Julia Exklusiv Band 316

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HEISSES RENDEZVOUS MIT DEM BOSS von NATALIE ANDERSON
Sophy wird von dem reichen Weingutbesitzer Lorenzo Hall so charmant empfangen, dass sie ohne zu zögern zustimmt, für ihn zu arbeiten. Ein Fehler mit unabsehbaren Folgen, denn ihr mächtiger Boss kann tatsächlich unglaublich sexy sein, was er ihr bei einem heißen Rendezvous beweist.

FOLGE DEINEM HERZEN - MAGGIE! von HELEN BROOKS
In ihrem malerischen Cottage auf dem Land will die hübsche Maggie zur Ruhe kommen. Nur wie, wenn ihr arroganter Nachbar Matthew sie so aufregt? Ständig bietet er ihr ungefragt seine Hilfe an - aber sie will nichts von ihm wissen! Bis sie den ersten Kuss von seinen Lippen kostet …

HEUTE NACHT RISKIER ICH ALLES … von JULIE COHEN
Sexy, breitschultrig und mit einem Blick, der sagt: Trau dich! So fährt Oz auf seinem schweren Motorrad in den Auktionssaal. Und Marianne setzt ihren letzten Cent ein, um ihn zu ersteigern. Eine Nacht lang scheint alles möglich - bis die Vergangenheit sie überraschend einholt …


  • Erscheinungstag 11.10.2019
  • Bandnummer 316
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713287
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Natalie Anderson, Helen Brooks, Julie Cohen

JULIA EXKLUSIV BAND 316

1. KAPITEL

Zeit mochte für manche Menschen ein dehnbarer Begriff sein. Für Sophy Braithwaite war das nicht der Fall.

Langsam, dann immer ungeduldiger tippte sie mit den Zehenspitzen auf den Fußboden.

Die Frau am Empfang hatte sie die Treppe hinauf zum Büro geschickt, und aufgrund des Schilds an der Tür wusste Sophy, dass sie hier richtig war. Und jetzt wartete sie.

Kurz ließ sie den Blick über die Bilder italienischer Landschaften gleiten, die sicher Cara ausgesucht hatte. Dann betrachtete sie wieder das Ungetüm von einem Schreibtisch, auf dem sich Papiere zu gefährlich hohen Stapeln türmten, die jeden Moment umzufallen drohten. Cara hatte also mit ihrer Aussage nicht übertrieben, sie hätte ein Chaos hinterlassen.

Der überstürzte Abschied hatte Cara sehr leidgetan, doch da ihr Baby sechs Wochen zu früh auf die Welt gekommen war, hatte sie keine andere Wahl gehabt. Noch immer lag das süße kleine Ding im Krankenhaus, und die junge Mutter war übernächtigt und voller Angst. In ihrem Zustand sollte sie sich wirklich nicht auch noch Sorgen wegen ihrer Teilzeitstelle für eine wohltätige Stiftung machen.

Sophys Ungeduld und Ärger nahmen zu. Wo steckte er denn jetzt – der berühmt-berüchtigte Lorenzo Hall, neuer Star der Weinbranche, Liebling aller Charity-Ladys und der Geschäftsführer von diesem Chaos?

„Lorenzo hat momentan so viel zu tun, weil Alex und Dani nicht da sind.“ Cara hatte sehr besorgt geklungen, als sie bei Sophys Schwester Victoria angerufen und diese den Hörer an sie weitergereicht hatte. „Es wäre einfach toll, wenn du einspringen würdest, damit er sich zumindest wegen des Whistle Funds keine Sorgen mehr machen muss.“ Doch eigentlich war Sophy jetzt hier, damit Cara sich keine Sorgen mehr machte.

Plötzlich wurde ihr klar, dass sie mit dem Fuß im Takt eines rhythmischen Geräuschs tippte, das aus einiger Entfernung zu hören war. Es wurde schneller, hörte auf und begann dann von Neuem. Sophy schüttelte den Kopf. Während sie erneut das Chaos betrachtete, das sich vor ihr ausbreitete, wünschte sie sehnlichst, einfach mal Nein sagen zu können. Doch das war ihr einfach nicht möglich, wie alle nur zu gut wussten: Obwohl sie erst vor einem knappen Monat nach Neuseeland zurückgekehrt war, hatte ihre Familie sie schon mit Aufgaben geradezu überhäuft. Und Sophy hatte sich das gefallen lassen. Dabei hatte sie eigentlich beschlossen, sich zumindest etwas Zeit für ihre eigene Arbeit vorzubehalten.

Sie sagte zu allem Ja und bestätigte damit stillschweigend die Annahme, sie hätte ohnehin nichts Besseres zu tun – zumindest nichts so Wichtiges wie die Aufgaben, die an sie herangetragen wurden.

Doch das stimmte nicht.

Sophy half ihrer Familie zwar nur zu gern, aber es gab noch etwas anderes, das sie sehr gern tat. Als sie an ihre eigentliche Berufung dachte, schlug ihr Herz schneller. Denn sie wünschte sich so sehr, genau das unter Beweis zu stellen. Dafür allerdings brauchte sie Zeit.

Und deshalb hatte Sophy wirklich keine Lust, herumzustehen und auf irgendjemanden zu warten – erst recht nicht auf jemanden, der offenbar nicht einmal in der Lage war, sich eine Aushilfskraft zu organisieren. Cara hatte Sophy vom Krankenhaus aus angerufen und gebeten, einzuspringen. Sie sah auf die Uhr, über deren Anblick sie sich jedes Mal freute: Es war eine wunderschöne, alte kleine Uhr, die Sophy auf einem Flohmarkt in London aufgestöbert und beim Uhrmacher hatte reparieren lassen. Sie funktionierte ausgezeichnet und ging ganz sicher nicht vor.

Als von draußen erneut das rhythmische Geräusch ertönte, wurden in Sophy Erinnerungen aus ihrer Schulzeit wach. Sie ging zum Fenster, blickte in den Hof hinter dem Weinlager – und atmete tief ein. Ja, tatsächlich, jemand spielte dort Basketball.

Es war Lorenzo Hall – er musste es einfach sein –, der sich da draußen vergnügte. Wäre er nicht allein gewesen, hätte Sophy noch Verständnis dafür gehabt, weil er vielleicht ein Spiel nicht vorzeitig abbrechen wollte. Aber er spielte ganz allein, während sie darauf wartete, dass ein fest vereinbarter Termin endlich begann.

Sophy verließ das Büro und lief die Treppe hinunter. Als die Empfangssekretärin ihr entgegenkam, fragte sie diese betont höflich: „Glauben Sie, Mr. Hall wird bald kommen?“

„Ist er denn nicht in seinem Büro?“, entgegnete die Frau ein wenig beunruhigt.

Sophy bedachte die Frau mit einem kühlen Blick, denn eigentlich sollte eine Empfangssekretärin wissen, wo sich ihr Chef aufhielt. „Nein“, erwiderte sie dann.

„Aber ich habe ihn vorhin noch dort gesehen“, sagte die Frau stirnrunzelnd. „Sehen Sie doch mal im dritten Stock nach, oder hinten im Hof.“ Und damit war sie auch schon wieder weitergeeilt.

Während Sophy nach unten in den Empfangsbereich ging, wurde sie immer aufgebrachter. Lorenzo Hall mochte es zwar in kürzester Zeit zu erstaunlichem Erfolg in der Weinbranche gebracht haben, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie ihm das gelungen war. Er schaffte es ja nicht einmal, einen bereits zwei Tage zuvor vereinbarten Termin einzuhalten!

Bevor sie nach draußen ging, blieb Sophy kurz stehen, straffte sich und zog dann die schwere Tür auf.

Schon vom Büro aus hatte sie gesehen, wer ihr da gegenüberstehen würde. Auf Lorenzo Halls Wirkung aus nächster Nähe war sie allerdings nicht vorbereitet. Es verschlug ihr einfach die Sprache.

Er hatte ihr den Rücken zugewandt, und zwar einen ziemlich breiten Rücken, der sehr sonnengebräunt war. Kein Wunder, denn offenbar verbrachte er viel Zeit draußen – und zwar ohne Hemd.

Dass ihr plötzlich sehr heiß wurde, lag sicher nur daran, dass Sophy so aufgebracht war.

Den Ball in den Händen, beugte Lorenzo ein wenig die Knie, als er auf den Basketballkorb am anderen Ende des asphaltierten Platzes zielte.

Sophy wartete genau den Moment ab, in dem sein Körper sich straffte. „Lorenzo Hall?“, rief sie dann.

Als er wie zu erwarten den Korb verfehlte, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, das jedoch schnell wieder verschwand.

Obwohl Lorenzo Hall etwa drei Meter von ihr entfernt war, spürte sie die sengende Hitze, die von ihm auszugehen schien. Er wandte den Kopf, ließ – mit den dunkelsten Augen, die sie je gesehen hatte – einen durchdringenden Blick über sie gleiten und wandte sich dann wieder dem Basketballkorb zu.

Mehr als diesen flüchtigen Blick hielt er also nicht für nötig? Sophy war es nicht gewohnt, so schnell abgefertigt zu werden. Mochte sie auch als Einzige der Familie keine beeindruckende Karriere als Juristin vorzuweisen haben, so gab es doch zumindest an ihrer Erscheinung nie etwas zu beanstanden: Sie sah immer makellos aus. Nach außen stets präsentabel zu sein, das war ihr seit frühester Kindheit eingebleut worden. Und Sophy wusste, dass sie in ihrem zartblauen Leinenrock und der sorgfältig gebügelten weißen Bluse mehr als präsentabel aussah. Ihr Lippenstift war dezent, ihr Gesicht gepudert, sodass es nicht glänzte, und ihre Frisur – unfreiwillig stets dieselbe – saß mit Sicherheit so perfekt wie immer.

Lorenzo musste sich kaum bewegen, um den Ball zurückzubekommen. Als er ihn zwischen den kräftigen Händen hielt, wandte er sich um und sah Sophy erneut an, noch durchdringender als beim ersten Mal. Dann drehte er sich um, visierte den Korb an und versenkte den Ball mit einem gut gezielten Wurf darin.

Sophy wäre am liebsten gegangen, doch sie war so aufgebracht, dass sie sich nicht rühren konnte. Lorenzo war also sein kleines Match mit sich selbst wichtiger als der vereinbarte Termin mit ihr. Bisher hatte sie nur Positives über seine wohltätige Stiftung gehört – und Gerüchte über seine Vergangenheit und seinen kometenhaften Aufstieg. Die Leute fanden es großartig, dass jemand mit seinem Hintergrund so erfolgreich Karriere hatte machen können.

„Wird unser Termin in absehbarer Zeit stattfinden?“, fragte Sophy. Nein, sie würde ihm nicht vorschlagen, zu einem anderen Zeitpunkt wiederzukommen, obwohl ihr die versöhnlichen Worte schon auf der Zunge lagen.

Als der Ball wieder auf ihn zusprang, fing Lorenzo ihn auf, warf ihn zur Seite und kam auf sie zu. Über dem Bund seiner tief sitzenden Jeans sah Sophy einen schmalen Streifen hervorblitzen. Unwillkürlich fragte sie sich, ob er wohl Boxershorts oder einen Slip trug. Sie konnte einfach nicht wegsehen.

Lorenzos Oberkörper war geradezu perfekt: sonnengebräunt und durchtrainiert. Er bewegte sich geschmeidig wie ein Tiger und Sophy war wie hypnotisiert.

