Julia Best of Band 213

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ES WAR EINMAL EIN PLAYBOY ... von HARDY, KATE
Es war einmal ein Playboy … Wie gern würde die Physiotherapeutin Serena an eine romantische Cinderella-Story glauben, als ihr attraktiver Patient George Somers sie mit einem heißen Kuss überrascht. Aber leider steht der vermögende Adlige in dem Ruf, ein unverbesserlicher Playboy zu sein …

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Frühstück bei Giovanni Seit Francesca zusammen mit Giovanni Mazetti einen Coffeeshop leitet, steht ihre Welt Kopf. Sie hat sich unsterblich in den charmanten Italiener verliebt. Doch der Mann ihrer Träume will keine feste Bindung, und Affären am Arbeitsplatz sind für beide tabu ...

IM GARTEN DER SINNE von HARDY, KATE
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  • Erscheinungstag 10.05.2019
  • Bandnummer 0213
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712716
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kate Hardy

JULIA BEST OF BAND 213

1. KAPITEL

„Sie fahren also regelmäßig Trimmrad und schwimmen?“, erkundigte Serena sich interessiert.

„Ja“, bestätigte George.

„Haben Sie dabei Schmerzen?“

„Nein.“ Das war nicht einmal geflunkert. Zumindest nicht sehr. George konnte sein tägliches Trainingsprogramm problemlos absolvieren. Doch in der vergangenen Woche hatte er es etwas übertrieben. Der Gedanke, seinen Genesungsprozess ein bisschen zu beschleunigen, war einfach zu verlockend gewesen. Leider hatte er seinen Körper damit überfordert.

Serena sah ihn tadelnd an. „Seien Sie ehrlich!“

„Das bin ich!“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „George, ich weiß, dass es Sie wahnsinnig macht, noch nicht wieder so fit zu sein wie vor Ihrem Unfall. Sie möchten Ihr altes Leben lieber heute als morgen zurückhaben, aber es wird noch eine Weile dauern. Ihr Oberschenkel und Ihre Handgelenke haben bei dem Sturz ganz schön was abbekommen. Sie wissen doch, dass ein Oberschenkelknochen ungefähr sechs Monate braucht, um zu verheilen, oder? Und auch Ihr Muskel- und Bindegewebe ist arg in Mitleidenschaft gezogen worden.“

George seufzte. „Nun gut, wenn Sie es genau wissen wollen: Ich habe vor ein paar Tagen versucht, ein bisschen zu joggen. Allerdings im Schwimmbad, in hüfthohem Wasser, um durch den Wasserauftrieb die Belastung gering zu halten.“

Missbilligend runzelte sie die Stirn. „Und?“

„Es ging.“

„Wenn es nach mir ginge, würde es ein Gesetz geben, das es Patienten verbietet, irgendetwas im Internet nachzulesen“, murmelte Serena.

Er hüstelte verlegen. „Woher wissen Sie, dass ich den Tipp aus dem Internet habe?“

„Weil weder ich noch Bruno Ihnen diesen schwachsinnigen Rat gegeben haben. Die letzten Röntgenaufnahmen waren vielversprechend, Ihre Knochen heilen gut, doch Sie müssen mit dem Joggen noch warten, bis Sie richtig laufen können.“

„Das ist mir inzwischen auch klar.“

Serena seufzte. „Was haben Sie noch gemacht, George?“

„Na ja, ich habe es auch außerhalb des Wassers versucht. Aber nur ganz kurz.“

„Weil es zu sehr wehgetan hat.“ Das war keine Frage.

„Ein bisschen“, gab er zu.

„Ihrem Gang nach zu urteilen, verursacht der Oberschenkelmuskel die Schmerzen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Was soll ich nur mit Ihnen machen, George?“

„Diesen Satz habe ich schon oft gehört. Zu Hause und vor allem in der Schule.“

„Warum überrascht mich das nicht?“ Sie verdrehte die Augen. „Würde es Sie stören, wenn ich mir das Bein näher ansehe? Ich würde gern sichergehen, dass Sie sich nicht ernsthaft verletzt haben.“

„Klar. Heißt das, ich muss meine Hosen ausziehen?“

„Nun, es ist ziemlich schwierig, einen Muskel durch den Stoff hindurch zu untersuchen.“ Amüsiert sah sie ihn an. „Sagen Sie Bescheid, wenn Sie so weit sind.“

George genierte sich etwas, vor ihr seine Hosen herunterzulassen. Natürlich war das lächerlich, denn Serena James war schließlich Ärztin und überwachte seit mehreren Wochen seine Physiotherapie. Abgesehen davon hatte George schon in unzähligen Schlafzimmern – und nicht nur dort – seine Hosen ausgezogen, ohne auch nur das geringste Problem damit zu haben. Außerdem würde er seine Boxershorts und das T-Shirt anbehalten.

Trotzdem war es angenehm, dass Serena sich diskret umgedreht hatte. Seit seinem Unfall fühlte er sich furchtbar hilflos. Wie lange mochte der Heilungsprozess noch dauern?

George wusste, dass er sein Trainingsprogramm etwas ruhiger angehen lassen musste – auch wenn seine Ungeduld ihn fast umbrachte. Er fand es unerträglich, sein Leben im Schneckentempo führen zu müssen.

„Fertig“, verkündete er, und sie drehte sich zu ihm um.

Ihre Hände waren warm und weich, als sie seine Beinmuskulatur abtastete. Obwohl die Berührungen rein professionell und alles andere als erotisch waren, spürte George ein leichtes Kribbeln im Bauch und bemerkte den schwachen Duft von Serenas Shampoo. Es roch nach Erdbeeren.

Entsetzt bemerkte er, dass sein Interesse an ihr nicht zu übersehen war. Schnell versuchte George, an etwas anderes zu denken, zum Beispiel an die kostspielige Reparatur des Daches von Somers Hall, die noch in diesem Jahr fällig war. Oder an eine der anderen Aufgaben im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung des Anwesens. Schließlich wollte er weder sich noch Serena in Verlegenheit bringen.

Andererseits fragte er sich schon seit Längerem, ob Serena ebenfalls die Spannung bemerkte, die seit der ersten Begegnung zwischen ihnen bestand. George war sich ziemlich sicher, dass er sich das Knistern nicht einbildete.

Unauffällig warf er einen Blick auf ihre Hände. Kein Ring. Natürlich bedeutete das nicht unbedingt, dass sie in keiner festen Beziehung war. Doch George hatte den Verdacht, dass Serena James zu den Frauen gehörte, für die ein unverbindliches Zusammenleben nicht infrage kam. Sie war eher der Typ, der heiraten und eine Familie gründen wollte.

Daher war er auch ein vollkommen ungeeigneter Mann für sie. Er bevorzugte lockere Affären und vermied es, ernsthafte Beziehungen einzugehen.

„Ihre Muskeln sind ziemlich verspannt. Ich werde Ihnen einige Übungen zeigen, mit denen Sie sie lockern können.“

„Vielen Dank. Ich verspreche, dass ich jeden Tag trainieren werde.“

„Versprechen Sie mir lieber, dass Sie es nicht wieder übertreiben.“ Sie sah ihn streng an.

George grinste. „Das würde ich doch nie tun!“

„Nein, natürlich nicht. Sie sind überhaupt nicht der Typ, der irgendetwas übertreiben würde. Die Tatsache, dass Sie sich unbedingt mit einem Gleitschirm von einer Klippe stürzen mussten, zeigt ja schon, dass Sie ein durch und durch vernünftiger Mensch sind.“

Er liebte es, wenn sie ihn neckte und ihre dunkelgrünen Augen dabei vor Vergnügen funkelten. Überhaupt mochte er Serena James. Entweder wusste sie nicht, dass er der Erbe von Somers Hall und damit der künftige Baron war, oder es war ihr egal. Auf jeden Fall behandelte sie ihn, als wäre er ein ganz gewöhnlicher Patient. George schätzte ihre bodenständige und unkomplizierte Art sehr.

Serena hatte sich umgedreht, damit er sich die verhassten Jogginghosen anziehen konnte. Unter normalen Umständen wäre George niemals auf die Idee gekommen, diese Art von Kleidung außerhalb eines Sportplatzes zu tragen. Er bevorzugte Designer-Jeans oder maßgeschneiderte Hosen, doch beides konnte er wegen der Verletzung im Moment nicht tragen. Der Unfall hatte ihm nicht nur seine Beweglichkeit, sondern auch seine Eleganz genommen, und er freute sich schon sehr darauf, sich bald wieder ordentlich kleiden zu können.

„Alles klar. Ich bin angezogen“, erklärte er lächelnd.

Serena wandte sich ihm zu. „Also, warum machen Sie das?“

„Was?“

„Na, all diese gefährlichen Sportarten.“

Er zuckte die Achseln. „Mein Bruder behauptet, dass ich ein Adrenalin-Junkie bin.“

„Hat er recht damit?“

„Ich mag den Kick, den man bei Extremsportarten bekommt“, gab George zu. „Das ist wohl meine Art, Spannungen abzubauen.“ Außerdem hielt es ihn vom Nachdenken ab.

„Gibt es denn keine ungefährlicheren Entspannungsmethoden für Sie?“

Doch, die gab es. Aber er würde Serena nicht damit in Verlegenheit bringen, ihr zu erzählen, was ihm bei der Frage sofort eingefallen war. Und schon gar nicht, welche Rolle sie dabei spielen könnte. „Gleitschirmfliegen ist überhaupt nicht gefährlich.“

„Sagt der Mann, der sich dabei den Oberschenkelknochen und beide Handgelenke gebrochen hat …“

„Das ist doch alles so gut wie verheilt. Außerdem habe ich einen Helm getragen und war sehr gut vorbereitet. Wenn dieser unerwartete Windstoß mich nicht gerade in dem Augenblick erwischt hätte, als ich ein wenig unaufmerksam war, dann wäre ich niemals gegen die Klippe geprallt.“

„Da waren Sie mit Ihren Gedanken wohl eher weit weg, oder?“

Allerdings. Er hatte an dem Tag erfahren, dass er womöglich nicht der leibliche Sohn seines Vaters war. Für eine normale Familie wäre das vielleicht kein großes Problem gewesen, doch in seinem Fall hätte es erhebliche rechtliche Konsequenzen gehabt. Sein ganzes Leben hätte sich verändert.

Glücklicherweise hatte ein DNA-Test bewiesen, dass seine Angst unbegründet gewesen war und seine Mutter sich geirrt hatte. Sowohl George als auch sein jüngerer Bruder Ed waren zweifelsfrei die Söhne von David Somers.

Die Zeit bis zum Testergebnis war ein wahrer Albtraum gewesen. George hatte nächtelang wach gelegen und darüber nachgedacht, ob er überhaupt noch zur Familie gehören würde, wenn sich herausstellte, dass er das Ergebnis einer der zahlreichen Seitensprünge seiner Mutter war. Natürlich wusste er, dass sein Vater, seine Stiefmutter, sein Bruder und seine Schwestern ihn genauso sehr liebten, wie er sie. Aber das lag daran, dass sie seine Familie waren. Sie waren mehr oder weniger verpflichtet, ihn gernzuhaben. Und das taten sie auch.

