem Arm. „Hast du darüber nachgedacht?“

„Wie bitte?“

„Du weißt schon …“ Er schob sie weg vom Licht der Straßenlaterne. „Worüber wir vorhin gesprochen haben.“

„Du kennst meine Antwort.“

„Ach, komm, Emily, es wird bestimmt nett.“

„Und wie?“ Sie stand vor ihm im Schatten der Bäume. Ein Taxi fuhr langsam heran, und ihre Freunde riefen ihr zu mitzukommen. Im selben Moment verließen auch Alex und Jennifer das Imelda’s.

Hugh nutzte den Augenblick, um sie auf den Hals zu küssen. „Das ahne ich einfach“, sagte er zwischen zwei federleichten Küssen.

„Oder du willst nur deinen Ruf verteidigen.“ Emily wollte sich nicht eingestehen, wie erregend sich sein Mund auf ihrer Haut anfühlte oder seine warmen Hände auf ihrer Taille. Hugh tupfte zarte Küsse auf ihre Wange, und die Sehnsucht, seine Lippen auf ihren zu spüren, wurde stärker. Bevor sie ihr nachgab und Hugh ins nächste Taxi und dann die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer zerrte, musste sie einen Grund finden, warum es mit ihnen nicht klappen würde.

„Ich kann das nicht!“, stieß sie hervor.

„Warum nicht?“

„Weil ich … Weil …“ Denk nach, Emily, sag ihm, warum es unmöglich ist! Und plötzlich fand ihr von Prosecco und Hughs Nähe umnebeltes Gehirn die Lösung. „Weil ich dich nicht mag!“

Hugh grinste nur.

„Nein, wirklich, ich meine es ernst. Ich bin gar nicht so gern mit dir zusammen, also …“ Sie sah, wie er die Stirn runzelte, und fuhr hastig fort. „Während der Arbeit ist das etwas anderes, es gehört zu meinem Job, aber sonst …“

„Okay.“ Er trat einen Schritt zurück.

„Du wolltest einen Grund hören, einen guten Grund …“

„Ich hab’s verstanden“, unterbrach er sie.

Emily schloss die Augen, als ihr klar wurde, dass sie sich unmöglich verhalten hatte. Sie zwang sich, Hugh wieder anzublicken, und holte tief Luft. Sie musste sich entschuldigen.

Doch wie?

Wie sollte sie erklären, dass sie nicht gern mit ihm zusammen war, weil es sie kribbelig machte? Wie sollte sie ihm gestehen, dass es ihr Angst machte, wie sehr sie sich danach sehnte, ihn leidenschaftlich zu küssen?

„Hugh …“

„Schon okay.“

Sie gingen zum Taxistand, und Hugh blieb vor einem Wagen stehen, hielt ihr die Tür auf.

„Hugh …“, versuchte sie es noch einmal, als sie eingestiegen war.

„Nacht, Emily.“ Er schloss die Tür.

Emily hätte sich treten können. Klar, sie war in Panik geraten, als er sie küssen wollte. Aber musste sie ihn deshalb so grob behandeln? Sie nahm sich vor, sich am Montag zu entschuldigen. Vielleicht sogar ehrlich erklären, warum sie sich so verhalten hatte.

Sie bezahlte den Taxifahrer und eilte ins Haus. Zum ersten Mal war sie verunsichert. Ihre Entschlossenheit, sich nicht mit Hugh einzulassen, bröckelte wie loses Mauerwerk. Emily wollte den Gefühlen, die er in ihr weckte, nachspüren, sehen, wohin sie führten. Auf der anderen Seite wusste sie, dass Hugh sich nicht lange mit ihr abgeben würde. Nicht ein Mann wie er, der die Frauen wechselte wie seine Hemden.

Sollte sie es wagen, das Risiko eingehen?

Ja, es wurde Zeit.

Emily startete ihren Computer und rief Hughs Facebook-Profil auf. Noch während sie überlegte, ob sie nicht doch bis morgen warten sollte, sah sie, dass sie eine Nachricht von ihrem Dad hatte.

