Julia Best of Band 299

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VERLOCKUNG IN ITALIEN

Allein der Klang seiner Stimme genügt, um Maisie heiße Schauer über den Rücken zu jagen! Als der charmante Italiener Blaine Morosini ihr einen Job in seiner Traumvilla an der Amalfiküste anbietet, kann sie nicht Nein sagen. Nur ahnt sie nicht, worauf sie sich einlässt ...

LIEBE, HOFFNUNG UND VERZEIHEN

Eigentlich hat ihre Liebe keine Chance, denn ihre Familien sind seit Jahren verfeindet. Dabei würde der reiche Unternehmer Rafe der hinreißenden Marianne nur zu gerne seine Gefühle offenbaren und die Familienfehde beenden. Doch kann Liebe die Wunden der Vergangenheit heilen?

MIT DIR IST ALLES ANDERS

„Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?“ Mit dieser harmlosen Frage beginnt Tonis Vorstellungsgespräch. Doch so harmlos bleibt es nicht. Denn ihr zukünftiger Boss Steel Landry zieht sie überraschend in die Arme und küsst sie leidenschaftlich – und um Toni ist es geschehen …


  • Erscheinungstag 20.12.2025
  • Bandnummer 299
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533720
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Helen Brooks

JULIA BEST OF BAND 299

Helen Brooks

1. KAPITEL

Fasziniert betrachtete Maisie das Nabelpiercing der jungen Frau, die ihr in der U-Bahn gegenübersaß. Der silberne Ring war rundum mit winzigen bunten Brillanten besetzt und wirkte ebenso extravagant wie seine Besitzerin mit dem rot gesträhnten Haar und dem tiefschwarzen Kajal um die leuchtend blauen Augen. Das Mädchen wollte auffallen, provozieren – nach der Devise: Akzeptiere es oder nicht. Keine Kompromisse.

Maisie rutschte unbehaglich auf ihrem Sitz hin und her, den Blick immer noch auf den kleinen Nabelring und den gebräunten flachen Bauch ihres Gegenübers geheftet. Sie hat gestern Abend sicher keine ganze Pizza und danach noch zwei Karamelldonuts in sich hineingestopft, dachte Maisie reuig. Die ellenlangen Beine in den bewusst heruntergekommen wirkenden Jeans waren schlank wie die eines Models. Und das kurze, ärmellose T-Shirt ließ ebenso schlanke Arme sehen, die mit schweren Armreifen behängt waren.

Das Mädchen wirkte unglaublich grazil, selbstbewusst und voller Lebensenergie.

Von der Aufmachung her das genaue Gegenteil der hochgewachsenen, gertenschlanken Blondine, wegen der Jeff sie gerade verlassen hatte – aber im Geiste waren die beiden Schwestern, das spürte Maisie genau.

Der Gedanke an Jeff und Camellia – allein der Name verhieß bereits Perfektion, wie eine weniger gute Freundin ihr hämisch zugeraunt hatte – trieb Maisie die Tränen in die Augen. Hastig suchte sie nach einem Taschentuch. Mitten in der U-Bahn, und dann noch an ihrem freien Samstagvormittag, einfach loszuheulen! Hastig wandte sie den Kopf in Richtung Fenster.

Aber das war auch keine gute Idee! Das verschwommene Spiegelbild bewies ihr nur einmal mehr, wie wenig bemerkenswert ihr welliges braunes Haar und die haselnussfarbenen Augen waren, und dass ihr Gesicht eine eindeutig runde Form aufwies.

Maisie konzentrierte sich so sehr darauf, nicht wieder das Mädchen mit dem Nabelring anzusehen, dass sie darüber ihre Haltestelle verpasste.

Na großartig! Jetzt würde sie nicht einmal rechtzeitig zu ihrem allwöchentlichen Kaffeetreff mit Sue und Jackie kommen! Und die würden natürlich annehmen, sie sei nur deshalb zu spät dran, weil sie immer noch nicht über die Trennung von Jeff hinweg war.

Arme Maisie.

Sie mochten es nicht laut sagen, aber es sprach aus jedem ihrer Blicke. Und an ihr lag es nun, ihren Freundinnen zu beweisen, wie wenig sie zu bedauern war, da sie keinen einzigen Gedanken mehr an Jeff verschwendete. Das Mädchen ihr gegenüber hätte damit sicher kein Problem. Aber wahrscheinlich wäre die auch nie von ihrem Verlobten kurz vor der Hochzeit sitzen gelassen worden …

Maisie gab sich einen Ruck, drückte auf den Halteknopf und verließ kurz darauf die U-Bahn. Jetzt stand sie mitten auf der geschäftigen Oxford Street und blinzelte in die strahlende Junisonne. Es war viel wärmer als erwartet, und sie bereute inzwischen bitter, sich nichts Leichteres angezogen zu haben. Der wadenlange Jeansrock war viel zu dick, und in dem langärmeligen Oberteil schwitzte sie jetzt schon.

Warum zwang sie sich überhaupt zu einem Treffen, zu dem sie gar keine Lust hatte? Bei dieser Überlegung verlangsamte Maisie automatisch ihre Schritte. Wenn sie das Café endlich erreicht hätte, würde sie unter Garantie völlig aufgelöst wirken, während Sue und Jackie gewohnt aufgestylt und beneidenswert frisch dort saßen und an ihrem Eiswasser oder einem anderen kalorienlosen Getränk nippten.

Es sind deine besten Freundinnen, erinnerte Maisie sich streng. Und sie gehen sicher viel weniger kritisch mit dir um als du selbst.

Seit der Grundschulzeit waren sie unzertrennlich. Sue arbeitete inzwischen sehr erfolgreich als Modeeinkäuferin und Jackie als Kosmetikerin mit eigenem Schönheitssalon, der sich seit der Eröffnung vor drei Jahren stetig vergrößerte.

Maisie war ihrem Herzen gefolgt, anstatt sich über voraussichtliche Verdienstmöglichkeiten oder Karriereleitern den Kopf zu zerbrechen. Mit achtzehn verließ sie die Schule und konnte recht gute Abschlüsse in Chemie, Mathematik und Biologie vorweisen. Doch leider reichten sie nicht für das Studium, von dem sie ihr Leben lang geträumt hatte. Tiermedizin wurde nur an sechs Universitäten in ganz England gelehrt, und bei fünf Mitbewerbern auf jeden der knapp dreihundert Plätze hatte sie keine Chance.

Maisie näherte sich dem Café. Schuldbewusst beschleunigte sie ihre Schritte, während sie in Gedanken weiter der Vergangenheit nachhing.

Anstatt damals dem Rat ihrer Lehrer oder dem Drängen ihrer Mutter zu folgen und auf ein Studium der Biochemie oder Tierpsychologie auszuweichen, entschied Maisie sich dafür, Tierpflegerin zu werden. Das bedeutete: null Aufstiegschancen, wenig Geld, lange Arbeitszeiten und keinerlei Anerkennung, wie sie etwa Krankenschwestern in der Humanmedizin zuteilwurde – aber sie liebte jede Minute ihrer Arbeit.

Oder hatte es zumindest bis vor zwei Wochen getan.

„Puh …“ Hastig bog Maisie von der Oxford Street in die kleine Nebenstraße ein, in der ihr Stammcafé lag. Mit einer Hand strich sie das Haar aus dem erhitzten Gesicht, mit der anderen zog sie das T-Shirt nach unten und wünschte sich, sie würde nicht so schrecklich schwitzen. Nachdem sie vergeblich versuchte, sich mit einer Broschüre für Vitaminpillen, die sie in ihrer Tasche fand, Frischluft zuzufächeln, stellte Maisie fest, dass sie damit eigentlich genau das Gegenteil erreichte.

Sie schaute auf ihre Uhr. Es war nicht die kostbare silberne, die Jeff ihr zu Weihnachten geschenkt hatte … Oh nein! Die war längst in der Wohltätigkeitstombola gelandet, mit all seinen anderen Geschenken aus den letzten zwei Jahren. Der Verlobungsring flog mitten in Jeffs Gesicht, nachdem sie ihn mühsam vom Finger gezogen hatte.

Ihre jetzige Uhr war ein preisgünstiges Plastikteil von einem Marktstand – das passende Synonym für mein derzeitiges Leben, dachte Maisie voller Selbstironie.

