Julia Bestseller Band 159

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VERRÜCKT NACH SAMANTHA von MARTON, SANDRA
Für den mächtigen Tycoon Demetrios hat das Geschäft stets oberste Priorität. Bis er die Dolmetscherin Samantha einstellt - die rothaarige Sirene lässt den Griechen von ganz anderen Dingen träumen … Um sie aus dem Kopf zu bekommen, gibt es nur einen Ausweg: Verführung!

SCHON BEIM ERSTEN KUSS von MARTON, SANDRA
Zornig funkelt Stephanie den arroganten David Chambers an! Am liebsten würde sie den Flieger stoppen, nur um nicht neben dem Anwalt sitzen zu müssen. Gerade will sie es ihm sagen, da küsst er sie … leidenschaftlich! Warum tut er das, obwohl er sie nicht ausstehen kann?

TRÄUME IM MONDSCHEIN von MARTON, SANDRA
Kostümball in London: Wie verzaubert fühlt sich Paige von dem aufregenden Fremden mit der schwarzen Maske, der sie vom Tanzparkett in den Garten führt. Der im Mondschein tiefe Sehnsüchte und zärtliche Träume in ihr weckt. Dabei wird Paige schon in drei Tagen heiraten …


  • Erscheinungstag 20.03.2015
  • Bandnummer 0159
  • ISBN / Artikelnummer 9783733703080
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sandra Myles

JULIA BESTSELLER BAND 159

SANDRA MARTON

Verrückt nach Samantha

Arbeiten für Demetrios Karas? Empört ahnt Samantha, dass es hier nicht primär um den Job geht. Nein, ihre Schwestern wollen sie verkuppeln! Und der feurige Reeder ist ein wahrer Traummann. Dennoch ist Samantha fest entschlossen, ihrem Vorsatz, sich nicht zu binden, treu zu bleiben. Wenn sie den Job annimmt, muss sie Demetrios ‘ sinnlichem Charme widerstehen …

Schon beim ersten Kuss

„Diese Person will ich nie wiedersehen!“, verkündet David, nachdem er sich auf einer Feier hitzige Wortgefechte mit Stephanie Willingham geliefert hat. Doch auf dem Rückflug wartet eine Überraschung auf David: Seine Sitznachbarin ist ausgerechnet Stephanie. Allein ihr Anblick reicht aus, um seinen Puls in die Höhe zu treiben – aber wirklich nur aus Wut?

Träume im Mondschein

Wenige Tage vor der Heirat seines Bruders mischt sich Quinn, schwarzes Schaf der Unternehmerdynastie Fowler, inkognito und verkleidet als Romeo unter die Gäste eines Maskenballs – und verliebt sich in eine betörende Unbekannte, die er Julia nennt. Erst am Tag der Hochzeit erfährt er, wer seine Traum-Julia war: Paige Gardiner, die Braut seines Bruders!

1. KAPITEL

Samantha Brewster war hundemüde, obwohl sie in der vergangenen Nacht wie eine Tote geschlafen hatte. Sie war immer völlig erledigt, wenn sie zu viele Zeitzonen durchflogen hatte.

Warum auf einen besseren Moment warten, um sich wegzuschleichen? Die Party war in vollem Gang. Carins und Raphaels Gäste drängten sich im Wohnzimmer, die Band spielte eine feurige Samba, und alle feierten ausgelassen. Bestimmt würde es niemand merken, wenn sie verschwand, nicht einmal ihre ständig aufmerksame Mutter und ihre Schwestern.

Sam trank einen Schluck ihres Caipirinhas und stellte das Glas auf einen der kleinen Tische, die überall auf der mondbeschienenen Terrasse herumstanden. Sie hatte sich bei den Festlichkeiten gezeigt und damit ihre Pflicht erfüllt. Jetzt konnte sie nach oben gehen, die Schuhe mit den Stilettoabsätzen wegschleudern, die grüne Hose und das dazugehörige kurze Seidentop gegen ein T-Shirt tauschen und ins Bett fallen. Sie wollte nichts anderes mehr tun, nachdem sie über vierzig Stunden in Terminals und Flugzeugen verbracht hatte. Von Jakarta nach Honolulu, von Honolulu nach San Francisco, von San Francisco nach New York, um Zwischenstation in ihrer Wohnung zu machen, und dann von New York nach São Paulo.

Allein beim Gedanken daran wollte sie sich einfach auf den Fliesenboden legen und schlafen. Sam stellte sich vor, wie ihre Schwestern und ihre Mutter reagieren würden, wenn sie das tun würde. Ihre Mutter wäre noch entsetzter als vor einigen Stunden, als sie behauptet hatte, sie wolle in Jeans und T-Shirt zu Carins und Raphaels Party gehen.

„Zur Party anlässlich des fünften Hochzeitstags deiner Schwester? Also wirklich, Samantha …“

„Also wirklich, Mom, Sam zieht dich nur auf.“ Carin hatte sie flehend angesehen. „Stimmt’s, Sam? Du machst nur Spaß.“

„Natürlich“, hatte Amanda schnell eingeworfen. Oh bitte, keine Szene! hatte ihr Blick besagt.

Zu schade, dachte Sam trübselig. Die Ehe veränderte Menschen. Früher hätten ihre Schwestern einen Gag erkannt. Selbstverständlich hatte sie Spaß gemacht. Sogar sie hütete sich davor, auf so einer Party in Jeans zu erscheinen. Sie hatte ihre Mutter und Schwestern ein bisschen ärgern wollen. Ihr war klar geworden, dass ihre Familie noch immer versuchte, sie unter die Haube zu bringen, und sie war plötzlich nicht nur müde, sondern auch reizbar gewesen.

Sam fuhr sich durch das kastanienbraune Haar, obwohl sie wusste, dass es nicht viel nützen würde. Die feuchte Luft hatte es in eine wilde Lockenmähne verwandelt. Aber sie sah wohl zivilisiert genug aus, um wieder hineinzugehen. Sie würde auf dem Weg durchs Wohnzimmer freundlich nicken und lächeln, und wenn sie zufällig Carin traf, würde sie ihr versichern, sie amüsiere sich großartig. Dann musste sie es nur noch durch die Eingangshalle schaffen, zur Treppe und …

Sam hielt den Atem an. Ein Mann war gerade ins Wohnzimmer gekommen. Er war groß und breitschultrig, hatte schwarzes Haar, blaue oder graue Augen – das war von weitem schwer zu erkennen – und markante Gesichtszüge. Um es ganz offen zu sagen, er war ein Traummann. Eine Frau müsste schon tot sein, um ihn nicht zu beachten. Sam war plötzlich nicht mehr ganz so müde.

Warum versorgten ihre Schwestern sie nicht mit so einem Typ, wenn sie unbedingt Heiratsvermittlerinnen spielen wollten? Nicht, dass sie den gewünschten Erfolg haben würden. Ganz gleich, wie gut aussehend, und auf einer Skala von eins bis zehn erreichte dieser Kerl zwölf Punkte, sie war nicht daran interessiert, häuslich zu werden. Und genau deshalb lotst mich meine Familie niemals zu sexy Männern, dachte Sam seufzend. Männer, die so aussahen wie dieser, waren ungeeignet, weil sie Heirat ebenso wenig wie sie im Sinn hatten. Sie hatte den Vortrag oft genug gehört, als sie noch so dumm gewesen war, den neuesten Mann in ihrem Leben zu irgendeiner Familienfeier mitzubringen.

„Er ist charmant“, hatte Marta Baron dann immer bei der unvermeidlichen nachträglichen Analyse gesagt. „Und er sieht natürlich gut aus. Aber er ist kein Mann zum Heiraten, Liebling. Er ist, nun ja, ungeeignet.“

Ungeeignet für die Ehe, vielleicht. Doch eine Frau konnte einen Mann auch aus anderen Gründen wollen. „Du hast recht, Mom“, hatte Sam jedes Mal erwidert. Jason – oder Brad oder Charlie – sei zweifellos ein Mann, der niemals heiraten und eine Familie gründen würde, und das sei prima, weil sie auch kein Interesse an diesen Dingen habe.

Ihre Mutter wollte es nur leider nicht glauben. Ihre Schwestern glaubten es ebenfalls nicht, jetzt, da sie verheiratet waren. Sam war ihr Projekt geworden. Carin und Amanda hatten die gute Sache ihrer Mutter zu ihrer eigenen gemacht. Deshalb wusste Sam, dass irgendwo in dem Gewühl hier wieder ein Mann lauerte, der hervorragend geeignet war. Und natürlich waren ihre Schwestern überzeugt, dass sie ihn einfach anbeten würde.

Sam nahm das Glas vom Tisch und trank einen Schluck. Sie würde keinen Mann anbeten, der ans Heiraten dachte. So einer wollte ihr die Flügel stutzen, sie in einen goldenen Käfig setzen und sie von einer Weltklassedolmetscherin, die sechs Sprachen fließend sprach, in eine Klassehausfrau verwandeln, die einhundert Kochrezepte aus dem Effeff beherrschte.

Marta, Carin und Amanda glaubten tatsächlich, es würde sie glücklich machen. Deshalb wurde sie ständig hervorragend geeigneten Männern vorgestellt, denen die drei zutrauten, eine Frau wie Sam umzumodeln. Beim letzten Mal hatte Marta einen schwerfälligen Akademiker präsentiert, der zwanzig Jahre älter war als Sam. Davor war es ein verwitweter Rancher gewesen, der ihr einen ganzen Abend lang alles über Bullensperma erzählt hatte.

Beide Männer waren nett gewesen, aber Sam suchte nicht nach nett. Sie suchte nach Freiheit, Abenteuer und einer gelegentlichen Affäre mit einem Mann, der sie erregen konnte, ohne sie auch nur zu berühren.

Mit einem Mann, der vor einigen Minuten ins Wohnzimmer gekommen war. Wo war er? Ah, dort drüben. Er unterhielt sich mit einer Blondine, die aussah, als würde sie sich liebend gern auf der Stelle von ihm ausziehen lassen. Nein. Mit so einem Mann würden ihre Schwestern sie nicht bekannt machen. Seit sie verheiratet waren, glaubten sie anscheinend, sie seien die einzigen Brewster-Frauen, die sich gefahrlos mit gefährlich sexy Typen einlassen konnten.

„Die Männer, mit denen du gehst, werden niemals häuslich werden“, hatte Amanda beim Frühstück gouvernantenhaft gesagt.

Mandy, was ist nur aus dir geworden? hatte Sam traurig gedacht. Verwandelte sich ihre Schwester in einen Marta-Klon? „Richtig. Das macht sie so viel interessanter“, hatte sie erwidert.

Carin seufzte. Amanda seufzte. Sam seufzte auch, mit all der Dramatik, die sie aufbieten konnte. Ihre Schwestern versuchten, streng zu blicken, schafften es jedoch zum Glück nicht. Alle drei kicherten los, und schließlich lachten sie so laut, dass Raphael und Tom darum baten, in den Scherz eingeweiht zu werden, was sie nur noch heftiger lachen ließ.

Später sah Sam, wie die vier die Köpfe zusammensteckten und sich leise unterhielten. Als sie sich ihnen näherte, verstummten sie plötzlich. Ihre Schwager wurden rot, und sie wusste, dass sie bei der Verschwörung mitmachten, Samantha Brewster unter die Haube zu bringen.

