Carole Mortimer
JULIA COLLECTION BAND 98
PROLOG
„Ich sollte Sie vermutlich warnen, Miss McKinley. Im Augenblick benimmt sich mein Bruder wie ein arroganter Flegel.“
Muss in der Familie liegen, dachte Stephanie bei sich, während sie Lucan St. Claire ruhig betrachtete.
Er saß hinter einem großen Schreibtisch im Londoner Büro der St. Claire Corporation. Groß, dunkelhaarig und auf eine aristokratische Weise auch attraktiv, jedoch von einer inneren Zurückhaltung, die an Gefühlskälte grenzte. Er war nicht unhöflich im eigentlichen Sinne, verkörperte jedoch förmlich den Inbegriff von Arroganz.
Vielleicht hatte aber auch die Tatsache, dass er an ihr als Frau nicht das geringste Interesse zeigte, etwas mit ihrem vernichtendem Urteil über seinen Charakter zu tun. Aber hey, ein Mädchen durfte doch wohl noch davon träumen, von einem megareichen, bildschönen, exotischen Mann begehrt zu werden? Allerdings lagen die Gründe für sein Desinteresse auf der Hand: Lucan St. Claire verfügte über mehr Geld als so mancher Kleinstaat und verabredete sich laut Presse ausschließlich mit langbeinigen Blondinen. Da hatte sie mit ihrer mäßigen Körpergröße und den feuerroten Haaren eher weniger Chancen, von ihm beachtet zu werden. Zudem war sie lediglich eine selbstständige Physiotherapeutin, die seinen jüngeren Bruder bei dessen Genesung unterstützen sollte.
Gelassen begegnete sie Lucans düsterem Blick. „Die meisten Menschen verändern unter Schmerzen ihr Verhalten und werden zunehmend … aggressiver, Mr. St. Claire.“
Seine wohlgeformten Lippen verzogen sich zu einem humorlosen Lächeln. „Sie werden feststellen, dass Jordan ziemlich aggressiv ist.“
In Gedanken ging sie die Informationen durch, die sie bereits über ihren neuen Patienten gesammelt hatte. Jordan St. Claire war vierunddreißig Jahre alt und der Jüngste von drei Brüdern. Vor sechs Monaten hatte er einen schweren Unfall gehabt und sich dabei fast jeden einzelnen Knochen auf der rechten Seite seines Körpers gebrochen. Selbst nach diversen Operationen waren seine Bewegungen noch sehr eingeschränkt, und so hatte er sich in ein englisches Landhaus zurückgezogen, zweifellos, um dort in totaler Isolation seine Wunden zu lecken.
Soweit fand Stephanie an seinem Verhalten nichts Ungewöhnliches oder Bemerkenswertes. „All das habe ich schon bei anderen Patienten erlebt, Mr. St. Claire“, sagte sie zuversichtlich.
Lucan St. Claire stützte seine Ellenbogen auf der ledernen Schreibunterlage ab und sah Stephanie über seine gespreizten Fingerspitzen hinweg an. „Was ich versuche, Ihnen zu erklären … Jordan ist nicht gerade voller Enthusiasmus, wenn Sie verstehen, was ich meine? Ihm missfällt der Gedanke, wieder mit einer neuen Physiotherapeutin zusammenarbeiten zu müssen.“
Das klang für ihre Ohren nicht gerade charmant, und Stephanie straffte unbewusst die Schultern. Sie war stolz auf den Erfolg ihrer Privatpraxis, die sie vor drei Jahren eröffnet hatte. Und was ihre bevorstehende Aufgabe anging, hatte sie die medizinische Akte von Jordan St. Claire gelesen. Offenbar hatten die Chirurgen bereits alles in ihrer Macht Stehende für ihn getan, und nun lag der Rest beim Patienten selbst. Allerdings fragte Stephanie sich insgeheim, wie sein Bruder an das vertrauliche Krankenblatt gekommen war.
Ihre Augen wurden etwas schmaler. „Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Mr. St. Claire?“, fragte sie direkt.
Seine scheinbare Gleichgültigkeit verwandelte sich in eindeutige Anerkennung. „Ich sehe, Sie werden Ihrem beruflichen Renommee, klare Worte zu sprechen, durchaus gerecht. Erfreulich.“
Stephanie war sich ihres kompromisslosen Auftretens und ihrer professionellen Erscheinung bewusst. Die langen roten Haare hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, und auf den dunklen Wimpern, die ihre leuchtend grünen Augen umrahmten, trug sie nur wenig Mascara. Alles an ihr wirkte absichtlich so, als wäre sie nicht im Geringsten emotional involviert.
Aber was ihr berufliches Renommee anging …
Zum Glück hatte Lucan St. Claire nicht angedeutet, irgendetwas von Rosalind Newmans Anschuldigungen gehört zu haben. Die Dame warf Stephanie vor, ihre Aufgabe als Physiotherapeutin für deren Mann Richard dazu genutzt zu haben, eine heiße Affäre mit ihm zu beginnen. Aber wäre Lucan dieser Vorwurf zu Ohren gekommen, hätte er sie ganz sicher gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch gebeten.
„Ich habe nie einen Sinn darin gesehen, nicht absolut ehrlich zu handeln.“ Sie zuckte die Achseln. „Ganz besonders im Hinblick auf meine Patienten.“
Lucan nickte zustimmend. „Etwas anderes würde Jordan auch nicht akzeptieren.“ Dann lehnte er sich auf seinem schwarzen Ledersessel zurück und seufzte. „Er hat keine Ahnung, dass ich Ihnen diesen Job geben will“, gestand er leise.
Das hatte Stephanie sich schon gedacht. Natürlich machte es ihre Aufgabe nicht gerade leichter, wenn der Patient ihr gegenüber eine feindselige Haltung einnahm, noch bevor sie mit der gemeinsamen Arbeit begonnen hatte. Andererseits waren ihr schon früher schwierige Patienten begegnet. Im Grunde war keiner von ihnen leicht im Umgang. Doch immerhin basierte ein großer Teil von Stephanies beruflichem Erfolg auf ihrer allgemein bekannten Fähigkeit, selbst mit unkooperativen Patienten gut zurechtzukommen.
„Soll das bedeuten, Sie wollen ihn mit mir überraschen?“, erkundigte sie sich trocken.
Er schnitt eine Grimasse. „Wenn Sie es so nennen möchten? So oder so wird er Sie wohl eher zum Teufel schicken, als Sie in seine Nähe zu lassen.“
Nachdenklich schob Stephanie die Lippen vor. „Falls Sie mir den Auftrag erteilen, müssen wir eben dafür sorgen, dass es ihm unmöglich ist, mich hinauszuwerfen. Sie sagten, das Haus in Gloucestershire gehört Ihnen persönlich?“
Aufmerksam sah er sie an. „Es befindet sich auf einem größeren Anwesen, das im Besitz dieses Unternehmens ist, ja.“
„Als Vorsitzender der Firma haben Sie wohl ein Recht darauf, zu bestimmen, wer sich dort aufhält und wer nicht.“
In seinen Augen blitzte nun doch so etwas wie Humor auf. „Sie hätten also kein Problem damit, einfach dorthin zu fahren und sich den Konsequenzen zu stellen?“
„Wenn mir mein Patient keine andere Wahl lässt, dann nein“, versicherte sie ihm schlicht.
„Ich glaube, in Ihnen hat Jordan einen ebenbürtigen Gegner gefunden.“
„Als Gegner würde ich mich nicht bezeichnen, wenn Sie mich tatsächlich mit Ihrem Bruder arbeiten lassen.“ Innerlich jubelte Stephanie, weil sie den Job so gut wie in der Tasche hatte.
„Arbeit werden Sie sicherlich viel mit ihm haben“, entgegnete Lucan kryptisch. „Jordan hasst Therapeuten und ihr ewiges Geschubse und Gezerre, wie er es nennt.“
„Ich schubse und zerre grundsätzlich nicht, Mr. St. Claire“, widersprach Stephanie kühl, freute sich im Stillen aber über die Herausforderung, einen widerspenstigen Patienten zu zähmen und ihm zu helfen. „Ich könnte gleich nächste Woche beginnen, wenn Ihnen das passt?“
Lucan brauchte nicht zu wissen, wie froh sie war, London möglichst schnell hinter sich lassen zu können. Weg von Rosalind Newman und ihren haltlosen Verdächtigungen, die sich für Stephanie als ausgesprochen rufschädigend herausstellen könnten. In ein paar Wochen war wenigstens etwas Gras über die ganze Sache gewachsen.
„Das passt sogar hervorragend“, stimmte er sichtlich erfreut zu.
Stephanie konnte seine Erleichterung gut nachvollziehen. Schließlich wusste sie aus Erfahrung, wie viele bewegungseingeschränkte Menschen mit ihrem Schicksal haderten und keine Geduld dafür aufbrachten, ihre Rehabilitation in die eigenen Hände zu nehmen. Und diese Haltung belastete oft auch die Familie und das persönliche Umfeld der Betroffenen. Und selbst wenn Lucan St. Claire für seine Arroganz und Kälte berühmt-berüchtigt war, so liebte er seinen kleinen Bruder offensichtlich sehr.
„Ich brauche einen Schlüssel zum Haus und eine Wegbeschreibung“, verkündete Stephanie pragmatisch. „Alles Weitere können Sie dann getrost mir überlassen.“
Jordan hatte keine Ahnung, wer oder was da auf ihn zukam!
1. KAPITEL
„Wer, zur Hölle, sind Sie? Und was haben Sie in meiner Küche verloren?“
Stephanie war schon vor gut einer Stunde am Tor von Mulberry Hall angekommen, hatte mehrfach geschellt und dann an die Haustür geklopft.
Nachdem sich aber nichts rührte, musste sie davon ausgehen, Jordan St. Claire wäre entweder nicht da oder weigerte sich schlicht, ihr zu öffnen. Deshalb blieb ihr keine andere Wahl, als sich mit ihrem Schlüssel selbst Einlass zu verschaffen.
Neugierig hatte sie die Räume im Erdgeschoss erkunden wollen, war jedoch nicht weiter als bis in die geräumige Küche gekommen. Das dreckige Geschirr und die allgemeine Unordnung stellten einen brutalen Angriff auf ihr angeborenes Bedürfnis nach Sauberkeit und Übersicht dar. Sie bezweifelte stark, dass Jordan seit seiner Ankunft vor einem Monat auch nur eine Tasse abgespült hatte.
„Das hier soll eine Küche sein?“ Geschäftig sammelte sie weiter schmutziges Geschirr ein, das über fast alle Oberflächen im Raum verteilt war, und ließ es nach und nach in die Spüle mit heißem, schaumigem Wasser gleiten. „Es sieht eher wie ein Labor für bakterielle Kulturen aus.“ Jetzt drehte sie sich um, zog die Augenbrauen hoch und betrachtete den ungekämmten, missmutigen Fremden, der in der Tür stand.