Würziger Kaffeeduft hüllte sie ein, als sie das Café betrat und suchend um sich schaute. Sie entdeckte Sue und Jackie im gleichen Moment, in dem beide Frauen ihr zuwinkten, doch was Maisie kurz zurückweichen ließ, war der Umstand, dass sie offenbar nicht allein waren.

Direkt neben Jackie saß mit lässig übereinandergeschlagenen Beinen ein Mann. Und was für ein Mann!

Rabenschwarzes Haar, gebräunter Teint, markante Gesichtszüge – selbst aus der Entfernung von sechs, sieben Metern wirkte er einfach umwerfend attraktiv. Nicht, dass Maisie dafür momentan einen Blick hatte! Mein Leben liegt immerhin in Trümmern, erinnerte sie sich selbst, während sie langsam auf die kleine Gesellschaft zusteuerte.

„Du bist zwanzig Minuten zu spät.“

Das kam von Sue, der Pünktlichkeitsfanatikerin, die schon in ihrer Schulzeit dafür sorgte, dass sie nie zu spät dran waren.

„Tut mir leid“, entschuldigte sich Maisie mit strahlendem Lächeln. „Ich habe meine Haltestelle verpasst.“

„Schon gut, kein Problem“, versicherte Jackie und warf Sue einen Blick zu, der genau das besagte, was Maisie befürchtete: Lass sie in Ruhe, vergiss nicht, was dieser Mistkerl „der armen Maisie“ angetan hat.

Eisern hielt Maisie an ihrem Lächeln fest. „Ich hole mir nur schnell einen Kaffee.“

„Bitte lassen Sie mich das tun. Was möchten Sie haben?“ Der dunkle Adonis hatte sich von der Bank erhoben und schaute sie fragend an.

„Oh, entschuldige, Maisie. Ich hätte dich längst vorstellen sollen“, sagte Jackie schnell. „Das ist mein Onkel, Blaine Morosini. Blaine, meine andere beste Freundin, Maisie.“

Onkel? Dieser Mann war doch auf keinen Fall alt genug, um Jackies Onkel zu sein, oder? Während Maisie in seinen faszinierenden blaugrünen Augen zu versinken schien, gingen ihre Gedanken noch ganz andere, verbotene Wege. Obwohl sie selbst mit ihren ein Meter siebzig nicht gerade klein war, musste sie zu ihm hochschauen. Irritiert beantwortete sie sein formelles „Wie geht es Ihnen?“ mit einem Lächeln und einem kurzen Nicken.

Soweit sie sehen konnte, verunzierte nicht ein Gramm Fett seinen durchtrainierten Körper, dafür war er mit weit mehr Muskeln ausgestattet als die meisten Männer. Zusammen mit seiner Größe machte das einen ziemlich überwältigenden Eindruck – zumindest auf Maisie. Sie blinzelte verlegen und konnte sich dennoch nicht aus seinem intensiven Blick lösen.

„Ich weiß ganz genau, was du denkst, Maisie.“ Rasch wandte sie sich um und sah Jackie unverwandt an. Sag es nicht, vermittelten ihre aufgerissenen Augen. „Du überlegst, wie es möglich sein kann, dass Blaine mein Onkel ist, stimmt’s?“

Fast hätte Maisie vor Erleichterung aufgeseufzt. „Etwas in der Art …“

„Ich bin Jackies Halbonkel, um genau zu sein.“

Erneut schaute sie ihn an, und diesmal waren es seine breiten Schultern, die bei ihr ein seltsames Ziehen im Magen verursachten. Und natürlich seine dunkle, volle Stimme mit dem leichten italienischen Akzent.

„Unser verwandtschaftliches Verhältnis ist ganz einfach. Mein Bruder, Jackies Vater, stammt aus der ersten Ehe unseres gemeinsamen Vaters. Der heiratete viele Jahre später erneut, und ich bin das Resultat dieser Beziehung.“

„Ich verstehe.“ Maisie nickte kurz, als wolle sie sagen, dass diese näheren Umstände sie eigentlich nichts angingen. Denn sie wusste, dass Jackies Vater mit seinem Vater gebrochen hatte, bevor er als junger Mann von Italien nach England gekommen war. Schon vor Jahren hatte Jackies Mutter sie alle gebeten, auf keinen Fall Fragen über die Heimat ihres Mannes zu stellen. Doch offensichtlich war irgendetwas geschehen, das dieses Tabu verletzt hatte.

Wieder schien Jackie ihre Gedanken gelesen zu haben. „Mein Großvater ist sehr krank“, erklärte sie ruhig. „Aber das erzähle ich dir alles später. Komm, setz dich zu uns, während Blaine dir einen Kaffee holt. Wie immer?“

Wie immer, hieß: Caffè Latte – gern in Begleitung eines Stückchens von dem himmlischen Käsekuchen, für den das Café berühmt war. Maisie schluckte trocken. Als sie gestern Abend nach der Pizza und den Donuts im Bett lag, fühlte sie sich wie ein gestrandeter Wal und hatte sich vor dem Einschlafen geschworen, gleich ab heute Morgen eine Diät zu starten. Keine süßen Trostpflaster mehr für ihr angeschlagenes Selbstbewusstsein. Keinen Selbstbetrug mit der Ausrede, sie sei schon immer etwas rundlicher gewesen, und es gäbe genügend Männer, die kurvige Frauen mochten.

Das hatte Jeff auch behauptet, und jetzt war er mit einer Bohnenstange liiert!

„Einen schwarzen Kaffee, bitte.“

„Schwarzen Kaffee?“, wiederholte Sue, die noch nie besonders taktvoll war. „Du magst doch keinen Kaffee ohne Milch.“

„Ich entdeckte erst kürzlich meine Vorliebe dafür“, behauptete Maisie geziert. Vor ein paar Stunden, um genau zu sein. „Und nichts dazu, ich habe gerade erst gefrühstückt“, fuhr sie rasch fort, ehe Sue sie noch weiter bloßstellen konnte.

„Also einen schwarzen Kaffee.“

Blaines Stimme war nichts anzuhören, aber Maisie hatte das untrügliche Gefühl, er wisse genau, wie sehr es sie gerade nach einem Stück saftigen Käsekuchen verlangte. Was bedeutete, dass Jackie ihm unter Garantie von ihrer geplatzten Verlobung erzählt hatte, und er sich seinen eigenen Reim darauf machte.

Maisie setzte sich, und sofort rückte Sue vertraulich an sie heran. „Na, was hältst du von Jackies Onkel? Ein echt italienischer Traumtyp, oder?“

Maisie lächelte. Sie hatte sich weder auf dieses Treffen noch auf ihre Freundinnen gefreut. Eigentlich gab es gar nichts mehr, das sie momentan begeistern konnte, doch jetzt war sie wirklich froh, dass sie sich heute Morgen aufgerafft hatte. Hier zu sitzen und mit Sue und Jackie zu plaudern, war bei Weitem besser, als sich im eigenen Elend zu suhlen und sich wie die unattraktivste und ungeliebteste Frau Londons zu fühlen.