Bis auf einen Menschen.

Zara Somers hatte ihre Söhne verlassen, als George sechs Jahre alt war. Von diesem Tag an bis zu ihrem Tod hatte sie so getan, als existierten sie nicht mehr.

George war klar, dass er das Verhalten seiner Mutter nicht auf alle Frauen übertragen durfte. Und doch hatte er insgeheim immer damit gerechnet, dass seine Freundinnen ihn früher oder später im Stich lassen würden. Den Verdacht, dass sie nur an seinem sozialen Status interessiert waren und nicht an ihm als Menschen, hatte er nie ganz ablegen können.

Ein einziges Mal hatte er es riskiert und sich auf eine Frau eingelassen. Rebecca war eine Kommilitonin an der Uni gewesen, und er hatte wirklich geglaubt, sie würde ihn um seiner selbst willen lieben.

Doch er hatte sich geirrt.

Allerdings hatte seine Herkunft sie nicht für ihn eingenommen – im Gegenteil. Rebecca war nicht damit zurechtgekommen und hatte gesagt, sie könne nicht in einem goldenen Käfig leben und die Rolle der Gattin des angehenden Barons spielen. Obwohl er ihr mehrfach erklärt hatte, dass dieser Adelskram für ihn nur eine vollkommen unwichtige Formalität darstellte, hatte sie darauf bestanden, dass es zu seiner Persönlichkeit gehörte und untrennbar mit ihm verbunden wäre. Er hatte ihr sogar angeboten, seinem Bruder das Erbe und den Titel zu überlassen, doch das hatte sie abgelehnt. „Ich liebe dich zu sehr, als dass ich dich unglücklich machen könnte“, hatte sie gesagt, als sie ihm den Verlobungsring zurückgab.

Und dann war sie einfach gegangen.

Von dem Augenblick an hatte George dafür gesorgt, dass er derjenige war, der zuerst ging. Seine Beziehungen waren seitdem allesamt oberflächlich und kurz gewesen.

„Ja“, erwiderte er. „Mir ging an dem Tag einiges im Kopf herum.“

Serena errötete. „Tut mir leid. Ich habe natürlich in den Zeitungen darüber gelesen.“

Genau wie der Rest der Welt … Für die Klatschreporter war es ein Festtag gewesen, als das Gerücht aufkam, dass die Erben von David Somers eventuell gar nicht seine Söhne waren.

„Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten und ganz bestimmt keine Klatschgeschichte hören.“

Er glaubte ihr. Es war schließlich nicht ihre Schuld, dass seine Mutter so verantwortungslos gewesen war. Oder dass Rebecca es nicht geschafft hatte, ihre eigene Unsicherheit abzulegen und ihrer Liebe eine Chance zu geben.

„Schon gut. Es stört mich nicht, darauf angesprochen zu werden.“ Inzwischen stimmte das sogar. Seit dem Ergebnis des DNA-Tests hatte das Interesse der Paparazzi nachgelassen. Dann hatte Ed offiziell seine Verlobung mit Jane verkündet, und die Presse hatte sich auf die romantische Aschenputtel-Geschichte gestürzt. „Das ist alles Schnee von gestern. In Zukunft werde ich mich nicht mehr so leicht aus der Fassung bringen lassen.“

„Was meinen Sie damit?“, fragte Serena entsetzt. „Sie wollen doch nicht noch einmal mit so einem mörderischen Fallschirm fliegen?“

„Gleitschirm“, korrigierte George sie. „Nein, leider nicht. Meine Familie hat mir das Versprechen abgenommen, es aufzugeben und die Ausrüstung zu verkaufen. Außerdem hat mein Hausarzt mir verboten, Ski zu fahren, solange die Metallplatte noch in meinem Bein ist.“ Er verzog das Gesicht. „Vor mir liegt also ein sehr langweiliges Jahr, in dem ich nur herumhumpeln und alle Leute mit meiner schlechten Laune nerven werde.“

Ein Jahr, in dem er viel zu viel Zeit haben würde, über sich und sein Leben nachzudenken.

Sie lächelte. „Bestimmt finden Sie irgendetwas, womit Sie sich ablenken können.“

Irgendjemand, der ihn ablenkte, wäre ihm lieber. Rein zufällig wäre Serena genau die richtige Person für den Job. Auch wenn sie eigentlich nicht sein Typ war, faszinierte sie ihn immer mehr.

„Wie geht es Ihren Handgelenken?“, erkundigte sie sich.

„Viel besser. Ich komme inzwischen gut ohne die Schienen zurecht. Dank der Übungen, die Sie mir gezeigt haben, kann ich schon fast alle Bewegungen richtig ausführen.“ Wehmütig lächelnd sah er sie an. „Sie können sich nicht vorstellen, wie gern ich wieder selbst Auto fahren möchte!“

„Taxi fahren ist doch gar nicht so schlimm.“

„Haben Sie eine Ahnung! Normale Taxis mögen ja erträglich sein, aber wenn man von seinen kleinen Schwestern herumchauffiert wird, kommt man schnell an seine Schmerzgrenze. Vor allem, wenn besagte kleine Schwestern ununterbrochen an einem herumnörgeln.“

Serena lachte.

„Sie sollten Mitleid mit mir haben!“

„Habe ich.“ Sie grinste immer noch. „Aber ich stelle mir gerade vor, wie Sie von einer Frau herumkommandiert werden.“

„Von meinen Schwestern“, korrigierte er. „Und herumkommandieren ist noch untertrieben. Die älteste von ihnen ist Anwältin – und zwar die Furcht einflößendste, der ich je begegnet bin. Alice duldet nie – niemals – einen Widerspruch. Egal, worum es geht. Die mittlere, eine Architektin, droht ständig, mir mit Paketklebeband den Mund zuzukleben, sobald ich auch nur die leiseste Kritik an ihrem Fahrstil äußere. Dabei möchte ich doch nur, dass sie mein Auto heil lässt. Und die jüngste fängt an, Latein mit mir zu reden, sobald ich etwas sage, das ihr nicht passt.“

Wieder musste Serena lachen. „Ich bin mir sicher, dass Sie alle drei um den Finger wickeln können, wenn Sie es wollen.“

Da hatte sie recht. Genau das war Georges Masche bei Frauen. Er lullte sie mit seinem Charme ein, bis sie genau das taten, was er wollte.

Und in diesem Augenblick wollte er Serena!

Sie hatte einen wundervollen verführerischen Mund. In ihrem Gesicht war keine Spur von Make-up zu finden – was auch absolut nicht nötig war, denn sie besaß eine außergewöhnliche natürliche Schönheit. Nur zu gern hätte George ihre makellose Haut berührt, um festzustellen, ob sie tatsächlich so weich war, wie sie aussah. Und noch lieber hätte er sie geküsst, hätte diesen hübschen Mund, der ihn an eine Rosenknospe erinnerte, mit seinen Lippen berührt.

„Sie denken also, ich wäre ein oberflächlicher, manipulativer Frauenheld? Das verletzt mich.“ Mitleid heischend sah er sie an. „Wirklich, ich bin tief getroffen.“

„Sicher. Das sieht man.“ Das amüsierte Funkeln blitzte wieder in ihren Augen.

„Ja, ehrlich!“ Er konnte der Versuchung nicht widerstehen. „Und da Sie diejenige sind, die dafür gesorgt hat, dass ich mich so schlecht fühle, sollten Sie jetzt irgendetwas tun, damit es mir besser geht …“

Ihr Lächeln hätte nicht unverbindlicher sein können. „Tut mir leid, Mr. Somers, aber das gehört nicht zu meinen Aufgaben.“

In Sekundenschnelle war sie professionell und förmlich geworden. Warum hatte er auch gleich so übertrieben? Zeit für den Rückzug. „Entschuldigen Sie bitte, Dr. James, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.“

Serena ging sämtliche Übungen noch einmal mit ihm durch, und George konzentrierte sich darauf, alles richtig zu machen.

„Gut. Ich denke, das reicht für heute“, erklärte sie schließlich.

„Sehe ich Sie am Donnerstag? Oder schicken Sie mich etwa zum brutalen Bruno, um sich dafür zu rächen, dass ich heute etwas frech war?“

„Bruno ist sanft wie ein Lamm“, protestierte Serena.

„Da muss ich leider widersprechen“, sagte George, der sich noch deutlich an Brunos qualvolle Therapiestunden erinnerte. Damals hatte er noch im Krankenhaus gelegen, und seine Schmerzen waren unerträglich gewesen, nachdem die Wirkung der Medikamente nachgelassen hatte. Selbstverständlich hätte er das niemals zugegeben.

„Ach, Sie bedauernswerter Patient“, machte Serena sich über ihn lustig. „Ich sehe Sie dann am Donnerstag.“

Er würde sie am Donnerstag wiedersehen!

Seltsam, wie sehr diese Aussicht seine Laune verbesserte.

Serena lächelte immer noch, während sie ihre Notizen in die Krankenakte schrieb.

George Somers war wirklich attraktiv. Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort wäre sie vielleicht auf seinen Flirtversuch eingegangen. Doch heute …

Sie konnte es sich nicht leisten, unprofessionell zu sein. Dieser Job war wichtig für sie. Überlebenswichtig. Und eine Affäre mit einem Patienten – so harmlos sie auch sein mochte – würde sie in eine unangenehme Situation bringen und ihr schlimmstenfalls sogar eine Abmahnung bescheren. Vom Ende ihrer Karriere einmal ganz zu schweigen. Sie hatte zu hart dafür gearbeitet, Leiterin der physiotherapeutischen Abteilung der Klinik zu werden.

Außerdem wusste sie, dass George Somers zu den Männern gehörte, die sich mit jeder Frau nur zwei, drei Mal verabredeten. Er war nicht der Typ für eine dauerhafte Beziehung. Fast jede Woche konnte man in der Presse eine neue Frau an seiner Seite bewundern – meist waren es blonde, sehr dünne Models. Erstaunlich, dass auch der Unfall ihn nicht dazu gebracht hatte, sein Leben zu überdenken.

Ein Mann wie er kam für sie keinesfalls infrage. Abgesehen davon konnte sie sich nicht vorstellen, dass er – der reiche Erbe eines Adelstitels, der ein Supermodel nach dem anderen abschleppte – an einer normalen Frau wie ihr interessiert sein könnte.

Und dann war da noch Ethan. Ihr Sohn stand unangefochten an erster Stelle in ihrem Leben. Immer. Ende der Debatte.

Wie sehr sie George Somers auch mochte – es war für alle Beteiligten besser, wenn sie bei einer rein professionellen Beziehung blieben. Serena konnte es nicht riskieren, sich auf ihn einzulassen.

