Julia Best of Band 191

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HOCHZEITSNACHT MIT EINEM FREMDEN von LEE, MIRANDA
Keine Verpflichtungen, keine Bindungen - das hat sich der erfolgreiche Scheidungsanwalt Daniel Bannister geschworen. Bis er beobachtet, wie die süße Charlotte einen Tag vor ihrer Hochzeit verlassen wird. Er springt spontan als Bräutigam ein - und verliert sein Herz an die schöne Fremde.

AFFÄRE DES HERZENS von LEE, MIRANDA
Tara weiß, dass Millionär Max Richmond der Mann ihres Lebens ist. Sie will nicht länger nur seine Affäre sein. Tara versucht alles, um ihm zu zeigen, dass sie mehr verbindet als heiße Leidenschaft. Doch dann erfährt sie, dass Max nicht mehr viel Zeit bleibt, um seine Entscheidung zu treffen …

AM ENDE ZÄHLT NUR DIE LIEBE von LEE, MIRANDA
Seit sie die Vernunftehe mit Blake Preston geschlossen hat, vermisst Juliana Zärtlichkeit und Liebe. Ihr neuer Ehemann hält sie Tag für Tag emotional auf Abstand. Aber dann ändert sich etwas zwischen ihnen. Und plötzlich spürt Juliana eine ungekannte Anziehungskraft …


  • Erscheinungstag 01.09.2017
  • Bandnummer 0191
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708924
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Miranda Lee

JULIA BEST OF BAND 191

1. KAPITEL

Durch das Flugzeugfenster betrachtete Daniel die Stadt und die Küste unter ihm. Gerade hatte der Pilot durchgesagt, dass sie mit etwas Verspätung in Mascot landen würden, und flog nun eine Schleife über Sydney. So konnten die Passagiere die Metropole bewundern – die Metropole mit dem angeblich schönsten Hafen und den herrlichsten Stränden der Welt.

Nach Daniels Ansicht war das nicht übertrieben. Er kannte viele andere Großstädte wie New York, San Francisco und Rio de Janeiro, aber Sydney war in der Tat etwas ganz Besonderes. Vielleicht lag es an den Strahlen der Morgensonne, die die Strände so strahlend weiß und das Wasser so unwirklich blau erscheinen ließen. Allein der Anblick des Hafens mit seinen berühmten Wahrzeichen, der Brücke und der Oper, stimmte Daniel heiter.

Wie gut, dass Beth darauf bestanden hatte, dass er nach Hause kam, auch wenn es nur zu Besuch war.

Nach Hause …

Merkwürdig, dass er Sydney immer als seine Heimat angesehen hatte. Sicher, er war hier geboren und sechs Jahre in Australien zur Schule gegangen, wodurch sein amerikanischer Akzent nicht so stark ausgeprägt war. Aber den größten Teil seines Lebens hatte er in den Vereinigten Staaten verbracht, genauer gesagt in Los Angeles. Der Stadt der Engel. Oder der Teufel, ganz wie man es betrachtete.

Das Leben dort konnte sehr hart sein. Normalerweise konnte er damit umgehen, es tat ihm sogar gut. Im letzten Jahr war es allerdings schwer gewesen, und das Weihnachtsfest hatte er als besonders trostlos empfunden.

Ein Schauer lief Daniel über den Rücken. Obwohl seit dem Tod seiner Mutter bereits acht Monate vergangen waren, hatte er das Gefühl, es wäre erst gestern gewesen.

Noch immer war es ihm ein Rätsel, wie er sich hatte zusammenreißen können, als sein Vater auf der Beerdigung mit seiner neuen Frau aufgetaucht war – seiner vierten, jung und blond, genau wie ihre Vorgängerinnen. Sein Vater war inzwischen fünfundsechzig, zehn Jahre älter, als seine Mutter im nächsten Monat geworden wäre. Wie alle erfolgreichen Filmproduzenten schien er eine starke Anziehungskraft auf ehrgeizige junge Starlets auszuüben.

Auch seine Mutter hatte alles durch die rosarote Brille gesehen, als sie dem attraktiven Ben Bannister auf dessen Reise nach Sydney begegnete. Er war dreißig und sehr erfahren, sie zwanzig und ausgesprochen naiv.

Daniel fragte sich oft, warum sein Vater seine Mutter geheiratet hatte, denn die hübsche kleine Brünette aus Bondi hatte eigentlich überhaupt nicht zu ihm gepasst. Sicher, er hatte sie geschwängert, aber war das wirklich ein ausreichender Grund gewesen? Schließlich hatte er es ihr überlassen, ihre gemeinsamen Kinder großzuziehen.

Obwohl alle seine Ehen höchstens einige Jahre hielten, waren immer Kinder daraus hervorgegangen. Daniel hatte mehrere Halbbrüder und – schwestern, die er jedoch kaum kannte. Sein Vater lebte schon lange nicht mehr in Los Angeles, sondern war nach New York gezogen, nachdem er seine Mutter vor dreißig Jahren verlassen hatte. Oder war es neunundzwanzig Jahre her?

Ja, wohl eher, überlegte Daniel. Er war sechs Jahre älter als seine kleine Schwester Beth, die zum Zeitpunkt der Trennung gerade anfing zu laufen. Jedenfalls war er alt genug gewesen, um fast genauso zu leiden wie seine liebevolle und warmherzige Mutter, die das Ende ihrer Ehe nie verwunden hatte. Bevor sein Vater sie endgültig verließ, gestand er ihr, dass er sie die ganze Zeit betrogen hatte. Anfangs betäubte sie ihren Schmerz mit Tabletten, später mit Alkohol. Und schließlich mit anderen Männern, jungen Kerlen, die sie nur ausnutzten und das Geld verprassten, das man ihr nach einem Vergleich zugesprochen hatte.

Als die Situation unerträglich wurde, schritt Daniels verwitweter Großvater mütterlicherseits ein und nahm Beth und ihn mit zu sich nach Australien. Dort gab er ihnen ein neues Zuhause und schickte sie auf eine gute Schule. Das Leben bei ihm in Sydney gefiel den beiden Kindern sehr, vor allem seiner Schwester. Bereits nach wenigen Monaten erklärte Beth, sie wolle für immer dort bleiben. Daniel fühlte sich auch sehr wohl, doch gleichzeitig machte er sich Sorgen um seine Mutter. Obwohl sie in ihren Briefen behauptete, mit dem Trinken aufgehört zu haben und einer geregelten Arbeit nachzugehen, fand sie immer eine neue Ausrede, um sie nicht zu besuchen.

Nach der Highschool fühlte er sich geradezu verpflichtet, nach Los Angeles zurückzukehren. Dort stellte er erleichtert fest, dass seine Mom tatsächlich nicht mehr trank, dafür aber erschreckend gealtert war. Und da sie wenig Geld verdiente, lebte sie in einer regelrechten Bruchbude. Weil er sie nicht dazu bewegen konnte, mit ihm nach Australien zurückzukehren, lieh er sich Geld von seinem Großvater, suchte für sie beide eine vernünftige Wohnung und begann ein Jurastudium. Mit drei verschiedenen Teilzeitjobs bestritt er seine Studiengebühren und ihren Lebensunterhalt.

Als er die Hochschule als Jahrgangsbester abschloss, warb ihn sofort die renommierte Kanzlei Johansen, O‘Neill und Morecroft in Los Angeles an, bei der er sich in kürzester Zeit als aggressivster und erfolgreichster Scheidungsanwalt des Unternehmens etablierte. So konnte er seinem Großvater seine Schulden samt Zinsen zurückzahlen. Und mit der ansehnlichen Prämie nach dem ersten Jahr kaufte er eine Eigentumswohnung für seine Mutter und mietete sich selbst ein Apartment in der Nähe, denn er wollte endlich auf eigenen Füßen stehen.

In seinen ersten Berufsjahren vertrat Daniel sowohl Männer als auch Frauen. Als er kurz nach seinem dreißigsten Geburtstag zum Partner der Kanzlei ernannt wurde, verkündete er, in Zukunft nur noch weibliche Klienten anzunehmen. Denn es verschaffte ihm eine ungeheure Genugtuung zu verhindern, dass die ebenso reichen wie aalglatten Ehemänner sich vor ihren Zahlungsverpflichtungen drückten. Beruflich setzte er alles daran, vor Gericht für die finanzielle Absicherung desillusionierter und verzweifelter Exfrauen zu streiten. Frauen, die plötzlich nicht mehr jung, hübsch oder aufregend genug waren, obwohl ihre Männer ihnen einst ewige Liebe und Treue geschworen hatten.

Vor allem wenn Kinder beteiligt waren und die betreffenden Väter diese abschieben wollten, kämpfte Daniel mit harten Bandagen. Männer, die ihre Sprösslinge im Stich ließen, mussten zur Kasse gebeten werden.

„Aber nicht alle Männer sind so“, hatte Beth, die optimistischer war als er, ihm erst vor kurzem bei einem ihrer wöchentlichen Telefonate erklärt. Nach dem Tod ihres geliebten Großvaters war sie in Sydney geblieben. „Vince würde unser Kind niemals im Stich lassen, wenn unsere Ehe auseinander ginge. Oder unsere Kinder. Ich habe keine Ahnung, wie viele wir bekommen. Aber auf jeden Fall mehr als eins.“

Sie erwartete gerade ihr erstes Baby und war im siebten Monat schwanger.

„Allerdings wird unsere Ehe auch niemals scheitern“, hatte sie schnell hinzugefügt. „Es gibt zwar Höhen und Tiefen, aber wir sind immer noch ineinander verliebt.“

Was bedeutet Verliebtsein eigentlich, überlegte Daniel, während der Jumbojet zum Landeanflug ansetzte. Er jedenfalls hatte es noch nie erlebt, obwohl er inzwischen sechsunddreißig war.

Natürlich hatte er viele Frauen gemocht. Und begehrt. Und mit ihnen geschlafen.

Doch das war nicht dasselbe. Noch nie war er von Leidenschaft dermaßen überwältigt gewesen, dass eine echte Beziehung daraus entstanden war oder er gar um die Hand der Betreffenden angehalten hätte. Und selbst falls er eines Tages sein Herz verlieren sollte, konnte er sich nicht vorstellen zu heiraten. Dafür hatte er zu viele Scheidungen durchgefochten!