„Er sieht wirklich sehr gut aus.“

Sehr gut? Das ist so, als würdest du sagen, das Tadsch Mahal sei eigentlich ganz nett. Wenn irgendjemand perfekt ist, dann doch wohl er! Ich konnte es nicht fassen, als ich ins Café kam und ihn bei Jackie sitzen sah. Zuerst hielt ich ihn für ihren neuen Freund und hätte ihr am liebsten die Augen ausgekratzt. Warum hast du mir nicht vorher gesagt, dass du ihn mitbringst?“, wandte sie sich vorwurfsvoll an Jackie. „Dann hätte ich mich etwas mehr stylen können.“

„Sue, du siehst doch immer makellos aus, außerdem ist er nichts für dich“, gab Jackie wenig ermutigend zurück. „Du kennst doch unsere Familiengeschichte. Das Ganze ist ziemlich verfahren. Blaine ist gestern erst aus Italien gekommen. Obwohl er bei uns wohnt, und mein Vater ihn morgen begleiten wird, um meinen Großvater zu sehen, ändert das nichts an dem eigentlichen Problem.“

Sie seufzte. „Ich habe das Gefühl, Blaine gibt meinem Vater die alleinige Schuld für das, was in der Vergangenheit geschehen ist, obwohl er es nicht direkt gesagt hat. Wie auch immer … Ich habe ihn heute Morgen überredet mitzukommen, um meinem Vater zwischendurch etwas Luft zu verschaffen, das ist alles.“

„Blaine ist kein Italiener, oder?“, fragte Maisie hastig in die entstehende Pause hinein, denn Sue vertrug Kritik nur sehr schwer. „Ich meine wegen seines Namens.“

„Seine Mutter ist Amerikanerin.“ Jackies Blick flog zu dem hochgewachsenen Mann hinüber, der gerade den Kaffee bezahlte. „Eine ziemliche Ironie, wenn ich daran denke, was meine Mutter mir gerade erst anvertraut hat. Denn Mum selbst soll der Hauptstreitpunkt zwischen meinem Vater und meinem Großvater gewesen sein. Dad lernte sie kennen, als sie in Italien Urlaub machte. Die beiden schrieben sich danach regelmäßig, und später besuchte er sie einige Male in England. Als Großvater merkte, dass es ernst zwischen ihnen wurde, verlangte er von Dad, ein nettes italienisches Mädchen zu heiraten und drohte ansonsten mit Enterbung.“

Sie lächelte schwach, als sie die gespannten Gesichter ihrer Freundinnen sah. „Na ja, der Rest ist Geschichte. Dad hat sein Heimatland verlassen, ist nach England gekommen und hat Mum geheiratet.“

Drei Augenpaare wandten sich dem Tresen zu, an dem die Bedienung, ein hübscher Rotschopf, Blaine mit ihren Blicken nahezu verschlang. Als sie ihm mit klappernden Wimpern etwas zuraunte, beugte er sich herab, um sie besser verstehen zu können. Maisie kräuselte verächtlich die Lippen. Typisch Mann! Er provozierte diese Art der Aufmerksamkeit nicht nur, sondern genoss sie auch in vollen Zügen. Das taten sie alle, so auch Jeff!

Nur bei ihm hatte sie den Fehler gemacht, zu glauben, er sei irgendwie anders. Ein grober Fehler, der ihr nicht noch einmal passieren würde.

Als Blaine sich plötzlich umwandte und in ihre Richtung schaute, blieb Maisie keine Zeit, ihre Gesichtszüge zu entspannen. Sie konnte sehen, wie sich seine dunklen Brauen irritiert zusammenschoben, angesichts ihrer finsteren Miene, und senkte rasch den Blick. Dann fragte sie Sue so unbefangen wie möglich nach ihrer Arbeit. Ein geschickter Schachzug, zu dem sich Maisie innerlich gratulierte, denn Sue brauchte nur einen minimalen Anstoß, um sich weitschweifig über ihr Lieblingsthema auszulassen. Neben Männern und Schokolade, war das ihr Job.

So waren sie beide in ein lebhaftes Gespräch verwickelt, als Blaine mit dem Kaffee an den Tisch zurückkehrte.

„Danke“, sagte Maisie mit einem schnellen Lächeln und heuchelte dann wieder Interesse für die angesagtesten Trends auf dem Modemarkt.

„Gern geschehen“, kam es kühl und ziemlich reserviert zurück.

Maisie spürte ein unangenehmes Ziehen im Magen. Er hatte es gesehen! Doch irgendwie erwartete oder hoffte sie zumindest, Blaine würde wenigstens vorgeben, ihren abschätzigen Blick nicht registriert zu haben.

Sobald er sich wieder gesetzt hatte, schien Sues Interesse an Topdesignern, mondänen Handtaschen und anderen Accessoires verflogen zu sein. Fasziniert beobachtete Maisie, wie ihre Freundin mit spielerischer Leichtigkeit in den Femme-fatale-Modus wechselte. Das letzte Mal hatte Maisie es vor zwei Jahren anlässlich eines Barbecues erlebt, bei dem sie Jeff als ihren neuen Freund vorstellte, und Sue einen Mann, der ihren Jagdinstinkt geweckt hatte, zur Strecke brachte, noch bevor die Steaks auf dem Grill lagen.

Doch bei Blaine Morosini schien ihre Masche nicht zu ziehen. Er blieb Sue gegenüber höflich und charmant, wirkte ob ihrer dreisten Flirttaktik zwischendurch leicht amüsiert, aber das war auch schon alles.

Irgendwann schien Jackie es nicht länger auszuhalten und stand so abrupt auf, dass die anderen sie erstaunt anschauten. „Wir sollten langsam aufbrechen. Mum erwartet uns zum Essen.“

„Okay“, sagte Maisie sofort und erhob sich ebenfalls. Dann folgten Blaine und, sichtbar widerstrebend, schließlich auch Sue.

„Himmel! Wo ist nur die Zeit geblieben?“ Innerhalb eines Wimpernschlags mutierte Sue von Mata Hari zur Businessfrau. „Ich müsste schon längst auf der anderen Seite des Regent Parks sein. Dort soll es einen neuen, vielversprechenden Designer geben. Wenn er nur halb so gut ist, wie eine meiner Mitarbeiterinnen behauptet, werden die anderen Modehäuser schnell auf seiner Spur sein. Ich muss ihnen unbedingt zuvorkommen! Blaine …?“ Sie bedachte den Angesprochenen mit einem zuckersüßen Lächeln. „Es war mir ein ausgesprochenes Vergnügen, Sie kennengelernt zu haben! Bye alle zusammen …“

In der nächsten Sekunde verschwand sie in einer Wolke von Chiffon und einem exklusiven Parfum.

„Und Sie?“, fragte Blaine in die entstandene Pause hinein und lächelte Maisie zu. „Haben Sie auch eine wichtige geschäftliche Verabredung?“

Vielleicht hatte ihm Jackie ja doch nichts erzählt … oder zumindest nicht die ganze traurige Geschichte. Denn so grausam war er bestimmt nicht, sich über sie lustig zu machen, weil sie nicht nur ihren Verlobten, sondern damit auch gleichzeitig ihren Job verlor, da Jeff die Tierarztpraxis gehörte, in der Maisie die letzten drei Jahre gearbeitet hatte.

An jenem Abend, als sie Jeff den Verlobungsring ins Gesicht schleuderte, und er ihr mitteilte, dass er die Praxis für einige Wochen zumachen wolle, um „alles ein wenig abkühlen zu lassen“, schrieb Maisie ihre Kündigung und händigte sie seiner Sekretärin gleich am nächsten Morgen aus. Und wie gut ihre Instinkte tatsächlich waren, erfuhr Maisie, nachdem Jeff zurückgekehrt war und offen darüber gemunkelt wurde, wie er seine Cool-Down-Phase genutzt hatte – nämlich als heißen Liebesurlaub mit Camellia, der Bohnenstange!

Maisie hatte ihre letzten beiden Arbeitswochen mit gebrochenem Herzen, aber beharrlich fröhlichem Gesicht durchgestanden – zumindest am Arbeitsplatz sollte keiner merken, wie sie sich wirklich fühlte. Gestern Abend kehrte sie der Praxis endgültig den Rücken, ohne sich noch einmal umzuschauen.

In der nächsten Woche standen bereits zwei Bewerbungsgespräche an. Tierarztassistentinnen schienen ziemlich rar zu sein. Die meisten Mädchen hielten nach interessanteren und besser bezahlten Jobs Ausschau. Deshalb hatte Maisie, was ihre Arbeit betraf, auch keine Zukunftsängste … höchstens, ob das zu erwartende Gehalt auch für ihre Miete und die Lebenshaltungskosten reichte.

Jeff mochte ja ein Mistkerl sein, was Frauen betraf, aber in der Tierarztriege war er eine rühmliche Ausnahme, was Gehaltszahlungen anging. Selbst das Mädchen, das die stationären Tierpatienten versorgte, verdiente bei ihm mehr als eine ausgebildete Assistentin bei einem seiner Kollegen.

Erst jetzt wurde Maisie bewusst, dass Blaine immer noch auf eine Antwort von ihr wartete.