Nach einem Blick in ihren Terminkalender rief sie die nächste Patientin herein. Lisa Miller litt seit einem Unfall vor sechs Wochen an einem Schleudertrauma. Sie sprach großartig auf die Behandlung an, und Serena freute sich jedes Mal, wenn sie sah, welche Fortschritte ihre Patientin gemacht hatte. Lächelnd öffnete sie die Tür und begrüßte sie.

Nach Lisa Millers Behandlung machte Serena eine kurze Kaffeepause. In der Teeküche traf sie Jess, eine der Physiotherapeutinnen.

„Es ist noch heißes Wasser im Boiler. Soll ich dir auch einen Kaffee machen?“, fragte sie und holte bereits eine Tasse aus dem Schrank.

„Danke, Jess. Das wäre wunderbar.“

„Wie war es denn heute mit dem tollen Patienten?“, erkundigte Jess sich grinsend, während sie den Kaffee aufgoss. „So umwerfend attraktive Männer sieht man hier ja leider nicht jeden Tag.“

Serena wagte es nicht, etwas darauf zu erwidern. Zu groß war ihre Angst, dass ihr Tonfall sie verraten könnte. Sie wollte auf keinen Fall riskieren, dass ihre Mitarbeiter anfingen, über sie zu tratschen.

„Ist er Single?“

„Weiß ich nicht“, flunkerte Serena. „Ich dachte, du bist verlobt …“

„Das bin ich auch. Aber das heißt nicht, dass ich tot bin. Ein, zwei bewundernde Blicke werden doch erlaubt sein.“ Jess verdrehte die Augen. „Ich kann es nicht fassen, dass du nichts über ihn weißt. Wenn ich Single wäre und einer meiner Patienten wäre so heiß, dann würde ich alles über ihn herausfinden.“

„Schon mal was von Datenschutz und Schweigepflicht gehört?“, erkundigte Serena sich trocken.

„Klar.“ Jess lächelte unschuldig. „Aber wenn er Single ist, könntest du doch mal mit ihm ausgehen.“

„Spinnst du? Er ist mein Patient!“

„Aber nur, bis seine Behandlung abgeschlossen ist. Danach gibt es keinen Grund mehr, ihn nicht näher kennenzulernen.“

Serena spielte ihre Trumpfkarte aus. „Doch. Ethan.“

„Du weißt genau, dass deine Eltern nichts lieber täten, als auf ihn aufzupassen, wenn du eine Verabredung hast.“

Damit hatte sie recht. Serenas Mutter holte Ethan schon jeden Nachmittag aus der Vorschule ab und kümmerte sich um ihn, bis Serena Feierabend hatte. Serena fand, dass sie ihre Eltern schon stark beanspruchte, und wollte sie nur ungern noch um weitere Babysitter-Dienste bitten.

Jess drückte ihr freundschaftlich den Arm. „Serena, du bist eine großartige Mutter und eine wunderbare Chefin – von niemandem habe ich so viel gelernt wie von dir. Aber es gibt im Leben noch mehr als die Arbeit und Kinder. Du denkst viel zu selten an dich! Wann hattest du das letzte Mal richtig Spaß?“

Trotzig hob Serena das Kinn. „Ich habe eine Menge Spaß mit meinem Sohn!“

„Natürlich hast du das. Aber ich meinte etwas anderes. Wann hast du zuletzt etwas nur für dich unternommen? Seit ich dich kenne, hast du keine einzige Verabredung mit einem Mann gehabt, oder?“

„Mein Leben gefällt mir, so wie es ist“, protestierte Serena.

Jess sah sie zweifelnd an. „Wirklich?“

Serena gab darauf keine Antwort.

„Wieso versuchst du nicht öfter, etwas für dich zu machen?“

„Hm.“ Serena goss Milch in ihren Kaffee und trank die Tasse hastig aus. „Ich muss mich beeilen. Mein Terminkalender ist heute Nachmittag ziemlich voll.“

Eilig verließ sie die Küche, doch Jess Fragen hatten sich in ihrem Kopf festgesetzt. Wann war sie das letzte Mal mit einem Mann ausgegangen? Seit Ethans Geburt kein einziges Mal. Der letzte Mann in ihrem Leben war Ethans Vater Jason gewesen.

Trotzdem bedeutete das alles nicht, dass sie sich mit George verabreden wollte. Ein Herzensbrecher, der sie im Stich gelassen hatte, reichte ihr. Diese schmerzhafte Erfahrung musste sie nicht noch einmal machen.

2. KAPITEL

George lag flach auf dem Boden, die Beine weit von sich gestreckt. Dann hob er sein verletztes Bein etwa dreißig Zentimeter an und schrieb ein T in die Luft – genau wie Serena es ihm gezeigt hatte.

Serena.

Während er die Übung wiederholte, schloss er die Augen und rief sich Serenas Gesicht in Erinnerung. Ihren wundervollen vielversprechenden Mund. Wie mochte es sich anfühlen, sie zu küssen? Er stellte sich vor, sie würde mit ihren Lippen seinen Hals liebkosen, dann seine Brust und seinen Bauch. Ihr Haar würde seidig und glatt über seine Haut streichen, kühl im Kontrast zu ihren heißen Küssen. Dann würde sie weiter nach unten …

Er stöhnte auf.

Wie konnte er nur so dumm sein, sich derartige Fantasien zu gestatten? Sie hatte ihm schließlich sehr deutlich gemacht, dass sie sich nicht für ihn interessierte. Serena James war außerdem überhaupt nicht sein Typ. Im Allgemeinen waren es dünne blonde Schönheiten, mit denen er sich auf Partys zeigte. Serena hatte hellbraunes Haar, das die meisten Menschen vermutlich als mausgrau bezeichnen würden. Sie war kaum größer als einen Meter sechzig und hatte wundervolle Kurven, um genau zu sein, die George nur zu gern gestreichelt hätte. So lange, bis sie ein genauso heftiges Verlangen nach ihm verspürte, wie er nach ihr.

Er wusste, was seine rechthaberische Schwester dazu sagen würde. Alice würde genervt die Augen verdrehen und ihm erklären, dass er Serena gerade deshalb so interessant fand, weil er wusste, dass sie für ihn unerreichbar war. Weil sie seit Jahren die erste Frau war, die immun gegen seinen Charme schien.

Vermutlich stimmte diese Einschätzung. Serena James faszinierte ihn. Sie war eine Herausforderung.

Serena lächelte George an, als er hereingehumpelt kam, und sofort wurde ihm heiß.

Beruhig dich, Kumpel! Das hier ist nur eine medizinische Behandlung, ermahnte er sich selbst.

„Haben Sie die Übungen gemacht, die ich Ihnen gezeigt habe?“, fragte sie.

„Ja.“

„Und nur diese Übungen?“

Er tat verwundert. „Selbstverständlich. Wie kommen Sie darauf, dass es anders sein könnte?“

„Weil Sie gern übertreiben. Also, George, was haben Sie gemacht?“

Offenbar konnte sie in ihm lesen wie in einem Buch. Den meisten Menschen reichte es, die Oberfläche zu sehen, doch Serena James schaute genauer hin, und er fürchtete, dass sie ihn dabei durchschaute. Abgesehen von seiner Familie ließ George niemanden wirklich nah an sich heran.

„Ich habe am Wochenende versucht, allein Auto zu fahren. Auf einem Privatweg natürlich, um niemanden zu gefährden.“ Komisch, dass es ihm wichtig war, auf diese Vorsichtsmaßnahme hinzuweisen. Aber er wollte, dass sie ihn für verantwortungsvoll und sympathisch hielt.

Fragend sah sie ihn an. „Tat es weh?“

„Nein. Aber ich habe eingesehen, dass ich in London noch nicht wieder allein fahren kann“, gab er zu. „Trotzdem hat es mir geholfen. Ich weiß jetzt, dass ich schon bald nicht mehr auf meine Schwestern und Ed als Fahrer angewiesen sein werde.“

Serena untersuchte ihn und ließ ihn dann sämtliche Übungen bis zur Schmerzgrenze durchexerzieren. „Sehr gut! Ihre Beweglichkeit hat sich während der letzten Wochen signifikant verbessert.“

„Das habe ich Ihnen zu verdanken!“

Serena lächelte. „Sie sind ein vorbildlicher Patient. Ich denke, Sie sind bereit für die letzte Phase der Reha.“

Während sie ihm die neuen Übungen zeigte, musste George sich sehr konzentrieren. Immer wieder wanderte sein Blick zu ihr. Und zu seiner Freude bemerkte er, dass sie seinen Blick gelegentlich erwiderte.

Als sie sich einmal sekundenlang in die Augen sahen, wurde ihm abwechselnd heiß und kalt. War sie doch an ihm interessiert? Was würde sie tun, wenn er sie einfach küsste?

George fürchtete, dass sie sofort zu ihrer professionellen Förmlichkeit übergehen würde. Beim letzten Mal hatte sie sogleich einen Rückzieher gemacht, als er nur mit ihr geflirtet hatte. Und da ein Kuss weit über eine harmlose Plänkelei hinausging, würde er sie vermutlich für immer verschrecken.

Andererseits war nächste Woche sein letzter Termin. Er hatte also kaum noch Zeit, sie für sich zu gewinnen. Wenn er bei ihrem letzten Zusammentreffen keinen Vorstoß wagte, würde er sie womöglich nie wiedersehen.

Am Montagmorgen ging Serena mit George ein letztes Mal alle Übungen durch. Danach war seine Therapie erfolgreich beendet. Er würde nicht noch mal herkommen.

Das ganze Wochenende hatte er darüber nachgedacht, was er sagen sollte. Im Grunde war es lächerlich. Serena war nicht sein Typ, und er hatte den begründeten Verdacht, dass er auch nicht ihren Vorstellungen entsprach. Trotzdem faszinierte sie ihn so sehr, dass er nicht kampflos aufgeben konnte. „Heute ist mein letzter Termin.“

„Stimmt. Sie haben alles sehr gut gemacht.“

„Ich habe Ihnen eine Kleinigkeit mitgebracht, um Ihnen für die Mühe zu danken. Vermutlich bin ich kein einfacher Patient gewesen, doch Sie waren immer nett und geduldig mit mir.“ Er holte eine flache quadratische Schachtel hervor, kaum größer als eine CD-Hülle. Sie war in festes weinrotes Papier eingeschlagen und mit einem goldenen Schmuckband verziert.

Serena schüttelte abwehrend den Kopf. „Tut mir leid. Wir dürfen keine Geschenke von Patienten annehmen.“

„So streng sind die Vorschriften?“

„Ja. Das ist notwendig, um die Patienten zu schützen.“

„Und die Mitarbeiter, vermute ich.“ Damit keinem Therapeuten vorgeworfen werden konnte, dass er die Verletzlichkeit eines Patienten ausnutzte. George hatte Verständnis für diese Regelung. „Schade. Es ist ja kein Diamanthalsband. Nur eine winzige Kleinigkeit.“ Ein Geschenk, wie er es auch als Mitbringsel zu einer Dinnerparty kaufen würde.

