Julia Exklusiv Band 307

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OASE DER SEHNSUCHT von LAWRENCE, KIM
Heiß wie die Wüstensonne glüht die Leidenschaft, die Prinz Karim in Prudence entfacht. Doch kaum hat sie sich ihm in einer romantischen Oase hingegeben, erkennt Prudence ihren charmanten Verführer nicht wieder. Wieso ist er plötzlich eiskalt?

STÜRMISCHE ROMANZE von KENDRICK, SHARON
Wohin wird die glühende Leidenschaft für Giovanni sie noch führen? Manchmal macht Kate diese Frage Angst. Seit ihrer ersten Begegnung ist sie dem charismatischen Sizilianer verfallen, Dass ihr Traummann kein Wort von Liebe spricht, nimmt sie hin. Erst als das Schicksal auf dramatische Weise eingreift, wagt Kate den ersten Schritt ...

GESTOHLENES GLÜCK IN DER PROVENCE? von MITCHELL, MARIAN
Nach einem Unfall hat Anna das Bewusstsein verloren und wird von einem faszinierenden Mann mit grünen Augen in seine Villa gebracht. Doch dann erfährt sie, dass ihr unbekannter Retter Jacques Sabran heißt. Um ihn zu finden, ist sie in die Provence gereist. Denn sie wird erpresst, dem berühmten Maler ein Porträt zu stehlen.


  • Erscheinungstag 01.02.2019
  • Bandnummer 0307
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713195
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kim Lawrence, Sharon Kendrick, Marian Mitchell

JULIA EXKLUSIV BAND 307

1. KAPITEL

Zwei Männer standen in dem privaten Wartezimmer der Intensivstation einer Schweizer Klinik. Der ältere Mann betrachtete den jüngeren aufmerksam, der stoisch schwieg, nachdem ihm die Neuigkeiten eröffnet worden waren. Nichts, vielleicht abgesehen von einem leicht unruhigen Muskel an seiner Schläfe, wies darauf hin, dass er überhaupt zugehört hatte.

„Eine Notiz?“, wiederholte er schließlich.

Der ältere Mann nickte. Anders als die meisten Männer zuckte er unter dem stechenden Blick dieser Augen, die schon mehr als einmal mit dem gleißenden Himmel über einer trockenen Wüste verglichen worden waren, nicht zusammen.

„Hamid hat sie am Telefon vorgelesen“, erklärte er und senkte demütig den Kopf, als sein Gesprächspartner auf ihn zukam. „Ich habe eine Kopie angefertigt.“

Er wartete, bis ihm das Papier aus der Hand genommen wurde.

Der junge Mann las das Dokument aufmerksam durch und zerknüllte es dann mit seinen langen schlanken Fingern. Eine Geste, die seine äußerliche Ruhe Lügen strafte.

„Wenigstens handelt es sich um keine Entführung, Sir.“

Karim, der gerade zum Fenster hinübergehen wollte, blieb wie angewurzelt stehen, und sein bodenlanges Gewand schleuderte um seine Beine. Seine Nasenflügel bebten, als er nach Luft schnappte, um sich einen üblen Fluch zu verkneifen. Er beschränkte sich auf einen sarkastischen Tonfall. „Ja, es war ausgesprochen umsichtig von meiner Schwester, eine Nachricht zu hinterlassen.“

Üblicherweise gehörte es nicht zu seinen Gewohnheiten, Menschen anzugreifen, die ihm verbal nicht auf gleicher Ebene begegnen durften. Doch in diesem besonderen Augenblick hätte er am liebsten der Versuchung nachgegeben und seiner Wut und seinem Frust freien Lauf gelassen, wenn die Person neben ihm nicht Rashid gewesen wäre. Der tiefe Respekt und die Zuneigung, die er für den Mann empfand, der seit Karims Kindertagen als Bodyguard über ihn wachte, machten eine solche Reaktion unmöglich.

In vielerlei Hinsicht stand Rashid ihm näher als sein eigener Vater. Der hatte in Karims Jugend eher einer entfernten, schillernden Persönlichkeit geglichen, fast wie ein Mythos oder ein geheimnisvoller Held – nicht wie ein Vater. Für Karim war es beinahe unmöglich, sein persönliches Bild dieser rätselhaften und charismatischen Gestalt mit dem zerbrechlichen alten Mann in Übereinstimmung zu bringen, dessen papiertrockene Hand er noch vor wenigen Augenblicken berührt hatte. Eine traurig in sich zusammengesunkene Hülle, deren Leben an modernsten Maschinen hing.

Karim atmete tief durch und verdrängte seine Emotionen, um einen kühlen Kopf zu bewahren. Er hatte sich angewöhnt, nicht zu viel Energie auf Situationen zu verschwenden, die er nicht kontrollieren konnte. Glücklicherweise gab es davon nur wenige – und die Herzoperation seines Vaters war so eine … Jetzt musste Karim sein Vertrauen in die medizinischen Fähigkeiten und die Kompetenz all jener legen, die nun für Tair Al-Ahmad sorgten, wie auch in den eisernen Willen seines Vaters, der bekanntermaßen nicht zu unterschätzen war.

Seinem Vater konnte Karim in diesem Moment nicht weiterhelfen, aber in Bezug auf seine Schwester waren ihm nicht derart die Hände gebunden. Ihre Zukunft hing davon ab, ob er schnell genug die richtigen Entscheidungen traf.

Er nickte kurz. „Du hast recht. Wir können dankbar sein, dass es sich nicht um eine Entführung handelt.“ Ihm gefror das Blut in den Adern, wenn er daran dachte, dass sie in die Gewalt dieser Leute geraten könnte. Leute, die sie als politische Waffe missbrauchen und ganz sicher nicht davor zurückschrecken würden, ihr etwas anzutun. „Sollte ihr etwas zustoßen, werde ich …“

„Das wird es nicht.“

Diese beruhigende Unterbrechung veranlasste Karim dazu, sich zusammenzunehmen. In seinen bernsteinfarbenen Augen, die von langen schwarzen Wimpern umrahmt waren, glitzerte es verdächtig. In der modernen Welt mussten sich Menschen wie die in seiner Familie mit der unangenehmen Realität abfinden, dass jederzeit die Gefahr einer Entführung bestand. Es war eine Gratwanderung zwischen der notwendigen persönlichen Sicherheit und dem Vermeiden, in der Falle ständiger Angst zu leben.

Das Problem war scheinbar nur, dass Karims Schwester zu wenig Angst hatte. Aber sobald er sie in die Finger bekam, würde er das ein für alle Mal ändern.

„Ja, davon wollen wir ausgehen“, seufzte er schließlich. „Was ich nicht begreife: Wie kann ein Schulmädchen einer Horde von Aufpassern entkommen? Wie viele waren es noch gleich?“

Das Schlimmste an der Sache war nicht der Umstand, dass sie ihren Bewachern entflohen war. Dieser Vorfall zeigte deutlich, in welcher Gefahr sie sich im Ernstfall befand. Entschlossen presste Karim die Zähne aufeinander. Das würde er niemals zulassen …

Beide Männer schreckten auf, als plötzlich die Tür geöffnet wurde und eine junge Frau in Schwesternkleidung ihren Kopf hereinstreckte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie die beiden Männer in den bodenlangen Gewändern an – einem zog sich eine gezackte Narbe über die linke Wange, und der andere war vermutlich der attraktivste Mann, den sie jemals gesehen hatte.

„Pardon, Messieurs …“, murmelte sie verlegen und zog sich dann hastig zurück.

Die Tür wurde wieder geschlossen, und die beiden Männer setzten ihr Gespräch fort. Unbewusst wechselten sie dabei zu der Sprache, derer sich die junge Schwester bedient hatte. Da Zafsid ein multilinguales Land war, beherrschten beide Männer mehrere Sprachen fließend.

„Ich glaube, es waren acht, Sir. Nicht eingeschlossen die beiden, die verdeckt als Hausmeister und Gärtner tätig waren.“

„Acht!“, rief Karim ungläubig und warf beide Arme in die Höhe. Dann lief er unruhig im Raum umher und murmelte dabei undeutliche Worte vor sich hin. Er erinnerte den älteren Mann an einen Panther, der in einen zu engen Käfig eingesperrt war.

„Die Prinzessin ist eine ausgesprochen … einfallsreiche kleine Lady.“

„Die Prinzessin ist …“ Wieder holte Karim tief Luft und hatte offenbar alle Mühe, seine Gefühle im Zaum zu halten. Mit einer schnellen Handbewegung zog er einen Stuhl zu sich heran, der unter dem Fenster stand, und ließ sich mit einer ihm angeborenen Eleganz darauf nieder. Die Ellenbogen stützte er auf die Armlehnen aus Mahagoni, und sein Kinn ruhte auf seinen gebräunten, geschmeidigen Händen. Die Stirn hatte er besorgt in Falten gezogen, während er sich den Kopf darüber zerbrach, wie er mit den anstehenden Problemen umgehen sollte.

„Mein Vater wird in etwa vierundzwanzig Stunden das Bewusstsein wiedererlangen.“ Sein Blick streifte kurz das Gesicht des anderen Mannes, dann zuckte Karim mit den Achseln. „Bis dahin werde ich Suzan zurückholen.“

„Natürlich.“ Nichts an Rashids Haltung ließ vermuten, dass er die Möglichkeit des jüngeren Mannes, seinen Plan in die Tat umzusetzen, auch nur ansatzweise bezweifelte.

„Und danach …“ Er brach ab und schnitt eine freudlose Grimasse. Danach würden die Probleme erst richtig beginnen. Schließlich hatte er nicht die geringste Ahnung, wie er eine erneute Flucht der aufmüpfigen Prinzessin oder ein vergleichbar leichtsinniges Verhalten in Zukunft verhindern sollte. Er konnte sie wohl kaum in ihrem Zimmer einsperren. Obwohl diese Strategie von einigen wenigen einflussreichen Persönlichkeiten begrüßt werden würde, denen die modernisierten Werte seiner Familie schon seit Langem ein Dorn im Auge waren.

Das Verhalten seiner Schwester während der letzten Monate ließ leider nicht darauf schließen, dass Karim sich auf ihren gesunden Menschenverstand verlassen konnte. Das hatte sie vor allem vor wenigen Wochen erneut unter Beweis gestellt, als sie eine nicht genehmigte Party besuchte. Zwar handelte es sich um eine relativ harmlose Veranstaltung, die allerdings trotzdem am Ende von der Polizei gestürmt worden war. Die Eltern des Jungen, der die Party veranstaltet hatte, waren früher nach Hause gekommen und hatten ihr Heim vollkommen verwüstet vorgefunden – dank einiger betrunkener Krawallmacher.

