Julia Exklusiv Band 300

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VERTRAUE NIEMALS EINEM PLAYBOY! von LUCAS, JENNIE
Was für ein Schuft! Warum nur hat sie sich Alexander hingegeben? Dem Mann, der ihren Vater ruiniert hat! Niemals will Lia den faszinierenden Playboy wiedersehen. So süß seine Küsse unter Italiens heißer Sonne auch schmecken, sie muss ihn vergessen. Leider sieht ihr Herz das anders …

ZWISCHEN VERNUNFT UND PUREM VERLANGEN von HUNTER, KELLY
Die Vernunftehe zwischen Max und Evie ist bereits geplant, als Max ihr seinen Bruder Logan vorstellt. Evie glaubt zu träumen, denn der sexy Multimillionär ist kein Unbekannter für sie. Er ist der geheimnisvolle Fremde, der sie einst in eine Welt atemloser Lust entführt hat!

SONNE, SEX UND HEIßE KÜSSE von ANDERSON, NATALIE
Keine Frage, es war der heißeste Nachmittag in Kelsis Leben! Aber die Stunden der Leidenschaft mit Jack am Strand von Neuseeland bleiben nicht ohne Folgen. Und selbst mit viel Fantasie kann Kelsi sich nicht vorstellen, dass ihr Traummann auch ein perfekter Daddy wäre …


  • Erscheinungstag 20.07.2018
  • Bandnummer 0300
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711177
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennie Lucas, Kelly Hunter, Natalie Anderson

JULIA EXKLUSIV BAND 300

1. KAPITEL

Strahlende Lichter beleuchteten die Fresken an der hohen Decke des großen Ballsaals im Cavanaugh Hotel. Die Reichen und Schönen New Yorks hatten sich hier in erlesener Abendgarderobe zum Black & White-Ball versammelt, ebenso wie die illustre und geheimnisumwitterte Gastgeberin Contessa Lia Villani.

„Das wird nicht so einfach, wie du dir das vorstellst“, raunte Alexanders Freund ihm zu, als sie sich Seite an Seite unter die Gäste mischten. „Du weißt ja nicht, wie sie ist. Definitiv eine Schönheit. Und höchst kapriziös.“

„Ob nun schön und kapriziös, sie ist auch nur eine Frau“, erwiderte Alexander Navarre. Mit einem unterdrückten Gähnen fuhr er sich durch das pechschwarze Haar. Er war noch nicht über den Jetlag hinweg. „Sie wird mir geben, was ich will.“

Nachdenklich ließ er den Blick durch den vollen Saal wandern. Einst hatte sein Großvater versucht, ihn zu zwingen, in diesem goldenen Käfig zu leben. Noch immer konnte er nicht so recht fassen, dass er tatsächlich wieder in diese Stadt zurückgekehrt war. Die letzten fünfzehn Jahre hatte Alexander damit zugebracht, große Landentwicklungs- und Bauprojekte zu realisieren, in Übersee, aber hauptsächlich in Asien. Nie hätte er gedacht, dass er hierher zurückkommen würde.

Doch es war seit Generationen das größte Stück Land in Manhattan, das auf den Markt gekommen war. Die fünf Wolkenkratzer, die Alexander hier hatte errichten wollen, wären sein Nachlass für die Welt gewesen.

Deshalb war er ja auch so wütend gewesen, als er hörte, dass Conte Villani ihm das Grundstück vor der Nase weggeschnappt hatte. Aber der italienische Aristokrat war vor zwei Wochen verstorben, und so konnte Alexander sich also ganz auf die junge Witwe des Conte konzentrieren. Im Moment gab sie sich noch den Anschein, den letzten Wunsch ihres Mannes verwirklichen zu wollen und auf dem Grundstück einen großen Park anzulegen. Nun, die clevere Goldgräberin würde wohl sicher bald ihre Meinung ändern.

Sie würde sich Alexanders Wünschen fügen. So wie alle Frauen.

„Wahrscheinlich ist sie nicht einmal hier“, setzte Nathan erneut an. „Seit ihr Mann gestorben ist …“

„Natürlich ist sie hier“, widersprach Alexander überzeugt. „Sie wird doch nicht ihren eigenen Ball verpassen.“

Doch wenn er die Ehrfurcht hörte, mit der hier der Name der Contessa ausgesprochen wurde, fragte er sich zum ersten Mal, ob er heute Abend nicht vielleicht doch einer Herausforderung gegenüberstand. Ob er sich vielleicht tatsächlich würde anstrengen müssen, um sein Ziel zu erreichen.

Ein faszinierender Gedanke.

„Den Gerüchten zufolge“, flüsterte Nathan, als er Alexander durch die Menge folgte, „soll der alte Conte mit ihr zu viel Spaß im Bett gehabt haben. Sein Herz hat nicht mehr mitgemacht.“

Alexander schnaubte nur. „Der Mann war seit Monaten krank. Mein Herz hält das schon durch, keine Sorge.“

„Du hast sie noch nicht gesehen, du hast keine Ahnung.“ Nathan fuhr sich über die Stirn.

Nathan Carter und Alexander kannten sich seit Ewigkeiten. Nathan war der Vizepräsident der Navarre Ltd. für Nordamerika. Normalerweise blieb er immer kühl und souverän. So nervös hatte Alexander ihn noch nie gesehen.

„Sie veranstaltet diesen Ball, um Spenden für den Park aufzubringen. Wieso bist du so sicher, dass sie dir das Grundstück verkaufen wird?“

„Weil ich ihren Typ kenne. Sie hat ihren Körper an den Conte verkauft, oder nicht? Er hat vielleicht bei seinem Ableben ein wohltätiges Projekt als Wiedergutmachung für seine Jahre als skrupelloser Geschäftsmann im Sinn gehabt, aber jetzt, da er nicht mehr ist, wird sie es sich überlegen und lieber das Geld einstecken. Ich erkenne geldgierige Menschen, wenn ich sie sehe …“ Seine Stimme erstarb, als eine Frau auf den Absatz der breiten Treppe im Ballsaal trat. Unwillkürlich schnappte er leise nach Luft.

Schimmerndes schwarzes Haar fiel in weichen Locken auf helle bloße Schultern. Dunkelgrüne Augen, in der Farbe eines schattigen Waldes, wurden von langen dunklen Wimpern gerahmt. Das weiße Abendkleid, das sie trug, brachte ihre faszinierenden Kurven perfekt zur Geltung. Ihr Gesicht war das eines Engels, doch die Lippen waren blutrot und sinnlich wie die Sünde, geschaffen zum Küssen, lockten sie jeden Mann …

Alexander fühlte sich seltsam aufgewühlt. „Wer ist das?“

Nathan lächelte spöttisch. „Das, mein Freund, ist die lustige Witwe.“

„Die Witwe …“ Alexander sah genauer hin. Sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Eine perfekte weibliche Figur, eine Heilige, eine Sünderin, wie eine Mischung aus Rita Hayworth und Angelina Jolie. Zum ersten Mal verstand Alexander den Ausdruck „Diva“ in seiner wirklichen Bedeutung.

Vielleicht war an den Gerüchten ja doch etwas dran.

Er schluckte. Contessa Lia Villani war keine Frau, sie war eine Göttin. Es war lange her, seit er das letzte Mal so gefühlt hatte. Seit er so fasziniert gewesen war, so erregt. Er war uneingeladen auf der Party der Contessa erschienen, um sie zu überreden, ihm das Land zu verkaufen. Nun, falls sie auf diesen Vorschlag eingehen sollte, wäre sie ja vielleicht auch empfänglich dafür, den Deal mit ihm zusammen im Bett zu besiegeln?

Aber er war mit Sicherheit nicht der einzige Mann, der sie begehrte. Alexander beobachtete, wie ein weißhaariger Gentleman im Smoking der schönen Witwe entgegeneilte und ihr galant die Hand reichte, um ihr die Treppe hinunterzuhelfen. Andere waren nicht so couragiert, sie blieben zurück und starrten nur abwartend.

Das Wolfsrudel scharrte sich also schon zusammen.

Sie bedachte ihren Verehrer mit einem kühlen Blick und einem Lächeln, das perfekte Zähne zeigte, aber ihre Augen nicht erreichte.

Sie brauchte keine Angst vor Wölfen zu haben, sie war selbst eine Wölfin. Die Contessa strahlte Macht und Unerbittlichkeit aus, nutzte ihre Schönheit und ihr Selbstbewusstsein wie eine Naturgewalt.

Die Intensität seines Begehrens schockierte Alexander. Plötzlich sah er Bilder vor sich, wie dieser wunderbare Körper sich ihm verlangend entgegenbog, hörte seinen Namen als Flüstern über diese vollen Lippen kommen, spürte das Beben dieser üppigen Brüste an seinen Handflächen.

Diese Frau, die jeder Mann wollte, würde ihm gehören.

Und das Grundstück natürlich auch.

„Mein herzlichstes Beileid, Contessa“, sagte Andrew Oppenheimer ernst und küsste ihre Hand.

„Danke.“ Mit leeren Augen sah Contessa Lia Villani den älteren Mann an. Sie wünschte, sie wäre in der Villa Villani, könnte in dem überwachsenen Rosengarten hinter den mittelalterlichen Mauern den Verlust ihres Mannes betrauern. Doch ihr war keine andere Wahl geblieben. Giovanni hätte von ihr erwartet, dass sie auf dem Ball erschien, den sie sechs Monat lang zusammen geplant hatten. Der Park würde Giovannis Vermächtnis sein, wie er auch ein Andenken an ihre Familie sein würde. Sechsundzwanzig Hektar mit Bäumen und Rasen und Spielplätzen, als Erinnerung an all die Menschen, die sie geliebt hatte.

Die alle nicht mehr lebten. Zuerst ihr Vater, dann ihre Schwester und danach ihre Mutter. Jetzt ihr Ehemann. Trotz der lauen Sommernacht saß Lias Herz kalt und leblos in ihrer Brust, so als wäre sie schon vor langer Zeit mit den geliebten Menschen in stiller Erde begraben worden.

Andrew richtete sich wieder auf, ließ ihre Hand aber nicht los. „Ich hoffe, uns gelingt es dennoch, Ihnen ein wenig über Ihren Verlust hinwegzuhelfen.“

Lia zwang sich zu einem schwachen Lächeln. Sie wusste, er versuchte nur nett zu sein. Immerhin war er einer der größten Spender für den Park. Einen Tag nach Giovannis Tod hatte er einen Scheck über fünfzigtausend Dollar ausgestellt.

Schon auffällig, wie viele Männer ihr in den letzten beiden Wochen plötzlich Schecks mit hohen Summen überreicht hatten.

