Julia Collection Band 169

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Ein Heiratsschwindler hat Sonya, Brenna und Cindy um all ihr Erspartes gebracht. Gemeinsam wollen die drei Frauen dem Schuft das Handwerk legen. Auf der Jagd bekommen sie jede Menge Hilfe … und auch die Chance auf eine neue Liebe?

MINISERIE VON KARA LENNOX

HEISSE LIPPEN – STARKE HÄNDE
Ein Schwindler hat Cindy um ihr Vermögen gebracht! Sheriff Luke Rheems verspricht zu helfen. Schon einmal hatte sie mit dem sexy Gesetzeshüter eine heiße Affäre. Nutzt er jetzt die Chance, Cindy für immer zu erobern?

BEZAUBERNDE BETRÜGERIN
Verzweifelt versucht FBI-Agent Heath Packer sich gegen seine leidenschaftlichen Gefühle für Brenna zu wehren. Denn die verführerisch schöne Frau ahnt nicht, dass er den Auftrag hat, sie als Betrügerin zu entlarven ...

AM LIEBSTEN FÜR IMMER!
Diese Chance will Sonya nutzen: Nach einem Unwetter sucht sie bei John-Michael Unterschlupf! Sie liebt ihren gut aussehenden Bodyguard schon so lange – und heute will sie ihn erobern. Wenigstens für eine Nacht. Aber am liebsten für immer!


  • Erscheinungstag 04.03.2022
  • Bandnummer 169
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511797
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kara Lennox

JULIA COLLECTION BAND 169

1. KAPITEL

„Jetzt muss ich nur noch zwölftausend Brötchen backen“, bemerkte Cindy Lefler fröhlich, als sie das Backblech in den Industriebackofen des Miracle Cafés schob. Obwohl sie den Duft von frischen Brötchen liebte, war sie das Backen leid.

„Hör endlich auf zu zählen“, murrte Tonya Dewhurst, die Bestecke in Papierservietten wickelte. „Du bist die Einzige, die sich freut, dass du aufhörst.“

„Ich komme immer mal zu Besuch.“

„Du wirst viel zu sehr damit beschäftigt sein, Mrs. Shalimar zu sein, eine Dame der Gesellschaft“, sagte Tonya verträumt. „Du hast wirklich ein Händchen dafür, dir die richtigen Männer auszusuchen.“ Hastig fügte sie hinzu: „Oh, entschuldige, das war nicht so gemeint.“

Cindy schlug Tonya auf die Schulter. „Schon gut. Ich weiß, was du meinst.“

Erst vor einem Jahr hatte Cindy ihren Mann durch einen Verkehrsunfall verloren. Jim war ein guter Ehemann gewesen. Genauso viel Glück hatte sie jetzt mit Dex Shalimar, den sie demnächst heiraten würde.

„Es ist fast sechs Uhr“, sagte Cindy. „Könntest du bitte das Café aufschließen?“ Die beiden anderen Kellnerinnen, Iris und Kate, waren auch gekommen und erledigten ihre Aufgaben. Iris arbeitete schon seit mehr als zwanzig Jahren in dem Café, Kate fast ebenso lange.

Tonya lächelte. „Klar. Hast du eigentlich schon einen Käufer für das Café?“

„Dex hat zwei ernsthafte Interessenten.“

„Ich hoffe nur, dass der neue Besitzer nichts dagegen hat, wenn ich Micton zur Arbeit mitbringe.“

Cindy zuckte jedes Mal innerlich zusammen, wenn sie diesen Namen hörte. Tonya fand es damals einfach süß, ihrem Baby einen Namen zu geben, der sich aus ihrem und dem ihres Mannes zusammensetzte. Mick und Tonya. Micton. Schrecklich! Auf so etwas konnten nur diese Hinterwälder kommen, und gerade deshalb wollte Cindy so schnell wie möglich raus aus Cottonwood.

Wie üblich standen die Kunden schon Schlange vor dem Café, als Tonya öffnete – Farmer und Viehzüchter, die sich auf ein herzhaftes Frühstück freuten und dabei den neuesten Klatsch austauschten. Cindy schrieb die Tagesgerichte auf die Tafel, die hoch über der Kasse hing.

„Morgen, Cindy.“

Sie wäre fast von der Leiter gefallen, schaffte aber dennoch ein freundliches: „Guten Morgen, Luke.“ Der gut aussehende Vizesheriff brachte sie ständig aus der Fassung. Fünf Tage die Woche kam er pünktlich um zehn nach sechs und bestellte immer dasselbe – ein Brötchen mit Honig und schwarzen Kaffee. Und jedes Mal bekam sie Herzflattern. Seine Wirkung auf Frauen war einfach enorm. Selbst jetzt, wo sie verlobt war – verdammt, auch als sie verheiratet gewesen war –, hatten ihre Hormone bei Lukes Anblick verrücktgespielt.

Mit seinen lockigen braunen Haaren, den grünen Augen und dem unergründlichen Blick hatte er unglaublichen Sexappeal. Zu Schulzeiten waren seine Haare lang und wild gewesen. Schon damals hatte jedes Mädchen für ihn geschwärmt. Cindy hatte aber nicht nur geschwärmt.

„Wie weit sind die Hochzeitsvorbereitungen?“, erkundigte Luke sich bei Cindy. Ein unbeteiligter Zuhörer könnte glauben, dass er aus höflicher Neugier fragte, aber Cindy wusste es besser. Luke Rheems hatte Dexter Shalimar vom ersten Augenblick an verachtet und ließ keine Gelegenheit aus, Cindy vor diesem Mann zu warnen.

„Ich brauche mich um nichts zu kümmern“, sagte Cindy forsch-fröhlich. „Dexter hat alles im Griff. Wir fliegen nach Lake Tahoe, heiraten in einer kleinen Kapelle in den Bergen, und dann bringt Dex mir das Skilaufen bei.“ Es war die Urlaubsform, von der sie immer geträumt hatte. Mit Jim war sie damals auch am Lake Tahoe gewesen. Und sie war von der atemberaubend schönen Landschaft, den luxuriösen Häusern und Kasinos begeistert gewesen. Aber sie hatten kein Geld zum Skilaufen und Spielen gehabt und entweder in ihrem Sattelschlepper oder einem billigen Hotel geschlafen.

Mit Dex würde sie die Flitterwochen in einem Vier-Sterne-Hotel verbringen, den Luxus genießen und Skiunterricht bei einem Privatlehrer nehmen.

„Dex nimmt dir wohl einiges aus der Hand, was? Den Verkauf deines Restaurants und Hauses, deine Hochzeit, deine Flitterwochen. Er hat bestimmt, wo du leben wirst …“

„Dex hat beruflich mit Immobilien zu tun“, unterbrach Cindy ihn und kletterte von der Leiter. „Warum sollte er sich also nicht um diese Dinge kümmern? Ich habe unser neues Zuhause gesehen und fand es einfach vollkommen. Ein Penthouse ohne viel Schnickschnack, aber mit allen Annehmlichkeiten.“

„Und ohne Garten. Wo soll Adam denn spielen?“

Sie senkte gereizt die Stimme. „Jetzt versuch nicht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Mein Sohn wird eine wundervolle Kindheit haben. Dex hat geschäftlich auf der ganzen Welt zu tun, und wir werden gemeinsam reisen. Adam wird Kinder aus allen Kulturkreisen kennen lernen und mit ihnen spielen. Er wird in den Bergen und am Strand von Jamaika herumtollen. Er wird die Essgewohnheiten in Italien und in Indonesien kennen lernen. Du tust, als sei er sozial benachteiligt, weil er nicht in einem Haus mit Garten aufwächst.“

„Ein Kind braucht einen Garten zum Spielen.“

„Wenn du später ein Kind hast, dann kannst du es meinetwegen in einem kleinen Garten großziehen – wie ein Kaninchen in einem Stall. Tagein, tagaus derselbe Anblick, dieselben Menschen, dasselbe Essen. Irgendwann wird es genauso engstirnig und kleinstädtisch wie jeder hier in diesem Dorf sein und Angst vor allem haben, was fremd oder ausländisch oder auch nur irgendwie anders ist.“

Luke, überrascht über ihren Ausbruch, zog die Augenbrauen hoch. „Siehst du so deine Nachbarn in Cottonwood? Sind sie wirklich ein Haufen ignoranter, engstirniger, xenophober Menschen?“

Cindy genierte sich zuzugeben, dass sie nicht wusste, was xenophob bedeutete. Aber darum ging es ja gerade – deshalb wollte sie für Adam etwas anderes. Sicher, sie war weit gereist, zwar nur im Sattelschlepper, aber sie hatte nie ein College besucht. Auch war sie nicht sehr belesen. Sie hatte keine Ahnung von eleganter Garderobe, wusste nicht, wie man Gäste aus besseren Kreisen bewirtet und wie sie ihre Haare frisieren sollte. Dex hatte sich darüber nie beklagt, aber wenn sie erst einmal die Frau eines angesehenen Millionärs war, dann musste sie diese Bildungslücken schließen.

Um ihre Unwissenheit zu verschleiern, wechselte sie das Thema. „Du willst mir Dex nur vermiesen, weil du eifersüchtig bist.“

„Eifersüchtig? Auf Dex? Er ist doch bloß ein aufgeblasener Schlappschwanz.“

„Es muss ja schlimm um dich stehen, dass du so ein Wort überhaupt in den Mund nimmst. Übrigens weiß ich bis heute noch nicht, ob du tatsächlich irgendetwas Negatives über ihn herausgefunden hast. Du wolltest doch all seine schrecklichen Geheimnisse lüften, oder? Die drei weiteren Ehefrauen, die Zeit im Gefängnis, die sechzehn unehelichen Kinder?“

Zumindest besaß Luke genug Anstand, beschämt auszusehen. „Er ist sauber“, gab er zu.

Cindy nickte nur. Sie hatte selbst ein paar Nachforschungen angestellt. Dexter Shalimar, bekannt dafür, dass er die Öffentlichkeit und Kameras scheute, war Houstons begehrtester Junggeselle und einer der reichsten Einwohner. Seine Firma Shalimar Holdings war eines der größten privaten Immobilien-Unternehmen. Er war nie verheiratet gewesen, hatte keine Kinder und war auch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Er war ein wohltätiger Mensch und beim letzten Boston-Marathon als siebzehnter ins Ziel gekommen. Ein Grund, ihn nicht zu mögen?

Aber liebte sie Dex? Nun, das war eine andere Geschichte. Jim würde immer einen besonderen Platz in ihrem Herzen einnehmen, und Cindy würde ihn nie vergessen. Sie mochte Dex sehr, und Adam war begeistert von ihm. Viele gute Ehen basierten auf gegenseitigem Respekt und Zuneigung.

Luke hatte sein Brötchen gegessen und bestellte noch einen Kaffee. Wie immer. Gegen halb acht kamen die Ladenbesitzer aus dem Zentrum, dann die Mütter, die ihre Kinder zur Schule gebracht hatten, und schließlich die Rentner. Kaum hatte das Frühstücksgeschäft nachgelassen, erschienen die ersten Mittagsgäste.