„Nein, nein“, wehrte sie verspätet ab. „Nichts halb so Aufregendes.“ Dann wandte sie sich Jackie zu. „Grüße bitte deine Eltern ganz lieb von mir.“

„Warum kommst du nicht mit zum Essen und sagst es ihnen selbst?“, schlug ihre Freundin vor. „Mum hat sich letztens erst darüber beschwert, dass sie dich seit Ewigkeiten nicht zu Gesicht bekommen hat.“

Unter Garantie eine weitere Diskussion um die „arme Maisie“! Als sie ihre Hochzeit, die für Ende August geplant gewesen war, mit einer offiziellen Karte für jeden ihrer Bekannten abgesagt hatte, wusste Maisie genau, was für eine Welle von Sympathie und Mitleid ihr entgegenschwappen würde. Sie hatte nur nicht geahnt, wie hart es in der Realität sein würde, das auszuhalten.

„Oh, das kann ich leider nicht …“

„Und ob du kannst!“, bestimmte Jackie. „Wir machen ein Barbecue. Es wird ganz entspannt zugehen, jeder sitzt irgendwo im Garten herum, lauscht der Musik oder genießt die Sonne. Leichte Konversation … Wer will, döst auf einem der Liegestühle mit einem Glas Wein in der Hand.“

Maisie hatte das Gefühl, Jackie wollte ihr nicht nur vermitteln, dass geplatzte Verlobungen kein Gesprächsthema sein würden, sondern noch irgendetwas anderes. Vielleicht, dass sie Blaine ein wenig von seinem Bruder ablenken sollte? Das wäre immerhin schon besser, als mit einem Buch auf einer Bank im Park zu sitzen, wie sie es vorgehabt hatte. Und sehr viel verlockender, als sich in dem schäbigen kleinen Apartment zu vergraben, das sie seit drei Jahren bewohnte, und einen verspäteten Frühjahrsputz zu starten.

Während Maisie noch nach einer plausiblen Ausrede suchte, um sich aus der Affäre zu ziehen, hakte Jackie sie energisch unter und zog sie mit sich. „Bitte, Maisie …“, wisperte sie ihr dabei zu. „Komm einfach mit. Die Luft zu Hause ist zum Schneiden dick, und wenn du da bist, müssen sich wenigstens alle zusammenreißen.“

Wenn diese Begründung auch nicht unbedingt dazu angetan war, ihre Vorbehalte zu zerstreuen, konnte sich Maisie doch nicht ihrer Freundespflicht entziehen, an die Jackie so dringlich appellierte.

„Okay“, stimmte sie widerstrebend zu und schnappte förmlich nach Luft, als sie aus dem klimatisierten Café in die Bruthitze auf die Straße hinaustraten.

„Prima!“, rief Jackie fröhlich aus und wandte sich zu Blaine um. „Maisie begleitet uns. Ich habe sie überreden können.“

Wenn Blaine Jackies offensichtliche Erleichterung zu deuten wusste, ließ er es sich wenigstens nicht anmerken. „Wie schön.“ Er lächelte. „Wir hatten bisher wenig Gelegenheit, uns zu unterhalten, nicht wahr, Maisie?“

Sie musterte ihn voller Misstrauen und überlegte, ob das amüsierte Funkeln in seinen Augen noch Sues vergeblichen Flirtversuchen zuzuordnen war, oder seiner Vermutung, dass sie – mit oder ohne Sue – ihn niemals auf diese Art und Weise herausfordern würde. Egal was der Grund war, Blaine Morosini war viel zu attraktiv, aalglatt und selbstbewusst für ihren Geschmack … zumal sie momentan ohnehin nichts für Männer übrighatte.

Was für ein Segen! Keine Kopfschmerzen mehr wegen ihres Aussehens, Gelassenheit, wenn er sich eine halbe Stunde verspätete, und nie wieder geheucheltes Interesse an Football …

Aber warum habe ich mir dann vorgenommen, eine Diät zu machen?

Ganz allein für mich, für meine Gesundheit und mein Selbstwertgefühl, versicherte sich Maisie.

Als sie die Oxford Street entlanggingen, und auf Blaines Handzeichen sofort ein Taxi hielt, war sie nicht überrascht. Genau die Sorte Mann war er nämlich. Blaine half beiden Frauen ins Taxi und nahm dann zu Maisies Entsetzen neben ihr Platz. Mach dich nicht lächerlich, ermahnte sie sich, aber sie wollte ihm nicht so nahe sein. Standhaft versuchte sie, zu ignorieren, dass ihre Hüfte die seine berührte und dass er den Arm hinter ihrem Rücken auf der Lehne ablegte.

Blaine trug ein blaues Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln und eine leichte Baumwollhose. Sein herbes Rasierwasser unterstrich seine männliche Ausstrahlung, und unwillkürlich fragte Maisie sich, ob sie selbst heute Morgen überhaupt Parfum benutzt hatte. Sie konnte sich nicht erinnern.

Ihr Magen zog sich zusammen, als Blaine die langen Beine ausstreckte und sich ihr halb zuwandte, um über ihren Kopf hinweg Jackie anzusprechen. „Ich würde deiner Mutter gern einen Strauß Blumen schenken, um mich für ihre Gastfreundschaft zu bedanken. Kannst du den Fahrer bitten, kurz an einem Blumenladen zu halten?“

„Ja, natürlich. Es gibt ein sehr schönes Geschäft im Außenbezirk von Bethnal Green. Wir kommen gleich daran vorbei. Von dort sind es auch nur noch ein paar Minuten bis nach Hause.“

Obwohl Jackie ganz normal gesprochen hatte, spürte Maisie ihre unterschwellige Nervosität. Wie mochten die Dinge tatsächlich zwischen ihrem Vater und seinem jüngeren Halbbruder stehen?

„Also, Maisie, wenn ich Sie recht verstanden habe, müssen Sie samstags nicht arbeiten?“, fragte Blaine in der nächsten Sekunde, wohl um Small Talk zu machen, und sicher nicht, weil er ernsthaft an ihrer Antwort interessiert war. Leider machte Maisie den Fehler, ihn anzuschauen, als sie den Mund zur Antwort öffnete. Eigentlich hatte sie etwas Unverbindliches sagen wollen, wie: Als Tierpflegerin hat man jedes vierte Wochenende Dienst, aber das macht mir nichts aus. Ich liebe meine Arbeit.

„Ich habe keinen Job“, platzte sie stattdessen heraus.

„Nein?“ Blaine hob die Brauen. „Sie lieben also Ihre Freiheit und Freizeit?“

„Seit gestern bin ich arbeitslos“, informierte sie ihn kalt. „Und zufällig habe ich bereits in der nächsten Woche mehrere Vorstellungsgespräche.“

„Ich verstehe.“

Das tat er nicht, aber Maisie hatte nicht vor, ihn weiter aufzuklären. Sollte er doch von ihr denken, was er wollte.

Jackie schien das leider anders zu sehen. „Maisie ist gelernte Tierpflegerin oder besser Tierarztassistentin“, mischte sie sich wenig hilfreich ein. „Sie kann fantastisch mit Tieren umgehen, nicht wahr, Maisie? Aber aus … privaten Gründen konnte sie leider nicht an ihrem letzten Arbeitsplatz bleiben.“

Das begann wirklich ins Lächerliche abzugleiten. „Mein Exverlobter war gleichzeitig auch mein Chef“, erklärte Maisie knapp. „Aber ich kann ohne Schwierigkeiten eine neue Arbeit finden.“

Blaine nickte. „Ich verstehe“, behauptete er erneut.

Und diesmal stimmte es vielleicht. Unglücklicherweise!

2. KAPITEL

Als sie schließlich das Haus von Jackies Eltern erreichten, entspannte sich Maisie ein wenig. Jackies Mutter brach in laute „Ohs!“ und „Ahs!“ wegen des prächtigen Blumenbouquets aus. Roberto, Jackies Vater, schien der offensichtliche Versuch des jüngeren Stiefbruders, seine Frau zu beeindrucken, nichts auszumachen – zumindest ließ er sich nichts anmerken.

Jackies zahlreiche Geschwister, die allesamt verheiratet und zum großen Teil bereits Eltern hoffnungsvoller Sprösslinge waren, hatten sich im Garten auf Sonnenliegen verteilt oder standen locker plaudernd beisammen.