Den Beweis, wenn sie denn noch einen gebraucht hätte, erhielt sie einige Stunden später.

„Du bist doch schon in Griechenland gewesen, stimmt’s, Sam?“, fragte Tom beim Mittagessen betont gleichgültig.

„Ja.“ Sam spießte mit der Gabel eine Kirschtomate auf. „Schönes Land.“

Alle wurden still. „Ist es“, sagte Tom zu den anderen am Tisch. „Ein schönes Land.“ Sie nickten, dann setzten die Gespräche wieder ein.

Nach dem Essen streckte sich Sam auf einer Liege aus. Kurz darauf kam Raphael vorbeigeschlendert. „Kannst du eigentlich auch Griechisch?“

„Touristengriechisch. ‚Wo ist die Toilette? Wie viel kostet das?‘ Solche Sachen.“ Sam schob sich die Sonnenbrille hinunter und blickte ihn über den Rand an. „Warum? Sollte ich aus irgendeinem Grund Griechisch sprechen?“

„Nein, nein“, erwiderte Raphael schnell.

Zu schnell. Deshalb war sie alarmiert, als Carin und Amanda in ihr Zimmer kamen, während sie sich für die Party anzog, und beide davon redeten, wie schade es sei, dass sie kein Griechisch spreche, weil ein Gast, ein alter Freund von Raphael und Tom, aus Griechenland sei.

„Er wäre sicher dankbar gewesen, wenn jemand hier seine Sprache gesprochen hätte.“ Carin betrachtete ihre sorgfältig manikürten Fingernägel.

„Das ist ja interessant“, sagte Sam höflich. „Ein Freund von Raphael und Tom spricht nur Griechisch. Ich hätte ja gedacht, Englisch wäre die Sprache, die alle drei beherrschen.“

Ihre Schwestern erklärten hastig, Demetrios Karas spreche natürlich Englisch.

„Er ist Reeder“, hatte Amanda gesagt. „Und auch wenn du kein Griechisch kannst, wäre es nett von dir …“

„Und eine große Hilfe für Raphael und mich“, hatte Carin eingeworfen.

„Nett von dir, Sam, wenn du dafür sorgen würdest, dass sich Demetrios wohl fühlt, indem du heute Abend ein bisschen Zeit mit ihm verbringst.“

Sam seufzte. Sie würde dafür sorgen, dass sie sich wohl fühlte, indem sie in ihr Zimmer ging. Am nächsten Tag würde sie zu ihren Schwestern sagen, sie hätte lange gewartet, aber die Erschöpfung hätte sie überwältigt, bevor der schätzenswerte Mr Karas gekommen wäre. So viel stimmte ja. Sie war todmüde und musste so einen kleinen, übergewichtigen, zu alten, hervorragend geeigneten Reeder erst einmal finden. Und das wollte sie nicht. Wahrscheinlich war sie zu müde, um höflich zu Demetrios Karas zu sein, wenn er sich auf sie stürzte.

Aber für den sexy Mann, der vor kurzem hereingekommen war, könnte sie wahrscheinlich ein Lächeln zu Stande bringen. Nein, sie hatte keine Lust, zu flirten. Sie war wirklich müde. Trotzdem, es schadete ja nicht, sich anzusehen, was er im Schilde führte … Da war er, umringt von zwei Blondinen, einer Brünetten und einer, die so viele verschiedenfarbige Strähnchen im Haar hatte, dass sie wie ein benutzter Pinsel aussah. Alle blickten sie den Mann an, als wollten sie ihn ganz für sich haben.

Das wäre schön, dachte Sam verträumt. Hoppla! Ja, sie war zweifellos müde. Sie mochte Männer, und sie mochte Sex, aber sie neigte nicht zu Träumereien … Oh, oh. Carin war gerade ins Wohnzimmer gekommen. Sie stieß einen Freudenschrei aus und stürzte sich auf den Traummann. Und der blickte über Carins Kopf hinweg sie an.

Sams Pulsschlag beschleunigte sich. Seine Augen waren so blau wie der Sommerhimmel an der Côte d’Azur. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, dann erwiderte er ihren Blick. Carin lehnte sich in seinen Armen zurück und sagte irgendetwas. Er lachte, wandte seine Aufmerksamkeit ihr zu … und es war vorbei. Sam atmete aus. Vorbei? Was denn? Es war überhaupt nichts gewesen. Er konnte sie auf der dunklen Terrasse nicht sehen.

Sie zog sich noch weiter zurück. Ihr zitterte die Hand, als sie das Glas an den Mund hob. Sich so unsicher zu fühlen war lächerlich. Gut, dass sie allein hier draußen war. Die Luft duftete nach den Blumen, die in großen Töpfen auf der Terrasse blühten. Der Vollmond stand über der brasilianischen Steppe. Es war ein herrlicher Abend. Zu heiß, hatte sie eine Frau sagen hören, doch Sam fand das Wetter genau richtig.

„Hallo.“

Mit klopfendem Herzen drehte sie sich um, aber er war es nicht. Es konnte auch nicht der Grieche sein. Dieser Mann war groß, hatte rotblondes Haar und sah nett und sehr kultiviert aus. Was war das denn für eine Beschreibung? Alle hier sahen kultiviert aus. Trotzdem, der Mann, den sie beobachtet hatte, strahlte eine primitive Gewalt aus … Sam blinzelte und streckte die Hand aus. „Hallo.“

„Freut mich, Sie kennen zu lernen.“

„Nur um ganz sicherzugehen: Sie heißen nicht Demetrios, stimmt’s?“

Er lachte. „Jack Adams. Ich bin mit Tom al Rashid zur Schule gegangen. Und Sie sind seine Schwägerin Samantha.“

Wie viele hervorragend geeignete Männer laufen hier heute Abend eigentlich herum? dachte Sam grimmig. „Dann kennen Sie ja sicher seine Frau. Meine Schwester“, sagte sie höflich.

„Aber ja.“

Jack und sie sprachen über Philadelphia, wo er lebte, und New York, wo sie lebte. Sie unterhielten sich über Indonesien, wo sie gerade gewesen war, und über New Jersey, wo er gerade gewesen war. Dann sagte er, es wäre doch nett, sich einmal zu treffen, vielleicht, wenn er geschäftlich in Manhattan war. Ob er sie dann anrufen dürfe?

„Gern, aber ich bin fast nie zu Hause“, erwiderte Sam. „Ich reise viel.“

Jacks Lächeln wurde kühl. „Ja, das habe ich schon gehört.“ Er entschuldigte sich und ging wieder hinein.

Verdammt. Sie hatte nicht unfreundlich sein wollen. Die Ausrede war ihr einfach als Erstes eingefallen. Es war nicht wirklich ihre Schuld. Sie war eben argwöhnisch. Ihre Schwestern hatten die Schuld. Die beiden mussten anfangen, sich um ihre eigenen Dinge zu kümmern.

Wahrscheinlich hätte sie nicht nach „Rio de Ouro“ kommen sollen. Nicht, nachdem sie drei Monate lang für Ethnologen aus Rom und San Francisco gedolmetscht hatte. Aber sie hatte Carins und Raphaels fünften Hochzeitstag und den fünften Geburtstag ihrer Nichte nicht versäumen wollen. Zwischen den beiden Ereignissen lagen nur wenige Tage, was weder ihre Schwester noch ihr Schwager jemals leugneten. Und warum auch, da doch offensichtlich war, dass sie noch immer wahnsinnig verliebt ineinander waren? Wenn Carin nur nicht überzeugt wäre, dass Liebe das universale Patentrezept war.

„Ich habe Raphael auf so einer Party wie der unseren kennen gelernt“, hatte sie am Morgen gezwitschert.

„Ich habe Tom auch auf einer Party kennen gelernt“, hatte Amanda gesagt.

Sam seufzte und blickte wieder ins Wohnzimmer. Carin war verschwunden. Der Mann war noch da. Und es bestand kein Zweifel darüber, dass er sie ansah. Sams Herz hämmerte. Jetzt kam er auf die Terrasse zu …

„Demetrios!“

Die dröhnende Stimme gehörte ihrem Schwager. Sams Augen wurden groß. Der Mann, der sich Raphael zuwandte, war kein übergewichtiger, zu alter Schwerenöter.

Es war der Traummann. Verblüfft beobachtete sie, wie sich die beiden Männer ungestüm umarmten.

„Wann bist du angekommen, Demetrios?“

Demetrios Karas. Sam konnte es kaum fassen. Ihre Schwestern wollten, dass sie diesen Prachtkerl kennen lernte? Sie hielten diesen großen, attraktiven, gefährlich sexy aussehenden Mann für geeignet? Nur zwei Frauen, die auf der Euphorie des Eheglücks schwebten, konnten sich so etwas ausdenken. Demetrios Karas war kein Mann zum Heiraten. Er war ein eingefleischter Junggeselle, und Sam hatte volles Verständnis für seine Einstellung. Schnell zog sie sich in die Dunkelheit zurück und biss sich auf die Lippe, um nicht laut zu lachen. Sie war hier herumgeschlichen, weil sie sich nicht in die Arme eines Mannes schubsen lassen wollte, der von ihr erwarten würde, dass sie eine warme Mahlzeit zubereitete, nachdem sie einen langweiligen Tag mit Stricken oder Häkeln zugebracht hatte. Und dabei war die Beute ihrer Schwestern der bestaussehende Mann, der auf drei Kontinenten zu finden war. Vier.

Die Ehe musste Carin und Amanda das Gehirn aufgeweicht haben. Sie sollten eigentlich wissen, dass Demetrios Karas kein Mann zum Heiraten war. Sam hatte sofort erkannt, dass er seine Freiheit ebenso schätzte wie sie ihre. Mit so einem Typ würde sie ausgehen. Für einen Abend war er vielleicht amüsant, aber das würde dann auch reichen. Das Lächeln. Das großspurige Auftreten. Wahrscheinlich war er ein egozentrischer, hitzköpfiger Macho.

Sam verdrehte die Augen. Ihre Schwestern konnten am nächsten Morgen was erleben! Ihre Schwager auch. Und ihre Mutter, die mehr als genug getan hatte, um den Richtigen für sie zu finden. Raus aus meinem Leben, würde sie zu ihnen sagen.

„Samantha.“

Sie atmete tief durch und drehte sich um. „Raphael.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. „Was für eine schöne Party!“

„Carin hat alles organisiert“, sagte er stolz.

„Ja, sie hat das großartig gemacht.“

Raphael nickte. Dann schob er die Hände in die Hosentaschen und räusperte sich. „Und? Hast du alle kennen gelernt?“

Jetzt geht es los, dachte Sam. „Wie könnte ich? Bei so vielen Gästen ist das unmöglich“, erwiderte sie ganz unschuldig.

„Aha. Ja, natürlich. Aber du solltest ins Haus kommen, damit du … damit du einige von ihnen kennen lernen kannst.“

Sie blickte ihren normalerweise unerschütterlichen Schwager starr an. Er wurde rot, und sie seufzte. „Raphael, ich will Demetrios Karas nicht kennen lernen“, sagte sie freundlich.

„Carin denkt …“

„Sie sollte aufhören zu denken. An mich, jedenfalls.“ Sam schwächte ihre Worte mit einem Lächeln ab. „Ich bin glücklich so. Ehrlich.“

Ihr Schwager sah erleichtert aus. „Das weiß ich. Ich habe versucht, ihr das klarzumachen …“

„Hast du zu Demetrios Karas irgendetwas gesagt?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Raphael energisch.