„Du bist ein zynischer gefühlskalter Mistkerl!“, hatte seine letzte Freundin ihm an den Kopf geworfen, bevor sie kurz vor Weihnachten aus seinem Büro gestürmt war. „Ich habe keine Lust, noch mehr Zeit mit dir zu vergeuden, Daniel Bannister. Du liebst mich nicht. Du weißt ja nicht einmal, was Liebe bedeutet.“

Ihr Wutausbruch hatte ihn gezwungen, über sich selbst nachzudenken, was geradezu ernüchternd gewesen war. Immer schon hatte er seinen Vater verurteilt, aber er selbst war nicht viel besser, wenn es um Beziehungen ging. Er wechselte die Frauen wie die Hemden und weinte keiner eine Träne nach. Er war tatsächlich ein zynischer gefühlskalter Mistkerl und nicht der edle Ritter, für den er sich bisher gehalten hatte.

Und nun, zwei Monate später, fuhr er nach Sydney und versuchte immer noch, mit seinem neuen Selbstbild zurechtzukommen und sein Verhalten zu rechtfertigen. Sicher, er hatte seinen Freundinnen nie etwas vorgemacht, aber er hatte sie verletzt, denn meistens hatten sie sich mehr von ihm gewünscht, als er zu geben bereit war.

Daniel wusste, dass er eine gute Partie war, er sah gut aus und hatte Erfolg. Ständig versuchten seine verheirateten Bekannten, ihn mit ihren allein stehenden Freundinnen zu verkuppeln, die verzweifelt einen Ehemann suchten. Immerhin konnte er sich zugutehalten, dass er sich bisher nur Frauen ausgesucht hatte, die er für karriereorientiert hielt.

Erst im Nachhinein wurde ihm klar, dass Frauen über dreißig, die nur für ihren Beruf lebten, oft einen Sinneswandel durchmachten, wenn ihre biologische Uhr zu ticken begann. Plötzlich wollten einige von ihnen nichts lieber als Hochzeitsglocken und Babyschühchen, obwohl sie sich bisher ausschließlich anregende Gespräche beim Abendessen und anschließend guten Sex gewünscht hatten.

Während Daniel aus dem Fenster sah, fragte er sich, ob es Männern wohl mitunter genauso erging. Vielleicht würde sogar er eines Tages einer Frau begegnen und auf einmal nie gekannte Gefühle entwickeln. Vielleicht würde er Liebe und ungezähmte Leidenschaft erleben und den Kopf verlieren.

Er lachte zynisch.

Träum weiter, Daniel. Vergiss nicht, du bist ein zynischer gefühlskalter Mistkerl, der letzte Mann auf Erden, der wegen einer Frau den Kopf verlieren würde.

Als die Maschine auf der Landebahn aufsetzte, erschrak er, weil er in Gedanken noch immer bei den Frauen, der Liebe und seiner Einstellung zu diesen Dingen war. Schnell konzentrierte er sich wieder auf die Aussicht.

Vor ihm, auf der linken Seite des Flugzeugs, erstreckte sich eine große, von einem weißen Sandstrand gesäumte Bucht. Direkt gegenüber lag ein Industriegebiet, rechts eine Wohngegend. Meistens lagen Flughäfen am Stadtrand, doch Mascot war nicht weit vom Zentrum entfernt.

Seine Schwester wohnte im Osten von Sydney, in Rose Bay, das ebenfalls in der Nähe des Zentrums lag. Sie hatte versprochen, ihn vom Flughafen abzuholen.

Zwei Wochen bei ihr und seinem Schwager zu verbringen, würde ihm gut tun. Die Australier waren herrlich unkompliziert, und Beth hatte sich diese Mentalität längst angeeignet.

Angeblich lag es am Wetter, aber seiner Meinung nach hatte es mehr mit der Lage des Kontinents zu tun. Dieses Volk lebte einfach so weit weg vom Rest der Welt, dass es die schlechten Gewohnheiten der westlichen Zivilisation noch nicht übernommen hatte. Anders als viele Amerikaner lebten die Australier nicht, um zu arbeiten, sondern umgekehrt.

Daniel hoffte, sich diese Philosophie während seines Aufenthalts auch zu Eigen machen zu können, denn er war auf dem besten Weg, ein Workaholic und Langweiler zu werden.

2. KAPITEL

Schlaftrunken reagierte Charlotte auf den nervtötenden Piepton des Weckers, und zwar so, wie jeder es an einem Freitagmorgen um fünf getan hätte – vor allem, da sie erst gegen zwei ins Bett gekommen war. Noch halb im Schlaf streckte sie den Arm und drückte auf die Schlummertaste. Dann rollte sie sich auf die andere Seite, um noch zehn Minuten zu dösen.

Doch kurz bevor sie einnickte, fiel ihr plötzlich ein, warum sie den Wecker gestellt hatte.

Gary sollte um zwanzig nach sechs landen.

Obwohl man zu dieser Tageszeit nicht lange von Bondi nach Mascot brauchte, würde sie einige Zeit brauchen, um sich für ihren Verlobten zu stylen.

Charlotte schlug die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Als sie sich dabei am Nachttisch stieß, fluchte sie laut und humpelte in den Flur.

„Oh nein!“, rief sie entsetzt, als sie sich im Spiegel über der Frisierkommode sah.

Daraufhin erschien Louise an der Badezimmertür. Auch sie bot keinen besseren Anblick als ihre verschlafene Freundin. „Was soll der Lärm?“, fragte sie müde.

„Sieh mich an!“, stöhnte Charlotte verzweifelt. „Das ist alles deine Schuld, Louise. Schließlich hast du darauf bestanden, dass ich meinen Abschied vom Singledasein nur zwei Tage vor meiner Hochzeit und am Abend vor Garys Ankunft feiere. Du weißt, dass ich keinen Alkohol vertrage, ganz zu schweigen von zu wenig Schlaf. Du meine Güte, ich sehe wie ein Schreckgespenst aus!“

Doch ihre Mitbewohnerin schüttelte energisch den Kopf. „Von wegen! Du siehst doch selbst mit dunklem Haaransatz gut aus.“

Wieder stöhnte Charlotte auf. Louise musste blind sein! Ihr Haar war einfach entsetzlich. Dabei hatte es sie viel harte Arbeit gekostet, das Bild der langmähnigen Blondine aufrechtzuerhalten, die Gary im vergangenen Jahr an der Goldküste kennen gelernt und in die er sich auf Anhieb verliebt hatte. Und obwohl Louise und sie Friseurinnen waren, hatten sie nicht verhindern können, dass ihr von Natur aus dichtes dunkelbraunes Haar durch das ständige Färben litt.

Nur aus einer Laune heraus hatte sie nach ihrer Trennung von Dwayne für besagten Urlaub ihren Typ verändert, denn seine neue Freundin war eine klassische Blondine. Ursprünglich wollte sie das Haar unmittelbar nach den Ferien kurz schneiden und die Farbe herauswachsen lassen. Doch dann lernte sie Gary kennen und behielt die blonde Mähne. Die Folgen waren ein dunkler Haaransatz und Spliss. Warum hatte sie das Nachfärben und – schneiden nur so lange hinausgeschoben und sich nicht bereits am Vortag der Prozedur unterzogen?

„Ich muss ins Bad“, erklärte Louise gähnend. „Was hältst du davon, wenn du Kaffee machst? Dann föhne ich dir das Haar.“

„Kannst du mir nicht auch schnell die Spitzen schneiden und eine Kur auftragen?“, bat Charlotte.

„Bin ich etwa deine gute Fee? Aber okay, für einen Kaffee tue ich alles.“

Eine Stunde später sah Charlotte wieder ganz passabel aus. Allerdings hatte Louise sie darauf hingewiesen, dass ihr Haar bald brechen würde, wenn sie es weiterhin färbte.

„Wenn Gary dich wirklich liebt“, fügte sie ironisch hinzu, „ist es ihm egal, ob es lang oder kurz ist. Oder ob du blond oder brünett bist.“

Während der Fahrt zum Flughafen dachte Charlotte über Louises Worte nach.

Wenn Gary dich wirklich liebt …

Es war nicht das erste Mal, dass ihre Freundin Garys Gefühle für sie anzweifelte. Und ihre für ihn.

Wenn sie ehrlich war, konnte Charlotte ihre Bedenken nachvollziehen. Schließlich verkehrte sie hauptsächlich per Internet mit dem gut aussehenden amerikanischen Anwalt, und sich gegenseitig E-Mails zu schicken, war nun einmal nicht dasselbe, wie Zeit miteinander zu verbringen. Natürlich kannten sie sich persönlich, aber nur sehr flüchtig. Denn sie waren sich erst am Abend vor ihrer Abreise begegnet. Beide mussten am nächsten Tag nach Hause zurückkehren.

Gary hatte sie in einem überfüllten Klub gesehen und sofort zum Tanzen aufgefordert. Der Rest war Geschichte, wie es so schön hieß.

Die ganze Nacht hatten sie miteinander verbracht. Allerdings nicht im Bett. Charlotte gehörte nicht zu den Frauen, die gleich bei der ersten Begegnung mit einem Mann schliefen. Gary hingegen hätte sicher nichts dagegen gehabt, schien allerdings beeindruckt, als sie seinen Annäherungsversuchen widerstand. Hand in Hand gingen sie am Strand spazieren und redeten. Als sie den Sonnenaufgang beobachteten, gestand er ihr, dass sie die Frau wäre, auf die er sein Leben lang gewartet hätte.

Einige Stunden später begleitete Charlotte ihn zum Flughafen, wo er ihr versprach, sie gleich nach ihrer Rückkehr anzurufen. Sein leidenschaftlicher Abschiedskuss machte sie ganz schwindelig und stärkte ihr angeschlagenes Selbstwertgefühl.

Als Charlotte nach Sydney zurückkehrte, warnte Louise sie, dass Urlaubsbekanntschaften sich selten wieder meldeten. Doch Gary hatte sie unmittelbar nach seiner Ankunft in Los Angeles angerufen, und seitdem standen sie in regem Kontakt, hauptsächlich per E-Mail, aber auch per Telefon.

Inzwischen hatte Charlotte das Gefühl, dass Gary ihr vertrauter war, als Dwayne es jemals hätte sein können. Zwei Jahre ihres Lebens hatte sie an diesen Mistkerl vergeudet. Wegen einer Frau aus dem Fitnesscenter hatte er sie sitzen lassen. Damit nicht genug, schwängerte er seine neue Freundin sofort nach ihrer Trennung.

Als Gary ihr im vergangenen November einen Heiratsantrag machte, hatte Charlotte sofort Ja gesagt. Vielleicht hätte sie gezögert, wenn er nicht bereit gewesen wäre, sie in Sydney zu heiraten und auch hier zu leben.

Oder wenn du nicht schon dreiunddreißig wärst, meldete sich eine boshafte innere Stimme. Und auf dem besten Wege, zu glauben, dass du keinen anderen mehr abbekommst.

Schnell verdrängte Charlotte diesen Gedanken. Sie würde heiraten. Morgen. Und zwar im großen Stil.