Er hat wirklich einen tollen Körper, dachte sie und ließ unwillkürlich den Blick nach unten gleiten …

Mit zwei schnellen Schritten stand Lorenzo plötzlich direkt vor ihr – viel zu nah. Überrascht blickte sie auf. Er sah sie mit zusammengekniffenen Augen an und hatte offenbar bemerkt, wie eingehend sie ihn betrachtete.

Sophy erwiderte seinen Blick, fest entschlossen, sich ihre Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. Doch als Lorenzo nun ihre Aufmerksamkeit hatte, ließ er den Blick ganz langsam über ihren Körper gleiten. Sie konnte ihn spüren, an ihrem Hals, der nackten Haut, die in ihrem Ausschnitt zu sehen war, auf ihren Brüsten …

Aufgebracht kämpfte Sophy gegen die Röte an, die ihr ins Gesicht stieg. Ja, sie hatte Lorenzo ebenso unverhohlen betrachtet – aber unbewusst, nicht als absichtliche sinnliche Provokation. Als heftiges Verlangen von ihr Besitz zu ergreifen drohte, konzentrierte Sophy sich auf ihren Ärger, um dieses zu unterdrücken.

„Sie sind bestimmt Sophy“, sagte Lorenzo jetzt und wies auf seinen kleinen Basketballplatz. „Ich habe nachgedacht und dabei ganz die Zeit vergessen.“

Das war ein bisschen wenig für eine Entschuldigung.

„Meine Zeit ist auch etwas wert“, sagte Sophy deshalb, und zwar zum ersten Mal in ihrem Leben. „Ich mag es nicht, wenn sie verschwendet wird.“ Und erst recht nicht von einem halb nackten Mann.

Lorenzo sah sie mit seinen fast schwarzen, unergründlichen Augen an, und seine markanten Gesichtszüge röteten sich ein wenig. Vor Anstrengung, Verlegenheit oder Ärger? Vermutlich Letzteres.

„Natürlich“, erwiderte er ein wenig zu gelassen. „Ich werde es nicht noch einmal tun.“ In seinen Augen funkelte etwas.

Sophy konnte nichts dagegen tun, dass sie nun doch errötete – als wäre sie im Unrecht. In ihren hochhackigen Pumps trat sie von einem Fuß auf den anderen, warf noch einen letzten schnellen irritierten Blick auf Lorenzo und versuchte dann, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

„Haben Sie noch nie einen Mann mit nacktem Oberkörper gesehen, Sophy?“

Lorenzos ruhige, ironische Frage traf sie mit voller Wucht, und die morgendliche Sonne schien plötzlich sehr heiß auf Sophy niederzubrennen. Sie versuchte, etwas zu sagen, brachte jedoch einfach kein Wort heraus.

Er wandte sich ab. „Wie wär’s mit einem kleinen Spiel? Ich finde ja immer, dass man sich danach besser konzentrieren kann. Und außerdem kann man damit überschüssige Energie abbauen“, schloss er vielsagend.

Offensichtlich versuchte er, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen – als würde er das allein mit seiner körperlichen Ausstrahlung nicht ohnehin schon tun. Mit aller Macht riss Sophy sich zusammen und, erwiderte: „Dafür bin ich wohl etwas overdressed.“

Einen kurzen Moment lang wurden Lorenzos Augen groß. Dann, sagte er ruhig: „Das lässt sich ja leicht ändern.“

Fest entschlossen, gelassen zu bleiben, zog Sophy die Augenbrauen hoch. „Ich soll mich für Sie ausziehen?“

Sein Lachen war einfach unwiderstehlich. Überrascht sah sie, wie sich Lorenzos Gesichtsausdruck vollständig veränderte: vom düsteren Grübeln hin zu überschäumendem Humor. Es war faszinierend – und er atemberaubend attraktiv.

„Es wäre nur fair, finden Sie nicht? Ich bin ja eindeutig im Nachteil.“

„Daran sind Sie aber selbst schuld“, erwiderte Sophy noch atemloser als bisher. Ihrer Ansicht nach stellte die Tatsache, dass Lorenzo halb nackt war, für ihn durchaus einen Vorteil dar. Denn damit konnte er sein Gegenüber ziemlich durcheinanderbringen. Sie wandte sich zur Seite und versuchte, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen. Dabei fiel ihr Blick auf den Bretterzaun, auf dem riesige Graffiti prangten. Mit seinen kräftigen Farben wirkte es fast dreidimensional: Ein Mann, der an eine antike Statue erinnerte, dahinter leuchtend blaue Schattierungen und neben ihm ein nicht leserliches Wort. Angesichts des kühl-eleganten Empfangsbereichs hätte Sophy niemals mit so etwas gerechnet – ebenso wenig wie mit dem Chaos im Büro.

Lorenzo hob den Ball auf und ließ ihn in den Händen rotieren. „Wir können alles besprechen, während wir spielen.“

Er lächelte noch immer, doch jetzt wirkte er wieder ein wenig herausfordernd. Aber Sophy würde auf keinen Fall mit ihm Basketball spielen: Sie hatte das schon seit Jahren nicht mehr getan und befürchtete, dass sie den Korb um einen Kilometer verfehlen und sich absolut blamieren würde.

„Vielleicht sollten wir einen neuen Termin vereinbaren“, sagte sie.

Als Lorenzos Lächeln sich vertiefte, spürte Sophy, wie ihr heiß wurde. Cara hatte nicht erwähnt, wie atemberaubend ihr Chef war. Sie zwang sich, den Blick von Lorenzo abzuwenden und wieder zu den Graffiti gleiten zu lassen. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie, das Wort zu entziffern.

„Diese verdammten Gören“, sagte Lorenzo, der ihrem Blick folgte.

„Es könnte doch schlimmer sein“, entgegnete Sophy, die auf keinen Fall einer Meinung mit ihm sein wollte. „Zum Beispiel, wenn es nur ein tag wäre, also einfach nur Initialen oder ein Name. Das hier ist doch eigentlich ein ziemlich cooles Bild.“

Lorenzo ließ ein Räuspern ertönen, das sich zu einem heftigen trockenen Husten steigerte. Jeden anderen hätte Sophy gefragt, ob alles in Ordnung sei. Doch in seinem Fall wollte sie sich gar nicht erst auf eine persönliche Ebene begeben. Denn schon jetzt spürte sie, wie sehr er sie durcheinanderbrachte.

„Die Graffiti zu machen hat bestimmt eine Weile gedauert“, stellte sie fest, als der Hustenanfall abgeklungen war. „Nur schade, dass der Besitz eines anderen Menschen besprüht wurde.“

„Da haben Sie vollkommen recht.“

Sophy, die einen amüsierten Klang aus Lorenzos Antwort herauszuhören meinte, warf ihm einen Blick zu. Sie blieb misstrauisch, auch wenn sein Gesichtsausdruck grüblerisch wirkte.

„Sie brauchen also jemanden für die Verwaltung der Stiftung?“, fragte sie, um das Gespräch endlich in die richtige Richtung zu lenken.

„Ja, für die Stiftung, den Whistle Fund.“ Plötzlich war auch Lorenzo ganz geschäftsmäßig. „Kat, meine Empfangssekretärin, kann Caras Aufgaben nicht zusätzlich zu ihrer eigenen Arbeit übernehmen. Und wir haben momentan ziemlich viel zu tun. Ich bräuchte also jemanden, der für mindestens einen Monat einsteigt, damit das Chaos beseitigt und eine Nachfolgerin eingearbeitet werden kann. Wären Sie dazu bereit?“, fragte er ernst. „Selbstverständlich bekommen Sie ein Gehalt. Ich erwarte nicht, dass jemand Arbeit in diesem Umfang ehrenamtlich übernimmt.“

„Ich brauche kein Gehalt und arbeite gern ehrenamtlich.“

„Doch, Sie werden ein Gehalt bekommen“, entgegnete Lorenzo kühl. „Darauf bestehe ich. Aber wenn Sie möchten, können Sie es ja der Stiftung spenden.“

Er wollte sich ihr also nicht verpflichtet fühlen. Aber Sophy brauchte das Geld nun einmal nicht. Was sie von ihrem Treuhandfonds bekam, reichte ihr gut zum Leben. Trotz dieser Privilegien hatte sie nie einfach faulenzen und shoppen können – so war sie einfach nicht erzogen worden. Ihre Angehörigen hatten zwar viel Geld, hatten jedoch auch immer etwas Sinnvolles tun müssen. Nur leider war es Sophy nicht gelungen, in die Fußstapfen ihrer Familie zu treten und im juristischen Bereich Karriere zu machen. Alle außer ihr waren erfolgreiche Anwälte: ihre Mutter, ihr Bruder und ihre Schwester. Ihre Klienten waren vor allem benachteiligte Menschen. Noch schlimmer war ihr Vater, der als Anwalt im Ruhestand forschte und Untersuchungen zum Rechtssystem leitete. Sophys Nachname stand für herausragende Leistungen im juristischen Bereich. Niemand war von diesem Pfad abgekommen – niemand außer Sophy.

Also hatte sie es damit versucht, zu allem Ja zu sagen. Sie übernahm die ganze ehrenamtliche Arbeit, organisierte alles von vorn bis hinten – in erster Linie das Leben ihrer Familie. Sophy hatte vielleicht nicht den juristischen Verstand der anderen, aber sie war praktisch veranlagt. In ihrem Bemühen, mit dem Rest ihrer Familie Schritt zu halten, hatte sie jedoch einen großen, sehr dummen Fehler begangen: Sie hatte ihren eigenen Wert unterschätzt.

Sophy war ins Ausland gegangen, wo sie endlich ihre eigene Leidenschaft, ihre Berufung gefunden hatte. Und sobald sie die Zeit dafür hätte, wollte sie sich ganz darauf konzentrieren und ihrer Familie beweisen, was in ihr steckte.

„Caras Büro ist in diesem Gebäude“, sagte Lorenzo jetzt, der ihr Schweigen wohl als Zustimmung gedeutet hatte. „Das können Sie ganz nach Belieben nutzen. Eigentlich hatte ich gehofft, dass wir ihre Aufgaben mit erledigen können. Aber da Dani jetzt mit Alex unterwegs ist, brauche ich jemanden, der sich ganz auf die Arbeit konzentrieren kann.“

„In Vollzeit?“ Oh nein, dachte Sophy, denn sie wusste, dass sie einfach nicht Nein sagen könnte.

„Vielleicht in der ersten Woche, weil so viel liegen geblieben ist“, erwiderte Lorenzo mit einem etwas reuigen Lächeln. „Danach sollte es genügen, wenn Sie vormittags kommen. Außerdem bräuchte ich Sie bei etwaigen abendlichen Treffen und den Feiern. Für die nächste anstehende müssten Sie übrigens noch die letzten Details der Organisation übernehmen.“

Ja, der Whistle Fund war berühmt für seine Veranstaltungen: glanzvolle Abende, zu denen die Reichen und Berühmten in Scharen strömten, um bereitwillig ihre Portemonnaies zu öffnen. Und dass solche „Stars“ erschienen, machte die Feiern auch für Normalsterbliche sehr attraktiv. Denn wer träumte nicht davon, mal einen Abend lang VIP zu sein?