Sie schien verlegen zu sein. „Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, Mr. Somers, aber ich kann es wirklich nicht annehmen.

George stellte die Schachtel auf ihren Schreibtisch. „Serena, sehen Sie mich an“, bat er leise.

Ihn anzusehen war ein Fehler. Diese unglaublich blauen Augen. Der schön geschwungene Mund. Serena konnte ihren Blick nicht mehr von ihm abwenden.

„Serena“, flüsterte er.

Und sie wusste in dieser Sekunde, dass er sie küssen würde.

Es wäre vernünftig gewesen, einen Schritt zurückzutreten. Oder zumindest den Kopf zur Seite zu drehen, damit er ihre Wange und nicht ihren Mund küsste. Doch sie konnte sich nicht bewegen. Wie gebannt wartete sie darauf, dass er sie endlich küsste.

Er fuhr mit seinen Lippen unendlich zärtlich über ihren Mund. Sein Kuss war weder fordernd noch hart, sondern sanft und werbend. Verführerisch.

Sag ihm, dass du so etwas nicht machst!

Doch sie wollte mehr. Viel mehr. Sofort!

Als könnte er ihre Gedanken lesen, küsste er sie erneut. Wieder war er sehr zärtlich, fuhr nur sanft mit seiner Zunge über ihre Unterlippe, als wollte er sie einladen, den Kuss zu erwidern. Serena schmiegte sich an ihn und ließ ihre Finger durch sein Haar gleiten.

Ermutigt durch ihre Reaktion schlang George seine Arme um sie und zog sie dicht an sich heran. Sie öffnete den Mund, um seinen Kuss zu erwidern – einen Kuss, wie sie ihn seit Ethans Vater nicht mehr erlebt hatte. Genau genommen hatte sie so etwas noch nie erlebt. Zumindest nicht in dieser Intensität. Ihr Blut schien mit Höchstgeschwindigkeit durch ihre Venen zu fließen.

George unterbrach den Kuss und streichelte ihr Gesicht. „Ich wusste, dass es so zwischen uns sein würde“, murmelte er.

Heiß. Intensiv. Einfach vollkommen.

„Das habe ich mir schon seit Wochen gewünscht.“

Genau wie sie. Doch sie durfte es nicht zulassen. Serena atmete tief ein und löste sich aus seinen Armen.

„Das hätten wir nicht tun sollen“, sagte sie mit zittriger Stimme. „Du bist schließlich mein Patient!“

„Nicht mehr“, korrigierte er sie. „Meine Behandlung ist abgeschlossen. Wir sind nicht mehr Ärztin und Patient, sondern nur noch du und ich. Zwei ganz gewöhnliche Leute, die machen können, was immer sie möchten.“ Er gab ihr noch einen Kuss, der ihre Knie weich werden ließ. „Ich würde dich sehr gern wiedersehen, Serena. Würdest du mit mir ausgehen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht.“

„Gibt es einen anderen Mann in deinem Leben?“

Dies war die Gelegenheit, ihn mit einer klitzekleinen Lüge abzuwimmeln. Instinktiv wusste sie, dass George Somers ein anständiger Mann war. Er würde sie in Ruhe lassen, wenn er glaubte, dass sie in einer Beziehung war. Sie brauchte jetzt nur Ja zu sagen. Nur dieses eine kleine Wort.

Doch ihr Mund gehorchte nicht. „Nein. Ich bin Single.“

„Wo liegt dann das Problem?“

Erkannte er das denn nicht selbst? „Wir leben in vollkommen unterschiedlichen Welten. Du bist der Sohn eines Barons. Ein Adliger!“

„Es ist nur niederer Adel“, widersprach er. „Und auch Adlige sind Menschen.“

„Du gehörst zur High Society!“

George zuckte die Achseln. „Besonders glamourös ist mein Leben nicht. Außerdem ist nicht alles Gold, was glänzt. Wenn du keine Lust hast, auf Showbiz-Partys zu gehen, dann ist das völlig okay für mich. Es gibt ohnehin eine Menge Dinge, die ich lieber mit dir machen würde.“

„Ich kann nicht fassen, dass wir diese Unterhaltung führen.“

„Ich bin ein ganz normaler Mann, Serena.“

Nein, das war er nicht. Im Gegenteil. George Somers war alles andere als normal.

„Ich fühle mich zu dir hingezogen. Sehr sogar.“ Seine Augen funkelten. „Und so, wie du meinen Kuss erwidert hast, würde ich sagen, dass diese Anziehungskraft auf Gegenseitigkeit beruht.“

Womit er schon wieder recht hatte. Sie fand ihn attraktiv. Sehr sogar. Was sollte sie nur tun? Ihre letzte Verabredung war so lange her, dass sie völlig vergessen hatte, wie man sich in solch einer Situation benahm. Sie würde alles vermasseln.

„Ich habe ein Kind“, platzte sie heraus. „Ich bin alleinerziehend.“ Im gleichen Augenblick schämte sie sich, Ethan als Ausrede zu benutzen. Das hatte ihr Sohn nicht verdient.

„Kein Problem. Ich verstehe, dass du dein Kind beschützen willst. Es wäre nicht fair, wenn er sich an einen Vaterersatz gewöhnt, bevor klar ist, ob dieser Mann es ernst meint.“

Das verstand er?

„Und damit will ich nicht andeuten, dass du ständig Männer vor deinem Kind versteckst“, fügte er hinzu.

Serena spürte, dass sie errötete. Gut, er hielt sie also nicht für eine Frau, die leicht zu haben war.

„Im Gegenteil, ich habe den Verdacht, dass du überhaupt nicht mit Männern ausgehst. Aber nur, weil du ein Kind hast, brauchst du dich nicht völlig zurückzuziehen, Serena. Es ist wichtig, dass man gelegentlich etwas Spaß im Leben hat.“

Dasselbe hatte Jess auch gesagt. Doch Serena widerstand der Versuchung. „Ich bin eine voll berufstätige alleinerziehende Mutter und möchte jede freie Minute mit meinem Kind verbringen.“

„Natürlich möchtest du das. Aber es ist wichtig, dass du manchmal auch etwas Zeit für dich hast“, erklärte er bestimmt und beugte sich zu ihr, um ihr einen Kuss zu geben.

„Geh am Dienstag mit mir essen!“ Seine Stimme klang unglaublich verführerisch.

„Ich …“ Noch bevor sie ablehnen konnte, legte er ihr einen Finger auf die Lippen.

„Pst. Ich weiß, dass du viel zu tun hast, Serena. Wenn du es Dienstag nicht schaffst, machen wir einen anderen Termin aus. Aber an irgendeinem Tag nächste Woche werden wir zusammen zu Mittag essen. Es ist nur ein Essen. Nur du, ich und hoffentlich ein bisschen Sonnenschein.“ Er sah sie bittend an.

Wie konnte sie eine solche Einladung ausschlagen?

„Einverstanden.“

„Bist du Vegetarierin? Oder gegen ein Lebensmittel allergisch? Oder magst du irgendetwas überhaupt nicht?“

„Nein. Keine Einschränkungen.“

„Prima. Genau wie bei mir. Das Leben ist viel einfacher, wenn man alles essen kann.“ Er nahm eine Visitenkarte aus seinem Portemonnaie und kritzelte seine Telefonnummer darauf. „Hier ist meine private Handynummer. Wir sehen uns dann am Dienstag gegen Mittag. Falls du es nicht schaffst, schick mir eine SMS mit einem anderen Termin. Ich bin im Augenblick zeitlich sehr flexibel.“

Ihre Finger berührten sich, als sie die Karte nahm, und wieder spürte Serena, wie ihr Körper unmissverständlich auf George reagierte. Es war verrückt. Als er noch ihr Patient gewesen war, hatte sie es mühelos geschafft, Distanz zu ihm zu wahren. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Ihr Mund kribbelte immer noch von seinem Kuss.

George nahm die Schachtel von ihrem Schreibtisch und reichte sie ihr. „So. Das hier ist nicht länger ein Geschenk von einem dankbaren Patienten, sondern bloß eine unverbindliche Aufmerksamkeit von mir für dich.“

Sie sah ihn an. „Warum?“

„Weil ich glaube, dass es dir gefallen wird. Und mir gefällt es, ein wenig Sonnenschein in das Leben anderer Menschen zu bringen.“ Seine Augen leuchteten. „Übrigens, komm nicht auf die Idee, es mit jemandem zu teilen, Serena! Es ist nur für dich.“

„Darf ich es jetzt aufmachen?“

„Nein.“ Er lächelte. „Warte bitte, bis ich gegangen bin.“ Wie selbstverständlich küsste er sie zum Abschied. „Bis Dienstag.“

Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, setzte Serena sich an ihren Schreibtisch und löste das Schmuckband.

Sein Geschenk entpuppte sich als eine kleine Dose höchst exquisiter dunkler Schokolade von Fortnum and Mason, dem exklusivsten Feinkostgeschäft in ganz London. Diese Köstlichkeit hatte vermutlich mehr gekostet, als sie in einer ganzen Woche für Lebensmittel ausgab.

Noch nie, wirklich niemals in ihrem Leben hatte sie ein derart dekadentes Geschenk bekommen.

Woher hatte George gewusst, dass sie Zartbitterschokolade liebte? Hatte sie diese Vorliebe irgendwann erwähnt? Das würde bedeuten, dass er ihr aufmerksam zugehört und sich ihre Worte gemerkt hatte. Sehr schmeichelhaft.

Als Serena die Schachtel öffnete, entdeckte sie, dass jedes Stückchen einzeln in edles Papier eingepackt war. Vorsichtig nahm sie sich eines und wickelte es aus. Als sie auf der zarten dunklen Schokolade einen violetten Tropfen Fondant entdeckte, konnte sie nicht länger widerstehen. Der herbe Geschmack der dunklen Schokolade wurde perfekt durch die blumige Note des Fondants ergänzt. Es war himmlisch!

Entsetzt bemerkte sie, dass die Schokolade sie an Georges Küsse erinnerte, die ebenfalls gleichzeitig süß und dennoch von einer dunklen Sinnlichkeit gewesen waren. Sie wusste, dass sie von nun an keine Zartbitterschokolade mehr würde essen können, ohne an George zu denken.

Sie musste den Verstand verloren haben! Wie hatte sie nur der Verabredung zum Mittagessen zustimmen können? Und wieso hatte sie ihm überhaupt erlaubt, sie zu küssen?

Sie aß das Schokoladenstückchen auf und verschloss dann sorgfältig die Schachtel, bevor sie sie in ihre Handtasche steckte.

3. KAPITEL

Irgendwie schaffte Serena es, sich den Rest des Nachmittags auf ihre Patienten zu konzentrieren. Nach Dienstschluss fuhr sie zu ihren Eltern, um ihren Sohn abzuholen.

„Mummy!“ Ethan kam auf sie zugestürmt und drückte sie fest an sich.

