Julia Collection Band 156

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Diese Detectives sind heißer, als die Polizei erlaubt! Die drei Brüder Jake, Sean und Cooper Calhoun ermitteln mit vollem Körpereinsatz. Geht den sexy Cops am Ende nicht nur ein mysteriöser Betrüger, sondern auch ihre Traumfrau ins Netz?

Mini-Serie von Julie Kistler

BEREIT FÜR EIN ABENTEUER
Zoë ist überzeugt: Tarotkarten lügen nicht - auch wenn sie heißen Sex versprechen! Daher sagt Zoë sofort Ja, als Detective Jake Calhoun sie in einen Ferienclub einlädt. Und tatsächlich: Schnell entwickelt sich die verdeckte Ermittlung zu einer prickelnden Reise ins Reich der Sinne!

EIN PRICKELNDES GESTÄNDNIS
Durch eine Verwechslung lernt TV-Star Abra ihren Traummann kennen: Detective Sean Calhoun - attraktiv und verboten sexy! Sofort knistert es heftig zwischen den beiden. Heißen Küssen folgt eine leidenschaftliche Nacht. Aber wie wird Sean auf Abras Geheimnis reagieren?

ICH WILL DICH!
Lichterloh brennt die Lust zwischen der attraktiven FBI-Agentin Violet und Detective Cooper Calhoun. Als sie bei der Durchsuchung eines Hotelzimmers überrascht werden, können sie sich gerade noch rechtzeitig verstecken. Eng aneinandergeschmiegt geben sie ihrem Begehren endlich nach ...


  • Erscheinungstag 05.03.2021
  • Bandnummer 156
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502689
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Julie Kistler

JULIA COLLECTION BAND 156

1. KAPITEL

Jake Calhoun sah sich die Touristen genau an, die den Navy Pier im Hafen von Chicago bevölkerten. Es wimmelte nur so von Menschen, aber der Gesuchte war nicht darunter.

„Dad, wo bist du denn?“, stieß er leise hervor. Das war wirklich zu blöd. Jake hatte wenig Lust, an so einem strahlenden Sommertag mit seinem Vater Verstecken zu spielen. Vor allem, wo er eigentlich längst auf dem Weg nach Wisconsin sein sollte. Er hatte schon ewig keinen Urlaub mehr gemacht.

Aber Jake wusste, was von ihm erwartet wurde. Pflichterfüllung, Verlässlichkeit, Verantwortung, nach diesen Prinzipien lebte er. Als sein Vater angerufen und gesagt hatte: „Komm sofort zum Riesenrad am Pier. Ich warte dort“, war klar gewesen, dass aus Jakes Urlaub nichts werden würde.

„Wieso ausgerechnet beim Riesenrad? Was soll das?“, schimpfte er halblaut vor sich hin und beobachtete die johlenden und winkenden Menschen auf dem Riesenrad. Er schob die Hände in die Taschen seiner Jeans und schüttelte den Kopf. Das machte wirklich keinen Sinn.

„Wo ist er bloß?“ Jake runzelte die Stirn und musterte die Menge auf dem Pier. Das war seltsam und sah seinem Vater überhaupt nicht ähnlich. Warum verabredete sich der schroffe Michael Calhoun, einer von fünf Deputy Superintendents der Chicagoer Polizei und mit besten Chancen, zum First Deputy aufzusteigen, ausgerechnet beim Riesenrad, und das mitten am Tag? Und seit wann brauchte Michael Calhoun die Hilfe seines Sohnes, es sei denn, die Garage musste gestrichen oder Grandma Calhoun zum Zahnarzt kutschiert werden?

Das war alles höchst seltsam. Jake hatte ein ungutes Gefühl, und das verließ ihn auch nicht, als er seinen Vater schließlich entdeckte. „Mit Mantel?“ platzte er heraus. „Wir haben knapp 40 Grad, und der Mann trägt einen Trenchcoat!“

Und nicht nur das. Sein Vater hatte sich auch noch einen Hut tief in die Stirn gezogen und bemühte sich so auffällig, unauffällig zu sein, dass er sich auch gleich das Wort „verdächtig“ auf die Stirn hätte schreiben können. Er saß auf einer Bank, schaute auf den Michigansee und sah aus wie ein kleiner Gauner, der darauf wartete, endlich einen Coup zu landen. Das konnte doch nicht wahr sein! Der Mann war ein erstklassiger Cop. Er sollte es besser wissen.

„Du hast ja sogar eine Aktentasche dabei“, bemerkte Jake ungläubig, als er auf seinen Vater zuging. „Was soll das alles?“

„Sei ruhig, und setz dich. Sieh mich nicht an. Tu so, als würdest du mich nicht kennen.“

Jake setzte sich in einigem Abstand neben ihn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber, Dad!“ meinte er leise. „Was du auch vorhast, so kann es nicht klappen.“

„Halt den Mund!“

Wenn Michael Calhoun in diesem Ton sprach, reizte man ihn besser nicht, das wusste Jake genau. Also starrte er geradeaus und wartete auf eine Erklärung.

„Dad“, sagte er schließlich, weil er es zu albern fand, neben seinem Vater zu sitzen und ihn nicht anzusehen. „Willst du mir nicht endlich verraten, was das alles soll?“

„Bist du in Eile?“

„Ein bisschen. Ich möchte wirklich wissen, was du vorhast. Sean und Cooper sind sicher schon längst in der Anglerhütte und wundern sich, wo ich bleibe.“

„Den Urlaub kannst du dir aus dem Kopf schlagen“, stieß sein Vater schroff hervor. „Deine Brüder müssen eben warten. Ich habe ein Problem, bei dem nur du mir helfen kannst. Und das muss jetzt sein.“

Jake konnte damit überhaupt nichts anfangen. Sicher, er war der älteste Sohn, und jeder wusste, dass er und sein Vater aus dem gleichen Holz geschnitzt waren. Sie sprachen dieselbe Sprache und fackelten nicht lange. Sein Vater würde sich immer erst an seinen Ältesten wenden. Aber was hatte dieses geheimnisvolle Treffen am Navy Pier damit zu tun?

„Was ist das denn für ein Problem?“, fragte Jake im selben Tonfall, in dem er auch seine Zeugen befragte.

„Eine Frau.“

Was? Sein Vater hatte Probleme mit einer Frau? Das war doch nun wirklich seine Privatsache.

„Nicht so, wie du denkst“, fügte Michael mürrisch hinzu.

„Ich habe überhaupt nichts gedacht.“

„Dein Glück.“ Michael Calhoun atmete tief aus und lehnte sich zurück. „Da solltest du mich besser kennen.“

Jake schwieg.

„Also, es geht um Folgendes. Vor ein paar Wochen tauchte plötzlich aus heiterem Himmel dieses Mädchen auf. Sie sagte, ihr Name sei Toni, und sie sei …“ Michaels Stimme war so leise geworden, dass Jake ihn nicht mehr verstehen konnte.

„Was hat sie gesagt?“

Sein Vater starrte weiter geradeaus. „Sie sagte, sie sei meine Tochter.“

Jake zuckte kaum merklich zusammen.

„Ja, meine uneheliche Tochter“, erklärte Michael verbittert. Als Jake nicht reagierte, wiederholte er etwas lauter: „Meine uneheliche Tochter. Hast du verstanden?“

„Ja“, erwiderte Jake ganz automatisch. Verstanden ja, aber begriffen nein, denn dass jemand wie Michael Francis Calhoun eine uneheliche Tochter hatte, war ebenso unvorstellbar, wie dass die Erde sich um den Mond drehte.

„Toni behauptet“, fuhr der alte Calhoun wütend fort, „ich hätte ihre Mutter dabei erwischt, wie sie einen alten Freier bestahl. Und weil die Mutter so aufregend aussah, hätte ich ihr vorgeschlagen, die Sache zu vergessen, wenn sie mir sexuell gefällig wäre und noch ein paar Scheine lockermachen würde. Als ob ich so ein dreckiger Cop bin …“

Jake brauchte nicht nachzufragen, ob an der Sache etwas dran war. Er kannte seinen Vater zu gut, und zu so etwas war er ganz sicher nicht fähig. Da gab es keinen Zweifel. Mitte der siebziger Jahre, da war er, Jake, noch nicht einmal aus den Windeln heraus gewesen, und Sean war bereits unterwegs. Seine Eltern waren arm, aber glücklich. Sie wohnten damals in irgendeinem schäbigen Apartment, hatten über die Flecken an den Wänden Makramee-Arbeiten gehängt und auf Flohmärkten nach einem billigen Laufstall und Kinderstühlen Ausschau gehalten. Arm, aber ehrlich. Die Vorstellung, sein Vater hätte seine Mutter mit irgendeiner billigen Nutte betrogen, war undenkbar.

Jake hob den Kopf. „Ich vermute, das ist noch nicht das Ende der Geschichte.“

„Stimmt.“ Sein Vater schob den Hut zurück und wischte sich die Stirn ab. „Ich habe mich mit dieser Toni ein paar Mal getroffen, nur um ein bisschen mehr herauszubekommen. Zuerst dachte ich, dass sie vielleicht gar nicht selbst hinter der Sache steckt, sondern dass ihre Mutter ihr das alles erzählt hat und die Kleine vielleicht wirklich denkt, ich sei ihr Vater. Dann sollte ich nicht so hart mit ihr umspringen.“

„Was? Du hast sie auch noch bedauert?“ O Mann. Der knallharte Cop Michael Calhoun hatte Mitleid mit einem Flittchen, das ihm eine aberwitzige Geschichte auftischte. „Die ist ja wohl ganz schön raffiniert.“

„Eher auf eine gekonnte Art naiv. Es könnte schon sein, dass ihre Geschichte teilweise der Wahrheit entspricht, dass ihre Mutter mich abzocken will und das Kind von Anfang an mit dieser Geschichte gefüttert hat.“

„Was ist dann passiert?“

„Toni verlangte ein paar Hunderttausend von mir, aber ich habe sie nur ausgelacht und gesagt, ihre Geschichte sei zwar unterhaltsam, aber wohl kaum diese Summe wert. Daraufhin drohte sie mit der Presse.“

Jake pfiff leise durch die Zähne. „Und warum hast du sie nicht einfach verhaftet? Du bist doch immer noch Polizist, und Erpressung ist doch immer noch strafbar? Oder soll ich sie verhaften? Sollte ich deshalb herkommen? Kein Problem, einen Haftbefehl habe ich in drei …“

„Denk nach, Junior!“, zischte Michael und warf ihm einen wütenden Blick zu. Seit zehn Jahren hatte er seinen Sohn nicht mehr so genannt. „Wenn sie mit dieser Sache zur Presse geht, kann ich mir den First Deputy aus dem Kopf schlagen, auch wenn die Anschuldigung noch so lächerlich ist. Sie können unmöglich jemanden befördern, den die Zeitungen in Zusammenhang mit irgendeinem dreckigen Sexskandal bringen, auch wenn alles von vorne bis hinten erlogen ist.“

„Dad …“

„Nein, Jake. Ich will diese Beförderung, ich habe lange genug darauf hingearbeitet. Und ich lasse mir die Sache nicht vermasseln, nur weil so ein kleines Flittchen Märchen erzählt.“

„Aber wenn an der Sache nichts dran ist …“

„Ich war damals auf Streife“, sagte er leise, „und zwar genau in der Gegend. Und es gab viele Anzeigen wegen einer schönen Frau, die die Männer bestahl, aber wir haben sie nie fassen können. Manches an der Geschichte stimmt also durchaus und könnte mich in große Schwierigkeiten bringen.“

„Aber du kannst doch einen Gentest machen lassen“, warf Jake schnell ein. „Dann stellt sich gleich heraus, dass Toni nicht deine Tochter ist.“

„Nachdem die Zeitungen mich schon wochenlang durch den Dreck gezogen haben? Nein“, Michael schüttelte energisch den Kopf. „Außerdem geht es nicht nur um die Beförderung. Es geht vor allem um deine Mutter. Du kennst sie doch. Sie würde so etwas nicht ertragen. Entweder dreht sie total durch und bringt mich eigenhändig um, oder sie kriegt einen Schlaganfall, noch bevor die Testergebnisse da sind.“

„Mom.“ Jake schluckte. Daran hatte er gar nicht gedacht. Er liebte seine Mutter sehr, aber sie war nicht gerade nüchtern und vernünftig, schon gar nicht, wenn es um ihren Mann ging. Sie war immer sehr eifersüchtig gewesen. Und wenn sie von diesen Anschuldigungen erfuhr … Jake mochte gar nicht daran denken.

