Julia Exklusiv Band 335

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DU BIST DIE EINZIGE FÜR MICH von PENNY JORDAN

Kate ist entsetzt! Ihr neuer Chef ist niemand anderes als ihr Ex-Mann Sean, der sie einst einfach sitzen ließ. Und obwohl er ihr das Herz gebrochen hat, fühlt sie sich noch immer zu ihm hingezogen. Soll sie ihm nun beichten, was sie ihm all die Jahre verschwiegen hat?

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  • Erscheinungstag 26.03.2021
  • Bandnummer 335
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501255
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Penny Jordan, Annie West, Helen Brooks

JULIA EXKLUSIV BAND 335

1. KAPITEL

„Kate, stell dir vor, was John uns heute Morgen erzählt hat, als du beim Zahnarzt warst. Die Firma ist verkauft worden. Morgen kommt der neue Besitzer, um mit den Mitarbeitern zu sprechen“, verkündete Laura.

Mit der Neuigkeit musste Kate Vincent erst einmal zurechtkommen. Sie senkte die Lider mit den beneidenswert dichten dunklen Wimpern. Sie war erst seit sechs Monaten bei dem Unternehmen angestellt. Zuvor hatte sie nur stundenweise gearbeitet, weil sie noch studiert und ihr Examen gemacht hatte. Nach Abschluss des Studiums hatte sie sich um Stellen bewerben können, die früher für sie nicht infrage gekommen wären.

„Wer ist denn der neue Besitzer?“, fragte sie und strich das lange kastanienbraune Haar nach hinten. Draußen war es ziemlich heiß, doch die Temperatur, die dank der Klimaanlage im Büro herrschte, empfand sie als sehr angenehm.

„Das wollte John nicht verraten“, antwortete Laura. Sie beneidete Kate, die in dem weißen T-Shirt und dem braunen Leinenrock sehr elegant aussah, um ihre herrliche Figur. „Offenbar soll es bis morgen noch geheim gehalten werden. Wir hätten es uns denken können, dass John die Firma früher oder später verkauft. Er hat oft genug angedeutet, er würde sich gern zurückziehen. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass er es wirklich tun würde. Andererseits haben er und Sheila keine Kinder. Deshalb brauchen sie auf niemanden Rücksicht zu nehmen und können den Ruhestand in ihrem Haus in Miami genießen.“

Kate hörte aufmerksam zu, während sie den Computer einschaltete. John Loames belieferte mit seinem Unternehmen Baufirmen mit Spezialausrüstungen und war bisher sehr erfolgreich gewesen. Doch ihr war aufgefallen, dass John in der letzten Zeit immer weniger Interesse daran gehabt hatte, sich um neue Kunden zu bemühen. Das fand sie schade, denn es hätte sich auf jeden Fall gelohnt. Dass John die Firma verkauft hatte, überraschte Kate eigentlich nicht.

„Alle sind beunruhigt und fragen sich, wie es weitergeht“, fuhr Laura fort. „Keiner von uns will den Job verlieren.“

„Es muss kein Nachteil sein, dass es einen neuen Besitzer gibt“, wandte Kate ruhig ein. „Vielleicht will er das Unternehmen vergrößern und die Umsätze steigern, und dann ist mehr als genug Arbeit für uns alle da. Schlimmer wäre es natürlich, wenn der neue Inhaber aus derselben Branche kommt und Johns Firma nur schlucken will, um einen Konkurrenten loszuwerden.“

„Oh, mal den Teufel nicht an die Wand.“ Laura war wirklich beunruhigt. „Roy und ich haben gerade erst eine neue Hypothek aufgenommen, um anzubauen. Wir möchten bald ein Kind haben und brauchen mehr Platz. Deshalb bin ich auf den Job angewiesen. John hat gesagt, alle Mitarbeiter sollten morgen um acht da sein. Offenbar kommt der neue Besitzer schon sehr früh.“

„Um acht?“, wiederholte Kate und runzelte die Stirn. „Bist du ganz sicher, dass John das angeordnet hat?“

„Ja.“

Kate wurde blass. Sie konnte unmöglich um acht im Büro sein. Aber vor acht konnte sie ihren Sohn Oliver gar nicht in den Kindergarten bringen. So früh war dort noch niemand. Ihr verkrampfte sich der Magen.

Es war schon schwierig genug, als Mutter den ganzen Tag zu arbeiten. Aber für eine alleinerziehende Mutter, die sich bemühte, dem Kind auch noch den Vater zu ersetzen, war es noch schwieriger. Hinzu kam, dass Kate ihrem Arbeitgeber die Existenz ihres Kindes verschwiegen hatte.

Laura spürte, wie angespannt Kate plötzlich war. „Was hast du?“, fragte sie.

„Ach, nichts.“ Kate hatte auch mit ihren Kolleginnen und Kollegen nie über Ollie geredet. Sie wusste, wie problematisch es immer noch für Frauen mit Kindern war, eine gute Stelle zu bekommen. Deshalb hatte sie sich entschlossen, ihren Sohn nicht zu erwähnen. Während ihrer ersten Tage in der Firma hatte sie erfahren, dass John noch eine ziemlich veraltete Einstellung gegenüber berufstätigen Müttern mit kleinen Kindern hatte. Doch da ihr die Arbeit Spaß machte und John sehr zufrieden mit ihr war, hatte sie weiterhin ihr Kind nie erwähnt. Das hatte ihr natürlich schon viele schlaflose Nächte bereitet. Da sie von Natur aus ehrlich war, hatte sie ein schlechtes Gewissen. Um sich selbst etwas zu beruhigen, hatte sie sich eingeredet, für sie als alleinerziehende Mutter sei es besonders wichtig, einen gut bezahlten Job zu haben, auf den sie schon ihrem Sohn zuliebe nicht verzichten durfte.

Sie war eine hoch qualifizierte Fachkraft und wollte es ihrem Sohn an nichts fehlen lassen. Er sollte nach Möglichkeit all das haben, was sein Vater ihm hätte bieten können.