Blieb zu hoffen, dass es Gary nichts ausmachen würde, denn er hatte sich eine Trauung mit einem Zelebranten und eine Feier im kleinen Kreis gewünscht. Er selbst hatte keine nahen Verwandten, seine Eltern waren bei einem Brand ums Leben gekommen, als er ein Teenager war.

Wohingegen ihr Vater nicht so viele Jahre gewartet hatte, um seine jüngste Tochter zu einer schlichten Zeremonie zu begleiten. Er wollte sie zum Altar führen und wünschte sich eine Hochzeit mit allem Drum und Dran.

Insgeheim war sie froh, dass er darauf bestanden hatte. Seit ihre beiden älteren Schwestern in Weiß geheiratet hatten, träumte sie davon, es ihnen nachzumachen. Als einziges Zugeständnis an Garys Wunsch verzichtete sie auf eine kirchliche Trauung und engagierte einen Zelebranten. Ansonsten aber sollte es eine traditionelle Hochzeit werden, mit einem richtigen Empfang, einer dreistöckigen Torte und Brautwalzer.

Von alldem wusste Gary nichts. Sowie er hier war, wollte sie ihm erzählen, dass es nicht ihre, sondern die Idee ihrer Eltern gewesen wäre. Außerdem musste er die Feier nicht bezahlen, denn ihr Vater würde für alle Kosten aufkommen. Gary brauchte heute lediglich einen geliehenen Smoking anzuprobieren und am nächsten Tag anzuziehen.

Wenn er sie wirklich liebte, war das sicher nicht zu viel verlangt. Und er musste sie einfach lieben, sonst hätte er nicht die weite Reise auf sich genommen, um sie zu heiraten. Von dem wunderschönen Verlobungsring mit dem Saphir und dem Diamanten, den er ihr geschickt hatte, gar nicht erst zu reden.

Allein der Anblick des Rings an ihrem Finger beruhigte sie.

Eine halbe Stunde später ging Charlotte aufgeregt vor dem betreffenden Gate auf und ab, den Blick ständig in die Richtung gewandt, aus der Gary kommen sollte. Zehn Minuten zuvor war seine Maschine mit Verspätung gelandet, doch Passagiere der Business Class wurden selten am Zoll aufgehalten.

Charlotte war so nervös, dass sie nicht still stehen konnte. Unentwegt fragte sie sich, ob sie aufgeregt war oder Angst hatte – Angst davor, eine überstürzte Ehe mit einem Mann einzugehen, mit dem sie nicht einmal geschlafen hatte?

Aber vielleicht war das sogar gut, denn bisher hatte sie mit fast all ihren Freunden geschlafen, und keiner von ihnen hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht – vielleicht weil sie sie im Bett enttäuscht hatte. Dass sie keinen Spaß daran hatte, schien ihre Partner mehr zu stören als sie.

Zumindest in diesem Punkt war sie Gary gegenüber ganz ehrlich gewesen, und er hatte ihr versichert, dass er sie nicht heiraten wollte, weil sie eine Sexbombe war, sondern schön und süß und sich dasselbe wünschte wie er – eine Familie. Außerdem schien er darauf zu vertrauen, dass es in ihrer Hochzeitsnacht keine Probleme geben würde.

Charlotte hoffte es auch. Hoffte, dass diesmal die Erde für sie beben würde, so wie Louise es immer erzählte. Und wenn nicht, würden sie eben zusammen daran arbeiten, wie Gary sagte.

Da war er!

Aufgeregt hüpfte sie auf und ab und winkte ihm strahlend zu.

„Hier bin ich!“

Als er den Kopf wandte, erstarrte sie mitten in der Bewegung, und ihr Lächeln erstarb.

Das war gar nicht Gary, sondern ein Mann, der ihm aus der Ferne sehr ähnelte. Ungefähr genauso groß, trug er sein kurzes dunkelbraunes Haar genau wie Gary. Selbst sein Profil mit der hohen Stirn, der langen Nase und dem markanten Kinn erinnerte an ihn.

Als der Mann sie ansah, stellte Charlotte allerdings fest, dass seine Augen ganz anders waren als Garys – nicht blau, sondern braun, fast schwarz. Und sein Blick war durchdringend.

Nun heftete er ihn auf sie.

Noch nie zuvor hatte jemand sie so angesehen wie dieser Mann.

Als er nun mit seinem Gepäckwagen auf sie zukam, ließ Charlotte den Arm sinken und hielt ihre Umhängetasche fast wie ein Schutzschild vor sich. Obwohl ihr Magen sich zusammenkrampfte, konnte sie den Blick nicht von dem Fremden abwenden.

„Hat Beth Sie geschickt?“, fragte er, als er vor ihr stehen blieb. Genau wie Gary hatte er einen amerikanischen Akzent.

Gary! Sie war so verlegen, dass sie ihn völlig vergessen hatte!

„Nein, tut mir leid“, entschuldigte sie sich schnell und wandte schließlich den Blick von ihm ab, um zu sehen, ob Gary endlich durch die Absperrung gekommen war. „Ich kenne keine Beth. Ich … dachte zuerst, Sie wären mein Verlobter.“ Nervös hielt sie weiter nach Gary Ausschau.

Doch er war nicht unter den Passagieren.

Wieder sah Charlotte den Amerikaner an, der noch immer vor ihr stand. Nun lag ein neugieriger Ausdruck in seinen Augen. Vorher hingegen hatte sein Blick etwas anderes verraten.

„Sie … sehen ihm ähnlich. Ein bisschen.“ Tatsächlich konnte Gary dem Fremden nicht das Wasser reichen. Er sah gut aus. Überwältigend gut.

„Verstehe.“

Sein enttäuschter Tonfall brachte sie aus dem Konzept. Was hatte er wohl angenommen? Oder gehofft?

„Wir heiraten morgen“, fügte sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund hinzu. Schließlich hatte sie ihm bereits erklärt, warum sie ihm zugewinkt hatte.

„Der Glückliche“, meinte er leise, während er sie langsam von Kopf bis Fuß musterte.

Plötzlich wusste sie, was sie in seinem Blick gelesen hatte und warum er auf einmal enttäuscht klang. Schon oft hatte ihr Anblick bei Männern Verlangen ausgelöst, aber noch nie hatte es dabei so geknistert, und noch nie hatte sie in derart unglaubliche Augen gesehen. Sie waren nicht nur schön, sondern auch sexy und faszinierend.

Plötzlich wurde ihr ganz heiß, und Charlotte spürte zu ihrem Entsetzen, wie sie errötete. Das war ihr schon seit Jahren nicht mehr passiert!

„Entschuldigen Sie mich bitte.“ Sie riss sich zusammen und zwang sich weiterzugehen. Doch selbst als sie wieder nach Gary suchte, musste sie an den attraktiven Fremden denken. Wer war er? Und was machte er hier in Sydney?

3. KAPITEL

Fast war Daniel dankbar, als die Fremde ihn abblitzen ließ. Wie hatte er sie nur so anstarren können?

Frauen anzusprechen, war noch nie seine Art gewesen. Außerdem war sie blond. Und gefärbt. Er mochte keine falschen Blondinen. Allerdings musste er zugeben, dass sie nicht zu der Sorte gehörte, die sein Vater immer heiratete und die überall in Los Angeles anzutreffen war – Blondinen, an denen die Haarfarbe nicht das einzig Künstliche war.

Die schöne Fremde hatte zwar einen dunklen Haaransatz, aber ansonsten war ihre Frisur schlicht, das Haar war glatt und fiel ihr ganz natürlich über die Schultern und den Rücken. Auch ihr Gesicht hatte nichts Unechtes an sich. Falls sie geschminkt war, dann nur sehr dezent. Ihre klare, zart gebräunte Haut brauchte ohnehin kein Make-up. Genauso faszinierend waren ihre großen blauen, von langen Wimpern gerahmten Augen.

Allerdings benutzte sie Lipgloss, denn ihre vollen Lippen hatten geglänzt und förmlich zum Küssen eingeladen …

Daniel riss sich zusammen, drehte sich aber trotzdem um, um ihr nachzusehen. Es war lange her, dass eine Frau so eine Wirkung auf ihn ausgeübt hatte. Und noch länger, dass er keinen Erfolg bei einer gehabt hatte, die er auf Anhieb so anziehend fand.

Als intelligenter Mann sollte er sich darüber klar sein, wann ein weibliches Wesen es wert war, angehimmelt zu werden, und wann nicht. Diese Frau würde am nächsten Tag heiraten. Da war es kaum zu erwarten, dass sie sich ihm an den Hals warf – oder überhaupt in irgendeiner Weise auf ihn reagierte.

Vermutlich war es auch genau das, was ihm immer noch zu schaffen machte. Denn sie war ihm gegenüber nicht gleichgültig gewesen. Deutlich hatte er das Aufflackern in ihren Augen und ihre verräterische Körpersprache bemerkt. Und gespürt, dass die starke Anziehungskraft zwischen ihnen sie genauso erschreckte wie ihn.

Dass sie errötet war, als er sie von Kopf bis Fuß musterte, konnte natürlich auch der Ausdruck ihrer Verlegenheit gewesen sein. Aber das glaubte er nicht. Schließlich war sie eine Frau und kein unerfahrenes junges Mädchen mehr.

Nein, sie hatte eindeutig auf ihn reagiert, und das ärgerte ihn maßlos. Er war kein Mann, der gern verlor. Dieses Mal musste er sich allerdings geschlagen geben.

Seufzend hielt Daniel in der überfüllten Ankunftshalle Ausschau nach seiner Schwester. Dabei vermied er es ganz bewusst, der Blondine zu folgen, denn er wollte auf keinen Fall beobachten, wie sie einen anderen Mann umarmte. Noch hatte sein Ego sich nicht von dem Schlag erholt.

Beth war jedoch nirgends zu sehen, obwohl sie eigentlich da sein müsste. Schließlich war er mit Verspätung gelandet.

Andererseits: Wenn seine Schwester einen Fehler hatte, dann war es ihre chronische Unpünktlichkeit.

Im nächsten Moment klingelte sein Handy.

„Hallo, Beth“, sagte er trocken.

„Tut mir leid, Daniel, aber ich habe verschlafen. Ich war so aufgeregt, weil du heute kommst, dass ich gestern Abend nicht einschlafen konnte. Deshalb habe ich mich aufs Sofa gelegt und ferngesehen. Dabei muss ich eingenickt sein. Ergo habe ich den Wecker im Schlafzimmer nicht gehört, und Vince hat ihn sicher gleich ausgemacht und weitergeschlafen.“

„Dann nehme ich mir ein Taxi.“

„Nein, auf keinen Fall. Ich bin schon unterwegs. Geh doch in der Cafeteria am anderen Ende der Ankunftshalle frühstücken. In zwanzig Minuten bin ich da, okay?“

„Na gut“, erwiderte Daniel mit einem resignierten Unterton.