Doch als sie ihn plötzlich erkannte, musste sie sich sofort Halt suchend gegen die Spüle lehnen. Trotz der zu langen, zerzausten Haare und dem unrasierten Kinn war ihr dieses fein gezeichnete Gesicht höchst vertraut. Auch das schwarze T-Shirt und die tiefsitzende Jeans konnten nicht von seiner wahren Identität ablenken.
Konzentriert besann Stephanie sich auf ihre sonst so pragmatische, innere Ruhe und setzte eine möglichst gleichgültige Miene auf. Vor ihr stand niemand anderer als der weltberühmte Schauspieler Jordan Simpson!
Wahrscheinlich hatte er sich absichtlich Haare und Bart wachsen lassen, aber diese hinreißenden braungoldenen Augen hätte sie überall wiedererkannt. Die Kritiker waren sich in ihren Beiträgen nie einig, ob sie die Farbe dieser Augen als geschmolzenes Gold oder eher als Zimtbraun beschreiben sollten. Aber dass sie hinreißend waren, daran bestand für niemanden ein Zweifel.
Stephanie war ein großer Fan dieses englischen Schauspielers, der vor gut zehn Jahren Hollywood im Sturm erobert hatte. Sie hatte praktisch jeden einzelnen seiner Filme gesehen, manche mehrfach, und mittlerweile waren es schon an die zwanzig. Zwei von ihnen hatten durch seine beeindruckende Performance einen Oscar einheimsen können, und Stephanie musste zugeben, dass sie nicht gerade selten ziemlich eindeutige Fantasien in Bezug auf dieses einmalige männliche Exemplar gehegt hatte …
Daher wusste sie auch, dass Jordan Simpson vor einem halben Jahr bei Dreharbeiten vom Dach eines Gebäudes gestürzt war. Die Zeitungen waren voll von Spekulationen gewesen, ob er einen ernsthaften, bleibenden Schaden davontragen würde. Ob er eventuell nie wieder laufen könnte, nie wieder vor einer Kamera stehen würde.
Kein Zweifel, dachte Stephanie. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, und Hitze stieg ihr in die Wangen. Er stützte sich zwar schwer auf einen Spazierstock, aber dennoch war der Mann vor ihr tatsächlich dieser atemberaubend schöne Schauspieler, von dem sie schon seit Jahren regelrecht besessen war.
Ein Detail, das Lucan St. Claire vergangene Woche in Bezug auf seinen Bruder verschwiegen hat, dachte Stephanie genervt. Sie wäre lieber vorgewarnt gewesen.
„Wie witzig“, antwortete Jordan auf ihre Bemerkung über seine Küche. Schwerfällig nahm er den schwarzen Holzstock, auf den er täglich angewiesen war, wenn er nicht auf die Nase fallen wollte, in die andere Hand. „Das erklärt immer noch nicht, was Sie hier zu suchen haben. Wer sind Sie, und wie sind Sie hier reingekommen?“
Jordan war gerade erst aus einem tiefen Erschöpfungsschlaf aufgewacht. Man hatte ihm ein Bett ins Esszimmer gestellt, weil er die Treppen nicht allein hinaufgehen konnte. Die Geräusche aus der Küche hatten ihn geweckt, und zuerst war seine Befürchtung gewesen, jemand wäre ins Haus eingebrochen. Allerdings würde kein Dieb einfach den Abwasch in die Hand nehmen.
„Ich habe einen Schlüssel“, erwiderte die Rothaarige achselzuckend.
Er kniff die Augen zusammen. „Und wer genau hat Ihnen einen Schlüssel zu diesem Haus gegeben?“
„Ihr Bruder Lucan.“
Nun rutschten auch die Brauen etwas enger zusammen und verliehen seinem Gesicht einen finsteren Ausdruck. „Falls mein aufdringlicher Bruder Sie als Haushälterin engagiert hat, sollten Sie wissen, dass ich keine brauche.“
„Diese Beweise belegen das Gegenteil“, konterte die rothaarige Frau und wandte ihm wieder den Rücken zu, um sich über das schmutzige Geschirr herzumachen.
Das bot Jordan genug Gelegenheit, sich ihren prallen Po in der engen Jeans anzusehen. Darüber trug sie ein ziemlich kurzes weißes Shirt, was auch noch einige Zentimeter über dem Hosenbund endete. Jetzt erinnerte sich Jordan daran, wie eng es über den vollen Brüsten und dem flachen Bauch spannte …
Na, großartig! Das einzige Körperteil, das nicht infolge seines schweren Unfalls schmerzte, regte sich plötzlich und begann zu pulsieren, was ein höchst unangenehmes Ziehen verursachte.
Zum ersten Mal seit einem halben Jahr verspürte Jordan wieder so etwas wie sexuelles Interesse an einer Frau. Aber angesichts seines bemitleidenswerten Zustands war ihm dieses Verlangen im Moment alles andere als willkommen. „Das meiste von diesem Kram kann man auch in den Geschirrspüler räumen“, brummte er und starrte auf die dampfenden Schaumkronen in der Spüle.
„Das hätte man tun können, gleich nachdem man es benutzt hat“, korrigierte sie ihn, ohne sich umzudrehen. „Jetzt muss man es zuerst einweichen.“
„Wollen Sie damit andeuten, ich wäre ein Chaot?“
„Oh, das war keine Andeutung“, stellte sie klar.
„Es mag ja Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, aber ich bin leicht gehandicapt“, verteidigte Jordan sich gereizt. Er hatte ohnehin zurzeit wenig Appetit, aber wenn doch, dann bereitete ihm das Kochen schon genug Mühe und Schmerzen. Nach dem Essen fühlte er sich einfach nicht in der Lage, auch noch die Küche aufzuräumen.
Der Rotschopf drehte sich ganz langsam zu ihm um, und die grünen Augen weiteten sich. „Wow.“ Andächtig schüttelte sie den Kopf. „Ich muss schon zugeben, ich hätte nicht gedacht, dass Sie die Krüppel-Karte gleich zu Beginn ausspielen.“
Fassungslos sog Jordan den Atem ein und gab ein zischendes Geräusch von sich. „Was haben Sie da gerade gesagt?“
Ruhig begegnete sie dem funkelnden Blick aus seinen goldenen Augen. Dann ließ sie sein gesamtes Erscheinungsbild auf sich wirken: die bleichen Hohlwangen mit Grauschleier und die steife Haltung seines Körpers, der von Schmerz und Krankheit gezeichnet war.
Normalerweise verhielt sie sich in ihrem Beruf hochgradig professionell, aber angesichts von Jordans attraktivem Äußeren und seinen sinnlichen Gesichtszügen fiel es ihr ausgesprochen schwer, innerlich Abstand zu wahren. Um ehrlich zu sein, hatte sie sich gerade erst bewusst ein paar Minuten lang abgewandt, um ihre Fassung wiederzuerlangen.
Bei Männern behielt Stephanie für gewöhnlich einen kühlen Kopf, trotzdem hatte sie ihre widerwillige Schwester ein ums andere Mal gezwungen, sich mit ihr im Kino den neuesten Film von Jordan Simpson anzusehen. Stephanie liebte diese Momente im dunklen Saal, wenn sie sich ihm auf der Leinwand ganz nah fühlte, und später kaufte sie sich dann die entsprechende DVD, um ganz privat weiter für ihn zu schwärmen. Ihre Schwester Joey würde vor Lachen zusammenbrechen, wenn sie wüsste, wer Stephanies aktueller Patient war!
Allerdings war im Augenblick wenig von dem attraktiven Hollywoodverführer übrig – bis auf diese faszinierenden Augen.
„Tut mir leid. Ich dachte, so betrachten Sie sich heutzutage. Als Krüppel“, erklärte sie ruhig.
Die goldenen Augen nahmen einen dunkleren Ton an. „Vergessen wir, wer Sie sind und was Sie hier machen. Verschwinden Sie einfach aus meinem Haus!“
„Ich glaube nicht.“
„Ach, glauben Sie nicht?“
Ungerührt lächelte sie über seine offensichtliche Wut hinweg. „Dies ist das Haus Ihres Bruders und nicht Ihres. Und die Tatsache, dass er mir einen Schlüssel gegeben hat, zeigt doch in aller Deutlichkeit, dass er kein Problem mit meiner Anwesenheit hier hat.“
„Ich habe aber ein Problem damit.“
Ihr Lächeln blieb. „Wie ungünstig für Sie, weil Sie ja leider nicht selbst die Rechnungen zahlen.“
„Ich brauche keine verdammte Haushälterin!“
„Wie gesagt, das wage ich zu bezweifeln“, entgegnete sie ungerührt, während sie sich sorgfältig die Hände mit einem Geschirrtuch abtrocknete, das eigentlich dringend mal in die Wäsche gehörte. „Stephanie McKinley.“ Sie streckte ihm ihre trockene Hand entgegen. „Und ich bin keine Haushälterin.“
Jordan ignorierte diese höfliche Geste und kämpfte sichtlich um seine Beherrschung. Er schätzte diese impertinente Frau auf Mitte, Ende zwanzig. Sie hatte unglaublich lange, dunkle Wimpern, tiefgrüne Augen und die kleinen Sommersprossen, die oft die Nasenspitzen rothaariger Menschen zierten. Ihre Lippen waren voll, besonders die Unterlippe, und das energische kleine Kinn zeugte von einem starken Durchsetzungsvermögen. Einen Vorgeschmack ihrer spitzen Zunge hatte er ja schon bekommen. Und sie verbarg unter diesen engen Klamotten eine sexy Figur!
Aber niemand, nicht einmal seine beiden Brüder, hatten es in den letzten Wochen gewagt, ihm gegenüber einen solchen Ton anzuschlagen, wie Stephanie McKinley es gerade tat.
„Woher kennen Sie Lucan eigentlich?“, wollte Jordan plötzlich wissen.
„Tu ich gar nicht.“ Wieder hob die Frau gleichgültig beide Schultern. „Jedenfalls nicht so, wie Sie offenbar denken“, fügte sie spöttisch hinzu.
Jordan war mittlerweile länger als gewöhnlich auf den Beinen, und seine Hüfte begann allmählich zu schmerzen. Unerträglich zu schmerzen! Und das gab seiner ohnehin schlechten Laune den Rest. „Ist es Lucans Vorstellung von Humor, eine Frau dafür zu bezahlen, mit mir ins Bett zu steigen?“
Seine unverhohlene Beleidigung konnte Stephanie nicht aus der Ruhe bringen. Aber sie fragte sich tatsächlich, ob der Mann, dem sie vergangene Woche begegnet war, überhaupt einen Sinn für Humor besaß. „Sehe ich aus wie eine Frau, die für Geld mit Männern ins Bett geht?“
„Woher, zur Hölle, soll ich das wissen?“
„Das soll wohl heißen, Sie müssen normalerweise keine Frauen für Liebesdienste bezahlen?“ Damit hatte sie auch nicht gerechnet. Jordan Simpson musste bestimmt eher unzählige willige Frauen von seinem Schlafzimmer fernhalten.