„Und zu allem Unglück ist das Mädchen nun auch noch verschwunden.“ Michael Calhoun ließ den Kopf sinken.

„Wieso verschwunden?“

„Sie hatte ein neues Treffen angesetzt“, sagte der alte Calhoun grimmig. „Vor einer Woche wollten wir uns auf der üblichen Parkbank treffen. Aber sie ist nicht aufgetaucht.“

„Meinst du, dass sie es schließlich doch mit der Angst zu tun bekommen hat?“

„Keine Ahnung.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe Vince auf die Sache angesetzt, aber er hat keine Spur finden können.“

„Vince?“ Jake rollte mit den Augen. Das wurde ja immer schlimmer. Fünfundzwanzig Jahre lang war Vince zwar die rechte Hand seines Vaters gewesen und ihm total ergeben, aber er war nicht gerade mit Intelligenz gesegnet. „Dad, Vince ist doch schon vor sechs oder sieben Jahren pensioniert worden. Warum hast du denn gerade ihn ausgesucht?“

„Er ist mein Freund. Ich vertraue ihm. Was dagegen?“

„Nein, natürlich nicht, aber …“ Es war nicht zu fassen. Der aussichtsreichste Kandidat auf den Posten des First Deputy Superintendent unternahm nicht nur heimlich Nachforschungen in Sachen Erpressung und Verfehlungen im Amt, sondern zog auch noch andere mit hinein – Freunde wie Vince, der nur zu leicht in irgendwelche Schwierigkeiten geraten konnte. Jake sah den Vater vorsichtig an. „Du hast nicht zufällig auch noch Leute aus dem Department beauftragt?“

Sein Vater bedachte ihn mit einem bitterbösen Blick.

„Okay, entschuldige die Frage.“ Jake seufzte leise. „Aber wenn sie nun verschwunden ist, dann ist die Sache für dich doch erledigt, oder?“

„Nein, das ist sie eben nicht. Wer weiß, ob Toni nicht schon die Presseoffensive vorbereitet oder etwas ganz Neues ausheckt? Ich muss das unbedingt wissen, und zwar schnell.“

„Und was soll ich nun bei der ganzen Sache tun?“

„Du hast doch jetzt ein paar Wochen frei. Und du stehst nicht so im Rampenlicht wie ich. Weißt du, mein Junge, mir ist das alles nicht geheuer. Ich habe das Gefühl, sie plant irgendetwas ganz Übles. Du musst sie unbedingt finden, bevor sie mich und uns alle in Schwierigkeiten bringen kann.“

„Dad, ich …“ Ich will mit dieser grässlichen Geschichte nichts zu tun haben. Ich möchte Ferien machen und mit meinen Brüdern angeln gehen. Aber er war immer der Vernünftige gewesen, hatte nie Verantwortung gescheut oder Nein gesagt. Er konnte seinen Vater einfach nicht im Stich lassen.

„Hast du schon mal daran gedacht, Sean zu fragen?“ schlug er halbherzig vor. „Er ist schließlich Detective, nicht ich. Er hat immerhin …“ Was hatte damals in den Zeitungen gestanden? Sean hatte ein paar Fälle gelöst, die als unlösbar galten, und war sehr schnell zum Detective befördert worden. Ausgerechnet Sean, der nie Polizist hatte werden wollen … Jake musste lächeln. Das war schon alles sehr merkwürdig.

„Ich habe Sean nicht gefragt“, sagte sein Vater schnell. „Ich vertraue dir, Jakie, nicht so einem liebenswerten Großmaul wie Sean. Du bist wie ich. Du hältst dich an die Vorschriften.“ Er wischte sich über die Stirn. „Bitte, denk darüber nach.“

Ja, ich weiß, so bin ich. Ich halte mich an die Vorschriften. Wie mein Dad.

„Und ich möchte nicht, dass deine Mutter oder deine Brüder etwas davon erfahren“, fuhr Michael Calhoun energisch fort. „Keiner weiß davon. Das Ganze geht nur dich und mich etwas an. Verstanden?“

„Ja.“ Dich und mich und Vince und dieses Flittchen, das nicht aufzufinden ist, dachte Jake. Als ob er über diese Geschichte überhaupt mit jemandem sprechen wollte. Je länger er darüber nachdachte, umso klarer wurde ihm, dass sein Dad in diesem Fall recht hatte. Auf keinen Fall durfte er Sean oder Cooper erzählen, dass ihr Vater von irgendeiner Schlampe erpresst wurde, die sich als ihre Halbschwester ausgab. Da Sean und sein Vater sich nicht besonders gut verstanden, würde er nur auf den alten Herrn schimpfen und zur Mutter halten. Und Cooper, der Jüngste, würde die Sache sicher spannend finden und Toni unbedingt kennen lernen wollen. Eine neue Schwester, cool!

Wie üblich war Jake der Einzige, der zum Vater hielt.

„Was für Informationen hast du denn? Kennst du ihren wirklichen Namen? Strafregister? Irgendetwas?“

Michael Calhoun zog schnell die Brieftasche heraus. „Sie war immer sehr vorsichtig, deshalb habe ich nicht viel, keine Fingerabdrücke, keine Schriftproben. Aber bei meinem letzten Treffen mit ihr hat Vince ein paar Fotos gemacht.“

Er reichte Jake ein paar unscharfe Fotos, auf denen kaum etwas zu erkennen war. Zwei Menschen saßen auf einer Parkbank, halb von tief hängenden Zweigen verdeckt. Das eine war sein Vater, das konnte man sehen, weil er denselben Trenchcoat wie heute trug. Neben ihm saß eine Frau mit Sonnenbrille und einer platinblonden Punkfrisur. Auf manchen Bildern war sie aufgestanden und näher an den Fotografen herangekommen, aber auch sie waren vollkommen unscharf.

„Vince ist ja nicht gerade ein talentierter Fotograf“, seufzte Jake. Das einzig scharfe Bild zeigte die Frau von der Taille abwärts. Wahrscheinlich war sie mittelgroß und hatte eine Figur, die Männer durchaus gefiel. Zu einer zu engen nabelfreien Jeans trug sie Sandaletten mit sehr hohen Absätzen, hatte Ringe an den Zehen und die Nägel waren lackiert. Nichts Besonderes.

„Ist das alles?“ Mit diesen unscharfen Fotos würde er sie nie finden.

Sein Vater nickte. „An Fotos ja. Aber ich habe sie von Vince an dem Tag beschatten lassen, nachdem sie sich mit mir im Park getroffen hatte. Er ist ihr bis zu …“ Er zog ein Blatt Papier aus der Brieftasche. „Hier habe ich es. Er ist ihr bis zu einem großen Reisebüro gefolgt, das sich Red Sails Specialty Tours nennt. Er blätterte ein bisschen in den Katalogen und hörte, wie sie zwei Plätze für eine Abenteuerreise buchte, die morgen vom O’Hare Airport losgeht und sich ‚Entdeckerfreuden‘ nennt. Eine sehr teure Reise, meinte Vince, und sie hat sofort in bar bezahlt.“

„Das hört sich ja beinahe so an, als seist du nicht ihr einziges Opfer. Anscheinend hat sie auch andere Leute um ein paar Dollar erleichtert und will nun fluchtartig die Stadt verlassen. Oder sie hat sich von jemandem zu einer solchen Luxusreise einladen lassen.“ Jake rieb sich nachdenklich die Stirn. „Also schon morgen, was?“

„Deshalb ist das Ganze ja so dringend.“ Michael presste kurz die Lippen zusammen. „Die Sache ist doch ganz einfach. Du brauchst nur zu Red Sails zu gehen und dieselbe Tour zu buchen. Dann kriegst du alles heraus, was wir wissen wollen.“

„Was? Ich soll diese Reise machen?“ Jake sah den Vater entsetzt an. „Warum kann ich sie nicht einfach verhaften, bevor die Sache losgeht?“

„Das geht nicht. Hast du denn nicht begriffen? Du musst in ihrer Nähe bleiben, um herauszufinden, wen sie noch erpresst und was sie als Nächstes vorhat. Vielleicht können wir sie unter Druck setzen wegen irgendetwas, was mit mir nichts zu tun hat, und werden sie auf diese Weise los.“

Jake war absolut sicher, dass das Mädchen nicht seine illegitime Halbschwester war. Aber er fragte sich, was bei seinem Vater eigentlich dahinter steckte. Wollte er einen Skandal vermeiden? Hielt er diese Frau wirklich für gefährlich? Oder war er außer sich, weil sie es wagte, sich mit ihm anzulegen?

„Dann willst du also wirklich, dass ich diese Abenteuerreise buche?“ Jake sah wieder auf das Foto, das nur die Beine des Mädchens zeigte. „Sie sieht nicht gerade so aus, als sei sie wild darauf, den Kilimandscharo zu besteigen. Nicht in diesen Schuhen.“

Sein Vater konnte darüber nicht lachen. „Bitte, Jake, buch die Tour, und versuch herauszufinden, was hinter all dem steckt. Diese Frau muss aus meinem Leben verschwinden. Ich komme für die Kosten auf. Junge, ich brauche dich, du musst mir helfen.“

Du weißt immer genau, wie du es anstellen musst, Dad. Jake hatte absolut keine Lust, diese Reise zu buchen, nur um einer unsicheren Spur zu folgen. Aber sosehr er sich auch darauf gefreut hatte, mit den Brüdern angeln zu gehen – wenn sein Vater ihn brauchte, hatte er keine Wahl.

Er war der älteste Sohn, der mit dem meisten Verantwortungsgefühl, und auf ihn verließ sich sein Vater. Er nickte. „Okay, Dad, ich mache es.“

Da die Reise bereits morgen losging, hatte Jake nicht mehr viel Zeit. Er hinterließ Nachrichten auf den Handys seiner Brüder, dass er leider nicht nach Wisconsin kommen könne. Glücklicherweise musste er ihnen nicht persönlich Rede und Antwort stehen. Dann fuhr er zu dem Reisebüro.

An diesem Freitagnachmittag war nur noch eine Angestellte da. Die klingelnden Telefone und piepsenden Faxgeräte schienen sie zu überfordern. „Ich bin neu hier“, hörte Jake sie immer wieder sagen, und es klang, als stünde sie kurz vor einem hysterischen Anfall.

Jake schaute sich die großformatigen Poster von Jamaika und Tahiti an. Wenn er schon auf große Fahrt gehen musste, sollte es wenigstens ein interessantes Ziel sein. Vielleicht ging es ja nach Hawaii zum Schnorcheln und Tauchen. Das wäre gar nicht so schlecht, denn er musste dringend mal ausspannen.