„Erlauben Sie mir, Ihnen ein Glas Champagner zu besorgen.“

„Danke, lieber nicht.“ Sie ließ den Blick über den Saal schweifen. „Ich werde meine Gäste begrüßen müssen.“

Der Saal war zum Bersten voll, jeder war gekommen. Lia konnte noch immer nicht ganz fassen, dass der Olivia-Hawthorne-Park in der Far West Side tatsächlich Realität werden würde. Die sechsundzwanzig Hektar, auf denen jetzt halb zerfallene Lagerhäuser standen und verrostete Eisenbahngleise lagen, würden zu einer grünen Oase in der Stadt werden. Direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Ortes, wo ihre Schwester gestorben war. In nicht allzu ferner Zukunft würden die Kinder, die im St.-Ann-Hospital lagen, auf einen Park und einen Spielplatz hinuntersehen können, wenn sie aus dem Fenster schauten. Sie würden die Blätter an den Bäumen rascheln und das Lachen spielender Kinder hören. Und sie würden Hoffnung schöpfen.

Was bedeuteten schon Lias Trauer und Schmerz im Vergleich dazu? Sie entzog Andrew ihre Hand. „Entschuldigen Sie mich bitte …“

„Erlauben Sie mir, Sie zu begleiten“, bat er.

„Nein, danke. Ich muss wirklich …“

„Lassen Sie mich an Ihrer Seite bleiben, Contessa. Erweisen Sie mir die Ehre, Ihnen Halt geben zu dürfen. Ich weiß, wie schwierig es für Sie ist, heute Abend hier zu sein. Ich verdopple meine Spende für den Park, verdreifache sie …“

„Die Dame sagte doch schon Nein“, ertönte da eine tiefe Stimme.

Lia sah auf und schnappte unmerklich nach Luft. Ein großer, breitschultriger Mann in einem maßgeschneiderten Smoking, mit schwarzem Haar und gebräunter Haut, stand am Fuße der Treppe. Und obwohl seine Worte Andrew galten, lag der Blick seiner dunklen Augen allein auf ihr.

Es war ein Blick, der eine seltsame Hitze in ihr aufsteigen ließ. Wärme … das war etwas, das sie seit Wochen nicht mehr gefühlt hatte, trotz des warmen Juniwetters.

„Kenne ich Sie?“, fragte sie leise.

Er lächelte verführerisch. „Noch nicht.“

„Aber ich kenne Sie definitiv nicht“, mischte Andrew sich eisig ein. „Die Contessa steht heute Abend unter meinem Schutz …“

„Würden Sie so nett sein und mir ein Glas Champagner holen, Andrew?“, wandte Lia sich lächelnd an den Älteren. „Es macht Ihnen doch nichts aus, oder?“

„Nein, im Gegenteil. Es ist mir ein Vergnügen, Contessa.“ Er bedachte den Fremden mit einem düsteren Blick. „Was ist mit ihm?“

„Bitte, Andrew.“ Sacht legte sie ihre Hand auf seinen Unterarm.

„Natürlich“, erwiderte Andrew würdevoll und stieg die Stufen hinab, um einen der Kellner zu finden, die Tabletts mit Champagnerflöten durch die Menge balancierten.

Lia ballte die Fäuste und richtete die Augen auf den Eindringling. „Sie haben genau eine Minute für Ihre Erklärung, bevor ich die Sicherheitsleute verständige.“ Die Contessa trat die letzte Stufe hinunter und stellte sich direkt vor ihn. „Ich kenne jeden auf der Gästeliste, nur Sie nicht.“

Sein Blick hielt sie gefangen. „Es stimmt, Sie kennen mich nicht.“ Er kam näher, ein kleines Lächeln typisch männlicher Arroganz auf den Lippen. „Ich bin gekommen, um Ihnen zu geben, was Sie wollen.“

„So?“ Sie musste alle Kraft aufwenden, um die jähe Hitze, die wie ein Waldbrand durch ihren Körper laufen wollte, zu zügeln. „Und was genau sollte das sein?“

„Geld, Contessa.“

„Ich habe genug Geld.“

„Das meiste davon wollen Sie für diese alberne Gefühlswallung Ihres verstorbenen Mannes ausgeben.“ Er lächelte herausfordernd. „Was für eine Verschwendung, nachdem Sie so hart gearbeitet haben, um es endlich in die Finger zu bekommen.“

Dieser Mann beleidigte sie auf ihrer eigenen Party! Warf ihr pure Berechnung vor! Wobei sie nicht einmal leugnen konnte, dass er teilweise sogar recht hatte …

Sie hob ihr Kinn und berief sich auf jede Unze Hochmut, die sie besaß. „Wie Sie selbst schon sagten, kennen wir uns nicht. Und dabei wird es auch bleiben.“

„Oh, das sehe ich anders. Bald werde ich alles über Sie wissen.“ Er fuhr mit einer Fingerspitze an ihrer Kinnlinie entlang. „Sie werden nämlich schon bald mein Bett mit mir teilen.“

Es war nicht das erste Mal, dass Männer ihr solche lächerlichen Dinge sagten, nur war es das erste Mal, dass sie nicht in der Lage war, einen Mann auf seinen Platz zu verweisen. Weil seine flüchtige Berührung einen wahren Gefühlstumult in ihr auslöste.

„Ich bin nicht zu kaufen“, sagte sie leise.

Leicht hob er ihr Kinn an. „Sie werden mir gehören, Contessa. Sie werden mich wollen, so wie ich Sie will.“

Sie hatte von sexueller Anziehungskraft gehört, doch sie war längst zu der Überzeugung gekommen, dass sie selbst dieses Gefühl nie erfahren würde. Dafür war sie zu kalt, zu bedrückt, zu … betäubt. Doch als sie jetzt seine Finger an ihrer Haut spürte, da war es, als würde die Sonne durch graue Wolken brechen, um wärmende Strahlen auszusenden, die Eiskristalle auffunkeln ließen und zum Schmelzen brachten.

Gegen ihren Willen lehnte sie sich näher zu ihm. „Ich sollte Sie wollen? Das ist ja lächerlich.“ Ihre Stimme klang heiser, ihr Herz klopfte wild. „Ich weiß ja nicht einmal, wer Sie sind.“

Er nahm ihre Hand, und sie spürte den Stromschlag in ihrem Innern. Langsam zog er sie in seine Arme und sah ihr ins Gesicht, das nur Zentimeter von seinem entfernt war.

„Ich bin der Mann, der Sie heute Abend mit zu sich nach Hause nehmen wird.“

Das, was in ihr vorging, als er die Hand auf ihren freien Rücken legte und sie an sich zog, glich einem Erdbeben. Sie spürte den Stoff seines Abendanzuges an ihrer Haut, fühlte seinen harten Körper an ihren gepresst. Das Atmen bereitete ihr plötzlich Mühe. Sie sah zu ihm auf, verwundert über die überwältigenden Empfindungen und die aufflammende Sehnsucht. Ihre Lippen teilten sich unwillkürlich, und …

Und sie wollte mit ihm gehen, ganz gleich wohin.

„Ihr Champagner, Contessa.“ Andrews Rückkehr brach den Bann. Mit einem bösen Blick für den dunklen Fremden reichte er ihr die feine Kristallflöte.

Lia konnte sehen, wie die anderen Vorstandsmitglieder des Park-Komitees ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versuchten, sah das dezente kleine Begrüßungswinken gleich mehrerer Anwesender. Wurde sich bewusst, dass dreihundert Augenpaare auf ihr lagen und darauf warteten, mit ihr reden zu können.

Sie konnte nicht fassen, dass sie tatsächlich mit dem Gedanken gespielt hatte, mit einem Fremden davonzulaufen. Die Trauer musste ihr den Verstand benebelt haben!

„Entschuldigen Sie mich.“ Sie musste Abstand zu diesem Fremden gewinnen, seiner vergiftenden Nähe entkommen. „Ich werde jetzt meine Gäste begrüßen.“ Sie hob ihr Kinn. „Meine geladenen Gäste“, betonte sie spitz.

„Oh, ich bin mit jemandem hier, den Sie eingeladen haben.“ Das Funkeln in seinen Augen jagte einen heißen Speer durch sie hindurch.

Hieß das, er war als Eskorte einer anderen Frau hier? Und dann machte er sich an sie heran? Lia spürte eine nicht zu erklärende Wut in sich aufsteigen. „Ihre Begleiterin wird es sicher nicht schätzen, wenn sie so lange allein gelassen wird.“

Alexander bedachte sie mit einem abgründigen Lächeln. „Ich bin nicht in weiblicher Begleitung gekommen. Aber ich werde die Veranstaltung in weiblicher Begleitung verlassen, und zwar mit Ihnen.“

„Da irren Sie gewaltig“, zischelte sie entrüstet.

„Contessa“, Andrew Oppenheimer verzog abfällig den Mund, als er den anderen Mann anblickte, „gestatten Sie mir, Sie von diesem … aufdringlichen Menschen wegzuführen.“

„Danke, Andrew.“ Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und ließ sich von ihm begleiten, hin zu den elegant gekleideten Gesellschaftsgrößen und Börsenmaklern.

Doch während Lia Dom Perignon nippte und sich den Anschein gab, an der gepflegten Plauderei teilzunehmen – schließlich kannte sie jeden einzelnen der Spender, wusste Bescheid über deren jeweiliges Einkommen und ihren Rang in der Gesellschaft –, gelang es ihr nicht, die Präsenz des dunklen Fremden auszublenden. Sie spürte seine Anwesenheit, wo auch immer er sich in dem großen Saal befand, und fühlte seinen Blick auf sich liegen.

Ihre kühle Vernunft schien langsam dahinzuschmelzen wie ein Eiszapfen in der Sonne.

Sie hatte sich sagen lassen, dass Verlangen eine zerstörerische Macht sein konnte. Dass es den Seelendrieden einer Frau auffraß und ihr jeglichen Verstand raubte, sodass sie absolut irrwitzige Entscheidungen traf. Aber wirklich verstanden hatte Lia es nie.

Bis jetzt.

Die Grundlage ihrer Ehe war Freundschaft gewesen, nicht Leidenschaft. Mit achtzehn hatte sie einen langjährigen Freund der Familie geheiratet, den sie respektierte und schätzte, einen Mann, der gütig zu ihr gewesen war. Nie war sie in Versuchung gekommen, ihn mit einem anderen zu hintergehen.

Mit achtundzwanzig war Lia noch immer Jungfrau. Und sie nahm an, dass sie für den Rest ihres Lebens unberührt bleiben würde.

In gewisser Hinsicht war es ein Segen, keine Gefühle mehr zu empfinden. Nachdem sie alle Menschen verloren hatte, die ihr etwas bedeuteten, wollte sie nie wieder etwas fühlen.

Doch jetzt …

Als sie auf das Podium trat, um die Eröffnungsrede zu halten und sich bei den Spendern zu bedanken, während sie die bewundernden Blicke aller Männer im Saal auf sich gerichtet sah, da war es der glühende Blick des Fremden, der ihr Blut heiß durch ihre Adern rauschen ließ.

Dieser Fremde bewirkte, dass sie sich lebendig fühlte, obwohl sie es nicht wollte.