Es war ein lebhafter Morgen. Aber das Café war schon immer eine Goldgrube gewesen. Seit Generationen konnte Cindys Familie davon sehr angenehm leben. Trotzdem hatte Cindy ihre Zukunft immer woanders gesehen. Seit sie zurückdenken konnte, hatte sie abends, an Wochenenden und in den Sommerferien hier gearbeitet. Mit Ausnahme der acht Jahre, in denen sie mit Jim in seinem Sattelschlepper gereist war. Für sie bedeutete das Miracle Café eine Einschränkung ihrer Möglichkeiten – keine Auftritte als Cheerleader, kein Theaterclub, kein Fußball. Ihre Eltern hatten zwölf Stunden am Tag und sieben Tage die Woche gearbeitet und dasselbe von ihrer Tochter erwartet.

Seit dem Tod ihrer Mutter war alles noch schlimmer. Als Alleininhaberin war es für Cindy fast unmöglich, sich einmal ein langes Wochenende zu gönnen, von einem Streifzug durchs Land ganz zu schweigen.

Das wird sich jetzt alles ändern, dachte sie. Sie würde ein Abenteuer nach dem anderen erleben. Davon hatte sie schon immer geträumt. Sobald sie und Dex verheiratet waren, würde sie mit ihm reisen – sie und Adam. Damals mit Jim hatte sie viel von ihrer Heimat gesehen. Jetzt lag ihr die Welt zu Füßen.

„Cindy?“ Es war Tonya. „Die beiden Damen an Tisch drei möchten mit dir sprechen.“

Cindy blickte hinüber zu der Nische am Fenster. Zwei junge Frauen saßen dort. Beide waren blond und stammten nicht aus Cottonwood. Die eine wirkte von Kopf bis Fuß sehr elegant, die andere eher unkonventionell.

Könnte eine Immobilienmaklerin mit Kundin sein, dachte Cindy optimistisch. Sie wischte sich die Hände an einem Handtuch ab und ging zu den beiden Damen. „Hallo“, sagte sie freundlich. „Ich bin Cindy Lefler. Mir gehört das Miracle Café.“

„Ich bin Sonya Patterson. Und das ist Brenna Thompson. Würden Sie sich bitte einen Moment zu uns setzen?“

Cindy setzte sich neben Brenna, die einen ungezwungeneren Eindruck machte. „Was kann ich für Sie tun?“

Sonya legte eine lederne Aktentasche auf den Tisch und öffnete sie. Sie zog ein Farbfoto heraus und schob es Cindy zu. „Kennen Sie den Mann?“

Das Foto war unscharf, trotzdem erkannte Cindy den Mann sofort. „Sicher, das ist mein Verlobter Dexter Shalimar“, sagte sie. „Warum fragen Sie?“

„Der Immobilienmagnat?“, fragte Brenna. Dieser Dexter Shalimar?“

„Ja.“

„Wissen Sie, wo er sich im Moment aufhält?“, fragte Sonya.

„Es geht Sie zwar nichts an, aber er ist geschäftlich in Malaysia. Was wollen Sie eigentlich von mir?“ Cindy hatte ein ungutes Gefühl.

Sonya lehnte sich zurück. „Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät.“

„Zu spät für was?“

„Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll, aber der Mann auf dem Foto heißt nicht Dexter Shalimar. Sein wirklicher Name lautet Marvin Carter, und er ist ein Betrüger.“

Cindy stieg das Blut in die Wangen. „Ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie wollen, aber Dexter Shalimar ist kein Betrüger. Würde ein Betrüger einer Frau so einen Ring schenken?“ Während der Arbeit bewahrte sie ihren dreikarätigen Verlobungsring immer in ihrer Tasche auf. Jetzt zog sie ihn heraus und hielt ihn Sonya unter die Nase.

Sonya warf einen flüchtigen Blick auf den Ring. „Hm. Er sieht aus wie meiner.“ Sie holte einen identischen Ring aus ihrer Handtasche.

„Und wie meiner.“ Brenna öffnete ihren Lederrucksack und förderte einen ähnlichen Ring zutage.

„Haben Sie ihn schätzen lassen?“, fragte Sonya. „Wahrscheinlich nicht, denn sonst wüssten Sie, dass es ein Zirkonia ist. Etwa achtundzwanzig Dollar wert. Wahrscheinlich kauft er diese Ringe en gros.“

„Ich glaube Ihnen nicht“, sagte Cindy flau. „Er ist Dex Shalimar und fährt einen Porsche 911. Außerdem hat er uns ein tolles Penthouse gekauft. Ich war dort.“

„Oh, das Riva Row Penthouse?“, fragte Sonya. „Das gehört mir. Zumindest gehörte es mir, bis er es verkauft, den Erlös in die Tasche gesteckt und die Stadt verlassen hat.“

Cindy brummte der Kopf. Das konnte nicht stimmen – es durfte einfach nicht wahr sein. „Ich möchte, dass Sie jetzt gehen“, sagte sie mit eisiger Stimme.

„Natürlich.“ Sonya lächelte sie mitleidig an. „Ich weiß, wie schwer es ist, glauben Sie mir. Aber überprüfen Sie Ihr Bankkonto. Vielleicht haben Sie ja Glück, und das Geld ist noch da. Lassen Sie das Konto auf jeden Fall sofort sperren.“

Sonya rutschte aus der Nische. Brenna folgte ihr. Mit einem letzten mitleidigen Blick auf Cindy verließen sie das Café. Sonyas Absätze klickten auf dem Boden.

Cindy blieb sitzen. Sollte sie versuchen, Kontakt zu Dex aufzunehmen, und ihm von den beiden verrückten Frauen erzählen? Er hatte gesagt, dass er nicht zu erreichen sei. Seine Firma konnte ihr aber sicher weiterhelfen.

Dann kam ihr ein schrecklicher, befremdlicher Gedanke. Sie sollte die Bank anrufen. Nur um ganz sicher zu sein.

Jemand setzte sich zu ihr. Sie blickte auf und sah Luke Rheems. „Cindy?“, fragte er besorgt. „Ist alles in Ordnung? Wer waren die Frauen?“

„Ja, natürlich ist alles in Ordnung. Die beiden Frauen sind verrückt. Du solltest ein Auge auf sie haben. Sie haben nichts Gutes im Sinn.“ Sie stand auf und ging hastig weg, bevor ihr die Tränen kamen.

Ohne nach rechts oder links zu sehen, verschwand sie in ihrem Büro. Adam und Micton schliefen glücklicherweise. Sie betrachtete ihren schlafenden, vierzehn Monate alten Sohn. Den Daumen hatte er in den Mund gesteckt, mit der anderen Hand hielt er seine Schmusedecke fest. Er war ihr Sonnenschein, obwohl sie nie damit gerechnet hatte, dass ihr die Mutterschaft so viel Freude bereiten würde.

Genug Ablenkung. Sie musste die Bank anrufen. Cindy wählte und ließ sich mit ihrer Kundenberaterin Mary Dietz verbinden.

„Hallo, Cindy. Schön, von Ihnen zu hören! Was kann ich für Sie tun?“

Cindy bat um ihren Kontostand. Er war genauso, wie er sein musste. Um die siebenhundert Dollar. Sie atmete schon etwas leichter. „Und mein Festgeldkonto?“

Langes Schweigen. „Das Konto ist aufgelöst.“

„Ich meine nicht das Konto meiner Mutter, sondern meins. Hier ist die Nummer.“

„Mr. Shalimar hat das Konto letzte Woche aufgelöst. Ich habe mich selbst darum gekümmert. Er hat gesagt, Sie wollten das Geld in eine Immobilie stecken.“

Cindy brummte der Kopf. „Sind Sie sicher?“ Was für eine dumme Frage. Mary machte keine Fehler. „Ach ja, natürlich“, sagte sie hastig. „Ich hatte ganz vergessen, dass er das tun wollte. Okay. Tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.“ Sie legte auf.

Konnte das angehen, was die beiden Frauen gesagt hatten? War ihr Verlobter gar nicht Dex, sondern ein Mann namens Marvin, der ihr einen unechten Ring geschenkt und ihr ein Apartment gezeigt hatte, das ihm gar nicht gehörte, und sich mit fast siebenhundertfünfzigtausend Dollar aus dem Staub gemacht hatte – dem Geld aus Jims Lebensversicherung und dem Erbe ihrer Eltern?

Sie griff erneut zum Telefon und wählte hektisch Dex’ Handynummer. Eine Ansage informierte sie, dass die Nummer nicht vergeben war. Sie wählte noch einmal. In ihrer Hast musste sie sich verwählt haben. Doch wieder erklang dieselbe Ansage.

Sie zog das Telefonbuch von Houston aus ihrer Schreibtischschublade und suchte die Nummer von Shalimar Holdings heraus. Dex hatte sie immer gebeten, ihn nicht im Büro anzurufen, sondern ausschließlich sein Handy zu benutzen.

Sie wählte die Geschäftsnummer und erreichte eine Sekretärin. „Dies ist ein Notfall. Verbinden Sie mich bitte unbedingt mit Dexter Shalimar.“

„Mit wem spreche ich bitte?“

„Mit Cindy Lefler, seiner Verlobten. Ich weiß, dass er in Malaysia ist, aber Sie haben doch sicher eine Nummer, unter der ich ihn erreichen kann.“

Langes Schweigen. „Mr. Shalimar ist nicht in Malaysia. Und er hat auch keine Verlobte namens Cindy.“

Cindy brachte kein Wort über die Lippen. Sie legte einfach auf.

Sie musste von hier weg, nach Hause, sich beruhigen. Ihre Gäste und Angestellten sollten nicht mitbekommen, wie sie zusammenbrach. Keiner durfte wissen, was passiert war, solange sie selbst die Wahrheit nicht kannte.

Sie nahm Adams Windelbox, ihre Handtasche und ihren Autoschlüssel. Dann hob sie behutsam ihren schlafenden Sohn hoch. Er öffnete die Augen und blinzelte sie schlaftrunken an.

Sie legte ihn an ihre Schulter. Gott sei Dank war er kein launenhaftes Baby. Er schlief überall, aß alles, spielte mit allem, was man ihm in die Hand drückte, und ließ sich von jedem auf den Arm nehmen.

Sie steckte den Kopf in die Küche und informierte ihren Koch Manson Grable, dass sie nach Hause ging.

„Kann ich irgendetwas für Sie tun?“, fragte Manson besorgt. Er war sechzig, stämmig, hatte ein rundes Gesicht und arbeitete schon sein ganzes Leben für das Miracle Café. „Soll ich Ihnen etwas Hühnersuppe mitgeben?“

„Nein, nicht nötig – es sind nur Kopfschmerzen.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln und war schon fast zur Hintertür hinaus, als eine dröhnende Stimme aus dem Gastraum ihre Aufmerksamkeit erregte. „Ich suche Cindy Lefler!“

Sie wollte flüchten, aber vielleicht war es wichtig. Widerwillig ging sie zurück in den Gastraum.

Mitten im Raum stand ein Mann in karierten Shorts, Hawaiihemd und Flip-Flops. „Hallo, ich bin Cindy Lefler. Was kann ich für Sie tun?“

„Ich bin Ed LaRue.“

Der Name sagte ihr überhaupt nichts.