Aber bei seinem Pech landete er womöglich am Nordpol. Leider war keine Broschüre über die morgige Reise zu finden. Er wandte sich wieder der Angestellten zu, die gerade den Telefonhörer auflegte und mit einem tiefen Seufzer aufstand. „Kann ich Ihnen helfen?“

Das klang so unsicher, als sei sie überzeugt, ihm eben nicht helfen zu können.

„Hallo“, sagte Jake und bemühte sich um ein freundliches Lächeln, obwohl er ziemlich genervt war. „Schlimmer Tag heute, was?“

„Ich bin neu hier“, stieß sie leise hervor. „Der Computer funktioniert nicht, und mein Kollege versucht jemanden aufzutreiben, der den Schaden beheben kann. Auf einem Kreuzfahrtschiff ist so etwas Ähnliches wie die Ruhr ausgebrochen, und nun rufen die mich an und fragen, was sie tun können. Dabei kann ich ihnen doch auch nicht helfen. So etwas ist doch nicht Schuld eines Reisebüros.“ Sie schniefte leise. „Ich habe jetzt das Telefon abgestellt, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Ich war doch noch nicht einmal hier, als das Schiff abgelegt hat.“

„Dafür hat man sicher Verständnis.“ Er zog ein Papiertuch aus der Box auf dem Tresen und reichte es ihr.

„Danke.“ Sie putzte sich die Nase und sah ihn dann an. „Und Sie? Weshalb sind Sie hier? Sie wollen doch hoffentlich keine Kreuzfahrt buchen?“

„Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht genau, worum es sich handelt. Die Tour heißt ‚Entdeckerfreuden‘.“

Sie starrte ihn verwirrt an, dann schüttelte sie den Kopf. „Keine Ahnung. Davon habe ich noch nie gehört.“

Er lehnte sich vor und lächelte verständnisvoll. „Sie haben einfach zu viel um die Ohren, ich weiß. Aber ich kenne jemanden, der diese Reise hier in diesem Reisebüro gebucht hat. Vielleicht können Sie mal nachsehen …“

„Der Computer geht nicht“, sagte sie kläglich.

Er zeigte auf die Aktenordner hinter ihr. „Und was ist mit den schriftlichen Unterlagen?“

Wieder starrte sie ihn verständnislos an.

„Die scheinen alphabetisch geordnet zu sein. Vielleicht unter E wie Entdecker?“

„Nein, da sind die Kataloge über Reisen nach Europa abgeheftet. Aber warten Sie, … ja, hier ist etwas. ‚Entdeckerfreuden.‘“ Sie zog eine dünne Plastikmappe hervor.

„Gibt es einen Katalog oder wenigstens eine Broschüre?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Hier ist nur eine Liste der Anmeldungen. Offensichtlich ist die Reise so gut wie ausgebucht. Muss sehr beliebt sein.“ Sie sah die Seiten durch. „Die Reise gibt es anscheinend jeden Monat. Hier ist die Liste für März, hier die für April …“ Sie blätterte die Seiten im Schneckentempo um, und Jake hätte ihr den Ordner am liebsten aus der Hand gerissen.

„Wir haben jetzt Juli“, sagte er und verbarg mit Mühe seine Ungeduld. „Morgen geht es los.“

„Ah, hier, hier ist die Juliliste.“ Sie strich die Seite glatt, sodass Jake nichts erkennen konnte. „Tut mir leid, aber die Reise scheint total ausgebucht zu sein.“

„Können Sie mich nicht auch noch aufnehmen?“ Auf der Liste mochten etwa vierzig Namen stehen. Da kam es doch auf einen mehr oder weniger nicht an.

„O nein, auf keinen Fall!“ Sie sah ihn beinahe entsetzt an und wies auf einen Vermerk in Großbuchstaben: Keine Zusatzbuchungen! Keine Warteliste!

Jake achtete nicht darauf, sondern versuchte, die Namen auf der Liste zu entziffern. Es gab eine Antoinette, eine Tonya, eine Tori und zwei Reisende, die nur mit T gezeichnet hatten. Außerdem hatte sich einer unter dem Nachnamen Antonini eintragen lassen. Die Frau, nach der er suchte, konnte sich hinter jedem dieser Namen verbergen.

„Sie sehen selbst, dass ich nichts für Sie tun kann“, sagte die junge Frau und lächelte ihn entschuldigend an. „Es ist klar, dass ich Sie nicht eintragen darf. Selbst wenn ich wüsste, wie es geht. Aber ich weiß es nicht, und ohne Computer kann ich noch nicht einmal nachsehen, was die Reise kostet.“ Sie schloss die Mappe und wollte sie wieder in den Ordner legen, als Jake ihr die Hand auf den Arm legte. „Gibt es wirklich überhaupt keine Möglichkeit? Vielleicht kann ich mich mit irgendjemandem in Verbindung setzen, der mir helfen kann. Haben Sie nicht noch irgendwelche anderen Unterlagen?“

„Nicht dass ich wüsste.“ Das Faxgerät piepste, und sie drehte sich hastig um. Dann schob sie Jake die Plastikmappe hin. „Hier, sehen Sie doch selbst nach.“

Rasch sah er die Papiere durch. Kein Hinweis auf irgendeine Kontaktperson, keine Information, die ihn weiterbringen konnte. Da fiel sein Blick auf einen rosaroten Merkzettel. „Storniert“ stand in großen Buchstaben darauf. Er hob den Zettel hoch und las laut: „Zoë Kidd versuchte, ihre Buchung für den 12. Juli rückgängig zu machen. Habe ihr gesagt, dass die Reise fest gebucht ist und nicht storniert werden kann, es sei denn, jemand übernimmt ihren Platz.“ Jake sah die junge Frau an. „Kann ich nicht für sie einspringen?“

„Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Aber Sie können es ja versuchen.“ Sie zuckte mit den Schultern und ging zum Faxgerät. „Ich habe damit nichts zu tun.“

Das war ja der reinste Glücksfall. Die Reise war ausgebucht, aber Miss Kidd wollte aussteigen und hatte einen Platz zu vergeben. Und er konnte vielleicht für sie einspringen. Wunderbar!

2. KAPITEL

Zoë atmete den Sandelholzduft ein, der von den Kerzen aufstieg. Das war herrlich entspannend und wohltuend.

Sie saß auf ihrer neuen lila Yogamatte, brachte sich in die Lotosposition, stützte die Ellbogen auf den Knien ab und bildete mit Daumen und Zeigefinger ein perfektes O.

Wahrscheinlich hätte sie nicht alle elf Kerzen anzünden sollen, denn sie konnte den Niesreiz kaum unterdrücken. Der Sandelholzduft war einfach zu stark. Aber elf war ihre Glückszahl. Außerdem hatte sie jetzt gerade mit viel Mühe die richtige Position eingenommen und hatte keine Lust, wieder von vorn anzufangen, nur um ein paar Kerzen auszublasen.

Sie schloss die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Wunderbar. Entspannend. Wohltuend. Lass einfach den Duft auf dich wirken, befahl sie sich. Und schalte das Denken ab. Was immer du tust, mach dich leer von jedem Gedanken.

Wenn das nur so einfach wäre. Immerhin hätte heute ihr Hochzeitstag sein sollen, und morgen hätten sie und dieser Nichtsnutz Wylie auf Hochzeitsreise gehen sollen. „Entdeckerfreude“ hatte sie passenderweise geheißen.

Verdammt noch mal, Wylie war doch derjenige gewesen, der unbedingt hatte heiraten wollen. Ihr hatte es völlig gereicht, so mit ihm zusammenzuleben, wobei das noch nicht einmal zutraf, denn beide hatten ihr eigenes Apartment. Ihr war das nur recht gewesen. Aber nein, er wollte unbedingt heiraten. Sie hatte zwar gesagt „Wir sind doch noch nicht reif dafür, wir haben in so vielen Dingen unterschiedliche Ansichten“, aber er hatte nur erwidert: „Ich möchte, dass wir ein richtiges Paar sind und offiziell zusammenleben und ein gemeinsames Leben aufbauen wie alle anderen auch.“

Das hatte sie gerührt, was er natürlich beabsichtigt hatte. Und er hatte gleich noch hinzugefügt: „Wenn wir Meinungsverschiedenheiten haben, dann werden wir sie eben ausdiskutieren.“

Das hätte ihr gleich zu denken geben sollen, denn Wylie mochte Diskussionen ganz und gar nicht. Aber sie war irgendwie so froh gewesen, ihn sagen zu hören, und zwar zum ersten Mal, dass an ihrer Beziehung noch zu arbeiten war. Denn das bedeutete, dass er auch sich selbst möglicherweise nicht für vollkommen hielt. Sie hatte dann gleich die Gelegenheit genutzt und gesagt: „Gut, Wylie, ich heirate dich, aber nur unter einer Bedingung. In unseren Flitterwochen machen wir eine Reise, über die gestern im Fernsehen berichtet wurde. Sie heißt ‚Entdeckerfreuden‘ und kann nur von Jungverheirateten gebucht werden. Es geht da um Harmonie, Vertrauen und Kommunikation, na, dieses ganze Zeug, mit dem wir beide Probleme haben. Wir haben die Gelegenheit, an diesen Problemen zu arbeiten, und können unsere Ehe dann als gleichberechtigte Partner in Harmonie und Vertrauen beginnen.“

Sie war nicht ganz sicher gewesen, ob sich in seinen weit aufgerissenen Augen nicht so etwas wie Entsetzen gezeigt hatte, hatte es aber nur als Überraschung gedeutet.

„Hast du denn überhaupt jemals die Absicht gehabt, mit mir auf diese Tour zu gehen?“, fragte sie jetzt laut. „Und wenn nicht, warum hast du das nicht gesagt, bevor ich für diese verflixte Reise bezahlt habe?“

Sie saß mit weit aufgerissenen Augen da und fühlte sich alles andere als wunderbar entspannt. Das war wohl nicht ihr Tag. Ihre Knöchel schmerzten, und die Oberschenkel schienen an der neuen Matte zu kleben.

„Autsch!“ Sie löste sich ächzend aus dem Lotossitz und zog sich die klebrige Matte von der Haut. Ihre Haut war schweißnass, denn in der Wohnung war es stickig und feucht. Und die brennenden Kerzen verschlimmerten das Ganze nur noch. „Ich hätte mir keine Shorts anziehen sollen“, schimpfte sie vor sich hin. „Aber für eine lange Hose ist es zu warm. Wenn diese blöde Reise nicht so teuer gewesen wäre, könnte ich mir eine Klimaanlage leisten. Dass man so etwas aber auch nicht stornieren kann!“

Heute war ganz offensichtlich nicht der richtige Tag zum Meditieren. Vielleicht sollte sie sich die Tarotkarten vornehmen, um wieder mit ihrer inneren Kraft in Kontakt zu kommen und gewisse Ängste zu besänftigen.

Energisch warf sie ihren rotbraunen Zopf zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dieser blöde Wylie war einfach zu feige für eine echte Partnerschaft. Und sie war so dumm gewesen und hatte es nicht gleich gemerkt. Obwohl die Karten in diesem Punkt ganz eindeutig gewesen waren. Aber sie hatte es einfach nicht wahrhaben wollen.