„Und Sie können niemand anders für die Arbeit finden? Vielleicht jemanden von einer Zeitarbeitsfirma?“

„Cara wollte sicher sein, dass sich das Büro in guten Händen befindet. Einer völlig Fremden traut sie nicht zu, das Ganze in Ordnung zu bringen. Ich möchte ihr nicht noch zusätzlich Stress verursachen. Und sie hat mir gesagt, Sie seien die Einzige, die mit dieser Aufgabe zurechtkommen würde. Also habe ich ihr versprochen, es mit Ihnen zu versuchen.“

Der winzige Anflug von Sarkasmus ließ Sophy aufhorchen. Er meint wohl, ich sei der Sache nicht gewachsen, dachte sie und straffte sich. Dabei konnte sie das Chaos in seinem Büro doch im Schlaf beseitigen!

Sophys Schwester Victoria war eine von Caras engsten Freundinnen. Sie hatte versichert, Sophy wäre in der Lage, das Ganze zu bewältigen, und außerdem hätte sie Zeit. Und nun wollte Cara niemand anderen mehr als sie.

Bei ihrer Rückkehr nach zwei Monaten im Ausland war Sophy sofort wieder in alte Verhaltensmuster zurückgefallen. Nach wie vor kam niemand auf die Idee, sie könne vielleicht anderes zu tun haben als die Gefallen, um die man sie bat. Warum sollten sie auch? Sophy hatte ja immer zu allem Ja und Amen gesagt.

Und jetzt war es eigentlich an der Zeit, Nein zu sagen, Lorenzo klarzumachen, dass sie andere Prioritäten hatte und ihm nicht so viel von ihrer Zeit schenken konnte.

Mit aller Macht hielt sie sich davon ab, den Blick erneut an seinem Körper hinuntergleiten zu lassen. Lorenzo hatte einen strengen Ausdruck in den Augen, als würde er nicht ganz glauben, was Cara ihm über sie erzählt hatte – oder als rechnete er damit, dass Sophy Nein sagte. Dann würde er sicher ohne Zögern das Telefon zücken und irgendeine beliebige Aushilfskraft engagieren. Plötzlich spürte Sophy: Es gefiel ihm gar nicht, dass er sie bitten musste. Sie straffte sich noch ein wenig mehr.

Unwillkürlich musste sie an Cara denken, die voller Sorge über ihre winzige, noch im Brutkasten liegende Tochter wachte. Sophy konnte die Freundin ihrer Schwester einfach nicht im Stich lassen – ebenso wenig, wie sie ihre Schwester je hatte enttäuschen können.

„Ich fange morgen mit der Arbeit an“, sagte sie mit Nachdruck.

„Gut. Ich werde dann auch hier sein und Ihnen zeigen, wie alles läuft“, erwiderte Lorenzo.

Punkt neun Uhr.“ Ein letztes Mal ließ Sophy den Blick über ihn gleiten. Dann wandte sie sich um und ging.

Lorenzos Erwiderung kam, als die Tür gerade hinter ihr zugefallen war. Ob er gewollt hatte, dass sie die vielsagenden Worte hörte, wusste sie nicht – doch sie machten sie wütend.

„Zu Befehl, Ma’am.“

2. KAPITEL

Es wurde neun Uhr, und dann war es auch schon nach neun. Sophy saß in dem Büro, das aussah wie nach einem Hurrikan. Alle dreißig Sekunden sah sie auf die Uhr. Das war doch nicht zu fassen. Kein Wunder, dass hier so ein Chaos herrschte! Lorenzo brauchte ganz eindeutig Unterstützung. Aber wenn er die wollte, stellte er es nicht gerade geschickt an.

Sie verbrachte fünf Minuten damit, die ungeöffnete Post zur Seite zu räumen, um die Tastatur zu finden. Dann beschloss sie, die Briefe zu öffnen. Nach vierzig Minuten hatte sie bereits ein ordentliches Stück des Schreibtisches freigeräumt. Der Korb fürs Altpapier war gefüllt mit leeren Briefumschlägen, und die Hälfte der Schreiben war zu nach Betreff sortierten Stapeln geordnet. Dann wollte Sophy nicht weitermachen, ohne erst mit Lorenzo zu sprechen. Also ging sie nach unten zum Empfang.

„Hallo Kat, ich bin Sophy und werde mich um die Verwaltungsangelegenheiten des Whistle Fund kümmern. Wissen Sie zufällig, wo Mr. Hall ist?“

Die Empfangssekretärin blinzelte überrascht. „Eigentlich dachte ich, er sei bei Ihnen. Ist er vielleicht hinten im Hof?“

„Nein.“ Da hatte Sophy natürlich schon nachgesehen.

In diesem Moment kam ein Kurier herein und brachte ein Paket.

„Könnten Sie nachsehen, ob er im dritten Stock ist?“, bat Kat. „Ich muss mich um diese Lieferung kümmern.“

„Ja, natürlich“, erwiderte Sophy wie automatisch. Dann war Lorenzos Arbeitszimmer also im dritten Stock?

Sie ging die Treppe hinauf in den zweiten Stock, wo sie vorsichtshalber noch einmal in den anderen beiden Büros nachsah. Diese wirkten zwar, als würde dort tatsächlich jemand arbeiten, waren jedoch leer. Und dann gab es noch einen weiteren, ziemlich großen Raum, in dem sich fast nichts befand.

Als Sophy die Treppe zum dritten Stock hinaufstieg, musste sie ihre Nervosität unterdrücken. Oben war kein Gang, sondern eine Tür, an der „Privat“ stand. Nachdem auf mehrmaliges Klopfen hin nichts passierte, öffnete Sophy die Tür und trat ein.

Ein großzügig geschittener, lichtdurchfluteter Raum breitete sich vor ihr aus. Blinzelnd sah sie sich um und stellte fest, dass sie sich in einem privaten Apartment befand – dem von Lorenzo, der auf einem großen Ledersofa lag.

„Was ist los?“, fragte sie beunruhigt und ging zu ihm. Wieder fiel es ihr schwer, sich vom Anblick seines breiten Oberkörpers loszureißen. Doch als sie dann Lorenzos Gesicht betrachtete, bemerkte sie, wie blass er unter der Sonnenbräune war. Wenn das die Folgen eines Katers waren, dann würde sie ziemlich wütend werden.

„Halsschmerzen.“ Er brachte nur ein kaum hörbares Krächzen zustande.

Das ist wohl leicht untertrieben, dachte Sophy. Lorenzo sah nur etwas weniger umwerfend aus als am Vortag, was wohl bedeutete, dass es ihm ziemlich schlecht ging. Sie konnte gar nicht anders, als noch einmal den Blick über ihn gleiten zu lassen. Er hatte einfach den tollsten Körper, den sie je aus der Nähe gesehen hatte …

Lorenzo trug eine Boxershorts, sonst nichts. Und zwar keine weite, sondern eine, die sich eng um seine schmalen Hüften, seine muskulösen Oberschenkel und … um die übrigen attraktiven Körperteile schmiegte.

Sophy gab sich einen Ruck. „Sie haben Fieber“, stellte sie fest, denn das war eindeutig. Sie ging zur Küchenzeile des offen gestalteten Apartments und schenkte ein Glas Wasser ein.

„Mir geht’s gut“, behauptete Lorenzo und wurde erneut von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt.

„Na klar. Deswegen haben Sie auch unseren Termin verpasst.“ Sie reichte ihm das Glas.

Als er mit heftig zitternden Händen danach griff, schloss sie selbst seine Finger um das Glas und ließ erst los, als er es sicher hielt.

Ihre Blicke begegneten sich, und sie bemerkte einen Ausdruck hilfloser Wut in seinen Augen.

„Mir geht es gut“, wiederholte er mit zusammengebissenen Zähnen, zitterte dabei jedoch am ganzen Leib.

Nach einem winzigen Schluck stellte er das Wasser auf den Couchtisch. Dort stand auch sein eingeschalteter Laptop. Glaubte er im Ernst, er könnte in seinem Zustand arbeiten?

„Wann haben Sie zuletzt etwas gegessen?“, fragte Sophy getreu ihrer praktischen Veranlagung. Weil Lorenzo nicht antwortete, legte sie ihm vorsichtig die Hand auf die Stirn, um zu fühlen, wie heiß diese war. Als er zusammenzuckte, zog sie die Hand schnell wieder zurück.

„Hören Sie auf damit“, sagte er heiser.

„Sie haben Fieber und müssen sich vom Arzt untersuchen lassen.“

„Blödsinn.“

„Darüber lasse ich nicht mit mir verhandeln.“ Sophy zog ihr Handy aus der Tasche und klappte es auf. „Ich werde Ihnen einen Arzt rufen.“

„Wagen Sie es ja nicht!“ Lorenzos Protest hätte energisch geklungen, wenn seine Stimme nicht so heiser gewesen wäre. Er wollte sich bewegen, überlegte es sich dann jedoch anders und, sagte nur: „Sophy, halten Sie sich da raus. Mir geht es gut. Und ich habe Arbeit, um die ich mich kümmern muss.“

Sie ignorierte ihn und sprach leise mit der Sprechstundenhilfe der Arztpraxis, in die sie schon ihr ganzes Leben lang ging. Dann legte sie auf und, sagte: „Um zehn kommt eine Ärztin.“

„Nein. Ich habe zu tun und …“, wandte Lorenzo ein.

„Ihre Arbeit wird warten müssen“, unterbrach Sophy ihn, klappte energisch den Laptop zu und stellte ihn so weit weg wie möglich: auf den Küchentresen.

„Bringen Sie den Laptop sofort zurück!“, sagte Lorenzo aufgebracht.

Sie ging zu ihm und, sagte: „Hätte ich bloß eins dieser altmodischen Fieberthermometer mit Quecksilber. Ich wüsste genau, wo ich das jetzt hinschieben würde.“

Lorenzo umfasste ihr Handgelenk mit eisernem Griff. „Ja, Sie haben recht, ich fühle mich nicht besonders. Und wenn Sie mich weiter provozieren, werde ich gänzlich die Beherrschung verlieren.“

Sophy blickte ihm in die dunklen Augen und sah Erschöpfung, Anspannung und Frustration – und etwas tiefer auch einen sehr unglücklichen Ausdruck. „Also gut“, lenkte sie ein. „Aber Sie müssen aufhören, sich mir in allem zu widersetzen. Sie sind krank, und Sie müssen sich vom Arzt untersuchen lassen.“

Sie konnte förmlich sehen, wie sehr ihn das Atmen schmerzte. Als Lorenzo die Augen schloss, wusste Sophy, dass sie gewonnen hatte.

„Also gut“, sagte er. „Aber Sie haben jetzt genug getan und können gehen. Kat wird die Ärztin zu mir raufschicken.“ Ein Fieberschauer ließ ihn erbeben.

Sophy konnte niemanden in diesem Zustand allein lassen, und Lorenzo merkwürdigerweise ganz besonders nicht. Er hätte es natürlich niemals zugegeben, aber er war in diesem Zustand hilflos, und er war allein.

„Bringen Sie mir wenigstens meinen Laptop.“

„Wozu? Sie werden nichts erledigt bekommen, indem Sie auf den Bildschirm starren. Stattdessen sollten Sie lieber schlafen und gesund werden, dann schaffen Sie Ihre Arbeit in einem Bruchteil der Zeit.“

Zwei zu null für mich, dachte sie, als Lorenzo den Kopf gegen die Sofapolster sinken ließ.

Die Ärztin blieb nur zehn Minuten. Währenddessen wartete Sophy am oberen Ende der Treppe und telefonierte. Nachdem sie ein paar Worte mit der Ärztin gewechselt hatte, ging sie wieder zu ihrem schlecht gelaunten Patienten.