Er musste ungefähr Mitte dreißig sein, war attraktiv, aber ohne die steife Eleganz, die Andrew und den anderen New Yorker Blaublütigen innewohnte. Außerdem besaß er nicht das gepflegte blasse Aussehen derjenigen, die mit dem goldenen Löffel in der Wiege geboren worden waren. Nein, er wirkte eher wie ein Krieger, hart und kämpferisch, ja sogar grausam.

Als man sich zum Dinner auf den zugeteilten Plätzen niederließ, sah Lia sich suchend um und bemerkte, dass der dunkle Fremde nicht mehr im Saal war. Die Emotionen, die durch ihre Adern gerauscht waren und ihr Blut zum Summen gebracht hatten, ebbten mit einem Schlag ab, wie eine Symphonie, die nach einem Crescendo endete.

In Gedanken versuchte sie, sich zu überzeugen, dass sie erleichtert war. Er hatte sie aufgewühlt, aufgerieben, wie ein seltsamer Rausch.

Aber … wo war er? Warum war er gegangen?

Nach dem Dinner erwartete sie die nächste Prüfung. Der Zeremonienmeister, ein bekannter ansässiger Landentwickler, bestieg das Podium, einen kleinen Auktionshammer in der Hand.

„Und nun zum vergnüglichen Teil des Abends – die Auktion, der wir alle mit gespannter Erwartung entgegengesehen haben. Das erste Stück ist …“

Die Versteigerung begann mit einer krokodilledernen Handtasche von Hermès aus den 1960er Jahren, die Prinzessin Grazia Patricia gehört hatte. Ein Teil nach dem anderen wurde versteigert, man überbot sich mit enormen Summen, und Lia hätte froh und stolz sein müssen, kam doch jeder einzelne Penny dem Parkprojekt zu Gute.

Aber mit jedem weiteren Fall des kleinen Hammers wuchs das ungute Gefühl in ihr.

„Eine großartige Idee“, hatte Giovanni mit einem matten Lachen gesagt, als der Organisator den Vorschlag vortrug, und hatte schwach Lias Hand gedrückt, die auf seinem Krankenbett lag. „Dir kann niemand widerstehen, Liebes. Du musst es machen.“

Und obwohl ihr die Idee zuwider war, hatte sie zugestimmt. Weil Giovanni sie darum bat. Niemand hatte damit gerechnet, dass die Krankheit sich so plötzlich so rasant verschlimmern würde. Und so saß Lia nun hier und musste sich dieser Veranstaltung allein stellen.

Die zwanzigkarätigen Diamantohrringe von Dior wechselten für neunzigtausend Dollar an einen neuen Besitzer über. Der endgültige Hammerschlag klang in Lias Ohren wie das Fallen der Guillotine.

„Und jetzt“, der Zeremonienmeister hatte ganz offensichtlich Spaß an seiner Aufgabe, „kommen wir zu unserem letzten und wirklich ganz besonderen Auktionsstück.“

Ein Scheinwerferspot leuchtete auf, fiel auf Lia, die auf ihrem Platz saß. Ein Raunen erhob sich unter den Anwesenden, Lia spürte die begierigen Blicke der Männer, sah die eifersüchtigen Mienen der Frauen. Oh, wie sehr sie sich in den abgeschiedenen italienischen Rosengarten zurücksehnte!

„Ein glücklicher Mann wird den Eröffnungstanz mit unserer charmanten Gastgeberin, Contessa Villani, gewinnen. Das Gebot beginnt bei zehntausend Dollar …“

„Zehntausend“, kam es sofort von Andrew.

„Zwanzig“, donnerte ein korpulenter Mann.

„Fünfundzwanzig“, rief ein Teenager, der gerade erst die Internatsschule hinter sich haben konnte.

„Vierzigtausend Dollar für einen Tanz mit der Contessa“, erhöhte ein gestandener Broker.

Die Angebote steigerten sich in kleinen Schritten. Lia stand im Scheinwerferlicht, ihre Wangen brannten vor Erniedrigung. Doch je länger das Bieten andauerte, desto gerader und stolzer wurde ihre Haltung. Hier ging es um den Park für ihre Schwester, um das Einzige in ihrem Leben, das ihr noch etwas bedeutete. Und ja, sie würde lächeln und tanzen, ganz gleich, wer der Mann sein mochte. Sie würde charmant sein und über seine Scherze lachen, selbst wenn es sie umbrachte!

„Eine Million“, ertönte da eine tiefe Stimme.

Im Saal wurde es schlagartig still. Mit angehaltener Luft drehte Lia sich in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war.

Der dunkle Fremde!

Nein, das durfte nicht sein! Sie hatte sich doch gerade erst wieder gefasst. Sie würde seine Nähe nicht schon wieder ertragen können, nicht, wenn seine Berührung sie bis in ihre Seele hinein verbrannte!

Der Zeremonienmeister sah über die Köpfe im Saal hinweg zu dem Bieter und schluckte unmerklich. „Eine Million! Höre ich mehr? Geht jemand höher? Eine Million zum Ersten …“

Flehentlich schaute Lia zu den Männern hin, die sich vor einem Moment noch mit Angeboten überschlagen hatten. Würde jemand von ihnen das Angebot überbieten?

Doch jeder, dem sie ihr schönstes Lächeln schenkte, schüttelte bedauernd den Kopf. Der Sprung von hunderttausend auf eine Million war zu groß, selbst für die hier versammelten Multimillionäre.

„Eine Million zum Zweiten …“

Der Preis war einfach zu hoch. Oder … sollte es etwa möglich sein, dass hier alle Angst davor hatten, den Fremden herauszufordern?

Wer war dieser Mann? Und wieso war sie einem Mann, der so reich war, dass er es sich leisten konnte, ohne zu überlegen eine Million Dollar für einen Tanz mit ihr zu bieten, noch nie hier in New York begegnet?

„Eine Million zum Dritten!“ Der Hammer fiel. „Für den Eröffnungstanz mit der Contessa. Sir, Sie können sich Ihr Auktionsstück abholen.“

Die anderen wichen zur Seite, machten Platz mit hängenden Köpfen, als der Fremde sich den Weg durch den Saal bahnte. Er war größer und breiter gebaut als alle hier. Doch Lia ließ sich von niemandem einschüchtern, von keinem Mann. Was immer in ihrem Innern vorgehen mochte, niemand würde es sehen. Der Fremde hielt sie für geldgierig, er glaubte, er könnte sie kaufen.

Nun, sie würde ihn schon eines Besseren belehren. Sie hob ihr Kinn, als er vor sie trat.

„Bilden Sie sich jetzt nicht ein, ich würde Ihnen gehören“, zischte sie voller Verachtung. „Sie haben sich soeben einen dreiminütigen Tanz erkauft, mehr nicht.“

Als Antwort zog er sie in seine starken Arme und führte sie auf die Tanzfläche.

„Jetzt habe ich dich“, murmelte er sinnlich lächelnd, als er in ihr Gesicht sah. „Aber das ist erst der Anfang.“

2. KAPITEL

Das Orchester begann zu spielen, und eine Sängerin in einem schwarzen Paillettenkleid hob zu singen an – „At Last“, der klassische romantische Song.

Lias Herz schwoll an, als die sehnsüchtigen Worte von der lang gesuchten und endlich gefundenen Liebe an ihr Ohr drangen. Der gut aussehende Fremde führte sie über die Tanzfläche, und seine Hände brannten wie Feuer durch den Stoff ihres Kleides auf ihrer Haut. Sie spürte seine Muskeln unter dem eleganten Smoking spielen, während sie sich zum langsamen Takt der Musik wiegten. Eingehüllt in die sinnliche Erfahrung seiner Nähe, verlor sie jedes Zeitgefühl.

Mit einer Hand hob er ihr sacht das Haar von der Schulter und flüsterte nah an ihrem Ohr: „Sie sind eine schöne Frau, Contessa.“

Ein prickelnder Schauer lief ihr über den Rücken, als sein warmer Atem über die empfindliche Haut an ihrem Hals strich. „Danke“, war alles, was sie hervorbrachte. Sie hob ihr Kinn, mühte sich verzweifelt, die Gefühle, die er in ihr auslöste, nicht zu zeigen. „Und einen ganz besonderen Dank für Ihre großzügige Spende. Die Kinder in der ganzen Stadt werden …“

„Die interessieren mich nicht“, fiel er ihr ins Wort. „Ich habe es für Sie getan.“

Der Schwindel setzte wieder ein. „Für mich?“

„Eine Million ist nichts.“ Sein Blick wurde plötzlich lauernd. „Ich würde sehr viel mehr bezahlen, um zu bekommen, was ich will.“

„Und was wollen Sie?“

„Im Moment?“ Er presste sich enger an sie, zog ihre Hand an seine Brust. „Sie, Lia.“

Lia. Kein Mann hatte sie je so genannt. Bekannte sprachen sie mit „Contessa“ an, Giovanni hatte ihren vollen Vornamen benutzt. Amelia. Ihren Kosenamen über die Lippen ihres Tanzpartners fließen zu hören, ließ sie bis in die Seele erbeben.

Die Glut in seinen Augen veränderte sich nicht. Kontrolliertes Feuer. So als wäre das überwältigende Verlangen, das sie zu zerreißen drohte, nicht mehr als ein flüchtiges Interesse für ihn. Ein kurzer Augenblick des Vergnügens in einem Leben, das voll von Vergnügen war.

Doch für Lia war es neu. Es ließ ihre Knie unsicher werden, machte sie schwindelig, erfüllte sie mit Sehnsucht … und mit Furcht.

Sie war sich bewusst, dass die gesamte New Yorker High Society sie beobachtete und spürte die Blicke auf sich liegen, hörte das Flüstern, wie unschicklich und unangebracht dieser Tanz doch sei. Denn der Mann, mit dem sie tanzte, hielt sie eng an sich gepresst, es blieb nicht einmal ein Millimeter Abstand. Er hielt sie, als wäre er ihr Liebhaber.

Als würde niemand anders auf der Welt für ihn existieren als sie.

Lia wusste, sie müsste ihn wegschieben. Schließlich war sie gerade erst Witwe geworden. Zuzulassen, dass er sie so hielt, entwürdigte Giovannis Andenken und würde zudem ihrem Ruf schaden.

Aber sie konnte es nicht.

Nicht einmal seinen Namen kannte sie, und doch war ihr, als hätte sie ihr ganzes Leben auf diesen Moment gewartet.

„Ich wusste es, vom ersten Augenblick an, als ich Sie sah“, flüsterte er ihr zu.

„Was?“

„Wie es sich anfühlen würde, Sie in meinen Armen zu halten.“

Sie erschauerte leicht. Ahnte er, was er für Gefühle in ihr auslöste? Wusste er, welche Wirkung er auf sie hatte? Sie zwang sich, das Haar zurückzuschütteln, so zu tun, als wäre alles in schönster Ordnung.

„So? Ich fühle nichts.“

„Sie lügen.“ Er strich mit der Hand über ihr Haar, hin zu ihren bloßen Schultern.