Karims eigenes Sicherheitsteam hatte ihm geschworen, die Prinzessin sei zu keinem Zeitpunkt in ernsthafter moralischer oder psychischer Gefahr gewesen. Aber neben ihren ausführlichen Berichten hatte er auch einen Brief der Schulleiterin erhalten. Darin bat sie um die Vergütung des entstandenen Sachschadens und erklärte, dafür seien alle Erziehungsberechtigten der beteiligten Schüler verantwortlich.

Eine Zusatzinformation in diesem Schreiben, die ihn offensichtlich beruhigen sollte, verfehlte dagegen ihre Wirkung. Denn die zufällige Anwesenheit von Miss Smith, einer der Lehrerinnen von Suzans Schule, bei der Party bedeutete, dass die Polizei diesen Vorfall nicht weiter verfolgen würde. Damit war zumindest die Gefahr gebannt, dass Suzan auch noch Teil einer polizeilichen Ermittlung wurde.

Trotzdem konnte ihn der Name dieser speziellen Lehrerin nicht wirklich beruhigen! Es war die gleiche Miss Prudence Smith, die auch eine Rucksackreise durch Australien für ein erstrebenswertes, bewusstseinserweiterndes Erlebnis hielt. Genau das hatte Suzans letzte Ferien zu einem Albtraum aus Tränen und Wutanfällen gemacht.

Was machte eine Lehrerin überhaupt auf einer verbotenen Party? Das hatte ihm noch niemand überzeugend erklären können. Aber diese ganze Angelegenheit bestätigte ihm wieder, dass die fragliche Person keine professionelle Distanz zu ihren Schülern einhielt. Ihre Aufgabe war es, für Disziplin zu sorgen, nicht, sich bei ihren Schützlingen beliebt zu machen. Und ganz sicher war es nicht ihre Aufgabe, junge Mädchen wie seine Schwester zu ermutigen, Rucksacktouren durch die australische Einöde zu planen.

Eine Tatsache, auf die er Miss Prudence Smith sogar schriftlich hingewiesen hatte.

Unter den gegebenen Umständen fand Karim, dass er seine Bedenken äußerst bedacht geäußert hatte. Die Antwort, die er von ihr erhalten hatte, war allerdings alles andere als zurückhaltend gewesen! So höflich sie auch formuliert gewesen war, die Botschaft zwischen den Zeilen war offensichtlich: Sie sind ein Vollidiot, der keine Ahnung hat, wovon er redet!

Insbesondere der vor Ironie triefende Passus, in dem sie ihm versicherte, wie überaus dankbar sie für seine hilfreichen Ratschläge in Bezug auf die tadellose Disziplin junger Mädchen war. Sofort hatte er zum Stift gegriffen und eine entsprechende Antwort formuliert, sie aber kurz darauf voller Bedauern zerknüllt und in den Mülleimer geworfen. Es war unter seiner Würde, sich auf einen rachsüchtigen Schlagabtausch mit dieser Person einzulassen. Obendrein ging Suzan nur noch wenige Monate auf die englische Schule, daher hatte Karim beschlossen, die Sache fallen zu lassen.

Heute wurde ihm klar, was für ein großer Fehler das gewesen war. Im Hinblick auf Suzans Talent für chaotische Situationen zweifelte Karim keine Sekunde daran, dass Miss Smith auch bei diesem aktuellen Vorfall ihre Hände im Spiel hatte.

„Es sind gute Männer, aber sie unterlagen einem fatalen Irrtum. Sie haben das Mädchen unterschätzt.“

Diese trockene Feststellung war kein wirklicher Trost. Karim sah hoch, zwinkerte ein paar Mal und seufzte dann schwer. „Nicht nur sie.“ Frustriert strich er sich seine lackschwarzen Haare aus dem Gesicht. „Ist dir eigentlich bewusst, Rashid, dass sie gar nicht auf dieser unglückseligen Schule wäre, wenn ich mich nicht für sie eingesetzt hätte?“

Rückblickend wurde Karim klar, dass seine süße kleine Schwester ganz genau wusste, wie sie ihren Willen durchzusetzen hatte. Er brauchte nur an das Gespräch zu denken, das an ihrem sechzehnten Geburtstag stattgefunden hatte …

Sie appellierte an sein schlechtes Gewissen, da er ja wusste, wie ungleich sie beide ihr Leben lang behandelt worden waren. Und für den Fall, dass diese Strategie nicht ausreichen sollte, versuchte sie es noch mit schamloser Schmeichelei.

Dann holte sie eine glänzende Broschüre hervor und reichte sie ihm.

„Ich will doch nur wie eine ganz normale Schülerin behandelt werden, Karim – wenigstens für zwei Jahre. Ich könnte mich als Susan Armand ausgeben, und die Leute würden es mir abnehmen. Ich bin nicht wie du, ich sehe nicht so auffällig aus. Mir folgen nicht ständig irgendwelche Wachen oder Bodyguards. Und ich weiß doch, wie sehr du das während deiner Schulzeit gehasst hast. Vater gibt viel auf deine Meinung. Er würde zustimmen, wenn du ihn bittest.“

Letztendlich gestaltete sich dieser Plan nicht so einfach, wie Suzan gedacht hatte. Trotzdem überzeugte Karim seinen Vater schließlich, Suzan den Aufenthalt an einem englischen Internat zu gestatten. Nur wenige Personen wurden eingeweiht und über Suzans wahre Identität aufgeklärt. Die Sicherheitsfrage wurde durch den Einsatz einer privaten Schutztruppe gelöst, die in einem extra für diese Zwecke angeschafften Gebäude nahe der Schule untergebracht war. Einige von ihnen wurden undercover in den Schulbetrieb eingeschleust.

Und in Suzans erstem Schuljahr auf dem englischen Internat geschah nichts, das Karim seine Entscheidung bereuen ließ. Als sie in den Sommerferien nach Hause kam, war sie kaum noch als das schüchterne, bescheidene Mädchen wiederzuerkennen, das sie vorher gewesen war. Mittlerweile wusste er, dass er vielleicht auf dieses Warnzeichen hätte reagieren müssen, aber er hatte es versäumt … Nun, dieses Versäumnis würde er jetzt wiedergutmachen.

„Ich muss mir hier und jetzt etwas einfallen lassen“, murmelte er und sah an seinem weiten Gewand herunter. Er runzelte die Stirn und beschloss, zuerst einmal die Kleidung zu wechseln.

Rashid räusperte sich. „Sir, ich habe mir die Freiheit genommen, Ihren Piloten zu verständigen. Der Jet ist startbereit, und ein Auto wartet schon auf Sie. Obwohl, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sir …“

„Raus damit, Rashid!“

„Es gibt keinen dringlichen Grund für Sie, nach England zu fliegen. Ich bin sicher, Sie könnten die Schutztruppe neu einweisen und sie dann …“

„Mir ist klar, dass sie die Situation auch ohne meine Hilfe unter Kontrolle bekommen“, unterbrach Karim ihn und betrachtete nachdenklich die Bergspitzen am fernen Horizont. „Aber bitte gestehe mir die Einbildung zu, ich könnte persönlich vor Ort etwas mehr bewirken!“

Frustriert sah er sich in dem trostlosen Wartezimmer um und verzog angewidert die Lippen. „Hier werde ich sicherlich nicht gebraucht. Ich kann nur im Kreis herumlaufen und abwarten. Aber ich muss unbedingt irgendetwas Sinnvolles tun, sonst werde ich noch verrückt!“

„Und dann würden Sie vermutlich auch das Krankenhauspersonal mit permanenten Fragen nach ihren medizinischen Expertisen in den Wahnsinn treiben. Ja, mittlerweile denke ich auch, Sie sollten fliegen.“

Die Blicke der beiden Männer trafen sich, und der gütige Gesichtsausdruck des älteren zauberte schließlich ein leichtes Lächeln auf die klassisch gezeichnete Miene des Kronprinzen. „Für dich bin ich bestimmt furchtbar einfach zu durchschauen, was?“

Rashid schüttelte den Kopf. „Gerade Ihre Fähigkeit, das Unerwartete zu tun, Sir, macht Sie zu einem gefährlichen Gegenspieler. Das und Ihre Erbarmungslosigkeit.“

Die offenen Worte seines treuen Gefährten versetzten Karim einen kleinen Schock. „Du hältst mich für erbarmungslos, Rashid?“ Dieser Gedanke gefiel ihm überhaupt nicht.

Der ältere Mann schwieg einen Moment und schien sich seine Antwort genau zu überlegen. „Es ist keine schlechte Eigenschaft, solange man sich fest für etwas entschieden hat und sich darauf konzentriert.“

„Das klingt plötzlich ziemlich diplomatisch, Rashid.“

Obwohl sich ein Grinsen auf dem zerfurchten Gesicht des älteren Mannes ausbreitete, blieben seine Augen ernst. „Ich möchte niemals Ihr Feind sein, Sir. Wenn Sie einmal etwas als Recht angesehen haben, lassen Sie sich nicht einmal von Ihren eigenen Emotionen beeinflussen.“

„Emotionen werden Suzan nicht zurückbringen.“

Es war Rashid nicht möglich, seine Neugier zu verbergen. „Zurück von wo? Wie wollen Sie wissen, wo Sie nach der Prinzessin suchen sollen?“

„Ich weiß zumindest, nach wem ich suche“, brummte Karim, und seine Augen wurden schmaler. „Wenn ich mich nicht sehr täusche, steckt Miss Prudence Smith hinter dieser Sache. Wer sie findet, findet auch heraus, wo Suzan sich gerade aufhält.“

Rashid blinzelte verwirrt. „Wer ist diese Miss Smith? Bin ich ihr schon einmal begegnet?“

„Nein, und ich ebenfalls nicht. Aber ich habe bereits viel von ihr gehört!“

Selbst vor dem Zwischenfall mit der Party und dem Vorschlag mit der fatalen Rucksackreise, der zu einer tiefen Krise zwischen seiner Schwester und ihm geführt hatte, war diese Dame ständig Thema gewesen. Wann immer er im letzten Jahr etwas gesagt hatte, dem seine reizende kleine Schwester nicht zustimmte, begann ihr Einwand grundsätzlich mit den Worten: „Aber Miss Smith sagt …“

Karim wusste weit mehr, als ihm lieb war, über die kontroversen Ansichten dieser unverantwortlichen Lehrerin – beispielsweise über die angeborene Neigung weiblicher Wesen, sich auf Sex außerhalb der Ehe einzulassen. Jungfräulichkeit war laut seiner rebellischen Schwester ein lange überholtes Konzept.