„Ich bin der neue Eigentümer vom Miracle Café“, fuhr er grinsend fort. „Demnächst wird es Ed’s Enchilada Emporium heißen.“

2. KAPITEL

Deputy Luke Rheems betrachtete erst die eine, dann die andere der beiden Frauen in seinem Büro. Beide waren sehr attraktiv, doch abgesehen von den blonden Haaren völlig unterschiedlich. Sonya Patterson war der Inbegriff einer reichen, weltgewandten Frau. Groß und schlank und mit aristokratischen Gesichtszügen. Sie trug ein elfenbeinfarbenes Leinenkostüm, dünne Seidenstrümpfe und helle, halbhohe Lederpumps. Ihre langen, wahrscheinlich künstlichen Fingernägel waren perfekt lackiert, ihr Haar kunstvoll hochgesteckt. Nicht eine Strähne hatte sich gelöst.

Brenna Thompson dagegen war zierlich, mit aufregend weiblichen Kurven, und sie sah aus, als wäre sie im Künstlerviertel in SoHo zu Hause. Ihr platinblondes Haar war kurz geschnitten und mit Gel frech gestylt, die Augen hatte sie grellviolett geschminkt. Im linken Ohr trug sie fünf Ohrringe. Jeder einzelne war eine wunderschöne Silberkreation.

Ihr weiterer Schmuck, und sie trug viel davon, war ebenso interessant – Ringe an fast jedem Finger, Armreifen, die bei jeder Bewegung ihres Arms klirrten, eine Hand voll Ketten um den Hals. Ihr enges, gebatiktes T-Shirt reichte nicht ganz bis zu ihren verwaschenen Hüftjeans, so dass ein paar Zentimeter nackter Bauch zu sehen waren. Auch wenn sie absolut nicht Lukes Typ war, so musste er doch zugeben, dass sie wahnsinnigen Sexappeal ausstrahlte.

„Wir machen uns Sorgen um sie“, sagte Sonya gerade. „Nachdem wir ihr erklärt hatten, dass ihr angeblicher Verlobter ein …“

„… Lügner, Dieb, der Abschaum der Menschheit ist“, fiel Brenna schimpfend ein.

„Ja, genau. Nachdem wir ihr das erzählt hatten, erfuhr sie noch, dass dieser Schuft ihr Lokal verkauft hat.“

„Das war wohl zu viel für sie“, sagte Brenna. „Sie ist untergetaucht.“

„Seit Tagen ist sie nicht mehr aus ihrem Haus gekommen“, fuhr Sonya fort. „Wir kennen Cindy zwar kaum, aber wir wissen aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn einem der Teppich unter den Füßen weggezogen wird. Wir können verstehen, dass sie allein sein will. Trotzdem machen wir uns große Sorgen um sie.“

Auch Luke sorgte sich um Cindy. Er hatte Ed LaRues dramatischen Auftritt zwar nicht mitbekommen, weil er das Café ein paar Minuten vorher verlassen hatte. Doch die Geschichte war ihm zu Ohren gekommen – und auch, dass alles stimmte. Dexter Shalimar, alias Marvin Carter, hatte das Miracle Café verkauft. Der Verkauf war rechtsgültig, denn Cindy hatte eine Vollmacht unterschrieben, die ihrem Verlobten das Recht gab, geschäftlich für sie tätig zu werden.

Sein Misstrauen Cindys Freund gegenüber war also berechtigt gewesen. Der Mann war ein Lügner, ein Dieb, ein Betrüger, ein elender Hund. Nur, dass Shalimar gar nicht Shalimar war, darauf war Luke nicht gekommen. Er hatte ihm den Immobilienmagnaten abgekauft. Luke hätte auch hier misstrauisch sein sollen. Da aber die ersten Nachforschungen über Shalimar positiv ausgefallen waren, hatte er keinen Grund gesehen, weiter herumzuschnüffeln.

„Ich fahre zu ihr“, sagte Luke.

„Sagen Sie ihr bitte, dass wir unbedingt mit ihr sprechen müssen“, bat Brenna. „Wir brauchen ihre Hilfe, um den Kerl zu fassen.“

„Langsam, meine Damen. Ich verstehe natürlich Ihre Wut, aber ich glaube, Sie überlassen es besser der Strafverfolgungsbehörde, den Mann …“

„Der Polizei ist die Sache egal“, unterbrach ihn Sonya. „Marvin hat niemanden umgebracht. Und er ist auch kein Bigamist, da er seine Opfer nicht heiratet. Für die Polizei ist er ein kleiner Fisch. Aber nicht für uns, und auch nicht für die nächste Frau, die er reinlegt. Und glauben Sie mir, er wird nicht aufhören. Wir bekommen vielleicht unser Geld nicht mehr zurück, aber er wird bereuen, dass er uns das angetan hat.“

Luke kam zu dem Schluss, dass es besser war, sich mit diesen beiden Damen nicht anzulegen.

Als er in Cindys Straße einbog, verspürte er ein leichtes Ziehen in der Magengegend. Dieses Ziehen hatte er auch, wenn er morgens das Miracle Café betrat, um einen Kaffee zu trinken und ein Brötchen zu essen. Es lag an Cindy Lefler.

Zu Schulzeiten waren sie total verliebt ineinander gewesen. Doch als er ihr nach Abschluss der Schule einen Heiratsantrag gemacht hatte, hatte sie entsetzt abgelehnt, weil sie frei sein und etwas von der Welt sehen wollte.

Nicht viel später hielt der Fernfahrer Jim Lefler am Miracle Café zum Essen an. Er verliebte sich in die junge Kellnerin, die ihn bediente, und sie sich in ihn. Drei Wochen später brannten sie durch.

Als Adam geboren war und Jim und Cindy ein Haus in Cottonwood kauften, freundete sich jeder schnell mit Jim an. Alle im Ort hielten die drei Leflers für eine wundervolle Familie.

Auch Luke hatte Jim Lefler gemocht. Sein plötzlicher Tod war schrecklich, und Luke trauerte um einen Freund und ein beliebtes Mitglied der Gemeinde.

Cindy war also wieder allein und offensichtlich gewillt, in Cottonwood zu bleiben. Luke wollte den Anstand wahren und mindestens ein Jahr warten, bis er überhaupt anfing, mit Cindy zu flirten. Dexter Shalimar – nein, Marvin Carter – kam ihm jedoch zuvor. Er machte sich die Situation einer Frau zunutze, die nicht nur ihren Mann, sondern kurz darauf auch ihre Mutter verloren hatte. Wieder einmal hatte Luke das Nachsehen.

Luke fuhr in die Einfahrt des hübschen kleinen Hauses, das Jim und Cindy gekauft hatten. Die Fensterläden waren geschlossen.

Ein Blick durch das Garagenfenster sagte ihm, dass Cindy zu Hause sein musste. Der Wagen stand da.

Luke klingelte. Im Haus lief der Fernseher, und ein Kind brabbelte. Doch Cindy ging nicht an die Tür. „Cindy? Ich bin es, Luke. Ich weiß, dass du da bist, also mach auf.“

„Ich habe zu tun, Luke!“, rief sie schließlich. „Komm ein anderes Mal wieder.“

„Ich muss mit dir reden.“

„Warum?“

„Jetzt mach endlich die Tür auf.“

Sie schob die Kette zurück und öffnete die Tür einen Spalt breit. „Was ist?“

Er konnte nur einen Teil ihres Gesichts sehen, bemerkte jedoch, dass sie kreidebleich war und ihre welligen, honigblonden Haare kraftlos auf ihre Schultern fielen. „Wie geht es dir?“, fragte er sanft. „Alle machen sich große Sorgen um dich.“

„Warum? Mir geht es gut. Ich bin nur sehr beschäftigt. Hochzeitsvorbereitungen, du weißt schon. Ich muss packen …“

„Cindy, hör auf damit. Du heiratest nicht. Dexter oder Marvin – oder wie auch immer er heißt – wird nicht zurückkehren. Du bist von einem raffinierten Betrüger reingelegt worden. Sieh den Tatsachen endlich ins Auge.“

„Wissen es alle?“, fragte sie leise.

„Ja, und alle wollen dir helfen.“

„Oh, mein Gott.“ Sie drehte sich von der Tür weg, ließ sie jedoch offen. Luke nutzte die Gelegenheit, um ihr ins Haus zu folgen.

Der Anblick, der sich ihm bot, war erschreckend. Im Wohnzimmer herrschte das absolute Chaos. Leere Pizzakartons stapelten sich, schmutziges Geschirr, Spielzeug, Decken und haufenweise Videobänder. Die Sofakissen lagen auf dem Fußboden. Offensichtlich hatte Cindy vor dem Fernseher geschlafen.

„Du bist ja völlig am Ende, Mädchen.“

Wenn es einen Menschen gab, den Cindy nicht sehen wollte, dann war es Luke Rheems. Er hatte sie vor Dex gewarnt. Sein Polizeiinstinkt hatte Dinge wahrgenommen, die sie in ihrer blinden Bewunderung für den Mann, der all das zu verkörpern schien, wovon sie immer geträumt hatte, nicht gesehen hatte.

Sie wünschte, er würde einfach verschwinden. „Darf ich nicht einfach mal ein paar ruhige Tage mit meinem Sohn verbringen?“

Luke ging durch das Wohn- und Esszimmer und öffnete die Fensterläden, um frische Luft hereinzulassen.

„Welche Gerüchte haben die beiden Frauen verbreitet?“

„Außer mit mir haben sie mit niemandem gesprochen. Aber alle wissen, was los ist. Ed LaRue redet gern.“

„Ist das Café noch geöffnet?“, fragte Cindy. Sie hatte Angst gehabt, anzurufen oder vorbeizufahren.

„Nein. Ed hat es geschlossen und alle Angestellten gefeuert. Er hat eine große Familie, die er beschäftigen will.“

„Wie schrecklich. Arme Kate und Iris und Tonya – und Manson! Was werden sie jetzt tun?“

„Was wirst du tun?“

„Mir geht es gut. Ich wollte das Café sowieso verkaufen und bin froh, dass ich keine Brötchen mehr backen muss.“

„Dir geht es nicht gut, Cindy. Wenn Marvin Carter wie üblich vorgegangen ist, dann hat er dich finanziell ruiniert.“ Er hielt sie an den Armen fest und sah ihr in die Augen. „Honey, wach endlich auf. Du musst etwas unternehmen. Du darfst nicht länger untätig herumsitzen. Das passt nicht zu dir. Außerdem hast du ein Kind zu versorgen.“

„Adam hat alles, was er braucht.“ Sie schüttelte Lukes Hände ab, obwohl die Versuchung groß war, sich einfach von ihm in den Arm nehmen zu lassen und den Tränen freien Lauf zu lassen. „Okay, Dexters unerwartetes Verhalten hat mich etwas aus dem Gleichgewicht geworfen. Aber ich sorge gut für Adam.“ Sie hatte ihn jeden Tag gebadet, immer frisch angezogen und ihm täglich drei gesunde Mahlzeiten zubereitet.