„Wie kann man jemanden respektieren, der nicht weiß, was er will?“, murmelte sie und stand stöhnend auf. Im Bücherregal lagen ihre Tarotkarten. Während sie sich tief nach unten beugte, um eine heruntergefallene Karte aufzuheben, hörte sie Schritte auf der Treppe. Vielleicht ein neuer Schüler, dachte sie hoffnungsvoll. Sie brauchte jeden Cent, seit sie ihr ganzes Erspartes für die Reise ausgegeben hatte.

Hastig richtete sie sich auf und stieß dabei mit dem Kopf so unglücklich gegen das Bücherbord, dass ihr die Karten bis auf eine aus der Hand fielen. „Verdammt!“ Sie rieb sich den schmerzenden Hinterkopf und sah betreten auf die Karten auf dem Fußboden. Das bedeutete ganz sicher nichts Gutes. Schnell schob sie die eine Karte, die sie noch in der Hand hielt, in ihre Hosentasche und bückte sich, um die anderen aufzuheben. Dabei wurde ihr schwindelig. Offenbar hatte sie sich den Kopf doch stärker gestoßen, als sie gedacht hatte. Sofort hielt sie inne und berührte dann mit den Fingerspitzen ihre Füße, um ihr Gleichgewicht wiederzugewinnen. In diesem Augenblick ging die Tür auf.

„Entschuldigen Sie“, sagte eine männliche Stimme.

Sie starrte durch die gespreizten Beine. Himmel, der Mann sah nicht übel aus. Sie richtete sich langsam auf. „Wer sind Sie und was wollen Sie?“

Er trat ein und schloss leise die Tür. „Ich bin Polizist.“ Er zog seine Marke aus der Tasche und hielt sie ihr hin.

Zoë zog fragend die Augenbrauen zusammen. Ein bisschen peinlich war das Ganze schon. Der einzige gut aussehende Mann, der seit Wochen in ihrem Apartment auftauchte, und sie musste ihm ihren Po entgegenrecken, den die Shorts so gut wie gar nicht verdeckten. Verstohlen musterte sie ihn. Die Sache mit den Shorts schien ihn nicht weiter zu stören, im Gegenteil. Er starrte sie immer noch an.

Hastig zerrte sie an den Hosenbeinen, dann steckte sie ein paar lose Strähnen in den Zopf und hoffte, dass sie nicht zu rot geworden war. Sicher sah sie unmöglich aus, da brauchte sie sich gar nichts vorzumachen. Wahrscheinlich hatte sie sich nur eingebildet, dass er sie interessiert ansah. Kein Mann, der seinen Verstand beisammenhatte, konnte sich für eine Frau erwärmen, die so aussah wie sie in diesem Moment.

Sie sah ihn sich genauer an. Was er davon hielt, war ihr egal, denn er sah einfach zu gut aus.

Er trug das hellbraune Haar kurz geschnitten. Seine Gesichtszüge waren klar und sehr männlich. Er hatte blaue Augen, sehr blaue Augen, aus denen er sie aufmerksam, wenn auch etwas misstrauisch ansah. Das war sehr attraktiv, genauso wie der Mund … energisch, die Unterlippe etwas voller. Hm, nicht schlecht.

Er war mindestens einsfünfundachtzig, hatte breite Schultern und war sicher auch in einem Saal voller Menschen nicht zu übersehen. Er wirkte lebendig, vital, erdverbunden, zuverlässig und war der Typ von Mann, zu dem man rannte, wenn einem gerade das Haus über dem Kopf abgebrannt war und man alles verloren hatte.

Zoë sah ihm in die Augen. Was für ein hinreißender Mann, dabei bodenständig und geradeheraus, zuverlässig und voller Autorität. Aber natürlich ganz und gar nicht ihr Typ, überhaupt nicht, um Himmels willen. Schließlich war er einfach in ihre Wohnung eingedrungen.

Wenn er sie nur nicht so ansehen würde! Sie war versucht, ihn bei den Schultern zu nehmen und zu schütteln. Was sicher keine gute Idee wäre. Sie durfte sich von seinen Blicken nicht beeindrucken lassen.

Schnell warf sie den Kopf in den Nacken. „Wie kommen Sie dazu, mich hier in dieser Art und Weise zu überfallen?“

„Ich hörte so etwas wie einen dumpfen Schlag und einen Schrei. Die Tür stand offen, und es roch nach Marihuana.“ Missmutig sah er sich in dem Raum um. „Wie viele Kerzen haben Sie denn angezündet? Und warum?“

„Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht. Und außerdem riecht es nach Sandelholz und nicht nach Marihuana. Was sind Sie denn für ein komischer Cop, dass Sie das nicht wissen?“

„Ich dachte, hier wäre ein Einbrecher oder eine Kifferparty“, erklärte er kurz angebunden. „Das riecht doch nicht nach Sandelholz. Sollen die Duftkerzen vielleicht nur den Geruch nach Marihuana überdecken? Ist sonst noch jemand hier? Gibt es einen Hinterausgang?“

„Nein. Ich bin allein. Die Kerzen sollen beim Meditieren helfen. Und diese Wohnung hat keinen Hinterausgang.“ Sie schnüffelte. Du liebe Zeit, er hatte recht. Es roch wirklich nicht nach Sandelholz. Vielleicht hatte sie deshalb keine beruhigende Wirkung verspürt. „Ich muss mich unbedingt bei der Frau da unten in dem New-Age-Laden beschweren. Sie hat steif und fest behauptet, die Kerzen riechen nach Sandelholz.“

„Na ja …“

„Nein, wirklich.“ Plötzlich fiel ihr die Tarotkarte ein, die sie in die Hosentasche gesteckt hatte. Sie war aus dem Kartenpäckchen herausgefallen, und das hatte immer etwas zu bedeuten. Schnell zog sie die Karte heraus und betrachtete sie nachdenklich.

Das ist ja seltsam, dachte sie. Es war die rosa Karte mit den beiden schönen Schwänen, die mit ihren eleganten Hälsen ein Herz bildeten, auf dem zwei kleine Liebesgötter tanzten.

Die Liebeskarte.

Ihr Herzschlag stockte kurz, aber dann runzelte Zoë die Stirn. Jetzt machten sich auch noch die Karten über sie lustig. Auf wen konnte sich denn die Liebeskarte beziehen? Auf sie und …

„Hallo“, unterbrach sie der hübsche Polizist plötzlich in ihren Gedanken. „Wenn Sie mit den Karten fertig sind, würde ich gern mit Ihnen sprechen.“

Ihn? Sie schluckte. Die blauen Augen waren auf sie gerichtet und brannten heißer als alle elf Kerzen. Sie zitterte am ganzen Körper und war bestimmt knallrot. Was war denn bloß los mit ihr?

Wahrscheinlich vertrug sie den Kerzenduft nicht. Oder sie hatte doch eine kleine Gehirnerschütterung. Die Atmosphäre war alles andere als romantisch, eher verraucht und stickig.

Sie fächelte sich mit der Karte Luft zu und zupfte an ihrem Ausschnitt, um den dünnen Stoff von der Haut zu lösen. Wenn ihr doch nur nicht so heiß wäre!

Besonders wenn ihr ungebetener Gast ihr direkt auf die Brüste starrte. Sie sah kurz an sich herunter. Kein Wunder, unter dem dünnen Stoff waren die aufgerichteten Brustspitzen so gut zu sehen, als hätte sie gar nichts an.

Sofort ließ sie die Karte fallen, verschränkte die Arme vor den Brüsten und wandte sich ab. Im Grunde hatte sie ein gutes Verhältnis zu ihrem Körper und war keineswegs scheu. Schließlich unterrichtete sie in diesem dünnen Trikot Jazztanz und Aerobic. Aber diese Situation hier war anders, fühlte sich vor allen Dingen ganz anders an. So als würde sie nackt vor einem Fremden tanzen. Oder, schlimmer noch, als tanzte sie nackt vor ihrem Geliebten, um ihn zu verführen.

Sie begegnete seinem Blick, der vor Begierde glühte. Wow! So etwas war ihr noch nie passiert. Sein Blick war wie ein Laserstrahl, der durch sie hindurchging, bis er auf ihre Seele traf. Ich kenne ihn, dachte sie plötzlich, und ihr stockte der Atem. Ich kenne diesen Mann!

Er kniff kurz die Augen zusammen und schien genauso verblüfft wie sie. Jake. Gerade noch hatte sie keine Ahnung, wer er eigentlich war, und im nächsten Augenblick wusste sie, dass er Jake hieß. Wie kam sie nur darauf?

Zoë trat einen Schritt zurück. Das konnte doch nicht möglich sein. Die eine Tarotkarte konnte doch nicht die Ursache sein. Und dennoch ging etwas Ungeheuerliches vor, und sie spürten es beide.

So etwas hatte sie noch nicht erlebt. Sie sah einen Mann kaum fünf Minuten an, und schon dachte sie an Laserstrahlen, Nackttanzen und Verführungsrituale. „Also, ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.“ Sie legte eine Hand an die Stirn. „Es ist so heiß hier. Vielleicht kommt das von den Kerzen …“

Er stand hinter ihr und räusperte sich. „Sie sollten die Kerzen endlich ausmachen“, sagte er streng. „So etwas ist gefährlich.“

Sie nickte und beugte sich vor, um die Kerzen auszublasen, konnte es sich aber nicht verkneifen, ihm noch einen amüsierten Blick zuzuwerfen. „Aha! Dann sind Sie also gekommen, um mich wegen extensiven Kerzengebrauchs zu verhaften.“

„Nein, ich bin hier, um …“ Er stockte und schien mindestens so nervös wie sie zu sein. „Ich suche eine Zoë Kidd. Sind Sie das?“

„Ja. Aber ich habe nichts getan …“ Was den Einsatz der Polizei erfordert, wollte sie sagen, aber dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Wylie. Wahrscheinlich hatte er wieder seine Tickets fürs Falschparken nicht bezahlt. Allein der Gedanke an ihn wirkte wie ein Krug eiskaltes Wasser, der über ihrem Kopf ausgeschüttet wurde.

Wylie war der Beweis für ihre mangelnde Menschenkenntnis, für ihren schlechten Geschmack, was Männer betraf, für eine Demütigung, die sie nie wieder erleben wollte.

Schnell blies sie die Kerzen aus, sammelte die Tarotkarten ein, steckte die Liebeskarte dazu und legte das Päckchen ins Bücherregal. Dabei versuchte sie, den hübschen Polizisten zu ignorieren. „Falls es um Wylie geht“, sagte sie schließlich, „mit dem habe ich nichts mehr zu tun. Wir haben uns vor knapp einem Monat getrennt. Wenn er in Schwierigkeiten ist, ist das sein eigenes Problem.“

„Nein, es hat nichts mit Wylie zu tun. Ich brauche Sie.“

Ich dich auch, Jake. Ich habe keinen Freund und bin allein und einsam. Ich langweile mich. Und du siehst so gut aus …

Sie drehte sich zu ihm um und spürte wieder diese wahnsinnige Hitze. Sie wollte sich ausziehen und sich ihm in die Arme werfen. Kurz befeuchtete sie die Unterlippe. Wie wäre es mit gewissen Übungen auf meiner Yogamatte?

„Was haben Sie gesagt?“

„Ich? Gar nichts. Überhaupt nichts.“ Konnte er etwa Gedanken lesen? Erst hatte sie intuitiv seinen Namen gewusst, und nun ahnte er, was sie dachte? Das wurde ja immer unheimlicher. Mit zitternden Fingern strich sie sich das Haar aus der Stirn. „Und wozu brauchen Sie mich?“

„Gut. Ich will nicht drum herum reden.“ Er biss kurz die Zähne aufeinander, und sie dachte, Donnerwetter, das ist ein kräftiges Kinn. Hättest du etwas dagegen, wenn ich es mal anfasse? Aber dann kniff sie sich in den Arm. Konzentration, Zoë, Konzentration. Warum war es bloß so heiß in dieser Wohnung?