Oh ja, dachte Karim grimmig. Er wusste bereits genug über Miss Prudence Smith, um davon ausgehen zu können, dass sie in allen wesentlichen Punkten des Lebens verschiedener Meinung waren.

2. KAPITEL

Es war nicht Karims Absicht, die allgemeine Aufmerksamkeit auf seinen Englandaufenthalt zu ziehen.

Deshalb mietete er einen unauffälligen Wagen, der kein unerwünschtes Aufsehen erregte, und wartete auf den Einbruch der Dunkelheit. Dann fuhr er die zwanzig Meilen von dem privaten Flugplatz fort, während sein Pilot in der Maschine wartete, bis er weitere Anweisungen von Karim bekam.

Um seine Zielperson nicht zu früh vorzuwarnen, verzichtete er darauf, den direkten Weg zum Haus zu nehmen. Stattdessen sprang er über einen Zaun und lief querfeldein über offenes Farmland.

Innerhalb weniger Minuten erreichte er das Gebäude. Zumindest hatte man ihm die Adresse dieser Frau gegeben. Merkwürdigerweise war die offizielle Akte der Prudence Smith nicht auffindbar gewesen, als Karim danach fragte. Dabei hatte sein Vater eine ausführliche Akte über jede Person anfertigen lassen, die sich im direkten Umfeld seiner Tochter bewegte. Das Verschwinden der Unterlagen von Miss Smith irritierte Karim, doch er tat es als Inkompetenz des Sicherheitsteams ab. Wahrscheinlich hätte er aus dieser Akte ohnehin nichts Neues erfahren.

Das Häuschen, in dem sie lebte, befand sich am hinteren Ende des Schulgeländes, und als Karim es schließlich erreichte, war es bereits stockdunkel. Auf sein Klingeln erfolgte keine Reaktion, und so schlug er frustriert seine Faust gegen die Eingangstür. Als würde ihm eine stumme Einladung in den Schoß geworfen, schwang sie lautlos auf.

Ohne zu zögern trat Karim in den winzigen Flur, der eher wie eine größere Abstellkammer wirkte – passend zum bescheidenen Grundriss des Gebäudes. Bevor er beschließen konnte, was als Nächstes zu tun war, glaubte er, über sich knarrende Schritte auf dem Holzfußboden zu hören.

Gespannt legte er den Kopf schief und lauschte. Es war also jemand zu Hause. Diese Vermutung wurde endgültig bestätigt, als er hörte, wie im nächsten Augenblick Glas zerbrach.

Seine Miene verhärtete sich, und mit wenigen großen Sätzen stürmte er die schmale Treppe hinauf. Glaubte diese Frau etwa, sie könnte sich vor ihm verstecken? Im oberen Stockwerk gab es nur zwei Türen. Hinter der ersten, die er ungeduldig aufriss, verbarg sich ein Badezimmer, und hinter der zweiten Tür lag ein kleines Schlafzimmer.

„Ich weiß, dass Sie hier sind, also …“ Bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte, schoss eine riesige schwarze Katze zwischen seinen Beinen hindurch und aus der Tür hinaus. Das Tier und die zerbrochenen Überreste einer weißen Vase auf dem Fußboden unter dem Fenster waren eine offensichtliche Erklärung für den Lärm, den Karim gehört hatte.

Die verflixte Frau war tatsächlich nicht da, aber dafür war er hier! Spontan änderte er sein Vorhaben und beschloss, die Gunst der Stunde zu nutzen. Vielleicht fand er in diesem Haus etwas, das ihm Aufschluss über Suzans Aufenthaltsort geben konnte.

Zuerst zog er die Vorhänge des Schlafzimmers zu, damit ihn niemand beobachten konnte, dann knipste er das Licht an. Etwas ratlos sah er sich in dem zugestellten Raum um und fragte sich, was für ein Mensch wohl hier lebte. Das größte Möbelstück war ein massives Bett mit Metallrahmen, das beinahe die Hälfte des vorhandenen Platzes einnahm. Die Patchworktagesdecke, die auf dem Bett ausgebreitet war, verschwand unter Bergen von frisch gewaschener Wäsche, die schon zusammengelegt war und darauf wartete, in den Schrank sortiert zu werden.

Auf dem Boden lagen noch mehr Kleider und auch andere Gegenstände verteilt, und die Schubladen der halbhohen Wäschekommode standen offen. Am Schminkspiegel steckten mehrere Fotos und Postkarten, die Karim sich aufmerksam ansah.

Einigen Leuten mochte so ein buntes Chaos gefallen, sie fanden es vielleicht sogar recht charmant. Karim allerdings teilte diese Meinung nicht. Er schätzte Ordnung und einen durchorganisierten Lebensstil. Das Einzige, was ihm an diesem Zimmer gefiel, war der leichte Hauch von Parfum, der in der Luft hing. Konzentriert atmete er den exklusiven Duft ein, konnte ihn jedoch nicht genau identifizieren.

Mit gesenktem Kopf, um nicht gegen die tief hängende Deckenlampe zu stoßen, bewegte er sich vorwärts. Doch trotz seiner Vorsicht stolperte er über ein paar verstreute Schuhe und wäre fast gestürzt. Erschrocken stieß er einen Fluch in seiner Muttersprache aus und stützte sich auf dem Bett ab, um nicht zu Boden zu gehen.

Dabei warf er einen Stapel Wäsche um, und als er seine Hand zurückzog, hatte sich ein Wäschestück am Armband seiner Uhr verfangen. Karim entfernte es von seinem Handgelenk und hielt es mit spitzen Fingern hoch, um es zu inspizieren: Es handelte sich um einen hauchdünnen Seidenslip mit Leopardendruck, der in schockierend grelle pinkfarbene Spitze eingefasst war!

Prue schaltete den Motor aus und griff dann auf dem Rücksitz nach den Plastiktüten voller Lebensmittel, die sie schnell noch auf dem Heimweg eingekauft hatte. Fröhlich summte sie vor sich hin, während sie die quietschende Gartenpforte aufstieß und den geschlungenen Fußweg zur Hintertür ihres Hauses entlangschlenderte. Mit den nackten Beinen streifte sie die duftenden Blumen, die sie dicht am Wegrand gepflanzt hatte und die der warmen Nacht einen ganz besonderen Geruch verliehen.

Sie seufzte zufrieden und atmete tief ein. Der ganze Sommer lag noch vor ihr, und selbst wenn ihre Finanzen keinen Raum für eine richtige Urlaubsreise ließen, wollte sie jeden einzelnen kostbaren Augenblick ihrer Freiheit genießen. Und sollte es Ian gelingen, sich wenigstens für ein paar Tage von seinen Studien loszureißen, wäre alles umso schöner. Noch immer summte sie eine Melodie, als sie ihren Schlüssel ins Schloss steckte.

In der Küche blieb sie nur kurz stehen, um die schmelzende Eiscreme schnell im Gefrierfach zu verstauen. Dann sprang sie vergnügt die Stufen hoch, nahm dabei zwei auf einmal, und freute sich auf eine entspannende heiße Dusche.

Die Schulleiterin des exklusiven Mädcheninternats, an dem Prue den Fachbereich Englisch leitete, ermunterte Lehrkörper und Schüler ihres Instituts stets, sich ehrenamtlich bei verschiedenen Veranstaltungen und Projekten der Gemeinde einzubringen. Aus diesem Grund hatte Prue sich für diese Sommerferien freiwillig gemeldet und war bereit, sich sozial zu engagieren.

Die meisten ihrer Kollegen nutzten die langen Ferien, um in den Pyrenäen zu wandern, Wildwasserfahrten in Kanada zu unternehmen oder unter mediterraner Sonne zu schmoren. Prue dagegen blieb zu Hause. Sie wollte Ian nicht mit seinen erdrückenden Studiengebühren im Stich lassen, deshalb sparte sie all das Geld, das sie erübrigen konnte, um ihn zu unterstützen.

Gerade als Karim in der Schublade des Nachttischchens herumkramte, hörte er draußen das Motorengeräusch eines Autos näher kommen. Ein selbstzufriedenes Lächeln umspielte seine sinnlichen, ausdrucksvollen Lippen, und gleichzeitig fiel sein Blick auf etwas, das ihm noch von großem Nutzen sein konnte – einen Reisepass.

Karim richtete sich auf und sah sich das Dokument genauer an. Sein Lächeln gefror, während er mit hochgezogenen Augenbrauen das Passbild im Innern betrachtete. Er musste sich wohl oder übel von dem Image der hässlichen vertrockneten Jungfer verabschieden, das ihm insgeheim vorgeschwebt hatte. Bisher hatte er geglaubt, diese Lehrerin versuche krampfhaft, ihr langweiliges Leben auf irgendeine Weise – direkt oder indirekt – durch ihre Schülerinnen lebendiger zu gestalten.

Doch die großen Augen, die ihn vom Foto aus anblickten, gehörten zu einer Frau, die dem Teenageralter selbst noch nicht lange entwachsen war. Ihr Gesichtsausdruck war sehr ernst, allerdings sah es so aus, als lauerte dicht unter der Oberfläche ein verschmitztes Lächeln.

Das Lächeln würde ich gern einmal sehen, dachte er unwillkürlich.

Erschrocken über den verwegenen Impuls, schüttelte Karim energisch den Kopf. Dann studierte er konzentriert die Gesichtszüge dieser rätselhaften Dame. Einzelne hellblonde Strähnen standen wirr vom Kopf ab, und die Haut war zart und fein wie Alabaster.

Es musste sich einfach um einen Fehler handeln, dessen war er sicher. Niemand bezahlte derart horrende Schulgebühren für Lehrkräfte wie diese. Kein Millionär ließ seinen kostbaren, hoch geschätzten Nachwuchs von einer Person unterrichten, die nicht einmal alt genug aussah, um eine Fahrerlaubnis zu besitzen. Und so eine Person sollte den gesamten Fachbereich Englisch leiten?

Dann blieb sein Blick an ihren vollen, erotisch geschwungenen Lippen hängen. Karim bezweifelte, dass ein solcher Mund die geeignete Qualifikation für eine verantwortungsvolle berufliche Position war.