„Gut. Ich möchte nicht, dass er mich für eine auf dem Markt angebotene Ware hält, falls ich mich entschließen sollte, zu ihm zu gehen und mich vorzustellen.“

„Aber du hast doch gerade …“

„Ich habe gemeint, dass ich ihn als Heiratskandidat nicht kennen lernen will. Er wäre kein besonders guter.“

Raphael lächelte. „Ich bin sicher, er würde dir zustimmen.“

„Er würde jedoch eine großartige Abendunterhaltung sein.“

„Samantha!“

Sie lachte. „Ich mache nur Spaß.“ Alles war ein Spaß. Die Versuche ihrer Familie, sie zu verheiraten. Der gut aussehende Fremde mit den Groupies, die ihn anhimmelten. Dass sie sich eingebildet hatte, sie würde sich zu ihm hingezogen fühlen, und er würde sie ansehen. Selbst wenn er sie bemerkt hätte, selbst wenn er ihr Typ wäre, würde es keine Rolle spielen. Sie hatte keine Lust, sich in nächster Zeit mit jemand einzulassen. Nach den Monaten in Indonesien wollte sie ein bisschen Ruhe und Frieden. Irgendein einfacher Übersetzungsauftrag, sodass sie eine Weile in New York bleiben konnte. Danach würde sie vielleicht wieder in der Stimmung sein, einen Mann kennen zu lernen und ihn zu genießen, bis ein neuer Job sie irgendwo anders hinführte.

„Ich suche meine Frau und sehe mal, ob ich sie den Gästen kurz ausspannen kann.“

„Würdest du ihr bitte etwas ausrichten? Sag ihr, die Party sei großartig, aber ich sei völlig erledigt und würde ins Bett gehen.“

„Natürlich.“ Raphael küsste sie auf die Schläfe. „Boa noite, Sam.“

„Gute Nacht, Raphael.“ Sie würde direkt durchs Haus gehen. Wie ein Schulmädchen war sie hier draußen herumgeschlichen und hatte versucht, Demetrios Karas zu meiden. Und sich auch noch einzubilden, er würde sie ansehen und kommen, um Anspruch auf sie zu erheben! Sam verdrehte die Augen. Genug war genug. Sie musste schlafen, und genau das würde sie jetzt tun. Höflich lächelnd ging sie in das überfüllte Wohnzimmer …

Und machte sich auf die Suche nach Demetrios Karas.

2. KAPITEL

Sie war schön, diese Frau mit dem rotbraunen Haar und den meergrünen Augen. Demetrios hatte sie bemerkt, sobald er das Zimmer betreten hatte. Sie war eine Traumfrau in zartgrüner Seide. Das kurze Top betonte ihre Brüste, die Hose begann knapp unter dem Bauchnabel, schmiegte sich an ihre Hüften und Oberschenkel und fiel dann bis zu den Knöcheln herab. Normalerweise mochte er keine Frauen in Hosen, aber dieser Anzug … Ihre zartgrünen Sandaletten schienen nur aus Riemchen und Stilettoabsätzen zu bestehen. Nur ein Heiliger hätte sich nicht vorgestellt, wie sie aussehen würde, wenn sie die Schuhe, einen aufreizenden Spitzenslip und sonst nichts trug. Und niemand würde ihn jemals für die Heiligsprechung vorschlagen.

Dass er sich sie so vorstellte, überraschte ihn nicht. Was ihn überraschte, war die schnelle Reaktion seines Körpers. Es kam völlig unerwartet. Halb belustigt, halb verärgert, wandte sich Demetrios ab, dachte an die kahlen, eisbedeckten Flächen der Tundra und stürzte sich in eine Unterhaltung mit der Frau, die ihn gerade angesprochen hatte.

Es half nicht. Er sagte Ja und Nein, lächelte, wenn ihm ein Lächeln angemessen erschien, und war mit den Gedanken bei der Frau, die auf der Schwelle zur Terrasse stand, als könnte sie sich nicht entscheiden, ob sie bleiben oder gehen wollte. Musik spielte, die Leute redeten und lachten. Raphaels Party war ein voller Erfolg, aber sie sonderte sich ab. Demetrios konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. War es Langeweile? Höfliche Gleichgültigkeit? Was auch immer, sie hätte jeden Mann hier angezogen, wenn ihre Körperhaltung nicht signalisiert hätte, dass sie nicht interessiert war.

Es war schwer, zu glauben, dass sie allein gekommen war. Hatte sie wirklich keinen Begleiter? Jedes Mal, wenn Demetrios zur Terrasse blickte, stand die Frau noch immer allein dort. Ihn stieß ihre weltverdrossene Miene nicht ab. Im Gegenteil, sie reizte ihn. Er wartete eine Gesprächspause ab, entschuldigte sich und ging auf die Terrasse zu, kam jedoch nicht weit. Da er mehrere Leute auf dieser Party kannte, wurde er aufgehalten, besonders von Frauen. Es ließ sich nicht vermeiden, Hallo zu sagen, zu versichern, es gehe ihm gut und er würde nicht nach Gstaad fahren. Oder irgendwohin, wo ich wahrscheinlich dich treffe, hätte er fast zu der Exgeliebten gesagt, die ihn verführerisch anlächelte. Sie hatten Spaß miteinander gehabt, aber die Affäre war schon lange vorbei.

Die Frau auf der Terrasse sah nicht so aus, als würde sie sich an einen Mann klammern, wenn die Leidenschaft erloschen war. Na gut, das war wahrscheinlich Wunschdenken. Er wusste aus Erfahrung, dass Frauen unfähig waren, den Moment zu genießen, ohne an die Zukunft zu denken. Trotzdem, es war nett, sich die perfekte Frau vorzustellen, die so schön wie eine seltene Orchidee war und so selbstgenügsam wie ein Wüstenkaktus.

Leider musste so ein Geschöpf erst noch erschaffen werden. Frauen waren entweder schön oder standhaft. Und da er Schönheit der Standhaftigkeit vorzog, hatte er schon ziemlich viele Beziehungen durchlitten, die schlimm geendet hatten. Nur einmal möchte ich eine Frau kennen lernen, die weiß, was sie will, die ihr Begehren ehrlich zugibt und auf Spiele verzichtet, dachte Demetrios. Und dann, gerade als sich Carin in seine Arme stürzte, spürte er ein Prickeln. Er sah auf, stellte fest, dass ihn die Fremde mit dem kastanienbraunen Haar beobachtete, und wollte sich zu ihr durchdrängeln, sie hochheben und forttragen.

Natürlich tat er es nicht. Zivilisierte Männer machten so etwas nicht. Also wartete er, beendete das Gespräch mit Carin und ging wieder auf die Terrasse zu. Das Schicksal war gegen ihn. Als Raphael ihn rief, musste er reagieren. Sie waren seit Jahren befreundet. Sobald sie sich herzlich begrüßt hatten, beschloss er jedoch, offen zu sein. Bei einem Mann konnte man das. „Raphael, lass uns später über alte Zeiten reden. Morgen, vielleicht. Wie klingt das?“

Raphael klopfte ihm breit lächelnd auf den Rücken. „Als hättest du es auf eine abgesehen. Wer ist es?“

„Ich weiß ihren Namen noch nicht. Sie ist mir nur aufgefallen.“

„Zeig sie mir. Was für ein Freund wäre ich, wenn ich dir nicht helfen würde?“

„Sie ist …“ Demetrios blickte nach draußen. Die geheimnisvolle Frau war verschwunden. „Sie war dort vorn auf der Terrasse. Lass es gut sein. Manche Dinge muss ein Mann allein tun.“

„Und ich bin sicher, du wirst Erfolg haben. Tom sagt, du hättest ihn früher immer übertroffen.“

„Freut mich, dass er es zugibt. Aber schließlich ist er jetzt verheiratet.“

„Glücklich verheiratet.“ Raphael räusperte sich. „Wie ich. Und du wirst es auch sein, wenn du die richtige Frau findest.“

Nein, dachte Demetrios, nein. Ein Freund würde doch wohl nicht versuchen …

„Und? Hast du schon alle aus Carins Familie kennen gelernt?“, fragte Raphael viel zu munter.

„Die Ehe hat deinen Verstand getrübt. Ich habe Geschäfte mit Jonas gemacht, erinnerst du dich? Auf ‚Espada‘, wo ich seine Frau und seine Söhne kennen gelernt habe. Und natürlich bin ich mit Toms Amanda auch befreundet.“

„Dann kennst du nur Sam noch nicht.“

Demetrios runzelte die Stirn. „Jonas hat noch einen Sohn?“

„Nein, nein. Sam ist die Kurzform von Samantha.“

„Ach. Ich weiß, dass der alte Mann eine Stieftochter hat, aber …“

„Sam ist nicht Jonas’ Tochter. Sie ist eine Brewster. Carins jüngere Schwester.“

„Ach“, sagte Demetrios wieder und blickte zur Terrasse. Er musste die Frau finden, deren Schönheit so hell strahlte wie das Leuchtfeuer auf seiner Privatinsel in der Ägäis. War sie noch dort draußen? „Raphael, mein Freund …“

„Sam ist hier irgendwo. Warum suchen wir sie nicht, und ich stelle dich vor?“

Verdammt. Raphael Alvares, der Pferde von Weltklasse züchtete und ein brasilianisches Finanzimperium leitete, sollte den Ehestifter spielen. Es war erbärmlich, was aus einem Mann wurde, sobald ihm eine Frau einen Ring durch die Nase gezogen hatte. „Das klingt großartig“, sagte Demetrios herzlich. „Aber ich möchte kurz nach draußen. Ich muss in New York anrufen, und es ist so laut hier drin.“

„Du wirst sie mögen, das weiß ich.“

„Sicher, ich will nur …“

„Sie ist genau dein Typ.“

„Wirklich?“

„Ja. Am Anfang denkst du vielleicht nicht so. Sam ist eine Herausforderung.“

Bedeutete, sie war übellaunig.

„Sie ist heißblütig und hat ihre eigene Meinung.“

Bedeutete, es hatte sich noch kein Mann gefunden, der sie ertragen konnte. Demetrios war dazu gekommen, die Sprache derjenigen zu verstehen, die seinem glücklichen Junggesellenleben ein Ende machen wollten. „Klingt nach einer faszinierenden Frau“, sagte er höflich. „Und ich bin sicher, sie ist ebenso schön wie Carin.“

Raphael dachte darüber nach. „Nein“, erwiderte er schließlich. „Ich muss zugeben, dass Sam überhaupt nicht wie Carin aussieht. Wie Amanda auch nicht.“

Immer schlimmer. Sein alter Freund wollte ihn mit einer alternden Zicke versorgen, die einen Männernamen und nichts von der Schönheit ihrer Schwestern hatte. „Tja, ich bin überzeugt, dass sie entzückend ist“, log Demetrios. „Aber ich muss diesen Anruf erledigen. Und ich sehe einige Bekannte. Lass mich telefonieren und Hallo sagen. Danach komme ich zu dir zurück, damit du mich deiner Schwägerin vorstellen kannst.“

„Nein, tust du nicht.“

„Sieh mich nicht so an. Es geht nicht darum, dass ich diese … diese perfekte Frau nicht kennen lernen will. Ich bin nur …“

„Du bist nur nicht bereit, deine geliebte Freiheit zu verlieren.“ Raphael lächelte. „Schon gut, Demetrios. Das habe ich Carin erklärt, aber sie beharrt darauf, dass du und Sam ausgezeichnet zusammenpassen würdet. Was soll ich sagen, mein Freund? Du weißt, wie Frauen sind.“

„Nur allzu gut.“ Demetrios seufzte erleichtert. „Deshalb bleibe ich gern Single.“

Raphael ging davon, und Demetrios steuerte auf die Terrasse zu, wo er wieder abgepasst wurde, diesmal von einer Blondine, mit der er eine längst vergessene Affäre gehabt hatte.