„Ich hole Ihnen eine Decke“, sagte sie und wollte zu den Türen am anderen Ende des Raums gehen.

„Es liegt doch eine auf der Sofalehne.“

Das stimmte. Sophy blieb stehen. Sie hatte die Decke einfach nicht bemerkt. Es war nicht leicht, irgendetwas zu bemerken, solange Lorenzo fast nackt war. Als sie sich nach der Decke bückte, bemühte sie sich, ihn nicht anzublicken. „Sie sollten sich lieber zudecken.“

Er warf ihr einen ironischen Blick zu, lehnte sich dann jedoch wirklich zurück und deckte sich zu. „Sind Sie jetzt zufrieden, Schwester Sophy?“

Nein, dachte Sophy, da sein Oberkörper immer noch nackt war. Aber immerhin schien es Lorenzo jetzt ein wenig besser zu gehen.

„Ist es eine Mandelentzündung?“

„Ja. Ganz schön blöd, was?“

Nein. Sophy wusste schließlich genau, wie schmerzhaft das sein konnte. „Haben Sie das als Kind auch bekommen?“

„Ja, ein paar Mal.“ Lorenzo nickte.

„Warum hat man Ihnen die Mandeln dann nicht herausgenommen?“

„Ich stand auf der Warteliste für diese OP“, erwiderte Lorenzo. „Und nachdem ich dann aufs Internat gekommen war, hatte ich keine Mandelentzündung mehr.“

Sophy schenkte etwas von dem Elektrolytgetränk ein, das die Ärztin dagelassen hatte. „Dann war es also eine gute Schule?“

„Besser als all die anderen, auf denen ich war.“

Sie wusste, dass Lorenzo mit Alex Carlisle zur Schule gegangen war, mit dem er den Whistle Fund gegründet hatte. Auch ihr älterer Bruder war dort gewesen. Es war eine Privatschule, sehr exklusiv und mit hohen Leistungsansprüchen, auch im Sport. An dieser Schule konnte man seine Fähigkeiten voll entfalten, und das hatte Lorenzo sicher getan. Sophys Schwester war auf eine ähnliche Schule für Mädchen gegangen. Doch als sie selbst in das entsprechende Alter gekommen war, hatten ihre Eltern vorgeschlagen, sie solle einfach auf die Schule ihres Heimatortes gehen und nicht aufs Internat. Insgeheim hatte Sophy gewusst, woran das gelegen hatte: daran, dass sie nicht so herausragende Schulnoten gehabt hatte wie ihre Geschwister. Sie war alles andere als dumm, nur eben kein Genie.

„Mit den Antibiotika wird es Ihnen schon bald besser gehen. Und dann sollten Sie vielleicht mal Urlaub machen“, schlug sie vor.

Lorenzo zog die Augenbrauen hoch.

„Cara hat mir erzählt, dass Sie zu viel arbeiten“, fuhr Sophy fort, als würde sie nicht bemerken, dass er immer gereizter wurde. „Vielleicht sind Sie einfach am Ende Ihrer Kräfte.“ Sie warf ihm unter gesenkten Lidern hervor einen Blick zu.

„Wohl kaum, Honey.“ Lorenzo streckte die Arme aus, um mit männlichem Stolz seine Muskeln zu präsentieren.

Ganz offensichtlich ging es ihm also schon besser. Sophy konnte einfach nicht anders, als ihn noch etwas mehr zu necken.

„Ja, das sieht nicht schlecht aus. Aber vermutlich würde es Sie im Moment schon völlig erschöpfen, einfach nur aufzustehen.“

„Wenn Sie einfach mal ein bisschen näher kommen, könnten wir das ganz leicht testen“, erwiderte er gelassen.

Sophy wandte sich ab. Sie war einfach nicht so geübt und geschickt im Flirten wie ihre beste Freundin Rosanna. „Ich habe keine Lust, noch einmal enttäuscht zu werden.“

„Dann waren Sie also enttäuscht, dass ich nicht zu unserem Termin erschienen bin?“

Als Sophy sich zu Lorenzo umdrehte, bemerkte sie seinen zufriedenen, amüsierten Blick. „Sie sollten sich lieber hinlegen und endlich Ihr Glas leer trinken.“

Lorenzos Augen funkelten. „Ich brauche keine Mutter, Sophy“, wies er ihre Hilfsbereitschaft kühl zurück.

„Stimmt“, erwiderte sie kurz angebunden. „Sie brauchen eine Krankenschwester. Und ich habe auch schon eine angefordert, die bald eintreffen wird.“

Eine ganze Minute lang war Lorenzo sprachlos. „Was haben Sie getan?“, fragte er dann ungläubig.

„Ich habe dafür gesorgt, dass Sie eine Krankenschwester bekommen. Denn ich habe Arbeit, um die ich mich kümmern muss, und Kat auch. Andererseits können Sie nicht allein bleiben.“

Wie bitte? Er hatte sein ganzes Leben lang allein zurechtkommen müssen! „Rufen Sie die Frau an und sagen Sie ihr, dass sie nicht zu kommen braucht!“, befahl Lorenzo.

„Zu spät, sie ist schon auf dem Weg“, entgegnete Sophy nur.

Lorenzo warf ihr einen wütenden Blick zu. Seit seiner Kindheit war er nicht mehr so frustriert gewesen, weil man über ihn hinweggegangen war. Als ihn eine Welle der Erschöpfung überkam, schloss er die Augen.

Zugegeben, er hatte in letzter Zeit wirklich sehr viel gearbeitet – noch mehr als sonst. Lorenzo konnte nicht einmal sagen, wann sein Erfolgshunger endlich gestillt wäre. Ständig hatte er das Gefühl, das bisher Erreichte könne ihm jederzeit wieder weggenommen werden. Also arbeitete er immer mehr, als könne er nie die Sicherheit bekommen, die er brauchte.

Doch die Sache mit Vances Bar war vielleicht ein Projekt zu viel gewesen. Lorenzo hatte seine gesamten Mitarbeiter und Ressourcen in der vergangenen Woche darauf konzentriert, ihm bei den Vorbereitungen für die Eröffnung zu helfen. Darüber hatte er seine eigenen Geschäfte ziemlich vernachlässigt, insbesondere den Whistle Fund. Da Lorenzo in den letzten zwei Wochen praktisch rund um die Uhr gearbeitet hatte, sah Caras Büro einfach chaotisch aus. Er wusste nicht, warum, doch es widerstrebte ihm sehr, dass Sophy dies gesehen hatte.

Diese unglaublich tüchtige Person, die sich in alles einmischen musste. Wie konnte er sie auch nur im Mindesten attraktiv finden? Sie war so verdammt korrekt und davon überzeugt, recht zu haben, dass es kaum auszuhalten war. Ob sie in ihrem Leben auch nur einen einzigen Fehler begangen hatte? Bestimmt nicht, dachte Lorenzo. Und falls doch, würde sie es sicher niemals zugeben. Sie war einfach perfekt.

Unruhig rutschte er ein wenig auf dem Sofa hin und her. Denn es stimmte: Sophy war tatsächlich perfekt, wie eine Porzellanpuppe. Sie hatte einen zarten Teint und blondes, zu einem Bob geschnittenes Haar, das sich an den Spitzen perfekt lockte. Wie lange sie wohl dafür brauchte, es zu frisieren? Sophys Nase war klein und zart und ihr Mund so entzückend geschwungen, dass er förmlich dazu aufforderte, ihn zu küssen. Und dann waren da noch ihre großen blauen Augen, die noch ein bisschen größer wurden, wann immer Sophy Lorenzo ansah – und die eine Mischung aus starkem Interesse und Zurückhaltung ausdrückten. Erst neckte sie ihn, um dann jedoch wieder einen Rückzieher zu machen. Dieses widersprüchliche Verhalten machte sie nur noch anziehender.

Als sie erneut den Blick über ihn gleiten ließ, verfluchte Lorenzo seine krankheitsbedingte Schwäche. Denn angesichts des Ausdrucks in ihren Augen hätte er sie am liebsten ausgezogen. Er wollte herausfinden, ob das Glimmen, das er sah, tatsächlich der Widerschein eines heftig lodernden Feuers in ihrem Innern war – wie er es sich insgeheim ausmalte.

Es gab einen Teil seines Körpers, der seine vorübergehende Schwäche nicht wahrhaben wollte. Lorenzo zog die Decke zurecht, um dies zu verstecken. Gleichzeitig ermahnte er sich selbst innerlich, weil er so unangemessen heftig reagierte. Es musste am Fieber liegen.

Er sah Sophy an, die schon wieder telefonierte. Plötzlich wurde er von dem Wunsch erfüllt, ihr das Telefon aus der Hand zu reißen und den Mund auf ihren zu pressen, damit sie endlich ruhig wäre und seine Lust gestillt würde. Doch das war leider unmöglich: erstens wegen der Krankheitserreger und zweitens, weil Sophy überhaupt nicht sein Typ war. Dennoch verspürte er ein geradezu unwiderstehliches Verlangen, sie zu berühren – und zwar schon seit dem Augenblick, als er sie am Vortag das erste Mal gesehen hatte. Lorenzo sehnte sich danach, ihr blondes Haar zu zerzausen. Er wollte es so sehr, dass er fast aufgestöhnt hätte.

„Gut, dann wäre ja alles geklärt“, sagte Sophy.

„Sie gehen?“ Lorenzo konnte nicht fassen, wie enttäuscht er klang.

„Wie gesagt, ich habe einiges zu tun. Und Sie haben doch selbst gesagt, Sie bräuchten keine Mutter.“

„Dann wollen Sie mich also einfach einer Wildfremden überlassen?“, Lorenzo beschloss, es mit Schmeicheln zu versuchen, denn er fand die Vorstellung, statt von einer Krankenschwester von Sophy betreut zu werden, sehr angenehm. Auch wenn Letztere für seinen Geschmack ein bisschen übereifrig war. Sie sollte das Tempo mal etwas drosseln, dachte er und stellte sich vor, wie er sie dazu bringen konnte. Er würde sie ganz, ganz langsam lieben und ihren atemberaubenden Körper mit heißen Küssen beglücken, bis sie …

Lorenzo riss sich zusammen und schloss die Augen, doch seine Fantasien wurden dadurch nur noch ausschweifender. Vielleicht war es doch besser, wenn Sophy ging.

„Die Krankenschwester ist sehr kompetent und hat ausgezeichnete Referenzen“, sagte Sophy, die von seinen Gedanken nicht das Geringste ahnte.

„Ich brauche kein Kindermädchen.“ Was sollte die denn den ganzen Tag machen? Lorenzo hatte Medikamente bekommen, jetzt musste er eigentlich nur schlafen, bis es an der Zeit wäre, erneut etwas einzunehmen. Er legte großen Wert auf seine Privatsphäre und wollte keine fremde Frau in der Wohnung haben.

„Sie haben ziemlich hohes Fieber. Bis es gesunken ist und die Wirkung der Antibiotika einsetzt, werden Sie nicht allein gelassen“, erwiderte Sophy. „Es geht hier um lediglich vierundzwanzig Stunden, Lorenzo. Also reißen Sie sich zusammen.“

Lorenzo wollte etwas erwidern, brachte jedoch kein Wort heraus. Auf diese Art hatte ihm seit Jahren schon niemand mehr Anweisungen erteilt! Entschlossen, sich diese Behandlung keine Sekunde länger gefallen zu lassen, hievte er sich auf die Beine.