„Sie haben einen Platz für die Tour ‚Entdeckerfreude‘ gebucht, stimmt das?“

„Sind Sie deshalb hier?“

„Das Reisebüro sagt, die Tour sei vollkommen ausgebucht“, fuhr er fort. „Ich möchte Ihnen die Karte abkaufen.“

„Sie wollen …?“ Er war gar nicht der Typ für eine solche Reise. Aber dann begriff sie, und es überlief sie eiskalt.

Zoë war nicht dumm. Sie wusste, was das bedeutete. Der gut aussehende Polizist hatte eine hübsche kleine Frau zu Hause, und beide wollten diese Reise für Jungverheiratete machen. Sie wollten an ihrer Beziehung arbeiten, an ihren Kommunikationstechniken, im Bett und außerhalb. Das konnte Zoë nur zu gut verstehen, vor allem, wenn sie an seinen sparsamen Umgang mit Worten und seinen aufregenden Körper dachte.

„Dann sind Sie bereit, mir Ihr Ticket zu verkaufen?“

„Klar“, sagte sie und versuchte, gleichgültig zu klingen. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, wo sie die dicke Tüte mit den Reiseunterlagen aufbewahrte. Das war wirklich die reine Achterbahn der Gefühle. Gerade noch hatte sie in ihm, auch wegen der Liebeskarte, den Mann gesehen, der ihr vom Schicksal bestimmt war, und ein paar Minuten später wusste sie, dass er verheiratet war. Von wegen Visionen. Sie kannte zwar seinen Namen, aber warum war ihr entgangen, dass er gebunden war?

Sie sah hoch. Seltsam, er trug keinen Ehering. Und er hatte auch nicht die Aura eines verheirateten Mannes, vor allem, wenn man bedachte, mit wie viel Vergnügen er ihren Körper musterte. Aber er schien eigentlich auch nicht der Typ zu sein, der den jungen Mädchen schamlos hinterhersah.

Das alles war sehr merkwürdig, aber ging sie im Grunde natürlich nichts an. Wenn er und seine Frau es mit dieser Art von Psychotraining für Jungverheiratete versuchen wollten, dann war das ihre Sache.

Sie hielt ihm das dicke Kuvert mit den Reiseunterlagen hin und grinste. „Die Sache war ganz schön teuer, und ich bin froh, dass das Geld nicht verloren ist. Sie wissen hoffentlich, dass es morgen sehr früh losgeht? Haben Sie und Ihre Frau denn noch Zeit genug zu packen?“

„Ich bin nicht verheiratet.“

Sie hatte es doch gewusst! Seine Aura war doch die eines unverheirateten Mannes. Also hatte ihr Instinkt sie doch nicht getrogen. Doch ihr Hochgefühl verschwand sofort wieder. „Dann fahren Sie also mit Ihrer Freundin. Ich dachte, man müsse verheiratet sein, um an dem Programm teilnehmen zu können. Obgleich es viel mehr Sinn macht, so etwas vor der Eheschließung zu absolvieren, finde ich. Wollen Sie einfach behaupten, Sie seien verheiratet? Ich meine, mir ist das ganz egal …“

„Aber warum muss ich unbedingt verheiratet sein?“

„Weil …“ Was? Er wollte diese Reise mitmachen und wusste nicht, worum es dabei ging? „Wissen Sie wirklich nicht, was das Besondere an dieser Tour ist?“

Er sah sie nur an.

„Tatsächlich nicht!“, rief sie aus. „Sie haben keine Ahnung!“ Das wurde ja immer interessanter. Zoë trat nahe an ihn heran. „Warum wollen Sie denn da mitmachen? Hat Ihre Freundin Sie gezwungen?“

„Ich habe keine Freundin.“

Nur mit Mühe konnte Zoë ihren Triumph verbergen. Am liebsten wäre sie im Zimmer herumgetanzt. Sie hatte recht gehabt. Er war Single! Aber wenn er es nicht wegen einer Frau tat, warum wollte er dann mitfahren? „Hat Ihr Interesse berufliche Gründe? Ich meine, müssen Sie offiziell Ermittlungen anstellen?“

„Nein.“ Mehr bekam sie nicht aus ihm heraus. Er hielt die Lippen fest aufeinander gepresst, hatte die dunklen Augenbrauen zusammengezogen und sah einfach umwerfend aus!

Zoë machte einen Schritt zurück. „Sie glauben doch nicht, dass ich Ihnen meine Tickets gebe, wenn Sie mir nicht sagen, weshalb Sie so scharf auf die Reise sind?“

„Ich bin leider nicht befugt, Ihnen darüber Auskunft zu geben“, sagte er hölzern. „Aber haben Sie nicht eben Tickets gesagt? Plural? Ich brauche nur eine Karte.“

„Nun, allein können Sie die Reise auf keinen Fall antreten.“ Der einsame Wolf, so ganz allein? Sie schlug sich mit dem Kuvert leicht gegen das Kinn und grinste.

„Warum denn nicht?“ Seine Stimme klang ungeduldig. „Und was soll das Gerede über die Ehefrau und Verheiratetsein oder die feste Freundin? Was bedeutet das? Was soll denn da entdeckt werden? Der Nordpol? Der Mount St. Helens?“

„Bitte, nehmen Sie es mir nicht übel“, erwiderte sie langsam, „aber Sie sehen nicht so aus, als wollten Sie die Geheimnisse der Welt entdecken.“

„Sie auch nicht.“

Sie zuckte nur mit den Schultern. „Wollen Sie mir nicht endlich sagen, warum Sie diese Reise unbedingt mitmachen wollen? Wenn nicht, werde ich weder mit den Tickets herausrücken noch mit der Erklärung, was sich hinter dieser speziellen Tour verbirgt.“

Er zögerte, sagte dann aber schließlich: „Es geht Sie im Grunde nichts an, aber wenn Sie es unbedingt wissen wollen, ich muss jemanden finden. Und ich vermute, dass sie diese Reise mitmacht.“

„Eine Sie? Also müssen Sie eine Frau finden?“ Zoë stand jetzt wieder sehr dicht vor ihm und blickte ihm offen ins Gesicht. Sie musste immer daran denken, dass er noch zu haben war. Und er wollte diese Reise mitmachen, um eine bestimmte Frau zu finden. „Waren Sie mal mit ihr befreundet? Hat sie Sie vielleicht verlassen und einen anderen Mann geheiratet, mit dem sie jetzt diese Reise macht? Und Sie verfolgen sie, weil Sie sie zurückgewinnen wollen? Ist das eine bestimmte Art von Masochismus?“

„Hören Sie auf! Mir schwirrt der Kopf!“, stöhnte er.

„Ach was!“ Sie stieß ihn spielerisch in die Seite. „Was ist es? Wollen Sie sie zurückgewinnen oder sich selbst quälen?“

„Nichts von alledem. Außerdem, was geht Sie das an? Ich muss sie finden. Und sie ist wahrscheinlich eine der Mitreisenden. Das ist alles.“

„Tut mir leid, aber allein können Sie die Reise nicht antreten.“

„Warum denn nicht?“

Zoë strahlte ihn an. „Weil … Sie müssen nämlich wissen …“ Es machte ihr Spaß, ihn zappeln zu lassen. Irgendwie wirkte er besonders sexy, wenn er ungeduldig war.

„Was denn?“

„Sie haben wohl die letzte Talkshow von Oprah Winfrey nicht gesehen? Dort wurde nämlich erklärt, worum es geht.“ Sie biss sich auf die Lippen. „Also, am ehesten könnte man diese Reise wohl als eine Mischung aus Gruppentherapie und Flitterwochen beschreiben.“

Er hob erstaunt die Augenbrauen. „Gruppentherapie? Flitterwochen?“

Zoë nickte. „Genau. Und ehrlich gesagt, Jake, wenn ich Sie so ansehe, kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie das eine wie das andere so ganz allein genießen würden.“

Er hatte sich wieder gefangen. „Das ist möglich, aber ich wäre sicher nicht der Einzige, der allein reist. Immer wieder gehen Verbindungen auseinander, und da die Reise bereits bezahlt ist, wird einer von beiden die Tickets sicher nicht verfallen lassen, sondern allein fahren. Sie haben sich doch auch gerade von Ihrem Freund getrennt, oder?“

„Wir waren verlobt. Deshalb wollte ich ja die Reise stornieren. Ich wollte die Reise auf keinen Fall allein machen.“ Zoë hoffte, er würde das Thema wechseln, denn sie hatte keine Lust, weiter über diese missglückte Beziehung zu reden. Ohne nachzudenken, griff sie nach den Tarotkarten und fing an, sie zu mischen.

Jake beobachtete sie. „Wann wollten Sie denn heiraten?“, fragte er schließlich.

„Heute.“

„Oh. Das ist wirklich bitter. Entschuldigen Sie, dass ich gefragt habe.“

„Ist schon okay.“ Zoë schwieg. Sie wollte nicht darüber reden. Ich brauche dein Mitleid nicht, Jake. Und sei nicht nett zu mir, bitte. Sonst verliere ich meine Haltung und werfe mich dir an den Hals. Sie wandte sich wieder zu ihm um. „Wollen Sie nun die Reise machen, Jake, oder nicht?“

Er wollte nicken, aber mitten in der Bewegung hielt er inne und starrte Zoë verblüfft an. „Sie haben jetzt schon zum zweiten Mal Jake zu mir gesagt. Woher kennen Sie meinen Namen?“

Ach du Schreck! „Sie müssen ihn mir genannt haben.“

Er schüttelte den Kopf. „Also, woher kennen Sie meinen Namen?“

Zoë zuckte mit den Schultern, mischte die Karten und tat unbeteiligt. „Das ist doch vollkommen unerheblich. Es kommt nur darauf an … Oh!“ Sie hatte wieder eine Karte fallen lassen. Sie bückte sich. Noch bevor sie die Karte umdrehte, wusste sie, welche es war.

Wieder die Liebeskarte mit den beiden Schwänen. „Ausgerechnet die!“, stieß sie leise hervor. Das war wirklich albern.

„Was haben Sie gesagt?“, fragte er schnell.

„Die Karte, Jake, die sich immer selbstständig macht.“ Sie hielt die Karte hoch. „Die Liebeskarte.“

„Was? Sie können Karten legen?“ Er schnaubte verächtlich. „Sie glauben doch wohl nicht an den Unsinn?“ Er lachte leise. „Ach so, ich weiß. Alles ist Magie. Daher kennen Sie meinen Namen. Die Karten haben ihn verraten.“

„Seien Sie nicht albern. Er steht doch auf ihrer Dienstmarke.“ Er war verletzend, aber sie nahm sich vor, sich nicht beleidigen zu lassen. Sicher, er war ein Zyniker und hatte keine Ahnung vom wahren Weg, aber er würde ihn schon noch finden. Sie glaubte fest daran. Sie hatte gleich gefühlt, dass eine Verbindung zwischen ihnen bestand. Und nun hatte sich zwei Mal die Liebeskarte gezeigt. Genau in diesem Augenblick kam es ihr vor, als könne sie ihm direkt ins Herz schauen.