Als Kate an Ollies Vater dachte, verspürte sie Verzweiflung und Zorn zugleich. Sie hatte das Gefühl, daran zu zerbrechen. Der Vater ihres Kindes hatte sie im Stich gelassen, und der Schmerz darüber saß noch sehr tief.

Aber sie gestand sich ein, dass es ihr und Oliver wahrscheinlich ohne ihn besser ging, wenn auch nicht in finanzieller Hinsicht. Ihr Gehalt reichte dafür aus, die Hypothek für das Cottage zu bezahlen, das sie sich in dem kleinen Ort einige Meilen außerhalb der Stadt gekauft hatte. Auch für Olivers Betreuung, für Lebensmittel und andere notwendige Anschaffungen reichte es. Sie konnte jedoch keine großen Sprünge machen.

Ihr war natürlich klar, dass ihr Sohn nach dem Kindergarten bei ihr am besten aufgehoben wäre. Doch das konnte sie sich finanziell nicht leisten.

Sie hatte gerade erst angefangen, sich eine Karriere aufzubauen, und war entschlossen, sich hochzuarbeiten. In zwei Jahren würde der Abteilungsleiter in den Ruhestand gehen. Kate hatte gehofft, sich um die Stelle bewerben zu können.

Bald würde sie fünfundzwanzig sein und Ollie fünf. Und genau fünf Jahre waren sie allein und ohne … Rasch verdrängte Kate die quälenden Gedanken. Sie wollte sich den mühsam errungenen Seelenfrieden nicht zerstören lassen.

Sie musste sich auf die Zukunft konzentrieren und die Vergangenheit vergessen. Durch die Übernahme der Firma konnten Kates Aufstiegschancen sinken. Es bestand aber auch die Möglichkeit, dass sie stiegen. Diese Gedanken gingen ihr durch den Kopf, während sie die grafischen Darstellungen auf dem Bildschirm betrachtete, die sie selbst entwickelt hatte.

Als Kate vor der offenen Tür der Kinderkrippe des kleinen Ortes stand, lief ihr Sohn ihr entgegen und strahlte übers ganze Gesicht. Liebevoll beugte sie sich zu ihm hinunter und umarmte ihn. Wie hart auch immer ich arbeiten und welche Opfer ich bringen muss, für Ollie tue ich alles, nahm sie sich wieder einmal fest vor.

Dann sah sie sich in dem leeren Raum um und runzelte leicht die Stirn. Sie hatte sich dafür entschieden, im Dorf zu leben, damit ihr Sohn eine schönere Kindheit hatte als sie. Da sie in der Stadt arbeitete, war sie täglich relativ lange unterwegs. Und das bedeutete, dass Ollie länger als die anderen Kinder darauf warten musste, abgeholt zu werden.

Es war nicht geplant gewesen, dass ihr Kind als Einzelkind bei ihr als alleinerziehender Mutter aufwuchs. Sie hatte mehrere Kinder haben wollen und war davon überzeugt gewesen, dass ihr Mann denselben Wunsch hatte. Und sie hatte daran geglaubt, dass er sie liebte und begehrte.

Das alles war fünf Jahre her. Doch immer noch empfand sie tiefen Schmerz über die Untreue ihres Mannes und seine Zurückweisung. Er hatte ihr ewige Liebe und Treue geschworen und ihr immer wieder versichert, er hätte dieselben Träume und Ziele wie sie. Sie hatte ihm vertraut und ihn geliebt. Sie war völlig unerfahren und ziemlich naiv gewesen. Als er zum ersten Mal mit ihr geschlafen hatte, hatte er ihr zugeflüstert, er wünsche sich ein Kind mit ihr, und das Kind solle geliebt und behütet aufwachsen.

Aber er hatte sie belogen, ihr das Herz gebrochen und sie verlassen. Sie war enttäuscht und ernüchtert gewesen. Seinetwegen hatte sie sich mit ihrer Tante und ihrem Onkel, die sie großgezogen hatten, überworfen. Daraufhin hatten sie sie enterbt.

Kate hätte sowieso den beiden ihren Sohn nicht anvertraut. Sie hatten sie aufgenommen, als sie ihre Eltern verloren hatte, jedoch eher aus Pflichtgefühl als aus Liebe. Kate hatte die Liebe ihrer Eltern sehr vermisst.

„Ollie war schon beunruhigt“, erklärte in dem Moment die Betreuerin leicht vorwurfsvoll.

„Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe“, entschuldigte Kate sich schuldbewusst. „Ich stand in einem Stau, der sich nach einem Unfall gebildet hatte.“

Die etwas ältere Frau hatte schon Enkelkinder, und ihre Schützlinge liebten und respektierten sie. Immer wieder musste Kate sich von Ollie anhören, was Mary gesagt oder gemacht hatte.

Zehn Minuten später schloss sie die Tür zu ihrem Cottage auf, das mitten im Dorf stand. Hinter dem Haus hatte sie einen größeren Garten.

Ollie war ein kräftiger Junge mit gelocktem dunklem Haar, das er von seinem Vater geerbt hatte. Doch das wusste Ollie natürlich nicht.

Für Kate existierte dieser Mann nicht mehr, und er sollte keinen Platz in ihrem und dem Leben ihres Sohnes haben. Bis vor Kurzem war Ollie damit zufrieden gewesen, dass er keinen Vater hatte. Das hatte sich leider geändert, denn George, sein neuer bester Freund, hatte natürlich einen Vater. Jetzt wollte Ollie mehr wissen. Mit den Antworten, die sie ihm gegeben hatte, hatte er sich vorerst begnügt. Doch Kate war aufgefallen, wie sehnsüchtig er zuschaute, wenn Tom Lawson mit seinem Sohn George spielte.

Sean Howard stieg aus seinem Mercedes und betrachtete sekundenlang das Gebäude, vor dem er geparkt hatte.

Sein eleganter Designeranzug saß perfekt. Er betonte seine breiten Schultern, und man ahnte, wie muskulös Seans Körper war. Er hatte sich seinen Lebensunterhalt jahrelang als Bauarbeiter verdient. Schon damals, als ungebildeter Teenager, hatte er sich geschworen, eines Tages selbst Anweisungen zu erteilen, statt sie zu befolgen.