Luke glaubte ihr nicht. Er ging in die Küche, vorbei an weiteren Stapeln mit schmutzigem Geschirr und leeren Müslischachteln und Milchflaschen, und öffnete den Kühlschrank. „Sieht etwas mau aus.“

„Ich muss einkaufen. Keine große Sache.“

„Und womit willst du bezahlen?“

„Ich habe Geld.“ Aber nicht so viel, wie sie gedacht hatte. Die siebenhundert Dollar waren auf zweihundert geschrumpft, nachdem die letzte Hypothek abgebucht worden war. Eine Woche konnte Cindy sich noch über Wasser halten – und so tun, als käme Dexter zurück. „Ich kann einen Kredit aufnehmen. Das Haus reicht als Sicherheit.“

„Hoffentlich hast du Recht.“

Ein Wagen hielt vor Cindys Haus. Neugierig sah sie aus dem Wohnzimmerfenster. Sie rannte aus dem Haus zur Fahrerseite und hämmerte gegen die Tür.

Das Fenster wurde heruntergekurbelt. Am Steuer saß ein breit grinsender Ed LaRue. „Hi, Süße. Ich dachte, Sie sind schon längst in Ihrem neuen Haus in San Francisco.“

„Was machen Sie hier?“, stieß Cindy hervor. Doch sie ahnte es schon. Nein, sie wusste es. Dex – Marvin, verdammt – hatte auch ihr Haus verkauft. Sie war nicht nur mittellos, sondern besaß auch kein Dach mehr über dem Kopf.

Luke überredete LaRue, Cindy vierundzwanzig Stunden Zeit zum Ausräumen des Hauses zu geben. Um den Deal zu besiegeln, zog er sein Portemonnaie aus der Tasche und drückte Ed ein paar Scheine in die Hand. „Das Abendessen geht auf mich, okay?“

Besänftigt nahm Ed das Geld. „Ich bin einverstanden, weil Sie ein Mann des Gesetzes sind. Aber bis morgen früh ist das Haus leer, oder ich verlange Schadenersatz.“

Er schloss das Fenster. Der Wagen rumpelte aus der Einfahrt und die Straße hinunter.

Cindy sah Luke an. „Das hättest du nicht tun müssen.“

„Ich möchte dir helfen.“

„Wie viel hast du ihm gegeben? Ich zahle es dir zurück.“

„Mach dir deshalb keine Gedanken. Wichtig ist nur, dass du jetzt noch etwas Zeit hast. Ich komme nachher und helfe dir. Wohin willst du eigentlich gehen?“

Ja, wohin? Sie hatte das Haus ihrer Eltern verkauft. Und weitere Verwandte hatte sie nicht in der Gegend.

Aber sie wollte Luke ihre Notlage nicht eingestehen. Schließlich hatte er sie von Anfang an vor Dex – verdammt, Marvin – gewarnt. Sie fühlte sich schrecklich gedemütigt und dumm und konnte Lukes gut gemeinte Hilfe nicht länger ertragen.

„Mach dir keine Gedanken. Ich weiß, wohin“, sagte sie. „Meine Möbel lasse ich alle hier. Die kommen sowieso alle vom Flohmarkt – und die kann Ed LaRue gern haben. Ich nehme nur unsere Kleidung und ein paar persönliche Dinge mit. Nur das, was in meinen Kofferraum passt. Vielen Dank für deine Hilfe, Luke – aber ich schaffe es allein. Es ist alles in Ordnung.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Geh schon. Fang deine Verbrecher. Ich muss packen.“

„Wenn ich herausfinde, dass du gelogen hast, dann bekommst du es mit mir zu tun“, drohte er. „Ruf mich an, sobald du dich irgendwo häuslich eingerichtet hast.“

„Ja.“ Den Teufel würde sie tun.

„Ach so, und du sollst dich bei den beiden Frauen melden – Brenna und Sonya.“

„Warum?“ Sie hatte keine Lust, mit diesen Frauen in Selbstmitleid zu baden. Frauen, die Dex oder wie immer er heißen mochte, geliebt hatten, Frauen, die mit ihm geschlafen hatten und ihn heiraten wollten. „Ich will nach vorne und nicht zurück blicken.“

„Nun, die beiden sind hinter Marvin her, um ihr Geld zurückzubekommen. Ich habe versprochen, ihnen zu helfen. Du hast ihn als Letzte gesehen und vielleicht Informationen, die uns weiterbringen könnten.“

„Ich werde darüber nachdenken.“ Sie konnte immer noch nicht recht glauben, was geschehen war, sondern rechnete insgeheim damit, dass Dex’ gelber Porsche in der Einfahrt auftauchen würde, den Kofferraum voller Geschenke für Adam und sie.

„Eins noch.“ Ohne Vorwarnung zog Luke sie an sich und umarmte sie fest.

„Luke!“

„Pst. Du kannst es gebrauchen.“

Obwohl sie wusste, dass es falsch war, genoss sie einen Moment lang die Umarmung und die Wärme seines Körpers. Auf Luke hatte sie sich immer verlassen können. „Danke, Luke“, flüsterte sie, als er sich schließlich von ihr löste, und flüchtete ins Haus, da sie den Tränen gefährlich nah war.

Das Haus, das nicht länger ihr Haus war. Cindy schüttelte ihre Lethargie ab. Es wurde Zeit, dass sie endlich handelte und Entscheidungen traf. Sie und Adam mussten irgendwo unterkommen, und vielleicht gab es tatsächlich einen Ort, wohin sie gehen konnten.

Sie besaß noch das Boot ihrer Eltern, das im Yachthafen von Cottonwood vor Anker lag. Es war ein altes, sieben Meter langes Kajütboot. Seit Jahren war es nicht mehr benutzt worden, und Cindy hatte es eigentlich verkaufen wollen.

Dex gegenüber hatte sie das Boot nie erwähnt. Es könnte also der einzige Vermögensgegenstand sein, den er übersehen hatte. Das Boot hatte eine Schlafkabine mit einem richtigen Bett, eine kleine Bordküche und eine Schiffstoilette. Erst kürzlich hatte Cindy die Liegegebühr für die nächsten sechs Monate bezahlt.

Vielleicht war es keine ideale Lösung, aber immer noch besser, als im Auto zu schlafen.

Sie begann zu packen. Auf dem Dachboden fand sie ein paar Kisten und Koffer für ihre Kleidung – sie besaß nicht viel –, die Toilettenartikel und Adams Lieblingsspielzeug. Der zusammenklappbare Laufstall musste auch mit. Sie lud alles in ihren Wagen.

Zum Schluss verstaute sie die Lebensmittel. Die Vorräte würden für ein paar Tage reichen.

„So, mein Schatz“, sagte sie leise zu Adam. „Ich wollte ja unbedingt Abenteuer erleben. Aber ich glaube, das nächste Mal bin ich vorsichtiger mit meinen Wünschen.“

Adam lachte und grapschte nach ihrem Ohrring. Cindy war froh, dass er noch zu klein war, um zu verstehen, was geschehen war, zu klein, ihre unglaubliche Angst zu teilen.

Pleite, heimatlos, arbeitslos und mit Kind. Schöne Bescherung.

3. KAPITEL

Luke hielt sich hinter einem Hausboot versteckt. Er hatte zwar Gerüchte gehört, dass Cindy und Adam auf dem alten Boot ihrer Eltern wohnten, aber er wollte sich selbst davon überzeugen.

Tatsächlich, die Persenning war von dem alten Kajütboot „Cindy-Lou“ entfernt worden. Und es sah aus, als hätte jemand zumindest den gröbsten Schmutz vom Boot beseitigt. Carlo Bruno, der Hafenmeister, hatte Luke erzählt, dass das Boot hier seit Jahren ankerte und gerade so viel daran getan wurde, dass es nicht sank.

Luke konnte keine weiteren Lebenszeichen entdecken. Er entschied, zum Boot zu gehen und nach Cindy zu sehen. Sie war in einem sehr labilen Zustand gewesen, als er sie vor ein paar Tagen verlassen hatte.

Er erinnerte sich an die Zeit, als seine Mutter in einer ähnlich schwierigen Situation gewesen war. Damals war er etwa vier Jahre alt gewesen, und seine Mutter war aus der schäbigen Wohnung in Tyler hinausgeworfen worden. Danach mussten sie eine Zeit lang im Auto schlafen.

Er wünschte, dass damals jemand versucht hätte, seiner Mutter zu helfen, als es noch nicht zu spät war.

Luke klopfte an die Lukentür. Cindy öffnete, und Luke freute sich, dass sie wesentlich besser aussah als noch vor ein paar Tagen. Keine verweinten Augen. Die Haare waren frisch gewaschen und glänzten, und sie trug saubere Jeans und ein helles pinkfarbenes T-Shirt mit V-Ausschnitt, der ihren Brustansatz andeutete.

„Was willst du?“, fragte sie misstrauisch.

„Ich habe gehört, dass du mit Adam hier wohnst. Ich wollte nur sehen, wie es euch geht.“

„Gut. Es ist alles in Ordnung. Das kannst du allen Klatschtanten in der Stadt erzählen. Mann, die müssen einen Heidenspaß daran haben.“

„Cindy, wenn du glaubst, dass deine Freunde und Nachbarn sich über dein Pech freuen, dann irrst du dich. Jeder, der dich kennt, macht sich große Sorgen. Darf ich reinkommen?“

Sie zuckte nur mit den Schultern und ging die wenigen Stufen hinunter. Luke folgte ihr und sah sich unauffällig um. Das Boot war in einem besseren Zustand, als er befürchtet hatte.

„Möchtest du Kaffee? Es ist nur löslicher Kaffee und schmeckt nicht so wie in meinem Café, aber er hat immerhin Koffein.“

„Gern. Wo ist Adam?“

„Er schläft noch. Die letzten Tage waren recht anstrengend.“

Sie ging zwei Schritte in die kleine Bordküche. Nichts war hier mehr als zwei Schritte entfernt. Luke musste jedoch zugeben, dass es ein hübsches und gemütliches Boot war. Der Teppichboden und die Polster wirkten neu, der Anstrich überraschend frisch. Alles war aufgeräumt und ordentlich, bis auf die Kisten, die sich in einer Ecke des Raumes stapelten.

Einen Moment später reichte Cindy ihm einen Becher mit dampfendem Kaffee.