Emily, telefonisch konnte ich dich nicht erreichen. Ich habe gute Neuigkeiten, zwei, um genau zu sein.

Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie las, dass ihr Vater wieder heiraten würde. Und zwar bald, weil – Überraschung! – Cathy schwanger war.

Ein kleiner Bruder oder eine kleine Schwester für dich.

Sie war heilfroh, dass sie seinen Anruf verpasst hatte. Sie hätte nicht garantieren können, ihn nicht anzuschreien!

Würde es sich genauso abspielen wie mit den Zwillingen? Emily sehnte sich danach, die beiden Kinder zu sehen, aber es ging nicht um die Blutsverwandtschaft. Zu all den Freundinnen ihres Vaters und deren Kindern hatte sie Beziehungen aufgebaut, nur um sie wieder loslassen zu müssen, sobald ihr Vater sich von ihnen trennte. Und mit den Freunden ihrer Mutter war es genauso.

„Ich will nicht zu deiner Hochzeit kommen!“, sagte sie laut, während sie auf das Display starrte. Aber natürlich würde sie den Schein wahren und hingehen, vor allem in der Hoffnung, die Zwillinge zu sehen.

Falls Donna es zuließ, dass sie dabei waren.

Das war der Grund, warum sie vorsichtig war. Der Grund, warum sie niemanden nahe an sich heranließ.

Sie checkte ihren Terminkalender. Morgen hatte ihre Halbschwester Abby Geburtstag. Obwohl sie ein Geschenk hingeschickt hatte, postete sie eine Nachricht auf der Timeline ihrer Mutter. Danach scrollte sie durch die eingestellten Fotos, sah Abby lächelnd zusammen mit Kindern ihres Dads aus einer früheren Beziehung. Ein Wald bot nicht genug Holz, um Emilys Stammbaum abzubilden!

Und jedes Mal, wenn ihre Mutter oder ihr Vater eine neue Liebe entdeckten, erzählten sie Emily, dass es diesmal die größte ihres Lebens war!

Dessen waren sie sich völlig sicher.

Bis es vorbei war …

Emily erlaubte sich einen einzigen Blick auf Hughs lächelndes Profilfoto und klickte Facebook weg.

Eine Beziehung zu Hugh Linton war gleichbedeutend mit Desaster. Sie tat gut daran, auf eine Kostprobe zu verzichten!

2. KAPITEL

Zum ersten Mal freute sich Hugh nicht auf den Montag.

Was nicht nur an seinem nicht gerade aufbauenden Abschied von Emily lag!

Die Party mit den Kolleginnen und Kollegen von der Notaufnahme war tatsächlich ein bisschen wild geworden, und Hugh hatte wieder einmal bei Gina Feuerwehr spielen müssen.

Gestern war er zu ihr gegangen, um mit ihr zu sprechen. Sie bemühte sich sehr, ihn davon zu überzeugen, dass sie gar nicht so viel getrunken hätte, und außerdem sei sie nicht die Einzige gewesen, die zu tief ins Glas geschaut hatte.

Das stimmte.

Und natürlich war es ihr dreißigster Geburtstag gewesen.

Trotzdem war sich Hugh nicht sicher, ob nicht doch mehr dahintersteckte.

Vor drei Jahren hatte er Alex und dem Leiter der Anästhesie gegenüber seine Bedenken geäußert. Man nahm seine Sorgen sehr ernst, und Gina heulte sich bei ihm über den Unbekannten aus, der ihre Karriere bedrohte.

Danach passierte nichts weiter, was bei Hugh regelmäßig Gewissensbisse auslöste. Hatte er übertrieben reagiert? Gina war eine hervorragende Ärztin, und das stellte sie täglich unter Beweis.

In letzter Zeit schien sie die Dinge allerdings wieder schleifen zu lassen.

Als er zur Arbeit fuhr, rief seine Schwester an.