„Hattest du einen schönen Tag, mein Schatz? Wie war es in der Vorschule?“

„Wir haben Fußball gespielt. Es war toll!“ Glücklich strahlte er sie an. „Und ich habe dir ein Bild gemalt. Und Nanna hat zum Abendessen Basghetti gekocht und ich durfte die Soße umrühren!“

Serena zerzauste ihm liebevoll das Haar. Die Tatsache, dass der Fünfjährige immer noch nicht in der Lage war, den Namen seines Lieblingsgerichts richtig auszusprechen, ließ ihr Herz dahinschmelzen. Sie sah ihre Mutter an.

„Danke, Mum.“

„Wir haben eine Riesenportion gekocht, damit ihr heute Abend bei uns essen könnt. Keine Diskussion!“, erklärte Carolyn lächelnd.

Serena nickte dankbar. Nur zu gern nahm sie das Angebot an, denn sie hatte wenig Lust, heute Abend noch etwas zu kochen. „Du verwöhnst mich. Vielen Dank.“

„Darf ich Grandpa bei seinem Puzzle helfen?“, fragte Ethan.

„Natürlich, mein Liebling!“ Serena gab ihm einen Kuss, bevor er zu seinem Großvater rannte.

„Wie war dein Tag?“, erkundigte sich Carolyn, während sie in der Küche hantierte.

„Ach, ganz gut.“ Serena wollte auf keinen Fall, dass ihre Mutter ihren inneren Aufruhr bemerkte.

„Und wie war er wirklich?“ Carolyn ließ sich so leicht nichts vormachen.

Serena runzelte die Stirn. „Woher weißt du, dass etwas nicht in Ordnung war?“

„Du bemerkst es doch auch sofort, wenn Ethan einen schlechten Tag in der Schule hatte. Wahrscheinlich ist das der Mutterinstinkt.“ Carolyn lachte. „Also, was ist passiert?“

Serena ging zur Tür und vergewisserte sich, dass Ethan nicht in Hörweite war. Dann schloss sie die Tür leise. „Ein Mann wollte sich mit mir verabreden.“

„Das ist ja wundervoll! Wir passen gern auf Ethan auf.“

Serena schüttelte den Kopf. „Es geht nicht um eine Abendverabredung. Nur ein Mittagessen.“

„Dann brauchst du also keinen Babysitter. Und Mittagessen ist doch auch nett. Außerdem brauchst du kein schlechtes Gewissen zu haben, weil du deine Zeit nicht mit Ethan verbringst.“

Das schlechte Gewissen. Ja, genau das war ihr Problem. „Ich kann nicht, Mum.“

Verwundert sah Carolyn sie an. „Warum nicht?“

„Er war mein Patient.“

„War?“

„Ja, heute Mittag war sein letzter Behandlungstermin.“

„Nun, da er nicht mehr dein Patient ist, gibt es keinen Grund, weshalb du dich nicht mit ihm treffen solltest, oder?“

Nervös biss sich Serena auf die Unterlippe. „Aber was ist mit Ethan?“

„Wenn ihr euch mittags trefft, ist Ethan doch in der Schule.“

„Nein, ich meine …“ Sie sah ihre Mutter unglücklich an. „Irgendwie fühlt es sich falsch an, mit jemandem auszugehen.“

„Hast du ihm von Ethan erzählt?“

Sie nickte.

„Und hat er ein Problem damit?“

„Nein, überhaupt nicht. Er war sogar sehr verständnisvoll“, räumte Serena ein.

Carolyn nahm sie in den Arm. „Nicht alle Männer sind wie Jason. Und du hast dich seit einer Ewigkeit mit keinem Mann mehr getroffen.“

Vor sieben Jahren hatte sie sich das letzte Mal mit einem anderen Mann als Jason verabredet. Und auch nachdem Jason sie vor fünf Jahren verlassen hatte, war Serena mit keinem einzigen Mann ausgegangen. Sie seufzte. „Das ist auch ein Teil des Problems, Mum. Ich weiß gar nicht mehr, wie man das macht – ausgehen, plaudern, flirten.“

„Ich glaube nicht, dass die Spielregeln sich sehr verändert haben“, beruhigte Carolyn sie. „Sei einfach du selbst, und alles wird gut.“

„Es wird nicht funktionieren. Wir leben in vollkommen unterschiedlichen Welten.“

„Na und?“

„Ich bin überhaupt nicht sein Typ.“

„Wenn du nicht sein Typ wärst, hätte er dich nicht um eine Verabredung gebeten.“ Carolyn strich Serena übers Haar. „Du bist eine gute Mutter. Aber manchmal musst du auch etwas nur für dich tun. In deinem Leben gibt es im Moment nur die Arbeit und Ethan. Das ist auf die Dauer nicht gut für dich. Magst du ihn denn?“

Das war die entscheidende Frage. Serena sträubte sich, zuzugeben, dass ihr Herz jedes Mal zu rasen anfing, wenn sie George traf.

Als sie zögerte, lächelte Carolyn. „Du magst ihn also. Sonst hättest du die ganze Sache überhaupt nicht erwähnt.“

Auch darauf antwortete Serena nicht, denn sie wusste, dass es stimmte.

„Dann gehst du also mit ihm zu Mittag essen?“

„Nein! Oder vielleicht doch. Ich weiß es nicht.“ Sie war völlig verwirrt.

„Was wäre denn das Schlimmste, das passieren könnte?“, fragte Carolyn.

Sie könnte sich in George verlieben, und er könnte sie verlassen und ihr damit das Herz brechen.

Als hätte sie die Gedanken ihrer Tochter gelesen, tätschelte Carolyn ihr die Wange. „Vielleicht stellst du ja fest, dass ihr nur wenige Gemeinsamkeiten habt und er ein Langweiler ist. Oder du merkst, dass du ihn wirklich nett findest und ihn gern näher kennenlernen würdest. Aber es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden: Du musst ihn treffen.“

Es war verlockend. Sehr verlockend sogar.

Zum Glück hatte Serena noch fast eine Woche Zeit, um darüber nachzudenken.

Eine Woche, in der George Somers und die Erinnerung an seine Küsse in jeder wachen Minute ihre Gedanken beschäftigten. Schuldbewusst musste sie sich eingestehen, dass sie sich kaum noch auf ihre Patienten konzentrieren konnte. Erschwerend kam noch hinzu, dass es fast eine Woche dauerte, bis sie die Schokolade aufgegessen hatte. Sie war so köstlich, dass Serena sich jeden Tag nur ein Stückchen gönnte. Und jedes einzelne Stück erinnerte sie daran, wie es gewesen war, George zu küssen.

Doch am Montagmorgen, noch vor ihrem ersten Patiententermin, machte sie einen Rückzieher. Egal, wie sehr sie es sich auch wünschte, George wiederzusehen – es war einfach zu gefährlich. Und so schrieb sie ihm eine kurze SMS: Danke für die Einladung zum Mittagessen morgen, aber leider schaffe ich es nicht. Serena.

Sie gab keine weitere Erklärung ab und nahm ihm so die Möglichkeit, sie zu überreden. Außerdem schlug sie keinen Ausweichtermin vor.

Mit George Somers auszugehen war ein wundervoller Tagtraum gewesen, doch die Wirklichkeit sah nun einmal anders aus. Probleme und Komplikationen wären vorprogrammiert, falls sie sich auf ihn einließ. Also war es besser, es gar nicht erst zu versuchen. Viel besser und vor allem vernünftiger.

Danke für die Einladung zum Mittagessen morgen, aber leider schaffe ich es nicht. Serena.

George starrte auf das Display seines Handys. Er wusste, dass es so vermutlich am besten war. Es stimmte, was Serena gesagt hatte. Sie beide lebten in verschiedenen Welten. Das letzte Mal, als er mit einer Frau ausgegangen war, die nicht aus seiner Welt stammte, war es auch gründlich schiefgegangen. Daher nahm er sich vor, Serena einfach zu vergessen.

Leider konnte er das nicht.

Ihr verführerischer voller Mund ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Die wenigen Küsse reichten ihm nicht. Er wollte ihre faszinierenden grünen Augen, die vor Vergnügen blitzten, wenn sie ihn neckte, unbedingt wiedersehen. Und er wollte sie im Arm halten, sie streicheln, sie hinter ihrem Schutzwall hervorlocken.

Ja, es wäre vernünftig, die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Doch er konnte der Herausforderung Serena James nicht widerstehen.

Während der Arbeit schaltete Serena ihr Handy immer auf stumm. Falls es in der Vorschule ein Problem gab, würden die Lehrer am Empfang anrufen, und ihre Mitarbeiter würden sie sofort benachrichtigen. Erst am Ende ihrer Schicht stellte sie das Handy wieder auf laut.

Oh. Sie hatte keine Nachrichten bekommen.

George hatte sich also nicht einmal die Mühe gemacht, ihr zu antworten.

Sie unterdrückte den Anflug von Enttäuschung. George war also nicht ernsthaft an ihr interessiert. Oder er hatte selbst eingesehen, dass die Verabredung keine gute Idee gewesen war, weil sie nicht die passende Frau für ihn war. In dem Fall war er bestimmt erleichtert gewesen, als sie abgesagt hatte. Das Gefühl, erneut im Stich gelassen worden zu sein, war vollkommen lächerlich.

Es war am besten so. Ganz bestimmt.

Trotzdem fühlte Serena sich auch am nächsten Tag noch niedergeschlagen. Um sich abzulenken, stürzte sie sich in die Arbeit. Janet Riley, ihre erste Patientin, litt an Parkinson.

Serena begrüßte sie freundlich und stellte sich vor. „Ihr Hausarzt hat Sie zu mir überwiesen, damit ich Ihren Gleichgewichtssinn und Ihre Mobilität einschätze. Wir werden einige kleine Tests machen, die mir zeigen, bei welchen Bewegungen Sie Schwierigkeiten haben. Danach können wir ein Trainingsprogramm für die Physiotherapie entwickeln.“

„Es geht mir gut. Wirklich. Ich möchte Ihnen keine Umstände machen.“

„Sie machen mir keine Umstände! Bei Parkinson ist es wichtig, so früh wie möglich damit anzufangen, Einschränkungen zu kompensieren. Wir haben hier eine sehr nette Selbsthilfegruppe, die sich wöchentlich trifft, um miteinander zu reden und Übungen zu machen, die Gleichgewicht und Gelenkigkeit stärken.“

„Aber die Krankheit wurde doch gerade erst diagnostiziert“, wandte Janet ein.

„Das ist genau der richtige Zeitpunkt, um mit dem Training zu beginnen. Nur so können wir Ihre Beweglichkeit möglichst lange erhalten.“

Janet sah sie unglücklich an. „Ich möchte wirklich keine Umstände machen.“

„Das tun Sie nicht! Je früher Sie mit der Therapie loslegen, desto länger können Sie Ihre Unabhängigkeit bewahren.“

Janet sah sie nachdenklich an. „Ich kann also selbst beeinflussen, wie lange ich noch ohne fremde Hilfe auskomme?“

Genau wie Serena es gehofft hatte, war dies der entscheidende Aspekt für Janet.