Als Kind hatte er buchstäblich um das Essen kämpfen müssen. Seine Mutter hatte ihn verlassen, als er fünf gewesen war, und er war zu Pflegeeltern gekommen. Später verdiente er sich sein Geld auf Baustellen. Nachts lernte er, um sein BWL-Studium erfolgreich abzuschließen. An seinem einunddreißigsten Geburtstag verkaufte er das Bauunternehmen, das er aus dem Nichts aufgebaut hatte, mit hohem Gewinn. Er hätte sich zur Ruhe setzen und von dem Kapital leben können. Doch das lag ihm nicht. Ihm war klar, welches Potenzial in solchen Firmen wie Johns Unternehmen steckte. Deshalb hatte er sogleich zugegriffen, als sich die Gelegenheit zur Übernahme geboten hatte. Jetzt war er fünfunddreißig.

Er hatte große Pläne mit dem Unternehmen, das er gerade erst erworben hatte. Aber dafür war er auf Mitarbeiter angewiesen, die ehrgeizig, voller Energie und zuverlässig waren und sich begeistern ließen. An diesem Morgen würde er die Leute kennenlernen. Er würde sich in den nächsten Wochen persönlich mit jedem Einzelnen unterhalten und sich eine eigene Meinung bilden. So hatte er es immer gemacht. Erst nach den Gesprächen würde er die Personalakten durchlesen.

Sean war ein ungemein gut aussehender Mann. Die harten Linien um Nase und Mund, die von der Morgensonne betont wurden, verrieten, dass er ein entschlossener Mensch war und nur selten lächelte. Dass er eine starke erotische Ausstrahlung hatte, nahm er mit einem gewissen Zynismus hin. Als ihn eine junge Frau im Vorbeigehen bewundernd musterte, blitzte es in seinen blauen Augen spöttisch auf.

Seit er Millionär war, wurde er von schönen Frauen geradezu verfolgt. Ihm war jedoch klar, dass sie sich verächtlich abwenden würden, wenn sie alles über ihn, seine Kindheit und Jugend wüssten.

Er hatte einen weiten Weg zurückgelegt. Was wollte er als Nächstes erreichen? Er schloss den Wagen ab und ging auf das Gebäude zu.

Kate wurde immer nervöser, während sie im Stau darauf wartete, dass die Ampel endlich Grün zeigte.

Am Abend zuvor hatte sie ihren Stolz überwunden und Carol, ihre Freundin und die Mutter von Ollies bestem Freund, um Hilfe gebeten. Sie hatte Carol gefragt, ob sie Ollie ausnahmsweise ab halb acht beaufsichtigen und ihn mit ihrem Sohn George in den Kindergarten bringen würde. Natürlich war Carol einverstanden gewesen. Doch Kate gefiel es nicht, ihren Sohn einfach irgendwo abzugeben wie eine Ware.

Warum hatte der neue Firmeninhaber darauf bestanden, alle Mitarbeiter sollten um acht im Büro sein? War er rücksichtslos, oder handelte er nur gedankenlos? Jedenfalls verhieß es nichts Gutes für die zukünftige Zusammenarbeit.

Als es weiterging, sah sie, was den Stau verursacht hatte: Ein Wagen war mit einer Panne am Straßenrand liegen geblieben. Es war schon zehn nach acht, und sie brauchte mindestens noch zehn Minuten bis ins Büro.

Um halb neun eilte Kate in das Bürogebäude. Sie hoffte, ohne allzu sehr aufzufallen, in Johns Büro gelangen zu können, in dem sich alle versammelt hatten. Aber auf dem Flur kamen ihr schon die Kollegen und Kolleginnen entgegen.

„Du kommst zu spät“, sagte Laura leise. „Was ist passiert?“

In Gegenwart der anderen wollte Kate nicht mit Laura reden. „Das erzähle ich dir später, sobald …“ Sie verstummte und stand wie erstarrt da, als sie die beiden Männer erblickte, die als Letzte aus dem Raum kamen.

Der eine war John – der andere ihr Exmann.

„Erzähl es mir bitte jetzt!“, forderte er sie kühl auf.

Die anderen sahen sie erstaunt an. Kate war schockiert und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an.

John stand mit gequälter Miene da. „Sean, ich glaube … Ich bin sicher, dass …“, begann er unbehaglich.

Sean ignorierte ihn und forderte Kate auf: „Komm bitte herein.“ Er hielt ihr die Tür auf und ließ sie an sich vorbei in das Büro gehen. Sekundenlang begegneten sich ihre Blicke.

Mein Exmann ist der neue Besitzer, wie kann das Schicksal mir so einen Streich spielen? dachte sie deprimiert. Als Sean sie verlassen hatte, um mit seiner neuen Freundin zusammenzuleben, hatte Kate gehofft, ihn nie wiederzusehen. Sie hatte ihm alles gegeben, was eine Frau einem Mann geben konnte. Sie hatte sich ihrer Tante und ihrem Onkel gegenüber durchgesetzt, die gegen die Verbindung gewesen waren. Sie hatte ihn geliebt, ihm geholfen und ihn in schwierigen Situationen ermutigt. Offenbar war das nicht genug gewesen. Nach dem Erfolg, den er nicht zuletzt dank ihrer Hilfe erzielt hatte, war sie nicht mehr gut genug für Sean gewesen.

Sie befürchtete, jeden Moment anzufangen zu zittern, und hielt den Atem an. Niemals würde sie Sean gegenüber irgendeine Schwäche zeigen.

Allzu gut erinnerte sie sich an seinen harten, herausfordernden Blick. Bei der ersten Begegnung hatte er sie genauso angesehen und sie praktisch gezwungen, ihn zu beachten. Es würde sowieso niemand wagen, ihn zu ignorieren.

„Kate ist eine sehr qualifizierte Mitarbeiterin und …“, wollte John sie verteidigen.

„Danke, John“, unterbrach Sean ihn und ging in den Raum. Dann machte er die Tür hinter sich zu. Dass er John vor den Kopf stieß und ihn aus seinem eigenen Büro ausschloss, war Sean offenbar egal.