„Darling!“, kreischte sie.

Er küsste sie auf die Wange, als sie ihm das Gesicht zuneigte, aber seine Geduld hatte Grenzen. „Entschuldige, ich muss wirklich …“ Und dann nahm er einen zarten Duft wahr. Jasmin? Flieder?

„Hallo.“

Die Stimme klang sanft, heiser und belustigt. Demetrios spürte, wie alle seine Sinne erwachten. Nur eine einzige Frau auf dieser Party hatte die Macht, ihn mit einem simplen Wort zu erregen. Er wusste sofort, dass sie es war. Während er sich langsam umdrehte, fragte er sich, ob die Realität seinen Fantasien entsprechen würde.

Ja. Sie war mehr als schön. Sie war herrlich. Augen, in denen sich ein Mann verlieren konnte. Ein Mund, der danach verlangte, geküsst zu werden. Haar, das wie Seide schimmerte. „Wie wunderschön Sie sind“, sagte er leise.

Sie lachte. „Wie direkt Sie sind.“

„Ich habe Sie beobachtet. Und Sie haben mich beobachtet. Warum sollten wir uns verstellen? Ich versuche schon den ganzen Abend, zu Ihnen zu kommen.“

Sie hielt ihm lächelnd ein Glas hin. „Dann müssen Sie durstig sein.“

Bis zu diesem Moment hatte er nicht einmal bemerkt, dass sie in jeder Hand ein Glas mit zerstoßenem Eis und einer hellgoldenen Flüssigkeit trug. „Nicht verraten. Caipirinhas?“

„Das soll ich doch nicht verraten.“

Als Demetrios ihr eins der Gläser abnahm, berührten sich ihre Hände, und er spürte einen kleinen elektrischen Schlag. Sie auch. Er sah, wie ihre Augen plötzlich dunkler wurden.

„Gefällt Ihnen, was ich Ihnen gebracht habe?“

Er wusste, dass sie nicht den Drink meinte. „Ja, sehr.“

„Gut.“ Sie trank einen Schluck. „Ich dachte mir, Sie würden es vielleicht mögen.“

Sie flirtete gern. Sie reizte. Und sie gab unverblümt zu verstehen, was sie wollte. Die Kombination war berauschend. Er sehnte sich danach, sie nach oben in sein Bett zu tragen …

„Demetrios?“

Verdammt. „Einen Moment.“ Er drehte sich zu der Blondine um. „Tut mir leid, ich bin beschäftigt.“ Er war unhöflich, aber es war ihm gleichgültig. Wichtig war nur die Frau …

Sie war weg. Die Terrasse? Ja. Er sah gerade noch die grüne Seide aufleuchten, bevor sie von der Dunkelheit verschluckt wurde. Schnell stellte er sein Glas auf einen Tisch und bahnte sich einen Weg durch das Gedränge. Die Frau eilte die Stufen hinunter, die auf den sanft abfallenden Rasen führten. „Warten Sie!“ Er holte sie am Pavillon ein, umfasste ihre Schultern und drehte sie zu sich herum. „Warum sind Sie davongelaufen? Haben Sie Angst vor mir? Dazu besteht kein Grund. Ich werde Ihnen nicht wehtun.“

Sam blickte ihn starr an. Sie konnte es ihm unmöglich erklären. Am Anfang hatte sie es einfach amüsant gefunden, sich an die unwissende Beute des Abends heranzumachen. Und dann war aus dem Spaß etwas anderes geworden. Sie wollte mit Demetrios Karas schlafen, aber nicht einmal sie, trotz all ihres Geredes, fiel so schnell mit einem Mann ins Bett. Es kam sowieso nicht infrage. Ihre ganze Familie hatte sie in seine Richtung gelenkt. Sie war nicht sicher, ob er das hören wollte. „Es tut mir leid, wenn ich Sie irregeführt habe. Aber ich bin müde und …“

„Und Sie kennen mich nicht. Das ist das Problem, stimmt’s? Sie könnten mich kennen lernen. Nur ein Kuss, dann würden wir beide alles wissen, was wir wissen müssen.“

„Ich denke …“

„Denk nicht. Nicht heute Abend.“

Er küsste sie sanft, immer wieder, bis Sam leise seufzend die Augen schloss und den Kuss erwiderte. Demetrios Karas schmeckte nach Wein und Mondlicht, nach tausend vergessenen Träumen, die sich niemals erfüllt hatten. „Mehr“, flüsterte sie unwillkürlich.

Demetrios stöhnte. Mehr. Ja. Er würde ihr mehr geben, ihr alles geben und alles nehmen. Als er sie fest an sich zog, legte sie ihm die Arme um den Nacken und schmiegte sich an ihn, und Demetrios wusste, dass sie sich ihm, dem Abend und der Leidenschaft überließ. Sie schmeckte nach Rum und Zucker, nach Hitze und Verlangen. Er stöhnte wieder, streichelte sie besitzergreifend und umfasste eine Brust.

„Matya mou“, sagte er rau. Sie bog sich ihm entgegen, rieb sich an ihm, und er wusste, dass er seit seiner Jugend nicht mehr so nahe daran gewesen war, die Beherrschung zu verlieren. „Warte“, flüsterte er, aber sie berührte ihn, zerrte an seinem Hemd, sodass die Knöpfe absprangen, und er hielt den Atem an, als er ihre Finger auf der Haut fühlte. Er hielt ihre Hände fest und trat zurück. Sie gab einen gequälten Laut von sich, der seine Leidenschaft schürte. Er verstand ihre Not. Auch sein Verlangen war so stark, dass es fast ein Schmerz war, aber so einen völligen Kontrollverlust würde er sich nicht erlauben. Er konnte warten. „Mein Zimmer“, sagte er.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nicht im Haus.“

„Die Stallungen.“ Bevor sie antworten konnte, führte er sie weg vom Pavillon und zu den Nebengebäuden. Eine Wolke verbarg den Mond, doch Demetrios kannte sich auf der Ranch aus. An der Rückseite eines Stalls war ein kleines Büro mit einem Schreibtisch, einem Stuhl und einem alten Ledersofa. Raphael und er hatten dort ein Geschäft besiegelt. Er würde sie ausziehen und in sie eindringen. Wenn das erste rasende Verlangen befriedigt war, würde er sie in den Armen halten und liebkosen. Die Party würde enden, sie würden ins Haus, in sein Zimmer gehen und sich die ganze heiße brasilianische Nacht hindurch ineinander verlieren.

Im Stall war es dunkel. Es roch angenehm nach Pferd und Leder. Ein Tier schnaubte, als die Tür hinter ihnen zufiel. Demetrios zog sie zum Büro an der Rückseite.

„Demetrios?“, flüsterte sie.

„Ja“, sagte er rau. Sie kannte seinen Namen, er ihren nicht. Er dachte daran, zu fragen, aber wie wichtig war das in diesem Moment? Stattdessen nahm er ihre Hand und ließ sie spüren, wie erregt er war. „Fühl, was du mit mir machst, o kalóz mou.“

Sam hielt den Atem an, als sie ihn umfasste. „Fühl, was du mit mir machst“, sagte sie und führte seine Hand zu ihrer Brust.

Demetrios spürte die hart gewordene Spitze unter der Seide und stöhnte auf. Er küsste sie leidenschaftlich und zog sie hinunter auf das Sofa. Sie legte ihm seufzend die Arme um den Nacken und erwiderte seine Küsse leidenschaftlich. Demetrios hatte plötzlich das Bedürfnis, sie einfach zu halten und die süßen Geheimnisse ihres Körpers zu erforschen, bevor er sein Verlangen befriedigte. „Verrat mir deinen Namen“, sagte er leise. „Ich will wissen …“ Ungeduldig rieb sie sich an ihm, und er war verloren. Er ließ die Hand über ihren Körper gleiten, in ihre Hose, immer tiefer, berührte sie …

Im Stall ging das Licht an. Die Frau in seinen Armen wurde starr. „Oh nein!“, flüsterte sie verzweifelt und versuchte hektisch, ihn wegzustoßen. „Runter von mir! Siehst du das Licht nicht? Jemand …“

„Sei still. Wer immer es ist, wird gleich wieder verschwinden.“

Bitte, ja! dachte Sam.

„Großartig, dass du bereit bist, dich jetzt zu entscheiden, Tom“, sagte Raphael Alvares und lachte leise. „Ich habe ein Angebot für das Fohlen bekommen. Ein sehr gutes, und ich bin geneigt, es anzunehmen.“

„Den Teufel wirst du tun“, erwiderte Thomas al Rashid humorvoll. „Fällt denn überhaupt nicht ins Gewicht, dass ich dein Schwager bin?“ Beide Männer lachten. Ihre Schritte hallten auf dem Bohlenbelag. Sam barg das Gesicht an Demetrios’ Hals.

„Da ist es. Ein herrliches Tier. So schön wie immer.“

Tom seufzte. „Noch schöner. In Ordnung. Abgemacht. Lass es zu meiner Farm in Greenwich transportieren.“

„Jetzt gehen sie“, flüsterte Demetrios und fluchte. Er irrte sich. Die Schritte kamen näher.

Schnell setzte er sich auf, zog die Smokingjacke aus und legte sie Sam um die Schultern. Dann stand er auf und stellte sich vor sie. Das Licht im Büro wurde eingeschaltet.

„Das feiern wir mit einem Brandy“, sagte Raphael. „Oder möchtest du lieber … Demetrios?“

„Demetrios?“ Tom hörte sich ebenso erstaunt an wie Raphael. „Oh.“

Oh, aber wirklich, dachte Sam und wünschte, sie wäre tot.

„Haben wir dich bei irgendetwas gestört?“

Sie können mich nicht sehen, sagte sie sich verzweifelt. Demetrios stand wie eine Schutzmauer vor ihr, und sie hatte die Knie hochgezogen, sich tief in seine Jacke gekuschelt und das Gesicht gegen die Knie gedrückt. Trotzdem hatte sich Sam noch nie in ihrem Leben so ungeschützt gefühlt.

„Gehen wir nach draußen“, schlug Demetrios vor.

Sam hörte Schritte, das Knarren der Tür und dann wieder Demetrios’ Stimme.

„Ihr habt mich tatsächlich gestört“, sagte er gelassen, fast belustigt, als wäre alles nur ein Scherz.

Sam ballte die Hände zu Fäusten.

„Tut uns leid, Demetrios.“

„Und ich versuche, dich mit Carins Schwe… Verdammt. Jetzt verstehe ich, warum du sie nicht kennen lernen wolltest. Macht ja nichts“, sagte Raphael.