„Ja. Je besser Sie mit Ihrer Krankheit zurechtkommen, desto unabhängiger bleiben Sie.“ Sie lächelte die alte Dame an. „Wollen wir es also versuchen?“

Janet nickte.

„Prima!“ Serena trug die nächste Behandlung in ihren Kalender ein und reichte Janet ein Terminkärtchen. Dann machte sie sich noch einige Notizen, bevor sie den nächsten Patienten hereinrief. Lenny Rivers hatte sich das Handgelenk gebrochen.

Genau wie George …

Routiniert ging sie mit Lenny die Übungen durch und verabschiedete sich dann von ihm.

Endlich Mittagspause.

Bevor sie in die Kantine ging, um sich ein Sandwich zu holen, warf sie einen Blick auf ihr Telefon – und erstarrte. George hatte ihr eine SMS geschickt.

Auch wenn du einen vollen Terminkalender hast – eine kurze Mittagspause muss sein. Ich bringe etwas zu essen mit und warte im Wartezimmer auf Dich.

Wie bitte?

Entsetzt starrte sie auf das Display. Als er auf ihre Nachricht nicht reagiert hatte, war sie wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass er kein Interesse mehr hatte.

Nun allerdings sah es so aus, als würde George ihre Absage einfach ignorieren und annehmen, dass sie mit ihm essen ging.

Um Himmels willen! George Somers war nicht der Typ Mann, der in einem Wartezimmer sitzen konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Selbst wenn er unauffällig in der Ecke saß und ein Buch las, würde eine einzelne Frau im Raum ihn bemerken. Wenn sie ihn im Wartezimmer traf, würde er sie überschwänglich begrüßen, und sämtliche Anwesenden würden es mitbekommen.

Es würde über sie geredet werden.

Das durfte nicht geschehen!

Sie zwang sich, den Flur zum Wartezimmer langsam entlangzugehen und sich ihre Panik nicht anmerken zu lassen. Zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass George noch nicht da war. Sie eilte an der Rezeption vorbei in Richtung Haupteingang. Gerade als sie ihn anrufen wollte, sah sie, dass er ihr entgegenkam.

„Hi!“ Georges Lächeln ließ Serenas Knie weich werden. „Hattest du einen anstrengenden Vormittag?“

„Ja.“ Sie holte tief Luft. Damit hatte sie wirklich nicht gerechnet. „George, ich hatte dir doch eine SMS geschickt und unser Mittagessen abgesagt.“

„Stimmt. Aber du hast keinen anderen Termin vorgeschlagen. Und auch nicht geschrieben, weshalb du mich versetzt.“ Seine Augen glitzerten provozierend. „Deshalb bin ich davon ausgegangen, dass du Zeit hast, aber im letzten Augenblick kneifen wolltest.“

Erwischt. „Kann schon sein“, murmelte sie und spürte, wie sie rot wurde.

„Macht nichts“, erwiderte er leichthin. „Ich habe etwas zu essen mitgebracht. Wie wäre es, wenn wir in dem Park gegenüber ein Picknick machen?“

Da erst bemerkte Serena, dass er einen kleinen Weidenkorb und eine Decke dabeihatte. Es war also keine spontane Idee von ihm gewesen, sie zum Essen abzuholen. Ein richtiger Picknickkorb – in dem womöglich echtes Geschirr und Besteck waren – ließ darauf schließen, dass er das Treffen mit ihr geplant hatte.

„Du hast ein Picknick vorbereitet?“ Was für eine dumme Frage. Es war schließlich offensichtlich. Aber leider fiel ihr nichts Intelligenteres ein.

George zuckte die Achseln. „Es erschien mir am zweckmäßigsten, für den Fall, dass du nicht so viel Zeit haben würdest.“

Seine umsichtige Planung machte es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, die Einladung abzulehnen.

„Wann kommt dein nächster Patient?“

„In einer Dreiviertelstunde.“

„Das ist ja wunderbar. Dann haben wir fünf Minuten, um ein hübsches Plätzchen zu finden, eine halbe Stunde für das Mittagessen und fünf Minuten für den Rückweg.“

Es gefiel Serena, dass er ihre Arbeit wichtig nahm und nicht erwartete, dass sie die Patienten warten ließ, um mit ihm zusammen zu sein. Dennoch …

„Vielleicht hört sich das jetzt etwas unhöflich an, George, aber warum bist du hier?“

„Um mit dir zu Mittag zu essen. So, wie wir es letzte Woche verabredet haben.“

Bevor sie einen Rückzieher gemacht hatte. „Aber warum willst du ausgerechnet mit mir essen gehen?“ Verwundert schaute sie ihn an. Sah er denn nicht ein, dass sie in völlig verschiedenen Welten lebten? „Abgesehen davon, dass du jede Woche mit einer anderen Frau unterwegs bist, bin ich doch überhaupt nicht dein Typ.“

„Erstens: Mein Liebesleben ist bei Weitem nicht so abwechslungsreich, wie die Regenbogenpresse es immer behauptet. Und zweitens: Die Entscheidung, wer mein Typ ist und wer nicht, solltest du mir überlassen.“

Wieder schenkte er ihr ein so umwerfendes Lächeln, dass Serena ganz schwindlig wurde.

„Du faszinierst mich.“

„Weil ich dir eine Abfuhr erteilt habe und du das nicht gewohnt bist?“

„Du meinst, du bist eine echte Herausforderung für mich? Das könnte eine gewisse Rolle spielen.“ Seine Augen blitzten vor Vergnügen. „Außerdem mag ich es, dass du so offen und direkt mit mir sprichst. Vor allem aber bist du eine außergewöhnliche Frau, die ich sehr gern näher kennenlernen würde. Ich habe nämlich den Verdacht, dass unter deiner kühlen Oberfläche noch etwas anderes schlummert.“

„Ach ja? Und was?“

„Geh mit mir essen, und ich erzähle es dir vielleicht.“

Doch Serena hatte immer noch Bedenken. „Du wirst oft von Paparazzi belästigt, nicht wahr?“

„Nur bei Partys. Nach meinem Unfall haben sie mich eine Weile verfolgt, aber sobald klar war, dass mein Leben nun langweilig und unspektakulär ist, haben sie schnell das Interesse verloren. Keine Sorge – es wird keine Fotos von unserem Picknick in den Illustrierten geben.“

„Tut mir leid.“ Sie sah ihn zerknirscht an. „Ich bin den Umgang mit Berühmtheiten eben nicht gewohnt.“

„Kein Problem. Wollen wir losgehen?“

Sie fanden eine ruhige Ecke im Park, und George breitete die Decke aus. Obwohl sie in einer öffentlichen, gut besuchten Grünanlage waren, kam Serena das Zusammensein mit ihm seltsam intim vor.

George öffnete den Picknickkorb und holte zwei Porzellanteller heraus. Als er aufblickte, sah er Serena lächeln.

„Was ist?“

„Ich habe noch nie jemanden getroffen, der einen richtigen Picknickkorb besitzt.“

George grinste. „Gut vorbereitete Picknicks sind nun einmal die besten.“

„Willst du damit sagen, dass du das Essen selbst zubereitet hast?“

„Nein. Aber ich habe alles selbst ausgesucht. Ich kenne ein sehr gutes kleines Feinkostgeschäft. Das hört sich womöglich etwas fantasielos oder sogar faul an, aber als Koch bin ich total unbegabt.“

Serena lachte. „Unsinn! Ein paar belegte Brote kann doch jeder machen!“

„Das nächste Mal werde ich alles selbst zubereiten, und dann reden wir weiter.“

Das nächste Mal. Serenas Lächeln verschwand. „Hör zu, George, es ist wirklich sehr nett, dass du mich zum Mittagessen einlädst, aber … ich glaube nicht, dass es ein nächstes Mal geben wird.“

„Und warum nicht?“

„Weil ich eine alleinerziehende Mutter bin, die nicht an einer Beziehung interessiert ist.“

„Gelegentlich miteinander auszugehen bedeutet noch nicht, dass man eine Beziehung hat. Dein Kind muss gar nichts davon mitbekommen“, wandte er ein. „Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“

„Ein Junge. Ethan. Er ist fünf.“

„Dann geht er schon in die Vorschule. Nun, wir beide essen nur gemeinsam zu Mittag. Du brauchst Ethan nichts davon zu erzählen. Und ich versichere dir, dass ich nicht versuchen werde, mich bei ihm einzuschmeicheln oder seinen Vater zu verdrängen.“

Es rührte Serena, dass George derart verständnisvoll und umsichtig war und die Bedürfnisse ihres Kindes ernst nahm. Trotzdem konnte sie ihn nicht in seinem Irrglauben über Jason lassen.

„Es dürfte dir nicht schwerfallen, Ethans Vater zu verdrängen. Er hat sich nämlich schon vor fünf Jahren aus unserem Leben verabschiedet.“

George schwieg.

Plötzlich hatte Serena das Bedürfnis, ihm alles zu erzählen. „Jason kam mit seiner Vaterrolle nicht zurecht. Als Ethan dann auch noch unter starken Säuglingskoliken litt und nächtelang schrie, ist er abgehauen. Da war Ethan gerade sechs Wochen alt. Seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört.“

„Das muss verdammt hart für dich gewesen sein.“

Manchmal bedauerte Serena es, dass Ethan keinen Vater hatte, der mit ihm im Park Fußball spielte oder ihm das Radfahren beibrachte. Doch zum Glück hatte er einen Großvater, der nur zu gern einsprang, und eine Großmutter und Mutter, die ihn über alles liebten. Im Grunde hatten sie und Ethan ihr Leben gut im Griff. Sie brauchten kein Mitleid. „Ich bereue es nicht, Ethan bekommen zu haben. Er ist der wichtigste Mensch in meinem Leben.“

„Und er kann sich glücklich schätzen, eine Mutter zu haben, die ihn so sehr liebt, wie du es offenbar tust.“

Es klang ehrlich und einfühlsam. Dann erinnerte Serena sich an etwas, das sie in der Zeitung gelesen hatte: Georges Mutter hatte die Familie verlassen, als er noch ein Kleinkind war.

„Tut mir leid. Ich wollte keine traurigen Erinnerungen bei dir wachrufen. Wegen deiner Mutter …“

„Das hast du nicht. Ich bin mit einer Mutter aufgewachsen, die mich sehr geliebt hat. Auch wenn Frances nicht meine leibliche Mutter ist, hätte ich mir keine bessere wünschen können. Sie war immer für mich da, egal ob ich Kummer in der Schule oder nächtliche Albträume hatte. Sie hat mir zugehört, mich in den Arm genommen und eben all die Dinge getan, die eine Mutter so macht.“

So wie Serena es für Ethan tat. Die Vorstellung, dass auch George ein kleiner, verletzlicher Junge gewesen war, rührte sie zu Tränen.

„Oje, ich bin heute offenbar etwas rührselig.“

„Macht doch nichts. Aber eigentlich wollten wir ja Spaß haben. Wir sollten also besser das Gesprächsthema wechseln.“ Er nahm ihre rechte Hand und hauchte einen Kuss darauf.