„Offenbar lässt du dich jetzt Kate nennen“, stellte Sean fest. „Warum nicht mehr Kathy?“

Schmerzliche Erinnerungen wurden wach. Als sie sich kennengelernt hatten, war sie noch Kathy gewesen. Er hatte sie spöttisch gefragt, ob sie sich zu fein sei, mit einem Mann wie ihm zu tanzen. Sie war auch noch Kathy gewesen, als er sie umarmt, geküsst und ihr gezeigt hatte … Rasch verdrängte sie diese Gedanken.

Entschlossen hob sie den Kopf und erwiderte kühl: „Diese Kathy bin ich schon lange nicht mehr, Sean. Sie hat aufgehört zu existieren, als du mich verlassen hast.“

„Und wie lautet jetzt dein Familienname?“, fragte er angespannt und bemühte sich, sich nicht anmerken zu lassen, wie schockiert er war. Ahnte sie, weshalb er so zornig war?

„Vincent, ich heiße jetzt Kate Vincent“, antwortete sie kühl.

„Vincent?“, wiederholte er.

„Ja. Es wäre dir sicher nicht recht gewesen, wenn ich deinen Namen behalten hätte, oder? Den Familiennamen meiner Tante und meines Onkels wollte ich nicht wieder annehmen. Sie haben mich genauso wenig geliebt wie du.“

„Hast du etwa nur deshalb wieder geheiratet, um einen neuen Familiennamen zu bekommen?“ Seine Stimme klang verächtlich. „Warum bist du zu spät gekommen?“, wechselte er unvermittelt das Thema. „Wollte er dich nicht früher aus dem Bett lassen?“

Kate errötete vor Zorn, und in ihren Augen blitzte es ärgerlich auf. „Nur weil du …“ Sie verstummte, denn Erinnerungen stürzten auf sie ein. Sean hatte sie jeden Morgen zärtlich und liebevoll geküsst, bis sie wach gewesen war. Und dann …

Sie versteifte sich. Sie durfte sich den Erinnerungen nicht hingeben. Viel wichtiger war, dass sie nicht vergaß, was Sean ihr angetan hatte. Er hatte die Liebe, die sie für ihn empfunden hatte, brutal und absichtlich zerstört. Kate war froh, dass er glaubte, sie wäre mit einem anderen Mann zusammen. Hatte er etwa die Frau geheiratet, deretwegen er sie, Kate, verlassen hatte?

In dem Moment läutete sein Handy, und er nahm den Anruf entgegen. Dann runzelte er die Stirn und forderte Kate mit einer Handbewegung auf, das Büro zu verlassen.

Beim Hinausgehen hörte sie eine weibliche Stimme sagen: „Sean, mein Liebling …“

Kate hatte schon den halben Schreibtisch ausgeräumt, als Laura hereinkam.

„Was machst du da?“, fragte sie.

„Wonach sieht es wohl aus?“, erwiderte Kate angespannt.

„Willst du gehen?“ Laura war schockiert. „Hat er dir etwa gekündigt, nur weil du zu spät gekommen bist?“

Kate lächelte leicht verbittert. „Nein, das hat er nicht getan. Aber ich möchte ihm zuvorkommen.“

„Oh nein, Kate“, protestierte Laura. „Mir ist klar, dass es keinen guten Eindruck gemacht hat, doch …“ Sie biss sich auf die Lippe.

Kate spürte, wie unbehaglich sich ihre Kollegin plötzlich fühlte. „Was ist los, Laura?“

„Mir ist etwas eingefallen, was vielleicht gar nichts zu bedeuten hat. Aber Sean hat John gefragt, wo du seist“, berichtete Laura zögernd. „Er hat bestimmt Verständnis für alles, Kate. Er ist ein Schatz und sehr attraktiv.“

Am liebsten hätte Kate laut gelacht. Sean war alles Mögliche, aber ein Schatz war er ganz sicher nicht. Das war er auch nicht gewesen, als sie sich kennengelernt hatten. Damals war er hart, rau und grob gewesen. Und er hatte genau gewusst, wie man eine junge, unerfahrene Frau verführte.

Sie errötete, als ihr bewusst wurde, in welche Richtung ihre Gedanken wanderten. Rasch schaltete sie den Computer ein.

„Oh, du hast es dir anders überlegt“, stellte Laura erleichtert fest. „Das freut mich.“

Kate schüttelte jedoch den Kopf. „Nein. Ich schreibe nur die Kündigung.“

„Oh Kate!“ Laura sah sie bestürzt an.

Nachdem Kate den Brief hatte ausdrucken lassen, unterschrieb sie ihn, steckte ihn in ein Kuvert, beschriftete es und legte es zu der Ausgangspost. Dann stand sie auf und durchquerte den Raum.

„Was hast du jetzt vor?“, fragte Laura beunruhigt.

„Ich habe meine Kündigung geschrieben und verlasse die Firma“, erwiderte Kate geduldig.

„Kate, du kannst doch nicht einfach so verschwinden, ohne jemanden zu informieren“, wandte Laura ein.

„Und ob ich das kann.“ Kate ging ruhig an ihr vorbei zur Tür. Dass ihre Gefühle in Aufruhr geraten waren, ahnte Laura glücklicherweise nicht.

Kathy arbeitet hier, dachte Sean, nachdem das Gespräch mit der Frau seines Steuerberaters beendet war. Sie hatte ihn zu einer Party eingeladen, aber Sean hatte die Einladung abgelehnt. Er verzog verbittert die Lippen. Ehe er Kathy kennengelernt hatte, hatte er noch nicht einmal gewusst, in welcher Reihenfolge man beim Essen die Bestecke benutzte. Kathy hatte ihm sehr behutsam gute Umgangsformen beigebracht und ihm sanft die rauen Seiten abgeschliffen. Und er …

Er stellte sich ans Fenster und blickte hinaus. Absichtlich hatte er sich nach der Scheidung nicht darum gekümmert, herauszufinden, was sie machte und wo sie lebte. Das wäre sinnlos gewesen. Er hatte ihr eine großzügige Abfindung gezahlt, die sie jedoch nicht angenommen, sondern an seinen Rechtsanwalt zurücküberwiesen hatte. Wen hatte sie geheiratet? Und wann hatte sie wieder geheiratet?