„Richtig“, warf Tom schnell ein. „Macht nichts. Wir sehen uns später, Demetrios. Gehen wir, Raphael.“

Die Stalltür fiel zu. Gerade als Sam aufstand, eilte Demetrios auf sie zu.

„Kalóz mou.“ Er griff nach ihr.

„Fass mich nicht an!“

„Schatz. Ich bedauere, dass wir gestört worden sind, aber …“

„Ja. Darauf wette ich.“ Sam blickte ihn wütend an. Er redete beruhigend auf sie ein und versuchte, sie zurück auf das Sofa zu bekommen. Das würde nicht passieren. Wie hatte sie so etwas nur tun können? Sie hätte fast mit einem Fremden geschlafen. Einem Mann, der sie nicht hatte kennen lernen wollen. Das hatte Raphael gesagt.

Okay, Demetrios Karas wusste nicht, dass sie die Frau war, die er nicht hatte kennen lernen wollten. Vielleicht änderte das die Sache. Möglicherweise ließen sich in ihrer Logik Fehler finden. Na und? Wen interessierte denn Logik? Sie war in eine peinliche Lage gebracht worden … Und dieser arrogante, eingebildete Mann redete immer noch. „Oh, halt den Mund“, sagte Sam und ging an ihm vorbei. Sie versuchte es jedenfalls.

Er streckte den Arm aus und hielt sie zurück. „Hast du mir überhaupt zugehört?“

Sam blies sich das Haar aus der Stirn. „Es ist alles deine Schuld. Wenn du ein Gentleman wärst …“

„Ah. Ich verstehe. Du willst so tun, als hättest du nicht mitgemacht.“

„Du hast mich in diese Scheune gezerrt.“

„Erstens, es ist ein Stall“, sagte Demetrios kühl. „Zweitens, wenn ich kein Gentleman wäre, könnten wir darüber diskutieren, wer wen gezerrt hat. Drittens, wir sind nur hier, weil du es abgelehnt hast, ins Haus zu gehen.“

„Ja, habe ich. Zumindest ich besitze Anstandsgefühl.“

„Das ist dann wohl der Grund, warum du beim Pavillon wie eine Kletterpflanze an mir gehangen hast.“

Der Mann war unausstehlich. Sam dachte daran, ihn zu ohrfeigen, aber er war die Mühe nicht wert. Sie drängte sich an ihm vorbei und ging zur Stalltür.

„Du hast meine Jacke“, sagte er scharf. „Oder hast du die Angewohnheit, Souvenirs mitzunehmen?“

Sam drehte sich um und schleuderte ihm Flüche ins Gesicht, die sie in Ägypten gelernt hatte. Demetrios blickte finster drein. Das Pferd in der nächstgelegenen Box wieherte leise und sah interessiert zu.

„Was hast du gesagt?“

„Ich hoffe, deine Nachkommen sind Aas fressende Schakale und du bist mit fünfunddreißig zahnlos und kahl. Gute Nacht. Ich sollte ja sagen, es war mir ein Vergnügen, aber es war keins.“

„Damit hast du recht.“

„Was deine kostbare Smokingjacke angeht …“ Sam zog sie sich von den Schultern und hielt sie mit zwei Fingern.

Demetrios blickte von ihrem Gesicht zu dem Pferd in der Box. „Nein“, sagte er, aber es war zu spät. Die Jacke fiel. Das Pferd schnaubte. Und die Frau, die er dummerweise für begehrenswert gehalten hatte, ging zur Tür.

„Gute Nacht“, sagte Sam liebenswürdig. Ein Wort hallte bis nach draußen in die Dunkelheit. Es war Griechisch, aber sie musste kein Genie sein, um die Bedeutung zu verstehen. Sam ging auf das Haus zu. Zweifellos hatte sie das Ziel getroffen, und die Smokingjacke lag in etwas, was in Pferdeställen unvermeidlich war.

Es gab doch noch Gerechtigkeit auf dieser Welt.

Demetrios beugte sich mit zusammengebissenen Zähnen in die Box und fischte vorsichtig seine Jacke heraus. Er trug sie mit zwei Fingern und warf sie in die Mülltonne neben der Tür. Den Namen der Frau hatte er nicht erfahren, doch er brauchte ihn nicht zu wissen. Es hätte ebenso gut Circe sein können. Sie war eine Zauberin. Eine Verführerin. Verdammt, sie war ein Miststück.

Trotzdem lächelte er, als er nach draußen ging und an die Verwünschungen dachte, die sie ausgestoßen hatte. Seine Nachkommen sollten Schakale sein? Und er sollte in zwei Jahren zahnlos und kahl sein? Demetrios lachte. Sie war nicht die erste Frau, die ihn verflucht hatte, aber sonst war es immer passiert, weil er zur Tür gegangen war. Und noch keine hatte es so kreativ getan.

Was Tom und Raphael betraf … Demetrios seufzte. Er würde irgendeine Erklärung abgeben müssen. Bestimmt warteten sie auf ihn. Sie würden wissen wollen, wie die Frau hieß, warum er mit ihr in den Stall und nicht in sein Zimmer gegangen war und wo seine Jacke geblieben war.

Tja, sie hatten eine Enttäuschung zu erwarten. Er würde ihnen nicht viel erzählen. Das heimliche Treffen hatte leidenschaftlich begonnen und als Farce geendet, und er wollte nicht darüber reden, nicht einmal für das gutmütige Lachen, das es ihm sicherlich einbringen würde. Es war zu persönlich gewesen.

Was Circe betraf … Sie war wirklich eine faszinierende Frau.

Demetrios schob die Hände in die Hosentaschen und ging leise pfeifend zum Haus.

3. KAPITEL

Fast vier Wochen später klingelte in Sams Wohnung das Telefon, als sie sich gerade die erste Tasse Kaffee einschenkte. Sie stellte die Kanne hin, sah auf die Uhr und nahm ab. „Guten Morgen, Amanda.“

Ihre Schwester stöhnte entsetzt. „Bitte, erzähl mir nicht, dass man das Bildtelefon perfektioniert hat. Nicht um diese Zeit morgens.“

Sam lachte. „Ich wusste, dass du es bist, weil mich niemand sonst um fünf nach sieben anrufen würde.“

„Jeder mit einem Vierjährigen würde es tun. Außerdem wollte ich sicher sein, dass ich dich erwische, bevor du losziehst. Hast du nicht gesagt, du hättest ein Vorstellungsgespräch?“

„Zwei.“ Sam klemmte sich das Telefon gegen die Schulter und holte die Sahne aus dem Kühlschrank. „Das erste in knapp zwei Stunden, deshalb …“

„Deshalb kannst du nicht lange mit mir sprechen. Ja, ich weiß. Irgendeine Ausrede hast du immer, seit wir aus Brasilien zurück sind.“

„Das sind keine Ausreden“, sagte Sam schnell. Zu schnell, dachte sie. „Ich habe viel zu tun, das ist alles.“

„Ja, ja. Und wie viele Termine hast du heute?“

„Zwei am Morgen. Was bedeutet …“

„Dass wir uns zum Mittagessen treffen können“, unterbrach Amanda sie freundlich. „Erinnerst du dich an das kleine Restaurant in der Seitenstraße abseits der Madison Avenue?“

„Wo man einmal einatmet und gleich tausend Kalorien auf den Hüften hat?“

„Hast du die neuesten Forschungsergebnisse noch nicht gehört? Sonnenschein reduziert die Kalorienzahl. Und, falls du es nicht bemerkt hast, der Frühling ist endlich gekommen. Wirf einen Blick aus dem Fenster. Die große gelbe Kugel über dem East River ist die Sonne.“

„Es ist Umweltverschmutzung. Und ehrlich, Mandy, ich sehe nicht, wie ich das schaffen soll. Um neun treffe ich mich mit jemand von der UNO …“

„Du willst bei den Vereinten Nationen arbeiten? Ich dachte, du hasst es, drinnen eingesperrt zu sein.“

„Das ist eine Privatangelegenheit. Irgendwelche Briefe, die übersetzt werden müssen. Und um elf treffe ich mich mit einem Professor am ‚Hunter College‘, der auf einige Gedichte aus dem neunzehnten Jahrhundert gestoßen ist.“

„Wie interessant“, sagte Amanda höflich. „Aber ich dachte, das machst du nicht. Gedichte und Briefe übersetzen, meine ich. Du dolmetschst doch lieber. Mr Pavarotti, darf ich Ihnen Mr Jagger vorstellen? Solche Sachen.“

Sam rührte lachend einen Schuss Sahne in ihren Kaffee. „Stimmt, das mag ich lieber, nur ist mein Bankkonto nicht so wählerisch, besonders nicht, da ich auf einen anständigen Auftrag warte, seit … seit ich von diesem Wochenende bei Carin zurück bin.“ Was für eine Närrin sie doch war! Nach all der Zeit konnte sie sich doch wohl zutrauen, „Brasilien“ zu sagen, ohne sofort an die demütigende Episode mit Demetrios Karas zu denken. „Anscheinend braucht niemand eine Dolmetscherin für Französisch, Deutsch, Italienisch oder Spanisch oder …“

„Borneosisch?“

„Du hast gerade eine Sprache erfunden. Auf Borneo habe ich vom Italienischen ins Englische und umgekehrt übersetzt. Da waren diese beiden Ethnologen, und einer sprach …“ Sam seufzte. „Was du gerade Borneosisch genannt hast, kann ich jedenfalls nicht.“

„Griechisch auch nicht“, sagte Amanda.

Sofort war Sam auf der Hut. „Warum sollte ich Griechisch sprechen?“

„Du solltest nicht. Ich habe es nur erwähnt. Ich meine, du hast gesagt …“

„Ich weiß, was ich gesagt habe. Du hast ‚Griechisch‘ gesagt.“

„Sei doch nicht so abwehrend, Samantha. Hast du deinen Morgenkaffee schon getrunken?“

Ihr Kaffee war inzwischen schon abgekühlt. „Nein.“

„Siehst du? Das hast du davon, mit mir reden zu wollen, bevor du deinen Koffeinspiegel da hast, wo er sein sollte.“

„Amanda. Du hast mich angerufen, nicht ich dich.“

„Ich verstehe nicht, warum du so missmutig bist. Schließlich lade ich dich zu einem sündhaft leckeren Mittagessen ein, bei dem wir über einen Job für dich sprechen werden.“

Sam stellte sich gerade hin. „Dolmetschen?“

„Natürlich. Was sonst würde Tom dir anbieten?“

„Dein Mann braucht eine Dolmetscherin?“

„Ein Freund von ihm.“

„Das ist großartig! Wo soll ich arbeiten? In welchen Sprachen?“

„Ich weiß die Einzelheiten nicht. Tom trifft sich mit uns im ‚Lazy Daisy‘ und informiert dich darüber.“

„Okay. Prima. Da wir gerade von Tom sprechen … Hat er das Wochenende auf Rio de Ouro genossen?“

„Tut er das nicht immer? Du weißt doch, was für gute Freunde er und Raphael sind.“

„Natürlich. Und er hat an dem Wochenende sicher auch andere Freunde getroffen. Ich meine, sie kennen sich ja alle, stimmt’s? Tom. Raphael. Und … und andere Leute.“

„Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt eine Dolmetscherin brauche. Wovon redest du eigentlich?“

Ja, wovon? Sam schloss die Augen und rieb sich mit dem Zeigefinger den Nasenrücken. Wenn Demetrios Karas herausbekommen hätte, wer sie war, und Tom oder Raphael von seinem … seinem Zusammenstoß mit ihr erzählt hätte, dann hätte sie es erfahren. Ihre Schwager verhielten sich ihr gegenüber so beschützend wie große Brüder. Sie hätten sie damit konfrontiert. Inzwischen würden ihre Schwestern und Schwager sie schon längst bemuttern. Nein, die Familie war ahnungslos, und so würde es auch bleiben. Was passiert war, gehörte der Vergangenheit an. Demetrios Karas auch. Der Gedanke ließ den Tag gleich besser werden.