Aber das ist ein anderes Thema, entschied er und starrte noch immer auf das Foto, als er Schritte auf der Holztreppe hörte. Die Schritte wurden lauter, und er vernahm ebenfalls, dass Miss Prudence Smith eine leicht falsche Melodie vor sich hin summte. Mit einer schnellen Bewegung ließ er den Reisepass in seiner Hosentasche verschwinden und knipste das Licht wieder aus.

Dann durchquerte er den Raum in aller Ruhe, so als hätte er jedes Recht, dort zu sein. Gelassen setzte er sich in einen wackligen Schaukelstuhl, der wie jedes andere Möbelstück in diesem Haus seine besten Tage bereits hinter sich hatte, und wartete ab.

Seufzend drückte Prue ihre Schlafzimmertür auf und befestigte dabei ein paar lose Haarsträhnen, die sich aus ihrem lockeren Knoten gelöst hatten. Ein Luftzug fuhr durch den Raum und ließ die langen zugezogenen Vorhänge emporwehen.

Ihr fiel sofort auf, dass die Vorhänge geschlossen waren. Dabei hätte sie schwören können, sie am Morgen aufgezogen zu haben. Müde streifte sie ihre hochhackigen Sandalen ab und massierte sich zuerst den einen, dann den anderen schmerzenden Fuß. Danach zog sie sich weiter aus, ohne sich die Mühe zu machen, das Licht anzuschalten. Sie trug nur noch ihren Slip und den BH, als sich eine tiefe Stimme aus der dunklen Zimmerecke meldete.

„Wo ist sie?“

Prue hatte ihren Knoten gelöst und warf gerade die Haare zurück. Kreischend machte sie einen Satz zur Seite. Dabei spürte sie kaum, wie sie mit dem Oberschenkel hart gegen die offene Schublade ihrer viktorianischen Kommode prallte.

Jemand ist in meinem Zimmer, schoss es ihr durch den Kopf. Ein Mann! Jetzt nur keine Panik!

Das war zwar ein vernünftiger Rat, aber wie die meisten vernünftigen Ratschläge gar nicht so einfach zu befolgen. Unter den gegebenen Umständen war ein gewisses Maß an Panik sicherlich angebracht, oder?

Prues Gedanken überschlugen sich, und pures Adrenalin jagte durch ihren Körper. Ein Mann war bei ihr. Wer war dieser Mann, und warum versteckte er sich in ihrem Schlafzimmer? Es gab natürlich eine ganze Reihe plausibler Erklärungen dafür, warum ein völlig Fremder sich Zutritt zu einem Haus verschaffte, in dem eine junge Frau allein wohnte. Aber jede einzelne dieser Erklärungen stellte gleichzeitig auch einen triftigen Grund dar, in Panik zu geraten!

Ihr stellten sich die Haare im Nacken auf bei der Vorstellung, wie ein unsichtbarer Mann ihren fast unbekleideten Körper betrachtete. Wenn er sich nicht bemerkbar gemacht hätte, wäre sie inzwischen splitterfasernackt gewesen. Damit hätte sie sich noch entblößter und angreifbarer gefühlt, wenn das überhaupt möglich war.

Sie strengte sich an, um in der Dunkelheit etwas erkennen zu können. Mit klopfendem Herzen suchte sie die düstere Ecke ab, aus der die Stimme gekommen war. Langsam nahm der Fremde Gestalt an, und es wurde die Silhouette einer Person sichtbar, die im Stuhl neben dem Fenster saß.

Hastig griff Prue nach dem T-Shirt, das sie kurz zuvor auf ihr Bett geworfen hatte, als der Eindringling erneut das Wort ergriff: „Ich bin kein geduldiger Mann, Miss Smith.“

Wie einen Schutzschild hielt sie das T-Shirt vor ihre Brust, während sie gleichzeitig rückwärts zur Tür schlich.

Er kennt meinen Namen, dachte sie bestürzt. Bisher war sie davon ausgegangen, es mit einem dahergelaufenen Kriminellen zu tun zu haben – was nicht weniger schlimm gewesen wäre! Aber wenn das nicht der Fall war, konnte das alle möglichen grauenhaften Folgen haben …

Ihre Fantasie ging sofort mit ihr durch. Wurde sie etwa von einem Stalker verfolgt? Hatte in der Vergangenheit irgendein Wahnsinniger im Dunkeln gestanden, sie beobachtet und auf die richtige Gelegenheit gewartet, um sich ihr schließlich zu nähern?

Machte sie das nicht zu dem klassischen Opfer, das schon während der ersten zehn Minuten eines Films ermordet wurde?

Prue schüttelte langsam den Kopf. Dies war kein Film, und sie war keine Schauspielerin. Niemand schrieb ein Drehbuch für sie und legte dabei ihre Rolle fest. Sie musste augenblicklich selbst die Kontrolle über diese Situation übernehmen.

Ja, sicher, nichts leichter als das, dachte sie und überlegte fieberhaft, was nun zu tun war. Sollte sie ihm mit der Polizei drohen, wenn er nicht verschwand?

Entschlossen ignorierte sie die sarkastische Stimme in ihrem Kopf und straffte die Schultern. „Wer sind Sie, und was wollen Sie hier?“

Eine Stimme wie eine Stahlklinge schnitt ihr das Wort ab, bevor sie richtig zu Ende gesprochen hatte. „Das steht nicht zur Debatte. Beantworten Sie einfach nur meine Frage!“

Sie fuhr mit der Zunge über ihre spröden Lippen. Erst jetzt merkte sie, dass sie den schalen Geschmack nackter Angst im Mund hatte, und ihr Hals war völlig trocken – das Sprechen fiel ihr zunehmend schwer.

„Welche Frage?“, brachte sie mühsam hervor und überlegte, wer ihr selbst wohl ihre zahllosen Fragen beantworten würde.

„Sie stellen meine Geduld auf die Probe. Wo ist sie?“

Sie? dachte sie verwundert. Handelte es sich etwa um eine Verwechslung? Andererseits kannte der Fremde Prues Namen …

Aber Dinge wie diese passierten doch nur in Kinofilmen, nicht in Greater Budstow. Das letzte Verbrechen in diesem Ort war vermutlich jemand, der einen preisgekrönten Riesenkürbis gestohlen hatte.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden“, gab sie zurück und streifte sich eilig ihr T-Shirt über. Ihre Hände zitterten so stark, dass es Prue nicht mehr gelang, die vier Knöpfe am Dekolleté zu schließen. Zu ihrer Erleichterung rührte sich der fremde Mann nicht von der Stelle. „Ich besitze nichts von Wert, das sollten Sie wissen.“

„Das ist mir in der Tat nicht entgangen.“ Obwohl sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er Prues Gesicht, das ihm noch von dem Passfoto in deutlicher Erinnerung war, nicht genau erkennen. Dafür hatte er mittlerweile eine ziemlich genaue Vorstellung von ihrer Figur. Sie war gut einen Kopf kleiner als seine Schwester und damit bestimmt nicht größer als einen Meter siebzig.

Durch die Vorhänge fiel ein schmaler silberner Lichtstrahl, der direkt ihr blondes Haar erreichte und damit ihrer ganzen Erscheinung einen unwirklichen Schimmer verlieh – die Illusion eines Heiligenscheins.

Karim rief sich ins Gedächtnis, dass es nichts annähernd Engelhaftes an dieser Person gab, aber gleichzeitig konnte er sich einer gewissen Faszination nicht erwehren. Zwar erkannte er ihren Gesichtsausdruck nicht, doch ihre ungewöhnlich heisere Stimme und ihre Körpersprache verrieten ihre Anspannung.

Sie hatte Angst, und er hasste Männer, die Frauen ängstigten. Aber in diesem Fall musste er seinen ritterlichen Instinkt unterdrücken und sich auf den Grund besinnen, der ihn hierher geführt hatte. Ein kleines bisschen Furcht konnte sich außerdem deutlich zu seinem Vorteil auswirken.

Prue prägte sich den unverwechselbaren fremdländischen Dialekt des Fremden ein, falls die Polizei sie später danach fragen sollte, wenn sie eine Aussage über diesen Vorfall machte. Das setzte natürlich die Möglichkeit voraus, dass sie es unversehrt bis zur Polizeistation schaffte. Vielleicht sprach sie gerade mit einem wahnsinnigen Mörder, der um jeden Preis verhindern wollte, dass sie irgendwann wieder mit irgendjemandem sprach. Möglicherweise endete sie lediglich als Teil einer Kriminalitätsstatistik.

Sie biss sich auf ihre bebende Unterlippe.

Ich muss hier einfach heil herauskommen, dachte sie fieberhaft. Ich muss!

Schließlich war sie die einzige Familie, die Ian hatte. Der Gedanke, dass ihr Bruder allein in dieser Welt zurückbleiben könnte, verlieh ihren Augen einen wild entschlossenen Ausdruck. Ihr fiel die alte Regel ein: Man durfte nicht wie ein Opfer denken, sonst würde man zum Opfer werden. Sie musste wie jemand denken, dem an diesem Tag nichts Schlimmes zustoßen konnte.

„Sie haben sich vermutlich nach etwas Wertvollem umgesehen“, bemerkte sie und schauderte innerlich. Langsam verstand sie die Menschen, die nach einem Einbruch unter dem Gefühl litten, ihre Privatsphäre verloren zu haben. „Meine Güte, wie können Sie überhaupt nachts schlafen?“

„Das Gleiche könnte ich Sie fragen.“

Verwundert schüttelte Prue den Kopf. Offenbar hatte sie es mit jemandem zu tun, der seelisch instabil war. Wie sonst ließ sich dieser verbitterte Kommentar erklären? Ihre ursprüngliche Idee kam ihr wieder ins Gedächtnis. „Sind Sie ein Stalker? Verfolgen Sie mich schon länger?“

„Bilden Sie sich bloß keine Schwachheiten ein!“

Prue verkniff sich eine scharfe Antwort. Takt und diplomatisches Geschick waren nun gefragt – ganz sicher nicht ihre ausgeprägtesten Talente …

3. KAPITEL

„Was für ein Parfum benutzen Sie?“

„Ich bin doch nicht … Ich trage kein Parfum.“ Immer noch am Rande einer Panik besann sie sich auf die Stimme in ihrem Innern, die ihr riet, schleunigst das Thema zu wechseln. „In meiner Handtasche habe ich ein paar Pfund Bargeld“, bot sie an und zerrte den Saum ihres T-Shirts so heftig herunter, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.

„Ich bin nicht an Ihrem Kleingeld interessiert.“

Der angewiderte Unterton in seiner Stimme traf einen wunden Punkt bei Prue. Vergessen war der Vorsatz, sich zurückzunehmen, und ihr Wagemut gewann die Oberhand. Unüberlegte Worte sprudelten über ihre Lippen, bevor sie sie zurückhalten konnte.