Die liebevolle Geste ließ den Klumpen in ihrem Hals nur noch größer werden.

„Entschuldige dich nicht dafür“, sagte er.

„Woher weißt du, dass ich mich entschuldigen wollte?“

„Da du dich während der letzten fünf Minuten schon dreimal entschuldigt hast, war es keine große hellseherische Leistung.“ Er sah sie nachdenklich an. „Ich glaube, wir sollten einige Regeln festlegen. Zunächst einmal sind Entschuldigungen nicht nötig, in Ordnung? Wir lernen uns gerade kennen, da ist es nur normal, dass man manchmal taktlose oder neugierige Fragen stellt. Wir sollten davon ausgehen, dass der andere nicht fragt, um uns zu verletzen.“

„Gut.“ Sie sah ihn aufmerksam an. „Wie lauten die anderen Regeln?“

„Du bist nicht an einer Beziehung interessiert. Das ist gut, denn das Gleiche gilt für mich.“

„Aber wird von dir nicht erwartet, dass du … eine passende Frau heiratest und so weiter?“

„Um den Titel weiterzugeben, meinst du?“

„Ja.“

Damit hatte sie die entscheidende Frage gestellt. Genau die Frage, über die er nicht nachdenken wollte. Der Unfall hatte nicht nur sichtbare Verletzungen hinterlassen, und die Untersuchungsergebnisse von letzter Woche ließen ihn das Schlimmste befürchten. Die Ärzte hatten ihm wenig Hoffnung gemacht, dass er jemals eigene Kinder haben würde. Es war also am besten, wenn er den Plan, eine Frau zu finden und eine Familie zu gründen, bis auf Weiteres verschob.

„Ich denke, dass mein Vater noch viele Jahre lebt.“

„Soso.“

„Ich suche nichts Langfristiges, Serena“, erklärte er ruhig. „Zumindest jetzt noch nicht. Im Augenblick genieße ich nur die Gegenwart.“

„Weil du dich freust, mit deinem Leben davongekommen zu sein?“

Wieder hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen. „Es war ja nicht mein erster Unfall. Wenn man Risikosportarten bevorzugt, passiert hin und wieder etwas. Allerdings war ich vorher nie auf fremde Hilfe angewiesen.“ Das war definitiv das Schlimmste für ihn.

„Du hast noch nie so viel Zeit zum Nachdenken gehabt, stimmt’s?“

„Viel zu viel Zeit.“ Das Gespräch nahm eine unangenehme Wendung. George wollte auf keinen Fall über seine dunklen, schwermütigen Gedanken sprechen.

„Im Moment brauche ich einfach etwas Abwechslung und Spaß. Genau wie du. Wie wäre es, wenn wir die Sache mit uns locker sehen und eine unbeschwerte Zeit miteinander verbringen? Ohne Druck oder Verpflichtungen. Es ist doch völlig egal, was irgendwelche anderen Leute darüber denken. Und übrigens: Ich gehe nie mit mehreren Frauen gleichzeitig aus. Falls du also Fotos von mir mit anderen Frauen im Arm in den Zeitschriften siehst, kannst du davon ausgehen, dass es Fotomontagen sind, um die Auflagen zu steigern. Meinst du, du könntest dich jetzt entspannen?“

Er hatte leicht reden. Serena war seit Jahren mit keinem Mann ausgegangen und George … Sie hatte das unangenehme Gefühl, dass er ihr das Herz brechen würde, wenn sie sich auf ihn einließ. Er mochte das Ganze als einen harmlosen Flirt betrachten, doch ihr wurde immer noch schwindlig, wenn sie an seinen Kuss dachte – einen Kuss, der über eine Woche zurücklag. Was würde geschehen, wenn sie mehr Zeit mit ihm verbrachte? Was wäre, wenn er sie erneut küssen würde?

Als könnte er ihre Gedanken lesen, flüsterte er ihr leise ins Ohr: „Ich werde dich ganz sicher nicht bedrängen, Serena, und ich erwarte auch nicht, dass wir mitten im Park Sex haben. Ich möchte dich nur ein bisschen besser kennenlernen und etwas Spaß haben. Irgendwie glaube ich, dass dieser Aspekt in deinem Leben zu kurz kommt.“

„Das ist also deine Meinung über mich?“ Sie verzog das Gesicht. „Anscheinend haben gerade alle Menschen in meiner Umgebung das Bedürfnis, mir mitzuteilen, dass ich eine Langweilerin bin.“

„Unsinn! Auch wenn du meistens professionell und ernsthaft bist, merkt man sofort, dass du viel Humor hast. Während meiner Therapiestunden hast du mich oft geneckt und warst immer sehr schlagfertig. Das gefällt mir ja so an dir. Willst du wissen, was ich wirklich denke?“

„Ja, natürlich.“

„Ich denke, tief in deinem Inneren ist eine Frau, die weiß, wie man Spaß hat. Leider lässt du sie nicht heraus. Vielleicht kann ich dir dabei helfen. Aber jetzt essen wir erst einmal.“

Er nahm zwei Gläser aus dem Picknickkorb – echte Gläser und nicht etwa Plastikbecher – und goss frisch gepressten Orangensaft ein. „Ich nehme an, du möchtest in der Mittagspause keinen Alkohol, oder?“

Serena nickte.

„Auf den Beginn einer wunderbaren Freundschaft!“ Er hob sein Glas und stieß mit ihr an.

„Darauf trinke ich gern. Wir sind nur Freunde.“

„Aber gute Freunde“, ergänzte er lächelnd.

Die Sandwiches – zumindest vermutete sie, dass es Sandwiches waren – waren sorgfältig eingepackt. George war offensichtlich in einem sehr teuren Delikatessengeschäft gewesen. „Was ist da drin?“

„Ich hatte gehofft, dass du das fragen würdest“, freute er sich. „Mach die Augen zu!“

„Warum?“

„Damit du abbeißen und raten kannst.“

Das war ein gefährliches Spiel. Hatten sie nicht gerade vereinbart, dass sie nur Freunde sein wollten? Diese Art von Spiel war eigentlich Liebespaaren vorbehalten …

Die Unsicherheit schien sich auf ihrem Gesicht widerzuspiegeln, denn George sah sie beruhigend an. „Entspann dich. Es wird dir Spaß machen.“

Was blieb ihr anderes übrig, als auf seinen Vorschlag einzugehen und die Augen zu schließen?

Das Brot war köstlich, weich und trotzdem knusprig. Sie schmeckte einen Hauch von Pfeffer, vermischt mit etwas Süßem und etwas Scharfem.

„Also, was meinst du?“, fragte er.

„Rucola, Krabben und süße Chilisoße?“

„Sehr gut! Damit hast du dir dein erstes Sandwich verdient und darfst die Augen aufmachen.“

Ein köstlich aussehendes, dreieckiges Häppchen lag vor ihr auf dem Teller.

George holte einige Döschen hervor und stellte sie auf die Decke. In einem waren Cocktailtomaten, in einem anderen Gurkensticks und ein drittes enthielt schwarze Oliven in einer weißen Soße. „Aioli“, erklärte er. „Bedien dich bitte.“

„Du verwöhnst mich! Eigentlich wollte ich mir in der Klinikkantine nur schnell ein belegtes Brötchen holen. Gar nicht zu vergleichen mit diesen Köstlichkeiten hier.“ Genüsslich aß sie das Sandwich und dippte ein Gurkenstückchen in die Knoblauchsoße.

„Bist du bereit für den nächsten Test?“

„Gern! Soll ich wieder meine Augen schließen?“

„Ja, natürlich.“ Er steckte ihr ein Stückchen Brot in den Mund. „Und? Was ist das?“

„Es schmeckt kräftiger, fast ein bisschen rauchig. Roggenbrot?“

„Richtig.“

„Mit einem Fleischbelag und … ich würde sagen Krautsalat. Außerdem noch Käse.“

„Großartig! Es ist Schweizer Käse mit Rauchfleisch. Ein Reuben-Sandwich. Eigentlich wird es mit Sauerkraut gemacht, aber ich finde Krautsalat besser. Schmeckt es dir?“

„Ja, sehr!“

„Gut. Dann kommen wir zu Nummer drei. Mach wieder die Augen zu!“

Diesmal erkannte Serena sofort, was sie aß. Es war ihr Lieblingssandwich zur Weihnachtszeit – und sie hätte nie damit gerechnet, es im September serviert zu bekommen. „Brie, Schinken und Cranberry-Soße. Das liebe ich!“

Als sie die Augen öffnete, sah sie, dass er lächelte.

„Wie wäre es, wenn du mir etwas von dir erzählen würdest? Über mich weißt du ja schon alles aus der Zeitung“, neckte er sie.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin eine alleinerziehende Mutter eines fünfjährigen Sohnes und liebe meinen Job als Ärztin für Physiotherapie.“

„Neben deinem Sohn und deiner Arbeit bleibt dir nicht viel Zeit, oder?“

„Ganz genau.“ Serena freute sich, dass er sie offenbar verstand.

„Stehst du deinen Eltern nahe?“

„Natürlich! Meine Mutter holt Ethan jeden Tag von der Vorschule ab und passt auf ihn auf, bis ich ihn nach Dienstschluss abhole. Die Ferien verbringt er ebenfalls bei ihr und meinem Vater.“

George sah sie nachdenklich an. „Falls du also abends ausgehen möchtest, würden deine Eltern babysitten?“

Mit Vergnügen. Ihre Mutter hatte es bereits unzählige Male angeboten. Doch Serena quälte ein schlechtes Gewissen. „Ich möchte sie nicht ausnutzen.“

George konnte sich nicht vorstellen, dass Serena irgendjemanden ausnutzen würde. Es war offensichtlich, dass sie einen Vorwand suchte, um nicht abends mit ihm ausgehen zu müssen. „Dann müssen wir uns wohl weiterhin mittags treffen.“ Zumindest vorerst. Er warf einen Blick auf seine Uhr. „Ich glaube, wir sollten uns auf den Rückweg machen. Ich bringe dich noch zur Klinik.“

Erschrocken, fast schon entsetzt, blickte sie ihn an. Dabei war er sich sicher, dass sie das gemeinsame Mittagessen genossen hatte. Sie hatte gelacht, sehr sogar. Er würde ihr zeigen, wie man sich amüsierte!

„Du brauchst mich nicht zurückzubringen“, erklärte sie und wich seinem Blick aus.