„Sam?“

„Du brauchst keine Dolmetscherin“, sagte sie munter. „Ich brauche mein Coffein, bevor ich auch nur ein halbwegs intelligentes Gespräch führen kann. Wir sehen uns im Lazy Daisy.“

„Großartig. Ich reserviere einen Tisch auf der Sonnenterrasse, damit wir das herrliche Wetter genießen können.“

Am späten Vormittag war die Sonne verschwunden und der Himmel bleigrau. Als Sam das Hunter College wieder verließ, regnete es. Donner rollte über die Stadt, und dicke Tropfen prasselten auf das Kopfsteinpflaster. Sam hütete sich davor, herumzustehen und vergeblich auf ein Taxi zu hoffen. Irgendwann würde irgendjemand das Rätsel lösen, wo sich die Taxifahrer versteckten, wenn es zu regnen begann. In der Zwischenzeit blieb ihr nichts anderes übrig, als zum Restaurant zu spurten.

Völlig durchnässt stieß sie die Rauchglastür des Lazy Daisy auf. Der Oberkellner eilte auf sie zu. „Ich bin mit jemand verabredet“, sagte sie atemlos.

„Gewiss, Miss Brewster.“

Während er ihr aus dem Mantel half, blickte sie flüchtig in den Spiegel. Was für eine Katastrophe! Aber es war unwichtig. Die beruflichen Termine hatte sie hinter sich. Amanda und Tom würde es nichts ausmachen, wie sie aussah.

„Hier entlang bitte, Miss Brewster. Ihre Hoheit erwartet Sie.“

Sam unterdrückte ein Lächeln und folgte dem Oberkellner. Sie gab sich nicht der Illusion hin, dass er sie nach einem Besuch vor fast sechs Monaten wieder erkannt hatte. Amandas Anwesenheit ließ ihn so höflich sein. Ihre Schwester hatte eigentlich keinen Titel mehr, seit Tom auf den Thron seines Heimatlands verzichtet hatte, aber das konnte man zu einem der versnobten New Yorker Oberkellner nicht sagen.

Trotz des Regens hatte Amanda den Tisch auf der Sonnenterrasse genommen. Sonst wollte offensichtlich niemand in dem verglasten Bereich sitzen, während es in Strömen goss. Es hatte jedoch etwas Gemütliches, und Amanda saß zufrieden bei Kerzenlicht in einer Sitzecke.

„Da bist du ja“, sagte sie glücklich und stand auf, um Sam zu umarmen. Sie setzten sich und sprachen über Amandas Kinder. Sam liebte ihren Neffen und ihre Nichte sehr, und sie blieben bei dem Thema, bis der Sommelier mit einer Flasche Wein an den Tisch kam. „Ich habe einen Syrah bestellt. Ist dir das Recht? Ich dachte, Rotwein passt zu dem kühlen, nassen Wetter.“

Sam lächelte. „Und zu einer Sonnenterrasse unter Wasser.“

„Stört es dich, hier zu sitzen? Wir sind für uns, und es hat etwas wundervoll Dekadentes, zu … Oh Sam! Sieh dir dein Haar an!“

„Zum Glück muss ich das nicht tun“, sagte Sam trocken. „Du musst meinen Anblick als Medusa ertragen.“

„Das habe ich nicht gemeint, und du weißt es. All die Locken. Herrlich! Es sieht so sexy aus.“

Der Sommelier hielt Amanda den Korken hin. Sie winkte lächelnd ab. „Ich vertraue Ihnen, George. Bitte schenken Sie einfach ein. Meine Schwester und ich sind am Verdursten.“ Sobald die Gläser gefüllt waren, beugte sie sich vor. „Wie sind die Vorstellungsgespräche gelaufen?“

Sam hob seufzend ihr Glas und trank einen Schluck. „Gut, dass Tom einen Job für mich hat.“

„Es ist also nichts dabei herausgekommen?“

„Der Typ bei den Vereinten Nationen ist zweiter Assistent des ersten Assistenten von … Oh, was macht das schon? Der springende Punkt ist, dass er sich für eine Sekretärin der französischen Delegation interessiert und meinte, es wäre cool, wenn ich ein Dutzend Liebesbriefe für ihn schreiben würde. Er konnte es nicht fassen, als ich gesagt habe, ich sei Übersetzerin und keine Miss Einsame Herzen, die Briefe für die Liebeskranken schreibe.

Danach bin ich zu dem Professor mit den Gedichten gegangen und habe erfahren, dass er nur ein Gedicht hat. Ein Sonett. Vierzehn Zeilen, geschrieben von irgendeinem obskuren spanischen Dichter in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Wie lange ich für die Übersetzung brauchen würde? Ich habe vorgeschlagen, dass er jemand im Fachbereich Spanisch fragt. Lieber dessen Zeit als eine halbe Minute von meiner.“

„Höre ich da eine Spur von Verbitterung?“ Amanda zog die Augenbrauen hoch.

„Zwei Gespräche. Ein ganzer Vormittag. Und was habe ich vorzuweisen? Nada. Niente. Nichts.“

„Gut, dass ich das Essen bezahle.“

„Dass du einen Job für mich hast, ist noch besser. Weißt du inzwischen Näheres?“

„Tom hat gesagt, es gehe um ein internationales Geschäft. Französisches Geld, italienisches Geld …“ Amanda lehnte sich lächelnd zurück, als der Ober die übergroßen Speisekarten überreichte. „Scheint genau dein Fall zu sein.“

„Und der Mann ist ein Freund von Tom?“

„Ja. Hm. Was nehmen wir? Die Ente ist hier großartig.“

„Aus dem Ausland?“

„Ich glaube, nicht.“ Amanda las noch immer die Speisekarte. „Kommen die besten Enten nicht normalerweise von hier? Von Long Island?“

Sam schauderte. Ihre Schwester führte irgendetwas im Schilde. Fragte sich nur, was. „Amanda?“

„Ja?“

„Warum willst du nicht über diesen Mann sprechen?“

„Ich habe es dir doch gesagt. Ich weiß keine Einzelheiten. Ah. Sie haben Kammmuscheln. Ich liebe …“

„Irgendetwas musst du wissen. Ist er Amerikaner oder Ausländer?“

„Beides.“ Amanda hob die Speisekarte höher. „Was nehme ich denn jetzt? Immer diese Entscheidungen. Hör zu, ich bestelle Ente und Muscheln, dann können wir teilen.“ Sie klappte die Speisekarte zu und winkte dem Ober.

Sam schenkte der Bestellung keine Beachtung. Warum dachte sie plötzlich an Demetrios Karas? Sie hatte früher schon an ihn gedacht, viel zu oft, aber immer dann, wenn sie Zeit hatte, zu genießen, was für ein Gesicht er gemacht hatte, als sie seine Jacke in die Pferdebox hatte fallen lassen. Warum dachte sie jetzt an ihn, bei einem angenehmen Mittagessen?

„So, das ist erledigt“, sagte Amanda energisch. „Erzähl mir, was du gemacht hast, mit wem du ausgegangen bist …“

„Wer ist der Mann, der eine Dolmetscherin braucht?“

„Ein Freund von …“

„Soll ich glauben, dass er keinen Namen hat?“

„Sam. Auf Ehre und Gewissen …“

„Das hast du in unserer Kindheit immer gesagt, wenn du mich anlügen wolltest.“

„Um Himmels willen, wir sind keine Kinder mehr. Außerdem hast du an dem Abend bei Carin völlig klargemacht, dass Demetrios Karas der letzte Mensch auf der Welt ist, mit dem du dich abgeben willst. Also warum sollte ich noch einmal versuchen, dich mit ihm zusammenzubringen?“

Sam sah ihre Schwester starr an. „Ich habe Demetrios Karas nicht erwähnt.“

„Nicht?“ Amanda blinzelte. „Ich hätte schwören können, dass du gerade …“

„Habe ich nicht.“

„Tja, du hast gesagt, ich würde versuchen, dir einen Mann zu besorgen. Und da habe ich wohl an das letzte Mal gedacht, als das vorgekommen ist.“

„Das habe ich auch nicht gesagt. Ich habe nur gefragt, wer der Mann ist, der eine Dolmetscherin braucht. Du hast angefangen, über den hoch geschätzten Mr Karas zu plappern.“

„Also wirklich, Sam.“

„Also wirklich, Amanda. Was ist hier los?“

„Nichts. Du liebe Güte, ich möchte dir gute Neuigkeiten überbringen, und du … Ah, unser Essen kommt.“ Geschickt teilte Amanda die Muscheln und die Entenbrustscheiben auf.

Sam beobachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. „Es geht um ihn, stimmt’s?“

Seufzend legte Amanda Messer und Gabel hin. „Ja, okay. Tom hat vor einigen Tagen mit Demetrios zu Abend gegessen. Und Demetrios hat erzählt …“

„Er hat gelogen!“

„Um Himmels willen! Warum sollte er lügen?“

„Ich habe ihm nicht einmal meinen Namen verraten!“

„Wie bitte?“

„Hat er mich beschrieben? Und hat Tom kapiert, dass …? Amanda. Der Mann ist ein Lügner.“

„Aber warum sollte er denn lügen? Offen gesagt, Samantha …“

„Oh, so ist es recht. Ergreif Partei für ihn, anstatt zu mir zu halten.“

„Wovon redest du eigentlich?“

„Ich will nichts mit Demetrios Karas zu tun haben! Ich kann ihn nicht leiden. Und ich kann es nicht leiden, von meiner eigenen Schwester hereingelegt zu werden.“ Sam warf ihre Serviette auf den Tisch. „Lass dir dein Essen schmecken. Ich gehe.“ Sie begann, zum Ende der Sitzbank zu rutschen.

„Bist du verrückt?“ Amanda packte Sam am Handgelenk. „Du benimmst dich wie …“ Amanda sprach nicht weiter und zog herausfordernd die Augenbrauen hoch. „Du kannst ihn nicht leiden? Hast du nicht gesagt, du wärst ihm auf der Party bei Carin überhaupt nicht begegnet?“

„Einerlei, was ich gesagt habe. Ich will nichts mit ihm zu tun haben.“

„Unterbreche ich irgendetwas?“

Sam sah auf. Thomas al Rashid stand lächelnd neben dem Tisch. Unsicher lächelnd, immerhin, dachte sie wütend. Vielleicht war er nicht so begriffsstutzig wie seine Frau und hatte schon kapiert, dass sie nicht mit sich spielen ließ.

„Liebling, meine Schwester benimmt sich wie eine Närrin“, klagte Amanda.