„Ist alles okay?“, fragte er besorgt.

„Natürlich, wieso?“

„Es ist noch nicht einmal sieben.“

„Ich weiß, dass du um diese Zeit ins Krankenhaus fährst, und wollte dich nicht während der Dienstzeit stören.“

„Du kannst jederzeit anrufen, Kate.“

„Hugh, kannst du bitte den Sozialarbeitertonfall abstellen? Nur weil ich ein Baby bekommen habe, bin ich nicht betreuungsreif.“

Du hast leicht reden, dachte Hugh und hielt an einer roten Ampel. Vor drei Jahren hatte er Emilys Ratschlag befolgt und Kate praktisch zum Arzt geschleppt. Und trotzdem beschäftigte ihn noch immer, was in Kates dunklen Teenagerjahren passiert war.

„Weswegen rufst du an?“, fragte er.

„Wir haben einen Termin für Billys Taufe festgelegt. Ende Juni.“

Hugh zog eine Grimasse, als sie ihm das Datum nannte. Ziemlich sicher hatte er an dem Wochenende Dienst, und er hatte bereits einmal getauscht – wegen einer Hochzeit, die er unter keinen Umständen verpassen wollte. Um solche Situationen zu vermeiden, hatte er Kate, als sie von der Planung für die Taufe sprach, eine Liste der Tage gegeben, an denen er nicht konnte.

„Da kann ich …“, begann er, aber Kate unterbrach ihn sofort.

„Wir möchten gern, dass du Taufpate wirst.“

„Oh!“ Zuerst wusste Hugh nicht, was er sagen sollte, und dann sagte er das Richtige: „Das freut mich sehr.“

Also musste er hingehen. Hugh unterdrückte ein Seufzen. Er liebte seine Schwester und seine Neffen sehr, nur das Timing dieser Taufe war denkbar ungünstig. Wie zum Henker sollte er um einen zweiten freien Sonntag bitten?

„Bringst du jemanden mit?“, wollte Kate wissen.

„Wahrscheinlich nicht.“

„Das muss ich wissen, für das Restaurant.“

„Dann nein.“

„Hugh?“, hakte seine Schwester nach. Anscheinend war ihr der knappe Unterton nicht entgangen.

„Ist gerade nur ein wunder Punkt.“

„Ich dachte, Olivia und du seid endgültig getrennt.“

„Sind wir auch. Von meiner Seite aus jedenfalls.“

„Ruft sie immer noch an?“

„Ab und zu.“

„Was ist dann der wunde Punkt?“

„Ich muss aufhören, Kate. Im Lauf der Woche rufe ich an. Und danke, dass ich Pate sein darf, das bedeutet mir sehr viel.“

Das stimmte tatsächlich.

Hugh fuhr auf den Mitarbeiterparkplatz und entdeckte Emilys Wagen. Ein eher seltener Anblick. Meistens nutzte sie die öffentlichen Verkehrsmittel.

Und da war der wunde Punkt.

Er glaubte einfach nicht, dass Emily ihn nicht leiden konnte. Hugh wusste, dass sie ihn mochte.

Und er mochte sie.

Vom ersten Tag an. Hugh mochte starke, unabhängige Frauen, und Emily gehörte auf jeden Fall dazu. Besonders anziehend fand er, dass sie sich trotz ihrer Unabhängigkeit ihre Weiblichkeit bewahrt hatte.

„Hugh!“

Er drehte sich um und wartete, bis sein Chef ihn eingeholt hatte. „Hi, Alex, hattest du ein schönes Wochenende?“

„Ein sehr schönes!“, antwortete Alex, während sie zum Eingang gingen. „Jennifers Mutter ist zu Besuch gekommen und hat sich bereit erklärt, den Sommer bei uns zu verbringen.“

„Und das sind gute Neuigkeiten?“ Hugh lächelte. Gehörte ein ausgedehnter Schwiegermutterbesuch nicht zu den Horrorvorstellungen aller Ehemänner?