„Ich bin also dein kleines, dunkles Geheimnis?“

Sofort errötete sie. „Natürlich nicht. Es ist nur …“ Unbehaglich schaute sie sich um. „In der Klinik wird unglaublich viel getratscht und ich möchte in den nächsten Tagen nicht das Hauptgesprächsthema sein.“

George vermutete, dass sie das bereits zur Genüge durchgemacht hatte, als Ethans Vater sie Hals über Kopf verlassen hatte. Bestimmt hatte es eine Menge hässliches Gerede gegeben. Mitleidige Blicke, scheinheilige Fragen. Sie hatte es vermutlich gehasst. Er würde sie also nicht drängen. „Kein Problem. Sehen wir uns Freitag? Falls es nicht regnet, könnten wir wieder ein Picknick machen. Und wenn es doch regnet, suchen wir uns irgendwo in der Nähe ein kleines Café.“

„Ich muss erst einen Blick auf meinen Dienstplan werfen.“

Mit dieser ausweichenden Antwort hatte er gerechnet. Würde sie ihn auch abservieren? Genau wie Rebecca? Er zwang sich, unverbindlich zu lächeln. „Natürlich.“

„Danke für das Mittagessen. Es war wundervoll.“

Doch leider nicht wundervoll genug, um es zu wiederholen? „Gern geschehen!“ Er lehnte sich zu ihr herüber und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Ihre Haut war warm und weich. Nur zu gern hätte er Serena in die Arme genommen, um sie richtig zu küssen, doch er spürte, dass sie ihn so schnell wie möglich loswerden wollte, und er hatte keine Lust, sich lächerlich zu machen.

„Dann bis bald“, sagte er höflich und ging davon, ohne sich noch einmal umzusehen.

4. KAPITEL

Serena war klar, dass sie sich George gegenüber sehr abweisend verhalten hatte. Was ausgesprochen dumm gewesen war. Er hatte doch nur vorgeschlagen, ein bisschen Spaß zu haben. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass ihr das gemeinsame Mittagessen gefallen hatte. Sehr sogar. Es war herrlich gewesen, so verwöhnt zu werden. Bei George war sie nicht nur die kompetente Ärztin für Physiotherapie oder die nette Mutter von Ethan – er mochte sie um ihrer selbst willen.

Natürlich wusste sie ganz genau, dass sie am Freitagmittag Zeit hatte. Sie hatte jeden Mittag Zeit. Dennoch war sie vage geblieben, um sich nicht festlegen zu müssen – und sie hasste sich selbst für dieses kindische Benehmen.

Nachdem sie eingehend über alles nachgedacht hatte, schrieb sie ihm eine SMS: Falls du immer noch am Freitag mit mir zu Mittag essen möchtest, bringe ich das Picknick mit. Gleiche Zeit und gleicher Ort?

George starrte auf die Nachricht. Damit hatte er nicht gerechnet. Offenbar hatte Serena doch keine faule Ausrede benutzt, sondern wirklich auf ihrem Dienstplan nachsehen müssen. Oder sie war zu dem Ergebnis gekommen, dass ihr das Picknick – und damit Georges Gesellschaft – gefallen hatte.

Nun lud sie ihn zum Essen ein.

Ihre Entschlossenheit und Unabhängigkeit beeindruckten ihn aufs Neue. Die meisten Frauen, mit denen er sich in den letzten Jahren getroffen hatte, waren nur zu gern bereit gewesen, sich von ihm verwöhnen zu lassen – indem er sie in schicke Restaurants ausführte und vor allem, indem er alles bezahlte. Serena fand Gleichberechtigung anscheinend sehr wichtig. Eine außergewöhnliche Frau!

Hört sich gut an. Bis Freitag dann. Ich freue mich! schrieb er zurück.

Am Freitagmittag schlenderte George über den Korridor der Physiotherapieabteilung und wartete darauf, dass Serena endlich herauskam. Hoffentlich störte es sie nicht, dass er sie abholte.

Nachdem mehrere Leute, die George für Patienten hielt, an ihm vorbeigekommen waren, eilte endlich Serena auf ihn zu.

„Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe“, begrüßte sie ihn.

George lächelte. „Kein Problem.“

„Ich habe leider nicht daran gedacht, einen Picknickkorb und eine Decke mitzubringen“, erklärte sie, während sie in den Park gingen. „Tut mir …“

„Keine Entschuldigungen!“, unterbrach er sie.

Sie sah ihn schuldbewusst an. „Ach ja, die Spielregeln.“

„Ganz genau.“ George hatte sich bereits eine weitere Regel ausgedacht, über die er heute mit ihr sprechen wollte. Eine, die ihr sicher genauso gut gefallen würde wie ihm.

Sie setzten sich auf eine freie Parkbank und Serena stellte ihre Tüte ab. „Das hier ist kein schicker Designer-Snack aus dem Feinkostladen“, warnte sie ihn, während sie eine Frischhaltedose öffnete.

„Heißt das, ich bekomme nur ein belegtes Brötchen aus der Krankenhauskantine?“, neckte er sie.

„Das wirst du gleich merken. Diesmal musst du raten, was du isst. Mund auf und Augen zu!“

Ihre Augen leuchteten vor Vergnügen und wieder einmal fiel George auf, dass es neben der seriösen, ernsthaften Ärztin noch viel mehr zu entdecken gab. Bereitwillig schloss er die Augen.

„Fertig? Hier kommt der erste Gang.“

Er spürte etwas Kühles an seinen Lippen und biss vorsichtig ab.

„Käse mit eingelegtem Gemüse“, vermutete er. Aber das Brot war ungewöhnlich. „Auf Fladenbrot?“

„Das ist nicht irgendein eingelegtes Gemüse! Meine Mutter hat dieses Chutney aus Tomaten und Gurken gemacht, die sie und Ethan in ihrem eigenen Garten angebaut haben.“

Selbst gemachtes Essen. Familienidylle. Genau das, was er sich sehnlich wünschte und wovor er gleichzeitig ängstlich davonlief. Wie gern hätte er auch eine eigene Familie gehabt! Doch die Erfahrung mit Rebecca wirkte noch nach. Damals war er sicher gewesen, die richtige Frau gefunden zu haben – eine kluge, hübsche Frau, die ihn um seinetwillen liebte. Stolz hatte er sie mit nach Hause genommen und gewusst, dass seine Familie sie mit offenen Armen empfangen würde.

Doch der Antrittsbesuch auf Somers Hall hatte alles verändert. Plötzlich waren Probleme aufgetaucht, die er vorher nie für möglich gehalten hatte. Rebecca war nicht damit zurechtgekommen, dass sie aus völlig unterschiedlichen Schichten stammten. Sie hatte gesagt, sie würde den Druck nicht aushalten – einen Druck, den er weder bemerkte noch nachvollziehen konnte. Hatte sie denn nicht gewusst, dass er ihr beistehen und sie beschützen würde?

Doch weder seine Argumente noch seine Beteuerungen hatten Rebeccas Meinung ändern können. Sie hatte ihn verlassen, obwohl sie ganz anders gewesen war, als die Frauen, die nur auf sein Geld aus waren. Sein Titel hatte seinem Glück wie immer im Weg gestanden.

Entschlossen verbannte er diese trüben Gedanken aus seinem Kopf. Mit Serena würde alles anders sein. Sie hatten schließlich bloß unverbindlichen Spaß vereinbart.

„Richte deiner Mutter bitte aus, dass es köstlich ist!“

Das nächste Sandwich war ein Wrap. Diesmal erkannte er die Zutaten sofort. „Schinken und Avocado. Außerdem schmecke ich Rucola.“

„Sehr gut! Du bekommst ein Sternchen.“

George grinste. „Wie wäre es mit einer anderen Belohnung?“

„Kommt darauf an, was dir da vorschwebt.“

Er würde wohl nicht bekommen, was er sich erhofft hatte. Zumindest noch nicht. Serena war die erste Frau, die seinem Charme scheinbar mühelos widerstand. George zeigte sich auf die Wange und sah Serena mit einem schiefen Lächeln bittend an.

Und tatsächlich gab sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Während sie sich zu ihm beugte, roch er ihr Erdbeershampoo. Obwohl er an Frauen gewöhnt war, die sich großzügig mit teuren Parfums einsprühten, fand er den Duft von Serenas Shampoo erregender …

Um sich abzulenken, und weil er sie wirklich besser kennenlernen wollte, fragte er: „Wieso hast du gerade Physiotherapie als Fachrichtung gewählt?“

„Meine beste Freundin hatte Mukoviszidose. Als der Schleim in ihren Lungen immer zähflüssiger wurde, brauchte sie Physiotherapie, um zu lernen, wie sie am besten abhusten und sich entspannen kann. Ihr Physiotherapeut hat ihr und ihren Eltern gezeigt, was zu tun war, wenn sie Atemnot bekam. Und weil wir viel Zeit miteinander verbracht haben, habe ich es auch gelernt. Am Anfang fand ich es furchtbar, ihr heftig auf den Rücken zu schlagen, aber ich wusste, dass ich ihr damit half, den Schleim abzuhusten.“

Serena zuckte die Achseln. „Ich wollte schon als kleines Mädchen Medizin studieren, und in dieser Zeit kam mir die Idee, mich auf Physiotherapie zu spezialisieren. Mir gefällt die große Bandbreite an Patienten und Therapien, mit denen ich jeden Tag zu tun habe. Es ist ein unglaubliches Gefühl, wenn man sieht, wie es den Leuten nach der Therapie besser geht!“

„Sehr interessant. Und wie bist du dann zu deinem Job hier an der Klinik gekommen?“

Serena freute sich, dass George sich für ihre Arbeit interessierte. „Ich habe mein Medizinstudium mit vierundzwanzig abgeschlossen. Danach war ich drei Jahre als Assistenzärztin an der Uniklinik. Kurz nachdem ich die Prüfung zur Fachärztin für Physiotherapie beendet hatte, wurde ich mit Ethan schwanger. Meine Doktorarbeit ist deshalb nie fertig geworden …“

Ein weiterer Grund, weshalb Jason gegen die Schwangerschaft gewesen war. Er hatte gesagt, der Zeitpunkt wäre unglücklich, und das Baby würde ihrer beruflichen Karriere schaden. Sogar eine Abtreibung hatte er vorgeschlagen. Eigentlich hätte Serena schon da wissen müssen, dass auf ihn kein Verlass war. „Meine Karriere hat etwas gelitten, denn nach Ethans Geburt bin ich ein halbes Jahr zu Hause geblieben.“

„Aber jetzt leitest du die Physiotherapieabteilung?“

Serena nickte. „Inzwischen denke ich darüber nach, was ich als Nächstes machen könnte. Ich gebe schon seit Längerem gelegentlich Weiterbildungskurse, und mein Chef hat mir kürzlich vorgeschlagen, im nächsten Semester an der Uni die angehenden Physiotherapeuten zu unterrichten.“

„Würde dir das denn Spaß machen?“

„Ja und nein. Das Unterrichten gefällt mir, aber die Arbeit mit den Patienten ist mir viel wichtiger. Wenn es mir gelänge, beides zu machen – ein, zwei Tage pro Woche zu unterrichten, aber weiterhin in der Klinik zu bleiben – wäre das die ideale Lösung.“ Erstaunt sah sie ihn an. „Danke! Ich grüble schon seit Wochen, was ich eigentlich will, und nun hast du mich dazu gebracht, es ganz klar zu formulieren. Ich werde sofort mit meinem Chef reden.“

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert?
Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
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