„Thomas, wessen Einfall war das?“, fragte Sam kurz angebunden. „Amandas oder deiner?“

Er warf seiner Frau einen verwirrten Blick zu. „Wovon redet sie?“

„Keine Ahnung. Ich habe angefangen, über Demetrios zu sprechen, und sie ist in die Luft gegangen.“

Sam riss sich los und stand auf. „Tatsächlich ist es mir gleichgültig, wessen Idee das war. Tom, sag Demetrios Karas einfach, dass …“

„Was soll er mir sagen?“

Sam erstarrte. Bitte, lass mich im Boden versinken, dachte sie. Demetrios Karas war an den Tisch gekommen. Sie hielt den Atem an, als er den Blick auf ihr Gesicht richtete. Seine Augen wurden groß vor Überraschung. Dann wusste niemand, was passiert war. Sams Erleichterung war jedoch von kurzer Dauer. Tom und Amanda würden in zwei Minuten Bescheid wissen.

„Sam?“ Ihr Schwager legte ihr den Arm um die Taille. „Bist du okay?“

„Ja. Mir geht es gut.“ Entweder sie lief davon, oder sie stand die peinliche Situation durch. Sie war noch nie vor irgendetwas davongelaufen. Nur vor diesem Mann. All die Wochen hatte sie sich eingeredet, sie sei an jenem Abend zur Vernunft gekommen und habe der Sache ein Ende gemacht. Jetzt, da sie sich Demetrios Karas gegenübersah, musste sie die Wahrheit erkennen. Das Schicksal hatte ihr erlaubt, ihm an jenem Abend zu entwischen, aber es würde ihr keine zweite Chance geben. Ihr blieb nichts anderes übrig, als damit fertig zu werden. „Tom, Mandy, ich weiß, ihr habt es gut gemeint …“

„Du hast mir erzählt, deine Schwägerin sei ein Sprachgenie, Tom. Dass sie auch eine schöne Frau ist, hast du nicht erwähnt.“

Sam blinzelte. Demetrios hatte die Fassung wiedergewonnen. Er lächelte selbstsicher, sein Blick war jedoch eiskalt. „Sparen Sie sich die Worte“, sagte sie kühl. „So leicht bin ich nicht zu beeindrucken.“

Amanda atmete scharf ein. „Sam!“

Er lachte. „Und direkt ist sie auch. Wie charmant.“

„Wir kennen uns bereits.“ Sie hob trotzig das Kinn. „Und er verschwendet seine Zeit. Noch weniger, als ich es schon tue, kann ich nicht von ihm halten.“

„Die Dame wird doch wohl meine Entschuldigung für das annehmen, was an jenem Abend auf Rio de Ouro passiert ist.“

„Rio de Ouro?“ Amanda sah von Demetrios zu Sam. „Ihr kennt euch? Sam? Du hast kein Wort gesagt. Ich meine, wir alle haben gehofft … Und jetzt stellt sich heraus … stellt sich heraus …“

„Vielleicht habe ich einen falschen Eindruck vermittelt.“ Demetrios Stimme war seidenweich. „Wir sind uns nur kurz begegnet. Bevor wir uns richtig kennen lernen konnten, wurde ich abgelenkt, und als ich zurückkam, war deine Schwester weg. Richtig, Samantha?“

Was für ein Spiel spielte er? „Nein. Und es ist Miss Brewster.“

„Demetrios, ich bitte um Entschuldigung“, sagte Amanda nervös. „Es war ein schwieriger Tag für meine Schwester. Sie hatte zwei Vorstellungsgespräche …“

„Amanda!“

„Zwei Vorstellungsgespräche, eins mit einem Kerl, der wollte, dass sie Liebesbriefe für ihn schreibt, und eins mit irgendeinem Blödmann, für den sie ein Gedicht übersetzen sollte. Beide Aufträge waren so weit unter ihren Fähigkeiten, dass es erbärmlich ist.“ Amanda warf ihrer Schwester einen vorsichtigen Blick zu. „Stimmt’s, Sam?“

„Das hat mit dem hier nichts zu tun“, erwiderte sie kalt.

„Ich hoffe, nicht“, sagte Demetrios. „Es wäre bedauerlich, wenn Samantha … Verzeihung. Wenn Miss Brewster ihren Umgang mit mir von der Enttäuschung über den Vormittag beeinflussen lassen sollte.“

Tom und Amanda blickten von Demetrios zu Sam. Als würden sie sich ein Tennisspiel ansehen, dachte sie bitter. Irgendwie hatten sie recht. Demetrios hatte ihr gerade einen tückischen Rückhandball geschickt. Er hatte eine Geschichte erfunden, die plausibel klang, wenn man nicht groß überlegte. Eine Frau mit einem verletzten Ego. Ein Mann, der unhöflich geworden war. Sam wollte sich übergeben oder ihn schlagen, besonders jetzt, da er ihr auch noch gedroht hatte.

Aber er hatte ihr Geheimnis bewahrt. Warum hatte er gelogen? Nicht, weil er ein Gentleman war. Er war ein Schuft im Maßanzug, und ja, vielleicht war es auch das gewesen, was sie an jenem Abend zu ihm hingezogen hatte. Der Unsinn war jedoch längst vorbei.

Oder nicht? Sie erschauerte.

Tom drückte sie schnell an sich. „Frierst du?“

„Nein, ich bin nur …“

„Sie ist noch immer hungrig“, warf Amanda ein. „Wir wollten gerade ein Dessert bestellen, als ihr Männer gekommen seid.“

„Ich möchte kein Dessert. Und ich denke …“

„Denken Sie nicht.“ Demetrios lächelte spöttisch. „Frauen denken immer zu viel, wenn es um Dinge geht, die Genuss verschaffen. Wie Nachtisch, zum Beispiel.“ Er nahm ihre Hand und verstärkte den Druck seiner Finger, als Sam bei seiner Berührung zurückzuckte. „Bestellen wir Kaffee und etwas Süßes. Und wenn Ihre Schwester und Ihr Schwager gegangen sind, können wir beide bei einer zweiten Tasse Kaffee besprechen, wofür ich Ihre Dienste brauche.“

„Ich habe nicht die Absicht …“

„Wisst ihr, ich möchte eigentlich kein Dessert“, sagte Amanda. „Was ist mir dir, Tom?“

„Ich dachte, ich könnte vielleicht sogar ein Sandwich …“ Der Blick seiner Frau ließ ihn verstummen. „Nein, ich auch nicht.“

„Tatsächlich müssen wir los. Wir haben eine Verabredung.“

„Richtig. Eine Verabredung. Wie konnte ich das vergessen?“

Sie logen beide. Sam nahm es ihnen jedoch nicht übel, dass sie aus der Schusslinie kommen wollten. Oder Amanda romantisierte die ganze Sache und hielt es für das Beste, Demetrios und sie allein zu lassen. Er verstärkte wieder den Druck seiner Hand. Sam verstand die Warnung. Aber warum sollte sie Theater machen? Was sie ihm zu sagen hatte, sagte sie lieber ohne Zuhörer aus der Familie.

Kurz darauf, nach Umarmungen, Küssen und falscher Fröhlichkeit, waren Demetrios und Sam allein. Sie entzog ihm die Hand und blickte ihn wütend an. „Was auch immer das soll, es wird Sie nicht weiterbringen.“

„So viel Zorn und Feindseligkeit, Miss Brewster. Könnte das ein Versuch sein zu verdrängen, was an jenem Abend passiert ist?“

„Nichts ist passiert.“

„Wut ist sicherer als Verlegenheit.“

Sam wurde rot. Vielleicht hatte er recht, aber das würde sie nicht zugeben. „Sicherer als ein schlechtes Urteilsvermögen. Wenn ich diesen Caipirinha nicht getrunken hätte …“

„Eine kühle alte Jungfer mit einem Alkoholproblem.“ Demetrios verschränkte die Arme. „Ihr Schwager wäre fasziniert, wenn er das erfahren würde.“

„Ich habe kein Alkoholproblem. Ich war müde. Und Sie wollen mir doch wohl nicht weismachen, dass Tom mich als kühle alte Jungfer bezeichnet hat!“

„Nein. Das hat Raphael getan. Thomas hat nur gesagt, er habe eine Schwägerin, die eine hervorragende Dolmetscherin sei.“ Demetrios lächelte kalt. „Ich hatte keinen Grund anzunehmen, dass sie beide die Frau beschrieben haben, die an dem Abend in Brasilien alles versprochen und nichts gehalten hat.“

„Auf Wiedersehen, Mr Karas.“

Er umfasste ihren Ellbogen, manövrierte sie geschickt auf die Sitzbank und glitt neben sie. „Ihre Schwager halten Sie für eine intelligente, ehrenwerte Frau, die ein einsames Leben führt. Als die beiden mit ihrer Beschreibung fertig waren, habe ich mir eine langweilige Schrulle in einem Tweedkostüm vorgestellt.“

„Ich bin intelligent und ehrenwert.“ Sam zuckte zusammen, weil sie so einen Unsinn von sich gegeben hatte. „Einsam bin ich ganz bestimmt nicht. Und wenn Sie sich eine Klischeevorstellung von Frauen bilden, ist das Ihr Problem, nicht meins.“

„Ich musste meinen Freund Thomas anlügen, um Ihre … Ehre zu schützen.“

„Sie haben gelogen, um sich selbst zu schützen, Mr Karas. Meine Ehre ist niemals in Zweifel gezogen worden. Nicht, dass es eine Rolle spielt. Wir sollten die Sache auf Rio de Ouro und dieses angebliche Stellenangebot am besten vergessen.“

„Es ist kein ‚angebliches‘ Stellenangebot, Miss Brewster. Ich brauche eine erfahrene Dolmetscherin.“

„Suchen Sie sich eine.“

„Ich habe schon eine gefunden. Sie.“

„Lieber übersetze ich für den Teufel.“

„Andererseits, wenn ich es mir recht überlege, Ihre Referenzen stellen mich nicht zufrieden.“

„Meine Referenzen sind hervorragend“, sagte Sam angespannt.