Der Schauer wurde stärker, ihre Knie begannen tatsächlich zu zittern. Sie musste sich zusammennehmen, bevor die Situation außer Kontrolle geriet. Bevor sie sich komplett vergaß! „Es ist doch nur ein Tanz, weiter nichts.“

Abrupt blieb er stehen. „Beweisen Sie es.“

Ihre Courage verließ sie, als sie seine Absicht in seinem herausfordernden Blick erkannte. Er hatte vor, sie zu küssen, hier auf der Tanzfläche, vor aller Augen.

„Nein.“ Ihr Protest war nur ein Hauch.

Doch da lagen seine Lippen schon auf ihren. Es war ein gieriger, fordernder Kuss, der sie bis in ihr Innerstes traf. Gegen ihren Willen ließ sie sich gegen ihn fallen, ergab sich dem süßen Locken seiner Zunge.

Sie wollte ihn. Wollte das hier. Verlangte danach wie eine Ertrinkende um Luft rang.

Ein leises Stöhnen entfuhr ihr, als seine Hände über ihren bloßen Rücken strichen. Wie lange war sie schon die Ertrinkende? Wie lange war sie schon leblos gewesen?

Ihr Atem ging immer unregelmäßiger, während er den Kuss vertiefte. Entrüstetes Geraune und eifersüchtiges Murmeln drangen an ihr Ohr. Deutlich hörte sie eine männliche Stimme sagen: „Also, dafür hätte ich auch eine Million gezahlt!“

Doch als sie sich von ihm schieben wollte, hielt er sie nur umso fester, küsste aufreizend ihre Lippen, bis sie wieder hilflos gegen ihn sank. Sie vergaß alles, nur noch ihr Verlangen existierte. Sie würde alles geben, alles, nur damit er sie weiterküsste und mit neuem Leben erfüllte …

Dann gab er sie frei, und ihr Körper wurde zurück in die eisige Kälte des leblosen Winters gestoßen.

Als sie die Lider hob, erwartete sie das überlegene Lächeln eines arroganten Mannes zu sehen. Schließlich hatte er ihr etwas bewiesen. Doch stattdessen blickte sie in seine schockierte Miene. Er schüttelte leicht den Kopf, so als würde er selbst nicht wissen, wie ihm geschah. Und dann zuckte es tatsächlich arrogant um seine Mundwinkel, sodass Lia sich fragte, ob sie sich den Schock in seinen Augen nur eingebildet hatte, weil sie ihre eigene Reaktion nicht fassen konnte.

Entsetzt legte sie die Finger an ihre Lippen. Wie konnte sie nur! Giovanni war gerade erst vor zwei Wochen begraben worden!

Der gut aussehende Fremde hatte sie alles vergessen lassen, die Trauer, den Schmerz, die Leere. Sie hatte sich ihm völlig ergeben. Noch nie hatte sie so etwas erlebt. Und selbst jetzt konnte sie nur daran denken, dass sie mehr davon wollte. Ihr dürstete nach ihm, wie einer Blume in der Wüste nach Wasser dürstete.

Sie schlug die Hände an den Kopf, rang um Fassung, entfernte sich von ihm. „Was haben Sie getan?“, flüsterte sie verstört.

Sein dunkler Blick bohrte sich in ihre Augen, heiß genug, um Glas zu schmelzen. „Der Tanz ist noch nicht vorbei.“ Seine tiefe weiche Stimme lockte sie, sich zurück in seine Arme zu schmiegen.

„Bleiben Sie mir vom Leib!“ Sie schwang so abrupt herum, dass sie fast über die Satinschleppe ihres Kleides gestolpert wäre. Mit brennenden Wangen floh sie vor ihm, bahnte sich verzweifelt einen Weg durch den vollen Ballsaal. Rannte vorbei an den schockierten Gästen, vorbei an ihren bestürzten Bekannten, vorbei auch an jenen, die sie anzusprechen versuchten und ihr Hilfe anboten.

Sie musste fort. Fort von dem dunklen Fremden und den erschütternden Gefühlen, die er unerbeten in ihr geweckt hatte.

Über ihre Schulter blickte sie zurück. Er folgte ihr mit grimmig entschlossener Miene. Sie überlegte nicht mehr, sondern handelte instinktiv. Sie kickte die hochhackigen Pumps von den Füßen und rannte. Rannte den breiten Gang des Hotels hinunter, rannte durch das große Foyer, rannte, bis ein Stechen in ihre Seiten fuhr. Rannte, wie sie seit der Schulzeit im Leichtathletikteam nicht mehr gerannt war.

Doch er holte auf. Wie war das möglich?

Kein Wunder, sie war kein junges und durchtrainiertes Mädchen mehr. Zehn Jahre ohne sportliche Betätigung in Italien, das lange Sitzen an Giovannis Bett und die durchweinten einsamen Nächte holten sie jetzt ein.

Wie auch der Fremde!

Wohlhabende Touristen in teuren Poloshirts und eleganten Sommerkleidern starrten ihr entgeistert nach, als sie mit rasselndem Atem durch die Lobby stürmte, über den Marmorboden, hin zur Drehtür. Der Portier stieß einen empörten Schrei aus, als sie ihn fast umrannte.

„Hey!“

„Entschuldigung!“, rief sie ihm über die Schulter gewandt zu, aber sie hielt nicht an. Konnte nicht anhalten, während der Fremde so dicht hinter ihr war.

Nicht weit vom Hotel entfernt sah sie einen Eingang zur U-Bahn. Darauf hielt sie zu, beschleunigte ihr Tempo.

Ja, sie war schnell, aber er war schneller. Auf dem Bürgersteig hörte sie seine donnernden Schritte hinter sich und schlängelte sich durch eine Touristengruppe, die auf der Fifth Avenue die Schaufensterauslagen bestaunte. Ein Taxi hielt an, direkt vor Tiffany’s. Gerade in diesem Moment ging vor dem exklusiven Juweliergeschäft ein Hundeausführer entlang, mit Hunden in allen Größen und Farben an unzähligen Leinen.

Lia setzte zum Sprung über die verwickelten Hundeleinen an. Sie hörte den Satin ihres Kleides reißen, als ihre Füße wieder den Boden berührten, schob den verblüfften Taxikunden unsanft aus dem Weg und ließ sich auf die Rückbank fallen. Nicht weit entfernt hörte sie den Fremden laut fluchen, er steckte zwischen Hundeleinen und mit Einkaufstaschen beladenen Touristen fest.

„Nun fahren Sie schon los!“, herrschte sie den Taxifahrer an.

„Wohin, Lady?“

„Irgendwohin!“ In panischer Angst drehte Lia sich um und schaute zum Rückfenster hinaus. Der Fremde war ihr auf den Fersen. Sie zog die Hundertdollarnote hervor, die sie grundsätzlich in ihrem BH versteckte. „Ich werde verfolgt. Bringen Sie mich endlich hier weg!“

Im Rückspiegel sah der Taxifahrer den Hundertdollarschein in den Fingern seiner Kundin, ebenso wie ihren gehetzten Gesichtsausdruck – und drückte das Gaspedal durch. Mit durchdrehenden Reifen, die Wasser aus einer Pfütze aufspritzten, schoss der Wagen vor und reihte sich rasant in den abendlichen Verkehrsfluss ein.

Lia drehte sich um. Durch die Rückscheibe sah sie die immer kleiner werdende Gestalt des Fremden auf der Straße stehen – tropfnass und mit wütend zusammengepressten Lippen.

Sie war ihm entkommen. Vor Erleichterung wären ihr fast die Tränen gekommen.

Dann schnappte sie nach Luft, als ihr klar wurde, dass sie soeben von ihrem eigenen Fest geflohen war. Wovor hatte sie so eine panische Angst gehabt?

Vor seinem Feuer.

Ihr Körper begann vor Erschöpfung und unterdrückter Sehnsucht zu zittern. Sie lehnte sich in die Polster zurück und ließ ihren Tränen freien Lauf.

3. KAPITEL

Wütend und tropfnass kehrte Alexander unverrichteter Dinge zum Hotel zurück. Auf dem Weg zum Ballsaal griff er sich eine Serviette von einem Servierwagen und wischte sich das schmutzige Pfützenwasser von Hals und Smokingrevers.

Sie war ihm entkommen. Wie war das möglich?

Grimmig zog er die Brauen zusammen. Noch nie hatte eine Frau ihn abgewiesen. Keine Frau hatte es überhaupt je versucht.

Lia Villani hatte ihm nicht nur einen Korb gegeben, sie war auch schneller als er gewesen!

Ärgerlich knüllte er die Serviette zusammen und schleuderte sie auf das leere Tablett eines vorbeikommenden Kellners. An der Tür blieb er stehen und überblickte suchend den Saal.

Nathan tanzte mit einer jungen Frau mit goldblondem Haar. Alexander knirschte mit den Zähnen. Da jagte er der leichtfüßigen Contessa quer durch Midtown nach, brach sich fast den Hals, wurde auch noch mit Brackwasser bespritzt, während Nathan schamlos auf der Tanzfläche flirtete?!

Der Freund musste den wütenden Blick gespürt haben, denn er drehte sich zur Tür und erblickte seinen Chef. Alexanders Miene sprach wohl Bände, da Nathan sich sofort bei seiner Tanzpartnerin mit einem Handkuss entschuldigte und sie an ihren Tisch zurückführte.

Als Nathan nah genug war, um Alexanders desolaten Zustand wahrzunehmen, blieb ihm der Mund offen stehen. „Wie siehst du denn aus?!“

Alexander mahlte mit den Zähnen. „Unwichtig.“

„Das war eine ganz schöne Schau, die du da mit der Contessa veranstaltet hast“, lautete Nathans munterer Kommentar. „Ich könnte wirklich nicht sagen, was aufsehenerregender war – deine Millionenspende, euer Tanz oder die Art, wie ihr beide zwei Olympialäufern gleich aus dem Saal gespurtet seid. So schnell hätte ich dich wirklich nicht zurückerwartet. Sie muss dem Verkauf des Grundstücks ja in Rekordzeit zugestimmt haben.“

„Ich habe nicht mit ihr darüber gesprochen“, knurrte Alexander.

Nathan riss die Augen auf. „Du zahlst eine Million für einen Tanz und nutzt die Gelegenheit nicht aus, um mit ihr darüber zu sprechen?!“

„Das werde ich noch.“ Er schüttelte sich die nasse Smokingjacke von den Schultern und legte sie sich über den Arm. „Darauf kannst du wetten!“

„Alexander, die Zeit wird knapp. Wenn der Vertrag erst an die Stadt geht …“

„Ich weiß.“ Alexander klappte sein Handy auf und wählte eine Nummer. „Lander, Contessa Villani ist vor fünf Minuten mit einem Taxi vom Cavanaugh Hotel abgefahren.“ Er gab die Taxinummer durch. „Finde sie.“

Als er sein Handy wieder verstaute, bemerkte er, wie die Elite der New Yorker Gesellschaft ihn anstarrte, erstaunt, verwirrt und neidisch.