„Ach, Geld wollen Sie also nicht? Dann gehe ich mal davon aus, dies ist der einzige Weg für Sie, einer Frau beim Ausziehen zuzusehen? Du schleimiger, nichtsnutziger, perverser Voyeur!“

Dunkle Streifen zeichneten sich farbig auf Karims hohen Wangenknochen ab. Es entsprach der Wahrheit: Er war nicht stolz darauf, derart spät auf seine Anwesenheit aufmerksam gemacht zu haben. Das war ganz und gar nicht seine Absicht gewesen.

Er kannte Frauen, die Striptease wie eine Kunst betrieben. Da war nicht im Entferntesten eine verführerische oder verspielte Absicht hinter der Art gewesen, wie diese Frau sich entkleidet und ihre weiblichen Kurven zur Schau gestellt hatte. Das machte sein Unvermögen, den Blick von ihr loszureißen und sich bemerkbar zu machen, umso bizarrer.

Vielleicht war es das Parfum, das sie angeblich nicht trug. Natürlich war ihre Behauptung eine Lüge gewesen. Gleich als sie den Raum betreten hatte, war der Duft, der ihm schon zuvor aufgefallen war, stärker geworden.

Ein Moment der vollkommenen Stille schien sich endlos hinzuziehen. Das gab Prue reichlich Zeit, sich von ganzem Herzen zu wünschen, sie hätte einfach den Mund gehalten. Es machte einfach keinen Sinn, diesen Mann zu provozieren, solange sie keine Ahnung hatte, wozu er fähig war.

Das Licht ging an, und sie fragte sich unwillkürlich, ob es überhaupt irgendetwas gab, wozu dieser geheimnisvolle, dunkle Mann in ihrem Schlafzimmer nicht fähig war!

Der Atem stockte in ihrem Hals, während ihre Augen immer größer wurden. Dies war mit Abstand der ungewöhnlichste Mann, den sie jemals gesehen hatte – oder den sie sich jemals in ihrer kühnsten Fantasie vorgestellt hatte!

Neben Furcht und Abscheu weckte er noch andere Gefühle in ihr, sobald sie ihn ansah. Gefühle, die sich auf einer äußerst primitiven Ebene bewegten und für die sie sich zutiefst schämte.

Die Finger mit den Spitzen aneinandergestellt und die Beine vor sich lang ausgestreckt, saß er weit zurückgelehnt in ihrem Stuhl. Seine Haltung war lakonisch, und der finstere, intensive Blick aus seinen bernsteinfarbenen Augen war direkt auf sie gerichtet.

Er war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, und seine Haut schimmerte golden im Kontrast zu dem dunklen Stoff. Die Haarsträhne, die ihm locker in die Stirn fiel, glänzte schwarzbläulich und reichte fast bis zu dem Kragen seines Hemdes hinunter. Oder das würde sie, wenn er ein richtiges Hemd getragen hätte.

Sein Antlitz wurde beherrscht von einem großzügigen, überaus sinnlich gezeichneten Mund, der hervorragend zu seiner geraden Adlernase und seinen hohen Wangenknochen passte. Sein Gesicht war im klassischen Sinn beinahe perfekt.

Als er sich in einer einzigen fließenden Bewegung erhob, war sie zu gefesselt, um die für diese Situation angebrachte Furcht zu empfinden. Sein Kopf befand sich jetzt jenseits des relativ niedrigen Lampenscheins. Er musste fast einen Meter neunzig sein, allerdings konnte man seinen schlanken, athletisch muskulösen Körper nicht gerade schlaksig nennen. Kraft, Stärke und eine angeborene Geschmeidigkeit waren eher Attribute, die seiner Gestalt eine einzigartige Faszination verliehen.

Er lehnte beinahe über Prue und betrachtete sie mit unverhohlener Verachtung. Sein Blick schien an den Rundungen ihrer Brüste festzuhängen, die sich heftig hoben und senkten. „Sie werden mir jetzt sofort sagen, wo sich meine Schwester aufhält!“

Prue wurde ganz heiß, während sie mühsam Ordnung in ihre wirren Gedanken zu bringen versuchte. Dieser Mann besaß mehr sexuelles Charisma in seinem kleinen Finger als jeder andere Mann im ganzen Körper! Das machte ihn aber nicht weniger gefährlich. Ganz im Gegenteil, selbst wenn er kein wahnsinniger Irrer war, bedeutete eine solche Gabe erst recht eine ernsthafte Gefahr! Ein Geschöpf wie er hinterließ auf seinem Weg eine Reihe gebrochener Herzen und zerstörter Träume.

Entschlossen atmete sie durch und hob ihr Kinn. Um keinen Preis der Welt würde sie sich anmerken lassen, wie eingeschüchtert sie war. Wahrscheinlich gehörte er zu diesen bemitleidenswerten Versagern, die sich daran weideten, ihre Opfer vor Angst zittern zu sehen.

Und ich bin kein Opfer, erinnerte sie sich selbst.

Die Tür bot Prue den einzigen Fluchtweg, aber er stand näher daran als sie selbst. Wenn sie darauf zustürzte, könnte er ihr leicht den Weg abschneiden. Sie musste näher an die Tür gelangen, bevor er ahnte, was sie vorhatte.

„Mein Freund wird jeden Augenblick hier sein. Er ist ziemlich kräftig … ein Rugbyspieler.“

Er hob eine dunkle Augenbraue. „Auf welcher Position?“

Seine Frage traf sie unvorbereitet. Mit gerunzelter Stirn bewegte sie sich auf die Tür zu und widerstand dem Impuls, einfach loszurennen. „Wie bitte?“

„Auf welcher Position spielt er?“

„Position?“ Ganz offensichtlich hatte sie es mit jemandem zu tun, der nicht ganz richtig im Kopf war. Prue hoffte nur, dass er noch zur Kategorie der relativ harmlosen Verrückten gehörte. Andererseits wirkte auf den ersten Blick nichts an ihm harmlos. „Woher soll ich das wissen?“

Solange er sprach, tat er wenigstens nichts anderes, wie zum Beispiel nach ihr zu greifen. Mittlerweile war sie ihm nahe genug, um den männlichen Geruch einzuatmen, der von ihm ausging, und um die feinen Linien in seinen Augenwinkeln zu erkennen.

Ohne Vorwarnung drehte sich ihr der Magen um. Erschrocken schloss sie die Augen und kämpfte gegen die Übelkeit an. Dann sah sie ihn wieder durch halb geschlossene Lider an, straffte kampflustig ihre Schultern und nahm all ihren Mut zusammen. „Ich sollte Sie warnen, denn ich beherrsche Kampfsport.“

„Auf jeden Fall ist es sehr sportlich von Ihnen, mich vorzuwarnen“, sagte er spöttisch.

Sie fühlte sich wie eine Maus, die von einer großen bösartigen Katze als Spielzeug missbraucht wird. Es bestand kein Zweifel daran, dass der Fremde ihr nicht glaubte, trotzdem war sie es langsam leid, sich diplomatisch zu verhalten.

Ihre Vorsätze, ihn zu beschwichtigen, waren wieder einmal vergessen. Mit giftiger Entschlossenheit verkündete sie: „Ja, ich gebe es zu: Ich bin halb gelähmt vor Angst.“ In ihren Augen glitzerte es verdächtig. „Und ich bin sicher, das gibt Ihnen jetzt das Gefühl, ein starker Mann zu sein“, setzte sie angewidert hinzu.

Ein Glanz widerwilliger Bewunderung schlich sich in Karims Blick. Was immer Miss Prudence Smith auch war, ein Feigling war sie nicht.

„Nur für das Protokoll: Ich hoffe, man schickt Sie für eine lange, lange Zeit ins Gefängnis.“ Ein hektischer Seitenblick sollte ihr verraten, ob sie dicht genug an der Tür stand, um einen Fluchtversuch zu wagen.

„Das halte ich für keine gute Idee.“

Schuldbewusst lief sie rot an. „Wovon reden Sie?“

Er machte einen bedrohlichen Schritt auf sie zu. „Ich rede von dem Fluchtplan, den Sie sich gerade fieberhaft ausmalen.“

Darum brauchte er sich keine Sorgen mehr zu machen. Ihre Füße waren vor Angst buchstäblich am Boden festgenagelt. „Wenn Sie mich anrühren, dann schreie ich.“ Vielleicht schrie sie sogar, wenn er es nicht tat. Ihre Nerven waren mittlerweile zum Zerreißen gespannt.

„Nun hören Sie mal zu“, begann er ruhig. „Können wir den dramatischen Teil nicht hinter uns lassen?“ Mit diesen Worten griff er nach einem Bademantel, der hinter ihm an der Wand hing, und warf ihn ihr zu.

„Dramatischen Teil?“, wiederholte sie fassungslos. „Ich komme nach Hause und finde irgendeinen Durchgedrehten in meinem Schlafzimmer vor …“ Prue gab einen undefinierbaren Laut von sich und zerrte den Bademantel über ihr T-Shirt.

„Sagen Sie mir nun endlich, wo meine Schwester ist!“

Gern hätte sie ihm alles gesagt, was er hören wollte, nur um diesen schönen, gefährlichen Mann so schnell wie möglich aus ihrem Haus zu bekommen.

„Ihre Schwester?“, hakte sie nach und spielte ein letztes Mal auf Zeit. Die Zimmertür war noch immer eine Möglichkeit. Wenn er jetzt blieb, wo er war, bot sich ihr eine winzige Chance zur Flucht, solange sie den Moment gut wählte.

Mit jeder Faser seines Körpers strahlte Karim Gelassenheit aus, als er die Arme vor der Brust verschränkte und Prue abschätzend ansah. Zweifelsohne war sie es gewöhnt, sich mit einem Blick dieser riesigen, einzigartigen Augen aus jeder heiklen Situation zu befreien. „Meine Geduld ist nicht grenzenlos.“

Eher gar nicht existent. Dieser Mann hatte eine leicht reizbare Art an sich. Selbst wenn er geistig normal wäre, was Prue deutlich bezweifelte, wäre er eine Person, von der man sich fernhalten sollte. „Hat sie auch einen Namen?“ In dieser Situation war es ratsam, auf ihn und seine Forderungen einzugehen.