„Ja, wirklich. Ich war so sehr mit Arbeit und Forschung beschäftigt, dass ich das Familienleben etwas vernachlässigt habe. Jennifer und ich haben endlich darüber geredet, und mit Unterstützung meiner Schwiegermutter können wir meine freien Tage besser für uns nutzen. Jennifer braucht eine Pause.“

Hugh blickte zu ihm hinüber. Er bewunderte Alex. Von Kleinkindern bis zu Teenagern, der Mann wurde mit allen fertig, engagierte sich zuverlässig in Lehre und Forschung und war als verantwortungsvoller, hart arbeitender Chefarzt bekannt. Es verging kein Tag, an dem Hugh nicht von ihm lernte – nicht nur im OP-Saal.

„Du musst an allem arbeiten, wenn du erfolgreich sein willst“, meinte Alex. „Und ich meine nicht nur das, wofür du ein Gehalt beziehst.“

Hugh konnte nicht einschätzen, ob das eine feine Anspielung auf seine Trennung von Olivia sein sollte. Andererseits überraschte es ihn sehr, dass Alex ihm freimütig davon erzählte, dass bei ihm der Haussegen in Schieflage geraten war. „Nun, dann wünsche ich dir und deiner Frau einen herrlichen Sommer“, sagte er.

„Werden wir haben“, entgegnete Alex. „Jetzt bin ich erst einmal mit Clem zum Frühstück verabredet. Wir sehen uns im OP.“

Emily hatte sich auch nicht besonders auf den Montag gefreut.

Sie betrat den Aufenthaltsraum und fand Hugh an dem Tisch, wo sie montags immer saßen. Nachdem sie sich einen Kaffee genommen hatte, ging sie zu ihm.

„Was ich da neulich Abend gesagt habe …“, begann sie, wurde aber gleich unterbrochen.

„Dein Dienst fängt erst in zehn Minuten an. Du brauchst also noch nicht mit mir zu reden.“

„Hugh, das war ein Missverständnis.“

„Ich finde, du hast dich klar ausgedrückt.“

„Ich mag dich“, gestand sie mit roten Wangen. „Nur nicht … auf diese Art.“

„Okay.“

„Und wenn wir anfangen würden, miteinander auszugehen …“ Sie schüttelte den Kopf, während sie nach den richtigen Worten suchte. „Nächsten Monat heiratet mein Dad. Willst du dir den Zirkus wirklich antun? Er wird nämlich von uns erfahren und dich auch einladen.“

„Wieso?“

„Weil er mir auf Facebook folgt. Mum übrigens auch. So kommunizieren wir miteinander.“

„Fein.“ Als er sie anblickte, las sie in seinen Augen, wie verletzt er war. „Wir sehen uns im OP.“

„Hugh!“, rief sie ihm nach, bevor er das Zimmer verließ. „Heute bin ich nicht im OP, sondern auf der Anästhesie.“

„Dein Dienstplan geht mich nichts an.“

„Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich nicht meide, sondern als Vertretung einspringe und deshalb nicht im OP bin.“

Ohne zu antworten, verschwand Hugh in den Flur.

Was für ein Durcheinander, dachte Emily, während sie sich auf den Weg ins Narkosezimmer machte. Es war ein kleiner Raum, von dem aus man in zwei OP-Säle gelangte. Hier wurde der Patient in Tiefschlaf versetzt und intubiert.

Heute Vormittag gab es viel zu tun. Zuerst war Ernest Bailey an der Reihe, ein langer, komplizierter Eingriff, dann zwei geplante Kaiserschnitte und anschließend eine weitere Operation.

Emily lächelte, als sie sah, dass Rory Dienst hatte. Er bereitete gerade die Narkose vor, natürlich außer Sichtweite des Patienten. Sobald er damit fertig war, hatten sie ein paar Minuten Zeit für einen Plausch.

„Ich dachte, ich arbeite heute mit Gina zusammen“, meinte Emily.