„Du brauchst mich kein bisschen zur Unterstützung“, zischte Maisie ihrer Freundin mit gedämpfter Stimme zu, nachdem Roberto den beiden jungen Frauen ein Glas Wein in die Hand gedrückt und sie zu einer Hollywoodschaukel in der Nähe des Grills dirigiert hatte. „Hier sind jede Menge Leute, die als Puffer zwischen deinem Vater und Blaine fungieren können.“

Jackie kicherte. „Sieht tatsächlich so aus. Aber das ist doch egal, ich wollte dir eben einen entspannten Nachmittag im Kreis netter Menschen gönnen, die dich alle mögen. Was ist so schlimm daran?“

„Du wusstest, dass Jeff heute zurückkommt“, sagte Maisie tonlos.

Es war keine Frage, doch Jackie nickte schuldbewusst. „Der Widerling!“

In einträchtigem Schweigen betrachteten sie einige Würstchen, die sich langsam in Holzkohle verwandelten, und honorierten mit einem Grinsen Robertos Versuch, seine derbe Sprache vor seinen Enkeln im Zaum zu halten, als er sah, dass einem Steak das gleiche Schicksal widerfahren war.

„Ich glaube, ich habe noch kein Barbecue in eurem Garten erlebt, bei dem deine Mum oder dein Dad nicht das halbe Grillgut verbrannt haben“, murmelte Maisie, während sie jetzt Jackies Mutter beobachtete, die eilig und mit Worten des Bedauerns das verkohlte Fleisch und die schrumpligen Würstchen mittels einer Zange vom Grill entfernte.

„Auf jeden Fall!“ Jackie trank ihren letzten Schluck Wein aus und lachte. „Ich hoffe nur, Blaine bietet ihnen nicht seine Hilfe an. Wahrscheinlich ist er im Grillen genauso perfekt wie in allem anderen. Möchtest du auch noch Wein?“, fragte sie, während sie aufstand.

„Gern.“ Maisie hielt ihr das halb volle Glas hin. „Füll es einfach auf, ja?“ Sie schaute ihrer Freundin hinterher, doch als Jackie von einer ihrer Schwestern aufgehalten wurde, lehnte sie sich entspannt zurück und schloss die Augen. Sachte bewegte sie die Schaukel mit einem Fuß vor und zurück und gestand sich ein, dass dies weitaus entspannender war, als den Nachmittag ganz allein zu verbringen. Hier im Halbschatten wehte eine leichte Brise und machte die glühende Junisonne durchaus erträglich. Es war wirklich nett von Jackie, so besorgt um sie zu sein.

Der fruchtige Rotwein, den Maisie getrunken hatte, war ihr etwas in den Kopf gestiegen, was wohl in erster Linie am Verzicht auf ihr gewohntes Frühstück im Café lag. Sie sollte unbedingt einen Happen essen, ehe sie noch mehr trank. Robertos Wein war immer köstlich, aber ziemlich schwer, und Maisie wollte auf keinen Fall einen Schwips haben. Dafür traute sie sich momentan zu wenig. Womöglich würde sie noch vor allen Leuten in Tränen ausbrechen oder etwas ähnlich Peinliches!

Als sie spürte, wie sich ihre Freundin wieder zu ihr setzte, lächelte Maisie. „Danke, für dies alles hier, Jackie“, murmelte sie, immer noch mit geschlossenen Augen.

„Ich bin nicht Jackie.“

Maisie öffnete die Augen und kam so abrupt nach vorn, dass sie Blaine fast das Weinglas aus der Hand schlug. Doch dank seiner guten Reflexe landete nicht mehr als ein Tropfen auf seinem hellblauen Hemd.

„Oh, das tut mir leid!“

„Kein Problem.“ Lächelnd reichte er ihr das Glas. „Jackie ist im Moment beschäftigt, deshalb wollte ich Ihnen ein wenig Gesellschaft leisten.“

Maisie starrte ihn misstrauisch an. Da er ihr den gewünschten Wein brachte, musste er mit Jackie geredet haben. Möglicherweise zählte ihre Freundin ja wirklich auf sie, dass sie Blaine aus der Schusslinie ihres Vaters hielt. Gedankenverloren ließ sie ihren Blick von dem Fleck auf Blaines Hemd zu seinem markanten Gesicht mit dem nachtschwarzen Haar wandern und dann zurück über die breiten Schultern und muskulösen gebräunten Unterarme, die seine aufgekrempelten Hemdsärmel sehen ließen. Blinzelnd versuchte sie zu ignorieren, wie eng die leichten Hosen um die schmalen Hüften saßen …

Sie musste diesen smarten Italiener in ein Gespräch verwickeln! Aber worüber? Auf keinen Fall durfte er merken, wie sehr er sie beunruhigte.

„Wann …“ Maisie räusperte sich. „Wann fliegen Sie nach Italien zurück?“ Hatte er ihr das nicht bereits im Wagen gesagt?

„Morgen Abend.“

Sie nickte. „Wahrscheinlich können Sie es kaum abwarten, an die Seite Ihres kranken Vaters zurückzukehren.“ Kaum eine taktvolle Bemerkung!

Wenn Blaine etwas Ähnliches dachte, ließ er es sich wenigstens nicht anmerken. „Ich bin nur auf den Wunsch meiner Mutter nach England gekommen, um mit meinem Bruder zu reden“, erklärte er ruhig. „Natürlich wäre ich in so einer schweren Zeit lieber daheim. Sie muss jeden Tag eine ziemliche Strecke zum Krankenhaus zurücklegen, und ich befürchte, dass sie mit ihren Gedanken nicht immer beim Fahren ist.“

Wieder nickte Maisie. „Kann sie denn kein Taxi nehmen oder Freunde bitten, sie zu chauffieren?“

„Ja, zu beiden Vorschlägen“, gab er trocken zurück und nahm einen großen Schluck Wein. „Aber meine Mutter hat ihren eigenen Kopf. Und Vernunftgründen war sie noch nie besonders zugänglich.“

Ebenso wie sein Vater, wenn das stimmte, was Jackie ihr erzählt hatte. Blaine vereinigte offenbar eine interessante Mischung von Genen in seinem beeindruckend maskulinen Körper! „Jackie sagt, dass Ihre Mutter Amerikanerin ist.“

Blaine lächelte. „Ja, sie ist sogar sehr amerikanisch“, gestand er mit einem komischen Seufzer. „Und mein Vater sehr italienisch. In jedem Fall erlebte ich eine ziemlich … stimulierende Kindheit. Die beiden bekriegten sich wie Hund und Katze, und trotzdem schätzen sie einander aufs Höchste. Den Erzählungen zufolge hatte Robertos Mutter ein sehr viel sanfteres Temperament. Sie war die sprichwörtliche Sandkastenliebe meines Vaters, und die beiden führten eine ausgesprochen ruhige, harmonische Ehe. Ich weiß, dass er seine erste Frau sehr geliebt hat.“

Ob ihm das etwas ausmachte? Es schien jedenfalls nicht so. „Und Ihre Mutter hat das nie gestört?“

„Nein, natürlich nicht. Luisa war schon lange tot, bevor sich meine Eltern getroffen haben. Roberto war damals im letzten Schuljahr.“

Das mochte ja alles stimmen, doch Maisie konnte sich nicht vorstellen, keine Probleme damit zu haben, wenn eine vorausgegangene Beziehung ihres Partners so perfekt gewesen sein sollte. Aber was machte das schon. Für sie würde es in Zukunft ohnehin weder eine Beziehung noch einen Partner geben – zumindest nichts Ernsthaftes. Vielleicht einen heißen Flirt, wenn es ihr erst wieder besserging, oder eine kurze, wilde Affäre ohne Konsequenzen … Mehr auf keinen Fall!

Zweimal war sie verliebt gewesen, und zweimal endete es in einem Desaster. Sie hatte genug. Männer waren eine ganz besondere Spezies! Ihnen konnte man nicht trauen. Keinem von ihnen!

„Für eine so junge Frau runzeln Sie ziemlich häufig die Stirn.“

Maisie begegnete seinem forschenden Blick und fühlte zu ihrem Ärger, wie sie errötete. Was ging ihn das an, wie sie dreinschaute? „Eigentlich ist das sonst gar nicht meine Art“, sagte sie spitz. „Es muss wohl an der Gesellschaft liegen.“ Das war nicht als Scherz gemeint, und beide wussten es.