„Was, kein Brötchen mit Honig?“

„Weißt du, vor ein paar Tagen habe ich mich noch über die vielen Brötchen beschwert, die ich backen musste. Jetzt würde ich alles dafür geben, wenn ich wieder in der stickigen Küche wäre und Mehl an den Händen hätte.“

„Vielleicht kannst du es zurückbekommen?“

„Wie?“

„Zuerst einmal müsstest du mit Sonya und Brenna sprechen.“

„Sind sie immer noch hier?“

„Sie versuchen, so viele Informationen wie möglich über Marvin zu sammeln, aber ohne dich ist das gar nicht so einfach.“

„Wofür soll das gut sein?“ Sie sank auf die Liege und nippte an ihrem Kaffee. „Der Mann hat mich doch von vorn bis hinten belogen. Ich weiß so gut wie nichts über ihn.“

„Vielleicht doch. Die meisten Betrüger bleiben zumindest ansatzweise bei der Wahrheit, damit sie glaubwürdiger klingen. Du weißt vielleicht mehr, als du denkst. Sein Wagen zum Beispiel. Du hast viel Zeit darin verbracht. Erinnerst du dich an das Nummernschild oder irgendwelche charakteristischen Merkmale wie Beulen oder Kratzer? Vielleicht können wir ihn über sein Auto finden.“

Cindy zog die Augenbrauen zusammen. „Im Moment weiß ich überhaupt nichts. Aber ich werde versuchen, mich zu erinnern.“

„Sprich mit den Damen.“

„Okay, wenn du meinst.“

Er zögerte, wollte sie nicht weiter drängen, aber er hatte Fragen, die er einfach stellen musste. „Cindy, was willst du jetzt tun? Du kannst doch nicht hier leben.“

„Warum denn nicht? Ich habe sogar eine Küche.“ Sie deutete auf die Kochplatte, den einzigen Schrank und etwa einen Quadratmeter Platz. „Und ein Badezimmer.“ Sie zeigte auf eine geschlossene Tür, hinter der sich eine Schiffstoilette und ein Waschbecken befanden, aber keine Dusche.

„Wo schläfst du?“

„Im Bug ist eine Schlafkabine. Du kannst sie dir ansehen.“

„Ich will Adam nicht wecken.“

„Es wird sowieso Zeit, dass er aufsteht.“

Luke stellte seine Tasse ab und ging leicht gebeugt zum Bug – er konnte nicht einmal stehen, so niedrig war die Decke. Er stieß eine Tür auf und stand im „Schlafzimmer“ – einem winzigen, dreieckigen Bereich mit Laken und Decken über merkwürdig geformten Polstern. Adam war schon wach. Er saß im Bett und sah aus dem Bullauge. Die meisten Babys, die Luke kannte, fingen an zu schreien, sobald sie wach wurden. Adam nicht. Er war ein sehr pflegeleichtes Kind.

„Hi, Sportsfreund.“ Adam drehte sich neugierig zu Luke um. „Ich wette, du hast Hunger.“

„Bringst du ihn mit raus?“, fragte Cindy.

„Wenn er sich das von mir gefallen lässt.“ Ohne Protest ließ Adam sich von Luke auf den Arm nehmen. Er brabbelte glücklich vor sich hin und schmiegte sich an Luke.

Luke war merkwürdig zumute, als er das Baby hielt. Wenn die Dinge früher nach Wunsch gelaufen wären, dann wäre Cindys Kind auch sein Kind. Wahrscheinlich hätten sie jetzt schon eine ganze Horde Kinder.

„Da ist ja mein kleiner Schatz“, sagte Cindy und streckte die Arme nach dem Kleinen aus. „Du brauchst eine frische Windel.“

„Wo badest du ihn?“, fragte Luke.

„Der Yachthafen hat sehr schöne sanitäre Anlagen mit Duschen und allem.“

„Adam duscht also.“

„Er lernt es. Wir duschen zusammen.“

Schnell verdrängte Luke das Bild, das vor seinem geistigen Auge auftauchte. „Cindy … du kannst hier nicht bleiben.“

„Warum nicht? Es geht uns gut. Außerdem ist es nur vorübergehend. Bis ich weiß, was ich tun werde.“

„Gibt es hier eine Heizung?“

„Nein. Aber es ist draußen noch sehr warm.“

„Wir haben jetzt Oktober. Du weißt, dass das Wetter sich ganz schnell ändern kann.“

„Mit dem Problem beschäftige ich mich, wenn es so weit ist.“

Ihre Auseinandersetzung wurde durch ein Klopfen an der Lukentür unterbrochen. Verängstigt sah Cindy Luke an.

„Soll ich öffnen?“, fragte er.

„Ja, bitte.“ Sie zog gerade Adams Pyjama hoch. „Falls es die beiden Frauen sind, dann sag ihnen, dass ich erst mit ihnen sprechen werde, wenn ich so weit bin.“

Luke stieg die Stufen hinauf und schob den Riegel zurück. Er stieß die Lukentür auf und sah in die runden, braunen Augen einer attraktiven Afroamerikanerin.

Sie lächelte unsicher. „Hallo, ich bin Beverly Hicks. Ich suche Cindy Lefler.“

Alarmglocken läuteten in Lukes Kopf. Die äußere Erscheinung der Frau und ihr Verhalten sagten alles: Angestellte des öffentlichen Dienstes.

„Sie sind hier richtig“, sagte Luke. Es würde Cindy langfristig nicht helfen, die Frau abzuwimmeln.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte Cindy kühl.

„Ich bin vom Jugendamt. Mir ist berichtet worden, dass Sie mit einem Baby auf diesem Boot leben.“ Beverly Hicks warf einen viel sagenden Blick auf Adam, dann stellte sie Cindy dieselben Fragen, die auch Luke gestellt hatte – Badezimmer, Schlafmöglichkeiten, Heizung. Ganz offensichtlich gefielen ihr die Antworten nicht.

Cindys aggressive Art war auch nicht gerade hilfreich. „Mrs. Hicks, macht dieses Baby einen vernachlässigten oder unglücklichen Eindruck auf Sie? Wer hat Ihnen eigentlich erzählt, dass wir hier leben?“

„Das ist vertraulich. Ich habe nur dafür zu sorgen, dass gewisse Kriterien erfüllt werden. Und das ist hier nicht der Fall. Das Kind hat nicht einmal ein eigenes Bett.“

„Es schläft in meinem. Viele Eltern nehmen ihr Baby mit in ihr Bett.“

„Aber die Bestimmungen besagen, dass ein Kind ein eigenes Bett braucht. Außerdem muss es ein Badezimmer geben. Und die Wohnung muss beheizbar sein.“

Das klingt gar nicht gut, dachte Luke.

„Es ist nur vorübergehend“, sagte Luke. Er gab der Sozialarbeiterin die Hand. „Ich bin Deputy Luke Rheems. Ich verbürge mich für Cindy – sie ist wirklich eine wundervolle Mutter.“

Beverly schüttelte seine Hand, während sie ihn schweigend abschätzte. „Ich bin sicher, dass Mrs. Lefler tut, was sie kann. Trotzdem sind diese Zustände unhaltbar. Adam kann schon laufen. Er könnte wach werden, hinauslaufen, vom Boot fallen und ertrinken.“

„Niemals!“, widersprach Cindy.

„Trotzdem. Ich fürchte, ich muss Ihnen vorübergehend das Sorgerecht entziehen. Wir geben ihn in eine Pflegefamilie, bis Sie eine Wohnung gefunden haben, die den Anforderungen entspricht.“

Entsetzt sah Cindy die Frau an und schlang die Arme um Adam. „Sie nehmen mir mein Kind nicht weg. Niemals!“

Hilfe suchend wandte Beverly sich an Luke. „Sie sind doch Gesetzeshüter und kennen sich mit den Gesetzen aus, oder?“

Leider, ja. Trotzdem stimmte er Cindy zu. Adam würde auf keinen Fall in eine Pflegefamilie kommen. Schon bei dem Gedanken daran stieß ihm der Kaffee bitter auf.

„Es muss doch noch eine andere Möglichkeit geben“, sagte Cindy mühsam beherrscht.

„Gibt es vielleicht einen Verwandten, bei dem das Kind bleiben könnte?“, fragte Beverly. „Was ist mit dem Vater? Weiß er Bescheid?“

Cindy wollte gerade etwas sagen, aber Luke kam ihr zuvor. „Ich bin Adams Vater“, sagte er. „Cindy und ich haben gerade über die Möglichkeit gesprochen, dass ich Adam zu mir nehme, bis ihr Leben wieder in geregelten Bahnen verläuft.“

Cindy fiel die Kinnlade hinunter. Sie wollte widersprechen, aber Beverly lächelte erleichtert auf. „Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Das ist ja eine völlig andere Situation. Sie stehen also in einem eheähnlichen Verhältnis zueinander?“

„Ja“, sagte Luke schnell.

„Haben Sie Erfahrung im Umgang mit einem Baby?“, fragte Beverly misstrauisch. Offensichtlich hatte sie Zweifel, dass dieser große, kräftige Gesetzeshüter den Unterschied zwischen einer Windel und einem Schnuller kannte.

„Ja, Ma’am. Ich bin in einer Pflegefamilie mit vielen Kindern aufgewachsen. Ich weiß, wie man Windeln wechselt und Fläschchen wärmt.“ Er nahm Adam und knuddelte ihn, als wollte er seine Worte mit Taten unterstreichen. Er wusste, dass Adam sich nicht wehren würde.

Beverly nickte. „Und wer kümmert sich um das Kind, wenn Sie arbeiten?“

„Meine Mutter – Pflegemutter – lebt nebenan. Sie kümmert sich gern um Adam.“

Beverly sah Cindy erwartungsvoll an, die sich mittlerweile gefasst hatte. „Wären Sie mit dieser Regelung einverstanden?“

„Sie ist nicht ideal, aber besser als eine Pflegefamilie.“

Beverly lächelte. „Sehr schön. In zwei oder drei Tagen komme ich wieder, um mich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist.“

„Danke“, sagte Luke.

Beverly notierte sich seine Adresse, Telefonnummer, Arbeitszeiten sowie Namen und Adresse seiner Pflegemutter. Dann wandte sie sich wieder an Cindy. „Kann ich noch irgendetwas für Sie tun? Brauchen Sie Lebensmittel oder Windeln?“

„Ich bin kein Sozialfall“, sagte Cindy entrüstet. „Ich habe immer für mich selbst gesorgt, und dabei wird es auch bleiben.“

„Entschuldigen Sie, aber ich war einmal ein Sozialfall, wie Sie es nennen“, sagte Beverly kalt. „Jeder braucht ab und zu Hilfe. Seien Sie nicht zu stolz, sie anzunehmen.“ Mitleidig sah sie Adam an, zerzauste seine Haare und ging dann.

Luke und Cindy starrten sich schweigend an, bis sich das Klappern von Beverlys Absätzen auf dem Holzsteg entfernte.

„Bist du verrückt geworden?“, fuhr sie Luke an.

„Du solltest mir lieber danken. Ich habe verhindert, dass diese Frau dir Adam wegnimmt, oder?“

„Ja, mit einer Riesenlüge! Und was passiert, wenn sie die Wahrheit herausfindet?“

„Das wird sie nicht.“

„Natürlich wird sie! Sie wird zu dem Menschen gehen, der sie informiert hat, und sagen, dass Adam bei seinem Vater lebt. Dann erfährt sie, dass Adams Vater tot ist, und die Hölle ist los.“

„Nein, Cindy, dazu wird es nicht kommen. Mach dir keine Sorgen.“

„Keine Sorgen machen. Du bist lustig“, sagte sie sarkastisch. „Diese Frau wird wiederkommen. Und sie erwartet, dass Adam bei dir zu Hause ist und von seiner Großmutter versorgt wird.“

„Und diese Familienidylle wird sie auch vorfinden.“

„Nur über meine Leiche. Bloß weil du der Vizesheriff bist, bedeutet das noch lange nicht, dass du mir mein Kind wegnehmen kannst. Schlag dir das aus dem Kopf.“

Cindy holte Orangensaft aus der Kühlbox und schenkte etwas davon in die Schnabeltasse. Adam streckte eifrig die Hände danach aus.