„Und ich dachte, ich hätte Montag frei.“ Rory erzählte, dass man ihn in den frühen Morgenstunden angerufen hätte. „Gina hat sich krankgemeldet – ich glaube, sie hatte Samstagabend zu viel Hugh.“

Emily verdrehte die Augen … wahrscheinlich hatte sich Hugh ins Zeug gelegt, um sie zu überreden, Alex für ein paar Monate etwas vorzuspielen.

Oder die beiden hatten wirklich etwas miteinander.

Sie biss sich auf die Lippe und studierte die OP-Liste. Es half nicht, die Eifersucht zu unterdrücken. Aber sie erinnerte sie daran, was sie erwartete, wenn sie sich mit Hugh einließ!

Trotz allem und nach dem, was sie zu ihm gesagt hatte, war er ein Freund, und den wollte sie nicht verlieren.

Rory erklärte Emily gerade, dass Ernest nach der Operation auf die Intensivstation käme, da betrat Hugh den Raum.

„Er ist noch nicht hier“, sagte Emily, weil sie dachte, er wäre hier, um wie üblich mit dem Patienten kurz vor der Narkose ein paar Worte zu wechseln.

„Ich weiß“, antwortete Hugh. „Er braucht noch etwas mehr Zeit, um sich von seiner Frau zu verabschieden. Der alte Herr möchte sich nicht wirklich operieren lassen, aber seine Frau hat ihm gesagt, dass sie mit ihm noch Goldene Hochzeit feiern möchte …“ Er unterbrach sich, als der Patient hereingerollt wurde. „Guten Morgen, Mr. Bailey“, begrüßte er ihn freundlich. „Wie geht es Hannah?“

„Aufgeregt.“

„Und wie fühlen Sie sich?“

„Durstig!“, kam die nächste knappe Antwort, während Hugh sich die Markierungen ansah, die er auf Ernests Bauch gemacht hatte. „Wann kann ich eine Tasse Tee haben?“

„Das wird noch ein Weilchen dauern. Nach der Operation besuche ich Sie erst im Aufwachraum und später auf der Intensivstation.“

Bald darauf war er unter Narkose, und Emily rollte ihn in den OP, um danach zurückzukehren und das Zimmer auf den nächsten Patienten vorzubereiten.

„Guten Morgen“, sagte sie, als Anton und Declan, ein Kollege von Rory, hereineilten.

„Kleine Planänderung.“ Der Anästhesist lächelte – im Gegensatz zu Anton, der direkt zur Sache kam.

„Wir schieben eine Entbindung im OP dazwischen“, erklärte er. „Hinterher die beiden Kaiserschnitte.“

Er marschierte los, um sich fertigzumachen, und Emily warf Declan einen ironischen Blick zu. „Nett von der Entbindungsstation, dass sie uns auch informieren“, sagte sie, als im selben Moment das Telefon klingelte. Es war die Entbindungsstation – mit genau der Information.

Bald darauf drangen Schreie und Stöhnen aus dem OP, die werdende Mutter machte es sich nicht leicht. Louise war in ihrem Element, Emily zuckte bei jedem Schrei zusammen, und Rory lachte, als Hugh nach seiner OP erschien und trocken bemerkte: „Nette Hintergrundmusik. Ich will nur eben mit Ernests Frau sprechen und schnell etwas trinken. Ich habe schon Bescheid gesagt, dass sie den nächsten Fall bringen können.“

„Bei Mr. Bailey hat es gar nicht so lange gedauert“, meinte Emily.

„Es lief besser als erwartet, ich musste keine Kolostomie durchführen. Darüber wird er sehr froh sein.“

Ein durchdringender Schrei ertönte, was Rory wieder zum Lachen brachte, als er Emilys Gesichtsausdruck sah. „Ist das mit PDA?“, fragte sie ihn ungläubig.