Schließlich setzte er sich an den Schreibtisch und vertiefte sich in die Personalakten.

2. KAPITEL

Als Kate aus dem Wagen stieg, zitterte sie am ganzen Körper. Sie gestand sich ein, dass sie gar nicht hätte fahren dürfen, und wusste nicht, wie sie es überhaupt geschafft hatte, nach Hause zu kommen. Alle möglichen Erinnerungen waren wach geworden. Nicht nur Zorn und Ärger waren in ihr aufgestiegen, sie war auch immer wieder in Panik geraten.

„Kate!“ Carol, ihre Nachbarin und Freundin, lief ihr entgegen. „Weshalb bist du heute so früh dran? Ist das Gespräch mit deinem neuen Chef so gut verlaufen, dass er dir den restlichen Tag freigegeben hat?“

Kate versuchte zu lächeln und eine humorvolle Antwort zu geben. Doch zu ihrem Entsetzen drohten ihre Gefühle sie zu überwältigen. „Ich habe gekündigt“, erklärte sie leise. „Das … musste ich tun, denn … mein neuer Chef ist mein Exmann.“ Tränen traten ihr in die Augen, und sie zitterte heftig. Wahrscheinlich stehe ich immer noch unter Schock, dachte sie und fühlte sich wie betäubt.

„Komm, wir gehen ins Haus.“ Carols Stimme drang wie aus weiter Ferne zu ihr. „Dann kannst du mir alles erzählen.“

Nachdem Carol Kaffee gemacht und ruhig über neutrale Themen geplaudert hatte, stellte sie zwei Becher auf den Tisch und setzte sich neben Kate. „Ich will nicht neugierig sein, Kate. Doch wenn du es dir von der Seele reden willst, höre ich dir gern zu. Ich verspreche dir, ich werde mit niemandem darüber sprechen.“ Als Kate den Becher Kaffee umfasste und nur schweigend dasaß, fügte Carol hinzu: „Auch nicht mit Tom, wenn dir das lieber ist.“

Kate drehte sich zu ihr und atmete tief ein. „Mit achtzehn habe ich Sean kennengelernt“, begann sie langsam und schmerzerfüllt. „Er hat den Anbau am Haus der Nachbarn meines Onkels und meiner Tante gebaut. Es war ein heißer Sommer, und er hatte außer alten, engen Jeans nichts an.“

„Oh, ich kann mir gut vorstellen, wie sexy er gewirkt hat.“ Carol lächelte ermutigend. Zu ihrer Erleichterung erwiderte Kate das Lächeln.

„Ich habe immer einen Umweg gemacht, um ihn sehen zu können“, gab Kate zu. „Natürlich habe ich nicht damit gerechnet, dass er mich bemerkte. Aber eines Abends hat er mich im Club des Ortes zum Tanz aufgefordert. Als ich ihn so vor mir stehen sah, war ich richtig eingeschüchtert.“ Kate zuckte die Schultern. „Als völlig unerfahrene Achtzehnjährige war ich von seiner sinnlichen Ausstrahlung überwältigt. Dummerweise hat er geglaubt, ich wollte nicht mit ihm tanzen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Damals wusste ich noch nicht, dass er eine genauso unglückliche und einsame Kindheit hatte wie ich. Deshalb war er sehr verletzlich und entschlossen, Erfolg zu haben. Jetzt ist mir klar, dass es in gewisser Weise auch eine Herausforderung für ihn war, weil ich aus anderen Verhältnissen kam. Eine Zeit lang war ich gut genug für ihn, und wir haben geheiratet. Doch nachdem er immer erfolgreicher wurde, hatte er wahrscheinlich das Gefühl, mit so viel Geld könnte er jede andere Frau haben, die er haben wollte.“

„Du hast ihn sehr geliebt, stimmt’s?“, fragte Carol.

Kate sah sie ihn. „Ja, das habe ich. Ich habe ihn von ganzem Herzen und geradezu abgöttisch geliebt. Jetzt weiß ich, wie dumm und naiv ich war. Ich habe geglaubt, er würde mich genauso sehr lieben wie ich ihn.“

„Oh Kate.“ Mitfühlend legte Carol nun ihre Hände auf Kates.

„Meine Tante und mein Onkel waren wütend, als herauskam, dass ich mich mit ihm traf“, fuhr Kate fort. „Wir gerieten in Streit, und ich erfuhr, dass meine Tante entsetzt gewesen war, als ihr Bruder meine Mutter geheiratet hat. Sie hat ihre Schwägerin nie gemocht. Meine Tante und mein Onkel erklärten dann, sie würden mich enterben, wenn ich mich weiterhin mit Sean treffen würde. Ich wollte mich jedoch nicht von ihm trennen, dazu liebte ich ihn zu sehr. Er bedeutete mir alles. Als ich ihm erzählte, was vorgefallen war, wollte er nicht, dass ich noch einmal zu meinen Verwandten ging und von ihnen verletzt und eingeschüchtert wurde. Er wollte für mich sorgen.“ Sie seufzte. „Sechs Wochen später haben wir geheiratet. Sean hatte den Anbau fertiggestellt und schon den nächsten Auftrag in der Tasche.“

Carol begriff, dass die Vergangenheit Kate eingeholt hatte. Sie spürte, wie erschöpft die Freundin war, und stand auf. „Am besten ruhst du dich erst einmal aus“, schlug Carol vor. „Ich hole Oliver aus der Kinderkrippe ab. Er kann bei uns essen, wenn es dir recht ist.“

Am liebsten hätte Kate Nein gesagt. Sie sehnte sich danach, ihren Sohn in den Arm zu nehmen, ihn an sich zu drücken und dabei Trost zu finden. Aber ihr war bewusst, wie unfair es Oliver gegenüber wäre, ihn mit ihren Emotionen zu belasten und sich an ihn zu klammern. Außerdem hatte sie noch viel zu tun. Sie musste anfangen, sich einen neuen Job zu suchen.