„Suzan Al-Ahmad.“

„Susan? Ich kenne gar keine …“ Sie brach ab, als ihr plötzlich ein Geistesblitz kam. Ihr scharfer Blick glitt suchend über die ebenen Konturen seiner Miene. Allerdings konnte sie keine Ähnlichkeit zwischen diesem attraktiven Fremden und dem süßen, aufgeweckten Mädchen feststellen, das bis vor Kurzem eine ihrer Schülerinnen gewesen war – bis auf den leicht gebräunten Teint.

„Sie sprechen doch nicht etwa von Susan Armand?“

Prue wertete sein kaum merkliches Kopfnicken als Zustimmung.

„Susan ist tatsächlich Ihre Schwester? Meine Güte, aber sie ist doch …“

„Verschwunden“, schloss er tonlos.

„Ich wollte eigentlich ganz normal sagen. Sie ist verschwunden?“ Betroffen erstarrte sie, als ihr die Bedeutung seiner Worte klar wurde. „Susan wird vermisst?“ Sie wurde ganz bleich im Gesicht. „Wie soll ich das verstehen? Ist sie offiziell als vermisst gemeldet, oder …?“

„Eine nette Vorstellung, Miss Smith, aber Sie verschwenden Ihr Talent ganz umsonst an mich. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass Sie einen nicht unerheblichen Anteil am Verschwinden meiner Schwester tragen. Hat sie Ihnen ihre wahre Identität eröffnet? Bestimmt haben Sie sich köstlich dabei amüsiert, diese ganze Sache zu unterstützen, wenn Sie sie nicht sogar selbst inszeniert haben.“

Bisher hatte er noch keine konkrete Vorstellung davon, inwieweit sie für Suzans Verschwinden verantwortlich war. Wenn es so weit war, würde er sich eine entsprechende Strafe für dieses Vergehen ausdenken müssen. „Eines können Sie mir aber jetzt schon glauben! Sie werden den Tag noch bereuen, an dem Sie sich in unsere familiären Angelegenheiten eingemischt haben.“

Wortlos starrte Prue ihn an. Ganz eindeutig hatte er nicht mehr alle Sinne beisammen. Wie kam er dazu, ihr auf diese Weise zu drohen? „Ich? Warum um alles in der Welt sollte ich mich in Ihre Angelegenheiten einmischen? Das ist doch lächerlich. Sie reden, als wäre ich Teil einer großen Verschwörung. Dabei weiß ich nicht mal, wer Sie überhaupt sind!“ Schließlich hatte sie nicht mehr als sein bloßes Wort darauf, dass er ein Verwandter Susans war. „Mir gegenüber hat sie jedenfalls nie einen Bruder erwähnt.“

„Sie zweifeln an meiner Aussage?“

Sie musste über seinen ungläubigen Blick plötzlich lachen. Und als ihr Gelächter den Raum erfüllte, schienen seine bernsteinfarbenen Augen regelrecht Blitze auf sie abzufeuern.

Sie dagegen hat Suzan mir gegenüber durchaus erwähnt“, sagte er scharf. Langsam ließ er einen prüfenden Blick an Prue hinuntergleiten, bevor er ihr wieder direkt ins Gesicht sah. Dabei starrte er wie gebannt auf eine blonde Locke, die ihr lose über die Wange fiel.

Diese Wangen waren mittlerweile brandrot, und Prue wand sich förmlich unter seiner herablassenden Musterung. Mit zusammengebissenen Zähnen zog sie den Gurt ihres Bademantels fester um ihre Taille, ohne darauf zu achten, dass bei dieser abrupten Bewegung ihr Ausschnitt weiter auseinanderklaffte. Die weiche Rundung ihrer Brüste kam zum Vorschein, da ihr T-Shirt ebenfalls sehr tief ausgeschnitten war.

Prue wollte gar nicht wissen, was Susan zu diesem verabscheuungswürdigen Mann gesagt haben könnte, dass er sie derartig angewidert betrachtete.

„Suzan hält Sie für ein persönliches Vorbild.“

„Tut sie das?“, fragte Prue überrascht und schüttelte sogleich abwehrend den Kopf.

In diesem Augenblick zog Karim das pinkfarbene Leopardenhöschen aus seiner Tasche. „Da bleibt nur zu hoffen, dass sie nicht auch Ihren Geschmack in Sachen Unterwäsche anstandslos übernommen hat. Oder noch schlimmer: Ihren Sinn für Moral.“

Prues Wangen färbten sich noch dunkler, und in Sekundenschnelle schlug sie einmal wieder alle Vorsicht in den Wind. „Verzeihen Sie mir bitte, wenn ich mich nicht in Bezug auf meine Moral belehren lasse! Am wenigsten von einem Mann, der gerade in mein Haus eingebrochen ist, meine Privatsachen durchwühlt und dann auch noch meine Unterwäsche eingesteckt hat.“ Ihr Atem ging stoßweise, während sie sich bemühte, ihre Wut unter Kontrolle zu bringen. Bebend streckte sie einen Arm aus und riss ihm das besagte Kleidungsstück aus der Hand.

Einen Moment lang herrschte vollkommene Stille. „So werden Sie nicht mit mir reden“, verlangte er mit tödlicher Ruhe.

Ihre Aufmerksamkeit wurde automatisch auf die dunklen Striche gelenkt, die sich auf seinen hohen Wangenknochen abzeichneten, und auf die weißliche Linie über seinem Mund. Seine verkniffene Miene wirkte düster und nachdenklich, so als wäre er zu allem fähig – Grausamkeit oder auch wilde Leidenschaft.

Prue wusste nicht, wovor sie mehr Respekt haben sollte.

„Haben Sie noch nie etwas von freier Meinungsäußerung gehört?“

„Für die Dauer dieser Unterhaltung sollten Sie das als einen Luxus betrachten, nicht als eine Selbstverständlichkeit oder als Ihr persönliches Recht.“

Sie stemmte beide Hände in die Hüften und zog damit ihren Ausschnitt sogar noch etwas weiter auf. „Und was wollen Sie dagegen tun? Mich knebeln?“

„Mir wird noch etwas viel Schlimmeres als das einfallen, sollten Sie mir nicht endlich sagen, was ich wissen will. Und bitte“, fügte er hinzu, „verschwenden Sie keine weitere Zeit damit, mir irgendwelche theatralischen Schockszenen vorzuspielen. Und darüber hinaus sollten Sie längst wissen, dass Sie von Ihren Schülerinnen verehrt werden. Zweifelsohne genießen Sie die Tatsache, dass junge Menschen fasziniert an Ihren Lippen hängen.“

Er stieß einen unfeinen Laut aus. „Das ist eine Macht, die nur allzu schnell missbraucht werden kann. Sie setzen diesen jungen Frauen gefährliche Flausen in den Kopf, ermutigen sie, die Werte ihrer Familien über Bord zu werfen, sich sexuell auszuprobieren …“

Dieser letzte Vorwurf brachte Prue dazu, ihre Stimme wiederzufinden. Bisher hatte sie seinen Anschuldigungen mit offenem Mund stumm gegenübergestanden. „Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt! Ich bringe meinen Schülerinnen bei, Literatur nicht nur zu schätzen, sondern auch zu genießen. Außerdem ermutige ich sie zum Lernen, damit sie einen guten Abschluss bekommen. Aber ganz sicher rate ich ihnen nicht dazu, sexuelle Erfahrungen zu machen.“

Ihre Stimme überschlug sich bei diesen letzten Worten beinahe. Der Mann war verrückt. Im besten Fall war sie einfach Ziel eines üblen Scherzes, den ihre Oberschülerinnen ausgeheckt hatten. Viele dieser Mädchen amüsierten sich offen darüber, dass Prue keinen festen Freund hatte.

„Und Sie besuchen auch keine fröhlichen Saufgelage mit Ihren Schützlingen?“

„Wie bitte? Fröhliche Saufgelage? Oh, Sie meinen die Party bei Sarah. Diese Party habe ich nicht wirklich besucht, ich habe nur im Vorfeld davon gehört. Und am Abend ging ich dort vorbei, um sicherzustellen, dass die Dinge nicht außer Kontrolle gerieten. Es war eher ein unschuldiger Spaß und ganz sicher kein Saufgelage. Wenigstens so weit es die Mädchen betraf. Die Jungs, eine Motorradclique aus der Stadt, die unangemeldet auftauchten, waren ein wenig …“ Um ehrlich zu sein, waren diese Kerle unheimlich furchteinflößend gewesen. Allerdings hatte Prue nicht den Fehler machen wollen, sich ihre Angst anmerken zu lassen, als sie den Halbstarken die Tür wies.

„Sie wussten von dieser Feier und haben nicht die leiseste Anstrengung unternommen, sie zu verhindern.“

Schuldbewusst zuckte Prue zusammen. Seit der Sekunde, als sie durch die Tür gekommen war und die in Leder gekleideten ungebetenen Gäste gesehen hatte, wünschte sie sich schon, sie hätte etwas gegen diese Party unternommen. „Zugegeben, das war nicht gerade vorbildlich“, lenkte sie ein. „Aber ich habe die Polizei unterstützt.“

Plötzlich wurden ihre Augen riesengroß. „Meine Güte, das waren Sie? Sie haben diesen unfassbar herablassenden rüden Brief verfasst? Und ich dachte, das wäre Susans Vater gewesen.“

„Ihr Glück, dass ich es nicht bin. Ich bin überhaupt kein Vater, von daher würde ich den Ton meines Schreibens nicht als herablassend bezeichnen. Und was den Vorwurf angeht, ich hätte mich rüde ausgedrückt …“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Suzan bewundert Ihren erstaunlichen Intellekt. Von dem, was ich bisher mitbekommen habe, bin ich selbst allerdings eher wenig beeindruckt.“

Ein Mundwinkel zuckte, während er mit halb geschlossenen Augen an ihr heruntersah. Sein Tonfall wurde so sinnlich und heiser, dass Prue unwillkürlich ein Schauer über den Rücken lief. „Obwohl Ihr Äußeres wesentlich mehr hergibt, als ich erwartet habe. Wesentlich mehr“, wiederholte er genüsslich. „Sollten Sie jemals umsatteln wollen, könnten Sie Ihr Geld als Unterwäschemodel verdienen.“

Nur mit viel Mühe gelang es Prue, die Fassung zu bewahren. „Da kennen Sie sich offenbar besser aus als ich“, konterte sie und funkelte ihn wütend an. „Mittlerweile verstehe ich auch, warum Susan Sie nie erwähnt hat. Wären Sie mein Bruder, würde ich auch alles daransetzen, Ihre Existenz zu leugnen.“

„Wenn ich Ihr Bruder wäre, würde ich Sie hinter Schloss und Riegel halten“, erwiderte er kühl. Allerdings glaubte Karim nicht daran, auf diese Weise die Männer von ihr fernhalten zu können. Es irritierte ihn, dass er keinerlei Hinweis auf die Anwesenheit eines Mannes in ihrem Schlafzimmer gefunden hatte. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, warum eine Frau mit einem sündhaft schönen Körper keinen Mann in ihren Krallen hatte …

„Ich war noch nie in Paris. Aber ich nehme an, dass sich keine Französin eine solche Behandlung gefallen lassen würde“, sagte sie spitz.