„Normalerweise nicht, nein“, brummte er.
Ihr fiel auf, wie plump Jordan versuchte, sie durch diese Unterhaltung in Verlegenheit zu bringen. Leider gelang ihm das auch zum Teil, was unter diesen Umständen nicht gerade förderlich war.
Sie hob die Augenbrauen. „Eines kann ich Ihnen versichern. Ich habe kein Interesse an Sex mit einem Mann, der so in seinem Selbstmitleid versinkt, dass er sich nicht nur vor seiner Familie, sondern auch vor der gesamten restlichen Welt abschottet.“
Sein schönes Gesicht schien schlagartig mehr Falten zu bekommen. „Was verstehen Sie schon davon? Ihnen schaut auch nicht alle Welt mitleidig hinterher, wenn Sie sich mal vor die Tür wagen. Und jeder Schritt nur möglich ist, wenn man an einem Gehstock vor sich hinstolpert, damit man sich nicht gänzlich zum Vollidioten macht und auf seinem eigenen Hintern landet.“
Stephanie zögerte kurz, bevor sie antwortete. „Diese Erfahrung habe ich schon lange nicht gemacht, das stimmt.“
Misstrauisch verengten sich die schönen, goldenen Augen. „Was soll das heißen?“
„Das bedeutet, ich hatte im Alter von zehn Jahren einen Autounfall und war danach für zwei Jahre an einen Rollstuhl gefesselt. Diese ganze Zeit über konnte ich überhaupt nicht mehr laufen, nicht einmal an einem Gehstock vor mich hinstolpern. Sie dagegen haben Gefühl in beiden Beinen, weshalb Sie auch von mir diese mitleidigen Blicke nicht ernten werden, die Ihnen vom Rest der Menschheit so verhasst sind.“
Unter normalen Umständen sprach Stephanie mit ihren Patienten nicht über ihre eigene Zeit im Rollstuhl. Meistens gab es schlichtweg keinen Grund dazu, und sie hätte es auch heute nicht getan, wenn Jordans Ton nicht einen bestimmten Nerv bei ihr getroffen hätte.
„Sie hatten das Glück, wieder aufstehen und gehen zu können. Und deshalb soll nun jeder in dieser Situation dasselbe tun?“, fragte er.
„Sie hatten Pech und sind jetzt nicht mehr so robust und gesund wie früher“, konterte sie. „Leben Sie damit oder kämpfen Sie dagegen an, aber verkriechen Sie sich nicht hier draußen in Ihrem Selbstmitleid!“ Ihr Atem ging etwas schneller, weil nun doch ein paar persönliche Emotionen ins Spiel kamen.
Allmählich begann Jordan zu verstehen. „Wenn Sie keine Prostituierte sind, was dann? Eine weitere Ärztin? Oder findet mein arroganter Bruder, dass ich einen Psychiater brauche?“ Angewidert verzog er den Mund.
Stephanie runzelte die Stirn. „Nach Einsicht in Ihre Krankenakte hatte ich eigentlich den Eindruck gewonnen, Ihr Kopf wäre beim Sturz verschont geblieben.“
„Stimmt“, stieß er hervor.
Sie zog eine geschwungene Augenbraue hoch. „Glauben Sie denn, Sie brauchen einen Psychologen?“
„Dieses Spielchen werde ich nicht mit Ihnen spielen, Miss McKinley.“
„Ich halte dies auch nicht für ein Spiel, Mr. Simpson.“
„Sie wissen bereits, wer ich bin?“
Irritiert sah sie ihn an. „Sicher weiß ich, wer Sie sind. Jedermann kennt Sie. Und natürlich fühlen Sie sich momentan nicht so vital wie früher, so weltmännisch und souverän, aber dennoch sind Sie die gleiche Person wie immer.“
War er das noch? Diese Frage stellte sich Jordan in letzter Zeit immer häufiger. Bis vor sechs Monaten hatte er sein Leben in vollen Zügen genossen. Im sonnigen Kalifornien und mit der Arbeit, die ihm gefiel. Weltmännisch und souverän – jedenfalls genug, um mit jeder Frau ins Bett gehen zu können, die seine Aufmerksamkeit erregte. Seit dem Unfall war alles anders. Er selbst hatte sich verändert.
„In diesem Fall bräuchte ich ja lediglich jemanden, der mir eine Hauptrolle besorgt. Allerdings kann ich nur einen Behinderten spielen. Könnten Sie mir da vielleicht weiterhelfen?“, fragte er mit schneidendem Sarkasmus in der Stimme. Seine Frustration veranlasste ihn, die rechte Körperhälfte mehr zu belasten als üblich, und er zuckte vor Schmerz zusammen.
„Nicht einfach so“, antwortete der Rotschopf gelassen. „Und Sie müssten gar nicht nach einer solchen Rolle verlangen, wenn Sie Ihre Energie darauf verwenden würden, die geschädigten Muskeln und Knochen wieder vernünftig in Gebrauch zu nehmen.“
„Verdammt noch mal!“, brauste Jordan auf und verdrehte die Augen zum Himmel. Seine Qualen machten ihn ungeduldig und reizbar. „Sie sind eine von diesen sadistischen Physiotherapeuten, oder? Und Sie kommen, um an mir herumzuzupfen und zu massieren, bis ich es vor Schmerzen gar nicht mehr aushalte.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Wochenlang hatte ein Therapeut nach dem anderen – meistens Frauen – an seinem Bein und seiner Hüfte herumgedoktert, nachdem die Chirurgen mit ihrer Arbeit fertig gewesen waren. Doch bisher brachte keine Behandlung einen nennenswerten Erfolg, höchstens zusätzliche Qualen.
„Die Tatsache, dass Ihr Bein so wehtut, kann einen sehr positiven Hintergrund haben“, erklärte Stephanie nüchtern.
„Das werde ich mir merken, wenn ich um zwei Uhr morgens nicht schlafen kann und nicht mehr weiß, wie ich mich noch schmerzfrei bewegen soll.“
Als Lucan sie warnte, sein Bruder würde sich aggressiv verhalten, vergaß er zu erwähnen, wie stur und uneinsichtig Jordan obendrein war! „In diesem Stadium ist Schmerz nicht negativ zu bewerten“, beharrte sie. „Es bedeutet schlicht, dass sich die Muskeln regenerieren.“
„Oder dass sie absterben.“
„Nun, ja.“ Es hatte wohl keinen Zweck, diesen Aspekt zu verleugnen. „Ich kann Ihnen mehr sagen, wenn ich mit meiner Arbeit begonnen habe.“
„Der einzige Bereich meines Körpers, an den ich momentan eine Frau lassen würde, liegt etwas höher als mein Oberschenkel“, sagte er provozierend.
Professionell oder nicht, Stephanie konnte kaum verhindern, dass ihre Wangen dunkelrot anliefen. Oder dass ihr Blick automatisch auf den Bereich seines Körpers fiel, den Jordan meinte. Dort schien alles so zu funktionieren, wie die Natur es vorgesehen hatte, stellte sie fest.
Jordan St. Claire – nein, Jordan Simpson – war ganz offensichtlich körperlich erregt. Ihretwegen!
Nicht wirklich meinetwegen, rief Stephanie sich schnell ins Gedächtnis. Dieser Mann hatte vermutlich seit seinem Unfall keine Frau mehr in seine Nähe gelassen. Und nach sechs Monaten Zölibat konnte bestimmt jedes einigermaßen attraktive weibliche Wesen eine einfache körperliche Reaktion bei ihm hervorrufen.
„Wenn Sie versuchen, mich in Verlegenheit zu bringen, Mr. Simpson …“
„Dann war ich erfolgreich“, schloss er triumphierend und betrachtete mit einem vielsagenden Lächeln ihr gerötetes Gesicht.
„Mag sein. Aber fühlen Sie sich dadurch wirklich besser?“ Kritisch betrachtete sie sein selbstsicheres Grinsen. Dies war der Schauspieler, den sie seit Jahren verehrte und begehrte!
Hilfe!
Er zuckte mit den Schultern. „Spielt doch keine Rolle, ob ich mich besser fühle oder nicht. Sobald Sie aus dieser Tür verschwunden sind, werde ich so tun, als hätte es Sie niemals gegeben.“
Dieses Mal war es Stephanie, die selbstsicher lächelte. „Ihre ganze Familie scheint mir ziemlich arrogant zu sein, habe ich recht?“
Jordan lachte trocken. „Wie vielen von uns sind Sie denn begegnet?“
„Nur Lucan und Ihnen.“
„Und dann halten Sie uns schon für arrogant?“ Er schnaubte verächtlich. „Sie müssten mal Gideon kennenlernen.“
„Ihren Zwillingsbruder?“
„Sie scheinen bereits viel über mich zu wissen.“
„Es ist allgemein bekannt, dass Jordan Simpson einen Zwillingsbruder hat“, antwortete sie ruhig.
Sein Gesicht verzog sich kurz zu einer Grimasse. „Wir sind lediglich zweieiige Zwillinge.“
Zum Glück, dachte Stephanie. Weder ich – noch der Rest der Welt – kann einen weiteren Mann verkraften, der so makellos schön und interessant ist wie du!
Ihr war nicht ganz klar, ob dieser Umstand ihre Arbeit schwieriger oder leichter machen würde. Wenn sie Jordan ansah, wollte sie sich am liebsten die Kleider vom Leib reißen und sich ihm an den Hals werfen. Aber das war vermutlich eine ganz normale Reaktion. Hunderte, eher Tausende von Frauen empfanden ebenso in Bezug auf den Schauspieler Jordan Simpson. Allerdings musste sich keine dieser Frauen betont professionell geben und diesen Frauenschwarm lediglich als ihren Patienten behandeln.
Seufzend schob sie ein paar Strähnen zurück, die sich aus ihrem strammen Zopf gelöst hatten. „Hören Sie mal, Mr. Simp-son. Ich habe eine lange Anfahrt aus London hinter mir, und ich könnte wirklich einen Happen zu essen gebrauchen. Können wir nicht einen kleinen Waffenstillstand vereinbaren, und ich koche uns etwas zum Dinner?“
Jordan schien über diesen Vorschlag genau nachzudenken, denn seine Augen verengten sich buchstäblich zu Schlitzen. Einerseits wollte er dieses Frauenzimmer unbedingt loswerden, aber die Aussicht auf ein vernünftiges Abendbrot rief ihm ins Gedächtnis, wie hungrig er war. Eine Nebenwirkung der Schlaftabletten, die man ihm verschrieben hatte, damit er überhaupt mal zur Ruhe fand.
„Kommt ganz darauf an“, entgegnete er gedehnt.