„Anscheinend wollte sie keine Medikamente, also auch keine Rückenmarkspritze.“ Rory spähte durch das Fenster in den OP. „Declan ist allerdings gerade reingegangen. Vielleicht hat sie ihre Meinung geändert. Nein, sieht so aus, als müsste Anton die Zange benutzen.“

„Oje …“, murmelte Emily.

„Geburten sind nichts für dich, liebreizende Emily?“, fragte Rory, dem anscheinend nicht entgangen war, dass sie im Gegensatz zu Louise Entbindungen mied, wo sie nur konnte.

„Nicht einmal mit Medikamenten. Meine Güte, hört euch Anton an.“

Es klang wie ein Fußballspiel. Die Frau schrie, Anton feuerte sie an, und Louise jubelte. Dann folgte Stille und schließlich kräftiges Babygebrüll.

„Puh“, meinte Emily. Aber Hugh beachtete sie nicht, und ihr fiel ein, dass sie ja nicht miteinander redeten.

„Die nächste Patientin ist etwas nervös“, sagte er zu Rory. „Ich rede kurz mit ihr, bevor sie einschläft.“

„Ich habe eine starke Prämedikation verordnet“, antwortete der Anästhesist. „Aber ich glaube, die Mutter könnte sie eher gebrauchen.“

Emily beschloss, keinen Kaffee zu trinken, um nicht weitere unbehagliche zehn Minuten mit Hugh verbringen zu müssen. Stattdessen holte sie sich aus dem Automaten eine Cola. Nachdem sie sie ausgetrunken hatte, bereitete sie alles für Jessica O’Farrell vor. Bei der Achtzehnjährigen sollte eine explorative Laparotomie durchgeführt werden.

Connor steckte den Kopf zur Tür herein und lächelte matt. „Mum möchte dabei sein, wenn sie die Narkose bekommt“, sagte er zu Rory. „Ich habe Nein gesagt, aber sie hat mich gebeten, noch einmal nachzufragen.“

Rory schüttelte den Kopf. „Darüber habe ich mit Jessica schon gesprochen. Ihre Mutter ist gestresster als sie.“

Hugh kam von seiner kurzen Kaffeepause zurück und erkundigte sich, wo die Patientin bliebe. Da er mehr als gut im Zeitplan lag, hoffte er, noch eine OP ans Ende der Liste legen zu können.

„Connor bringt sie gleich“, antwortete Emily. Doch als die Liege hereingerollt wurde, erstarrte sie für ein paar Sekunden. Sie kannte die junge Frau als Jessica Albert, aber natürlich konnte sich ihr Nachname in all den Jahren geändert haben.

„Emily!“, rief sie jetzt überrascht. „Du bist es!“

„Hallo, Jessica!“ Während ihrer gesamten Schwesternkarriere war so etwas nie passiert. Okay, mit einer Ausnahme, als ein Onkel ein neues Hüftgelenk bekam. Darauf war sie jedoch vorbereitet gewesen.

Dies hier erwischte sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Dabei war Jessica noch nicht einmal mit ihr verwandt.

Obwohl es sich früher einmal so angefühlt hatte.

Dreizehn Jahre waren inzwischen vergangen. Emily unterdrückte die Welle aufwühlender Gefühle, die sie zu überschwemmen drohte, und ging zu Jessica. „Wie geht es dir?“, sagte sie und lachte auf. „Dumme Frage, wenn du gleich auf den OP-Tisch musst.“

„Ich habe solche Angst vor der Narkose.“

„Das geht vielen so.“ Emily drückte ihr die Hand. „Heute hat Rory Dienst, und er ist super. Er wird gut auf dich aufpassen. Hast du ihn schon kennengelernt?“

„Ja, heute Morgen.“ Sie sah zu ihm hinüber und dann wieder Emily an. „Bist du auch dabei?“

„Bis du schläfst“, antwortete Emily und biss sich auf die Lippe, als Jessica Hugh anblickte.