„Danke, das ist sehr nett von dir“, antwortete Kate deshalb.

„Unsinn. Du würdest dasselbe auch für mich tun“, entgegnete Carol und verschwand.

Kate bezweifelte, dass Carol jemals in die Verlegenheit kommen würde, ihre Freundin um einen Gefallen zu bitten. Carol hatte einen Mann, der alles für sie tat. Und Georges Großeltern waren immer für ihren Enkel da.

Oliver hatte keine Großeltern. Er hatte nur seine Mutter. Nein, das stimmt nicht ganz, er hat auch einen Vater – Sean, dachte Kate unglücklich. Sie hatte sich so angestrengt und geglaubt, ihre berufliche Zukunft sei gesichert. Und jetzt hatte ihr Exmann die Firma übernommen, und Kate hatte alles wieder verloren.

Zum ersten Mal bedauerte sie, dass sie die großzügige Abfindung, die Sean ihr überwiesen hatte, nicht behalten hatte. Zwei Millionen Pfund hatte er ihr gezahlt. Damals hatte sie noch nicht geahnt, dass sie schwanger war. Jedenfalls hatte sie sich geschworen, von dem Mann, der sie so kaltblütig verlassen hatte, nichts anzunehmen. Er hatte ihr in aller Deutlichkeit erklärt, er habe seine Meinung geändert und wolle keine Kinder. Und er wollte auch nicht an eine Frau gebunden sein, die er nicht mehr liebte.

Es tat Kate noch genauso weh wie vor all den Jahren. Sie hatte ihm alles geglaubt, was er gesagt hatte. Er hatte behauptet, er wünsche sich Kinder. Und er hatte ihr versprochen, dass ihrer beider Kinder Eltern haben würden, die sie liebten. Aber es waren lauter Lügen gewesen.

Gegen ihren Willen fühlte Kate sich in die Vergangenheit zurückversetzt. Nichts hatte darauf hingedeutet, wie zerbrechlich ihr Glück war. Noch einen Monat vor dem bitteren Ende hatte Sean mit ihr einige Tage Urlaub gemacht in einem romantischen und exklusiven Hotel auf dem Land. Damit hatte er sie dafür entschädigen wollen, dass sie im Sommer wegen eines wichtigen Auftrags nicht hatten in die Ferien fahren können.

Sie waren am späten Nachmittag angekommen und hatten einen wunderschönen Spaziergang gemacht. Anschließend waren sie auf ihr Zimmer gegangen und hatten sich leidenschaftlich geliebt.

Während des Essens überreichte Sean ihr ein großes Kuvert und bat sie, es sogleich zu öffnen. Es enthielt die Verkaufsunterlagen des alten Pfarrhauses, an dem sie vor einigen Monaten vorbeigefahren waren.

„Du hast erwähnt, in so einem Haus hättest du schon immer wohnen wollen“, erinnerte Sean sie. „Es ist zum Verkauf angeboten worden.“

Den restlichen Abend fühlte sie sich wie betäubt vor Freude. Sie machte Pläne, wie sie das Haus einrichten wollte, und bestand darauf, dass Sean ihr zuhörte und mit ihr durch alle Zimmer ging.

In der Nacht liebten sie sich wieder. Anschließend lag Kate mit geschlossenen Augen in Seans Armen und überlegte, womit sie so viel Glück verdient hatte.

Doch kaum einen Monat später fragte sie sich, womit sie so viel Schmerz und Kummer verdient hatte.

Völlig überraschend für sie hatte Sean das ehemalige Pfarrhaus kaufen wollen. Genauso überraschend hatte er kurz darauf erklärt, er liebe sie nicht mehr und wolle sich scheiden lassen.

Kate schloss die Augen und lehnte sich in dem Sessel zurück. Sie war körperlich und seelisch erschöpft. Sie musste sich jetzt darauf konzentrieren, sich eine neue Stelle zu suchen. Es brachte sie nicht weiter, über die Vergangenheit nachzudenken und sich selbst zu bemitleiden.

Sie würde sich bei einer Zeitarbeitsagentur bewerben und jeden Job annehmen, den man ihr anbot, bis sie wieder einen festen Arbeitsplatz gefunden hatte. Ihre Ersparnisse wollte sie nicht angreifen. Sie wären sowieso rasch aufgebraucht.

Warum hatte Sean in ihr Leben zurückkommen müssen? Hatte er sie nicht schon genug verletzt?

Schließlich schlief sie ein.

Den Traum, den Kate hatte, kannte sie schon. Innerhalb weniger Sekunden war sie mitten darin und wurde von dem Geschehen fortgerissen. Es gelang ihr nicht, aufzuwachen und sich daraus zu entfernen, wie sie sich einmal vorgenommen hatte.

Sie befand sich mit Sean im Wohnzimmer ihres Hauses. Es war ein Nachmittag, und Sean war früher zurückgekommen als sonst. Kate eilte auf ihn zu, um ihn zu begrüßen, doch er stieß sie von sich. Er wirkte wieder wie der zornige, aggressive Mann, als den sie ihn kennengelernt hatte, und nicht wie ihr liebevoller Ehemann.

„Sean, was ist los?“, fragte sie und streckte die Hand nach ihm aus.

Er ignorierte ihre Hand und stellte sich ans Fenster. Beunruhigt beobachtete Kate ihn.

„Ich will mich scheiden lassen“, erklärte er unvermittelt.

„Wie bitte? Sean, was hast du da gesagt?“ Kate war schockiert. Panik stieg in ihr auf, und sie hatte das Gefühl, ihre seltsam rau klingende Stimme hallte wie ein Echo in dem Raum wider.

„Es ist vorbei mit uns, ich will mich scheiden lassen.“

„Nein, das meinst du nicht ernst. Das ist unmöglich. Du liebst mich doch“, erwiderte sie leise.