In Stephanies grünen Augen blitzte es auf. „Worauf?“
„Ob Sie kochen können oder nicht, natürlich. Wenn Sie mir nur einen weiteren Teller gebackene Bohnen mit Toast vorsetzen, werde ich ihn wortlos nach Ihnen werfen.“
Er hatte nicht vor, sich von ihr untersuchen oder gar behandeln zu lassen. Und auf Sex schien sie es ihrerseits nicht abgesehen zu haben, also konnte sie sich wenigstens in anderer Hinsicht nützlich machen, nachdem sie nun schon einmal hier war.
„Da werde ich wohl etwas Besseres zustande bringen“, versprach Stephanie. „Weil ich nicht wusste, was mich erwartet, habe ich ein paar Lebensmittel mitgebracht“, fuhr sie gut gelaunt fort. „Ich hole sie eben aus dem Wagen.“ Während sie in ihre schwarze Jacke schlüpfte, drehte sie sich fragend zu Jordan um. „Sie mögen doch Steak?“
Allein der Gedanke an Rindfleisch ließ das Wasser in seinem Mund zusammenlaufen. „Damit wäre ich schon zufrieden“, brummte er und schluckte.
Auf dem Weg zum Auto lächelte sie in sich hinein. Wenigstens ließ er sie lange genug bleiben, um ein Essen zuzubereiten. Das war doch schon etwas. Beim Abwaschen hatte sie bereits gemerkt, wie wenig abwechslungsreich seine Ernährung dieser Tage aussah.
Was dann später geschah, blieb abzuwarten. Auf jeden Fall ließ Stephanie sich nicht von der Tatsache einlullen, dass Jordan sie vorübergehend im Haus akzeptierte. Mit diesem Mann hatte sie definitiv noch ein ganzes Stück Arbeit vor sich.
Aber zuerst würde sie mit Jordan Simpson ein Dinner einnehmen! Das war doch verrückt!
Obwohl dieser Jordan Simpson ganz anders auf sie wirkte als der smarte, charmante Schauspieler, über den sie so viel gelesen und den sie unzählige Male in seinen Filmen gesehen hatte.
Gerade als Stephanie sich über den Rücksitz beugte, klingelte ihr Handy.
„Joey?“, keuchte sie in das Gerät. „Bin ich froh, dass du anrufst. Ich glaube, ich stecke in Schwierigkeiten. In großen Schwierigkeiten!“
2. KAPITEL
„Ich dachte schon, Sie hätten beschlossen, doch noch sofort abzureisen“, bemerkte Jordan, als Stephanie endlich mit einer großen Kiste im Arm die Küche betrat.
Sie stellte die Lebensmittel auf dem Tisch ab und atmete durch, bevor sie ihm antwortete. Mittlerweile hatten sich etliche Strähnen mehr aus ihrem Zopf befreit. „Ich habe draußen noch ein wenig die schöne Fassade des Haupthauses aus der Ferne bewundert“, sagte sie. „Mit der untergehenden Sonne im Hintergrund.“
„Mulberry Hall?“
Sie nickte. „Ist es ein Hotel oder etwas in der Richtung?“
„Etwas in der Richtung.“ Jordan nickte steif. Dann saß er schweigend und mit ausgestreckten Beinen am Küchentisch und sah dabei zu, wie Stephanie Fleisch, Kartoffeln, Salat und frische Kräuter auspackte. Ihre Finger waren lang und schmal, die Nägel dafür aber ziemlich kurz geschnitten. Zweifellos, damit sie die geschundenen Körper ihrer Patienten besser quetschen und malträtieren konnte!
„Also kein Hotel?“, hakte sie nach und verstaute immer mehr Lebensmittel im Hängeregal und im Kühlschrank.
„Nein, kein Hotel.“ Er blieb einsilbig und überlegte, wann er zum letzten Mal etwas Anständiges gegessen hatte. Irgendwann am Vortag. Jedenfalls glaubte er das.
Außerdem hatte er nicht die geringste Lust, sich über Mulberry Hall und dessen Funktion zu unterhalten. Schon gar nicht mit einer Frau, die nur für wenige Stunden hier sein würde.
„Ihr Bruder erzählte mir, dieses ganze Anwesen wäre im Besitz der Firma?“
Jordans Mundwinkel zuckte leicht. „Hat er das?“
„Wenn Sie nicht darüber reden wollen, sagen Sie es einfach!“
Er zuckte die Achseln. „Ich will nicht darüber reden.“
Das habe ich wohl nicht anders verdient, ärgerte sich Stephanie. Warum biete ich ihm auch ein Hintertürchen an? „Und ich wollte nur höflich Konversation treiben.“
„Ich hatte Ihnen erlaubt, Essen zu machen, nicht Small Talk zu halten.“
Mühsam verbiss sie sich einen scharfen Kommentar und widmete sich den Vorbereitungen fürs Dinner. Vielleicht war Jordan ja zugänglicher, sobald er etwas im Magen hatte. Vielleicht aber auch nicht!
Laut seiner Krankenakte waren sein Arm und auch die Rippenbrüche gut verheilt. Der Hauptgrund für seine offensichtlichen Schmerzen dürfte der verzögerte Heilungsprozess in der Hüfte und dem linken Bein sein. Stephanie juckte es förmlich in den Fingern. Sie wollte so schnell wie möglich herausfinden, was man tun konnte, um die Beweglichkeit der Gliedmaßen wieder voll herzustellen.
Außerdem hatte sie nichts dagegen, diesen prachtvollen, maskulinen Kerl einmal gründlich aus der Nähe zu betrachten. Jordan Simpson. Ihre Schwester war zunächst fassungslos und dann höchst amüsiert gewesen, als sie hörte, in welchem Dilemma Stephanie steckte.
Zudem hatte Joey ihr versprochen, sich in ihrer Funktion als Anwältin um Stephanies unfreiwillige Beteiligung an der Newman-Scheidung zu kümmern. Allerdings fand Stephanie es bedenklich, dass man sich um diese Angelegenheit überhaupt juristisch kümmern musste.
„Könnten Sie den Tisch decken, während ich koche?“, bat sie Jordan.
Er biss die Zähne aufeinander. „Ich bin ja schließlich kein Vollinvalide“, gab er gereizt zurück und stemmte sich mithilfe seines Gehstocks hoch.
„Ich habe Sie auch nur darum gebeten, den Tisch zu decken, und nicht gefragt, ob Sie dazu überhaupt in der Lage sind“, erklärte Stephanie gelassen.
„Von wegen!“
Unauffällig beobachtete Stephanie, wie Jordan auf den Geschirrschrank zuhumpelte, und bemühte sich dabei um einen professionellen, einschätzenden Blick. Die Muskeln in seinem Bein hatten sich offenbar im Laufe der vergangenen Monate aufgrund von Bewegungsmangel zurückgebildet, aber das erklärte noch nicht seine starken Schmerzen. Vielleicht sollte sich das mal jemand anderer ansehen, der …
„Was starren Sie da so hin?“, brauste er plötzlich auf.
Ruhig hob Stephanie den Kopf und entschied sich für die ungeschminkte Wahrheit. „Ich finde, Sie sollten das Bein und die Hüfte noch einmal röntgen lassen.“
„Vergessen Sie es!“ Mit einer einzigen wütenden Bewegung schleuderte er das Besteck zurück in die geöffnete Schublade. „Und wenn Sie schon mal dabei sind, schnappen Sie sich auch Ihre ganzen Lebensmittel und verschwinden Sie endlich!“ Mit steifen Schritten schleppte er sich zur Tür.
„Und was ist mit dem Dinner?“
Seine goldenen Augen funkelten vor Wut wie Bernsteine in der Sonne. „Mir ist der Appetit vergangen.“
„Nur weil ich eine Bemerkung über Ihr Bein gemacht habe?“
„Weil Sie überhaupt eine Bemerkung gemacht haben“, schleuderte er ihr entgegen, und es sollte eindeutig eine Beleidigung sein. „Männer halten einfach die Klappe und machen weiter. Aber Frauen müssen immer alles zu Tode quatschen!“
„Wenn Sie darauf anspielen wollen, dass Männer ihre Anspannung verdrängen und aufstauen, um dann …“
„Ich bin nur angespannt, weil Sie hier aufgetaucht sind“, unterbrach er sie barsch. „Mir geht es sofort wieder gut, sobald Sie durch die Haustür verschwunden sind.“
Dieser Kerl ist wirklich stur wie ein Esel! dachte Stephanie frustriert. Aber da konnte sie glücklicherweise mühelos mithalten. „Ich werde nirgendwo hingehen“, verkündete sie ruhig.
Er ließ seinen eisigen Blick an ihr hoch und runter gleiten. „Ach, nein?“
„Nein. Und Sie können mich nicht dazu zwingen, dieses Haus zu verlassen.“
Jordans Gesicht nahm eine ungesunde blassgrünliche Farbe an. „Sie lassen nicht so schnell locker, was?“
Stephanie seufzte. „Ich habe nicht die Absicht, Ihnen zur Last zu fallen, Mr. Simpson.“
„Dann machen Sie, dass Sie fortkommen!“ Ohne einen weiteren Blick zurück stolperte er unbeholfen aus der Küche.
Erschöpft ließ Stephanie sich auf den Holzstuhl sinken, in dem Jordan noch bis vor Kurzem gesessen hatte. Zwar war sie es gewohnt, mit unwilligen und schwierigen Patienten umzugehen, aber die Arbeit mit Jordan Simpson gestaltete sich aufwendiger als befürchtet …
„Haben Sie Ihre Meinung geändert?“, erkundigte Stephanie sich hoffnungsvoll, als Jordan eine Stunde später zögernd die Küche betrat.
„Nein.“ Obwohl er nicht leugnen konnte, dass ein köstlicher, verlockender Duft in sein Arbeitszimmer geströmt war. Dieses störrische Weibsbild hatte sich also ihr eigenes Abendessen zubereitet. Und Jordan lief das Wasser im Mund zusammen, wenn er sich vorstellte, wie er in ein saftiges Steak mit Kräuterbutter biss. Dazu eine gefüllte Rosmarinkartoffel mit Parmesan, grüner Salat mit French Dressing. Die Versuchung war gigantisch groß, aber um keinen Preis der Welt wollte er Stephanie McKinley gegenüber klein beigeben. „Ich dachte, Sie wollten abreisen?“
Die Küche blitzte und blinkte. Seelenruhig saß Stephanie am Tisch und hatte ihr Dinner gerade beendet. Vor ihr stand sogar eine angebrochene Flasche Rotwein, die das Mahl perfekt abgerundet hatte. „Ihr Bruder möchte, dass ich bleibe.“
„Dann haben Sie mit ihm gesprochen?“
„Nicht seit letzter Woche.“
Jordan zweifelte nicht daran, dass sein arroganter Bruder Lucan augenblicklich mit dem Firmen-Hubschrauber anrauschen würde, sollte dieser penetrante Rotschopf sich über ihren unkooperativen Patienten beschweren.
Stumm hinkte Jordan quer durch den Raum und holte sich ein Glas. Dann schenkte er sich von dem Rotwein ein und gönnte sich einen großen Schluck.