Blaine lehnte sich bequem zurück und schloss die Augen. „Sind Sie eigentlich immer so widerborstig? Nein, antworten Sie lieber nicht“, fügte er rasch hinzu. „Es liegt an mir, nicht wahr? Aus irgendeinem Grund können Sie mich nicht leiden, das habe ich gleich zu Anfang gespürt.“

Darauf wusste sie nun wirklich nichts zu sagen, doch ihre Gesichtsfarbe vertiefte sich noch um einige Nuancen.

„Sie sind ganz anders, als Jackie Sie mir beschrieben hat …“

Wie erstarrt blickte Maisie nun in sein attraktives Gesicht, konnte sich aber nur wenige Sekunden beherrschen. „Wie?“, platzte sie schließlich heraus.

Blaine öffnete träge die Augen. „Was … wie?“

Mistkerl! „Wie anders?“

„Wie lange haben Sie Zeit?“

Von der anderen Seite des Gartens winkte Jackie ihnen fröhlich zu. Wahrscheinlich sieht es für sie so aus, als hätten Blaine und ich ein nettes Tête-à-Tête, dachte Maisie grimmig. „Dann formuliere ich es mal anders. Was hat Jackie Ihnen über mich erzählt?“

Blaine trank ein paar Schlucke Wein. „Sie sagte, Sie seien freundlich, warmherzig und umgänglich … und hübsch.“

Genauso hätte Jackie wahrscheinlich auch einen Cockerspaniel beschrieben! „Und Sie stimmen nicht mit ihr überein?“

„Zumindest eines der Attribute halte ich für zutreffend.“

Maisie wusste, dass sie besser den Mund hielt, wenn sie keine Schwierigkeiten heraufbeschwören wollte, aber die Herausforderung war einfach zu groß. „Welches?“

„Das Letzte.“ Blaine erhob sich von der Hollywoodschaukel. „Bleiben Sie brav sitzen. Ich hole uns etwas zu essen.“

Ich, hübsch? Verunsichert sah Maisie ihm nach. Hatte er es nur gesagt, weil er wusste, wie sehr sie sich gerade das wünschte? Nicht, dass sie auf das Urteil eines gewieften Womanizers überhaupt etwas gab! Oder ihr die unausgesprochene Schlussfolgerung zusagte, dass er sie für hart, kalt und aggressiv hielt!

Blaine war schnell zurück, mit zwei beladenen Tellern in der Hand. Es gab Salat, Soleier, Folienkartoffeln, geröstete Maiskolben und verschiedene Grillspezialitäten, die Maisie mit etwas Mühe als Steaks und kleine Hähnchenkeulen identifizierte.

„Dies ist das Beste, was da war“, erklärte Blaine, als er ihren Blick sah.

Allein aus Loyalität zu Roberto verbiss sie sich eine ätzende Bemerkung. „Es sieht köstlich aus“, behauptete sie. „Ich mag ohnehin keine blutigen Steaks.“

„Ich glaube, da besteht nicht die geringste Gefahr“, konterte er trocken.

„Sie sind wahrscheinlich nur an die italienische Küche gewöhnt?“, fragte Maisie etwas spitz und versuchte zu ignorieren, dass Blaines markante Züge noch attraktiver wirkten, wenn er die dunklen Brauen zusammenschob. Er stellte seinen Teller zu den Füßen ab, griff nach seinem Glas und machte ein Gesicht wie jemand, der zu einer Entscheidung gekommen ist.

„Soll das eine Kritik sein?“, fragte er sanft. „Mögen Sie kein italienisches Essen?“

Maisie liebte die italienische Küche, aber lieber ging sie nackt durch London, als ihm das zu gestehen. „Ich glaube, außer der typischen Pizza habe ich noch nichts probiert, aber die zählt wohl nicht, oder?“

Blaines Gesichtsausdruck sagte ihr alles. Unglücklicherweise wählte Jackie genau diesen Moment, um sich zu ihnen zu gesellen. „Dad mag zwar nicht der beste Grillexperte der Welt sein …“, sagte sie spitz, als sie Blaines Teller auf dem Boden stehen sah, „… aber er gibt sich redlich Mühe. Lasst ihn ein Carpaccio oder Risi e bisi zubereiten und er ist in seinem Element, stimmt’s, Maisie? Du bist doch auch immer hin und weg, wenn Dad in der Küche steht.“

Maisie verstand ja, dass ihre Freundin für den Vater eintreten wollte, aber einen unpassenderen Moment hätte sie sich wirklich nicht aussuchen können. Es entstand eine unbehagliche Pause, bis zwei kleine Neffen von Jackie ihre Tante bei den Händen ergriffen und einfach mit sich zogen.

„Als Jackie Sie mir beschrieb, hat sie offenbar vergessen zu erwähnen, dass Sie eine Lügnerin sind“, murmelte Blaine. „Aber ich bin beeindruckt. Für eine Sekunde haben Sie mich genarrt, und das ist bisher erst wenigen gelungen.“

Maisie gefiel das seltsame kleine Spiel zwischen ihnen plötzlich gar nicht mehr. Sie war keine Lügnerin, jedenfalls nicht für gewöhnlich. Und auch alles andere nicht, was er ihr unterstellte. Sie wandte sich Blaine direkt zu und schaute ihm fest in die Augen, aus denen das stets bereite Lächeln verschwunden war.

„Ehrlich gesagt bin ich nichts von dem, was Sie über mich denken“, erklärte sie ruhig. „Ich befinde mich nur augenblicklich in einer … scheußlichen Situation, die …“ Ihre Stimme schwankte und brach. Zu ihrem Entsetzen merkte Maisie, das es ihr unmöglich war, weiterzusprechen. Tränenblind starrte sie auf ihren Teller, schob sich irgendetwas Schwarzes, Hartes in den Mund und begann zu kauen.

„Das tut mir leid.“ In seiner dunklen Stimme mit dem leichten Akzent schwang ein Ton mit, der sie unwillkürlich aufschauen und heftig schlucken ließ. Ein schwerer Fehler, wie sich sogleich herausstellte. Das Stück Fleisch geriet in Maisies Luftröhre, und die nächsten Minuten verstrichen von allen Seiten in den beherzten Versuchen, sie am Ersticken zu hindern.

Jackies älterer Schwester, einer erfahrenen Krankenschwester, gelang es schließlich, mittels eines beherzten Manövers, auch als „Heimlich-Griff“ bekannt, Maisie zum Ausspucken des harten Brockens zu bewegen. Da Anna eine kräftig gebaute Frau mit den Armen eines Ringers war, fragte sich Maisie ernsthaft, ob sie nicht ein paar Rippen gebrochen hatte, als sie endlich wieder Luft bekam.

Dann wurde sie von der besorgten Jackie ins Haus eskortiert, die sich wie eine Glucke mit ihrem kranken Küken aufführte. Sobald sie im Bad von Jackies Eltern allein war, starrte Maisie in den Spiegel. Sie sah aus, als hätte sie gerade zwei Runden mit Mike Tyson im Ring hinter sich gebracht. Das feuchte Haar klebte an ihrer Stirn, die Augen waren geschwollen und blutunterlaufen und wetteiferten mit den hässlichen purpurfarbenen Flecken auf Wangen und Nacken.

Kraftlos ließ sie sich auf den Wannenrand sinken und befühlte vorsichtig ihre Rippen. Sie schmerzten höllisch, aber ernsthaft verletzt war wohl nur ihr Stolz. Und dann entschied Maisie für sich, dass dies eine gute Gelegenheit war, um sich endlich mal richtig auszuheulen. Bei ihrem derzeitigen Aussehen würde das niemandem auffallen.

Eine Weile später wusch sie ihre Tränen ab, wischte die letzten Spuren von Mascara mit getränkten Wattepads weg, die sie im Spiegelschrank gefunden hatte, und spritzte sich weiter eisiges Wasser ins Gesicht, bis Schwellungen und Signalfarbe zurückgingen. Zum Schluss mopste sie noch etwas Feuchtigkeitscreme von Jackies Mutter und begutachtete das Ergebnis im Spiegel.

Schon besser, lautete ihr Urteil. Nicht gut, aber immerhin.