„Emily und ich waren Schwestern …“

Hugh lächelte, obwohl er nicht verstand, was los war. Es freute ihn, dass seine Patientin entspannter wirkte, aber um Emily machte er sich dafür umso größere Sorgen. Sie war kreideweiß im Gesicht.

„Ich habe dich im Internet gesucht“, gestand Jessica. „Ich wollte dich bei Facebook als Freundin einladen, aber ich habe mich nicht getraut. Ich wusste nicht, ob du das willst.“

„Ich habe auch nach dir geforscht“, sagte Emily. „Kein Wunder, dass ich nicht weit gekommen bin. Du hast einen anderen Nachnamen.“

„Mum hat wieder geheiratet, und ich habe Mikes angenommen.“

Emily zögerte. Eigentlich wollte sie gar nicht genau wissen, was Katrina trieb. Doch ein kleiner Teil von ihr war neugierig. „Wie geht es deiner Mum?“

„Gut. Sie ist glücklich. Glaube ich jedenfalls.“

Redet sie jemals von mir? wollte Emily fragen. Oder denkt sie überhaupt nicht mehr an mich?

Tränen brannten in ihren Augen, und sie wandte sich rasch ab, beschäftigte sich mit den Medikamenten, die längst bereitlagen. Jessica hatte es nicht leicht heute Morgen, da musste sie es ihr nicht noch schwerer machen.

Hugh merkte anscheinend, wie durcheinander sie war, und sie hörte erleichtert, wie er Jessica gut zuredete, um sie zu beruhigen.

Hugh war schon auf dem Weg zur Tür, als Jessica gefühlvoll hervorstieß: „Ich habe dich so vermisst!“

Emily sah sie an und antwortete ehrlich: „Ich dich auch.“

Und wie sehr!

Sie waren Wochenend- und Ferienschwestern gewesen. Jessica und auch Katrina zu verlieren, hatte unsagbar wehgetan. Und in den folgenden Jahren waren weitere schmerzliche Verluste hinzugekommen.

Emily hielt ihr die Hand, als Jessica in den künstlichen Schlaf hinüberglitt, und half dann, sie in den OP zu rollen und auf den Tisch zu heben. Sie blickte zu Hugh hinüber, und er nickte kurz, als wollte er ihr versichern, dass Jessica bei ihm in guten Händen war.

Dessen war Emily sich sicher.

Die Bauchuntersuchung hatte nichts Auffälliges ergeben, und bald wurde Jessica in den Aufwachraum gebracht.

Hugh folgte eine Weile später, auch um nach Ernest zu sehen.

„Er sieht furchtbar aus …“ Seine Frau Hannah saß neben der Liege. Bei ihr war ihre Tochter Laura.

„Er ist gerade operiert worden, Mum“, versuchte sie, ihre Mutter zu beruhigen, sah Hugh jedoch besorgt an. „Sie haben uns ja vorgewarnt, aber Mum war nicht klar, dass er all diese Schläuche und Kabel braucht.“

„Ich hätte ihn nicht drängen dürfen, sich operieren zu lassen“, klagte Hannah. „Er wollte es nicht …“

„Es geht ihm gut“, versicherte Hugh, nachdem er die Patientenkarte studiert hatte. „Ich weiß, es war ein schwieriger Schritt, aber Sie haben die Entscheidung gemeinsam getroffen.“

Während er sich bemühte, Hannah die Angst zu nehmen, ging die Tür auf, und Jessicas Mutter kam herein. Sofort musste Hugh an Emily denken.

Natürlich ging es ihn nichts an. Emily hatte deutlich klargemacht, dass ihre Beziehung sich strikt auf Berufliches beschränkte. Trotzdem konnte er nicht umhin, mit anzuhören, was am Nebenbett gesprochen wurde.

„Emily ist hier …“, waren Jessicas erste Worte, während sie versuchte, sich aufzusetzen und die Sauerstoffmaske abzunehmen. Eine Krankenschwester drückte sie behutsam wieder in die Kissen.