„Du bist doch nicht sauer auf mich, oder?“

„Nein.“

„Das wundert mich!“

„Während des Flugs habe ich beschlossen, in Zukunft etwas gelassener zu sein“, informierte er seine Schwester und lächelte dabei ironisch. Denn momentan war er alles andere als gelassen. Offensichtlich brauchte er darin noch etwas Übung, genau wie im Umgang mit sexuellem Frust.

„Das wäre in der Tat das erste Mal. Kaum zu glauben! Aber jetzt muss ich Schluss machen, sonst bekomme ich noch ein Strafmandat, weil ich beim Autofahren telefoniere. Ich bin neulich schon mit überhöhter Geschwindigkeit erwischt worden. Bis gleich.“

„Bis gleich“, antwortete Daniel, doch Beth hatte das Gespräch bereits beendet.

Lächelnd steckte er das Handy wieder ein und ging mit dem Gepäckwagen zu der Cafeteria, von der sie gesprochen hatte. Da er schon im Flugzeug gefrühstückt hatte, bestellte er sich nur einen Cappuccino, bevor er sich an einen freien Tisch setzte. Die Beine lässig ausgestreckt und die Arme vor der Brust verschränkt, beobachtete er die anderen Gäste.

Was keine gute Idee war.

Denn wer kam direkt auf ihn zu? Die tolle Blondine, allerdings ohne ihren Verlobten. Ganz langsam setzte sie Schritt vor Schritt und sprach in ihr schickes pinkfarbenes Handy, ohne ihn zu bemerken. Sie hatte den Kopf gesenkt und wirkte sehr konzentriert.

Wieder konnte Daniel den Blick nicht von ihr lösen. Jetzt betrachtete er aber nicht ihr Gesicht, sondern ihren Körper. Das Auffälligste daran waren ihre vollen Brüste, die in dem engen pinkfarbenen Top besonders gut zur Geltung kamen. Aber ihre schmale Taille, die weiblichen Hüften und die langen schlanken Beine waren genauso schön anzusehen.

Daniel mochte gut gebaute Frauen in engen Jeans, vor allem in Hüftjeans. Ausgestellte Hosen hingegen gefielen ihm überhaupt nicht, denn er liebte den Anblick von Fesseln und Füßen.

Zu seiner großen Freude hatte die Blondine hübsche zierliche Füße. Sie trug hochhackige Sandaletten, und ihr Nagellack war farblich auf Top und Handy abgestimmt.

Als sie näher kam, bemerkte Daniel, dass sie blass war und ziemlich mitgenommen wirkte. Offenbar hatte sie schlechte Neuigkeiten erhalten.

Ohne ihn zu bemerken, blieb sie in Hörweite stehen. „Das glaube ich einfach nicht!“, rief sie verzweifelt. „So grausam kann das Leben einfach nicht sein!“

Ach du meine Güte, dachte Daniel. Ihrem Verlobten musste etwas Schlimmes zugestoßen sein. Wie sehr er sich auch wünschen mochte, dass die Frau ungebunden wäre, war er doch nicht so egoistisch, zu hoffen, dass ihr Freund einen Unfall oder etwas ähnlich Schreckliches gehabt hatte.

„Dieser Mistkerl!“, stieß sie plötzlich hervor, woraufhin Daniel erstaunt die Augenbrauen hochzog.

Nein. Der Schuft war nicht verunglückt, sondern nur nicht erschienen. Und so wie es aussah, würde er auch nicht mehr auftauchen.

Obwohl die Frau ihm leidtat, eröffneten sich Daniel plötzlich ganz neue Perspektiven. Geflissentlich ignorierte er seine Gewissensbisse. Schließlich war er ein Mann und kein Heiliger.

„Nein, ich komme schon klar“, erklärte die Blondine im nächsten Moment kurz angebunden. „So empfindlich bin ich nun auch nicht. Nein, ich breche nicht in Tränen aus, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Damit warte ich, bis ich zu Hause bin oder zumindest, bis ich im Wagen sitze.“

Allerdings wartete sie nicht solange. Sobald das Gespräch beendet war, fing sie an zu weinen. Nein, sie weinte nicht einfach, sie wurde von einem richtigen Weinkrampf geschüttelt.

Nun war Daniel klar, warum die Person am anderen Ende sich Sorgen um sie gemacht hatte. Nachdem er seinem Schicksal gedankt hatte, sprang er auf und kam der Frau zu Hilfe.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte er, während er ihr den Arm um die Schultern legte.

Charlotte verspannte sich und sah unter Tränen zu dem Fremden.

Um Himmels willen! Es war der attraktive Amerikaner, den sie versehentlich für Gary gehalten und der sie mit so viel Verlangen in den Augen angesehen hatte. In diesem Augenblick war der Ausdruck in seinen Augen allerdings freundlich und besorgt.

„Schlechte Nachrichten, schätze ich“, sagte er mitfühlend.

„Das kann man wohl sagen.“ Schluchzend zückte sie ein Taschentuch, um sich die Nase zu putzen.

„Was halten Sie davon, wenn Sie sich zu mir setzen und einen Kaffee mit mir trinken?“, schlug der Amerikaner vor, während er auf einen Tisch in der Nähe deutete. „Ich warte auf meine Schwester und hätte nichts gegen etwas Gesellschaft. In der Zwischenzeit können Sie mir erzählen, warum Ihr Verlobter nicht aufgetaucht ist.“

Verwirrt sah Charlotte ihm in die Augen. „Woher wissen Sie das?“

„Sie haben mir vorhin selbst erzählt, Sie hätten mich mit Ihrem Verlobten verwechselt“, erklärte er. „Und jetzt stehen Sie allein vor mir und weinen. Man muss nicht besonders intelligent sein, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.“

„Oh. Natürlich, ich verstehe.“ Nachdem sie sich noch einmal die Nase geputzt hatte, atmete sie tief durch.

„Und, hat er Sie nur versetzt oder sitzen lassen?“

„Letzteres, fürchte ich“, erwiderte sie matt, während ihr Kummer allmählich blanker Verzweiflung wich. Wie konnte das Schicksal nur so grausam sein? Und was, in aller Welt, sollte sie ihren Eltern sagen?

„Manche Männer sind wirklich Idioten“, bemerkte der Amerikaner.

Wäre sie nicht so am Boden zerstört gewesen, hätte sie sich vielleicht geschmeichelt gefühlt.

„Kommen Sie, trinken Sie einen Kaffee, dann wird es Ihnen besser gehen.“

Gehorsam ließ Charlotte sich von ihm zu seinem Tisch führen. Da sie bereits einschlägige Erfahrungen gemacht hatte, war ihr klar, dass er vermutlich Hintergedanken hatte. Trotzdem bereitete ihr das im Moment kein allzu großes Kopfzerbrechen. Hier konnte ihr nichts passieren. Wenn er sie auf einen Kaffee einladen wollte, sollte es ihr nur recht sein. In diesem Zustand war sie ohnehin nicht in der Lage zu fahren.

Allerdings hatte sie nicht vor, ihm irgendwelche persönlichen Dinge zu erzählen, schließlich war er ein Fremder.

Die nächsten Minuten rauschten nur so an Charlotte vorbei. Benommen saß sie da, während der Amerikaner ihr einen Cappuccino bestellte. Als dieser kurz darauf kam, rührte er mehrere Löffel Zucker hinein und schob ihr den Becher hin.

„Trinken Sie das“, riet er ihr. „Sie stehen unter Schock und brauchen Zucker.“

Nachdem sie die Tasse geleert hatte, ging es ihr tatsächlich etwas besser. „Danke. Sie hatten recht. Genau das habe ich gebraucht.“

„Wollen Sie mir erzählen, was passiert ist?“

„Warum sollte Sie das interessieren?“, fragte sie ein wenig gereizt. Sie wusste, dass ihr Schmerz ihn überhaupt nicht kümmerte, sondern lediglich ein guter Anlass war, um bei ihr zu landen. Die Rolle des edlen Ritters. Der Cappuccino. Die scheinbar freundlichen und aufmerksamen Fragen. Alles nur Mittel zum Zweck.

Männer wie ihn kannte sie zur Genüge. Touristen oder Geschäftsmänner aus Übersee, die auf der Suche nach einer weiblichen Begleitung waren. Wahrscheinlich hatte der Amerikaner zu Hause eine Ehefrau oder eine Freundin. Männer, die so aussahen und sich so kleideten, waren selten allein stehend. Sein Maßanzug und seine goldene Armbanduhr waren jedenfalls ebenso stilvoll wie exklusiv.

Nun lächelte der Mann, wobei der Ausdruck in seinen Augen Belustigung und Bewunderung verriet. „Offenbar sind Sie schon auf dem Wege der Besserung. Das ist gut. Sie werden es also überleben.“

„Das hängt davon ab, was Sie darunter verstehen“, konterte Charlotte. „Meine Eltern kommen heute nach Sydney, um meinen Verlobten kennen zu lernen. Morgen trifft der Rest meiner Familie ein, um meine Hochzeit zu feiern – meine Schwestern, Tanten, Onkel, Nichten, Neffen, Cousinen und Cousins. Alle wünschen sich schon seit Jahren, dass ich endlich heirate. Sie kommen vom Land, und die Leute auf dem Land sind nun mal der Ansicht, dass Ehe und Mutterschaft die wahre Bestimmung der Frau sind …“ Wieder kämpfte sie mit den Tränen.

„Sagen Sie mir, was mit Ihrem Verlobten ist“, beharrte er.

Starr blickte Charlotte ihn an und überlegte, ob sie sich doch in ihm getäuscht hatte, denn der Ausdruck in seinen Augen verriet echtes Mitgefühl.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen.“ Resigniert zuckte sie die Schultern. „Er kommt nicht. Die Hochzeit ist abgeblasen. Ende der Geschichte.“ Erneut musste sie nach einem Taschentuch suchen. Mitleidsbekundungen brachten sie nur noch mehr aus der Fassung.

Da der Mann schwieg, als sie sich die Tränen abtupfte, fing sie sich diesmal schneller. Doch während sie dasaß und den zweiten Cappuccino trank, den er für sie bestellt hatte, überkam sie plötzlich das Bedürfnis, ihm doch von ihren Gefühlen zu erzählen. Was spielte es denn für eine Rolle, dass er ein Fremder ist, überlegte sie auf einmal ärgerlich. Wahrscheinlich war es sogar besser so, denn vermutlich konnten die meisten ihrer Freunde das Gejammer über ihre gescheiterten Beziehungen schon nicht mehr hören.