„Lorenzo!“ Mit klopfendem Herzen eilte Sophy zu ihm.

Er hatte die Augen geschlossen, sein Gesicht war aschfahl, und er zitterte. Als sie den Arm um ihn legte, spürte sie, wie sich sämtliche Muskeln in seinem Körper anspannten. Sie biss sich auf die Lippe. Hoffentlich würde die Krankenschwester bald kommen!

„Es geht mir gut.“ In Lorenzos Stimme schwang Wut mit, die sich ebenso gegen Sophy richtete wie gegen sich selbst und seine momentane Schwäche.

„Na klar. Und ich bin die Königin von Atlantis.“

„Ich bin nicht todkrank, sondern habe eine Mandelentzündung“, sagte er, sank jedoch aufs Sofa zurück und zog die Decke über sich.

Sophy beschloss, auf jeden Fall bis zum Eintreffen der Krankenschwester bei ihm zu bleiben. Sie nahm auf einem Sessel Platz, von dem aus sie Lorenzo im Auge behalten, sich aber auch ein wenig umblicken konnte.

Das Apartment war wunderschön: sehr groß und voller Licht. In der modernen Küche glänzten Edelstahlgeräte, die jeden Gourmet-Hobbykoch mit Stolz erfüllt hätten. An den Wänden des Wohnbereichs zogen sich Regale voller Bücher, CDs und DVDs entlang, deren Namen Sophy zu entziffern versuchte.

Lorenzo war so ruhig, dass sie sich fragte, ob er vielleicht eingeschlafen war. Leise stand sie auf, ging zum Sofa und betrachtete ihn.

Sein tiefschwarzes Haar war ein klein wenig zu lang, als hätte er den letzten Friseurtermin verpasst. Und es war auf so verlockende Art zerzaust, dass Sophy am liebsten mit allen zehn Fingern hindurchgestrichen hätte. Lorenzos markante Gesichtszüge waren unglaublich attraktiv, die dichten Wimpern lang … und dann war da noch sein Mund: der sinnlichste, den sie je gesehen hatte.

Das Zittern schien abgeklungen zu sein. Ob Lorenzos Fieber gesunken war? Sophy legte ihm noch einmal die Hand auf die Stirn.

Pfeilschnell griff er nach ihrem Arm, hielt ihn fest und öffnete die Augen. Darin brannte ein Feuer, das nicht allein mit Fieber zu erklären war.

Sophy konnte nicht zurückweichen und stand halb übers Sofa gebeugt da.

„Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass Sie aufhören sollen.“ Lorenzo sah sie durchdringend an, schob ihre Hand jedoch nicht weg, sondern presste diese eher noch fester gegen seine Stirn.

Sophy wusste selbst nicht, woher sie den Wagemut nahm, doch sie spreizte die Finger, strich ihm über Augenbrauen und Stirn und ließ die Hand bis zu seinem Haar gleiten.

Noch nie waren ihre Fingerspitzen so empfindsam gewesen, und noch nie hatte Sophy so heftige Gefühle tief im Innern verspürt, nur weil sie jemanden berührte. Leichte Stromstöße schienen sie zu durchzucken, es war erregend und gleichzeitig entspannend. Lorenzo zu berühren fühlte sich so gut an. Mehr als das: Die Berührung erfüllte sie mit einem erotischen Vibrieren. Sophy wünschte sich, ihn stärker zu berühren, die Hüften zu bewegen und das Sehnen anzufachen, das in ihr erwacht war.

Lorenzo wandte keine Sekunde den Blick von ihr. In seinen Augen las sie etwas, das sie nicht deuten konnte: War es Verärgerung, Leidenschaft oder etwas noch Tieferes, Dunkleres?

Als der Türsummer ertönte, zuckte sie zusammen. Lorenzo erfasste ihr Handgelenk noch fester. Obwohl er krank war, hatte er eine unglaubliche Kraft.

Schließlich gelang es Sophy, den Blick von seinem abzuwenden. Nachdrücklich sah sie seine Hand an. „Sie müssen mich loslassen.“

Als er seinen Griff lockerte, sodass sie ihm die Hand entziehen konnte, schlug ihr Herz heftig, und ihr war schwindelig. Ob sie vielleicht auch Fieber hatte? Auf dem Weg zur Tür blickte sie in den Spiegel und sah, dass ihr Gesicht gerötet war und ihre Augen sehr groß wirkten.

Die Krankenschwester war mindestens fünfzig und wirkte wie eine Großmutter: Wolljacke, Brille und eine Tasche mit Strickzeug. Sie redete ununterbrochen, sehr fürsorglich, zugleich aber auch streng.

Sophy musste ein Lächeln unterdrücken, als die Frau ihre gesamte Aufmerksamkeit auf Lorenzo richtete. Es war der richtige Zeitpunkt, um zu gehen. Außerdem brauchte sie etwas Zeit, um noch einmal über diesen Moment nachzudenken.

„Ich rufe Sie nachher an“, sagte sie zur Krankenschwester.

„Und mit mir werden Sie nicht sprechen?“, tönte es heiser vom Sofa.

„Sie werden dann ohnehin schlafen.“ Ihr wurde noch wärmer, als sie Lorenzos irritierten Gesichtsausdruck bemerkte.

Doch dann zitterte er wieder, und die Krankenschwester wurde noch aktiver. Mit der Ankündigung, Bettwäsche und Medikamente zu holen, eilte sie aus dem Zimmer.

Lorenzo blickte ihr so angewidert nach, dass Sophy sich die Hände auf den Mund pressen musste, um nicht laut zu lachen. Bei ihrer Bewegung wandte er den Kopf und warf ihr einen sehr finsteren Blick zu. Ja, sie sollte jetzt wirklich gehen.

„Sophy, kommen Sie her.“

Sie verharrte mitten in der Bewegung, denn seine Worte waren keine Bitte, sondern ein Befehl. Und obwohl sie es selbst albern fand, hatte sie Angst, sich ihm zu widersetzen.

„Kommen Sie her“, wiederholte Lorenzo leise, und doch fühlte sie eine Kraft, die sie unwiderstehlich zu ihm zog. Obwohl er krank war und auf dem Sofa lag, schien er plötzlich Macht über sie zu haben. In jenem kurzen Moment, in dem sie ihm über die Stirn gestrichen hatte, war alles anders geworden.

Kurz vor dem Sofa blieb Sophy stehen und sah ihm nervös in die dunklen Augen.

„Ich möchte Ihnen danken“, sagte Lorenzo leise.

„Das ist wirklich nicht nötig.“ Sie spürte, wie ihre Wangen erröteten. Sich um andere zu kümmern war nun einmal ihre besondere Stärke. Denn Sophy kam aus einer Familie voller Genies, die kaum entscheiden konnten, was sie abends essen wollten.

Lorenzo sah sie noch immer eindringlich an, als wolle er etwas in ihren Augen lesen. Dann ließ er den Blick zu ihrem Mund gleiten. Sophy schluckte und hörte ihr Herz fast ohrenbetäubend laut schlagen.

„Ich küsse dich, spürst du es?“

Sophy blinzelte verwirrt. Hatte sie es gerade geträumt, oder waren das wirklich Lorenzos Worte gewesen? Sie war völlig durcheinander, sodass ihr gar nicht auffiel, dass er zur vertraulichen Anrede übergegangen war.

Denn Sophy konnte es tatsächlich spüren – und sie sehnte sich heftig nach mehr. Ich muss wirklich Fieber haben, dachte sie, als ihr immer heißer wurde. Sie ließ sich die Zunge über die Lippen gleiten und merkte es erst, als diese vor lauter Sehnsucht danach zu prickeln begann, von ihm berührt und geküsst zu werden.

Da schenkte ihr Lorenzo wieder jenes atemberaubende, strahlende Lächeln, das sie am Vortag schon so entwaffnet hatte.

Bebend atmete sie ein. „Gute Besserung“, brachte sie mühsam heraus und wandte sich um. Auf dem Weg nach draußen hörte sie ihn leise lachen.

Als Sophy drei Tage später in den zweiten Stock ging, war sie ziemlich nervös. Kat hatte ihr gleich bei ihrem Eintreffen mitgeteilt, Lorenzo sei wieder „an Bord“ und erwarte sie so bald wie möglich in seinem Büro.

Es hatte ihm nicht gefallen, dass sie ihn in seinem geschwächten Zustand gesehen hatte. Eins hatte Sophy schon begriffen: Er wollte immer der Chef sein und bestimmen, was geschah. Bestimmt würde er ihr heimzahlen, dass sie das Kommando übernommen hatte. Aber wie? fragte sie sich mit klopfendem Herzen. Vielleicht, indem er seinen unglaublichen Sexappeal einsetzte? Hoffentlich nicht. Denn Lorenzo hatte eindeutig die Ausstrahlung eines bindungsscheuen Casanovas. Sie atmete tief ein und klopfte an seine Tür.

„Moment.“

Ließ er sie absichtlich warten, um sie nervös zu machen? Lorenzo wusste sicher genau, was für eine Wirkung er auf sie hatte. Mit einem einzigen Blick und wenigen Worten hatte er sie völlig durcheinandergebracht.

„Du kannst reinkommen.“

Sophy öffnete die Tür – und blieb wie erstarrt stehen.

Lorenzo stand am Fenster. Er trug eine Jeans, aber kein Hemd. Die Sonnenstrahlen, die ins Apartment fielen, tauchten ihn in goldenes Licht. Er sah einfach atemberaubend aus, und Sophy spürte die Hitzewelle, die von ihm auszugehen schien.

Sie betrachtete seinen nackten, sonnengebräunten Oberkörper und sehnte sich danach, die Finger darüber gleiten zu lassen. Verwirrt schloss sie die Augen. Seit wann hatte sie solche wilden erotischen Fantasien über einen Mann, den sie kaum kannte? Es musste einfach daran liegen, dass er sich ihr so spärlich bekleidet präsentierte.

„Das erste Mal war es ein Versehen“, sagte sie leise. „Und beim zweiten Mal konntest du nichts dafür.“

Sie öffnete die Augen wieder und betrachtete Lorenzo, der langsam auf sie zukam, bis er viel zu nah vor ihr stand. „Dieses Mal … war es volle Absicht.“

3. KAPITEL

Sophy hörte ihr Herz heftig schlagen. „Absicht?“

Lorenzo lächelte amüsiert. „Es schien dir doch zu gefallen.“ Seine Augen funkelten.

Gefallen? Das war stark untertrieben. Blinzelnd sah Sophy ihn an. Lorenzo wirkte gelassen und selbstsicher. Er wusste genau, was für eine Wirkung er auf sie hatte – und nicht nur auf sie, sondern auf alle Frauen. Dieser Gedanke brachte sie wieder zur Vernunft. „Und dir scheint es schon deutlich besser zu gehen.“

„Viel besser.“

„Super.“ Sophy wich einen Schritt zurück auf den Gang. „Dann möchtest du dir bestimmt ansehen, wie weit ich damit gekommen bin, Ordnung in die Verwaltungsangelegenheiten der Stiftung zu bringen.“

„Ich habe es mir bereits angesehen. Dein System ist sehr gut verständlich“, entgegnete Lorenzo zu ihrer Enttäuschung. „Wir müssen aber über die anstehende Feier reden.“

Er folgte ihr auf den Flur. „Außerdem muss ich dir einiges zur Aktualisierung der Website zeigen. Wie ich gehört habe, hat Kat dich unterstützt, wenn sie Zeit hatte.“

„Ja, sie hat mir sehr geholfen.“ Mit aller Macht versuchte Sophy, sich auf das Gespräch zu konzentrieren und nicht auf seinen flachen, durchtrainierten Bauch.