„Maisie?“, meldete sich Jackie von der anderen Seite der Badezimmertür. „Alles in Ordnung mit dir?“

„Mir geht’s gut.“ Noch einmal atmete sie tief durch, dann öffnete sie die Tür. Ihr blieb wohl keine Wahl, als den anderen wieder gegenüberzutreten. Dann lieber jetzt als später. Als sie Jackie mit dem „Arme-Maisie-Gesicht“ sah, die ihr eine Schminktasche zusammen mit Kamm und Bürste entgegenhielt, verzieh sie der Freundin sofort.

„Ich dachte, falls du eine Auffrischung nötig hast“, sagte Jackie voller Sympathie. „Komm, wir gehen in mein Zimmer.“ Sie war zwar bereits vor Jahren aus dem Elternhaus ausgezogen, kehrte jedoch oft und gern in den Schoß der Familie und in ihr altes Zimmer zurück, in dem es alles gab, was ein Mädchen mit Heimweh brauchte.

Mit frischem Make-up, Mascara und Eyeliner fühlte sich Maisie gleich wohler. Noch ein wenig Lipgloss und sie sah besser aus als bei ihrer Ankunft. Zum Schluss steckte sie ihr Haar zu einem hohen Knoten auf dem Kopf fest, was viel kühler war, und zupfte ein paar Locken an den Seiten heraus, um die Strenge der Frisur zu mildern.

So, fertig! Jetzt konnte sie nur noch hoffen, dass jeder so tat, als sei nichts geschehen, und sie sich bald unauffällig davonstehlen konnte.

Das Barbecue war immer noch in vollem Gang, als sie mit Jackie an der Seite auf der Bildfläche erschien. Ihre Freundin bestand darauf, ihr sofort ein frisches Glas Wein und einen neuen Teller mit Essen in die Hand zu drücken. Maisie schaute gerade zweifelnd auf ihren Teller, als eine männliche Stimme neben ihrem Ohr ertönte.

„Ich habe auf Sie gewartet“, raunte Blaine.

„Haben Sie das?“ Maisie starrte ihn überrascht an. „Warum?“

Um Blaines Lippen zuckte es verdächtig. „Was denken Sie?“

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung“, erklärte sie völlig aufrichtig.

„Kommen Sie. Setzen Sie sich.“ Die Hollywoodschaukel war von mehreren kleinen Kindern okkupiert worden, die jede Sekunde mit ihr umzustürzen drohten, doch Blaine geleitete Maisie zu zwei separat stehenden Stühlen im Schatten eines weit ausladenden alten Apfelbaumes. Gehorsam setzte sie sich hin, weil ihr das einfacher erschien, als schon wieder mit ihm zu argumentieren.

„Ich möchte Sie etwas fragen“, gestand Blaine ruhig, sobald er neben ihr Platz genommen hatte. Maisie musterte ihn mit wachsamem Blick.

„Haben Sie in diesem Jahr schon Urlaub gemacht?“, fragte er nüchtern.

„Wie bitte?“ Die Verwirrung war ihr ganz deutlich anzusehen.

„Haben Sie?“

Maisie riss sich zusammen. „Nein.“ Im August hätte ihre Hochzeitsreise stattfinden sollen, aber das ging Blaine nichts an.

„Wie würde es Ihnen gefallen, Ferien und Arbeit für ein paar Wochen miteinander zu verbinden?“

„Ich … ich verstehe nicht.“

„Es ist ganz einfach. Wie Sie wissen, ist mein Vater sehr krank, und meine Mutter besucht ihn jeden Tag im Krankenhaus, wobei sie oft bis zu acht, neun Stunden bei ihm bleibt. Direkt neben der Klinik gibt es ein exzellentes Hotel, aber da sie einige Pferde sowie zahlreiche Hunde und Katzen hat, will sie auf keinen Fall dortbleiben. Und an diesem Punkt kommen Sie ins Spiel.“

„Ich?“

„Ich brauche eine Art Babysitter für die Tiere. Jemand, der dafür ausgebildet ist und Erfahrung hat. Mit weniger würde meine Mutter sich auch nie zufriedengeben. Wenn Sie bereit wären, auf ihr Heim, respektive die Tiere, achtzugeben, könnte ich sie bestimmt überreden, eine Zeit lang im Hotel zu wohnen. Damit erspart sie sich die langen Fahrten, lebt sicherer und mein Vater hat mehr von ihr. Die Tiere haben jemanden, der sie versteht und trainieren kann, und alle sind glücklich.“ Er schenkte ihr ein Lächeln, das Maisies Puls zum Rasen brachte. „Was halten Sie davon?“

Sie schluckte krampfhaft. „Bei allem, was Sie mir über Ihre Mutter erzählt haben, kann ich mir kaum vorstellen, dass sie Ihrem Plan zustimmen würde.“

„Da täuschen Sie sich. Ich habe bereits mit ihr gesprochen.“

„Wie?“ Ungläubig starrte sie ihn an. „Wann?“

„Mit dieser segensreichen Erfindung, die man Telefon nennt“, erwiderte er amüsiert. „Vor wenigen Minuten, als Sie im Haus waren.“

Maisie konnte ihm kaum folgen. „Sie haben Ihrer Mutter also vorgeschlagen, dass eine völlig Fremde in ihrem Haus wohnen und sich um ihre Tiere kümmern soll, und sie hat nichts dagegen einzuwenden?“

„Sie sind für mich keine Fremde, Maisie, und meine Mutter vertraut meinem Urteil.“

Und das war bisher wenig schmeichelhaft gewesen. Grübelnd schaute sie Blaine von der Seite an und überlegte, ob sie ihre Gedanken aussprechen oder lieber nach weiteren Bedingungen seines Vorschlags fragen sollte, der sie von der ersten Sekunde an fasziniert hatte, wenn sie ehrlich war.

Allem für eine Weile zu entfliehen, war ein ausgesprochen reizvoller Gedanke. In der Sonne zu sein und das zu tun, woran ihr Herz wirklich hing. Das hörte sich zu gut an, um wahr zu sein.

„An welchen Zeitraum denken Sie?“

„Das ist schwer zu sagen.“ Blaine runzelte die Stirn. „Meinem Vater steht in der nächsten Zeit eine Herzoperation bevor. Wenn sie erfolgreich verläuft, bedeutet das einen weiteren Aufenthalt in der Klinik mit anschließender Rehabilitation. Es kann sich um Wochen oder Monate handeln.“

Maisie wagte nicht zu fragen, was wäre, wenn die Operation seines Vaters misslingen würde. „Die Rekonvaleszenzzeit wird er doch sicher zu Hause verbringen wollen“, sagte sie stattdessen.

Blaine hob die breiten Schultern. „Möglicherweise, aber Ihre Anwesenheit wird meine Mutter entlasten, sodass sie sich in der Hauptsache um ihn kümmern kann. Natürlich wird sie zwischendurch reiten oder mit den Hunden rausgehen wollen, aber mehr zur eigenen Entspannung als aus Pflichtgefühl. Sie verstehen? Ihre Pflichten beträfen ausschließlich die Tiere. Für die Hausarbeit und andere Verrichtungen hat meine Mutter eine ältere, aber sehr fähige Haushälterin, die seit meiner Geburt bei uns ist. Unglücklicherweise hält Liliana absolut nichts von Tieren im Haus und hat eine geradezu panische Angst vor Pferden.“

Ganz allein in einem fremden Land. Maisies Gedanken überschlugen sich. Sich eine Zeit lang nicht um Einkäufe und um das Kochen kümmern zu müssen, erschien ihr schon reizvoll, aber wovon sollte sie in der Zwischenzeit ihr Apartment bezahlen? Und was war mit den Fahrtkosten nach Italien? Ob er all diese Punkte auch in dem kurzen Telefonat mit seiner Mutter besprochen hatte?

Blaine schien ihre Gedanken gelesen zu haben. „Ihre Reisekosten werden selbstverständlich übernommen, und Sie erhalten vor Antritt eine angemessene Summe, um Ihre Verbindlichkeiten hier vor Ort zu regeln, während Sie außer Landes sind. Sagen wir, bis Anfang September, um ein Datum zu nennen? Und dann würden wir Sie selbstverständlich wöchentlich oder monatlich entlohnen, was Ihnen lieber ist, solange Sie im Haus meiner Eltern sind.“

Das ging ihr dann doch etwas zu schnell. Maisie fühlte sich wie im Zentrum eines Wirbelsturmes. „Was … was ist, wenn Ihre Mutter mich nicht mag, wenn sie mich sieht?“, fragte sie mit schwankender Stimme.