„Louise hatte recht“, erklärte sie unvermittelt und stellte ihre Tasse dabei so heftig zurück, dass die Untertasse klirrte. „Er hat mich nicht geliebt.“

„Wer ist Louise?“

„Meine beste Freundin. Wir wohnen zusammen.“

„Dann war sie wohl diejenige, mit der Sie gerade telefoniert haben.“

Er war wirklich ein guter Beobachter!

Charlotte nickte. „Anscheinend hat Gary heute Nacht angerufen und auf dem Anrufbeantworter die Nachricht hinterlassen, dass er nicht in der Maschine ist und eine lange E-Mail geschickt hat, in der er mir alles erklärt. Aber wir sind gestern erst sehr spät nach Hause gekommen und haben nicht auf den Anrufbeantworter gesehen. Louise hat ihn erst heute Morgen abgehört, als ich schon weg war. Sie hat sofort bei Gary angerufen, um ihn zu fragen, was los ist, aber er hat nicht abgenommen. Wahrscheinlich, weil es dort gerade mitten in der Nacht ist. Also hat sie sich bei mir gemeldet, und ich habe sie gebeten, mir die E-Mail vorzulesen.“

„Ihr vermisster Verlobter heißt also Gary?“

„Gary Cantrell. Und er ist nicht vermisst. Er ist in Los Angeles, bei seiner Assistentin. Und die ist schwanger. An dem Tag, an dem er abreisen wollte, um mich zu heiraten, hat sie wie durch ein Wunder erfahren, dass sie ein Baby erwartet!“

„Aha“, meinte der Amerikaner wissend.

„Genau. Aha.“

„Und wie lange ist es her, dass Gary und Sie sich gesehen haben?“

„Ich habe ihn seit letztem Juni nicht mehr gesehen.“

„Aber das war ja vor acht Monaten!“ Sein schockierter Tonfall enthielt eine eindeutige Botschaft. Seiner Meinung nach durfte man einen Mann offenbar nicht so lange allein lassen.

„Ich war ihm treu“, erwiderte Charlotte scharf.

„Das ist sehr löblich. Aber Männer sind nicht gerade für ihre Treue bekannt, wenn ihre Verlobten – oder Ehefrauen – so lange so weit weg sind.“

„Das ist mir nicht neu.“

„Und warum waren Sie so lange getrennt?“

Nach einem tiefen Seufzer berichtete sie ihm kurz von ihrer Romanze mit Gary, wobei sie verschwieg, dass sie nicht mit ihm geschlafen hatte. Dafür erzählte sie ihm aber, dass sie sich über seine Wünsche hinweggesetzt und heimlich eine Feier im großen Stil in einem exklusiven Hotel geplant hatte.

„Als Amerikaner wissen Sie sicher nicht, wo das Regency Royale ist“, fügte sie hinzu.

„Der Name kommt mir bekannt vor.“

„Es ist eines der nobelsten Hotels in der Stadt und entsprechend teuer. Die Buchung für die Suite, die ich für die Hochzeitsnacht reserviert habe, kann ich bestimmt stornieren, aber den Empfang kann ich nicht mehr absagen. Kennen Sie jemanden, der Verwendung für eine dreistöckige Hochzeitstorte und ein Designerbrautkleid hat? Oder Interesse an einem fünftägigen Pauschalurlaub im Hunter Valley?“

Ihr Vater war nicht der Einzige, der ein Vermögen verschwendet hatte.

„Im Moment nicht. Vielleicht können Sie es im Internet anbieten? Da wird man anscheinend alles los.“

Charlotte stöhnte. „Reden Sie bitte nicht vom Internet!“

„Ich denke nur praktisch.“

„Ich weiß, was Sie denken.“

„Was denn?“

„Dass Internetromanzen in der Wirklichkeit keinen Bestand haben. Dass unsere Liebe nicht echt war.“

„Ja, das wird allgemein angenommen“, erwiderte der Amerikaner.

„Vielleicht traf das auf Gary zu, aber nicht auf mich. Ich habe ihn geliebt.“ Wieder weinte Charlotte. „Und morgen wollte ich ihn heiraten.“

Doch obwohl sie selbst hartnäckig an der Aufrichtigkeit ihrer Gefühle für Gary festhielt, vermutete sie, dass von ihrer Seite noch andere Dinge im Spiel gewesen waren. Ganz sicher auch ein Anflug von Torschlusspanik.

Von daher war es vielleicht sogar ganz gut, dass sie Gary nicht heiratete. Allerdings machte das ihren Kummer und ihre Enttäuschung nicht erträglicher.

„Der morgige Tag wird der schlimmste meines Lebens“, erklärte sie und verzog das Gesicht. „Nein, den Titel verdient wohl eher der heutige. Ich wollte mit meinen Eltern zu Mittag essen, um ihnen meinen Verlobten vorzustellen. Ich würde alles tun, um meinem Vater nicht gestehen zu müssen, dass die Hochzeit geplatzt ist. Er hat so viel Geld dafür ausgegeben, dabei ist er alles andere als reich. Er ist ein einfacher Farmer. Natürlich werde ich ihm das Geld zurückzahlen, aber es wird Jahre dauern, denn als Friseurin verdiene ich nicht besonders gut.“

Hätte sie sich bloß im letzten Jahr nicht den neuen Wagen gekauft oder auf die Reise in die Flitterwochen verzichtet! Momentan hatte sie nur Schulden.

Seufzend trank Charlotte ihren Cappuccino aus. Bei dem Gedanken an die vielen Ausgaben für die Hochzeit fühlte sie sich noch mutloser als zuvor.

„Möchten Sie heute Abend mit mir essen gehen?“

Erstaunt schaute sie auf. „Ist das Ihr Ernst?“, fragte sie ungläubig. „Haben Sie mir nicht zugehört? Mein Verlobter hat mir gerade den Laufpass gegeben und mir das Herz gebrochen. Mir ist wirklich nicht danach, gleich wieder mit einem gut aussehenden Amerikaner auszugehen, nur weil er mir schöne Augen macht, um mich ins Bett zu bekommen.“

„Ich bin kein Amerikaner“, informierte der Mann sie kühl, „sondern Australier.“

„Wie bitte?“

„Ich weiß, dass ich einen amerikanischen Akzent habe“, erklärte er. „Das liegt daran, dass ich seit einigen Jahren in Los Angeles lebe. Aber ich bin in Sydney geboren. Meine Mutter hat einen US-Amerikaner geheiratet und ist mit uns in die Staaten übergesiedelt, als ich noch ein Baby war. Meine Schwester Beth ist drüben geboren, aber wir sind hier zur Schule gegangen. Beth ist hier geblieben und inzwischen glücklich mit einem Arzt aus Sydney verheiratet. Wenn man vom Teufel spricht …“

Seinem Blick folgend, sah Charlotte eine hochschwangere Frau auf ihren Tisch zukommen. Sie fiel genauso auf wie ihr Bruder, denn sie war ebenfalls groß, dunkelhaarig und attraktiv. Charlotte schätzte sie auf etwa dreißig, also einige Jahre jünger als ihn.

„Du hast dich offenbar überhaupt nicht verändert, Bruderherz“, verkündete sie, bevor sie sich mit einem offenen Lächeln an Charlotte wandte. „Man braucht ihn nur eine Minute allein zu lassen, und schon stürzt er sich auf die attraktivste Frau weit und breit. Allerdings muss ich Sie warnen, meine Liebe. Er hält es nie lange mit einer aus.“

„Danke für die Empfehlung, Schwesterherz“, bemerkte ihr Bruder trocken, während er aufstand, um sie auf die Wange zu küssen. „Ich würde euch ja gern miteinander bekannt machen, aber die Lady hat mir ihren Namen noch nicht genannt.“

Höchste Zeit, sich zu verabschieden, dachte Charlotte. Sonst tat sie noch etwas Dummes, obwohl sie bereits mehr als genug Männer seines Schlages kennen gelernt hatte.

Entschieden stand sie auf, hängte sich ihre Tasche um und lächelte den Mann an. „Danke für die Einladung, aber ich muss los.“ Und so schnell es mit den hochhackigen Sandaletten ging, eilte sie in Richtung Ausgang.

Eigentlich hätte sie sich denken können, dass er sie nicht so einfach gehen lassen würde.

„Warten Sie!“, rief er und lief hinter ihr her. „Denken Sie sich bitte nichts dabei. Meine Schwester hat nur Spaß gemacht.“

Daraufhin blieb sie stehen und warf ihm einen zynischen Blick zu. „Stimmt es etwa nicht, dass Sie es mit keiner Frau lange aushalten?“ Der schuldbewusste Ausdruck in seinen Augen war Antwort genug. „Sehen Sie.“ Sie ging weiter.

„Verraten Sie mir wenigstens Ihren Namen.“

Erneut blieb sie stehen und sah ihm ins Gesicht. Das war ein großer Fehler.

Wieder verriet der Ausdruck in seinen Augen Verlangen und Begierde. In diesem Moment hätte sie ihm am liebsten ihren Namen und ihre Telefonnummer genannt und obendrein noch seine Einladung zum Abendessen angenommen. Doch das wäre das Dümmste, was sie tun konnte. Mit dreiunddreißig war es höchste Zeit, endlich aus ihren schlechten Erfahrungen mit Männern zu lernen.

„Ich … ich glaube nicht“, erwiderte sie, klang aber nicht besonders überzeugend.

Im nächsten Moment förderte er eine Visitenkarte zutage. „Die Nummern auf der Vorderseite sind uninteressant, solange ich in Australien bin.“ Schnell schrieb er etwas auf die Rückseite. „Aber ich schreibe Ihnen meine Handynummer auf. Sie können mich auch bei meiner Schwester anrufen. Sie heißt Beth Harvey und ist mit Dr. Vincent Harvey verheiratet. Vince ist Orthopäde, und die beiden wohnen in Rose Bay. Dort werde ich die nächsten vierzehn Tage sein. Sie stehen im Telefonbuch. Rufen Sie mich an, wenn Sie es sich anders überlegen“, fügte er hinzu, während er ihr die Karte gab. „Momentan sind Sie ziemlich durcheinander, aber wir wissen beide, dass Sie diesen Gary nicht wirklich geliebt haben.“

Erneut begegneten sich ihre Blicke. Ein heißes Prickeln überlief Charlotte.

„Was soll das heißen?“, fragte sie atemlos.

„Das wissen Sie sehr gut, meine Schöne.“

Liebend gern hätte sie ihm widersprochen, konnte es allerdings nicht, denn er hatte recht. Wie hätte sie Gary lieben können, wenn dieser Mann Gefühle in ihr weckte, die sie noch nie verspürt hatte? Ihr Puls raste, und ihr war heiß.

Aus Neugier betrachtete Charlotte die Visitenkarte, hauptsächlich jedoch, um ihm nicht mehr in die Augen sehen zu müssen.