„Die anderen aus dem Team kommen heute auch wieder. Sie haben bei einem anderen Projekt geholfen.“

„Die Bar.“ Kat hatte ihr erzählt, dass Lorenzo als Geldgeber jemandem dabei half, eine neue Bar im absoluten In-Viertel der Stadt zu eröffnen.

„Genau.“ Lorenzos Gesichtsausdruck war ernst, doch seine Augen funkelten. „Sollen wir in deinem Büro darüber sprechen?“

Sophy blieb stehen. Nein, so würde sie nicht sachlich diskutieren können. „Könntest du dir vielleicht ein Hemd anziehen?“

Er gab einen tiefen, sehr amüsierten Laut von sich. „Es scheint dich ja wirklich zu irritieren.“

„Ich finde es einfach unangemessen.“ Sophy spürte, wie sie wütend wurde. Prüde war sie nicht, aber es war noch nicht einmal neun Uhr morgens, und sie waren bei der Arbeit.

„Nicht unangemessener als in mein Apartment zu platzen und mir einfach eine Krankenschwester zu engagieren.“

Nun fühlte sie sich schon nicht mehr ganz so hilflos. „Das hat dich also gestört! Dass ich dich in so geschwächtem Zustand gesehen habe. Zeigst du mir jetzt deine Muskeln, weil es dich in deinem männlichen Stolz getroffen hat?“

„Du glaubst wirklich, ich sei schwach gewesen?“

Als Lorenzo auf Sophy zukam, wich sie instinktiv zurück und presste sich mit dem Rücken an die Wand. Sie war gefangen – und er ihr viel zu nahe. Energisch hob sie das Kinn, fest entschlossen, das vorfreudige Vibrieren zu unterdrücken, das sie erfüllte.

Lorenzos Augen schienen Funken zu sprühen. „Ich muss hier gar nichts beweisen. Im Gegensatz zu dir.“

„Und was soll ich beweisen? Dass du mich nicht irritierst?“ Sophy brachte nur ein Flüstern zustande.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Tue ich das denn nicht?“

„Doch, natürlich. Immerhin bist du ständig halb nackt“, erklärte sie. „Was mich irritiert, ist aber nicht dein Körper, sondern diese Unangemessenheit.“ Na super, dachte sie, jetzt klinge ich auch noch prüde. Und alles andere als ehrlich.

Wieder lächelte Lorenzo und zeigte dabei seine weißen, ebenmäßigen Zähne. Er spielte mit ihr wie eine Katze mit einer gefangenen Maus. Sophy musste unbedingt Rosanna um Rat bitten, die sich mit solchen Situationen perfekt auskannte.

Denn sie wollte Lorenzo Hall auf keinen Fall einfach so gewinnen lassen und so die nächste Frau in einer sicher ziemlich langen Reihe sein. Andererseits wollte sie auch nicht auf einen genussvollen Moment verzichten, falls sich die Gelegenheit dazu ergeben sollte. Denn es stimmte: Er irritierte sie. Und sie wollte ihn.

Doch Sophy war entschlossen, wie Rosanna nach ihren eigenen Bedingungen zu handeln. Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie nicht vernünftig und verantwortungsbewusst handeln, sondern für etwas, das sie wirklich wollte, ein Risiko eingehen.

Lorenzo war sich seiner Unverfrorenheit bewusst. Aber er liebte den Nervenkitzel und hatte schon oft das Gegenteil von dem getan, was gesellschaftlich akzeptabel war – bis an die Grenzen.

Inzwischen war er reifer geworden, hielt sich an die Gesetze und hatte sich im Zaum. Doch Miss Perfect reizte ihn, unverschämt zu sein. Er hätte sie am liebsten auf der Stelle vernascht.

Sophys Gesichtsausdruck war die Sache mit dem Hemdausziehen wert gewesen, auch wenn Lorenzo jetzt Schwierigkeiten hatte, sein Verlangen zu zügeln. Am liebsten hätte er sie heftig an sich gezogen. Seit sie ihn in seinem Apartment berührt hatte, schien seine Haut zu brennen. Mit ihrer kleinen kühlen Hand hatte sie seine ohnehin heftige Sehnsucht nur noch mehr angefacht. Als das Fieber am stärksten gewesen war, hatte er nur von Sophy geträumt – und davon, wo auf seinem Körper er ihre Hand gerne spüren würde …

Lorenzo hatte in letzter Zeit viel zu viel gearbeitet und keine Zeit für angenehme Dinge gehabt. Doch nach der Eröffnung der Bar würde er endlich kürzertreten können. Andererseits: Warum sollte er sich nicht jetzt schon ein bisschen amüsieren?

Als Sophy die Augen zusammenkniff, konnte er förmlich sehen, wie sie fieberhaft nachdachte. Der kleine Möchtegern-Vamp schien Pläne zu schmieden.

Ihr Handy klingelte. Lorenzo freute sich insgeheim, dass sie zurückzuweichen versuchte, als sie das Gespräch entgegennahm. Doch beim Klang der männlichen Stimme am anderen Ende der Leitung war seine Schadenfreude schnell verflogen.

„Ja, keine Sorge, Ted. Ich hole es auf dem Heimweg ab und versuche, es bis sechs vorbeizubringen.“

Wer, verdammt noch mal, war Ted?

Als Sophy aufgelegt hatte, sagte sie: „Entschuldigung, das war mein Bruder.“

Lorenzo nahm ihr das Handy aus der Hand und schaltete es aus. „Wenn du mit mir zusammen bist, gilt deine gesamte Aufmerksamkeit mir. Der Arbeit“, fügte er zu spät hinzu, als sie ihn mit großen Augen ansah und schluckte.

Als er ihr das Handy hinhielt und sie hastig danach griff, lächelte er. Ja, es gefiel ihm, wie er sie irritierte. Denn sie irritierte ihn richtig.

Sophy ließ den gesamten Inhalt des Eiswürfelbehälters in ihr Glas gleiten, wobei die Hälfte davon auf den Boden fiel. Ihr war furchtbar heiß, obwohl Lorenzo sich das Hemd inzwischen wieder angezogen hatte. Sie hatte eine Stunde lang gelitten, während er immer in ihrer Nähe gewesen war und ihr noch fehlende Informationen geliefert hatte. Sie hatte zwar den Rest des Tages Zeit gehabt, sich zu erholen, doch das hatte nicht genügt.

Sophy trank das Glas in einem Zug halbleer und ließ sich gegen den Küchentresen sinken.

„Wo warst du denn? Ich bin nur einen halben Tag hier und wollte mit dir zur Pediküre und …“

Sophy stellte ihr Glas ab. „Du bist ja wieder da!“ Begeistert rannte sie zu ihrer Mitbewohnerin und umarmte sie.

„Ich habe dir also auch gefehlt.“ Rosanna schloss sie in die Arme und schob sie dann wieder ein Stück weg. „Wir dürfen unsere Blusen nicht zerknittern, Süße.“

Sophy musste lachen. Rosanna war wirklich etwas Besonderes: Die bildschöne, gertenschlanke Frau war das absolute Gegenteil von ihr. Sie hatte glänzendes schwarzes Haar, das sie zu einem langen Pferdeschwanz band, zog immer und überall die Aufmerksamkeit auf sich und sprudelte nur so vor Energie.

„Also, wo hast du gesteckt? Ich bin schon vor Stunden gelandet und habe mich ganz einsam gefühlt! Und in zehn Minuten kommt ein Taxi, das mich wieder zum Flughafen fährt.“

„Ich … ich habe Verwaltungsarbeiten übernommen.“

Rosanna runzelte die Stirn. „Du hast einen Job?“

„Ja, aber nur für ein paar Wochen. Ich vertrete eine Frau, deren Baby früher als erwartet auf die Welt gekommen ist.“

„Warum hat das Unternehmen sich dann nicht an eine Zeitarbeitsfirma gewandt?“ Rosanna verdrehte vielsagend die Augen. „Wer hat dich gebeten, einzuspringen?“

„Cara, die junge Mutter, ist eine gute Freundin von Victoria.“

„Natürlich. Und natürlich konntest du nicht Nein sagen.“ Rosanna seufzte theatralisch und nahm eine Flasche Wein aus der Vorratskammer. „Und wo arbeitest du?“

„Beim Whistle Fund“, erwiderte Sophy.

Ihre Freundin pfiff anerkennend und öffnete die Flasche. „Alex Carlisle und Lorenzo Hall. Von denen hat wohl jeder schon gehört. Alex hat gerade geheiratet, und Lorenzo ist ein Mann, den man nie vergisst.“

Allerdings. Er hatte sich – mit seinem muskulösen Körper, seinem markanten Gesicht und jedem Zentimeter Haut – für immer in Sophys Gedächtnis eingebrannt.

„Hast du ihn dir schon mal geangelt?“ Heiße Eifersucht durchzuckte sie bei dieser Vorstellung.

„Nein.“ Rosanna schenkte Wein ein. „Nicht, dass ich ihn abgewiesen hätte. Aber das eine Mal, als sich unsere Wege gekreuzt haben, hat er mich nicht einmal eines zweiten Blickes gewürdigt.“

Als Sophy sie ungläubig ansah, ließ sie sich in einen Sessel sinken. „Ich habe gehört, dass es niemandem gelingt, ihn sich zu angeln. Lorenzo Hall bleibt zwar gelegentlich in einem Netz hängen, aber irgendwann schwimmt er wieder davon.“

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass er wie ein Hai ist – und viel zu sehr daran gewöhnt, jeden Fisch erbeuten zu können, den er sieht“, erwiderte Sophy.

Rosanna lachte und hätte sich fast an ihrem Wein verschluckt. Dann sah sie Sophy mit einem wissenden Lächeln an. „Du bist an ihm interessiert.“

„Nein“, log Sophy – und musste sofort lachen.

Ihre Freundin stimmte mit ein. „Natürlich bist du das – wie wir alle. Aber ich glaube nicht, dass er dein Typ ist. Du brauchst keinen Hai, sondern einen Delfin: jemand Liebes zum Kuscheln – keinen so gefährlichen Kerl.“

„Dann hast du also keinen Rat für mich?“

Rosanna sah sie durchdringend an. „Von mir solltest du wirklich keinen Rat annehmen.“

Wieso das denn? fragte Sophy sich. Ihr fraßen doch sämtliche Männer aus der Hand!

„Sag nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt“, fuhr ihre Freundin fort und runzelte die Stirn. „Wirklich ärgerlich, dass wir keine Zeit für die Pediküre hatten …“

„Es tut dir ganz gut, mal einen halben Tag lang nichts zu tun“, entgegnete Sophy.

„Das sagst ausgerechnet du.“ Rosanna stand auf. „Zumindest bin ich beschäftigt, weil ich meine berufliche Karriere vorantreibe. Du bist beschäftigt, weil du allen um dich herum Arbeit abnimmst.“

Rosanna war Einkäuferin für eine große Modekette. Sie war klug, elegant, sehr talentiert für ihre Arbeit – und häufiger unterwegs als zu Hause.

Sie stand auf und nahm ihren Trolley. „Ich liebe Wellington.“

„Die Jungs werden dich vermissen“, stellte Sophy fest.

„Das wird ihnen nur guttun“, erwiderte Rosanna ungerührt.