„Ich lebe nicht in Paris.“

In Wahrheit hatte er aber zumindest ein eigenes Apartment dort, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, wann er es zum letzten Mal genutzt hatte. Die Ärzte hatten zwar nachdrücklich darauf hingewiesen, dass der König im Hinblick auf seine Regierungsarbeit unbedingt kürzertreten müsste, doch Karim wusste, wie zwecklos dieser Rat war. Deshalb hatte er sich dem auch nicht angeschlossen. Niemand sagte seinem Vater, er solle es ruhig angehen lassen.

Aus diesem Grund hatte Karim klammheimlich einige der zahlreichen Verpflichtungen des Königs übernommen, die sich stetig mehrten. Damit wollte er seinen Vater wenigstens entlasten, auf der anderen Seite waren damit Karims Tage als rastloser Jetsetter gezählt.

„Ich bin kein Franzose.“

„Aber Susan …“

Mit einer ungeduldigen Geste schnitt er Prues milden Protest ab. „Suzan ist auch keine Französin. Wir gehören dem königlichen Haus von Zafsid an, allerdings stammt unsere Großmutter aus Frankreich.“

„Das klingt interessant“, bemerkte sie zweifelnd und fragte sich, wie viel sie von dem glauben durfte, was dieser fremde Mann ihr erzählte.

Eines muss man ihm lassen, dachte sie kopfschüttelnd. Er beherrscht die arrogante Haltung verstiegener Adliger perfekt!

Soweit es sie betraf, konnte er aber genauso gut ein drogenabhängiger Irrer sein.

Karim wusste seinerseits nicht, wie er auf Prues befremdlichen Gesichtsausdruck reagieren sollte. Er hatte noch nie zuvor erlebt, dass jemand an seinem Status zweifelte. Und hier stand dieses vorlaute Frauenzimmer und nahm ihn nicht wirklich ernst.

„Das macht Sie dann also zu einem Scheich oder so?“

4. KAPITEL

„Ich verliere allmählich meine Geduld mit Ihnen“, gab er scharf zurück. Es lag ihm überhaupt nicht, sich vorstellen oder erklären zu müssen. Aber unter den gegebenen Umständen blieb ihm kaum eine andere Möglichkeit, als einige Zugeständnisse zu machen. „Es ist nicht allgemein bekannt“, begann er steif, „aber unser Vater ist …“

„Etwa auch ein Scheich?“, vollendete sie für ihn.

„Nein, eigentlich ist er ein König.“

Diese schlichte Behauptung entlockte ihr ein nervöses, heiseres Lachen, das sie schnell in ein Husten zu verwandeln versuchte. „Ein Kratzen im Hals“, entschuldigte sie sich eilig und warf einen sehnsüchtigen Seitenblick zur rettenden Schlafzimmertür. „Ist Ihr Vater mitgekommen?“

Noch ein winziges Stückchen, und sie würde bei einem Fluchtversuch die Tür erreichen, bevor er nach Prue greifen konnte. Ihre Pläne für die Augenblicke danach waren noch recht vage. Andererseits würde alles besser sein, als mit dem Eindringling hier in diesem Raum zu bleiben.

„Unser Vater hält sich zurzeit in der Schweiz auf. Er hat gestern eine Notoperation am Herzen über sich ergehen lassen müssen. Wenn er morgen aus dem künstlichen Koma erwacht, wird Suzan an seinem Bett sitzen. Hätten Sie sich nicht eingemischt, würde sie es jetzt schon tun. Daher werden Sie nun zumindest …“ Er brummte etwas Unverständliches, als sie plötzlich auf die Tür zustürzte, und streckte blitzartig eine Hand nach ihr aus.

Prue spürte, wie sie rückwärts gegen eine harte Brust geworfen wurde, und schrie frustriert auf, weil er sie mit festem Griff umfasst hielt. Diese Aktion kostete ihn augenscheinlich nicht die geringste Anstrengung. Die stählerne Kraft, die er ausstrahlte, war also keine Illusion gewesen.

Obwohl ihre Füße mehrere Zentimeter über dem Boden schwebten, schlug sie wie wild um sich. Es war eine Sache, ihn von Weitem zu beobachten, aber eine ganz andere, so eng an ihn gepresst zu sein, dass nicht einmal mehr eine Papierserviette dazwischengepasst hätte.

Über das Gefühl bloßer Angst war Prue längst weit hinaus. Im Grunde wäre Angst für sie wesentlich gesünder gewesen als die kribbelige Aufregung, die in ihrer Magengegend aufkeimte.

Sie wehrte sich noch heftiger, aber dabei sog sie immer tiefer den männlichen Duft seines Körpers ein, der langsam ihre Sinne benebelte.

„Hör auf damit, du kleiner Wildfang!“, befahl Karim und stöhnte auf, als Prue mit der Hacke hart gegen sein Schienenbein trat.

„Lass mich runter!“, verlangte sie keuchend. „Und zwar sofort! Was bildest du dir eigentlich ein, du brutaler Kerl?“

„Damit wären wir beim Du“, bemerkte er trocken. „Wenn du ruhig bleibst, werde ich dich loslassen.“ Selbst während er mühsam ihren Schlägen und Tritten auswich, spürte er sehr bewusst ihren weichen, geschmeidigen Körper und atmete den betörenden Duft ihrer Haare ein. Für jemanden, der so zart war, hatte sie einen kräftigen Tritt an sich!

„Ich bin ruhig!“, kreischte sie.

„Dann möchte ich wirklich nicht erleben, wie du einmal die Kontrolle verlierst. Und jetzt hör mir zu!“

„Habe ich denn eine Wahl?“ Erleichtert stellte sie fest, dass sie endlich wieder Boden unter den Füßen hatte. Sofort beruhigte sie sich etwas. „Ich würde gern etwas zu Atem kommen, wenn es dir nichts ausmacht“, stieß sie hervor. „Außerdem würde ich mich freuen, wenn meine Rippen ganz blieben.“

Bevor sie darüber erleichtert sein konnte, dass er seinen stahlharten Griff um ihre Taille lockerte, wurde sie unsanft auf dem Absatz umgedreht. Eine schwere Hand ruhte auf ihrer Schulter, mit der anderen umfasste er ihr Kinn. Ihre Blicke trafen sich, und jeglicher Kampfeswille verschwand aus Prues Gedanken.

„Dies sind die Regeln.“

Protestierend öffnete sie den Mund, doch er legte energisch einen Finger auf ihre Lippen und schüttelte seinen dunklen Kopf. „Du wirst mir zuhören, ich werde reden, und dann wirst du mir lediglich kurz mitteilen, was ich von dir wissen möchte. Mein Name ist Karim Al-Ahmad. Ich bin der älteste Sohn von Tair Al-Ahmad, der bereits seit vierzig Jahren Herrscher über Zafsid ist. Meine Schwester Suzan hat die letzten zwei Jahre inkognito hier verbracht, um unbeachtet eine exklusive Mädchenschule besuchen zu können. Die einzigen Menschen, die über die wahre Identität Suzans aufgeklärt waren, sind die Schulleiterin, der Schulbeirat und natürlich Samir und Malik.“

„Wer sind Samir und Malik?“

Missbilligend zog er die Augenbrauen zusammen. Ihm gefiel die vorlaute Unterbrechung dieser jungen Frau nicht im Mindesten. „Der Hilfsgärtner und der Hausmeister“, erklärte er widerwillig und bemerkte, wie überrascht sie war. „Dir wird auffallen, dass sie nach den Sommerferien nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehren werden.“

Das kann nicht wahr sein, oder etwa doch? schoss es ihr durch den Kopf. Falls irgendwelche Scheichs hier in den Home Counties herumspazierten, in fremde Häuser einstiegen und deren Bewohner terrorisierten, dann sehen sie doch bestimmt nicht aus wie er?

„Und diese Hirngespinste soll ich dir einfach so abkaufen?“, fragte sie herausfordernd.

„Soll ich mich etwa ausweisen?“

Damit löste er seine schwere, kostbare Uhr vom Handgelenk und reichte sie Prue. „Lies die Inschrift auf der Rückseite! Es war ein Geschenk meiner Mutter zu meinem sechzehnten Geburtstag.“

Prue starrte wortlos die Uhr an. Nach einer Weile seufzte sie und schüttelte abwehrend den Kopf. „Nein, schon gut, ich glaube dir.“ Das tat sie wirklich. Manchmal war die Wahrheit viel bizarrer als jede erdenkliche Fantasie, und dies war offenbar eine solche Ausnahme. „Dann ist Susan irgendetwas zugestoßen“, murmelte sie betroffen. „Entschuldige, ich meine natürlich Suzan.“

„Und du weißt nichts darüber?“

Sie streckte ihr Kinn vor und wollte sich von seinem ungläubigen Tonfall nicht provozieren lassen. „Nein, ich habe keine Ahnung.“ Wieder stemmte sie die Hände in die Hüften.

Und diese Haltung brachte erneut ihre weiblichen Kurven zur Geltung. Karim dachte daran, wie ihre Haut im fahlen Licht des dunklen Schlafzimmers seidig geschimmert hatte.

„Weiß sie denn von eurem Vater? Ich meine, weiß sie von seiner Krankheit?“

„Rashid wollte ihr die Neuigkeiten unterbreiten, als er sie nach dem Schuljahr hier abholen wollte. Aber die Dinge laufen ja bekanntlich nicht wie geplant.“

„Ich weiß nicht, wer Rashid ist“, unterbrach sie ihn und hob die Hand. „Und ich will es auch gar nicht wissen. Ich werde schlicht akzeptieren, dass du ein Scheich oder ein Prinz oder so was bist. Obwohl ich selbst kaum glauben kann, dass ich das gerade sage!“

„Wenn man es genau nimmt, bin ich sogar beides.“

„Du lieber Himmel, das würde wenigstens erklären, woher deine unglaubliche Arroganz kommt.“

„Ich bin keinesfalls arrogant.“

Sie ignorierte diesen hastigen Einwand. „Tatsache ist, ich bin weder dein Untergebener noch dein Sklave oder etwas in dieser Richtung. So gern ich dir auch helfen würde, ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo Suzan sich aufhalten könnte.“

„Doch, das tust du.“ Die tiefe Überzeugung in seiner Stimme war eine Beleidigung für Prue.