„Sie sollten lieber keinen Alkohol trinken, solange Sie starke Schmerzmittel einnehmen“, riet ihm Stephanie.
„Das hier ist mein Schmerzmittel“, gab er bissig zurück. Wenn Mulberry Hall über irgendetwas Außergewöhnliches verfügte, dann über einen ausgesuchten Weinkeller, aus dem Jordan sich auch gern und großzügig bediente. Erst zum Krüppel, dann zum Alkoholiker, dachte er höhnisch. So tief können die Großen fallen!
Stephanie betrachtete ihn nachdenklich. „Alkohol verursacht Depressionen.“
„Ich bin aber nicht deprimiert, verdammt noch mal!“ Das Glas krachte auf den Tisch und blieb wie durch ein Wunder ganz. Nur sein Inhalt schwappte über den Rand und verteilte sich auf der hölzernen Oberfläche.
„Okay. Aber Sie sind wütend, frustriert und ausgesprochen rüde.“
„Und woher wollen Sie wissen, ob ich all das nicht schon vor meinem Unfall gewesen bin?“, fragte er schneidend.
„Waren Sie nicht“, antwortete sie schlicht. „Das hätte die Presse sonst mit Vergnügen ausgeschlachtet.“
Stattdessen hatten die Medien den wunderbaren Jordan Simpson stets als glücklichen, begehrten Junggesellen vorgestellt, der sich gern auf Filmpremieren und anderen offiziellen Veranstaltungen mit langbeinigen Blondinen ablichten ließ. Meistens in einem schwarzen Anzug, die dunklen, halblangen Haare ordentlich frisiert und mit einem Strahlen auf dem schönen Gesicht. Und diese einzigartigen Augen …
Alles kein Vergleich zu dem heruntergekommenen Häufchen Elend, das nun vor ihr stand.
„Wann waren Sie eigentlich zum letzten Mal beim Friseur oder haben sich rasiert?“, erkundigte Stephanie sich beiläufig.
„Geht Sie überhaupt nichts an“, knurrte er und stürzte noch einen Schluck Wein hinunter.
„Aber Ihr Aussehen …“
„… interessiert mich einen Dreck, nachdem mein Bein zur Hölle geschickt wurde!“
„Und wir müssen herausfinden, was eigentlich genau damit los ist“, drängte sie weiter.
„Nein! Ich habe nicht vor, Sie in meine Nähe zu lassen, damit erübrigt sich das ganze Thema.“
So kamen sie wirklich keinen Schritt weiter. Stephanie unterdrückte einen Seufzer und stand auf, um ihren Teller in den Geschirrspüler zu stellen. „Soll ich Ihnen jetzt ein Steak braten?“
„Sag mal, Steph, was verstehst du eigentlich nicht an der Bitte, dich zum Teufel zu scheren?“ Sein Lächeln wirkte fast grausam.
„Zuerst einmal, ich bin weder dumm noch taub. Ferner bevorzuge ich es, wenn meine Patienten mich Stephanie oder auch Miss McKinley nennen“, fügte sie steif hinzu. Nur ihre Familie und einige sehr enge Freunde durften ihren Vornamen abkürzen. Wenn ein Patient sie auf diese Weise ansprach, war das nicht gerade professionell. Andererseits hatte ihr berufliches Verhältnis zu Jordan auch keinen üblichen Verlauf genommen. Von daher war ihre Bemerkung vielleicht etwas übertrieben.
Ohne mit der Wimper zu zucken, schenkte sich Jordan Wein nach. „Warum siehst du nicht ein, dass du mit mir nur deine Zeit verschwendest, Stephanie?“, begann er in vertraulichem Ton. „Ich will dich hier nicht, und ich brauche dich auch nicht.“
Ihr leicht vorgestrecktes Kinn verriet ihm, dass sie seine Aussage als Herausforderung betrachtete. Gleichzeitig fiel ihm aber etwas Erschreckendes auf: Während sein Verstand diese Frau so schnell wie möglich loswerden wollte, brannte sein Körper darauf, ihr näherzukommen und leidenschaftliche Dinge mit ihr anzustellen. Dabei hatte er sich in den vergangenen Monaten schon fast damit abgefunden, auch seine Libido durch diesen schrecklichen Unfall eingebüßt zu haben. Aber nun regte sich eindeutig sexuelles Verlangen, und das nach all den Monaten!
Wie die entschlossene, nüchterne Stephanie McKinley wohl reagierte, wenn er einfach mal seinem Instinkt folgen und sie küssen würde? Vermutlich lief sie schreiend davon und ließ sich nie wieder blicken.
Ganz langsam stellte Jordan sein Weinglas ab und bewegte sich mit unsicheren Schritten auf Stephanie zu, die alarmiert die Augen aufriss. Sie drückte sich mit dem Rücken gegen die Arbeitsfläche neben dem Herd und bog den Kopf zurück.
„Jetzt bist du nicht mehr so selbstsicher, was, Stephanie?“
Sie geriet in Panik, als sie seine Körperwärme spüren konnte. Nur wenige Zentimeter trennten die beiden voneinander. Stephanie merkte, wie es ganz leicht in ihren Brüsten zog. Die Spitzen wurden hart und waren durch den dünnen Stoff ihres T-Shirts deutlich zu erkennen.
Peinlich berührt fuhr sie sich mit der Zunge über ihre trockenen Lippen. „Das ist nicht witzig, Jordan.“
„Soll es auch nicht sein.“ Er machte noch einen kleinen Schritt auf sie zu und presste seine harten Oberschenkel gegen ihre Beine, was eine unerträgliche Hitze in ihr entfachte. Mit der rechten Hand strich er über das feine Haar an ihrer Schläfe. „Ist die Farbe echt?“
Stephanie runzelte die Stirn. „Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, irgendeine Frau würde sich freiwillig die Haare in diesem Rot färben?“ Etwas Ironie konnte nicht schaden, um diese entgleiste Situation schnellstmöglich zu entschärfen.
„Es ist wunderschön“, murmelte er, und sein Kompliment klang nach aufrichtiger Bewunderung. „Äußerst ungewöhnlich.“
Ihr war klar, was er vorhatte. Es war eine weitere Taktik, um sie zum Rückzug zu bewegen. Aber dieses Wissen konnte leider nicht verhindern, dass sie auf seine Nähe und seine Berührungen reagierte. Stephanie fiel das Atmen zunehmend schwerer, und ihre Brüste wurden vor Erregung noch fester. Jordans Oberkörper übte einen angenehmen Druck auf ihre Rundungen aus. „Ist doch nur ganz normales Rot.“
„Nein“, erwiderte er heiser. „Ich habe noch nie in meinem Leben solche Haare gesehen. Da ist alles drin: Kastanie, Zimt, Tiefrot und Gold. Wahnsinn!“
Ihre Haarfarbe war schon in der Kindheit ein Fluch für Stephanie gewesen. Und obendrein wusste sie, dass Jordan sein verführerisches Gerede ohnehin nicht ernst meinte. Aber verlockend klang es trotzdem …
Jordan ließ seinen Blick an ihr hinabgleiten. „Bist du etwa dort genauso …?“
„Beiß dir lieber auf die Zunge, bevor du mir ein solche Frage stellst!“, fuhr sie dazwischen. „Und jetzt Hände weg von mir!“
„Sonst was?“
„Sonst sorge ich selbst dafür.“ Stephanie hatte vor einigen Jahren einen Selbstverteidigungskurs besucht, und sie hatte keinen Zweifel, dass sie sich Jordan erfolgreich vom Leib halten konnte. Andererseits wollte sie ihm aber nicht absichtlich wehtun, und zudem fühlte sich ein Teil von ihr durchaus zu ihm hingezogen.
Was für Jordan als Spiel begann, um einen unerwünschten Gast aus dem Haus zu treiben, wurde schnell Ernst, als er Stephanies körperliche Reaktion bemerkte. Seine eigene Erregung fühlte sich ungewohnt heftig und pochend an, und er stellte sich unwillkürlich vor, wie er dieser vorlauten rothaarigen Schönheit die engen Jeans von den Hüften schob. Dann folgte der Slip, und so stand seinem lustvollen Plan keine Barriere mehr im Weg: Er würde Stephanie gegen den Arbeitstresen drängen, ihre Schenkel umfassen und dann tief in ihre Wärme eintauchen …
Der Impuls, sie stöhnen statt schimpfen zu hören, war so stark und quälend, dass Jordan spürte, wie ihm langsam dicke Schweißperlen über den Rücken rannen. Zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde verlor er die Kontrolle über seine Libido. Aber vermutlich nur, weil er zu lange keine Frau mehr in seinem Bett gehabt hatte. Außerdem war diese Physiotherapeutin mit ihren flammend roten Haaren und ihrem schlanken, jedoch kurvenreichen Körper überhaupt nicht sein Typ, verdammt!
Bewusst setzte er eine möglichst spöttische Miene auf und blickte in ihr überhitztes Gesicht. „Möglicherweise wird deine Anwesenheit ja doch ganz amüsant für mich, Stephanie.“
Sie hob eine dunkle Augenbraue. „Möglicherweise?“
„Hmm.“ Langsam humpelte er durch den Raum und nahm seinen Stock zur Hand. „Aber trotz deiner süßen Brüste und deines knackigen Hinterns will ich dich nicht hier haben.“
Frustriert und ratlos sah sie ihm nach. Dabei sollte sie doch eigentlich froh sein, dass er sie nicht länger mit seiner unübersehbaren Erregung bedrängte, aber …
„Ich bin immer noch bereit, dir ein Steak zu braten, falls du hungrig bist“, sagte sie heiser.
„Damit stillst du lediglich den falschen Hunger“, gab er zurück.
„Dein Bruder bezahlt mich dafür, dass ich mich um dein Bein kümmere, und nicht dafür, mit dir ins Bett zu steigen!“
Er zuckte die Achseln. „Schade, denn im Augenblick könnte ich eine Bettgefährtin weit eher gebrauchen als eine Physiotante.“ Insgeheim wusste er jedoch, dass er heute dringender denn je medizinische Hilfe benötigte.
„Hast du keine Freundin, die du anrufen kannst?“, erkundigte sich Stephanie.
Sein Gesicht wirkte plötzlich wie versteinert. „Nicht mehr, nein.“
Fragend starrte sie ihn an. Nachdem seine Eltern sich früh scheiden ließen, machte Jordan Simpson grundsätzlich keinen Hehl aus seiner Aversion gegen die Ehe. Nichtsdestotrotz zeigten sich zahllose Frauen an seiner Seite. Wunderschöne Frauen. Gebildete und beliebte Frauen. So ganz anders als Stephanie. Schon allein deswegen wusste sie genau, wie oberflächlich sie Jordans Interesse einzuschätzen hatte.