„Emily?“

„Ja, sie arbeitet hier als Krankenschwester. Willst du ihr nicht Hallo sagen?“

Katrina schüttelte den Kopf. „Das muss nicht sein. Wie fühlst du dich?“

„Aber Emily ist hier!“ Noch benommen von der Narkose, versuchte sie, sich die Maske abzuziehen. „Warum willst du sie nicht sehen?“

„Schlaf noch ein bisschen.“ Lächelnd setzte Katrina ihr die Maske wieder auf. „Du bist ein bisschen durcheinander von all den Medikamenten.“

Gut pariert, Mum, dachte Hugh und ging zu ihr, um sie über den Verlauf des Eingriffs zu informieren.

In der Mittagspause brachte er es nicht über sich, woanders zu essen. Ja, sie hatte ihn verletzt, aber als er sie am Tisch sitzen sah, mit geröteten Augen, während sie so tat, als wäre sie in eine Zeitschrift vertieft, da musste er zu ihr gehen.

„Wie war dein Vormittag?“, fragte er und setzte sich ihr gegenüber – wie immer montags.

„Voll. Und für dich wird der Nachmittag noch voller“, setzte sie hinzu, weil sie wusste, dass er mit Alex zusammen ein Aneurysma operieren sollte.

„Nein, nicht mehr. Rory war mit den Blutwerten nicht zufrieden, also vielleicht erst heute Abend …“ Hugh gähnte und betrachtete Emily. „Weißt du was? Stell dir vor, ich wäre ein Freund statt jemand, mit dem du klarkommen musst, weil du dafür bezahlt wirst. Dann könntest du mit mir über das reden, was heute Morgen passiert ist.“

Emily wollte nicht darüber reden, war allerdings froh über die Gelegenheit, den Freitagabend anzusprechen. „Hugh, es tut mir wirklich leid. Ich hätte mich anders ausdrücken sollen. Ich hatte doch nur Angst, unsere Freundschaft zu gefährden …“

„Was dir beinahe gelungen ist!“, unterbrach er sie ernst. „Also, was war heute Morgen los? Es ist immer schwierig, wenn es Verwandte sind, die wir für eine Operation vorbereiten.“

„Wir sind nicht verwandt“, erwiderte sie mit bitterem Unterton. Ach, vielleicht schadete es nicht, ihm alles zu erklären! „Nach der Trennung meiner Eltern zog mein Dad hierher und mit Katrina, Jessicas Mutter, zusammen. Ich besuchte sie ein Mal im Monat, verbrachte die Hälfte meiner Ferien bei ihnen …“

„Wie alt warst du?“

„Zwölf. Anfangs mochte ich Katrina nicht, war aber immer freundlich zu ihr. Mein Dad hatte gesagt, dass sie meine Stiefmutter wird, sobald die Scheidung durch sei. Dies wäre dann meine neue Familie. Mit Jessica habe ich mich dagegen auf Anhieb wunderbar verstanden. Wenn ich bei ihnen war, teilten wir uns ein Zimmer. Zwar war sie noch klein, doch wir hatten so viel Spaß miteinander. Als ich eines Tages herkam, um übers Wochenende zu bleiben, erfuhr ich, dass Katrina und mein Dad sich getrennt hatten.“

„Hast du sie danach noch gesehen?“

„Nein. Ich habe gefragt, wo sie sind, doch das interessierte Dad nicht. Und anscheinend interessierte sich Katrina nicht genug für mich, um in Kontakt zu bleiben …“ Emily schloss die Augen, während sie sich erinnerte. Wie leicht Menschen, die sie lieben und als Familie annehmen sollte, sich aus ihrem Leben wieder verabschiedet hatten! In ihrem Herzen hinterließen sie Spuren, nur um dann spurlos zu verschwinden …

„Das war nur der Anfang.“ Traurig sah sie Hugh an. „Nach Katrina lernte Dad jemand anders kennen und danach wieder jemand anders, dann kamen Donna und die Zwillinge …“

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands.

Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester...
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