Er hieß Daniel Bannister. Und war Anwalt in Los Angeles.

Zum ersten Mal an diesem Tag musste sie lachen. Was für eine Ironie des Schicksals!

„Was ist so lustig?“, fragte er überrascht.

Zynisch sah sie ihm ins Gesicht. „Gary kommt auch von dort – und ist Anwalt. Ich glaube, ich habe die Nase fürs Erste voll von Anwälten aus Los Angeles.“

Nachdem sie ihm die Karte wieder in die Hand gedrückt hatte, wirbelte sie herum und eilte davon.

4. KAPITEL

„Hör mal, es tut mir wirklich leid“, entschuldigte sich Beth. „Ich habe es nicht böse gemeint. Aber ich wollte auch nicht lügen. Und du hältst es tatsächlich mit keiner Frau lange aus. Jedenfalls erzählst du mir das ständig.“

Während der Fahrt und in den zwei Stunden danach hatte ihr Bruder kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Sobald sie bei Beth und Vincent ankamen, hatte er sich in die Gästesuite zurückgezogen, geduscht und sich umgezogen. Danach hatte er es sich auf der hinteren Terrasse bequem gemacht und schweigend die Zeitung von vorn bis hinten gelesen.

Als sie das Haus erreichten, war Vince bereits zur Arbeit gefahren und würde frühestens gegen sieben zurückkommen. Deshalb musste Beth ihren grantigen Bruder erst einmal allein unterhalten. Kein Wunder, dass sie fast froh war, später noch einen Vorsorgetermin beim Frauenarzt zu haben.

Doch sie hatte auch keine Lust, seine schlechte Laune noch länger zu ertragen.

„Verdammt noch mal, Daniel, was hast du denn erwartet?“, fuhr sie fort, weil er auf ihre Entschuldigung überhaupt nicht einging. „Dass die Frau mit fliegenden Fahnen zu dir überwechselt? So unwiderstehlich bist du nun auch wieder nicht.“

Als sie sich vorsichtig auf einen der Liegestühle setzte, fiel ihr wieder ein, dass die Mädchen ihm schon in der Schule scharenweise nachgelaufen waren.

Inzwischen war er sogar noch faszinierender. Seine Figur war viel maskuliner als damals und sein dichtes Haar besser geschnitten. Seine Züge waren markanter, sie verrieten Lebenserfahrung, und selbst die Lachfältchen taten seiner Attraktivität keinen Abbruch. Dazu noch seine Augen, die ebenso intelligent wie unergründlich wirkten, was die meisten Frauen ausgesprochen sexy fanden.

„Das Problem mit dir ist“, sprach Beth gereizt weiter, „dass du zu viel Erfolg bei Frauen hast.“

Natürlich wusste Daniel, dass seine Schwester recht hatte. Was die Sache aber keinen Deut besser machte. Und es erklärte auch nicht, warum er so aus der Fassung war.

„Ich bekomme sie einfach nicht aus dem Kopf.“ Er war selbst überrascht, als er es aussprach.

Und auch Beth wirkte erschrocken. „Aber du hast dich doch nur ein paar Minuten mit ihr unterhalten.“

„Ich weiß.“

„Außerdem war sie blond.“

Daniel lächelte. „Ja, das ist mir auch klar. Aber sie hat mir gefallen. Sie war süß.“

Daraufhin lachte Beth. „Sie war sexy.“

„Aber auf eine unaufdringliche Art.“

„Ach, komm. Mit der Figur?“

Stirnrunzelnd sah er zu seiner Schwester. Stimmt, die Fremde war tatsächlich sexy gewesen. Und er hätte zu gern mit ihr geschlafen. Aber seit sie vor ein paar Stunden wieder aus seinem Leben verschwunden war, dachte er nicht an Sex, sondern sehnte sich vielmehr danach, einfach mit ihr zusammen zu sein.

„Ich muss sie finden“, verkündete er.

„Wie denn? Du kennst ja nicht einmal ihren Namen.“

„Ich weiß zumindest, dass sie für morgen einen Hochzeitsempfang im Regency Royale gebucht hat. Dort könnte ich ihren Namen und ihre Telefonnummer erfahren.“

„Die werden sie dir nicht geben.“

Entschlossen nickte er. „Oh doch, das werden sie.“

Vermutlich würde er die Daten tatsächlich bekommen, denn er war ein Meister der Überredungskunst.

„Du hast doch um zwölf einen Arzttermin, oder?“, fragte er.

„Ja.“

„Liegt die Praxis in der Nähe des Regency Royale?“

„Zu Fuß dauert es ungefähr eine Viertelstunde bis dorthin.“ Ihr Arzt hatte seine Praxis in der Macquarie Street, und das Regency war in der Nähe der Rocks.

„Ich gehe hin, während du beim Arzt bist. Was meinst du, wie lange wird es dauern?“

„Wenn er zwischendurch zu einer Geburt muss, können es zwei Stunden werden. Das kommt öfter vor.“

„Wir können ja zwischendurch telefonieren.“

„Hältst du das wirklich für eine gute Idee, Daniel? Ich meine, die Arme ist momentan bestimmt sehr verletzlich.“

„Ich habe nicht die Absicht, ihr wehzutun, Schwesterherz. Ich möchte nur mit ihr essen gehen, um sie besser kennen zu lernen.“

Verzweifelt verdrehte Beth die Augen. Aber es hatte überhaupt keinen Sinn, sich mit Daniel zu streiten. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, hielt ihn nichts und niemand davon ab.

„Dann bestelle ich für halb zwölf ein Taxi. Ich fahre nie mit dem Wagen zum Arzt, weil man dort keinen Parkplatz bekommt.“

Um kurz nach zwölf hielt Charlotte vor dem Regency Royale. Obwohl sie erst um halb eins mit ihren Eltern zum Essen verabredet war, wusste sie, dass diese mit Sicherheit bereits in der Lobby auf sie warteten, denn sie waren immer überpünktlich. Kurz hatte sie mit dem Gedanken gespielt, einfach später zu kommen, dann allerdings beschlossen, dass es besser war, die ganze Sache so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.

Die Stunden seit ihrer Rückkehr vom Flughafen waren nicht leicht gewesen, und sie hatte viel geweint. Wenn Louise da gewesen wäre, hätte sie sich mit ihr über Gary aufregen können, weil er sie betrogen hatte. Doch ihre Mitbewohnerin musste arbeiten, während sie selbst wegen ihrer Hochzeit eine Woche Urlaub hatte. Immerhin hatten sie sich noch kurz im Flur getroffen. Louise hatte sie umarmt und ihr das Versprechen abgenommen, diesen Mistkerl Gary auf keinen Fall anzurufen, was nicht weiter schwer war. Niemals hätte sie jetzt mit ihm reden, geschweige denn sich seine jämmerlichen Ausflüchte und Entschuldigungen anhören können.

Kaum hatte sie die leere Wohnung betreten, fiel sie in ein tiefes Loch. Die Stille und der Anblick der Schnappschüsse von Gary und ihr auf dem Flughafen, die im Flur im Regal standen, waren unerträglich. Kurzerhand warf sie die Fotos in den Mülleimer, bevor sie sich aufs Bett warf und ihren Tränen der Bitterkeit, Wut und Verzweiflung freien Lauf ließ.

Nach einer Stunde hatte sie sich so weit beruhigt, dass sie sich Frühstück machen und Gary eine E-Mail schicken konnte. Darin teilte sie ihm unmissverständlich mit, was sie von ihm hielt und dass er sich nie wieder bei ihr melden sollte. Als sie die Mail abschickte, brach sie wieder in Tränen aus.

Diesmal gewann sie ihre Fassung allerdings schneller wieder, so dass sie in der Lage war, einige Anrufe zu machen. Nachdem sie dem Smokingverleih und dem Zelebranten abgesagt hatte, stornierte sie ihren Auftrag im Blumengeschäft und die Reservierung der Suite für die Hochzeitsnacht.

Zu dem Zeitpunkt war sie zu aufgewühlt, um auch den Empfang abzusagen. Deshalb beschloss sie, es später persönlich zu tun, nachdem sie mit ihren Eltern gesprochen hatte. Vielleicht erklärte sich die Hotelleitung bereit, ihrem Vater einen Teil der Summe zu erlassen.

So gut es ging, beseitigte sie anschließend die sichtbaren Schäden ihrer Weinanfälle. Zuerst kühlte sie sich die Augen, hinterher schminkte sie sich sehr sorgfältig. Außerdem zog sie sich um und trug nun eine schwarze Leinenbluse, eine cremefarbene Hose und schwarze Pumps. Statt ihrer Umhängetasche nahm sie eine Strohtasche mit.

„Möchten Sie einchecken, Ma‘am?“, fragte der Angestellte, der die Wagen parkte.

Bei dieser Anrede unterdrückte Charlotte ein Stöhnen. Seit wann war sie eine „Ma‘am“? Allerdings war der junge Mann bestimmt noch keine Zwanzig, also musste sie mit dreiunddreißig tatsächlich alt auf ihn wirken. Was für ein deprimierender Gedanke, der ihre Stimmung nicht gerade verbesserte.

„Nein.“ Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab, als sie ihm die Wagenschlüssel reichte. „Ich bin hier nur zum Essen verabredet.“

„Dann brauchen Sie einen Parkschein, Ma‘am.“

Nachdem sie den kleinen Zettel entgegengenommen hatte, ging sie durch die Glastür in die Einkaufspassage, die zum Hotel führte.

Eine echte Touristenfalle, dachte sie, während sie an den exklusiven Boutiquen vorbeiging, die Designersachen, teuren Schmuck und verführerische Dessous verkauften. Genau wie für zukünftige Bräute, rief sie sich seufzend ins Gedächtnis, denn bei ihrem letzten Besuch hier hatte sie eine ansehnliche Summe in der Lingerie ausgegeben.

Schnell wechselte sie auf die andere Seite der Passage, wo lediglich einige Eingänge waren und sie nicht Gefahr lief, von deprimierenden Erinnerungen überwältigt zu werden. Gleich die erste Tür führte zur Rendezvous Bar, einem trendigen Etablissement, das sie ein paar Mal mit Louise besucht hatte, die zweite zur Tavern, einem Grillrestaurant mit Bar, wo sie mit ihren Eltern essen wollte. Dort servierte man eher traditionelle Gerichte, genau das Richtige für die beiden.

Als Charlotte an ihren Vater dachte, krampfte sich ihr Magen schmerzhaft zusammen. Und ihr wurde noch elender zumute, sobald sie das Ende der Passage erreichte und das mit dickem Teppich ausgelegte Hotelfoyer betrat. Schon das Ambiente erinnerte sie daran, wie teuer ein Empfang hier war, selbst wenn man lediglich mit fünfzig Gästen feierte. Allein die Hochzeitstorte hatte ein Vermögen gekostet!