Wer war dieser Mann, schienen alle diese Blicke zu fragen. Nun, er hätte ihnen antworten können, dass er der Mann war, der schon bald siebzigstöckige Wolkenkratzer in der Far West Side bauen würde. Der Mann, der einen neuen Geschäfts- und Büropark in Manhattan schaffen würde, der mit der Wallstreet und Midtown ohne Weiteres würde mithalten können.

„Jetzt erkenne ich Sie.“

Der weißhaarige Herr aus dem New Yorker Geldadel, der den Champagner für Lia geholt hatte, stand plötzlich neben Alexander. Er musste über sechzig sein, doch er wirkte fit und energisch. „Ich kenne Sie“, wiederholte er mit gerunzelter Stirn. „Sie sind Charles Kanes Enkel.“

Alexander starrte ihn mit eiskaltem Blick an. „Mein Name ist Navarre.“

„Ah ja …“, meinte er nachdenklich. „Ich erinnere mich an Ihre Mutter. Eine so unglückliche Wahl. Sie ist mit einem Lastwagenfahrer davongerannt, nicht wahr? Ihr Großvater hat ihr das nie verzeihen können …“

„Mein Vater war ein anständiger Mann“, konterte Alexander eisig. „Er hat seinen Lebensunterhalt mit ehrlicher Arbeit verdient, und er hat niemanden danach beurteilt, wie viel Geld er besitzt und welche Schule er besucht hat. Und dafür hat mein Großvater ihn gehasst.“

„Sie hätten dennoch zur Beerdigung kommen sollen. Er war immerhin Ihr Großvater.“

„Er wollte es nie sein.“ Für Alexander war die Unterhaltung beendet. Mit vor der Brust verschränkten Armen wandte er sich ab.

Der Mann, der die Auktion geleitet hatte, kam auf Alexander zugeeilt. Alexander kannte ihn. Es war Richard Brooks. Brooks hatte einst in einer Zweigstelle von Navarre Ltd. gearbeitet.

„Den allerherzlichsten Dank für Ihre Spende, Mr. Navarre.“ Der Mann überschlug sich schier. „Im Namen aller Stiftungsmitglieder des Olivia-Hawthorne-Parks.“

Das war das Letzte, was Alexander jetzt gebrauchen konnte – eine Erinnerung daran, dass er ausgerechnet dem Projekt, das er unbedingt verhindern wollte, eine Million Dollar hatte zukommen lassen. „Keine Ursache“, erwiderte er mit einem schmalen Lächeln.

„Bleiben Sie länger in New York, Mr. Navarre?“

„Nein“, antwortete er knapp, und bevor Brooks ihn mit weiteren Fragen belästigen konnte, zückte er sein Scheckbuch und stellte einen Scheck über eine Million Dollar aus, den er Brooks mit steinerner Miene reichte.

„Oh, danke, Mr. Navarre, vielen Dank.“ Der Mann zog sich mit einer tiefen Verbeugung zurück.

Alexander nickte nur wortlos. Er hasste diese heuchlerischen Kriecher, die Angst vor ihm hatten, aber sein Geld, seine Zeit oder seine Aufmerksamkeit wollten. Auch die unverhohlenen Blicke der Frauen waren nicht zu übersehen gewesen. Frauen waren überhaupt am schlimmsten.

Außer Lia Villani. Sie hatte nicht versucht, ihn zu verführen. Sie war vor ihm geflohen.

Warum? Nur, weil er sie geküsst hatte?

Dieser Kuss. Er erkannte, was der Kuss mit ihr angestellt hatte. Fast genau das, was auch mit ihm geschehen war – er war zutiefst erschüttert, noch immer.

Dabei war es gar nicht seine Absicht gewesen, sie zu küssen. Erst hatte er ihre Zusage ergattern wollen, ihm das Land zu verkaufen, bevor er sie verführte. Aber etwas an ihrer Art, an ihrer Widerspenstigkeit hatte ihn sehr gereizt und sein Blut zum Brodeln gebracht.

Nun, es war nur ein Kuss gewesen, mehr nicht. In seinem Leben hatte er unzählige Frauen geküsst.

Doch noch nie hatte er so dabei gefühlt.

Na und? Selbst wenn ihm ein so starkes Verlangen bisher unbekannt war, das Endresultat blieb das gleiche. Er würde mit ihr ins Bett gehen, seine Lust befriedigen und dann würde er sie vergessen. Wie immer.

Dennoch … Düster starrte er vor sich hin. Lia Villani hatte ihn das Wichtigste auf der Welt vergessen lassen – das Geschäft. Das war ihm noch nie passiert, vor allem nicht wegen einer Frau. Und aufgrund dieses kapitalen Fehlers war es gut möglich, dass ihm das größte Geschäft aller Zeiten durch die Finger schlüpfte.

Nathan hatte recht gehabt, die Contessa war von Alexander eindeutig unterschätzt worden. Doch statt Ärger oder Wut keimte die Jagdlust in ihm auf. Erst würde er sich ihr Grundstück holen, dann sie.

Das Verlangen tobte schmerzhaft in seinem Körper. Er konnte nicht vergessen, wie sie in seinen Armen erschauert war, während er sie küsste. Konnte nicht vergessen, wie weich ihre Brüste sich an seiner Brust angefühlt hatten, wie verführerisch ihre Hüften an seinen Lenden. Konnte ihren Geschmack nicht vergessen.

Er musste sie einfach haben. Sein Begehren war so groß, dass er Mühe hatte, ein Zittern zu unterdrücken.

Sein Handy klingelte. Er sah auf das Display.

„Lander“, bellte er in die Muschel, „ich will nur gute Neuigkeiten hören.“

Müde schlug Lia die Tür ihres silbernen Aston-Martin Cabrio zu. Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper schmerzte. Es waren lange zwölf Stunden gewesen. In ihrem Stadthaus in New York war sie nur gewesen, um ihren Pass zu holen und das Abendkleid gegen Strickkleid und Kaschmircape zu tauschen. Sie hatte den nächsten Flug vom Kennedy-Flughafen genommen, der sie nach Paris brachte. Von dort aus weiter nach Rom und schließlich nach Pisa. Selbst in der ersten Klasse war es eine anstrengende Reise gewesen.

Wahrscheinlich, weil sie die ganze Zeit über geweint hatte. Und immer wieder über die Schulter zurückschauen musste, während sie damit rechnete, jeden Moment den Fremden hinter sich auftauchen zu sehen.

Aber er war nicht aufgetaucht. Warum also fühlte sie sich nicht besser?

Sie sah an dem liebevoll renovierten Schloss hinauf, das am Rande eines Waldes auf einer Anhöhe stand. Zu einer luxuriösen Villa umgebaut, war das italienische Schloss immer Giovannis bevorzugter Rückzugsort gewesen. Und während der letzten zehn Jahre war es zu Lias Zuhause geworden.

„Benvenuto, contessa“, begrüßte die Haushälterin sie mit Freudentränen in den Augen. „Willkommen zu Hause.“

Zuhause. Lia betrat die Villa Villani und wartete darauf, dass das Gefühl von Geborgenheit und Trost sie einhüllen würde, so wie immer. Doch nichts geschah. Sie fühlte sich nur einsam und leer.

Und wieder schwappte eine neue Welle der Traurigkeit über ihr zusammen. Sie setzte ihren Koffer ab. „Grazie, Felicita.“

Gedankenversunken wanderte sie durch die leeren Räume. Antikes und Modernes waren eine wunderbare Symbiose eingegangen, jeder Raum strahlte vor Sauberkeit, jedes Fenster stand offen, um den hellen Sonnenschein und die frische Bergluft hereinzulassen. Doch Lia fror.

Die Erinnerung an den Kuss des Fremden schoss ihr in den Kopf, an das Feuer, das seine Berührung in ihr entfacht hatte. Und jäh meldete sich Bedauern.

Sie war ein Feigling. Einfach vor ihm wegzurennen. Vor ihren Gefühlen. Vor dem Leben …

Aber sie würde ihn nie wiedersehen. Sie hatte ihre Wahl getroffen. Die angebrachte, die sichere Wahl. Damit würde sie nun leben müssen.

Die Einsamkeit des großen Schlosses, in dem Generation um Generation geboren und gestorben war, hallte in ihr wider. In ihrem Schlafzimmer schaute Lia auf den Diamantring an ihrem Finger, den Giovanni ihr bei der Heirat angesteckt hatte.

Während sie den Ring ihres Ehemannes trug, hatte sie einen anderen Mann geküsst. Scham rollte über sie hinweg, wollte sie ersticken.

Sie schloss die Lider, Tränen brannten dahinter. „Es tut mir leid“, murmelte sie, als könnte Giovanni sie hören. „Ich hätte es niemals zulassen dürfen.“

Dann öffnete sie die Augen und schaute auf den funkelnden Diamanten hinunter. Sie hatte es nicht verdient, ihn zu tragen. Mit stiller Verzweiflung zog sie sich den Ring vom Finger.

Über den langen Korridor ging sie zu Giovannis Schlafzimmer. Hinter dem Gemälde von Giovannis geliebter ersten Frau befand sich der Safe. Lia legte den wertvollen Ring hinein und verschloss ihn wieder. Ihr Blick wanderte zu dem Bild der hübschen jungen Frau. Die erste Contessa saß lachend auf einer Schaukel und streckte schwungvoll die Beine nach vorne. Giovanni hatte Magdalena so sehr geliebt. Aus diesem Grund war es für ihn auch kein Problem, Lia zu heiraten. Er hatte die wahre Liebe mit einer Frau erfahren, die er auf ewig lieben würde.

Es war die Art Liebe, die Lia wohl nie erleben würde. Ihr war so kalt. Ob sie je wieder Wärme empfinden würde?

„Es tut mir so leid“, wiederholte sie flüsternd. „Ich wollte dich nicht vergessen.“

Sie wandte sich ab und ging hinaus in den Rosengarten. Von einer zwei Meter hohen Mauer umschlossen, die noch aus der Römerzeit stammte, wuchsen hier üppige Rosen in allen Farben, die Giovanni selbst gezogen hatte. Stunden hatte er hier an seinem Lieblingsort verbracht, um seine Rosen zu hegen und zu pflegen.

Doch seit Monaten war der Garten jetzt schon vernachlässigt worden, die Stöcke waren verwildert, die Blüten reckten sich gierig der warmen Sonne entgegen, manche von ihnen rankten sich an der Mauer empor.

Lia schloss die Augen und atmete den schweren Duft tief ein, lauschte auf den Wind in den Bäumen und hob ihre Wangen der toskanischen Sonne entgegen. Giovannis Güte und seine sanfte Freundlichkeit fehlten ihr. Sie fühlte sich schuldig, dass sie ihn vergessen hatte, wenn es auch nur für die Dauer eines Kusses gewesen war.

„Hallo, Lia“, grüßte jemand leise.

Sie wirbelte herum.

Er!