Na ja, vielleicht nicht ganz. Er war auch so vollkommen anders als sie. Rechtschaffen, ehrlich, humorlos und sehr groß.

Zoë dachte daran, wie sie auf ihn wirken musste. Wahrscheinlich hielt er sie für reichlich überdreht. Auf keinen Fall konnte sie ihn beeindrucken.

Aber sie stand zu ihrer Person. Und Zoë Kidd hatte Risiken noch nie gescheut. Außerdem, was konnte schon groß passieren? Sie hatte doch immer vorgehabt, diese Reise zu machen, hatte sich sogar darauf gefreut. Meditation. Schöpferisches Denken. Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit fördern. Selbst wenn Jake dabei war, konnte sie all das tun. Sie würde endlich die Vergangenheit hinter sich lassen und ein anderer Mensch werden. Auch wenn er nicht gerade sehr kooperativ war.

Sie sah ihn kurz von der Seite her an. Er war bestimmt nicht der Typ, der etwas für Meditation und schöpferisches Denken übrig hatte. Und irgendwie wirkte er ziemlich einschüchternd, schon weil er so viel Sinnlichkeit ausstrahlte.

„O ja!“, sagte sie leise. „Wenn ich es wirklich mache, wie komme ich dann damit klar?“

„Was sagen Sie da?“

Aber sie antwortete nicht. Sollte sie wirklich …?

Seine Augen, die Schultern, die schmalen Hüften, der ganze Körper war sexy. Und die Lippen … keine Frau konnte diesen Lippen widerstehen. Musste sie es nicht einfach wagen?

Er war einschüchternd, das ja, aber auch sehr anziehend. Selbst wenn es absurd klang, vielleicht war gerade er ihre wahre Liebe? Es überlief sie heiß und kalt bei dieser Vorstellung, aber sie ließ sich nichts anmerken. Vielleicht ging es hier auch gar nicht um wahre Liebe, vielleicht hatte er eine Aufgabe zu erfüllen, bei der sie ihm helfen konnte.

Sie nahm all ihren Mut zusammen. „Wie wichtig ist Ihnen diese Reise?“

„Ich habe keine Alternative“, sagte er ausdruckslos. „Nennen Sie mir Ihren Preis, ich werde ihn bezahlen.“

„Aber Sie wollen doch nur eins der beiden Tickets. Was soll ich denn mit dem zweiten machen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Wenn Sie mir kein einzelnes Ticket verkaufen, kaufe ich beide und werfe eins weg.“

„Sie können Wylies Ticket kaufen“, sagte sie hastig. „Ich behalte meins und fahre auch mit.“

Er lächelte sie ungläubig an. „Sie wollen mitfahren? Aber wozu?“

Zoë nahm die Liebeskarte zwischen beide Handflächen. Sie fühlte sich heiß an. „Wenn Sie diese Reise antreten wollen, brauchen Sie einen Partner. Deshalb komme ich mit Ihnen.“

3. KAPITEL

Jake lachte. „Das glauben Sie doch wohl selbst nicht!“

Aber die kleine hartnäckige Rothaarige würde nicht nachgeben. Das sagte schon ihr entschlossener Blick. Er hatte wirklich Pech. Er musste unbedingt diese Reise mitmachen, und nur ein Mensch konnte ihm das ermöglichen. Und dieser Mensch war ausgerechnet eine ausgeflippte Frau, die in einem stickigen Apartment halb nackt irgendwelche seltsamen Verrenkungen machte. Zusätzlich aufgeheizt wurde die Wohnung von einer Unmenge Kerzen, die verdächtig nach Marihuana rochen. Dabei wedelte Zoë mit ihren Tarotkarten herum und weigerte sich, ihm die Tickets für eine Reise zu verkaufen, die sie sowieso nicht machen wollte. Und dann ihre Kleidung!

Zumindest war er jetzt zu neunzig Prozent sicher, dass es sich nicht um Toni handelte. Er hatte sich Zoës Füße und Beine sehr genau angesehen, und die sahen anders aus als die auf dem Foto. Keine Zehenringe, keine glitzernden Sandaletten, kein Nagellack.

Er hatte sehr viel mehr gesehen als nur ihre Beine und Füße.

Schon beim Eintreten war er mit ihrem hübschen kleinen Po konfrontiert worden. Dann hatte sie sich umgedreht, und er hatte ihre Brüste gesehen, die sich deutlich unter dem dünnen feuchten Trikot abzeichneten. Er war schließlich auch nur ein Mann. Vielleicht ein sehr beherrschter Mann, aber doch immer noch ein Mann. So hatte er den Blick einfach nicht abwenden können, und auch jetzt wurde ihm noch ganz heiß, wenn er daran dachte.

Dass ihr anscheinend kaum bewusst war, wie stark ihre knappe Kleidung auf ihn wirkte, war sehr provozierend. Andererseits war er ziemlich sicher, dass sie im Grunde sehr wohl bemerkte, was er bemerkte …

Vielleicht war es auch nur die Hitze in diesem Apartment, die sie beide so empfinden ließ. Er fuhr sich nervös durchs Haar. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er nicht mehr Herr der Situation war. Er konnte an nichts anderes denken, als diesen Frauenkörper zu berühren.

Schluss jetzt! befahl er sich.

„Ich kaufe beide Tickets“, sagte er schnell und zog sein Scheckbuch aus der Tasche. Da sein Vater sowieso dafür aufkommen musste, war es egal, wie viel er ausgab. Je schneller er das hinter sich brachte, desto schneller war er Zoë Kidd los.

„Nein, kommt nicht infrage.“ Ihre Augen blitzten so übermütig, dass er sie am liebsten in die Arme genommen und geküsst hätte. „Sie dürfen eins kaufen. Was ich mit dem anderen mache, geht Sie nichts an.“

„Zoë, ich …“

„Keine Widerrede.“ Als er ein paar Schritte auf sie zutrat, hob sie schnell die Hand. „Sie werden meine Meinung nicht ändern können. Wenn Sie die Reise machen wollen, müssen Sie sich schon nach mir richten.“ Sie verschränkte die Arme über den Brüsten, wofür er in diesem Augenblick dankbar war, und sah ihn entschlossen an. „Wir werden es folgendermaßen machen. Morgen früh um zehn müssen wir am O’Hare Airport sein. Sie sollten mich also um acht abholen, denn im Berufsverkehr brauchen wir länger, um hinzukommen.“ Sie ging zu ihrem Schreibtisch und kam mit dem dicken Kuvert zurück. „Es ist genau vorgeschrieben, was wir mitnehmen sollen.“

„Wo ist denn …“, begann er, aber sie unterbrach ihn, indem sie ein Blatt Papier aus dem Umschlag zog und ihm reichte.

„Alles Weitere erfahren Sie morgen. Dann gebe ich Ihnen auch das Ticket.“

Er blickte Zoë misstrauisch an. Die ganze Sache gefiel ihm überhaupt nicht.

Sie schien wirklich eine verrückte Nudel zu sein, zwar hübsch und energisch, aber ziemlich seltsam.

Und mit dieser Person sollte er die ganze Zeit zusammen sein? Um Himmels willen! Er warf ihr einen Blick zu. Sie lächelte ihn strahlend an, was ihn nur noch mehr verunsicherte. Kopfschüttelnd wandte er sich um.

„Dann bis morgen, Partner!“, rief sie hinter ihm her.

„Wir sind keine Partner!“, entgegnete er heftig. „Wir machen zwar dieselbe Reise, aber getrennt. Verstanden?“

Sie ließ sich nicht beirren. „Das werden wir ja morgen sehen.“

Jake verließ die Wohnung, ohne sich noch einmal umzusehen. Er gönnte ihr ihre kleinen Siege. Wenn er morgen erst sein Ticket in der Hand hielt, konnte sie ihm nichts mehr anhaben. „Und wenn sie darauf besteht mitzukommen“, murmelte er vor sich hin, „dann ist das auch nicht das Ende der Welt. Schließlich sind wir keine siamesischen Zwillinge. Ich werde ihr schon aus dem Weg gehen können.“

„Komm nicht zu spät!“ hörte er sie noch rufen.

Als Jake sich die Packliste durchsah, musste er grinsen.

Bitte lassen Sie Ihren wertvollen Schmuck, Uhren usw. zu Hause. Auch um Ihre Kleidung brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, die wird gestellt. Vielleicht bringen Sie sich einen Gegenstand mit, der Ihnen besonders lieb ist, ein Plüschtier etwa oder ein anderes Erinnerungsstück.

Was für eine alberne Idee, dachte Jake. Zoë würde sicher diese Tarotkarte mitbringen, die sie offenbar als eine Art Glücksbringer betrachtete.

Jake stopfte die letzten Sachen in seine Reisetasche und musste daran denken, wie er mal eine Wahrsagerin verhaftet hatte. Irgend so ein erbärmlicher Typ aus der Vorstadt hatte der Frau eine Menge Geld gezahlt, damit sich sein Glück wendete. Als er weiterhin Pech hatte beim Wetten, hatte er das gezahlte Geld aus der Wahrsagerin wieder herausprügeln wollen. Aber die „mystische Heilerin“ hatte ihm die Kristallkugel auf den Kopf gehauen, und als Jake sie festnahm und so der Schlägerei ein Ende machte, hatte sie ihn verflucht.

Wenn Zoë auch an solchen Blödsinn glaubte, dann war sie wirklich geistesgestört und er hatte allen Grund, sich von ihr fern zu halten. Als er den Lake Shore Drive in Richtung Norden entlangfuhr, um Zoë abzuholen, war er überzeugt, diese Vorsätze auch einhalten zu können. Nicht umsonst war er Polizist geworden. Er verließ sich nur auf Tatsachen und zog aus ihnen seine Schlüsse.

Da in den Unterlagen nichts stand von Pass oder ausländischem Geld, würden sie das Land wohl nicht verlassen. Sie brauchten keine Wanderschuhe, keine besondere Ausrüstung wie Schwimmflossen, auch keinen warmen Mantel oder Stiefel. Offensichtlich fuhren sie in eine Gegend, wo es warm war.

„Vielleicht fahren wir ja nach Palm Springs“, sagte er laut, als er vor Zoës Apartmenthaus hielt. „Oder nach Hilton Head in South Carolina. Vielleicht irgendwohin, wo Meer ist und Strand. Und ein Golfplatz. Und wo man tauchen kann.“ Wenn er allerdings die Wahl hätte, würde er sich an einen ruhigen See mit vielen Forellen zurückziehen, mit einer Angelrute, ein paar Ködern … und ohne Zoë.

Er runzelte die Stirn. Wie hatte sie diese Reise beschrieben? Als eine Mischung aus Gruppentherapie und Flitterwochen. Was für ein Unsinn! Es hörte sich an wie ein Club Mediterranee für Neurotiker, die ihre elende Kindheit beklagten, während sie Cocktails schlürften, Paragliding betrieben und sich nackt in den Betten wälzten.

„Ach, verdammt!“ Eins hatte er nicht bedacht: die Unterbringung. Er hatte zwar keineswegs die Absicht, Zoë nahe zu kommen, aber eine Suite für Jungverheiratete konnte problematisch werden. Sicher gab es da nur ein Bett, und er glaubte schon zu hören, wie Zoë darauf bestand, dass sie das Bett teilten. „Wir werden uns nicht berühren. Aber du hast die Hälfte bezahlt, also ist es nur fair, wenn du auch im Bett schläfst“.

Mit Zoë Kidd das Bett teilen? Jake presste die Lippen zusammen.