„Ich bin sicher, dass Sie eine hoch qualifizierte Akademikerin sind, Miss Brewster.“ Demetrios sah auf, machte den Ober auf sich aufmerksam und tat so, als würde er eine Tasse an den Mund heben. „Aber ich muss über ein komplexes Geschäft verhandeln. Französisch, Italienisch, sehr umgangssprachlich, doch mit vielen juristischen Fachbegriffen.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, es würde nicht gehen. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bezweifle ich, dass Sie damit fertig werden könnten.“

Sam presste die Lippen zusammen. „Ich nehme an, Sie wären anderer Meinung, wenn ich ein Tweedkostüm tragen würde?“

„Ich wäre anderer Meinung, wenn Sie Ihr Berufsleben nicht damit verbracht hätten, Gedichte und Liebesbriefe zu übersetzen.“ Der Ober brachte den Kaffee. Demetrios wartete, bis sie wieder allein waren. „Meine Anforderungen sind sehr viel höher. Ich brauche eine Dolmetscherin, die beurteilen kann, welche Bedeutung hinter einem Wort, hinter einer Intonation steckt.“ Er lächelte höflich und trank einen Schluck Kaffee. „Offensichtlich entsprechen Sie den Anforderungen nicht, Miss Brewster.“

„Sie ziehen voreilige Schlüsse, Mr Karas. Was Sie gerade beschrieben haben, ist zufällig mein Spezialgebiet.“

„Wirklich?“ Sein Lächeln war herablassend und selbstsicher. Sam biss die Zähne zusammen. Wie hatte sie den Mann nur attraktiv finden können? Er war unglaublich arrogant, egozentrisch, eingebildet … „Ich begreife einfach nicht, warum jemand, der mich kennt, geglaubt hat, ich würde Sie interessant finden.“

„Tja, ich begreife nicht, warum jemand, der sich mit komplexen Geschäften auskennt, geglaubt hat, ich würde Sie als Dolmetscherin für geeignet halten.“

„Was haben Sie in den vergangenen Monaten gemacht, Mr Karas? Nein, Sie brauchen nicht zu antworten. Ich weiß es.“

„Tatsächlich?“

„Sie haben herumgesessen und das Geld gezählt, das Sie von Ihrem Vater geerbt haben, während ich mich für zwei eitle Ethnologen abgerackert habe, die sich darüber gestritten haben, wer in einem Dorf in Anemaugi was zuerst entdeckt hat.“

„Anemaugi?“

„Indonesien. Borneo, um genau zu sein. Sie hätten es gehasst. Lehmhütten, kein fließendes Wasser, kein Strom.“

„Gedichte haben Sie dort wohl nicht übersetzt?“

„Nein.“

„Liebesbriefe auch nicht?“ Demetrios lachte über ihren Gesichtsausdruck. „Ich frage ja nur, Miss Brewster.“

„Keine Gedichte. Keine Liebesbriefe. Dolmetschen, drei Monate lang harte, schwierige Arbeit.“

„Ausgezeichnet. Sie sind eingestellt.“

„Sind Sie taub oder einfach nur dumm? Ich würde nicht einmal für Sie arbeiten, wenn …“

„Ich verlange, dass Sie einen Vertrag für vier Monate unterschreiben.“

„Ich habe gerade gesagt …“

„Wie viel haben Sie für den Job in diesem kulturellen Notstandsgebiet bekommen?“

Ohne Zögern verdoppelte Sam die Summe, nannte die Zahl und wartete darauf, dass Demetrios sie entgeistert ansah. Tat er nicht.

„Pro Monat?“

Fast hätte Sam gelacht. „Natürlich …“

„Ich zahle das Doppelte.“

Sie blickte ihn ungläubig an. Gerade hatte sie sagen wollen, dass sie das Geld natürlich nicht pro Monat, sondern für ihre gesamte Arbeit in Indonesien erhalten hatte. Sogar die Hälfte davon, der echte Betrag, war eine sehr gute Bezahlung gewesen, mehr, als sie in der Vergangenheit verdient hatte. Was Demetrios ihr anbot, ließ den Betrag jedoch verblassen. Niemand würde einem Dolmetscher so viel zahlen, es sei denn, das Übersetzen machte nur einen Teil des Jobs aus. „Das ist zu viel“, sagte sie unverblümt.

„Ich denke, nicht.“

„Doch. Ich arbeite seit sechs Jahren in der Branche. Das zahlt niemand für einen Dolmetscher.“

„Ich bin schon doppelt so lange Geschäftsmann, und ich weiß, dass man bekommt, wofür man bezahlt.“

„Und was genau erwarten Sie dafür von mir?“

Demetrios lächelte spöttisch. „Ihr ganz besonderes Talent, Miss Brewster. Ihre Begabung für … Sprachen. Was sonst?“

„Das ist meine Frage, Mr Karas.“

„Ihre Fachkenntnisse.“ Sein Lächeln verschwand, und seine Stimme wurde härter. „Die Arbeit wird schwierig sein. Ich möchte über jede Nuance informiert werden, die Sie wahrnehmen, über alle Möglichkeiten, auch wenn Sie nur etwas vermuten. Sie müssen mir vierundzwanzig Stunden am Tag zur Verfügung stehen, sieben Tage die Woche. Glauben Sie, ich brauche so dringend eine Frau in meinem Bett, dass ich eine einstellen oder mit Dollar locken würde? Ich versichere Ihnen, dass ist nicht der Fall.“

Sam glaubte ihm. Demetrios Karas musste einer Frau nur sich selbst anbieten, um sie in sein Bett zu bekommen. Und das war ja gerade das Problem. Hatte er sie nicht nach wenigen Minuten so weit gehabt, dass sie mit ihm hatte schlafen wollen?

Aber sie hatte ihn zurückgewiesen und ihre Zurechnungsfähigkeit wiedergewonnen. Das war doch sicher etwas wert. Außerdem war dieser Job eine einmalige Gelegenheit. Nicht nur das Geld. Auch die Aufgabe klang vielversprechend. Sie liebte Sprachen, liebte nichts so sehr, wie nach versteckten Bedeutungen eines Wortes zu forschen …

„Also?“

„Ich bin bereit, über Ihr Angebot nachzudenken. Geben Sie mir Ihre Telefonnummer, dann melde ich mich Ende der Woche bei Ihnen.“

„Das ist zu spät.“ Demetrios zog seine Brieftasche heraus und warf Geldscheine auf den Tisch. „Ich muss unverzüglich eine Antwort haben, Miss Brewster.“

„Was heißt ‚unverzüglich‘?“ Demetrios blickte sie kühl an. „Ich fliege morgen früh nach Griechenland.“

„Dann rufe ich Sie dort an.“

„Wenn Sie die Stellung haben wollen, reisen Sie mit mir zusammen ab. Wenn nicht …“ Er zuckte die Schultern.

Ihm schien es gleichgültig zu sein, ob sie sein Angebot annahm oder ablehnte. Die Sache war rein geschäftlich, wie er behauptet hatte. Wirklich?

„Ja oder Nein?“, fragte er kurz angebunden.

Sam zögerte. Sie atmete tief durch. Seien Sie nicht albern, wollte sie zu ihm sagen …

Stattdessen sagte sie Ja.

4. KAPITEL

Am Abend regnete es nicht mehr, und der Himmel über Manhattan war zartblau. Die Luft roch nach den knospenden Bäumen in dem kleinen Park hinter Sams Wohnung. Ein leichter Wind bewegte die Vorhänge in ihrem Schlafzimmer, während sie packte.

Packte? Sam blickte in den Koffer auf ihrem Bett. Niemand konnte einige BHs und Slips, zwei Baumwollhosen und ein paar T-Shirts „packen“ nennen. Nicht, wenn man für vier Monate außer Landes sein würde.

Vier lange, endlose Monate. Seufzend sank sie auf die Bettkante. Sie hatte die vergangenen Stunden damit verschwendet, in ihrer kleinen Wohnung auf und ab zu gehen. Jetzt wurde die Zeit knapp. Nicht nur fürs Kofferpacken. Sie musste sich endlich entscheiden, ob es ein Fehler gewesen war oder nicht, Demetrios’ Herausforderung anzunehmen. Kannst du so lange an meiner Seite arbeiten, ohne in mein Bett zu fallen? Natürlich hatte er das nicht gesagt, aber die Botschaft war klar gewesen.

Was seine Behauptung betraf, er müsse sich keine Frau kaufen … Selbstverständlich nicht. Frauen warfen einen Blick auf ihn und begehrten ihn. Ich habe ihn begehrt, dachte Sam wütend. Fast hätte sie mit ihm geschlafen, nur Minuten, nachdem sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Jetzt hatte er sie geschickt dazu gebracht, Ja zu sagen.

Sie stand auf, riss mehrere Blusen aus dem Kleiderschrank und schleuderte sie aufs Bett. Geschickt? Der Mann hatte ihr einfach ein Angebot gemacht, dass nur ein Narr ablehnen würde. Sie wusste, dass manche Leute glaubten, sie müsse sich um ihren Lebensunterhalt nicht sorgen, weil sie Jonas Barons Stieftochter war. Tatsächlich hätte er ihr Einkommen gern aufgebessert, wenn sie ihn nur darum gebeten hätte, aber sie schätzte ihre Unabhängigkeit.

Sie setzte sich allein durch und wich Problemen niemals aus. Bisher war alles gut gelaufen. Sie war weit davon entfernt, reich zu werden, doch sie bezahlte ihre Rechnungen. Und sie hatte noch nie irgendetwas wirklich Verrücktes getan, bis auf Sachen wie Bungee-Jumping und Schwimmen mit Haien …

Und Ja dazu zu sagen, mit einem Fremden nach Griechenland zu fliegen.

Sam fluchte leise, griff nach dem Telefon und drückte eine Schnellwahltaste. Eine falsche Entscheidung nicht einzugestehen war noch schlimmer, als eine zu treffen. Demetrios hatte ihr viel Geld geboten, das sie zweifellos gebrauchen konnte, aber Durststrecken hatte sie auch früher schon überlebt. Sie würde ihm höflich sagen, dass ihr etwas dazwischengekommen war und sie leider auf den Job verzichten musste.

Der Anrufbeantworter ihrer Schwester meldete sich. „Wir können Ihren Anruf zurzeit nicht entgegennehmen …“

„Amanda, hörst du mich? Ich weiß, dass du da bist. Es ist auch deine Schuld. Komm sofort ans Tele…“

„Sam? Was ist los?“

„Nichts. Alles.“ Sie atmete tief durch. Es war sinnlos, ihre Wut an Amanda auszulassen. Sie war diejenige, die den Job akzeptiert hatte, nicht ihre Schwester. „Weißt du, wie ich Demetrios Karas erreichen kann? Ist er in einem Hotel abgestiegen, oder hat er eine Wohnung in der Stadt?“

„Tja …“

„Ich muss mit ihm sprechen, und er hat mir seine Nummer nicht gegeben.“

„Tja …“

Sams gute Vorsätze gingen flöten. „Verdammt, sag das nicht dauernd!“

„Warum regst du dich so auf?“

„Warum mischst du dich in mein Leben ein?“

„Beantworte nicht eine Frage mit einer anderen. Außerdem mische ich mich nicht ein.“

„Doch. Du hast fast einen Kopfstand gemacht, um mich mit diesem griechischen Gott zusammenzubringen!“

Amanda unterdrückte ein Lachen. „Ich nehme an, du meinst Demetrios.“

„Ja, Demetrios. Oder kennst du irgendeinen anderen Mann, der sich für die wandelnde Reinkarnation von Adonis hält?“

Ein lautes Seufzen kam durch die Leitung. „Ich dachte, du magst ihn.“

„Wegen seiner blöden Geschichte, wie er mich auf Carins Party beleidigt hat?“

„Ja. So ist es doch gewesen, oder? Ihr habt euch getroffen, er ist abgelenkt worden und hat dich stehen lassen, und du bist wütend gegangen.“

„Glaubst du wirklich, dass ich so egozentrisch bin?“, fragte Sam, ohne zu überlegen.

„Tja … Entschuldige. Nein, du bist überhaupt nicht egozentrisch. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, dass mehr dahinter steckt. Ich habe es sogar Tom gegenüber erwähnt, und er hat gesagt, das sei möglich, weil er später an jenem Abend mit Demetrios gesprochen hatte …“ Amanda verstummte.

„Und? Was hat Tom dir erzählt?“, fragte Sam scharf. Hatte ihr Schwager die Farce an diesem Mittag durchschaut? War ihm klar geworden, dass sie die Frau war, die damals mit Demetrios im Stall gewesen war?

Autor

Sandra Marton
Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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Sandra Marton
Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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