„Wieso nicht? Da gibt es doch sicherlich eine ganze Reihe von Schönheiten, die sofort auf einen Anruf von dir reagieren würden?“
Sein Lächeln war nicht im Geringsten freundlich. „Sieh mich an, Stephanie!“, verlangte er. „Sieh mich mal richtig an!“
Das hatte sie bereits getan. Mehrfach. Und ja, er war tatsächlich dünner geworden, regelrecht ausgemergelt, und auch viel grimmiger als noch vor sechs Monaten. Aber in ihren Augen machte ihn das nicht zu einem weniger attraktiven Mann.
„Wonach suche ich denn?“, wagte sie einen Scherz.
Sein ungeduldiges Schnauben brachte sie fast zum Lachen. „Wie hast du mich vorhin noch genannt? Einen Krüppel?“, fragte er verbittert.
„Nein, ich sagte nur, du hältst dich offenbar selbst für einen Krüppel.“
„Vielleicht weil ich einer bin? Und ich lege keinen Wert auf die Gesellschaft einer Frau, die lediglich Mitleid mit mir hat.“
„Das ist doch lächerlich.“
„Und das von einer Frau, die mich gerade erst abgewiesen hat?“
Stephanie verdrehte die Augen. „Wir wissen doch beide, dass du es nicht ernst gemeint hast.“
„Ach, tun wir das?“
„Allerdings. Du willst mich einfach nur loswerden.“
„Funktioniert es denn?“
„Nein“, antwortete sie mit fester Stimme und war entschlossen, nicht auf die eindeutigen Signale ihres erregten Körpers zu hören. Auf das Ziehen in ihren Brüsten und die Wärme zwischen ihren Schenkeln.
Dieser Mann spielte ganz bewusst mit ihr, um sie zu verschrecken, aber für ihre Libido schien das keinen Unterschied zu machen. „Was meinst du, wie Lucan reagiert, wenn ich mich bei ihm wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz beschweren muss?“ Herausfordernd funkelte sie ihn an.
Jordan erwiderte den Blick mit einem Killerlächeln. „Wahrscheinlich würde ihn der Umstand freuen, dass letztendlich doch noch irgendetwas mein Interesse wecken konnte.“
Ihr fiel ein, welche Sorgen Lucan St. Claire sich um den seelischen Zustand seines Bruders machte, demnach war diese Bemerkung gar nicht so abwegig.
„Obwohl ich eher sagen müsste, etwas hat mein Interesse erregt“, setzte er dreist hinzu und genoss es, wie sich eine sichtbare Röte über Stephanies Wangen ausbreitete. Sie war wirklich ein ungewöhnlich reizendes Geschöpf, und Jordan konnte sich gut vorstellen, sich in diesen zimtfarbenen und goldenen Locken zu verlieren. Ein zarter, nackter Körper im Liebesspiel …
Heute Nacht würde ihm das Einschlafen äußerst schwerfallen, daran zweifelte Jordan nicht. Vielleicht half ihm ja eine gründliche eiskalte Dusche! „Schlaf gut, Stephanie!“, sagte er zum Abschied und schenkte ihr ein bedeutungsvolles Lächeln. Dann drehte er sich um und verließ die Küche.
3. KAPITEL
„Wo bist du gewesen?“, wollte Jordan am nächsten Morgen wissen, als Stephanie durch die Hintertür in die Küche stolperte, begleitet von einem eisigen Windstoß. Da sie in beiden Händen Plastiktüten trug, zog sie die Tür notdürftig mit dem Fuß hinter sich zu.
Die kalte Dusche hatte am Vorabend leider wenig dazu beigetragen, Jordans Verlangen wieder in den Griff zu bekommen. Die Lust war augenblicklich wieder aufgeflammt, als er hörte, wie Stephanie die Treppenstufen zum Obergeschoss hinaufstieg.
Sein eigenes Schlafzimmer hatte Jordans ältester Bruder für ihn im Esszimmer einrichten lassen, und dort lag Jordan dann die halbe Nacht wach und stellte sich vor, wie seine niedliche Physiotherapeutin langsam die Hüllen fallen ließ und ihren Luxuskörper zwischen die kuscheligen Decken schob. Nach einer Weile zog er sich sogar wieder an und kehrte in die Küche zurück, wo noch immer eine verführerische Flasche Rotwein auf ihn wartete. Immerhin!
Doch auf leeren Magen bekam ihm der Alkohol nicht besonders gut, und am Morgen musste er sich mit pochenden Schläfen und einem sauren Geschmack im Mund aus dem Bett quälen. Das Pochen in anderen Bereichen seines Körpers störte ihn jedoch weitaus mehr als der dumpfe Kopfschmerz.
Er hatte sich bereits einen starken Kaffee aufgebrüht und die Hälfte davon ausgetrunken, als ihm die bleierne Stille im Haus bewusst wurde. Die Treppe konnte er aus eigener Kraft nicht hinaufgehen, um nachzusehen, ob Stephanie wirklich gegangen war. Deshalb warf er einen Blick aus dem Fenster und stellte fest, dass ihr Auto nicht mehr vor dem Haus stand. Dann hatten seine Bemühungen, sie zu vergraulen, also doch Wirkung gezeigt.
Merkwürdigerweise verschaffte ihm das nicht die Befriedigung, die er erwartet hatte. Ob Lucan mit seiner Behauptung recht hatte, sein Bruder wäre schon viel zu lange allein dort draußen? Es fühlte sich beinahe so an, als würde er sich sogar ein wenig über die Rückkehr dieser Therapeutin freuen, die sein Bruder eigenmächtig für ihn ins Boot geholt hatte.
„Wonach sieht es denn aus?“, keuchte sie voller Sarkasmus und wuchtete die schweren Tüten auf den Küchentisch. Dabei blitzte ein Streifen nackter Haut zwischen ihrer ausgewaschenen Jeans und dem Oberteil auf, und Jordan war sofort wie hypnotisiert.
Wahrscheinlich trug sie nicht einmal einen BH, vermutete er.
„Wieso schenkst du mir nicht schon mal eine Tasse von diesem köstlich duftenden Kaffee ein, während ich die Croissants suche, die ich für unser Frühstück besorgt habe?“, schlug sie vor und wühlte dabei in den Einkaufstaschen herum. Dabei rutschte ihr der dicke, geflochtene Zopf über die Schulter und zog Jordans Blick auf sich.
„Ja, Ma’am“, brummte er mürrisch und holte eine weitere Tasse aus dem Küchenschrank.
„Das war eine Bitte, kein Befehl“, sagte sie mit einem resig-nierten Seufzer.
Schweigend zog Jordan eine Braue hoch und schenkte den Kaffee ein. Doch irgendwie gefiel ihm dieser anregende Schlagabtausch mit seinem neuen Hausgast. „Ich habe gestern Abend mit Lucan telefoniert“, begann er.
Stephanie hatte ihre Suche nach den Croissants noch nicht beendet. „Ich weiß.“
Misstrauisch kniff er die Augen zusammen. „Das weißt du schon?“
„Yep.“ Triumphierend hielt sie ein Päckchen von der örtlichen Konditorei in die Höhe und drehte sich mit Schwung zu ihm um. Dann stellte sie lächelnd Gebäck, Honig und frische Butter auf den Tisch. „Ich sprach mit ihm, bevor ich einkaufen gefahren bin. Er war nicht gerade begeistert, dass du ihn um zwei Uhr nachts aus dem Bett holen musstest, um dich über mich zu beschweren.“
Achtlos stellte sie sämtliche Tüten auf den Boden, um sie später nach dem Frühstück in Ruhe auszupacken. Und als der Tisch fertig gedeckt war, ließ sie sich stöhnend auf einen der Holzstühle fallen.
Jordan war es ein wenig unangenehm, dass er nach der Flasche Rotwein gar nicht mehr darauf geachtet hatte, wie spät es bereits war, als er Lucan anrief. Er hatte seine ganze Wut an seinem Bruder ausgelassen, aber dieser hatte sich bis auf ein paar grimmige Kommentare kaum zu den Vorwürfen geäußert.
„Daran hätte er vielleicht denken sollen, bevor er dich herschickte, ohne mich zu fragen“, sagte Jordan gereizt.
Gleichgültig hob Stephanie die Schultern und strich sich dabei großzügig Butter auf ein Croissant. „Ganz offensichtlich hat er unterschätzt, wie rüde und uneinsichtig du geworden bist.“
„Darüber hast du ihn bestimmt liebend gern aufgeklärt, habe ich recht?“
„War unnötig, nachdem du ihn zu unmöglicher Stunde mit deinem Gejammer belästigt hast“, antwortete sie knapp und biss herzhaft in ihr Honigcroissant. Beinahe hätte sie noch einen genussvollen Laut von sich gegeben, so sehr hatte sie sich während der letzten eineinhalb Stunden auf diesen Augenblick gefreut. Duftender Kaffee und ein leckeres Frühstück. Herrlich. „Probier mal ein Croissant, Jordan!“, riet sie ihm. „Das hilft vielleicht auch gegen deinen Kater.“
Die Beweise dafür, dass Jordan zu später Stunde in die Küche zurückgekehrt war, standen noch immer anklagend neben der Spüle: ein benutztes Glas und die leere Rotweinflasche. Den dunklen Ringen unter seinen Augen und der blassen Gesichtsfarbe nach zu urteilen hatte der Alkohol gegen die Schmerzen, die Jordan offenbar wach hielten, nicht viel ausrichten können.
Wenigstens hatte er sich an diesem Morgen rasiert und sich die Haare gekämmt, und nun erkannte man auch das Grübchen in seinem markanten Kinn wieder. Das lenkte Stephanie etwas ab, deshalb konzentrierte sie sich schnell auf seine Kleidung, die aus blassen Jeans und einem weißen T-Shirt bestand. Ausgesprochen sexy!
Auch Stephanie hatte nicht besonders gut geschlafen. Jordans Anwesenheit irgendwo in diesem großen Haus beunruhigte sie, und als sie am Morgen nicht einmal Brot oder Aufschnitt für ein anständiges Frühstück fand, sank ihre Laune endgültig in den Keller.
Spontan rief sie Lucan St. Claire an, um ihm ihre sichere Ankunft mitzuteilen, und erfuhr auf diesem Wege, dass sich sein Bruder bereits bei ihm gemeldet hatte. Jordan hätte sich bitterlich darüber beschwert, dass er bevormundet wurde, aber dieser Vorwurf ließ Lucan ganz offensichtlich kalt. Er schien einfach nur froh über die Tatsache zu sein, dass Jordan überhaupt auf Einflüsse von außen reagierte und endlich aus seiner depressiven Lethargie erwachte.
Stephanie wartete, bis Jordan sich seinen Teller gefüllt hatte, bevor sie weitersprach. „Ich habe davon abgesehen, deinem Bruder zu berichten, auf welch verwerfliche Weise du mich zu vergraulen versucht hast“, sagte sie steif.