Charlottes einziger Trost war, dass sie sich auf eine Brautjungfer beschränkt hatte. Wenn eine ihrer Schwestern nicht schwanger gewesen wäre, hätte es noch zwei weitere gegeben!

Nun wünschte sie sich, Garys Wunsch nach einer Feier im kleinen Rahmen berücksichtigt zu haben. Damit wäre das, was nun vor ihr lag, ungemein leichter gewesen. Schlimm genug, dass sie ihren Eltern von der geplatzten Hochzeit erzählen musste. Noch trauriger aber war, dass ihr Vater das viele Geld, das er ausgegeben hatte, viel sinnvoller hätte anlegen können.

Zwar hatte die anhaltende Dürre der letzten zehn Jahre ihre Familie nicht so schwer getroffen, doch das Geld war trotzdem ziemlich knapp. Mit der Summe für die Hochzeit hätte ihr Vater sich eine neue Herde kaufen können, nachdem er seine alte im vergangenen Jahr hatte veräußern müssen. Oder er hätte einen zusätzlichen Staudamm bauen oder endlich mit seiner Frau die Kreuzfahrt machen können, von der sie schon so lange träumten.

Traurig dachte Charlotte daran, wie alt und müde die beiden Weihnachten ausgesehen hatten.

Beklommen blickte sie sich im Foyer um, konnte die beiden aber nirgends entdecken. Da in der Hotelhalle nicht viele Gäste waren, hätte sie ihre Eltern sofort sehen müssen.

Nein, sie waren nicht da.

Hätten die beiden ein Handy, könnte sie sie anrufen und fragen, ob sie sich verfahren hatten. Doch sie lebten immer noch im vergangenen Jahrhundert, und daran würde sich wohl auch nichts mehr ändern.

Charlotte setzte sich in einen der tiefen Samtsessel, so dass sie die Einkaufspassage im Blick hatte. Aus der Richtung mussten ihre Eltern kommen.

Im ersten Moment erkannte sie ihn nicht, denn er war anders angezogen. Statt des grauen maßgeschneiderten Anzugs trug er nun ein marinefarbenes Poloshirt, Jeans und Turnschuhe. Seine Sonnenbrille hatte er lässig ins Haar geschoben.

Verdammt! Es hatte sie einige Mühe gekostet, Daniel Bannister aus ihren Gedanken zu verbannen, nachdem sie vom Flughafen weggefahren war. Glücklicherweise gab es zu Hause dringende Angelegenheiten, die sie erledigen musste und die sie von ihm ablenkten. Jetzt war er plötzlich wieder da und genauso sexy wie bei ihrer ersten Begegnung.

Charlotte war so schockiert, dass sie zusammenzuckte. In dieser Sekunde bemerkte er sie. Auch er wirkte erschrocken, aber gleichzeitig sichtlich erfreut. Als er auf sie zukam, verspannte sie sich unwillkürlich. In letzter Sekunde erhob sie sich, weil sie nicht zu ihm aufblicken wollte.

Er nahm die Sonnenbrille aus den Haaren, klappte sie zusammen und steckte sie in seine Brusttasche. Dabei lächelte er sie strahlend an, und ihr fiel auf, was für perfekte Zähne er hatte – und dann auch noch ein Grübchen. Als wäre er nicht schon attraktiv genug!

„Ich glaube es nicht!“, rief er fröhlich. „Ich bin hier, um mir Ihren Namen und Ihre Telefonnummer geben zu lassen, und nun treffe ich Sie!“

Vollkommen entgeistert sah Charlotte ihn an. Es war also kein Zufall: Daniel Bannister verfolgte sie. Sollte sie nun wütend sein oder sich geschmeichelt fühlen?

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich mit meinen Eltern zum Mittagessen verabredet bin“, erwiderte sie und spürte, wie sie errötete. Was hatte dieser Mann bloß an sich, dass sie sich in seiner Nähe wie ein alberner Teenager vor seinem Lieblingspopstar fühlte?

„Wirklich? Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, dass Sie es erwähnt haben. Aber egal. Jetzt habe ich die Gelegenheit, das Bild geradezurücken, das meine Schwester Ihnen von mir vermittelt hat.“

„Sie können einfach kein Nein akzeptieren, stimmt‘s?“, fuhr Charlotte ihn an.

Ein jungenhaftes Lächeln war die Antwort. „Das hat Beth auch gesagt, als ich ihr erzählt habe, dass ich Sie unbedingt finden muss. Sie ist gerade beim Frauenarzt. Deshalb habe ich mich auf meine Mission begeben, um die Identität der bezaubernden Lady von heute Morgen festzustellen, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht.“

„Sie sind wirklich unglaublich“, erklärte Charlotte, errötete dabei allerdings noch mehr. Konnte er denn nicht begreifen, dass sie auf keinen Fall daran erinnert werden wollte, wie dumm sie gewesen war? Wie hatte sie nur glauben können, Gary zu lieben?

Und wie ausgesprochen erniedrigend, den Blick nicht von Daniel Bannister abwenden zu können. Er sah wirklich umwerfend aus!

Hätte sie statt Gary doch ihn kennen gelernt! Er hätte sie auf der Stelle verführt und am nächsten Tag sitzen lassen. Aber zumindest hätte er ihr nichts vorgemacht und sie nach einem Jahr abserviert.

Männer wie Daniel mussten Frauen nicht belügen, um sie ins Bett zu bekommen. Denn das schwache Geschlecht würde alles tun, was er wollte, ohne dass er etwas versprechen musste – sie selbst leider eingeschlossen.

Und diese Tatsache machte ihr am meisten zu schaffen. Dass sie – Charlotte Gale –, die unmittelbar vor der Hochzeit von ihrem Verlobten den Laufpass bekommen hatte, einen Mann so begehren konnte wie den, der gerade vor ihr stand.

„Ich gehe heute Abend nicht mit Ihnen essen“, sagte sie scharf.

„Kein Problem“, erwiderte Daniel Bannister prompt. „Morgen Abend ist mir auch recht. Oder übermorgen. Ich bin vierzehn Tage hier.“

„Sie haben mir schon wieder nicht zugehört. Ich habe vorhin Nein gesagt. Und jetzt tue ich es wieder. Ich will nicht mit Ihnen essen gehen.“

„Das ist nicht Ihr Ernst.“

Doch, damit war es ihr sogar todernst. Aber er begriff es einfach nicht.

„Manche Dinge sind nun einmal vom Schicksal vorherbestimmt, meine Schöne. Warum wären Sie sonst hier und hätten auf mich gewartet?“

Charlotte stöhnte. „Ich habe nicht auf Sie gewartet, sondern auf meine Eltern. Das sagte ich bereits. Sie … Oh!“ Sie verstummte. Ihr schwirrte der Kopf. „Sie sind da.“

5. KAPITEL

Als Daniel sich umdrehte, sah er einem älteren Paar entgegen, das ganz offensichtlich vom Land kam. Beide waren Mitte bis Ende sechzig und hatten graues Haar. Die Frau war mollig, der Mann hingegen hager. In seinem wettergegerbten Gesicht strahlten freundliche blaue Augen. Früher mussten beide einmal sehr attraktiv gewesen sein. Der Mann trug einen Anzug, die Frau ein Kostüm, und es war ihnen deutlich anzusehen, wie unwohl sie sich darin fühlten.

„Charlotte!“ Mit einem glücklichen Lächeln eilte die Frau auf ihre Tochter zu, um sie auf die Wange zu küssen.

Auch Daniel lächelte. Nun wusste er wenigstens, wie sie hieß. Charlotte. Ein schöner Name für eine tolle Frau. Ihm war klar, dass sie es ihm nicht leicht machen würde. Doch er wollte sich nicht abwimmeln lassen.

Da er sehr sensibel auf Körpersprache reagierte, hatte er längst gemerkt, dass Charlotte sich genauso zu ihm hingezogen fühlte wie er sich zu ihr. Ihre Beziehung mit diesem jämmerlichen Gary war nichts weiter als eine Illusion gewesen. Und das wusste sie. Ganz deutlich hatte er es heute Morgen in ihrem Blick gesehen.

Natürlich konnte er nachvollziehen, dass sie noch immer außer sich war. Keine Frau ließ sich gern abservieren, schon gar nicht einen Tag vor der Hochzeit. Außerdem liebte sie ihre Eltern über alles und wollte sie nicht enttäuschen. Wenn sie ihnen gleich die schlechte Nachricht überbrachte, brauchte sie dringend etwas Unterstützung.

„Und der liebe Gary!“ Plötzlich wirbelte Charlottes Mutter herum und umarmte ihn herzlich, bevor sie ihn auf Armeslänge von sich hielt und von Kopf bis Fuß musterte. „Du meine Güte, Sie sehen ja noch besser aus als auf den Fotos. Sicher, Sie hatten eine Sonnenbrille auf, so dass ich Ihre Augen nicht erkennen konnte. Du hast mir gar nicht erzählt, was für schöne Augen Gary hat, Charlotte.“

Charlotte war genauso verblüfft wie er.

Dabei lag es natürlich nahe, dass ihre Mutter ihn für Gary hielt. Schließlich war Charlotte heute Morgen dasselbe passiert. Noch ein Grund, aus dem sie sich zu ihm hingezogen fühlen musste. Er war genau ihr Typ.

„Weißt du, Mum“, sagte sie nach einer Weile, „er ist n…“

„Er ist ein verdammt gut aussehender Mann“, mischte ihr Vater sich ein, ergriff seine Hand und drückte sie. „Der morgige Tag wird der glücklichste meines Lebens sein, weil meine kleine Charlotte einen Mann heiratet, der gut für sie ist. Wissen Sie, Gary, ihr letzter Freund war ein richtiger Nichtsnutz. Aber dieses Mal hat sie endlich Glück.“

„Dad, bitte!“, ermahnte sie ihn und verdrehte die Augen.

„Du hast mir doch gesagt, ihr hättet keine Geheimnisse voreinander und du hättest ihm alles über Dwayne erzählt. Wussten Sie, dass er sogar einen Ohrring hatte?“, fügte er an Daniel gewandt hinzu und verzog dabei gequält das Gesicht. „Echte Männer tragen so etwas nicht!“

„Ich jedenfalls nicht.“ Daniel hatte es zwar einmal versucht, fand aber, dass er damit einfach idiotisch ausgesehen hatte.

„Das habe ich gemerkt. Sie gefallen mir, Gary. Herzlich willkommen in unserer Familie.“ Wieder drückte ihm Charlottes Vater die Hand.