„Wirst du dich jemals entscheiden?“, wollte Sophy wissen.

„Nein, ich glaube nicht“, erwiderte ihre Freundin mit einem frechen Lächeln.

Sie ging seit einem Monat mit zwei verschiedenen Männern aus, die voneinander wussten und bei gemeinsamen Barbesuchen halb im Spaß um Rosanna buhlten. Sophys Freundin waren schon unzählige Männer überall auf der Welt verfallen. Unter all dem Glamour und dem Flirten verbarg sich ein Herz aus Gold, doch nach einer schmerzlichen Enttäuschung wollte Rosanna niemanden mehr so nah an sich heranlassen. Also amüsierte sie sich auf unverfängliche Art und Weise.

Auch Sophys Herz hatte einmal jemand gebrochen, auch sie hätte sich jetzt gern amüsiert. Und sie wusste genau, mit wem.

Rosanna tat all die Dinge, für die Sophy zu „verantwortungsbewusst“ war: Sie ließ sich auf verrückte Affären ein, flog an weit entfernte Orte, handelte impulsiv und schreckte vor Gefahren nicht zurück – Gefahren wie zum Beispiel Lorenzo Hall.

Doch Sophy musste auch an andere denken. Sie wollte ihre Eltern nicht in Verlegenheit bringen. Und als Tochter eines Richters hätte es sicher Schlagzeilen gegeben, wäre sie vom Pfad der Tugend abgekommen, als Teenager schwanger geworden oder Ähnliches. Deshalb hatte sie versucht, die perfekte Tochter zu sein – auch wenn sie zur Enttäuschung ihrer Eltern keine Juristin geworden war. Sophy hatte sich sogar bemüht, den perfekten Partner zu finden, der den Ansprüchen ihrer Familie gerecht werden würde – im Gegensatz zu ihr. Doch ihrem Ex war es nicht um sie gegangen, sondern allein um die Verbindung zu ihrer Familie.

Typisch, dachte Sophy ironisch. Ich bin nun einmal das Musterkind der Familie, das alles richtig macht, aber auch ein wenig langweilig und naiv ist.

„Machst du den Job in Vollzeit?“, wollte Rosanna jetzt wissen.

„In der ersten Zeit ja.“

„Weißt du was, meine Süße? Du bist einfach zu nett. Und sag mal … wann machst du endlich die Schmuckstücke fertig?“

Sophy, die schon mit dieser Frage gerechnet hatte, biss sich auf die Lippe. „Ich weiß nicht, ob ich das kann.“

„Oh doch, du wirst sie fertigstellen. Das ist so eine tolle Gelegenheit!“, sagte Rosanna eindringlich. „Hier geht es um etwas, das du möchtest! Stell endlich einmal deine Träume an die erste Stelle!“

„Ja“, stimmte Sophy widerstrebend zu, denn ihre Freundin hatte ja recht. „Wann kommst du wieder?“

„Ich komme diese Woche noch einmal her und fliege dann gleich wieder weg.“

Sie gingen zur Tür, und Sophy sah zu, wie ihre Freundin auf ihren unglaublich hohen Absätzen und mit wippendem Pferdeschwanz zum Taxi ging.

„Sag zu nichts Ja, bis ich wieder da bin!“, rief Rosanna, bevor sie einstieg. „Vor allem nicht zu Lorenzo Hall!“

Lachend schloss Sophy die Tür. Dann lehnte sie sich einen Moment dagegen und dachte nach.

Rosanna hatte recht: Lorenzo war eine Nummer zu groß für sie. Außerdem interessierte er sich vermutlich gar nicht wirklich für sie. Es machte ihm nur Spaß, sie zu necken.

Und auch in anderer Hinsicht hatte Rosanna recht: Sophy musste ihre Schmuckstücke fertigstellen und sich auf die Ausstellung vorbereiten. Diese tolle Chance durfte sie sich einfach nicht entgehen lassen. Sie ging in ihr Zimmer, fing an zu arbeiten und hörte erst spätnachts wieder auf. Sobald sie anfing, wurde sie so von Begeisterung erfüllt, dass sie beschloss, künftig auch ihre Mittagspause dafür zu nutzen.

Am nächsten Tag ging Sophy sehr früh ins Büro, um vorarbeiten zu können. Als sie das Fenster öffnete und frische Frühlingsluft hereinließ, sah sie Lorenzo im Hof. Er übermalte die Graffiti mit schwarzer Farbe, was sie schade fand. Sophy blieb noch eine Weile am Fenster stehen und betrachtete seine tief sitzenden Jeans, das alte T-Shirt, das sich über seinen breiten Schultern spannte, und seine nackten Füße. Lorenzo hatte sich das Handy zwischen Kinn und Schulter geklemmt und telefonierte. Seine Stimme und sein Lachen wurden über den stillen Hof getragen.

Statt das Fenster zu schließen, setzte Sophy sich an den Computer und nahm sich fest vor, nicht den Worten zu lauschen, die durchs Fenster hereindrangen.

„Und, wie war das Schloss?“, fragte Lorenzo.

Alex hatte mit Dani verspätete, aber dafür ausgedehnte Flitterwochen in Italien gemacht, wo sie einige Wochen in einem Schloss gewohnt hatten.

„Fantastisch. Das hatte ich bei dem Preis aber auch erwartet. Und wie geht es Cara?“

„Völlig erschöpft, aber sie hält sich wacker.“ Lorenzo tunkte den Pinsel in den Farbeimer. „Sie sagt, das Baby sei winzig klein, aber gesund.“

„Du hast sie also noch nicht besucht?“

„Nein, und du weißt auch, warum.“ Lorenzo hatte Cara zwar unzählige Geschenke geschickt, aber glückliche Familien waren nichts für ihn. Er würde sich nur überflüssig fühlen.

„Hast du jemanden gefunden, der die Arbeit für den Whistle Fund übernimmt?“, wollte Alex wissen.

Lorenzo seufzte. „Ja. Die jüngere Schwester von Caras Freundin. So ein gelangweiltes Society-Girl. Geradezu furchtbar, wie tüchtig und gut organisiert die ist. Sie wirkt wie eine verklemmte Pfadfinderin.“

Alex lachte. „Könnte es sein, dass sie dich irgendwie … irritiert?“

„Nein.“

Alex lachte noch lauter. „Verstehe. Sie ist also ziemlich heiß.“

Mit Nachdruck trug Lorenzo noch eine Schicht Farbe auf. Ja, Sophy war ziemlich heiß, auch wenn sie andererseits mit ihren großen blauen Augen und den blonden Locken sehr unschuldig wirkte.

„Sie erledigt die Arbeit, nur das ist wichtig.“

Und bald würde Lorenzo eine Nachfolgerin zur Festanstellung finden. Denn er hatte zu viel zu tun, um sich ständig nur mit Sophy zu beschäftigen.

Er beendete das Gespräch, legte den Pinsel ab und blickte zu Sophys Büro hinauf. Das Fenster stand offen, doch er sah niemanden am Schreibtisch sitzen.

Lorenzo joggte die Treppe hinauf in sein Apartment, um zu duschen. Doch er verspürte den unwiderstehlichen Drang, zu Sophy zu gehen. Also holte er sich die Post vom Empfang und ging zu ihr.

„Gehst du heute Abend eigentlich mit deinem Freund aus?“, fragte er und hätte sich am liebsten für diese wenig originelle und nicht gerade subtile Frage geohrfeigt. „Ihr könntet zur Eröffnung in die Bar kommen.“

Sophy, die sich gerade über einen Papierstapel beugte, hielt inne. „Braucht ihr so dringend Besucher?“

„Überhaupt nicht“, entgegnete Lorenzo. „Ich dachte nur, es würde dir gefallen.“ Er lehnte sich an den Türrahmen. „Die Bar ist klein und gemütlich. Und es gibt Sofas, auf denen man zusammen kuscheln kann.“ Eigentlich bezweifelte er, dass sie so etwas in der Öffentlichkeit tat. „Oder verausgabst du dich lieber auf der Tanzfläche? Wohl eher nicht“, gab er sich selbst die Antwort. „Du sitzt sicher lieber auf dem Sofa.“

„Ich tanze gern“, erwiderte Sophy so nachdrücklich, dass er sie noch aufmerksamer ansah. „Aber ich habe heute Abend schon etwas vor.“

„Mit deinem Freund?“ Er musste es einfach wissen.

Sophy hörte auf, so zu tun, als würde sie sich mit der geöffneten Akte beschäftigen. „Nein“, sagte sie, so ruhig sie konnte. „Ich habe keinen Freund.“

„Ach nein?“ Zu ihrer Verärgerung klang Lorenzo nicht besonders überrascht. Noch schlimmer: Er wirkte erfreut.

„Ich will auch keinen“, entgegnete Sophy mit viel zu viel Nachdruck.

Lorenzo zog die Augenbrauen hoch. „Und warum nicht?“ Er legte die Post auf ihren Schreibtisch, um ihr noch näher zu kommen. „Hat dir irgendein Idiot mal das Herz gebrochen?“

Sophy atmete tief ein. „Wie kommst du darauf, dass ich ein Herz habe?“, erwiderte sie kühl und war in diesem Moment sehr froh über ihre sieben Jahre Unterricht in Sprechtechnik. „So etwas brauchen wir verklemmten Pfadfinderinnen gar nicht.“

„Oh, da habe ich wohl einen wunden Punkt berührt.“ Ohne den Blick von ihr abzuwenden, ging er um ihren Schreibtisch. „Aber ich weiß ja bereits, dass du durchaus in der Lage bist, etwas zu fühlen.“

Sophy blickte ihn starr an und versuchte, sich zu beruhigen.

Lorenzo umfasste ihre Arme und zog sie auf die Füße. „Bist du sehr wütend auf mich, Sophy?“

Er war ihr viel näher, als es sich gehörte. Doch sie war fest entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen.

„Möchtest du, dass ich daran etwas ändere?“ Er legte die Arme um sie, sodass sie seine warmen Hände auf der Taille spürte.

„Und wie willst du das tun?“, fragte sie betont kühl und sarkastisch, obwohl sie innerlich bebte. „Mit einem Kuss?“

„So funktioniert es doch, oder?“ Lorenzo neigte sich noch näher zu ihr und sah sie mit seinen dunklen Augen durchdringend an. „Und es ist das, was du willst.“

„Nein! Dadurch würde wohl kaum etwas besser werden.“ Sophy wurde noch wütender, denn natürlich hatte Lorenzo recht. Sie sehnte sich danach, von ihm geküsst zu werden, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Aber es sollte nicht so passieren. Ihre Augen funkelten aufgebracht. „Hör auf, mich so herablassend zu behandeln, als wärst du etwas Besseres als ich – und ich ein gefühlloser Roboter, ein verwöhntes, gelangweiltes Society-Girl. Du glaubst wohl, ich hätte keine eigenen Ambitionen, Träume und Wünsche.“

Plötzlich wurde ihr klar, dass zum ersten Mal eine alte Bitterkeit aus ihr hervorbrach, über die sie noch nie mit jemandem gesprochen hatte.

„Wenn du anderes zu tun hast, warum arbeitest du dann hier und hast nicht Nein gesagt?“, fragte Lorenzo.