Seine Augen glühten, als er durch das schmiedeeiserne Tor zu ihr hinübersah. Er öffnete es und betrat den Rosengarten. Sein schwarzes Hemd und die schwarze Jeans schienen die Farben der prächtigen Rosenblüten noch intensiver strahlen zu lassen. Sein Gang besaß die Geschmeidigkeit einer Raubkatze. Er wirkte auf Lia noch attraktiver, als sie ihn aus New York in Erinnerung hatte. Dieser Mann war wild wie der Wald, der sie hier umgab. Frei in seiner männlichen Schönheit wie die wuchernden Rosen mit den spitzen Dornen.

Und sie waren allein. Er stand zwischen ihr und dem Tor. Dieses Mal gab es kein Taxi, dieses Mal gab es keine Möglichkeit zur Flucht.

Lia verschränkte die Arme vor der Brust und trat instinktiv einen Schritt zurück. „Wie haben Sie mich gefunden?“

„Das war nicht schwer.“

„Ich habe Sie nicht gebeten, mich zu besuchen.“

Er fasste nach ihrem Haar, wickelte sich eine dunkle Strähne um den Finger. Forschend musterte er ihr Gesicht. „Sind Sie da sicher?“

Sie konnte kaum atmen. Vögel zwitscherten hinter der alten Mauer, die einst errichtet worden war, um unerwünschte Eindringlinge abzuwehren. Dieselben Mauern hielten Lia jetzt gefangen.

„Bitte, gehen Sie wieder.“ Ihre Stimme zitterte vor Sehnsucht nach ihm. Nach seiner Wärme, nach seiner Berührung. Durch ihn konnte sie sich jung, lebendig und zum ersten Mal in ihrem Leben als Frau fühlen. „Ich wünsche, dass Sie gehen.“

„Nein, das willst du nicht.“ Und damit hob er ihr Kinn an und küsste sie.

Seine Lippen waren fest und süß. Lia hörte das Summen der Bienen in dem mittelalterlichen Garten, dieser verborgenen Welt innerhalb der bröckelnden Mauern. Der Duft der Rosen berauschte ihre Sinne, machte sie trunken und schwindlig. Sie verlor sich, verlor sich in ihm. Und sie wünschte, es würde nie aufhören.

Sanft drückte er sie gegen die sonnenwarme Mauer, ohne den Kuss zu unterbrechen. Im Gegenteil, der Kuss wurde lockender, fordernder, verführerischer …

Nichts in ihrem Leben hatte sie darauf vorbereitet. Auf dem nächtlichen Flug über den Atlantik hatte Lia sich zu überzeugen versucht, dass ihre heftige Reaktion auf den Kuss des Fremden ein Moment geistiger Verwirrung gewesen war, etwas, das sich niemals wiederholen würde. Doch jetzt war die Leidenschaft noch größer, der bitter-süße Schmerz ihrer Sehnsucht wuchs nur an. Alle Trauer und Einsamkeit fielen von ihr ab. Nichts anderes als seine heißen Lippen und seine streichelnden Hände existierten noch.

Und auch wenn sie wusste, dass sie es nicht sollte … Sie begehrte ihn.

Sie erwiderte den Kuss, zögernd zuerst, dann mit der gleichen Leidenschaft. Er ermunterte sie zu den schüchternen Zärtlichkeiten, zu denen sie ansetzte, murmelte bewundernde und ermutigende Worte. Und dann merkte sie, wie er ihr das leichte Sommerkleid von den Schultern streifte, spürte, wie er den Verschluss ihres BHs löste. Sie schnappte nach Luft, als sie seine Lippen an den harten Knospen ihrer Brüste fühlte, und schrie erstickt auf.

Seine Hände wanderten über ihre Hüften, sie vernahm sein Stöhnen, als er ihr den Slip an den Beinen herabzog. „Lia“, wisperte er rau, „was tust du mir nur an …“

Er hob sie auf seine Arme, und sie sah in sein Gesicht, in seine glühenden Augen.

Und plötzlich wusste sie mit absoluter Sicherheit, dass dieses Feuer sie beide verbrennen würde.

Behutsam bettete er sie auf das weiche Gras und legte sich vorsichtig auf sie. Ein hilfloses Stöhnen kam über Lias Lippen. Sie sehnte sich nach etwas, doch sie wusste nicht, was es war. Sie wusste nur, dass sie es jetzt, sofort wollte.

Willig ließ sie zu, dass er sich zwischen ihre Schenkel drängte. Und als sie spürte, wie er herrisch Einlass verlangte, erbebte sie unter ihm vor Verlangen.

Er beugte den Kopf, forderte ihren Mund zu einem erotischen Tanz heraus, und dann drang er mit einem einzigen Stoß in sie ein.

Der Schmerz durchfuhr sie wie ein Speer, ließ sie hilflos um Luft ringen.

Er erstarrte, schaute ihr schockiert in die Augen.

„Wie ist das möglich? Du bist noch Jungfrau?“

4. KAPITEL

Alexander war fassungslos. Lia, eine Jungfrau!

Sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Alle Männer begehrten sie. Sie war zehn Jahre verheiratet gewesen. Wie konnte sie da noch Jungfrau sein?!

Doch es konnte kein Zweifel bestehen. Alle Anzeichen dafür waren offensichtlich, von Anfang an. Ihr Zögern, die Panik nach dem ersten Kuss, die er für verletzten Stolz gehalten hatte, erschienen plötzlich in einem ganz neuen Licht.

Lia war noch unberührt gewesen. Bis er sie in Besitz genommen hatte.

Sein Blut begann plötzlich schneller zu rauschen. Er sah auf ihr Gesicht, umrahmt von den im Gras liegenden Blütenblättern. Ihre grünen Augen waren so klar, so tief. Die Intensität des Gefühls, das ihn jäh erfasste, erinnerte ihn an seinen ersten Absprung beim Skydiving, hoch in den Wolken über Alaska.

Damals war pures Adrenalin durch seine Adern gerauscht. So wie jetzt.

Lia war gefährlich. Gefährlicher, als er je hätte ahnen können.

Gleichzeitig überkam ihn ein unglaublicher Stolz, zusammen mit einem ungeheuren Besitzanspruch. Er war der Erste und Einzige, der sie bisher besessen hatte. Ob nun gefährlich oder nicht, er konnte sie nicht gehen lassen. Noch nie hatte er einer Frau die Unschuld genommen, doch instinktiv wusste er, dass es sie beide für immer verändert hatte. Genauso, wie es sie beide für immer verbinden würde. Und das war etwas, das ihn ängstigte.

„Warum hast du es mir nicht gesagt?“, fragte er rau.

„Ich wollte nicht, dass du aufhörst.“ Mit zitternden Fingern strich sie ihm sanft über die Wange. „Du hast mir so viel Wärme gegeben. Ich wollte dich in mir spüren …“

Er stöhnte laut auf.

Noch hatte er sich nicht von ihr gelöst. Das Vergnügen war fast zu viel für ihn, als er sich jetzt erneut in ihr zu bewegen begann. Ihren leisen Aufschrei erstickte er mit seinen Lippen. Er küsste ihre Angst fort, bis sie sich wieder hingebungsvoll an ihn schmiegte, bis sie kleine Lustschreie ausstieß und den Kopf losgelöst von einer Seite zur anderen warf.

Es kostete ihn alle Selbstbeherrschung, sich zurückzuhalten, es brachte ihn schier um. Er konnte spüren, wie sich die Spannung in ihrem Körper aufbaute, als sie die Nägel in seinen Rücken krallte. Tief und langsam bewegte er sich in ihr, auf dem warmen Gras, unter der strahlenden Sonne, eingehüllt vom schweren Duft der Rosen.

Und dann hörte er sie tief Luft holen. Sie bog sich ihm entgegen, und ihr lauter Schrei nahm und nahm kein Ende …

Seine Beherrschung riss, und seine Welt explodierte in einem gleißenden Feuerwerk.

Unglaublich schön … kostbar und selten … ein Engel.

So hatte er noch nie gefühlt. Mit geschlossenen Augen verharrte er. Es schien ewig zu dauern, bevor er auf den Erdboden zurückkehrte.

Doch dann holte die Wirklichkeit ihn ein, als ihm jäh etwas bewusst wurde: Er hatte keinen Schutz benutzt!

Er zog sich aus ihr zurück, ungläubig und maßlos wütend auf sich selbst.

Lia öffnete die Augen, diese wunderschönen grünen Augen, so tief, dass ein Mann darin versinken konnte.

Unwirsch runzelte er die Stirn. „Nimmst du die Pille?“

Sie blinzelte verwirrt, dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, warum sollte ich?“

Natürlich, warum sollte sie? Ihm brach der kalte Schweiß aus. Er konnte nicht fassen, dass er so dumm gewesen war. Wie ein Tier hatte er sich ohne Verstand seiner Lust ergeben. Wieso hatte sie diese Macht über ihn? Er verstand es nicht, wusste nur, dass sie ihm zu gefährlich war.

Zu nah.

Nie wieder wollte er Gefühle in jemanden investieren.

Das unerwünschte Bild blitzte in seinem Kopf auf. Lodernde rote Flammen im weißen Schnee. Der dräuende schwarze Himmel. Das Schluchzen, dann das explodierende Feuer und das Knacken von brennendem Holz. Und dann, am schlimmsten von allem, die gespenstische Stille.

Resolut verdrängte er den Gedanken. Geschäft. Er musste sich auf das Geschäftliche konzentrieren.

„Das New Yorker Grundstück …“, hob er an und brach sofort wieder ab.

„Was ist mit dem Grundstück?“

Er wandte ihr den Kopf zu. „Wie ist es möglich, dass du noch Jungfrau warst? Du bist Witwe. Alle Männer begehren dich. Es heißt, der alte Conte sei in deinem Bett gestorben …“

Sie versteifte sich. „Das ist nicht wahr!“

„Ja, das weiß ich jetzt.“ Er stand auf und zog sie zu sich. Ihr Anblick allein reichte aus, um das Verlangen nach ihr neu aufflammen zu lassen. „Aber du warst verheiratet!“

„Giovanni war gütig zu mir“, flüsterte sie. „Er war mein Freund.“

„Aber nie dein Liebhaber.“ Und Alexander war froh darüber. Er ergötzte sich geradezu daran. Dabei sollte es ihm doch gleich sein. Was bedeutete es schon, dass er ihr erster Liebhaber gewesen war?

Sie übte eine seltsame Wirkung auf ihn aus. Er atmete tief durch, versuchte, die Kontrolle über sich zurückzuerlangen, obwohl er eigentlich nichts anderes wollte, als im Schloss ein großes Bett finden, sich alle Zeit der Welt nehmen und ihr zeigen, wie lange das Vergnügen zwischen Mann und Frau dauern konnte …

Nun, sie stand nackt vor ihm, kein Wunder. Das war die logische Erklärung. Sobald sie wieder angezogen war, würde er auch wieder klar denken können.