Langsam und genüsslich nahm er den ersten frischen Bissen seit Tagen zu sich und begann zu kauen. „Nur weil du wusstest, dass es ihn sowieso nicht interessieren würde.“
Sie zuckte die Achseln. „Oder um mir diese Beschwerde für einen späteren Zeitpunkt aufzuheben.“
Allmählich wurde ihm klar, dass in Stephanie McKinley tatsächlich mehr steckte, als sich ihm auf den ersten Blick erschlossen hatte. Seine Neugierde war definitiv geweckt.
„Ich wollte dich eigentlich schon gestern fragen, ob es da noch einen Mr. McKinley gibt, der irgendwo auf dich wartet“, begann er und lehnte sich zurück.
Achtlos warf sie einen kurzen Blick auf ihre Hände. „Kein Ring.“
„Nicht alle verheirateten Frauen, die ich kenne, tragen einen Ehering“, wandte er ein.
„Vermutlich, weil sie dich nicht wissen lassen wollen, dass sie eigentlich in festen Händen sind“, erklärte sie gelassen.
Seine Augen wurden schmal. „Ich lasse mich nicht mit verheirateten Frauen ein.“
„Nein?“
„Nein.“
„Wegen der Scheidung deiner Eltern?“
Jetzt sog er scharf den Atem ein. „Was weißt du schon von der Scheidung meiner Eltern?“
„Nur, dass du sie in Interviews gern als Entschuldigung verwendest, dich niemals auf eine ernsthafte Beziehung einzulassen.“
„Es ist eine Tatsache, keine Entschuldigung.“ Er schob seinen leeren Teller von sich und stand auf.
Ihr war bewusst, dass sie ihn mit diesem Thema verärgert hatte, aber genau wie Lucan war ihr jede negative Reaktion von Jordan lieber als gar keine.
Sie setzte ein wissendes Lächeln auf. „Dabei ist es doch unvorstellbar, dass eine Frau jemals auf die Idee kommt, Jordan Simpson zu betrügen!“
„Mein Vater ist fremdgegangen, nicht meine Mutter“, entgegnete er schneller, als ihm lieb war.
Das war natürlich etwas anderes, dachte Stephanie. Jordan darf auf keinen Fall erfahren, dass man mir vorwirft, ich hätte mich an einen verheirateten Patienten von mir herangemacht.
Frustriert über seine lose Zunge fuhr Jordan sich durch die Haare. „Ich bleibe den Vormittag über in meinem Arbeitszimmer.“
„Um was zu tun?“, fragte sie direkt und blieb in der Tür zum Flur stehen.
„Das geht dich überhaupt nichts an.“
„Aber eventuell kann ich dir ja helfen?“
„Du kannst mir gefälligst aus der Sonne bleiben!“, fuhr er sie an.
Ehe die Situation eskalieren konnte, entschied Stephanie sich für einen spontanen Kurswechsel. Schon weil Jordans Nähe und seine funkelnden Augen sie ziemlich aus dem Konzept brachten … „Lucan erwähnte heute Morgen, es gäbe in Mulberry Hall einen beheizten Innenpool.“
Irritiert verzog er das Gesicht. „Wieso?“
„Es würde guttun, eine Runde im Wasser zu drehen.“
„Und gehe ich recht in der Annahme, es wäre auch eine ausgezeichnete Übung, um die Muskeln in meinem Bein zu trainieren?“
Stephanie wurde tatsächlich etwas rot, nachdem ihr kleiner Plan zu zügig aufgedeckt wurde. „Was wäre falsch daran?“
„Absolut nichts“, gab er zurück. „Wenn ich es darauf anlegen würde, trainieren zu wollen. Dem ist aber nicht so!“
Sie seufzte tief. „Und warum nicht?“
An seinem Hals pochte sichtbar eine Ader. „Bleib mir aus dem Weg, Stephanie!“, warnte er sie.
Doch Stephanie schüttelte energisch den Kopf und reckte ihr Kinn vor. „Nicht, bis du mir erklärt hast, weshalb du keinen Versuch unternimmst, vollständig gesund zu werden.“
Jordan hatte das Gefühl, ein blutroter Schleier würde sich vor seinen Augen senken, so wütend wurde er. „Rede doch nicht so einen Blödsinn!“
„Also willst du dein Bein doch wieder benutzen können?“
„Was ich will und was ich kann, sind zwei verschiedene Paar Schuhe.“
Mutig legte sie eine Hand auf seinen Arm. „Dann beweise mir, dass es nicht geht, indem du mit zum Schwimmen kommst!“
„Wer möchte denn jetzt Spielchen spielen?“
„Komm schon, Jordan, es macht bestimmt auch Spaß!“
„Zwing mich nicht, dich zur Seite zu schieben, Stephanie“, presste er zwischen den Zähnen hervor.
„Könntest du das denn?“ Ihr Kinn rückte noch ein Stückchen höher. „Glaubst du echt, du bist momentan physisch dazu in der Lage, mich oder irgendjemand anderen zur Seite zu drängeln?“
Seine Hände verkrampften sich um den Griff des Gehstocks. „Du fieses, kleines Bie…“
Stephanie unterbrach ihn achselzuckend. „Niemand behauptet, du musst mich mögen, damit ich dir helfen kann.“
„Ich habe aber nicht um deine Hilfe gebeten!“
„Ob du nun darum gebeten hast oder nicht, ganz offensichtlich benötigst du sie aber.“
Ein paar Mal atmete er tief ein und aus. Dann starrte er die hübsche und ausgesprochen starrsinnige Stephanie McKinley an. Ihre ganze Körperhaltung drückte felsenfeste Entschlossenheit aus, der er sich wohl oder übel vorerst fügen musste.
Dann wanderte sein Blick über ihre Brüste, die sich durch das enge T-Shirt abzeichneten.
Die intensive Aufmerksamkeit, die er ihrer Oberweite widmete, begann Stephanie tief zu verunsichern. Allmählich entglitt ihr die Kontrolle über diese Situation, dabei war sie noch in der vergangenen Nacht zu dem Schluss gekommen, dass Selbstkontrolle für ihre Arbeit in diesem Haus von allergrößter Wichtigkeit war. Denn leider konnte sie sich nicht auf die Reaktionen ihres Körpers verlassen, sobald Jordan Simpson die Bildfläche betrat.
Schon allein sein Blick genügte ja, um ihr die Fassung zu rauben. Sie merkte, wie ihre Brustwarzen sich von innen gegen den dünnen Stoff drückten, und wäre am liebsten vor Scham im Erdboden versunken.
Sie hatte sich bisher noch von keinem Mann sexuell so stark angezogen gefühlt. Zwischen ihr und Jordan sprang ein Funke über, wann immer sie sich im gleichen Raum befanden. Zu gern hätte sie schnell die Arme vor ihrem Oberkörper verschränkt, aber das war wirklich zu verräterisch.
Also widerstand sie dem Impuls und betrachtete scheinbar ruhig Jordans arrogantes und wunderschönes Gesicht. „Ich bin aus rein beruflichen Gründen hier und nicht, um dir irgendwie die Zeit zu vertreiben.“
Da war sich Jordan nicht so sicher. Mehrere Wochen nach seinem Unfall brachte man ihn in ein anderes Krankenhaus zur Rehabilitation. Dort bekam er tagelang Besuch von Frauen, die in seiner Vergangenheit eine Rolle gespielt hatten und sich nun erhofften, er könne sich eine gemeinsame Zukunft mit einer von ihnen vorstellen. Doch keine einzige von ihnen konnte das Begehren in ihm wecken, das seit Stephanies Ankunft in seinem Haus ein Eigenleben zu führen schien. Und mit keiner von ihnen konnte er derart anregende und aufregende Gespräche führen.
Hinzu kam selbstverständlich die Tatsache, dass es ihm kurz nach dem Unfall körperlich wesentlich schlechter als heute ging, und so war es kaum zu einer bemerkenswerten Erektion gekommen – ganz gleich, woran er dachte.
Jetzt hatte Jordan zwar immer noch Schmerzen, aber er brauchte Stephanie nur anzusehen … und er wollte ihr sofort die Kleider runterreißen, sie zu Boden werfen und jeden reizvollen Zentimeter ihrer zarten Haut abküssen.
Sein Blick fiel auf ihre vollen Lippen, die stumm ungeahnte Wonnen versprachen.
„Teile deines Körpers scheinen da anderer Meinung zu sein“, neckte er sie und wies mit einer dreisten Handbewegung auf ihre festen Brüste.
Die Hitze in ihren Wangen wurde langsam unangenehm, und Stephanie spürte, wie sich die sexuelle Spannung zwischen ihnen weiter auflud. „Es ist ziemlich kühl hier drinnen“, entgegnete sie bemüht sachlich.
Jordan grinste. „Schon komisch, ich empfinde nämlich genau das Gegenteil.“
Genau wie ich, dachte Stephanie. „Ich will dich nicht länger aufhalten“, murmelte sie und wich ihm eilig aus. Hoffentlich bekam sie sich bald wieder in den Griff!
Schwer auf seinen Stock gestützt ging Jordan auf die Tür zu. „Lass mich wissen, ob du doch noch verschwinden wirst!“
„Wozu? Willst du mir zum Abschied winken?“, fragte sie trocken.
„Nein. Ich hätte nur gern den Haustürschlüssel zurück, bevor du fährst“, konterte er und warf ihr einen letzten herausfordernden Blick zu, bevor er verschwand.
Erschöpft ließ Stephanie sich wieder auf einen der Stühle sinken und schenkte sich von dem starken Kaffee nach. Sie konnte einen kräftigen Schluck gebrauchen, um auf andere Gedanken zu kommen.
Was war nur in letzter Zeit mit ihren männlichen Patienten los? Sie hatte sich doch nicht plötzlich in eine unwiderstehliche Verführerin verwandelt. Wie war sie bloß zum Ziel dieser unwillkommenen Aufmerksamkeit geworden?
Und eines stand fest: Sie würde wesentlich mehr Schwierigkeiten haben, den Annäherungsversuchen von Jordan Simp-son zu widerstehen, als es bei Richard Newman der Fall gewesen war.
4. KAPITEL
„Was ist denn jetzt schon wieder?“ Ungeduldig sah Jordan von seinem Schreibtisch hoch, als Stephanie das Arbeitszimmer betrat. Er war über eine Stunde tief in seiner Arbeit versunken gewesen.
Aber sie ließ sich von seiner schlechten Stimmung nicht beeindrucken. „Ich wollte spazieren gehen und dich fragen, ob du vielleicht mitkommen willst.“
Mit beiden Armen stemmte er sich von der Schreibtischplatte ab nach hinten. „Also, da wundert man sich wirklich, was wieder mal in dich gefahren ist. Reichlich unsensibel, wie ich finde.“
„Überhaupt nicht“, gab sie lächelnd zurück.
Nach dem Frühstück hatte sie die Küche aufgeräumt, im Wohnzimmer Staub gewischt, das Untergeschoss gesaugt und eine reichhaltige Gemüsesuppe mit Fleisch für das Mittagessen vorbereitet. Immerhin war es Teil ihrer Aufgabe, für eine gesunde und ausgewogene Ernährung ihrer Patienten zu sorgen – als Teil des ganzheitlichen Heilungsprogramms.