„Denk nach!“, forderte er sie auf und sah wie ein finsterer Racheengel auf sie hinunter. „Meine Schwester kennt niemanden außerhalb der Schule. Ohne Hilfe kann sie nicht einfach durchgebrannt sein. Um genau zu sein, ohne deine Hilfe.“

„Warum sollte ich ihr dabei helfen, so etwas zu tun?“

„Aus dem gleichen Grund, aus dem du sie dazu ermutigt hast, mit einem Rucksack durch Australien zu ziehen.“

„Ich habe sie nicht dazu ermutigt, ich habe lediglich gesagt, dass ich so etwas gern selbst getan hätte. Wenn du es unbedingt wissen willst“, fügte sie beleidigt hinzu, „ich habe die Mädchen zutiefst beneidet, als ich von ihren Plänen erfuhr.“

Prue selbst hatte in jungen Jahren die Verantwortung für die Erziehung ihres kleinen Bruders übernehmen müssen. Das ließ keinen Freiraum für persönliche Wunschträume wie eine Weltreise oder dergleichen.

Für den Moment ging Karim nicht auf dieses Bekenntnis ein. „Suzans Nachricht deutet an, dass sie irgendwohin gehen möchte, um jemanden zu treffen.“ Seine Augen wurden schmaler. „Du hast keinen Schimmer, wovon die Rede sein könnte? Sag mir alles, was du weißt!“

Als Prue den Kopf schüttelte, umfasste er mit beiden Händen ihre Oberarme. Erschrocken zuckte sie zusammen. „Mir ist etwas eingefallen“, murmelte sie. „Aber es hat bestimmt nichts zu bedeuten.“

„Lass mich das selbst beurteilen“, forderte er ungeduldig.

Dann ließ er sie los, und Prue rieb sich gereizt über die schmerzenden Stellen an ihren Armen. „Ich sage dir doch, es muss überhaupt nichts bedeuten.“ Doch leider konnte sie sogar selbst die Unsicherheit in ihrem Tonfall heraushören.

„Du versuchst, jemanden in Schutz zu nehmen“, schloss er, und seine braunen Augen durchbohrten Prue förmlich. „Wen?“

Während sie seinem Blick auswich, wurde ihr klar, dass sie unglaublich schuldbewusst aussehen musste.

„Deinen Liebhaber?“

Ein zartes Rosa überflog ihre Wangen. „Selbstverständlich nicht.“

Was hat dieser Kerl bloß? dachte sie verwirrt. Er ist ja vollkommen besessen von meinem nicht existenten Liebhaber.

Da Karim die überaus moderne Einstellung dieser jungen Frau zum Thema Sexualität kannte, fand er ihren entrüsteten Gesichtsausdruck in diesem Augenblick irgendwie unangebracht. „Wen dann?“

„Ian, mein Bruder, kam an einem Wochenende zu Besuch“, gestand sie und starrte fasziniert auf einen kleinen Muskel, der unterhalb seiner Wange leicht zuckte. „Susan hat ihn kennengelernt. Sie schienen sich sehr gut zu verstehen.“

„Du hast ein kleines Stelldichein zwischen meiner Schwester und deinem Bruder arrangiert?“

Entrüstet biss sie die Zähne zusammen und atmete zischend aus. „Nein, habe ich nicht.“ Seine Gabe, ihr jedes Wort im Mund umzudrehen, regte sie langsam auf. „Meine Güte, ein Mann und eine Frau können auch ein paar Worte miteinander wechseln, ohne dabei automatisch Sex im Kopf zu haben.“

Jedenfalls solange es sich um einen Mann wie Prues Bruder handelte. Aber bei diesem Exemplar, das vor ihr stand … Durch die Wimpern hindurch warf sie einen prüfenden Blick auf ihn und spürte, wie sich Schmetterlinge in ihrem Bauch regten. Er wirkte so lebendig und erotisch, so muskulös, gewandt und attraktiv. Und er verfügte über eine sexuelle Anziehungskraft, die man unmöglich ignorieren konnte. Es geschah sehr leicht, dass man sich dadurch ablenken und aus dem Konzept bringen ließ.

Genau das passiert, wenn ich nicht höllisch aufpasse, ermahnte sie sich selbst.

In aller Seelenruhe betrachtete er ihr reizvolles Dekolleté und grinste Prue dann frech an. „So naiv kannst du nicht sein.“

„Es war eine vollkommen unschuldige, zufällige Begegnung“, behauptete sie mit Nachdruck. „Mein Bruder wohnte bei mir, und Susan …“

„Suzan“, verbesserte er sie gereizt.

„Gut, Suzan“, wiederholte sie und verdrehte die Augen. „Sie kam bei mir vorbei, um ein Buch zurückzubringen.“

„Hast du die beiden allein gelassen?“

„Das weiß ich nicht mehr. Aber wenn du dir Sorgen um den Ruf deiner Schwester machst, kann ich dich beruhigen. Mein Bruder gehört nicht zu dieser Sorte Mann.“

„Alle Männer gehören zu dieser Sorte Mann, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen. Wie alt ist dein Bruder?“

„Zwanzig.“

„Zwanzig!“, rief er entsetzt. „Dann ist er kein Junge mehr, dann ist er auch ein Mann!“

„Ich bin sicher, du hattest in seinem Alter schon eine ganze Reihe aufregender Bettbekanntschaften, aber mein Bruder ist …“ Geschwisterliche Loyalität verbot es ihr, ihn als Außenseiter zu bezeichnen. „Er interessiert sich mehr für Bücher.“

„Natürlich musst du das glauben, schließlich bist du seine Schwester. Obwohl mir auffällt, dass du dich eher wie eine Mutter benimmst.“

„Vermutlich habe ich über die letzten Jahre auch diese Rolle ausgefüllt.“

„Was ist mit euren Eltern?“

„Sie sind tot.“

„Und wo ist dein Bruder jetzt?“

Sie lachte kurz. „Als wenn ich dir das verraten würde. Damit du dann auch dort hereinplatzt und ihn zu Tode erschreckst?“ Ian wusste definitiv nicht, wie man mit Leuten wie diesem Exoten umging.

Aber weiß ich das überhaupt? dachte sie plötzlich.

„Hat das etwa wie ein Vorschlag oder eine Bitte geklungen? Entschuldige, mein Fehler!“ Er schenkte ihr ein teuflisches Grinsen. „So sollte es ganz gewiss nicht klingen.“ Sein Grinsen verschwand, und sein Ton war hart wie Granit. „Du wirst mir augenblicklich sagen, wo sich dein Bruder befindet, oder du wirst es bitter bereuen.“

„Was glaubst du, kannst du mir antun?“, erkundigte sie sich kühn.

„Ich nehme an, wenn du deinen Job verlierst, verlierst du gleichzeitig dein Zuhause. Immerhin ist dieses Haus mit deiner Anstellung verknüpft. Und weiterhin nehme ich an, du wirst ohne Referenzen so schnell keine neue Stelle finden.“

Sie sah ihm direkt in die Augen und wusste sofort, dass dies keine leere Drohung war. Dieser Mann war durchaus bereit, seinen Worten Taten folgen zu lassen.

„Versprich mir, dass du ihm nicht wehtun wirst.“

„Wie bitte?“

„Du hast mich genau verstanden. Solange du mir nicht schwörst, dass du Ian kein Haar krümmen wirst, sind meine Lippen versiegelt.“

Entnervt warf er einen kurzen Blick auf seine Uhr. „Wenn ich mehr Zeit hätte, wäre alles anders.“

„Du hast aber keine Zeit.“

„Ich gebe dir mein Ehrenwort“, lenkte er ein und wirkte dabei ausgesprochen widerwillig. „Und jetzt verrate mir, wo er ist!“

Prue tat es und fügte hinzu: „Da war nicht einmal eine Spur Romantik zwischen ihnen. Das schwöre ich. Sie wollte nur einige Dinge über die Universität wissen und …“

„Zieh dir ein paar Sachen an!“

„Was?“

„Zieh dich an! Du kommst mit.“

Die sinnliche Ausstrahlung dieses Mannes bereitete Prue allmählich Kopfschmerzen. Es war schlimm genug in diesem Zimmer – der Gedanke daran, im beengten Raum eines Wagens mit Karim zu sitzen, war ihr unerträglich. „Das werde ich ganz bestimmt nicht tun“, widersprach sie und schüttelte heftig den Kopf.

„Ich habe keinen Beweis dafür, dass deine Angaben korrekt sind“, erklärte er schlicht. „Und mir fehlt die Zeit, in diesem Fall ein Risiko einzugehen. Vielleicht komme ich dorthin, und es hat noch nie jemand von deinem Bruder gehört. Oder er ist zwar da, aber du warnst ihn vor, sobald ich dein Haus verlassen habe.“

Prue fühlte sich wie ertappt. Doch sie hielt seinem wissenden Blick stand und weigerte sich, ihrem schlechten Gewissen nachzugeben.

„Und dann wäre das Vögelchen sicherlich ausgeflogen, sobald ich sein Nest erreicht habe“, setzte Karim voller Sarkasmus hinzu. „Daher wirst du verstehen, wenn ich dich lieber in meiner Nähe wissen will. Und falls es dich beruhigt, du bist in Sachen Reisebegleitung auch nicht gerade meine erste Wahl.“

Ihr Leben lang hatte sie davon geträumt, einem Mann zu begegnen, der zu dem stand, was er versprach. Allerdings hatte sie sich das etwas anders vorgestellt – nicht in Form von Drohungen oder unheilvollen Befehlen, die ihr nur die Wahl zwischen Regen und Traufe ließen. Prue hatte sich mehr einen liebevollen Partner vorgestellt, der geradeheraus, zuverlässig und aufrichtig war, nicht bedrohlich, arrogant und einschüchternd.

Außerdem sah ihr Traummann auch völlig anders aus als dieser Karim. Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie ihn. Sie hatte noch nie viel für die düsteren Titelbilder irgendwelcher Schauerromanzen übriggehabt.

„Die Zeit drängt, daher schlage ich vor, du machst dich endlich fertig. Andernfalls …“

„Lass mich raten! Andernfalls hilfst du mir dabei?“

Autor

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