Er bückte sich, hob ihr Kleid und ihren Slip auf, reichte ihr die Sachen. „Wieso hat der Conte dich geheiratet, wenn nicht aus den offensichtlichen Gründen?“

Verwirrt starrte sie ihn an, hielt sich das Kleid vor die Brust. „Er hat mich geheiratet, weil er ein gütiger Mann war.“

„Sicher“, meinte Alexander ironisch. Er zwang sich, in eine andere Richtung zu schauen. Es war leichter für ihn, wenn er sie nicht ansah. „Aus diesem Grund heiraten alle Männer – um gütig zu sein. Ich habe ein- oder zweimal geschäftlich mit Conte Villani zu tun gehabt. Der Mann war absolut skrupellos.“

„Er und mein Vater waren Freunde.“

Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie sich hastig anzog.

„Ein herzloser Finanzhai hat das Speditionsunternehmen meines Vaters zerstört, Vater hat es nicht verkraften können. Ein paar Monate später starb er an einem Herzinfarkt.“

Alexander drehte sich mit einem Ruck zu ihr um.

„Giovanni kam zur Beerdigung nach L. A. Er sah, dass wir für die medizinische Behandlung meiner Schwester nicht mehr bezahlen konnten. Außerdem war nicht zu übersehen, dass meine Mutter vor Trauer verging. Giovanni versuchte, uns zu retten.“ Lia schüttelte den Kopf, da Tränen in ihre Augen stiegen. „Aber es war zu spät, für sie alle.“

Eine Spedition. Los Angeles. Der Olivia-Hawthorne-Park. Bis jetzt hatte Alexander nicht auf den Namen geachtet. Aber die Teilchen fingen an, sich zusammenzufügen und ein Bild zu ergeben.

Plötzlich spürte er einen Stein in seinem Magen. „Wie hieß dein Vater?“

„Alfred Hawthorne. Wieso?“

In Gedanken fluchte Alexander ausgiebig. Genau, wie er befürchtet hatte. Ihr Vater war der Mann, der sich vor zehn Jahren überschuldet hatte, um Alexanders aggressive Übernahme seiner Speditionsfirma zu verhindern. Später hatten die Zeitungen berichtet, dass Hawthorne an einem Herzinfarkt gestorben sei. Kurz darauf folgte ihm seine Tochter, noch im Teenageralter, sie war an einem Hirntumor erkrankt. Und die Mutter hatte sich dann mit Schlaftabletten das Leben genommen.

Nur die älteste Tochter der Familie hatte überlebt. Amelia.

Lia.

Die ihm soeben ihre Unschuld geschenkt hatte.

Alexander ballte die Fäuste. Sie hatte es nur getan, weil sie seinen Namen nicht kannte. Wie durch ein Wunder hatte es sich bis jetzt vermeiden lassen. Doch sobald sie erfuhr, wer er war … Sie würde ihn nicht einmal anspucken, wenn er in hellen Flammen vor ihr stand, geschweige denn ihm das Grundstück verkaufen.

„Kanntest du meinen Vater?“, fragte sie leise.

„Nein.“ In gewisser Hinsicht stimmte das sogar. Er war dem Mann nie persönlich begegnet, hatte nur die schlecht geführte Firma in ihre Einzelteile zerlegt, die Lagerhäuser bei den Docks abreißen lassen und die kostspieligen Parzellen direkt am Wasser in Long Beach weiterverkauft.

„Schade. Ihr wärt bestimmt gut miteinander zurechtgekommen. Zwei mächtige Männer, beide nur daran interessiert, Erfolg zu haben.“

Es gab jedoch einen wesentlichen Unterschied – Alexander gewann immer, während Lias Vater ein Versager gewesen war. Er hatte ein Unternehmen in der dritten Generation geerbt und nicht verstanden, es zu führen.

Aber das würde er Lia natürlich nicht sagen. Er musste sie dazu bringen, ihm das Grundstück zu verkaufen, bevor sie herausfand, wer er war.

Die Angeln des Gartentores quietschten leise, als er zu seinem Wagen zurückging und den Aktenkoffer mit den Unterlagen holte. „Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust.“ Als er zu ihr zurückkehrte, hatte er sein charmantestes Lächeln aufgesetzt.

„Einen Gefallen? Noch einen, nachdem ich dir schon meine Unschuld geschenkt habe?“, neckte sie ihn lächelnd.

„Es ist nichts Großes, wirklich nicht.“ Er machte eine Pause. „Ich möchte dich nur bitten, den Park für deine Schwester an einem anderen Ort und nicht in New York zu bauen.“

„Wie bitte?“ Ihr stand der Mund offen.

„Übertrage mir die Eigentumsrechte an dem Grundstück. Es soll nicht dein Schaden sein, ich zahle dir zehn Prozent über Marktwert. Nenne es eine Vermittlungsgebühr, wenn du so willst.“ Mit einem Schulterzucken breitete er die Arme aus. „Baue den Park zum Andenken an deine Schwester in Los Angeles. Und ich baue Wolkenkratzer in New York.“

Die Contessa wurde aschfahl. „Darum geht es also? Deshalb hast du mich auf dem Ball geküsst? Deshalb bist du mir nach Italien gefolgt?“

Seine Wangenmuskeln arbeiteten. „Das ist nicht der einzige Grund.“

Mit beiden Händen stieß sie ihn von sich fort. „Doch, ist es. Du hast eine Million Dollar für einen Tanz mit mir gezahlt und mich verführt, um das Grundstück in deine Finger zu bekommen!“

So kam er nicht weiter, das spürte er. „Natürlich will ich das Grundstück haben. Ich kann fünf Wolkenkratzer darauf bauen, die ein ganzes Jahrhundert überdauern. Das wird mein Vermächtnis sein.“ Er schüttelte den Kopf und holte tief Luft. „Aber das hat nichts damit zu tun, warum ich mit dir geschlafen habe. Das war …“ Er griff nach ihr, wollte sie zurück in seine Arme ziehen, zurück unter seinen Einfluss bekommen. „… ein Moment der puren Unzurechnungsfähigkeit. Hätte ich gewusst, dass du noch unberührt bist …“

Lia hob ihr Kinn, ihre Augen begannen böse zu funkeln. „Du weißt praktisch alles über mich, nicht wahr? Und ich …“ Sie wich seinen Händen aus und ballte die Fäuste. „… ich kenne nicht einmal deinen Namen. Ich will wissen, wie du heißt.“

Sobald sie seinen Namen erfuhr, war alles verloren. „Welchen Unterschied macht das? Wichtig ist nur mein Angebot. Ich biete dir gerade ein Vermögen an.“

„Sag mir, wie du heißt!“, schrie sie ihn an.

Er konnte sie nicht anlügen. Seine Ehre war ihm wichtiger als alles andere – auch wichtiger als das Projekt seines Lebens.

„Mein Name“, sagte er leise, „ist Alexander Navarre.“

Lia starrte Alexander ungläubig an. Nur zu gut konnte sie sich an jenen Junimorgen vor so langer Zeit erinnern.

„Er hat es getan, Marisa! Alexander Navarre hat uns ruiniert!“, hallte der Aufschrei ihres Vaters in ihren Ohren wider.

Lia hatte gerade die High School abgeschlossen und freute sich auf den Sommer, glücklich in dem Wissen, dass sie von der Pepperdine-Universität angenommen worden war und im Herbst das Studium an der exklusiven Privathochschule in Malibu antreten würde. Olivia hatte die vielversprechende neue Therapie begonnen, und ihre Mutter, die immer so rapide zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt wechselte, saß zufrieden auf der sonnenwarmen Veranda des zweistöckigen Strandhauses und bannte den Blick auf den Santa Monica-Pier in Öl auf Leinwand.

Und dann war ihr Vater völlig aufgelöst in den Salon gestolpert, als hätte ihn jemand geschlagen.

„Er hat es getan, Marisa! Alexander Navarre hat uns ruiniert!“

Jetzt wirbelte Lia zu ihm herum, bebend vor Rage. „Du bist Alexander Navarre? Du hast unsere Familie ruiniert!“

„Nicht mit Absicht, Lia. Es war ein Geschäft.“

„Ein Geschäft“, spie sie bitter aus. „So wie es auch ein Geschäft ist, dass du mich verführt hast?“

„Lia, mir ist ja selbst gerade erst klar geworden, wer du bist.“

„Oh ja, natürlich.“ Wütend schüttelte sie den Kopf. „Warum sollte ich dir auch nur ein Wort glauben?! Du bist schuld, dass mein Vater sein Unternehmen verloren hat …“

„Er hätte es so oder so verloren, ob nun an mich oder an einen anderen. Hawthorne war der typische Erbe, der ein Familienunternehmen übernimmt und nicht die geringste Ahnung hat, wie es zu führen ist.“

„Wie kannst du es wagen!“ Sie musste sich bewegen, marschierte aufgewühlt auf und ab, dann blieb sie abrupt stehen und schlug entsetzt die Hand vor den Mund. „Und dir habe ich meine Unschuld geschenkt!“ Sie zerknüllte den Vertrag und schleuderte ihn Alexander an die Brust. „Raus hier! Auf dem Grundstück wird ein Park angelegt, genau gegenüber der Klinik, in der meine Schwester gestorben ist. Ich würde eher sterben, bevor ich zulasse, dass du in Olivias Park Wolkenkratzer baust.“

Verärgert biss er die Zähne zusammen. „Du machst etwas Persönliches daraus, obwohl es hier nur um ein Geschäft geht. Wenn du keine Sympathien für mich hegst – auch gut. Dann hole zumindest jeden Penny aus mir heraus, den du kriegen kannst. Verlange von mir, dass ich mein Angebot verdopple …“

„Zu spät.“ Ein hysterisches Lachen wollte in ihrer Kehle aufsteigen. „Die Papiere mit der Stadt sind längst unterzeichnet. Das habe ich noch erledigt, bevor ich aus New York abgeflogen bin.“

Lia sah Wut und so etwas wie Trauer über seine Miene huschen. Sie hatte ihn verletzt und verhindert, dass er etwas bekam, das er unbedingt haben wollte.

Und sie war froh darum. Wünschte, sie könnte ihm noch mehr antun. Ihn so verletzen, wie er sie verletzt hatte. „Deinetwegen hat mein Vater alles verloren, jeden Penny, den wir besessen haben“, flüsterte sie erstickt. „Wir konnten die Behandlung für meine Schwester nicht mehr bezahlen, meine Mutter ertrug den Verlust ihres Mannes und ihrer Tochter nicht. Sie sind alle tot – und das ist deine Schuld!“

„Dein Vater trägt die Schuld“, widersprach er kalt. „Er war ein unfähiger Narr. Er hätte keine Familie gründen sollen, wenn er nicht in der Lage ist, sich um sie zu kümmern.“

Lia holte aus. Alexander fasste sich schockiert an die Wange, dorthin, wo ihre Handfläche gelandet war. „Wie kannst du es wagen, so über meinen Vater zu reden!“, zischte sie hasserfüllt. „Du hast mich verführt, um gefühllose Wolkenkratzer zu bauen. Und dann nennst du meinen Vater einen Narren? Er hat uns geliebt! Er war ein besserer Mann, als du es je sein wirst.“

Alexander reckte die Schultern, richtete sich steif auf, die Fäuste geballt auf die Hüfte gestemmt. Mehrere Sekunden lang verhakten sich ihre wütenden Blicke. Lia hörte nur den eigenen heftigen Atem und das Zwitschern der Vögel in den Büschen.