Hoffentlich verschwand Luke endlich. Er war zu groß für dieses kleine Boot, seine Anwesenheit zu übermächtig. Selbst Beverly, eine völlig Fremde, hatte sich seinem Einfluss nicht entziehen können.

Und wahrscheinlich auch nicht seinem Sexappeal. Welche Frau konnte das schon? Obwohl Beverly mindestens zehn Jahre älter als Luke war, hatte sie ihn schmachtend wie ein verliebter Teenager angesehen.

Man konnte ihn einfach nicht ignorieren, obwohl Cindy es wirklich versuchte.

„Vielleicht hast du es noch nicht begriffen“, sagte Luke. „Ich will dir dein Kind doch nicht wegnehmen. Im Gegenteil, ich tue alles, damit ihr zusammenbleibt.“

„Tut mir leid, Luke“, sagte sie. „Die Sache macht mich fertig. Ich fühle mich wie eine streunende Katzenmutter, die jedem ihre Krallen zeigt, auch wenn er nur helfen will.“

„Ich habe eine Idee. Du kennst doch den Garagenschuppen hinter meinem Haus. Das Dach ist zu einer Wohnung ausgebaut. Sie ist seit Jahren nicht mehr benutzt worden, aber sie hat ein Badezimmer und eine Kochnische.“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Ich kann mir die Miete nicht leisten.“ Es war die erstbeste Entschuldigung, die ihr in den Sinn kam. In Wirklichkeit musste sie seine Nähe meiden, denn gegen Lukes Ausstrahlung war sie machtlos – selbst nach all den Jahren, die inzwischen vergangen waren, seit sie miteinander geschlafen hatten. Acht Jahre Ehe, ein Baby und eine Affäre mit Dex alias Marvin, und dennoch war sie keine Nacht ins Bett gegangen, ohne nicht zumindest flüchtig an ihre erste Liebe zu denken, und was geworden wäre, wenn sie mit Luke zusammengeblieben wäre.

„Habe ich etwas von Miete gesagt? Die Wohnung steht leer. Sie ist nicht groß, und sie muss gründlich überholt werden, aber das Jugendamt dürfte damit zufrieden sein.“

„Kannst du mich nicht endlich allein lassen?“

„Okay, ich gehe. Aber zuerst musst du mir noch ein paar Fragen beantworten.“

„Was immer du willst.“

„Was soll ich Beverly Hicks sagen, wenn sie morgen oder übermorgen kommt?“

„Sag ihr, dass wir unsere Meinung geändert haben.“

„Gut. Und wenn sie herkommt? Sie wird es tun, das weißt du. Es ist ihr Job. Du hältst sie vielleicht für kleinlich, aber sie liebt Kinder, sonst hätte sie diesen Beruf nicht gewählt. Sie wird nicht locker lassen. Wenn sie das nächste Mal kommt, nimmt sie dir Adam weg. Und wenn du ihn nicht freiwillig herausgibst, dann holt sie mich, um ihr zu helfen.“

„Kann sie das tun?“, fragte Cindy und hatte zum ersten Mal Angst.

Er nickte. „Das passiert immer wieder. Meine Mutter hat dasselbe erlebt, Cindy. Und sie hat mich nie zurückbekommen.“

Luke sprach nicht gern über seine Vergangenheit. Auch Cindy hatte er nur wenig über die Zeit erzählt, bevor er mit vierzehn nach Cottonwood kam, obwohl sie ineinander verliebt und unzertrennlich gewesen waren. Immer wenn sie danach gefragt hatte, war er ausgewichen.

Für Cindy begann Lukes Leben im Alter von vierzehn, als er zu Polly Ferguson kam, der einzigen Pflegemutter, die mit ihm umgehen konnte. Sie war die einzige Frau, bei der er länger als sechs Monate blieb. Für ihn war sie seine Mutter, und Mike Baskin, ebenfalls ein Pflegekind von Polly, stand ihm so nah wie ein leiblicher Bruder.

Er hatte die schmerzlichen Erinnerungen immer für sich behalten. Aber jetzt erzählte er davon. Es war die einzige Möglichkeit, um Cindy wachzurütteln. Und es funktionierte. Sie erklärte sich schließlich widerwillig einverstanden, in das Apartment zu ziehen.

Am Nachmittag kehrte Luke mit einem Hänger zum Yachthafen zurück. Cindy und er luden ihre wenigen Habseligkeiten in etwa fünf Minuten auf den Wagen.

„Adam braucht ein Kinderbett“, sagte sie und brach das Schweigen. „Meinst du, dieser schreckliche Ed LaRue lässt mich das alte Bett aus meinem – seinem – Haus holen?“

„Er hat alle Möbel an die Straße gestellt“, sagte Luke. „Ich bin dort vorbeigefahren.“

„Das kann ich ihm nicht verübeln. Er war wahrscheinlich entsetzt, was für einen Plunder ich ihm hinterlassen habe.“ Bei dem Gedanken musste sie lächeln. „Ich hätte die Sachen doch einlagern sollen. Sie sind zwar nichts wert, aber vielleicht brauche ich etwas davon.“

„Komm, vielleicht sind die Sachen ja noch nicht abgeholt worden.“ Luke war froh, dass Cindy endlich wieder weiter als an die nächsten zehn Minuten dachte. Sie war immer energiegeladen gewesen und hatte große Pläne gehabt. Dass sie auf einmal nicht in der Lage war, über den Tag hinaus zu planen, war für ihn sehr schmerzhaft gewesen.

Erleichtert stellte Luke fest, dass Cindys Möbel noch an der Straße standen.

„Ich kann das Kinderbett nicht entdecken“, sagte Cindy. „Wahrscheinlich hat es schon jemand mitgenommen. Und mein Bett ist auch nicht mehr da. Verdammt, warum habe ich nicht nachgedacht?“

„Das ist unter diesen Umständen ein bisschen viel verlangt. Polly hat sicher noch ein Kinderbett. Was willst du von diesen Sachen mitnehmen?“

„Alles“, sagte sie entschlossen und krempelte die Ärmel hoch. „Was ich nicht gebrauchen kann, verkaufe ich.“

„Also los.“ Es tat Luke gut, diese Entschlossenheit in ihrer Stimme zu hören und das Glitzern in ihren Augen zu sehen. Gemeinsam luden sie den Tisch und die Stühle auf, einige Bücherregale, ein Sofa, Nachttische, einige Lampen und Bilder und einen Fernsehschrank.

„Der Fernseher und der Videorekorder sind wohl weg“, sagte sie. „Wie konnte ich nur so gedankenlos sein?“

„Hör auf, immer wieder mit dir zu hadern, Honey.“ Das Kosewort rutschte ihm ungewollt heraus. Cindy sah ihn warnend an, sagte jedoch nichts. „Sei etwas nachsichtiger mit dir selbst, okay? Konzentrier dich auf die Zukunft.“

„Ja.“

Sie würde umdenken müssen. Niemals hätte sie gedacht, dass sie einmal pleite und ohne Job sein könnte. Sie hatte ihr Leben lang gearbeitet. Und wenn sie auch nie reich gewesen war, hatte es immer gereicht.

„Hast du schon irgendwelche Pläne?“, fragte Luke ganz nebenbei.

„Ich habe noch nicht groß darüber nachgedacht“, gab sie zu.

Luke schloss den Hänger, und sie stiegen wieder in seinen Wagen. Adam schlief selig auf seinem Sitz.

Er wäre ein idealer Reisebegleiter, dachte Cindy wohl zum hundertsten Mal. Und verdammt, sie würde den Traum, mit ihm zu reisen, nicht aufgeben. Sie musste nur noch herausfinden, wie. „Zuerst brauche ich einen Job.“

„In einem Restaurant?“

„Vielleicht, allerdings ist mir im Moment keins hier in der Nähe bekannt, das jemanden einstellt.“

Er fuhr in die Einfahrt zu seinem Haus. Es war ein großes altes Holzhaus mit einer Veranda, die sich über die ganze Breite erstreckte.

„Das Haus ist größer, als ich es in Erinnerung hatte“, sagte sie. „Warum läuft hier nicht schon eine Horde Kinder herum?“

„Du wolltest ja nicht“, scherzte er, doch sein Lächeln schien gezwungen. Er fuhr um das Haus herum. An der Rückseite war die Garage angebaut. Hier gab es Platz für drei Autos und darüber eine kleine Wohnung. „Ich war schon lange nicht mehr oben. Das letzte Mal war aber alles in Ordnung.“

Und wenn es jetzt nicht mehr so ist?, überlegte Cindy.

Sie parkten und stiegen aus. Adam war aufgewacht und sah sich neugierig um. Er streckte die Arme nach Cindy aus. „Mommy.“

Sie lachte. „Luke, hast du das gehört? Er hat Mommy gesagt.“

„Zum ersten Mal?“ Aufgeregt kam er um den Wagen herum.

„Er gibt schon seit einiger Zeit solche Laute von sich“, sagte sie und hob ihn aus seinem Kindersitz. „Aber ich wusste nie, ob es wirklich etwas zu bedeuten hat oder ob er einfach vor sich hin plappert. Diesmal war es klar. Er hat mich angeguckt, die Arme nach mir ausgestreckt und Mommy gesagt.“ Sie umarmte ihren Sohn. „Du bist so ein kluges Kerlchen, Adam.“ Plötzlich traten ihr Tränen in die Augen. Warum war Jim nicht bei ihr? Der Vater des Kindes sollte dabei sein, wenn es die ersten Worte sprach. Und Luke war nicht Adams Vater.

Trotzdem war sie froh, dass sie diesen Moment überhaupt mit einem Menschen teilen konnte. Seit Jims Tod war sie so viel allein gewesen. Adam war damals erst zwei Monate alt gewesen. Jim hatte die ersten Schritte seines Sohnes nicht miterlebt, seinen ersten Zahn, die schmerzhafte Mittelohrentzündung. Und dann der unerwartete Tod ihrer Mutter.

Kein Wunder, dass sie auf Dex hereingefallen war. Endlich hatte es einen Menschen gegeben, an den sie sich anlehnen konnte, jemanden, dem sie sich anvertrauen und mit dem sie Freud und Leid teilen konnte. Sie musste ein unglaublich leichtes Opfer gewesen sein. Plötzlich konnte sie die Tränen nicht mehr aufhalten und schluchzte.

„Cindy?“

Die Sorge in Lukes Stimme war ihr unerträglich. Nein, sie würde sich nicht wieder dem erstbesten Mann an den Hals werfen, der sich für sie interessierte.

Dex’ einziges Interesse war gewesen, an ihr Geld zu kommen. Was aber wollte Luke von ihr? Geld hatte sie nicht mehr.

„Tut mir leid.“ Sie rieb sich die Augen. „Manchmal überkommt es mich.“

Glücklicherweise machte Luke keine große Sache daraus. Er reichte ihr eine Packung Papiertaschentücher. Dann kramte er nach dem Wohnungsschlüssel, während sie sich die Tränen abwischte und schnäuzte und Adam auf ihre Hüfte setzte.