Zugegeben, die Unterbringung mochte ein paar Probleme aufwerfen, aber die waren schließlich nicht unlösbar. Ein paar Tage lang konnte er auf dem Sofa schlafen. Plötzlich sah er Zoë vor sich, wie sie in knapper Unterwäsche oder ihrem dünnen verschwitzten Trikot durch den Raum geisterte …

Er schlug mit der Hand auf das Steuerrad. Er würde es schon irgendwie schaffen. Denn er hatte keineswegs die Absicht, ein Zimmer oder gar das Bett mit Zoë Kidd zu teilen.

Er sah zu ihren Fenstern hoch. Ihr Apartment lag über einem New-Age-Laden, den Jake schon lange im Verdacht hatte, auch Drogen zu verkaufen.

Er wollte gerade aussteigen, als Zoë die Haustür aufstieß. Erstaunlich, dass sie pünktlich war, es war noch nicht einmal acht. Sie schien voller Energie wie immer, trug eine Hose aus weichem Stoff, die den Bauchnabel freiließ, und dazu ein kurzes Folklorehemd. Glücklicherweise war alles trocken und klebte ihr nicht an der Haut. Jake atmete auf. Er hatte gestern Nacht trotz einer langen kalten Dusche nur sehr schwer einschlafen können.

„Hallo!“ rief sie fröhlich, als sie die Beifahrertür aufriss. Schnell warf sie einen kleinen Beutel auf den Rücksitz und setzte sich dann neben Jake.

„Haben Sie die Tickets?“, fragte er.

„Sie halten ein freundliches Guten Morgen wohl für überflüssig?“

„Ja.“

„Dann sind Sie wohl nicht gerade ein Morgenmensch?“

Jemand hupte hinter ihm und wartete darauf, dass Jake den Parkplatz frei machte. Aber er achtete nicht darauf. „Haben Sie die Tickets?“, fragte er wieder.

„Jawohl, Sir“, sagte sie, griff in ihre Strohtasche und holte das Kuvert heraus.

„Ich möchte mein Ticket haben. Geben Sie es her.“

„Das kann ich leider nicht. Das Ticket ist auf zwei Personen ausgestellt.“ Sie hielt lächelnd eine gelbe Karte hoch, auf der stand „Ihr Entdeckerpass. Nur für Paare“.

„Wir müssen wohl zu zweit gehen, wie die Tiere in die Arche Noah.“

Das wurde ja immer schlimmer. „Sie werden uns doch nicht aneinander ketten?“, fragte Jake düster, als er in die Straße einbog, die zur Autobahn führte.

Sie strahlte ihn an. „Vielleicht, wenn wir sie darum bitten.“

Jake stöhnte auf. Diese alberne Reise mit einer Frau zu unternehmen, die schon morgens fröhlich vor sich hin plapperte, war schlimm genug. Aber wenn diese Frau dazu noch einen aufregenden Körper hatte, der ihm viel zu nahe kam, und von Fesseln redete, die er leider nicht mit den üblichen Handschellen in Verbindung bringen konnte, sondern eher mit einem Messingbett, zerwühlten Laken und allerlei Spielchen, dann war das wirklich schwer zu ertragen.

„Ich hab doch nur Spaß gemacht.“ Sie berührte seine Hand. „Fesseln liegen mir nicht. Ich bin mehr für freien, ungehemmten Sex ohne Beschränkungen.“

So genau wollte er es gar nicht wissen. „Ich möchte eines klarstellen“, sagte er. „Auch wenn wir ein gemeinsames Ticket haben, werden wir verschiedene Wege gehen. Da sind Sie, und da bin ich. Ein ‚wir‘ gibt es nicht, verstanden?“

Sie murmelte etwas Unverständliches, das er als Zustimmung deutete. Auf dem Weg zum Flughafen versuchte er, die Unterhaltung auf ein Minimum zu beschränken. Aber das war nicht leicht, denn Zoë stellte eine Frage nach der anderen.

„Sie sind also Polizist. Wie lange denn schon? Gefällt Ihnen Ihr Beruf?“

„Acht Jahre. Ja, ich bin gern Polizist.“ Er hielt den Blick starr auf die Fahrbahn gerichtet.

„Und was tun Sie so als Polizist?“, fragte sie und rutschte etwas näher. „Gehen Sie auf Streife?“

„Nein. Schnallen Sie sich an.“ Wenn sie alle Männer so in die Mangel nahm, war es kein Wunder, dass sie diese Reise allein antreten musste. Das heißt, das tat sie ja gar nicht. Er war da. Er war jetzt schon genervt, aus vielen Gründen, aber er hatte keine andere Wahl.

„Was machen Sie den ganzen Tag?“, fragte sie wieder. „Ich meine, wenn Sie nicht auf Streife sind?“

„Ich bin Sergeant und Einsatzleiter für unsere taktischen Teams. Und um Ihrer Frage zuvorzukommen: Taktische Teams beobachten, was in ihrem jeweiligen Distrikt vor sich geht in Bezug auf Einbruch, Drogenkriminalität, Gangaktivitäten. Meistens arbeiten unsere Leute als verdeckte Ermittler.“

„Das ist ja interessant. Hat diese Reise etwas mit Ihrem Job zu tun?“ Sie drehte sich so, dass sie ihm ins Gesicht sehen konnte. „Diese Frau, nach der Sie suchen, handelt sie mit Rauschgift oder gehört sie zu einer Gang?“

„Nein.“

„Ist sie gefährlich? Ich meine, hat sie eine Waffe? Wird sie von der Polizei gesucht?“

Er brachte ein schiefes Lächeln zu Stande. „Nein. Sie sehen zu viele Krimis.“

„Gut.“ Sie setzte sich wieder gerade hin. „Ich habe zwar nichts gegen ein bisschen Aufregung, wenn wir nach ihr fahnden, aber es sollte nicht echt gefährlich werden.“

„Wenn wir nach ihr fahnden? Ich suche nach ihr, nicht Sie.“

Zoë ging darauf nicht ein. „Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was Sie von der Frau wollen.“

Etwas hatte er im Verlauf seines Lebens gelernt. Dass jemand einem eine Frage stellte, bedeutete noch lange nicht, dass man sie auch beantworten musste. Also schwieg er.

„Wollen Sie es mir nicht sagen?“

„Nein.“

„Noch nicht einmal andeutungsweise?“

„Hören Sie zu, Zoë“, fuhr er sie an, „dies ist keine Mission, kein Date und kein Quiz. Ich werde Ihnen nichts sagen, und Sie sollten Ihren Mund halten.“

Das hätte er vielleicht etwas höflicher formulieren sollen. Immerhin war er ja noch von ihr abhängig, da sie das Ticket hatte. Er sah sie kurz von der Seite an. Was war das? Statt beleidigt zu sein, sah sie geradezu begeistert aus.

Ihre hübschen grünen Augen leuchteten, und sie sah ihn aufmerksam an.

„Warum sehen Sie mich so an?“, fragte er brummig. Offenbar stand sie auf einsilbige Männer.

Sie wurde rot. „Ich finde das alles sehr faszinierend.“

Wen oder was meinte sie damit? Ihn? Die Suche nach Toni, mit der sie nichts zu tun hatte? „Was ist denn so faszinierend?“

„Diese Reise. Gestern noch dachte ich, dass sich nichts Neues in meinem Leben ereignen würde, und nun bin ich plötzlich auf der Fahrt ins Ungewisse.“ Sie sah ihn strahlend an. „Ich bin ganz aufgeregt. Und Sie?“

„Nicht so sehr.“

„Ach was, es wird sicher ganz toll. Sehr entspannend.“

Jake blickte aus dem Seitenfenster. „Entspannend? In deiner Nähe? Das bezweifle ich“, murmelte er vor sich hin.

Aber Zoë war nicht zu stoppen. „Jake, ich muss es Ihnen einfach sagen. Gestern habe ich gespürt, dass es eine besondere Verbindung zwischen uns gibt. Und ich glaube, Sie haben es auch gefühlt. Oder?“

„Nein.“

„O doch.“

Er hätte sie nicht ansehen sollen, aber jetzt war es zu spät. Sie lächelte ihn an, auf diese ganz spezielle Art und Weise, aus der Unschuld und Erregung sprach. Das Lächeln blieb nicht ohne Wirkung auf ihn. Er musste unbedingt Abstand halten. Die Frau war eine Heimsuchung.

Was meinte sie mit der besonderen Verbindung? Weil sie auf Grund irgendeines Tricks seinen Namen herausbekommen hatte? Oder dachte sie eher an die körperliche Anziehung? Er musste alles abstreiten, das stand fest.

„Ich spüre keinerlei besondere Verbindung.“

Sie zuckte nur lächelnd mit den Schultern und zog die Füße auf den Sitz. „Wie ist es, Jake, wollten Sie schon immer Polizist werden?“

Wenn er ihr von seiner Familie und seiner Ausbildung erzählte, würde sie wenigstens den Mund halten, und er kam nicht auf abwegige Gedanken. Und als er schließlich den Flughafen erreicht hatte, war er überrascht, wie schnell die Zeit vergangen war und was er alles von sich und seiner Familie erzählt hatte. Zoë hatte mehr aus ihm herausgeholt als viele Polizisten, die ein Spezialtraining zur Zeugenbefragung hinter sich hatten. Und dabei galt er als besonders schwer zugänglich und wortkarg. Der Gedanke war nicht sehr beruhigend.

„Welche Airline?“, fragte er, während sie sich ihr Gepäck über die Schulter hängten und in Richtung Terminal gingen.

„Keine.“

„Nein? Was soll das heißen?“

„Wir fahren mit dem Bus und müssen zum Busbahnhof. Irgendwo soll eine rote Linie auf dem Boden sein, die direkt zu den Bussen führt. So steht es in den Anweisungen.“

„Aber in den Unterlagen, die Sie mir gegeben haben, stand nichts von einem Bus. Wohin kann man schon mit einem Bus fahren?“

„Nach Wisconsin.“

„Wisconsin?“ Genau dort sollte er jetzt sein, und zusammen mit seinen Brüdern ein paar fette Forellen aus dem Teich holen. „Warum können wir nicht mit dem eigenen Auto fahren?“

„Das ist Teil des Programms“, sagte sie geduldig. „Es geht darum, sich in die Gruppe einzufügen. Und wenn man erst einmal im Bus sitzt, kann man nicht mehr aus der Sache aussteigen.“

Immer wenn er dachte, es könne nicht schlimmer kommen, bewies Zoë ihm das Gegenteil. „Und ich hatte auf etwas Interessanteres gehofft, wenn ich schon …“ So etwas Idiotisches mitmachen muss. Das sagte er nicht laut. Ade Golfplatz und Tauchen im warmen Meer. Das Ganze schien so etwas wie ein Sommercamp zu sein. Wahrscheinlich mussten sie Knoten üben und Papierschwalben falten.

Während sie der roten Linie folgten, Rolltreppen hinauf- und hinunterfuhren, durch lange Flure und große Hallen gingen, versuchte Zoë ihn aufzuheitern. „Nun seien Sie doch nicht so brummig, Jake. Seien Sie froh, dass ich bei Ihnen bin.“

Er war alles andere als froh. „Gibt es noch irgendetwas Wichtiges, was Sie mir verheimlicht haben? Vielleicht handelt es sich um ein Resozialisierungsprogramm für entlassene Strafgefangene?“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, es geht um Jungverheiratete.“ Zoë rollte mit den Augen. „Hören Sie doch mal für eine Sekunde auf, wie ein Cop zu denken.“

„Sie haben mir schon genug verschwiegen. Erst die Sache mit dem Bus und dann die winzige Kleinigkeit, dass die Reise nach Wisconsin geht.“

„Sie haben mit keinem Wort anklingen lassen, dass es für Sie eine Rolle spielt, wohin die Reise geht und mit welchem Transportmittel. Sie wollten unbedingt mit. Wie und wohin schien Ihnen gleichgültig zu sein.“

Sie hatte recht. Leider.