Weil ich einfach nicht Nein sagen kann, dachte Sophy. Außerdem half sie gern anderen Menschen, weil sie dann das Gefühl hatte, etwas Nützliches zu tun. Doch jetzt kam es ihr so vor, als wollte Lorenzo sich über ihre Hilfsbereitschaft lustig machen. Wusste er ihren Einsatz überhaupt zu schätzen? Plötzlich merkte Sophy, wie erschöpft sie war. Als ihr Tränen in die Augen traten, senkte sie den Kopf. „Vergiss es einfach.“

Doch Lorenzo umfasste ihr Kinn und hob ihr Gesicht an. „Du bist ja wirklich aufgebracht!“

„Meinen verletzten Stolz werde ich schon irgendwie verschmerzen“, erwiderte sie kurz angebunden. „Ich bin hier, um eine Aufgabe zu erfüllen. Und um die werde ich mich jetzt auch wieder kümmern.“

„Nicht, bevor ich mich entschuldigt habe“, sagte Lorenzo und strich ihr sanft über die Wange. „Es tut mir leid.“

„Schon gut.“ Sophy zuckte betont gleichgültig die Schultern, doch in Wirklichkeit war sie sehr verletzt. „Es ist mir egal, wie du über mich denkst.“

Als er lächelte, wurde ihr klar, dass sie wieder etwas zu vehement gewesen war.

Seufzend, sagte sie: „Bilde dir bloß nichts ein. Mir ist einfach immer viel zu wichtig, was andere denken.“

„Mir ist auch wichtig, was du denkst.“

Dass er jetzt so nett war, machte die Sache nur noch schlimmer. „Vergiss es einfach“, sagte Sophy verlegen.

„Nein. Außerdem steht da schon seit Tagen etwas zwischen uns, das weißt du genauso gut wie ich.“

Sophy war wie erstarrt und wurde von einer kribbelnden, nervösen Vorfreude überwältigt. Sie blickte zu Lorenzo auf und hatte das Gefühl, in der Tiefe seiner dunklen Augen zu versinken. Heftig sehnte sie sich danach, seinen wunderschönen Mund zu spüren. Und dann geschah es endlich: Eine ganz leichte, zarte Berührung wie der Flügelschlag eines Schmetterlings – ein wenig zu lang und zu nah an ihrem Mund, um ein harmloser Kuss auf die Wange zu sein.

„Geht es dir jetzt besser?“, fragte Lorenzo leise, und sie spürte seinen Mund an ihrer Haut, als er sprach.

„Nein.“

Einen winzigen Moment lang standen sie bewegungslos da, so eng beieinander, dass sie sich fast berührten. Sophy spürte Lorenzos Körperwärme und sog seinen frischen Duft ein. Sie erschauerte leicht, als sie vor Erregung fast die Beherrschung verlor. Und dann legte er plötzlich die Arme um sie und neigte den Kopf, sodass Sophy seine warmen Lippen auf ihren spürte.

Sie schloss die Augen und nahm nichts mehr wahr als die Berührung. Lorenzo war unerwartet sanft und die Heftigkeit ihrer Empfindungen überwältigend.

Ein leises Aufstöhnen war zu hören – war sie das gewesen? Seine zärtlichen, langsamen Liebkosungen brachten sie völlig um den Verstand. Als Sophy erbebte, schloss er die Arme noch enger um sie. Es war wunderschön, aber es genügte ihr nicht. Und dann war es auch schon wieder vorbei.

Ihr stockte der Atem, als sie die Augen öffnete und sah, wie Lorenzo sie aus seinen wunderschönen, fast schwarz wirkenden Augen eindringlich ansah. Die Zeit schien einen Moment lang stillzustehen, der ihr wie eine kleine Ewigkeit vorkam, so heftig war ihre Sehnsucht. Ob er sie noch einmal küssen würde?

„Nein“, sagte Lorenzo und löste sich von ihr. „Du hattest recht“, fügte er hinzu und ging zur Tür. „Das war falsch. Es tut mir leid.“

4. KAPITEL

Sobald Lorenzo außer Sichtweite war, sank Sophy in ihren Stuhl und presste die Hände gegen die Augen. Ihr ganzer Körper vibrierte. Die Enttäuschung war kaum zu ertragen.

Warum hatte Lorenzo sich plötzlich von ihr zurückgezogen? Er hatte es doch auch gespürt. Das hatte Sophy in seinen Augen gelesen und seiner Stimme angehört. Aber er war geradezu geflüchtet.

Wäre sie doch nur nicht so passiv geblieben! Doch Sophy war zu verwirrt gewesen: von Lorenzos Worten, seinem Kuss und den heftigen Gefühlen, die sie erfüllt hatten. Sie wünschte sich mehr und hatte das Gefühl, tief in ihrem Innern würde ein Feuer brennen, das Nahrung brauchte. Ob das je passieren würde?

Sophy beschloss, an diesem Tag ausnahmsweise Mittagspause zu machen. Schließlich hielt sie sich immer an die Anweisungen. Und was sie zu Lorenzo gesagt hatte, stimmte: Sie hatte durchaus eigene Ambitionen und war jetzt entschlossener als je zuvor, diese zu verwirklichen. Mit der Ausstellung würde sie allen beweisen, dass in ihr mehr steckte als Organisationstalent. Sie hatte Träume, und sie würde diese verwirklichen.

Das war wirklich ein schwerer Fehler gewesen. Lorenzos gesamter Körper schmerzte und schien dagegen zu rebellieren, dass er sich von Sophy gelöst hatte.

Ja, Sophy war ganz eindeutig nicht gefühllos, sondern voller Sehnsucht nach ihm. Und auch er sehnte sich danach, sich ganz in ihrer weichen Wärme zu verlieren.

Als sie ihn mit ihren großen Augen angesehen hatte, war sie ihm sehr unschuldig erschienen. Normalerweise ließ Lorenzo die Finger von braven Mädchen, denn sonst gab es schnell ein großes Durcheinander. Und auch bei Sophy würde das so sein: Allein seine dumme Bemerkung gegenüber Alex hatte sie zutiefst gekränkt und ihr Tränen in die Augen treten lassen. Lorenzo kam sich unendlich gemein vor, denn das hatte sie nicht verdient.

Und jetzt wusste er auch, dass sie alles andere als verklemmt war. Im Gegenteil: Sophy war voller heißer Leidenschaft. Wie ein Vulkan mit schneebedecktem Gipfel konnte sie plötzlich in Flammen stehen und alles zum Schmelzen bringen, wenn man es am wenigsten erwartete.

Das machte alles nur noch schlimmer, denn Lorenzo sehnte sich danach, sie immer wieder zum Erschauern zu bringen. Sophy nahe zu sein, sich mit ihr zu vereinen – das wäre sicher ein Feuerwerk der Leidenschaft, ein geradezu himmlisches Erlebnis. Doch wenn er sie schon mit ein paar unbedachten Worten verletzen konnte, dann würde sie mit einer kurzen, unverbindlichen Affäre niemals umgehen können. Und auf mehr ließ sich Lorenzo niemals ein. Denn Sophy war offenbar eine Frau, die eine feste Beziehung wollte.

Sie war viel zu gut für ihn, und deshalb würde er die Finger von ihr lassen, ganz gleich, wie heftig er sie begehrte. Auf eine feste Beziehung hatte er sich nur ein einziges Mal eingelassen: als naiver junger Mann, der glaubte, die Vergangenheit würde irgendwann keine Rolle mehr spielen. Doch das hatte sich als schwerer Irrtum herausgestellt, und noch einmal wollte Lorenzo so eine schmerzliche Enttäuschung nicht erleben. Sosehr er Frauen mochte, seitdem hielt er sich streng an bestimmte Regeln: Nicht mehr als dreimal mit jeder Partnerin, am liebsten in derselben Nacht. Das war eindeutig nicht das Richtige für die süße Sophy.

Andererseits konnte Lorenzo sie nach dem, was passiert war, nicht einfach ignorieren. Er musste zwischen ihnen wieder für eine sachliche Arbeitsatmosphäre sorgen. Keine leichte Aufgabe angesichts der Tatsache, dass er sich ihr ständig mit nacktem Oberkörper präsentiert hatte …

Sophy saß am Schreibtisch und beugte sich über lauter winzige Gegenstände. Vor ihr lagen verschiedene kleine Werkzeuge. Zum ersten Mal sah Lorenzo sie ruhig dasitzen und nicht mehrere Dinge gleichzeitig erledigen: telefonieren und Unterlagen ablegen. Sie war so konzentriert bei der Sache, dass sie ihn gar nicht bemerkte.

Lorenzo lehnte sich an den Türrahmen und betrachtete sie, bis sie irgendwann den Kopf hob, ihn sah und zusammenzuckte.

„Oh, Entschuldigung“, sagte sie errötend. „Ich habe dich gar nicht gehört.“

„Was machst du denn da?“ Lorenzo wollte nicht zugeben, wie lange er sie schon beobachtete.

Hastig begann sie, die auf dem Schreibtisch liegenden Sachen wegzuräumen: kleine Halbedelsteine, Perlen und andere Teile.

„Ist schon in Ordnung“, versuchte Lorenzo sie zu beruhigen, dem es leidtat, die fast andächtige Stimmung gestört zu haben. „Du hast ein Anrecht auf eine Mittagspause.“ Allerdings lag die Mittagszeit schon mehrere Stunden zurück. Hatte die sonst so korrekte Sophy etwa ihre Arbeit vernachlässigt?

Als sie ihn schuldbewusst ansah, musste er lächeln. „Was machst du denn da eigentlich?“

„Eine Kette.“ Sophy wich seinem Blick aus.

„Ist das dein Hobby?“ Lorenzo konnte förmlich sehen, wie sie von Anspannung erfüllt wurde.

„Ja“, erwiderte sie nur. „Es tut mir leid“, fügte sie dann hinzu und errötete noch heftiger. „Ich habe völlig die Zeit vergessen.“

Sophy wirkte zutiefst verlegen. Bestimmt hatte sie in ihrem Leben noch nie etwas Falsches getan. Zwischen uns liegen wirklich Welten, dachte Lorenzo.

„Das macht doch nichts“, erwiderte er wahrheitsgemäß. Denn sie hatte wirklich Unglaubliches geleistet und in kürzester Zeit das Chaos in den Griff bekommen: Beim Whistle Fund lief wieder alles nach Plan. Sie hatte es sich wirklich verdient, es einmal ruhiger anzugehen. „Geh doch einfach früher nach Hause, du hast schon so viel geschafft.“

Als Sophy den Kopf hob, wirkte sie wieder kühl und gelassen. „Danke.“

Lorenzo wartete einen Moment zu lange, sehr versucht, noch etwas zu sagen. Dann gab er sich einen Ruck und ging in sein Büro zurück. Es war nur ein Kuss, redete er sich ein. Die verlockende Vorstellung, Sophy zu verführen, würde er sicher ganz einfach verdrängen können.

Sophy hatte kaum geschlafen, weil sie bis spät in die Nacht mir ihren Schmuckstücken beschäftigt gewesen war. Mit der Kette vom Vorabend war sie noch nicht ganz zufrieden, denn ihr Schmuck sollte etwas ganz Besonderes sein – nicht etwas, das jeder zu Hause mit etwas Zeit selbst entwerfen konnte.

Autor

Julie Cohen
Ich schrieb meinen ersten Roman mit 11 Jahren. Er war über eine Hexe, die einen teuflisch gut aussehenden bösen Zauberer besiegen musste. Es war eine Kopie bekannter Romane von denen noch zahlreiche andere folgten, die alle schrecklich waren. Meine meiste freie Zeit verbrachte ich lesend mit allem was ich zwischen...
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