„Okay“, sagte sie und holte tief Luft. „Sehen wir uns das Apartment an.“

Cindy stieg vor Luke die Treppe hinauf, ging dann zur Seite, damit er die Tür aufschließen konnte, die direkt in die winzige Kochnische führte. Sie traten ein, wurden aber von einem widerlichen Gestank abgestoßen.

„Es ist lange nicht gelüftet worden“, sagte Luke. „Wahrscheinlich müsste auch mal richtig geputzt werden.“

Cindy war nicht sonderlich begeistert. Sie hatte die letzten Tage damit verbracht, das Boot zu schrubben und bewohnbar zu machen. Und dort hatte es bei weitem nicht so gestunken wie hier.

Mit Adam auf dem Arm ging sie weiter ins Wohnzimmer. Sie wagte es nicht, den Jungen abzusetzen. Luke, der direkt hinter ihr ging, schaltete das Licht an. Drei riesige, graue Kreaturen sprangen fauchend vor und huschten unter ein verkommenes Sofa.

Cindy schrie auf und hätte Luke fast umgerannt, als sie versuchte, so weit wie möglich von den Viechern wegzukommen. Adam begann zu weinen.

„Oh mein Gott, was war das?“

„Opossums“, sagte Luke grimmig. „Das Apartment ist offensichtlich doch bewohnt.“ Er lachte. „Aber ich glaube, sie haben mehr Angst vor uns als wir vor ihnen.“

„Das gilt vielleicht für dich. Ich warte draußen.“

Sie kam gar nicht schnell genug die Treppe hinunter.

Ein paar Minuten später folgte Luke ihr. „Ich weiß jetzt, wie die Opossums hereingekommen sind. Das Fenster im Schlafzimmer ist zerbrochen. Und im Dach ist auch ein Loch. Das muss repariert werden, und dann brauchen wir einen neuen Teppich.“

„Mit anderen Worten, das Apartment ist nicht bewohnbar.“

„Ich fürchte, nein.“

„Und das merkst du jetzt erst?“ Die Wärme, die sie vor ein paar Minuten noch für ihn empfunden hatte, hatte sich schnell wie Morgennebel aufgelöst.

„Okay, ich hätte mir die Wohnung ansehen sollen, bevor ich …“

„Ja, das hättest du. Das Boot war vielleicht nicht ideal, aber zumindest gab es da keine widerlichen Tiere.“ Außer ein paar Spinnen.

„Ich kümmere mich um alles. Du kannst in meinem Gästezimmer wohnen, bis ich das Apartment fertig habe. Es dauert nur ein paar Tage.“

„Das könnte dir so gefallen.“

Überrascht sah Luke sie an.

„Du wusstest die ganze Zeit, dass das Apartment nicht bewohnbar ist“, fuhr sie ihn an. „Du hast darin deine Chance gesehen, uns unter dein Dach zu bekommen. Das war ein ganz mieser Trick.“

„Ein Trick?“

„Du glaubst, dass wir uns in deinem großen Haus so wohl fühlen werden, dass wir gar nicht wieder wegwollen. Und damit willst du mir beweisen, dass du Recht hast.“

„Recht haben? Womit?“

„Damit, wie Kinder aufwachsen sollten. Du hast mich immer für eine schlechte Mutter gehalten, weil ich mit Adam reisen und mit ihm aus Cottonwood verschwinden wollte. Seit wir achtzehn waren, träumst du von dieser Familienidylle. Und jetzt hast du dein Ziel erreicht, denn ich habe keine andere Wahl, als bei dir einzuziehen.“

Plötzlich ging ihr ein entsetzlicher Gedanke durch den Kopf. „Warst du es, der uns beim Jugendamt verpfiffen hat? Wie praktisch, dass du gerade bei mir warst, als die Sozialarbeiterin kam.“

Luke wurde rot vor Wut. „Wie kannst du mir so etwas unterstellen?“, explodierte er. „Ich will dir nur helfen, Adam zu behalten. Tut mir leid mit der Wohnung. Wenn du nicht bei mir bleiben willst, dann bringe ich dich zurück zu deinem Boot, und du kannst tun, was du willst.“

Was war nur mit ihr los, dass sie den einzigen Menschen angriff, der ihr helfen konnte? Beverly Hicks hatte Recht – ihr verdammter Stolz würde sie noch vernichten. „Bitte entschuldige, Luke. Ich bin mit den Nerven einfach am Ende. Okay, ich ziehe in dein Gästezimmer. Aber nur vorübergehend. Nur bis ich wieder auf eigenen Füßen stehen kann.“

„Es war nie als Dauerlösung gedacht.“ Seine Wut war schon wieder verraucht. „Komm, ich zeige dir das Zimmer. Ich habe das Dachgeschoss für Gäste ausgebaut. Du wohnst also in einer anderen Etage als ich.“

Das Dachgeschoss glich einer hübschen Puppenstube. Ein glänzender Holzfußboden, hellgelbe Wände mit weißen Absätzen. Die Wohnung hatte ein kleines Schlafzimmer, ein etwas größeres Wohnzimmer und ein winziges, gelb gekacheltes Badezimmer.

„Es ist wunderschön“, sagte sie. Blitzartig erkannte sie, woran Luke gedacht hatte, als er den Dachboden renovierte. Dieser Bereich war für ein Kind gedacht, vielleicht auch für zwei. Der Raum in der Mitte war das Spielzimmer. Das Herz wurde ihr schwer bei dem Gedanken, dass Lukes Wunsch nach einer Familie immer noch unerfüllt war.

Er ist erst achtundzwanzig, rief sie sich in Erinnerung. Er hat noch viel Zeit, das bodenständige Mädchen zu finden, das er sich immer gewünscht hat. Und so sexy und attraktiv, wie er war, konnte er sicher jede Frau haben, wenn er es nur versuchte.

Viele Jahre hatte sie fast ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie nicht diejenige war. Damit war jetzt Schluss. Es gab genug andere Dinge, um die sie sich Sorgen machen musste.

Luke war gar nicht aufgefallen, wie sehr ihm Cindys Probleme zu schaffen machten. Erst als sie zustimmte, vorübergehend bei ihm zu wohnen, entspannten sich seine Muskeln, und die Enge in seiner Brust löste sich. Alles würde gut werden. Cindy und Adam waren in Sicherheit. Gegen Adams Unterbringung würde auch Beverly Hicks nichts einwenden können.

Luke rief seinen Bruder Mike an, der nur etwa zehn Minuten entfernt wohnte. Gemeinsam trugen sie einen Teil von Cindys Möbeln in das Dachgeschoss, während Cindy ihren Sohn fütterte. Den Rest verstauten sie in der Garage.

Cindy beteiligte sich nicht aktiv an der Einrichtung ihrer neuen Unterkunft. Als Mike sie fragte, wohin er den Tisch und die Stühle stellen sollte, zuckte sie nur mit den Schultern. „Egal.“ Sie kümmerte sich um die praktischen Dinge wie das Beziehen der Betten.

Polly brachte ein Kinderbett, konnte aber nicht bleiben, weil sie das Essen für ihre fünf Pflegekinder zubereiten musste.

Luke brachte sie zu ihrem Wagen. „Danke, Polly. Auf dich ist immer Verlass.“

Polly winkte ab. „Schon gut, Luke. Weißt du wirklich, was du da tust? Ich mag Cindy sehr, aber sie hat dir schon einmal das Herz gebrochen.“

„Ich bin nicht mit ihr zusammen“, sagte Luke schnell. „Ich helfe ihr nur.“

Polly zog die Augenbrauen hoch. „Wirklich? Steckt hinter deiner Hilfsbereitschaft nicht viel mehr? Willst du ihr nicht vielleicht beweisen, was für ein guter Ehemann und Familienvater du sein würdest?“

„Polly, hör auf.“ Aber es war genau das, was Cindy ihm zwei Stunden zuvor vorgeworfen hatte.

„Sei vorsichtig. Ruf an, wenn du etwas brauchst. Du weißt, dass ich jederzeit gern auf den kleinen Adam aufpasse.“

Luke sah Polly nach und überlegte, ob sie und Cindy nicht doch in gewisser Weise Recht hatten. Ihm war zwar nicht bewusst gewesen, in was für einem schlechten Zustand sich die Wohnung befand, und ganz sicher hatte er nicht beim Jugendamt angerufen und Cindy als schlechte Mutter dargestellt – so gemein war er nicht. Doch der Gedanke, dass Cindy und Adam unter seinem Dach lebten, gefiel ihm. Vielleicht hoffte er insgeheim doch, Cindy davon überzeugen zu können, dass er der Richtige für sie war.

Ein Jahr war seit Jims Tod vergangen. Marvin Carter hatte seine Pläne mit Cindy durchkreuzt. Doch der Kerl war über alle Berge, und diesmal würde Luke seine Chance nicht verstreichen lassen.

War es nicht seine Pflicht, Cindy in diesem verletzlichen Zustand bei sich aufzunehmen? Und wo konnte er sie besser beschützen als in seinem eigenen Haus? Kein noch so skrupelloser Mann würde sich an sie heranwagen, solange sie unter dem Dach eines Sheriffs wohnte.

Luke war noch nie in irgendeiner Art berechnend gewesen. Aber der Plan, den er jetzt ausheckte, war nicht ganz selbstlos. Doch im Krieg und in der Liebe waren alle Tricks erlaubt, oder?

Später am Abend stellte Cindy fest, dass sie kaum noch Windeln hatte. Sie sah in ihr Portemonnaie – drei Dollar und achtundzwanzig Cent. Eine unglaubliche Wut überkam sie, und sie wusste endlich, auf wen sie sie richten musste. Nicht auf sich selbst, weil sie so naiv gewesen war. Und ganz bestimmt nicht auf Luke, der nur helfen wollte. Auch nicht auf Jim oder ihre Mutter, weil sie gestorben waren und sie allein gelassen hatten. Der einzige Mensch, der ihre Wut verdient hatte, war Marvin Carter. Seinetwegen hatte sie kein Geld für Windeln.

Schluss mit dem Selbstmitleid. Jetzt würde sie kämpfen. Sie würde Marvin Carter die Hölle heiß machen und sich ihr Geld zurückholen. Das Geld war Jims letztes Geschenk an sie, sein Vermächtnis an Adam.

Aus ihrer Handtasche holte sie die Karte, die Sonya ihr gegeben hatte. Sie hoffte, dass die beiden Frauen noch in der Stadt waren. Gemeinsam würden sie Marvin Carter ausfindig machen und ihn dann ruinieren.

Es gibt nichts Schlimmeres als eine Frau, die betrogen worden ist, hieß es doch. Wie schlimm konnten dann erst drei betrogene Frauen auf einmal sein? Zieh dich warm an, Marvin Carter, dachte sie.

4. KAPITEL

In der ersten Nacht unter Lukes Dach schlief Cindy so gut wie seit einer Woche nicht mehr. Als Adam sie um halb acht mit seinem fröhlichen Geplapper weckte, war sie voller Energie und Tatendrang.