Dann brach Alexander das Schweigen. „Nun, ich habe dich gehabt. Und da es zu spät ist, um das Land von dir zu bekommen, gibt es auch nichts mehr zwischen uns zu bereden. So interessant bist du nun auch wieder nicht, dass ich noch eine weitere Sekunde meiner wertvollen Zeit auf dich verschwende.“ Er schnappte sich den Aktenkoffer und ging auf das Gartentor zu. „Sag mir Bescheid, falls unser kleines Intermezzo Konsequenzen gehabt haben sollte“, warf er kalt über die Schulter zurück.

Erst als sie allein war, schluchzte Lia verzweifelt auf. Sie schlug die Hände vors Gesicht und ließ sich im weichen Gras auf die Knie sinken, weinte um ihre Familie und um sich selbst.

Sie hatte ihre Unschuld an den Mann verloren, der ihre Familie zerstört hatte.

Vier Monate nach jenem Tag im Juni hatten sie nichts mehr besessen. Ihr komplettes Vermögen war liquidiert worden, um Schulden zu tilgen. Ihr Vater war in der winzigen Zweizimmerwohnung in Burbank, die sie angemietet hatten, an einem Herzinfarkt gestorben.

Giovanni war aus Italien zur Beerdigung gekommen. Er hatte gesehen, wie die achtzehnjährige Lia versuchte, ihrer Schwester zu helfen, hatte die Ehefrau seines alten Freundes vor Trauer dem Wahnsinn verfallen sehen. Am nächsten Morgen machte er Lia einen Heiratsantrag.

„Dein Vater hat mir einst das Leben gerettet, da war ich kaum älter als du. Ich wünschte, er hätte mir etwas von seinen Problemen gesagt.“ Tränen hatten in seinen Augen gestanden. „Aber jetzt kann ich mich um euch alle kümmern. Heirate mich, Amelia. Werde meine Contessa.“

„Dich heiraten?“, hatte Lia damals fassungslos wiederholt. So nett der Conte auch war … er war dreimal so alt wie sie!

„Nur auf dem Papier.“ Er war rot geworden. „Meine Frau, mit der ich fünfzig Jahre lang verheiratet war, ist letztes Jahr verschieden. In meinem Herzen wird Magdalena immer weiterleben. Ich erwarte von dir nicht mehr als deine Gesellschaft, deine Freundschaft und die Chance, meine Schulden einem Mann zurückzuzahlen, der nicht mehr lebt. Er war mein Freund, und ich wusste nicht einmal, in welchen Schwierigkeiten er steckt. Deine Mutter ist zu stolz, um Hilfe von mir anzunehmen. Aber wenn sie glaubt, dass es deine eigene Wahl ist …“

Also nahm Lia den Antrag an und heiratete ihn. Sie musste es nie bereuen. Giovanni war ein guter Mann, sie war glücklich mit ihm. Doch ihre Mutter und ihre Schwester konnte sie nicht retten. Trotz ihrer optimistischen Haltung und ihres lebensfrohen Willens starb Olivia im Alter von vierzehn Jahren im Krankenhaus St. Ann in New York, der besten Krebsklinik des Landes. Eine Woche später verstarb Lias zart besaitete Mutter an einer Überdosis Schlaftabletten. Bis heute wusste Lia nicht sicher, ob ihre Mutter die Tabletten mit Absicht genommen hatte oder ob sie nur die Dosis erhöht hatte, um der Trauer für eine ungestört durchgeschlafene Nacht zu entkommen. Lia wollte es auch gar nicht wissen.

Hätte Alexander das Unternehmen ihres Vaters nicht so skrupellos übernommen und Alfred als gebrochenen Mann mit einem Berg von Schulden zurückgelassen, hätten sich vielleicht neue Investoren finden lassen. Vielleicht hätte ihr Vater die Firma retten können, anstatt unter dem Druck zusammenzubrechen. Olivia hätte die experimentelle Therapie weitermachen können und wäre vielleicht geheilt worden.

Vielleicht.

Doch jetzt würde Lia es nie mehr erfahren.

Sie wusste nur, dass ihre Familie noch leben könnte, hätte es Alexander Navarre nicht gegeben.

Hass raste durch ihre Adern, erfüllte ihr ganzes Sein. Sie ballte die Fäuste, sich nicht bewusst, dass sie eine Rosenblüte zerdrückte, bis ein spitzer Dorn sich in ihre Daumenkuppe grub.

Dieser rücksichtslose Mistkerl!

Mit einem unterdrückten Fluch leckte sie sich das Blut vom Daumen.

Lia ging ins Schloss zurück und stellte sich unter die Dusche. Sie musste unbedingt seinen Geruch von sich abwaschen. Verzweifelt versuchte sie, den Gedanken an seinen nackten Körper auf ihrer Haut zu verdrängen, an seine heisere Stimme, wie er ihr zuflüsterte: „Lia, was tust du mir nur an …“

Sie lehnte die Stirn an die kühlen Fliesen. Das Wasser war so heiß, dass es sie fast verbrannte. Doch die Scham und das Schuldgefühl in ihr brannten viel heißer. Indem sie solche Lust in Alexanders Armen empfunden hatte, betrog sie Giovannis Andenken auf die schlimmste Art. Und das ihrer gesamten Familie dazu.

Es war der elendste Moment in ihrem ganzen Leben.

Dachte sie. Doch drei Wochen später fand Lia heraus, dass sie sich geirrt hatte.

Sie war schwanger.

5. KAPITEL

Achtzehn Monate später

Verheiratet.

Alexander konnte es noch immer nicht fassen. Nathan heiratete.

Sie hatten sich auf dem College kennengelernt, damals in Alaska. Fünfzehn Jahre lang hatten sie das Leben ungebundener Junggesellen genossen, beide hatten sie sorgsam darauf geachtet, feste Beziehungen zu meiden, beide waren sie Workaholics und verdienten ein Vermögen, beide hatten sie sich mit einer nie enden wollenden Parade schöner Frauen umgeben.

Und jetzt … Nathan heiratete. Heute.

Alexander saß in der Bar des Cavanaugh Hotels und nippte an seinem Scotch, während er auf den Freund wartete. Still fragte er sich, ob er es Nathan noch würde ausreden können. Vielleicht sollte er ihn beim Arm schnappen und mit ihm zusammen losrennen, bevor es zu spät war.

Alexander rieb sich den Nacken. Die Zeitverschiebung saß ihm in den Knochen. Das Projekt in der Mongolei hatte er gestern beendet, er war erst vor einer Stunde in New York angekommen. Seit anderthalb Jahren das erste Mal wieder in New York. Fast wäre er nicht gekommen. Aber er konnte seinen besten Freund unmöglich allein vor das Erschießungskommando treten lassen.

Noch eine Woche bis Weihnachten. Geschäftsmänner in dunklen Anzügen saßen in der Bar, auch einige Frauen waren anwesend. Manche in klassischen Kostümen, andere in offenherzigen Cocktailkleidern und mit einem sorgfältig aufgesetzten Lächeln auf den sorgfältig geschminkten Lippen.

Es hätte jede andere Nobelbar irgendwo auf der Welt sein können, eigentlich waren sie alle gleich. Alexander hatte für diese Szenerie nicht viel übrig. Nachdenklich sah er auf das Glas in seiner Hand. Der erlesene Scotch war ein Jahr älter als er. Nächstes Jahr wurde er vierzig. Und wenn er sich auch wieder und wieder sagte, dass das Leben immer besser wurde, gab es da manchmal Momente …

Eine vollbusige Blondine lachte perlend auf über etwas, das ein korpulenter Mann mit Glatze zu ihr gesagt hatte. Sie tranken Champagner und taten, als wären sie ganz schrecklich verliebt.

Alles nur Schein. Alles nur aufgesetzt.

Er wünschte, er wäre noch auf der Baustelle in der Mongolei, in dem Zelt mit dem harten Feldbett. Oder in seinem Büro in Tokio. Oder in Dubai. Oder selbst in Alaska.

Überall, nur nicht in New York.

Ob sie über die Feiertage auch hier war?

Der Gedanke schlich sich in seinen Kopf, unerbeten und unwillkommen. Grimmig nahm Alexander noch einen Schluck.

In den letzten anderthalb Jahren hatte er sich in seine Arbeit gestürzt. Um sie zu vergessen.

Die einzige Frau, die ihm jemals so viel sinnliches Vergnügen geschenkt hatte. Die einzige Frau, die ihn nach mehr verlangen ließ.

Die einzige Frau, die ihn mit solcher Intensität hasste.

Zu Recht?

Nachdenklich presste er das kühle Glas an die Stirn. Er hatte seine Wahl getroffen. Er wollte keine Ehefrau, keine Kinder.

Einst besaß auch er eine Familie, Menschen, die ihn liebten. Und er hatte sie nicht retten können. Es war besser, niemanden zu haben, den man im Stich lassen konnte. Einfacher. Sicherer für alle Beteiligten.

Jammerschade, dass Nathan das nicht erkannte.

„Himmel, du siehst miserabel aus.“

Nathan stand an seinem Tisch, aufgeräumt und blendend aussehend in Jeans und Pullover, und riss Alexander aus den trüben Gedanken. Er war dankbar dafür.

„Dafür siehst du richtig glücklich aus.“ Alexander streckte die Hand zur Begrüßung aus. „Du setzt sogar an!“

Grinsend schüttelte Nathan die dargebotene Hand und klopfte sich auf den kleinen Bauchansatz. „Emily versorgt mich eben zu gut. Und ab heute wird es nur noch schlimmer werden.“

„Also dann … nimm die Beine in die Hand!“

„Immer noch derselbe alte Alexander!“ Lachend schüttelte Nathan den Kopf. „Ich bin froh, dass du hier bist. Auf dich kann man sich verlassen. Hast ein paar Stunden Zeit und fliegst mal eben aus der Mongolei herüber.“

„Die letzte Möglichkeit, dir die Sache auszureden.“

Nathan setzte sich und gab der Kellnerin einen Wink, um einen Drink zu bestellen. „Hätte ich gewusst, dass du es tatsächlich schaffst, wärst du mein Trauzeuge geworden.“

„Und wäre ich dein Trauzeuge geworden, hätte ich dich zu überzeugen versucht, nicht zu heiraten. Behalte deine Freiheit.“

Nathan schnaubte. „Wenn du die Richtige findest, ist Freiheit das Letzte, was du behalten willst.“

Autor

Kelly Hunter

Obwohl sie von Beruf Naturwissenschaftlerin ist, hatte Kelly Hunter schon immer eine Schwäche für Märchen und Fantasiewelten und findet nichts herrlicher, als sich in einem guten Buch zu verlieren. Sie ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und drückt sich gerne davor, zu kochen und zu putzen. Trotz intensiver Bemühungen ihrer...

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