Als dann nichts weiter zu tun war, wurde es Stephanie langweilig. „Wir brauchen auch nicht weit zu gehen“, fügte sie versöhnlich hinzu. „Du könntest mir doch Mulberry Hall zeigen und mich dort ein bisschen herumführen.“
„Zieht diese Masche von dir ‚Kleines Mädchen auf der Suche nach Gesellschaft‘ öfter?“
„Ich brauche keine Gesellschaft, und es ist auch keine Masche“, widersprach sie ruhig. „Aber ein bisschen frische Luft würde uns beiden guttun.“
„Und das Training“, ergänzte er. „Nicht zu vergessen das Training.“
„Meine Güte, bist du ein Griesgram.“ Seufzend wandte sie sich ab.
„Hey, ich habe nicht gesagt, ich würde nicht mitkommen.“
Ganz langsam drehte Stephanie sich wieder um. „Dann begleitest du mich?“
„Warum nicht?“ Entschlossen griff er nach seinem Stock und stand auf. An diesem Morgen würde er mit seiner Arbeit am Filmskript ohnehin nicht weiterkommen – ständig in dem Bewusstsein, dass Stephanie allein über das Grundstück schlenderte. „Allerdings dürfte es schwierig werden, dir Mulberry Hall zu zeigen, weil ich keine Treppen steigen kann.“
„Dann wartest du eben unten, solange ich mich in den Obergeschossen umsehe“, erwiderte sie pragmatisch.
„Und wenn es dich überfällt und du gern eines der schönen Himmelbetten ausprobieren möchtest?“, scherzte er.
„Ach, komm, hör auf, Jordan!“ Trotz seiner Anspielungen wollte sie die Hoffnung aber nicht aufgeben, dass Jordan sich irgendwann von ihr helfen ließ. Und in der Zwischenzeit war ein Spaziergang besser als nichts. „Ich verschwinde nur kurz nach oben, um mir eine dickere Jacke zu holen. Ist schon ziemlich kühl für Oktober.“
„Falls das ein subtiler Hinweis sein soll, mich ebenfalls wärmer anzuziehen, dann rate ich dir dringend, mich nicht wie ein Kind zu behandeln.“
„Ich habe dich nicht wie ein …“ Sie brach ab, als ihr klar wurde, wie recht er hatte. Vermutlich um ihr Verhältnis wieder auf eine professionelle Ebene zu lenken und die Flirterei zu beenden, hatte sie sich wie eine Oberlehrerin angehört. „Ich …“
Weiter kam Stephanie nicht, weil in diesem Moment das Telefon klingelte.
Zumindest eines der Telefone. Denn neben dem Festanschluss lagen noch zwei Handys, ein schwarzes und ein silbernes. Stephanie fand das reichlich übertrieben.
Jordan griff nach dem schwarzen Mobiltelefon, sah kurz auf das Display und nahm den Anruf dann an. „Hi Christa“, sagte er und wandte sich ab, um aus dem Fenster zu sehen.
Ratlos betrachtete Stephanie seinen breiten Rücken und überlegte, ob sie bleiben oder lieber gehen sollte. Das Telefonat war allem Anschein nach privat. Christa Moore. Mit ihr hatte man Jordan direkt vor seinem Unfall eine Affäre nachgesagt.
„Bleib hier!“, rief Jordan, als er bemerkte, wie Stephanie zur Tür ging.
„Ich bin doch kein Hund“, zischte sie und verschwand.
Lächelnd sah er ihren schwingenden Hüften hinterher und bewunderte die feste Rundung ihres Pos. Sie war in der Tat die anregendste …
„Nein, ich habe nicht mit dir gesprochen, Christa“, sagte er ins Telefon. „Oh, nur eine Bekannte meines Bruders“, fuhr er unbekümmert fort und stellte sich vor, wie die große blonde Schauspielerin in ihrem Apartment in L. A. saß.
Von allen Leuten, die Jordan vor dem Unfall zu seinen Bekannten gezählt hatte, war Christa mit Abstand die Hartnäckigste. Sie rief mindestens einmal in der Woche an, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen und zu fragen, wann er nach Kalifornien zurückkehren würde. Aber Jordan hatte weder vor, zurück nach L. A. zu gehen, noch die Beziehung zu Christa wieder aufleben zu lassen, deshalb hielt er diese Gespräche möglichst kurz.
Als er endlich seinen Mantel holte, wartete Stephanie bereits ungeduldig in der Küche auf ihn.
„Das riecht aber gut hier“, bemerkte er und atmete mit einem Seitenblick auf den Herd tief ein.
„Suppe zum Mittag“, erklärte sie knapp und warf sich ihre Jacke über. „Und nein, ich betrachte mich nicht als Haushälterin, falls du mir das als Nächstes ankreiden willst“, fügte sie schnell hinzu, als sie seine hochgezogenen Augenbrauen sah. „Um körperlich gesund zu werden, musst du auch gesund essen.“
Jordan grinste. „Dann hast du nur deshalb ein Mittagessen gekocht, weil es zu deinem Job gehört, dass ich mich richtig ernähre?“
„Genau.“
„Wenn du das sagst.“
„Jordan?“
„Stephanie?“
Nicht einen Moment lang ließ sie sich von seinem unschuldigen Gesichtsausdruck in die Irre führen. Er nahm sie nicht ernst, das war mehr als offensichtlich. „Wozu brauchst du eigentlich zwei Mobiltelefone?“, wollte sie wissen und streifte sich schwarze Handschuhe über.
Eine steile Falte wurde auf seiner Stirn sichtbar. „Wieso willst du das wissen?“
„Mir sind vorhin die Handys auf deinem Arbeitstisch aufgefallen, und da habe ich mich einfach gewundert. Die meisten Menschen kommen mit einem aus.“
„Vielleicht bestehe ich ja aus zwei Persönlichkeiten?“, stellte er in den Raum und fand, dass Stephanie für seinen Geschmack viel zu clever und aufmerksam war.
„Du meinst Jordan Simpson und Jordan St. Claire?“
„Ja.“
„Warum hast du eigentlich deinen Namen geändert, als du Schauspieler wurdest? St. Claire klingt doch ziemlich charismatisch.“
„Gehen wir jetzt spazieren oder nicht?“, wechselte er das Thema und hielt ihr die Tür auf.
„Tun wir.“ Sie nickte und ging mit ihm zusammen nach draußen. „Dann sind für dich Jordan Simpson und Jordan St. Claire also zwei unterschiedliche Persönlichkeiten?“, hakte sie nach, während er den Schlüssel im Schloss drehte und dann mit ihr zusammen auf den Kiesweg zusteuerte.
Für ihn waren sein wahres Ich und sein Alter Ego zwei komplett verschiedene Charaktere, verschieden wie Tag und Nacht. Sie hatten so gut wie nichts gemeinsam. „Können wir nicht einfach diesen kleinen Ausflug hinter uns bringen?“, brummte er.
„Natürlich.“ Absichtlich verlangsamte Stephanie ihre Schritte, um mit Jordan auf einer Höhe zu bleiben. „Hast du nie in Erwägung gezogen, in das Familienunternehmen einzusteigen?“
Ihre Neugier war vermutlich allzu verständlich. Allerdings gehörte Verständnis nicht gerade zu Jordans Stärken. „Hast du mal davon gehört, dass einvernehmliches Schweigen bei einem Spaziergang ausgesprochen entspannend sein kann?“
Das Problem war nur, das ihr in der Stille die körperliche Anziehung von Jordan viel zu bewusst wurde. Nur leider schien er sie überhaupt nicht wahrzunehmen, und seine verschlossene Miene wirkte vollkommen undurchdringlich.
„Wow!“
Müde lehnte Jordan sich gegen eine der vier Marmorsäulen in der Eingangshalle von Mulberry Hall, während Stephanie staunend die riesigen venezianischen Glaslüster betrachtete, die an der mit Fresken bemalten Decke über ihnen hingen. Jordans Bein schmerzte von dem langen Weg hierher, und es fiel ihm schwer, Stephanies Begeisterung zu teilen. Außerdem hatte er das Innere dieser Halle bereits unzählige Male gesehen.
„Das ist … ich meine, wow!“
„Verstehe, du bist also beeindruckt“, sagte er müde und folgte Stephanie, die ehrfurchtsvoll zwischen den Statuen umherschlenderte, mit seinem Blick.
„Du etwa nicht?“
„Nein, nicht besonders.“ Kraftlos stieß er sich von der Säule ab und stützte sich schwer auf seinen Gehstock. Dann humpelte er zum großen Salon im vorderen Teil des Hauses.
Stephanie folgte ihm und versuchte dabei, die wundervolle Umgebung ganz in sich aufzunehmen. Auf der Schwelle zum Salon blieb sie stehen und starrte die goldene und cremefarbene Einrichtung im Regency-Stil an. „Hat Lucan jemals mit dem Gedanken gespielt, dies der Öffentlichkeit zugänglich zu machen?“
„Ganz sicher nicht.“ Beinahe hätte Jordan über diese Idee laut gelacht. Er konnte sich den angewiderten Ausdruck auf dem Gesicht seines Bruders lebhaft vorstellen, würde man ihm den Vorschlag unterbreiten, die Tore von Mulberry Hall für jedermann zu öffnen. „So etwas solltest du ihm gegenüber gar nicht erst anregen, es sei denn, du willst seiner eisigen Abneigung begegnen.“
„Aber das scheint mir so eine Verschwendung zu sein“, wand Stephanie nachdenklich ein. „Das Gebäude muss doch sehr alt sein.“
„Frühes Elisabethanisches Zeitalter, schätze ich.“
Mit wenigen Schritten durchquerte Stephanie den Raum und berührte vorsichtig den goldenen Rahmen des Spiegels, der über dem weißen Kamin hing. „Hat Lucan es schon eingerichtet übernommen?“ Der üppige Stuck, die alten Lampen und die antike Anrichte waren ebenso schön wie die kostbare Porzellanuhr, die wie ein Schmuckstück den Sims des Kamins zierte.
Jordans ganze Haltung drückte Desinteresse aus. „Soweit ich informiert bin, befindet sich ein großer Teil der Möbel bereits seit mehreren Hundert Jahren hier.“
„Ich frage mich, was mit der Familie geschehen ist, die hier lebte“, murmelte sie. „Es waren bestimmt Adelige, oder?“
Er nickte. „Die Dukes von Stourbridge.“
„Eine Schande, dass so viele dieser alten Titel einfach verschwunden sind oder nicht mehr benutzt werden.“
„Ja, eine Schande“, stimmte Jordan trocken zu.
„Meinst du, Lucan möchte hier leben, wenn er mal heiratet? Ich überlege nur laut“, verteidigte sie sich, als Jordan in Gelächter ausbrach. „Vielleicht möchte er diesen Ort nicht öffentlich machen, aber irgendeinen Zweck wird er doch mal erfüllen?“