Nach einem ausgedehnten Bad wählte sie sorgfältig ihre Kleidung aus. Heute würde sie sich um eine neue Stelle bewerben. Sie entschied sich für eine khakifarbene lange Hose und dazu ein farblich passendes Seidenshirt. Sie band ihre Haare zusammen, wobei sie darauf achtete, dass sich keine Strähne löste, feilte ihre Fingernägel und cremte die Hände ein. Niemand würde eine Kellnerin mit unordentlichen Haaren oder ungepflegten Händen einstellen.

Aber zuerst wollte sie sich mit Sonya und Brenna treffen. Sie hatte sich mit den beiden Frauen um neun in der Pension Kountry Kozy verabredet.

Unten im Haus war alles dunkel und ruhig. Cindy war enttäuscht. Luke hatte am vergangenen Abend für sie gekocht. Zwar nur Hamburger, aber sie hatte es genossen, von ihm bedient zu werden. Es war so lange her, dass jemand sich um sie gekümmert hatte. Erstaunlich aber auch, wie schnell man sich daran gewöhnen konnte. Sie war tatsächlich enttäuscht, dass er nicht hier war und für sie Spiegeleier briet.

Sie schüttelte den Kopf. Fühl dich hier nicht zu wohl, warnte sie sich selbst. Sie würde sich ihr Geld zurückholen und dann mit Adam reisen. Vielleicht nicht die ganze Zeit first class, so wie sie und der windige Dex es geplant hatten, aber mit einer Dreiviertelmillion Dollar konnte sie viel sehen und erleben. Vorausgesetzt, Marvin hatte nicht schon alles verbraucht.

Sie fand eine Nachricht von Luke. „Cindy, fühl dich wie zu Hause. Bin gegen vier zurück. Polly passt jederzeit auf Adam auf. Luke.“

Und er hatte ihr einen Schlüssel hingelegt.

Cindy beschloss, Pollys Angebot anzunehmen. Adam würde bei ihrem Treffen mit den beiden anderen betrogenen Frauen nur stören. Außerdem machte es keinen guten Eindruck, ihn zu den Bewerbungsgesprächen mitzubringen.

Als sie vor Pollys großem zweigeschossigem Haus hielt, musste sie an ihre Zeit mit Luke denken. Damals hatten sie fast jede freie Minute hier verbracht. In Polly Fergusons Haus war immer etwas los – Kinder rannten lachend und schreiend herum oder rauften miteinander, während Polly in der Küche stand und die Kinder liebevoll, aber streng zur Ordnung rief. Und im Haus hatte es immer nach leckerem Essen gerochen – Eintopf oder Zimtbrötchen, Spaghettisauce, Schokoladenkuchen.

Als Cindy die Stufen zu dem alten Haus hinaufstieg, nahm sie schon den Duft nach frisch gebackenem Brot wahr. Polly öffnete die Tür. Sie lächelte freundlich und sah aus wie immer. Vielleicht waren ihre Haare etwas grauer und ihr Gesicht faltiger geworden, aber sie war noch genauso quirlig wie vor Jahren.

„Cindy, ich freue mich, dass du mein Angebot angenommen hast. Kommt herein. Hi, Adam, wie geht es dir?“

Adam lachte und streckte Polly die Arme entgegen, als sei sie seine Lieblingsgroßmutter.

„Wie viele Kinder wohnen zurzeit bei dir?“, fragte Cindy.

„Die Zwillinge Amber und Ashley sind zwölf und jetzt natürlich in der Schule. Bobby ist achtzehn und besucht eine Technikerschule. Bald wird er sein eigenes Leben führen. Dann sind da noch die Kleinen, vier und fünf Jahre alt. Michelle und Ben. Sie werden ganz verrückt nach dir sein“, sagte sie zu Adam und knuddelte ihn. „Möchtest du einen Tee, Cindy?“

„Danke, aber ich muss wirklich los.“ Sie stellte die Tasche mit den Windeln auf den Fußboden. „Es sind nicht mehr viele“, gab sie zu.

„Mach dir keine Gedanken. Ich habe immer Windeln im Haus. Geh jetzt. Ich kümmere mich um Adam, bis du zurück bist.“

„Polly, du bist ein Schatz. Ich hatte wirklich Angst, dass du mich hinauswerfen würdest, nach allem, was ich getan habe.“

„Du bist nur deinem Herzen gefolgt, Mädchen. Außerdem ist es längst Vergangenheit.“

Cindy umarmte Polly und gab Adam einen Kuss – dann machte sie sich auf den Weg in die Pension Kountry Kozy in der Mitte des Ortes.

Auf dem Weg dorthin kam sie zwangsweise an ihrem Café vorbei. Die Markise war verschwunden, ebenso das Neonlicht, das fast fünfzig Jahre lang im vorderen Fenster geflackert hatte. Jetzt hing dort ein orangefarbenes Banner, das auf die große Eröffnungsfeier hinwies. Über der Tür entdeckte sie ein handgemaltes Schild: Ed’s Enchilada Emporium.

Cindy hätte es nie für möglich gehalten, dass sie einmal mit Wehmut an das Café denken würde. Hastig ging sie weiter und warf nicht einmal einen Blick durch das Fenster, um zu sehen, was Ed LaRue mit der Inneneinrichtung gemacht hatte.

Sie erreichte das hübsche Kountry Kozy und stieg die Treppe hinauf. „Hallo?“

„Wir sind im Salon!“, rief eine weibliche Stimme.

Sonya und Brenna saßen auf einem Jugendstilsofa.

Und Luke stand am Fenster. Was machte er hier?

„Wir haben Deputy Rheems gebeten, bei unserem Gespräch dabei zu sein“, erklärte Sonya.

Cindy nickte, obwohl es ihr unangenehm war, in Lukes Anwesenheit über ihre Dummheit zu sprechen. Es war schon schwierig genug vor den beiden Frauen, aber Sonya und Brenna würden wieder abreisen, während Luke blieb.

Doch dann dachte sie an Adam und seine Zukunft. Ein Studium würde Geld kosten, vielleicht brauchte er auch einmal eine Zahnspange oder eine Brille. Zum Teufel also damit, dass sie sich in eine peinliche Lage brachte. Sie wollte ihr Geld zurückhaben.

Cindy zog einen Stuhl an den Tisch. Fran Bressler, die Besitzerin der Pension, hatte heißen Tee und ihre leckeren, selbst gebackenen Feigenplätzchen auf den Tisch gestellt. Da Cindy noch nicht gefrühstückt hatte – sie wollte sich nicht an Lukes Kühlschrank vergreifen –, aß sie ein Plätzchen. Danach war sie bereit. „Ich habe ein paar Informationen, die uns vielleicht weiterhelfen“, sagte sie, öffnete einen großen Umschlag und schüttete den Inhalt auf den Tisch.

Sonya und Brenna griffen nach den Fotos. Es waren drei gestochen scharfe Bilder, die im Café aufgenommen waren. „Er hat sich einen Bart wachsen lassen“, sagte Sonya aufgeregt.

„Und seine Haare sind kürzer“, fügte Brenna hinzu. „Woher haben Sie diese Fotos? Marvin lässt sich normalerweise nicht fotografieren.“

„Einer meiner früheren Gäste ist Fotograf beim Cottonwood Conversation, sagte Cindy. „Er hat diese Fotos heimlich für mich gemacht. Ich wollte unbedingt …“ Sie sprach nicht weiter, sondern sah Luke verlegen an.

„Sie wollten etwas haben, das Sie an ihn erinnert, wenn er nicht da ist“, beendete Sonya den Satz. „Ich weiß, was Sie meinen. Die Fotos sind fantastisch.“

„Ich werde die Fotos dem FBI geben“, sagte Luke. „Der Kerl ist ein Wiederholungstäter. Ich wette, dass ihr nicht die einzigen Opfer seid.“

„Viel Glück. Bisher war das FBI nicht interessiert“, sagte Brenna.

„Wenn wir nur wüssten, wo er sich jetzt aufhält“, überlegte Sonya.

„Da kann ich auch helfen“, sagte Cindy und blätterte durch die Papiere, die sie mitgebracht hatte. „Das ist die neueste Handyrechnung. Ich wette, die Telefongesellschaft kann herausfinden, wo er sich eingewählt hat.“

„Vielleicht im Haus seiner neuesten Eroberung“, sagte Sonya verbittert. „Ich hoffe, wir erwischen ihn, bevor er die nächste Frau ruiniert.“

„Schade, dass Sie mich nicht ein paar Tage früher gefunden haben“, sagte Cindy. „Wie haben Sie mich überhaupt ausfindig gemacht?“

„Ich bin ihm gefolgt“, sagte Brenna. „Vor einigen Wochen kam mir der Verdacht, dass er mich betrügt.“

Cindy kochte innerlich. „Sie meinen, er war noch mit Ihnen zusammen, als er … dieser Mistkerl. Und ich habe nicht das Geringste bemerkt.“

„Sie waren blind vor Liebe“, sagte Sonya.

„Ich habe ihn nicht geliebt“, murmelte Cindy. Die anderen gingen auf die Bemerkung nicht ein.

„Was ist noch bei den Unterlagen?“, fragte Brenna und überspielte den unangenehmen Moment.

„Hier sind Kopien von der Vollmacht, die ich unterschrieben habe. Der Name einer Anwaltskanzlei in Houston ist dort vermerkt. Außerdem war ich bei der Bank und habe mir Kopien der Dokumente besorgt, die er unterzeichnet hat, als er mein Konto aufgelöst hat. Er hat eine sehr markante Unterschrift.“

„Wir können das Original von der Bank bekommen und es auf Fingerabdrücke untersuchen“, sagte Luke.

„Gute Idee!“, sagte Sonya begeistert. „Bisher haben wir es nicht geschafft, Fingerabdrücke von ihm zu bekommen. Wir sind nicht einmal sicher, dass Marvin Carter sein richtiger Name ist.“

„Mich würde interessieren, wie er es bei Ihnen geschafft hat“, sagte Cindy.

„Bei mir hat er sich als Kunsthändler ausgegeben“, erzählte Brenna. „Ich bin Schmuckdesignerin, und wie die meisten Künstler laufe ich dem Ruhm hinterher. Und da hat er angesetzt. Schließlich ist er mit meinem Geld und all meinen Kreationen verschwunden, einschließlich einiger Schmuckstücke meiner Großmutter.“

„Leider war ich auch leicht zu kriegen“, gestand Sonya beschämt. „Ich habe immer nach einem Mann gesucht, der es auf mich und nicht mein Bankkonto abgesehen hat. Aber jeder, der mir gefiel, war nur hinter meinem Vermögen her – das glaubte jedenfalls meine Mutter. Sie hat jeden Mann verjagt, der mich auch nur angesehen hat. Außer Marvin. Altes Geld, wissen Sie. Er hat sie total getäuscht.“

Autor

Kara Lennox
Kara Lennox hat mit großem Erfolg mehr als 50 Liebesromanen für Harlequin/Silhouette und andere Verlage geschrieben.
Vor ihrer Karriere als Liebesromanautorin verfasste sie freiberuflich Hunderte Zeitschriftenartikel, Broschüren, Pressemitteilungen und Werbetexte. Sogar Drehbücher hat sie geschrieben, die das Interesse von Produzenten in Hollywood, New York und Europa weckten.
Wegen ihrer bahnbrechenden, sehr...
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