In diesem Moment wünschte Daniel, er wäre tatsächlich Gary. Denn er wollte die beiden nur ungern enttäuschen. Bei dem Gedanken kam ihm eine geniale Idee. So konnte er außerdem zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

„Es freut mich sehr, Sie endlich kennen zu lernen, Sir“, sagte er. „Und Sie auch, Mrs. …“ Verdammt, er kannte ihren Nachnamen nicht! „Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie Mum und Dad nenne und wir uns duzen?“, improvisierte er deshalb schnell.

„Überhaupt nicht, mein Junge!“ Charlottes Vater strahlte, genau wie ihre Mutter.

Charlotte hingegen sah ihn nur starr an, die Lippen ein wenig geöffnet. Allerdings machte sie keine Anstalten, ihren Eltern die Wahrheit zu sagen.

„Ich habe mir schon immer gewünscht, dass einer meiner Schwiegersöhne mich so nennt“, fuhr ihr Vater fort, nachdem er endlich Daniels Hand losgelassen hatte. „John – das ist Lizzies Ehemann – nennt uns immerhin John und Betty. Aber Keith – das ist der Angetraute von Alice – spricht uns nach wie vor mit ‚Mr. und Mrs. Gale‘ an.“

Konzentriert versuchte Daniel, sich alle Namen zu merken. John, Betty, Gale.

„Gary!“

Erschrocken zuckte er zusammen, als Charlotte ihn ansprach. Ihr ironischer Ausdruck in den Augen und ihr Tonfall straften ihr strahlendes Lächeln Lügen. „Kann ich bitte kurz mit dir reden? Mum. Dad. Ich muss kurz etwas unter vier Augen mit Gary besprechen. Macht es euch etwas aus?“

„Schon gut, Liebes“, erwiderte ihr Vater. „Wir gehen noch einmal durch die Einkaufspassage. Dann könnt ihr beiden Turteltauben alles Nötige klären.“

„Was, zum Teufel, sollte das eben?“, fragte Charlotte scharf, sobald ihre Eltern außer Hörweite waren.

„Ich schätze, ich werde Sie morgen heiraten“, erwiderte Daniel ruhig. Dabei umspielte ein schelmisches Lächeln seine Lippen.

„Machen Sie sich nicht lächerlich.“

„Die Ehe wäre ja nicht rechtskräftig“, beruhigte er sie. „Aber damit ist zumindest gewährleistet, dass Sie Ihre Eltern nicht todunglücklich machen, von den finanziellen Ausgaben ganz zu schweigen. Und auch Sie müssten sich um einiges besser fühlen. Sie wirken ziemlich mitgenommen, Charlotte.“

Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Sie sind verrückt!“

„Ganz sicher nicht. Man kann mir vieles nachsagen, aber das nicht.“

„Aber das ist unmöglich!“

„Warum? Ihre Eltern halten mich für Gary. Alle anderen werden es auch tun.“

„Louise nicht. Sie weiß, dass Gary nicht gekommen ist.“

Louise. Daniel überlegte kurz, wer das war, und erinnerte sich an ihre Unterhaltung in der Cafeteria. „Ist sie nicht Ihre beste Freundin?“

„Ja.“

„Dann beichten Sie ihr einfach alles und bitten sie mitzumachen.“

„Aber … ich habe schon alles abgesagt!“, protestierte sie.

„Was genau heißt alles?“

„Ich habe den Zelebranten angerufen, den Blumenladen, den Smokingverleih und …“

„Das lässt sich alles regeln.“ Den Zelebranten mussten sie allerdings aus dem Spiel lassen. Denn als Anwalt konnte er es sich nicht leisten, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Aber er würde schon jemanden finden, der dessen Rolle übernahm.

Wahrscheinlich würde Vince sich sogar dazu bereit erklären, denn für einen Arzt war er ungewöhnlich abenteuerlustig. In seiner Freizeit ging er zum Fallschirmspringen.

„Den Empfang haben Sie aber noch nicht abgesagt, oder?“, fragte Daniel scharf.

„Nein.“

„Und wo soll die Zeremonie stattfinden? Offenbar nicht im Standesamt oder der Kirche, wenn Sie einen Zelebranten engagiert hatten.“

„Hier im Hotel.“

„Das wäre also kein Problem.“

„Sie sind wirklich verrückt“, bemerkte Charlotte leise.

„Verrückt nach Ihnen, meine Schöne.“

Leicht benommen sah sie ihn an. „Ich bin noch nie einem Mann wie Ihnen begegnet“, erklärte sie. „Ich wette, Sie würden nie im Internet mit einer Frau flirten, ihr einen Heiratsantrag machen und dann einfach nicht auftauchen.“

„Nein, Charlotte, ganz bestimmt nicht. Abgesehen davon, dass ich gegen Eheschließungen allergisch bin, hasse ich das Internet. Es ist reine Zeitverschwendung, es sei denn, man nutzt es geschäftlich, außerdem ist es schlecht für die Augen.“

Gegen ihren Willen musste Charlotte lachen. Die ganze Situation war bizarr. Und bevor sie sich versah, zog Daniel sie an sich und küsste sie, mitten im Foyer und vor allen Leuten.

Natürlich war sie schon oft geküsst worden, schließlich war sie dreiunddreißig. Dieser Mann jedoch küsste sie genauso, wie er sie heute Morgen im Flughafen angesehen hatte – unglaublich intensiv und leidenschaftlich. Ganz eng presste er sie an sich, und seine Lippen brannten auf ihren wie Feuer. In null Komma nichts schmolz sie dahin. Und als er zu allem Überfluss auch noch ein erotisches Spiel mit der Zunge begann, erlosch ihre Willenskraft vollends.

Daniel wollte morgen so tun, als würde er sie heiraten?

Gut.

Er wollte heute Abend mit ihr essen gehen?

Einverstanden.

Und anschließend mit ihr schlafen?

Ja, bitte!

Erst das vernehmliche Räuspern ihres Vaters brachte Charlotte abrupt zurück auf den Boden der Tatsachen. Sobald sie sich von Daniel löste, konnte sie wieder halbwegs klar denken. Doch das Verlangen, das er in ihr geweckt hatte, klang nicht ab und ließ sie für einen Moment hoffen, dass er für sie tun konnte, was noch nie ein Mann vor ihm vermocht hatte …

Sie versuchte, bei dieser Vorstellung nicht zu erröten, während Daniel hochzufrieden wirkte. Seine Mission war erfolgreich gewesen.

Die ganze Zeit über wusste Charlotte, dass er es nicht für ihre Eltern tat. Und auch nicht für sie. Er wollte, dass sie in seiner Schuld stand und mit ihm schlief. Allerdings hätte er dafür nicht so viel auf sich nehmen müssen, denn sie wäre ohnehin mit ihm ins Bett gegangen.

Noch vor vierundzwanzig Stunden hätte sie jeden ausgelacht, der behauptet hätte, sie wäre leicht zu haben. Die Tatsache, dass sie Daniel Bannisters Charme innerhalb so kurzer Zeit erlegen war, schockierte und faszinierte sie gleichermaßen.

Warum ausgerechnet er?

Lag es daran, dass er wie ein Filmstar aussah? An seinem Charme? Seiner Intelligenz? Oder riss sein Verlangen sie mit? Noch nie hatte sie sich von einem Mann so begehrt gefühlt wie von ihm.

Noch immer raste ihr Puls und brannten ihre Wangen, sobald sie ihn ansah. Wenn sie sich schon nach einem Kuss so fühlte, wie würde es dann erst sein, mit ihm zu schlafen?

Bei der Vorstellung erschauerte sie, und ihr Herz setzte einen Schlag aus, als Daniel ihr den Arm um die Taille legte und sie an sich zog. Eng aneinander geschmiegt gingen sie zu ihren Eltern, die im hinteren Teil des Foyers auf sie warteten.

„Charlotte hat mir gerade gestanden, dass Sie, anders als ursprünglich geplant, nun doch eine Hochzeit im großen Rahmen organisiert haben.“

„Na ja, ich konnte schlecht zulassen, dass die Hochzeit meiner jüngsten Tochter nicht so schön wird wie die der beiden anderen“, erklärte ihr Vater verlegen und stolz zugleich.

Ungeachtet seiner Hintergedanken war Charlotte Daniel unendlich dankbar, dass sie ihren Vater nun doch nicht enttäuschen musste. Sicher würde es ihr später auch schwer fallen, ihm und ihrer Mutter zu erklären, warum ihr Mann in die Staaten zurückkehren musste, und ihnen irgendwann zu gestehen, dass ihre Ehe gescheitert war.

Aber alles zu seiner Zeit. Im Moment genoss sie den Aufschub, der diesem katastrophalen Tag ein wenig von seiner traurigen Dramatik nahm.

Jetzt zählte nur, dass ihre Eltern glücklich waren.

„Könnten wir vielleicht in das Restaurant gehen, Charlotte?“, bat ihr Vater. „Ich habe seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.“

„Ich bin auch hungrig.“ Daniel warf ihr einen verführerischen Blick zu.

Der Mann war ein Teufel. Aber man musste ihn einfach mögen – und begehren. In Los Angeles hatte er sicher schon etliche Frauenherzen gebrochen.

„Ich hoffe, es ist nicht so ein Lokal, wo man stundenlang auf seine Bestellung wartet“, sagte ihr Vater stirnrunzelnd.

„Ich bin ganz Ihrer Meinung“, pflichtete Daniel ihm bei. „Wenn ich hungrig bin, brauche ich schnell etwas.“

Charlotte zog eine Augenbraue hoch, um ihm zu zeigen, dass sie seine Anspielungen durchaus verstand. Dann lächelte sie. „Ich hatte schon damit gerechnet, dass du das sagst. Keine Angst, Dad, das Restaurant ist gleich hier in der Passage. Ihr Jungs könnt ein Bier trinken, während wir auf das Essen warten. Wie wäre es mit einem Sherry für dich, Mum? Oder einem Weißwein, wenn dir das lieber ist.“

Autor

Miranda Lee
Miranda Lee und ihre drei älteren Geschwister wuchsen in Port Macquarie auf, einem beliebten Badeort in New South Wales, Australien. Ihr Vater war Dorfschullehrer und ihre Mutter eine sehr talentierte Schneiderin. Als Miranda zehn war, zog die Familie nach Gosford, in die Nähe von Sydney.

Miranda ging auf eine Klosterschule. Später...
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Miranda Lee
Miranda Lee und ihre drei älteren Geschwister wuchsen in Port Macquarie auf, einem beliebten Badeort in New South Wales, Australien. Ihr Vater war Dorfschullehrer und ihre Mutter eine sehr talentierte Schneiderin. Als Miranda zehn war, zog die Familie nach Gosford, in die Nähe von Sydney.

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