„Außerdem“, fuhr sie fort, „ist es die Absicht der Veranstalter, die Teilnehmer möglichst im Ungewissen zu lassen. Auf der Packanleitung, die ich Ihnen gegeben habe, stand doch drauf, dass man möglichst ohne genaue Vorstellungen kommen sollte. Ich wusste lediglich, dass es nach Wisconsin geht, und zwar mit dem Bus, und dass wir dort bestimmte Übungen machen, die etwas mit Gelassenheit, Vertrauen, Teilen und Kommunikation zu tun haben oder so ähnlich.“

„Gelassenheit? Vielen Dank, davon habe ich genug“, sagte er sarkastisch.

„Aber ich glaube, Sie könnten etwas mehr gebrauchen.“ Zoë wiegte den Kopf. „Ich glaube, das Programm wird Ihnen gut tun. Vielleicht ist es Ihr Karma, das Sie an diesem Programm teilnehmen lässt.“

„Ich glaube nicht, dass ich irgendeine Art von Karma habe. Und ich bin auch in keiner Weise daran interessiert.“

„Ihr Schicksal wird Sie schon erwischen, wenn Sie nicht aufpassen. Außerdem, wenn Sie nicht auffallen und die Person finden wollen, die Sie suchen, müssen Sie sich schon nach den Spielregeln richten.“ Sie hatten den Busbahnhof erreicht. „Ich weiß, Sie wollen eine strenge Trennung“, fuhr sie fort, „hier sind Sie, und dort bin ich, und ein ‚wir‘ gibt es nicht. Aber das wird nicht klappen. Sehen Sie sich doch um. Da vorne ist unsere Gruppe. Wollen Sie sich einfügen oder nicht?“

Sie wies auf eine Ansammlung von Menschen, die sich um eine gelbe Fahne mit einem großen E scharten. Draußen wartete schon ein gelber Bus.

Jake ging automatisch langsamer. Zoë hatte leider schon wieder recht. Er hatte wirklich Glück, dass sie bei ihm war, denn sonst wäre er sofort aufgefallen. Hier handelte es sich eindeutig um junge Pärchen, die meist eng beieinander standen, sich küssten und streichelten. Wenn er hier allein aufgetaucht wäre, hätten sich sofort alle Augen auf ihn gerichtet.

„Überzeugt?“, fragte Zoë. „Sind Sie, ich meine, bist du bereit, mein Partner zu sein?“

Nie im Leben. Aber er nickte, und Zoë nahm ihn bei der Hand und zog ihn weiter.

Im Grunde konnte das doch nicht so schwierig sein, da hatte er schon ganz andere Aufträge als verdeckter Ermittler erfüllt. Bei Rauschgifthändlern hatte er den Bewusstlosen gemimt, in einschlägigen Massagesalons und Stripclubs war er als Kunde aufgetreten. Da sollte er doch ein paar Minuten lang den verliebten Ehemann spielen können. Sicher, Zoë war sexy und verdreht und schwer einzuschätzen, aber er hatte schon Schlimmeres überstanden.

Außerdem kam es vor allem darauf an, die Erpresserin Toni zu finden. Unauffällig sah Jake sich um, während er mit Zoë auf die Gruppe zuging und sich in die Schlange einreihte. Zwei oder drei Frauen hatten etwa Tonis Größe und eine ähnliche Figur wie sie. Allerdings konnte man das von den unscharfen Fotos her schlecht beurteilen.

„Siehst du sie?“, flüsterte Zoë.

„Pst.“ Er legte ihr den Arm um die Schultern und schob sie in die Schlange.

Aber so schnell war Zoë nicht zu stoppen. „Nur vier Paare stehen vor uns, alle anderen sind hinter uns. Wenn du sie hier schon erkennst, können wir uns im Bus in ihre Nähe setzen und sie belauschen.“

Miss Detective musste unbedingt gestoppt werden, bevor sie alles verdarb. Er beugte sich lächelnd zu ihrem Ohr, einem sehr niedlichen Ohr übrigens, und flüsterte: „Jetzt hör mir mal gut zu. Ich will deine Hilfe nicht. Ich bin ja bereit, einiges mitzumachen, um nicht aufzufallen, aber dies hier ist keine wie auch immer geartete Partnerschaft. Also halte den Mund und behindere mich nicht bei meinen Nachforschungen.“

„Aber so klappt das nicht …“, fing sie an, wurde dann aber von einer dünnen Blondine im Trainingsanzug unterbrochen, die unter der gelben Fahne stand und wild mit den Armen wedelte.

„Hallo, Leute!“, schrie sie. „Ich bin Sandra, eure Reiseleiterin für den ersten Teil der Tour. Herzlich willkommen!“ Sie setzte ein strahlendes Lächeln auf. „Sieht aus, als wären wir vollzählig. Also können wir gleich einsteigen. Bitte, stellen Sie sich in einer Reihe auf, und halten Sie Ihren Ausweis bereit. Vor dem Einsteigen macht unser Fotograf von jedem Paar ein Bild. Bitte, beeilen Sie sich, damit wir möglichst bald losfahren und auf unsere magische Entdeckungsreise gehen können.“

Die beiden ersten Paare zeigten ihre Ausweise, die Namen wurden auf der Liste abgehakt, dann gingen sie auf den Bus zu. Jake hielt Zoë bei den Schultern fest und zwang sie, nach vorn zu blicken. Das fehlte ihm gerade noch, dass sie sich auffällig umsah und ihm alles vermasselte. Schließlich standen sie vor der Blonden mit dem Klemmbrett.

„Zoë Kidd“, sagte Zoë und hielt der Frau ihren Ausweis hin und das gelbe Ticket.

Die Blonde nahm die Karte, gab Zoë den Ausweis zurück und lächelte Jake an. „Dann sind Sie sicher Wylie. Darf ich Ihren Ausweis sehen?“

„O nein“, warf Zoë schnell ein. „Ich habe Wylie verlassen und fahre jetzt mit Jake. Das ist viel besser.“

Die Reiseleiterin runzelte die Stirn.

„Da wir gerade erst geheiratet haben“, fuhr Zoë kichernd fort, „brauchen wir dieses Programm ganz bestimmt.“

Die Blonde schüttelte den Kopf, als sei sie noch nicht ganz überzeugt, strich aber Wylies Namen durch. „Sie sind also … ?“, fragte sie etwas geziert.

„Jake“, sagte er freundlich und reichte ihr den Ausweis.

„Sie hätten uns benachrichtigen sollen, dass Sie inzwischen die Männer gewechselt haben“, bemerkte die Reiseleiterin verärgert. „Jake Calhoun“, las sie dann laut und schrieb den Namen auf die Liste. „Tut mir leid, Mr. Calhoun, aber die Unterlagen sind nun alle auf den falschen Namen ausgestellt.“

Wenn sie doch bloß nicht so laut reden würde, dachte Jake. Falls Toni in der Nähe war, wäre sie sicher bei dem Namen Calhoun gewarnt.

Sandra zog ein Namensschild heraus, drehte es um und schrieb in großen Buchstaben Jake darauf. Immer noch schimpfte sie leise vor sich hin. „Wenn wir den Namen nicht im Voraus wissen“, sagte sie dann laut, „können wir auch nicht die kleine Überprüfung vornehmen, die wir gern machen, damit wir wissen, wie sich die Gruppe zusammensetzt. Unser Programm ist sehr speziell, und es kommt uns darauf an, allen Mitreisenden absolute Sicherheit zu garantieren.“

„Kein Problem“, mischte Zoë sich wieder ein. „Jake ist Polizist. Da haben Sie nichts zu befürchten. Zeig ihr deine Marke.“

„Lass das, Zoë!“, zischte er ihr zu. Lächelnd wandte er sich an die Reiseleiterin. „Haben Sie zufällig eine Liste der Mitreisenden, die ich einsehen kann? Ich möchte gern wissen, mit wem wir es zu tun haben.“

„Alle tragen Namensschilder …“, wandte Sandra ein, wurde jedoch durch einen lautstarken Streit am Ende der Schlange abgelenkt. Ein Mann in einem Muskelshirt, die Arme voll Tätowierungen, redete auf eine Frau ein, die Jake kaum sehen konnte, da sich um die beiden ein Kreis gebildet hatte. Er sah nur, dass die Frau, die offensichtlich sehr viel kleiner als der Mann war, einen braunen Pferdeschwanz hatte, heftig mit den Armen wedelte und mit schriller Stimme schimpfte. Ein typischer Ehekrach. Kein Grund, sich einzumischen und damit zu riskieren, dass seine Tarnung aufflog.

Sandra allerdings schien doch etwas beunruhigt zu sein. Sie hatte wohl Sorge, dass dieses Paar die Stimmung beeinträchtigen würde. Schnell gab sie Jake seinen Ausweis wieder zurück und drückte Zoë die Namensschilder in die Hand. „Sie können gehen, alles in Ordnung.“ Dann lief sie ans Ende der Schlange.

Zoë verdrehte den Hals, um zu sehen, was da los war, aber Jake schob sie zur Tür, wo der Fotograf wartete. „Komm, lass uns einsteigen. Je eher wir nach Wisconsin kommen, desto besser.“

Zoë drehte sich wieder um. „Warum die sich wohl gestritten haben?“

„Was interessiert dich das?“

„Ich bin doch nur aufmerksam. Ich bin nämlich eine sehr gute Beobachterin und Zeugin.“

Auch das noch! „Hör endlich auf mit der Detektivspielerei. Das geht dich gar nichts an.“

Jetzt drehte sich Zoë zu ihm um und sah ihm ruhig in die Augen. „O doch“, erwiderte sie leise, aber entschlossen. „Du hast gesagt, dass deine geheimnisvolle Frau diese Reise mitmacht. Willst du sie nun finden oder nicht?“

Jake schwieg. Wie konnte er Zoë nur dazu bringen, sich nicht in seine Angelegenheiten einzumischen?

„Kommen Sie bitte etwas näher “, forderte der Fotograf sie auf und schob sie beide zu einer Pappwand, auf der der Name des Reiseunternehmers prangte. Der Fotograf schaute auf seine Namensliste. „Legen Sie den Arm um sie, Wylie.“

„Jake.“

Er musste es einfach tun, schließlich hatte der Fotograf es quasi befohlen. Außerdem stand Zoë so dicht vor ihm und sah ihn lächelnd an, dass er nicht anders konnte. Er legte ihr den Arm fest um die Taille und musste grinsen, als sie leise aufstöhnte.

„Wie wäre es mit einem Kuss?“ Der Mann hob die Kamera. „Sie sind doch schließlich auf der Hochzeitsreise. Ich zähle bis drei …“

Autor

Julie Kistler
Julie Kistler kommt bei Komödien, alten Filmen, Musicals, Katzen und großen, dunkelhaarigen und gut aussehenden Männer wie ihrem eigenen Ehemann, mit dem sie seit 20 Jahren verheiratet ist, ins Schwärmen.
Früher war sie Rechtsanwältin, hat sich dann aber für eine Karriere als Romance-Autorin entschieden und sich durch ihre humorvollen Liebesromane...
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