„Das habe ich auch geglaubt“, stimmte Sean ihr kühl zu. „Aber mir ist klar geworden, dass es nicht so ist. Wir beide haben verschiedene Ziele, Kathy. Du möchtest unbedingt Kinder haben, und ich kann es nicht mehr ertragen, dich darüber reden zu hören. Es langweilt mich. Ich will keine Kinder haben.“

„Das ist unmöglich. Wie kannst du so etwas behaupten, Sean?“ Fassungslos blickte sie ihn an. „Du hast immer betont, wie sehr du dir Kinder wünschst“, erinnerte sie ihn unsicher und schmerzerfüllt. „Wir wollten beide eine große Familie haben, weil unsere Kindheit …“

„Du liebe Zeit, du solltest endlich erwachsen werden, Kathy“, entgegnete er mitleidlos und verächtlich. „Ich hätte noch viel mehr gesagt, um dich ins Bett zu bekommen. Aber ich habe keine Lust, jetzt mit dir darüber zu streiten. Unsere Ehe ist beendet, damit musst du dich abfinden. Ich habe schon mit meinem Rechtsanwalt gesprochen. Natürlich werde ich dich finanziell absichern.“

„Gibt es eine andere Frau?“

Schweigend sahen sie sich an. Kate hoffte, er würde Nein sagen. Doch er antwortete spöttisch: „Kannst du dir das nicht denken?“

Sie zitterte am ganzen Körper und rief immer wieder laut seinen Namen. Sie konnte es einfach nicht glauben.

Warum, zum Teufel, mache ich das? fragte Sean sich unterwegs. Welchen Sinn hatte es, die Vergangenheit heraufzubeschwören? Kate war nicht unersetzlich. Sogleich gestand er sich ein, dass er unfair war. Nach allem, was John ihm berichtet hatte und was er selbst schon gesehen hatte, war sie eine ganz besonders tüchtige, qualifizierte, sorgfältige und intelligente Mitarbeiterin. Eine bessere konnte man sich gar nicht wünschen. Sean wollte sie nicht gehen lassen. Sie sollte zumindest die Kündigungsfrist einhalten.

Er war in dem Dorf angelangt, in dem Kate wohnte, und stellte den Wagen gegenüber von ihrem Cottage ab. In so einem Haus und so einer Umgebung hätte sie schon damals gern gelebt.

In der Firma hatte er mit niemandem darüber geredet, dass Kate gekündigt hatte. Er stieg aus und ging auf die Haustür zu.

Als er klopfen wollte, rief eine ältere Frau auf dem Nachbargrundstück, die ihn offenbar beobachtet hatte: „Sie müssen um das Haus herumgehen, junger Mann.“

Junger Mann, dachte Sean und schnitt ein Gesicht. Er hatte das Gefühl, nie wirklich jung gewesen zu sein. Das hatte er sich nicht erlauben können. Seine Züge wurden hart, während er dem Rat der Frau folgte.

Nachdem er den Riegel des Gartentors geöffnet hatte, lief er um das Haus herum. Sogleich fiel ihm auf, dass die Hintertür nur angelehnt war. Er runzelte die Stirn. Wenn Kate so aufgewachsen wäre wie er, wäre sie vorsichtiger. Als er die Tür öffnen wollte, hörte er Kate seinen Namen rufen.

Er stürzte ins Haus und blieb unvermittelt stehen. Kate saß im Sessel und schlief. Ihr Anblick raubte Sean beinah den Atem.

Erinnerungen wurden wach. Er hatte Kate immer gern im Schlaf betrachtet, ihre langen dunklen Wimpern, die auf ihrer feinen hellen Haut seidig wirkten, ihre leicht geöffneten Lippen und das schöne Profil. Im Schlaf wirkte sie sehr verletzlich, und das bewies ihm, wie sehr sie ihm vertraute und dass sie seinen Schutz brauchte.

Ohne nachzudenken, ging er auf sie zu, hob die Hand und wollte ihr das lange Haar aus dem Gesicht streichen wie so oft in der Vergangenheit. In dem Moment wurde ihm bewusst, was er da tat, und er hielt inne.

Es war jedoch zu spät. Kate schien seine Anwesenheit zu spüren, denn sie rief wieder seinen Namen. Es klang so gequält, als wäre sie sehr unglücklich. Nach kurzem Zögern legte er ihr die Hand auf die Schulter und drückte sie leicht.

Sogleich öffnete Kate die Augen. „Sean, was …?“ Sie sah ihn an und glaubte, immer noch zu träumen. Es dauerte einige Sekunden, bis sie begriff, dass es kein Traum mehr war.

„Du hast meinen Namen gerufen“, antwortete Sean sanft.

Auf einmal erinnert sie sich daran, was sie geträumt hatte, und errötete. Die Atmosphäre war plötzlich zum Zerreißen gespannt.

„Ich habe geträumt, das ist alles“, entgegnete sie scharf.

„Träumst du oft von mir?“ Seine Stimme klang leicht spöttisch.

Kate versteifte sich. „Es war ein Albtraum.“

„Du hast gar nicht wieder geheiratet“, stellte er unvermittelt leicht vorwurfsvoll fest.

Kate stand auf. Neben ihm kam sie sich ziemlich klein vor und ärgerte sich darüber, dass sie keine hochhackigen Schuhe anhatte.

„Glaubst du wirklich, nach allem, was du mir angetan hast, hätte ich Lust gehabt, dasselbe noch einmal zu erleben?“, fragte sie hitzig. „Nein, ich habe kein zweites Mal geheiratet.“

Dafür hatte sie einen guten Grund, den sie ihm jedoch nicht verraten würde. Sie wollte ihrem Sohn keinen Stiefvater zumuten, der ihn möglicherweise gar nicht liebte. Aus eigener Erfahrung wusste Kate, wie schlimm es war, ohne Liebe aufzuwachsen.

„Warum hast du dann den Familiennamen geändert?“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Das habe ich dir heute Morgen schon erklärt. Warum hätte ich deinen Namen behalten sollen? Ich fand es besser, den Mädchennamen meiner Mutter anzunehmen. Was willst du überhaupt hier?“, fügte sie ärgerlich hinzu. „Du hast kein Recht …“

„Ich bin deswegen hier“, unterbrach er sie und legte ihr Kündigungsschreiben mit einem anderen weißen Kuvert auf den Tisch. „Das ist dein Arbeitsvertrag. Mit deiner Unterschrift hast du dich damals verpflichtet, eine Kündigungsfrist von vier Wochen einzuhalten. Du kannst den Arbeitsplatz nicht von einem Tag auf den anderen verlassen, Kate.“

Ihr wurde der Mund ganz trocken, und ihr war bewusst, dass ihr Blick verriet, wie schockiert sie war. „Du kannst mich nicht zwingen, noch länger …“, begann sie mutig.