„Natürlich wird sie Sie mögen. Sie sind doch eine Freundin der Familie, oder nicht?“

Der Familie seines Bruders, genau genommen. War sie denn die Einzige, die sich noch gut an zwei, bis vor wenigen Tagen, seit Jahrzehnten zerstrittene Familienzweige erinnerte? Roberto und sein Vater waren sich immer noch fremd, daran hatte sich bis jetzt nichts geändert.

Ihr Verstand sagte ihr, sie musste verrückt sein, Blaines spontanen Plan auch nur in Erwägung zu ziehen. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie bisher immer das Richtige getan hatte. Sie war stets vernünftig und bodenständig geblieben … die ganzen achtundzwanzig Jahre ihres Lebens. Und wohin hatte sie das gebracht? Nirgendwohin.

Wenn ihr Abenteuer in Italien nicht funktionieren sollte, konnte sie jederzeit erhobenen Hauptes hierher zurückkehren und es unter der Rubrik nützliche Erfahrung oder nicht zu steuernde Hormone ablegen.

Unversehens streifte sie ein anderer Gedanke, den sie kaum zu formulieren wagte. Sie vermutete zwar, dass Blaine nicht mit seinen Eltern zusammenlebte, aber wie weit entfernt wohnte er von ihnen? Auf keinen Fall wollte sie Gefahr laufen, ihm jeden Tag zu begegnen. Verstohlen schaute sie in die blaugrünen Augen, die sie keine Sekunde losließen.

Nein, sie konnte ihn nicht fragen! Sie musste einfach hoffen, dass es nicht zu dicht war. Und plötzlich wurde Maisie bewusst, dass sie sich zum ersten Mal im Leben gegen alles entscheiden würde, was ihre vorsichtige Natur ihr riet, ganz zu schweigen von den Ratschlägen ihrer ängstlichen Mutter. Und zwar schnell, ehe Blaine es sich anders überlegen konnte.

Mutig hob Maisie ihr Kinn. „Wenn Sie sicher sind, im Namen Ihrer Mutter zu sprechen, dann bedanke ich mich für das in mich gesetzte Vertrauen“, verkündete sie entschlossen. „Ich würde mich sehr gern um Ihre Tiere kümmern, solange Ihre Mutter mich braucht.“

„Gut.“ Sein düsterer Blick hellte sich sichtbar auf. „Ich freue mich.“

Drei kleine Worte. Nur drei Worte, und sie hatten die Macht, Maisie heiße Schauer über den Rücken zu senden, die sie bis in die Zehenspitzen spürte.

„Wenn Sie mir Ihre Handynummer geben, rufe ich Sie an, sobald ich alle Vorbereitungen getroffen habe.“

Ah, das erste Problem! „Mein Handy habe ich verloren“, erklärte sie knapp. In Wahrheit war es ihr beim Abwaschen entglitten und ins Spülwasser gefallen, als sie es zum Telefonieren unters Kinn geklemmt hatte. „Aber ich kann Ihnen meine Festnetznummer geben.“

„Bestens.“ Er lächelte. „Dann ist ja alles geregelt.“

Maisie nickte, obwohl sich eine kleine Stimme in ihrem Kopf meldete und fragte, worauf, um alles in der Welt, sie sich da eingelassen hatte.

3. KAPITEL

„Du gehst wohin? Und machst was?“

Susan Burns’ Stimme schnappte fast über. Gepeinigt hielt Maisie den Hörer ein Stück vom Ohr weg. Natürlich hatte sie etwas in dieser Art erwartet, aber rechtfertigen musste sie ihre Entscheidungen nicht vor ihrer Mutter, das sagte sie sich immer wieder. Sie war eine erwachsene Frau und kein Schulmädchen. Trotzdem war es jedes Mal eine kleine Schlacht.

Seit ihr Mann die Familie verlassen hatte, als Maisie gerade acht Jahre alt war, zog Susan ihre Tochter allein und mit eiserner Hand groß. Ihrem Gatten gegenüber war sie ähnlich unerbittlich gewesen. Möglicherweise entschied er deshalb eines Tages, lieber weg- als unterzugehen. Weg nach Amerika, wo ein gut bezahlter Job als Mikrobiologe auf ihn wartete. Zu allem Unglück kam er aber keine achtzehn Monate später bei einem Autounfall ums Leben.

Meistens gab Maisie, was ihre Mutter betraf, um des lieben Friedens willen nach, außer bei einigen wenigen Gelegenheiten, wo sie ihr trotzig die Stirn bot.

„Ich gehe für eine Weile nach Italien, um wegen eines Notfalls in Jackies Familie einige Tiere zu betreuen“, erklärte sie geduldig. „Eine gute Gelegenheit für mich, von allem etwas Abstand zu gewinnen und über meine Zukunft zu entscheiden.“

Vom anderen Ende der Leitung kam ein verächtliches Schnauben. Maisie kannte und hasste dieses Geräusch. „Besser, du kommst zurück nach Sheffield und nimmst eine ordentliche Arbeit an. Du bist zu alt, um ziellos in der Weltgeschichte herumzugondeln. Deine Tante Eva denkt, dass diese Geschichte mit Jeff so etwas wie ein Zeichen ist, dass du hierher zu uns gehörst.“

Maisie war nur froh, dass sie nicht per Kameratelefon verbunden waren. Mit „uns“ meinte Susan ihre drei Schwestern, die ihr Abziehbild waren, und deren Familien, die alle um Sheffield herumwohnten. Für Maisie war das gleichbedeutend mit der Hölle auf Erden.

Sie schloss die Augen und holte tief Luft. „Das sehe ich ganz anders, Mum. Ich liebe es, hier in London zu sein, wo ich alle meine Freunde um mich habe.“

„Und warum willst du dann unbedingt nach Italien?“

„Doch nur für ein paar Monate – eine kurze Unterbrechung, mehr ist es nicht. Wenn ich wiederkomme, suche ich mir einen neuen Job.“

„Und wenn dieses Italien-Dings nicht funktioniert?“

„Dann komme ich einfach früher als geplant zurück.“ Maisie entschied, das Telefonat zu beenden. „Ich rufe dich vor der Abreise noch einmal an, okay? Bye, Mum.“ Damit legte sie den Hörer auf, ehe ihre Mutter antworten konnte. Zufrieden über ihre Courage schaute sie sich in ihrem Apartment um. Es wirkte ziemlich trostlos, obwohl sie sich wirklich Mühe gegeben hatte, den kombinierten Schlaf- und Wohnraum mit farbigen Accessoires aufzuheitern, um ihm eine persönliche Note zu verleihen.

Das Problem war nur, für eine moderne, helle Einrichtung brauchte man Geld, und wenn man das hatte, warum dann überhaupt in einem solchen Loch leben?

„Ich will hier raus!“, sprach Maisie aus vollem Herzen aus, was ihr schon lange im Kopf herumging. Seit sie Jeffs Ring am Finger trug, hatte sie heimlich die Tage gezählt, die sie hier noch zubringen musste. Doch jetzt wollte sie Fakten!

Jeff war Geschichte, und sie hatte eine Entscheidung getroffen. Eine gute, wie sie fand. Mit Blaines großzügigem Scheck in der Tasche fühlte sie sich fast frei. Gleich morgen würde sie mit ihrem Vermieter über die Kündigung reden, und wenn sie im Herbst zurückkehrte, begann ihr neues Leben. Wenn nicht in London, das tatsächlich sündhaft teuer war, dann irgendwo anders – Hauptsache, weit entfernt von Sheffield! Ihre echten Freunde, wie Jackie und Sue, würde sie dadurch bestimmt nicht verlieren, dessen war sich Maisie ganz sicher.

Das schrille Läuten des Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Das konnte nur ihre Mutter sein, die wieder einmal das letzte Wort behalten wollte. Gereizt nahm Maisie den Hörer auf.

„Ja?“

Kurze Pause. „Irgendetwas sagt mir, dass ich in einem ungünstigen Moment anrufe …“, meldete sich Blaines sanfte Stimme.

Maisie kniff die Augen zusammen und zählte innerlich bis zehn. „Tut mir leid, Blaine. Mir ist gerade die Milch übergekocht. Sie wissen d...

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