„Oh doch, das kann ich“, fiel Sean ihr ins Wort. „Und das werde ich auch tun.“

„Warum?“ Kate spürte, wie nahe sie daran war, die Beherrschung zu verlieren. „Ich war der Meinung, du legtest genauso wenig Wert auf eine Zusammenarbeit wie ich. Nachdem du unsere Ehe, ohne lange zu fackeln beendet hast, kannst du nicht an meiner Mitarbeit interessiert sein. Vergiss nicht, ich bin deine Exfrau, und du hast mich zurückgewiesen.“

„Du hast dich vertraglich verpflichtet, die Kündigungsfrist einzuhalten. Deshalb wirst du an deinen Arbeitsplatz zurückkehren und einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin einarbeiten.“

„Das kannst du mit mir nicht machen“, protestierte sie. Ihre Stimme klang fest und entschlossen, obwohl Kate in Panik geriet. Ihr war klar, dass Sean recht hatte. Wenn sie die Kündigungsfrist nicht einhielt, würde sie kein gutes Zeugnis und keine guten Referenzen bekommen. Das konnte sie sich als alleinerziehende Mutter nicht erlauben.

„Ich werde es tun“, bekräftigte er. „Du hast mich damals sang- und klanglos verlassen, aber ich werde verhindern, dass du dasselbe mit dem Arbeitsplatz tust.“

Kate konnte kaum glauben, was sie da hörte. „Ich habe dich verlassen, weil du eine Affäre mit einer anderen Frau hattest, wie du genau weißt. Außerdem warst du derjenige, der die Scheidung verlangt hat, Sean. Mein Wunsch war es wirklich nicht.“

„Über die Vergangenheit will ich jetzt nicht reden. Momentan interessiert mich nur die Gegenwart.“

Kate war verletzt. Es war ein Fehler gewesen, die Ehe und Seans Affäre zu erwähnen. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, dass sie immer noch unter der Trennung litt.

„Für mein Geld erwarte ich gute Leistungen. Daran erinnerst du dich bestimmt, oder?“

Endlich konnte sie ihn auch ärgern und verletzen. „Ich erinnere mich an gar nichts mehr, was damals war“, entgegnete sie verächtlich. Die Atmosphäre zwischen ihnen wurde immer angespannter. Wie sie und Sean damals reagiert hatten, wenn die innere Anspannung aus anderen Gründen unerträglich geworden war, hatte sie nicht vergessen.

„Bist du dir ganz sicher?“, fragte Sean rau. Hatte er etwa ihre Gedanken gelesen? „Auch nicht daran?“ Er packte sie an den Armen und zog Kate an sich. Schockiert gestand sie sich ein, wie vertraut ihr sein Körper immer noch war und wie herrlich es war, ihn zu spüren.

Wie selbstverständlich schmiegte sie sich an ihn. Und beinah automatisch legte sie ihm die Arme um den Nacken. Mit ihren großen goldbraunen Augen sah sie Sean an und begegnete seinem leidenschaftlichen Blick. Es kam ihr so vor, als hätte sie insgeheim auf diesen Moment gewartet. Und nicht nur darauf gewartet, sondern sich auch danach gesehnt.

Außer dem Ticken der Küchenuhr war es ganz still in dem Raum. Kate hörte Sean schwer atmen, während sie selbst immer schneller und unregelmäßiger atmete. Er legte ihr die Hand auf den Nacken und streichelte mit dem Daumen ihre Haut. Ihr Körper reagierte prompt auf die zärtliche Berührung.

Kate schloss die Augen, damit Sean nicht merkte, was sie empfand. Ihre Brustspitzen richteten sich auf, und sie sehnte sich danach, dass er ihre Brüste mit Händen und Lippen liebkoste.

Schließlich presste er die Lippen auf ihre. Bereitwillig erwiderte sie seine Küsse. Die Gefühle, die er in ihr wachrief, waren ihr noch allzu vertraut. Sie umklammerte seine Schultern und stöhnte auf vor Lust, während Sean sie besitzergreifend küsste.

Als er ihr die Hände auf die Hüften legte und Kate an sich presste, wurde sie ganz schwach vor lauter Sehnsucht. Gleich würde er ihre Brüste streicheln und Kate immer intimer berühren. Das wünschte sie sich jedenfalls. Sie erbebte vor Verlangen und überlegte, ob sie ihn umfassen und erregen sollte, bis er …

„Mom …?“, ertönte in dem Moment Olivers Stimme aus dem Flur.

Rasch löste Kate sich von Sean. Er reagierte genauso schnell und trat einige Schritte zurück, sodass der Abstand zwischen ihnen groß genug war, als Oliver mit Carol hereinkam.

„Ollie wollte unbedingt nach Hause, deshalb …“ Bei Seans Anblick verstummte Carol und sah Kate unsicher an.

„Danke, Carol.“ Kate beugte sich zu ihrem Sohn hinunter, der ihr entgegenlief, und hob ihn hoch. Sie war froh, dass sie einen Grund hatte, ihr Gesicht vor ihrer Freundin und Sean verbergen zu können.

„Okay, ich gehe dann wieder“, verkündete Carol und verschwand.

Ungläubig und schockiert betrachtete Sean den Jungen. Sie hat ein Kind, und das kann nur bedeuten, dass sie mit einem anderen Mann zusammen war, überlegte er.

Oliver wand sich in ihren Armen. Zögernd stellte Kate ihn wieder auf die Füße. Sogleich sah er Sean an und fragte: „Wer bist du?“

Kate verkrampfte sich der Magen. „Ollie, du musst bald ins Bett“, erklärte sie energisch und fügte hinzu: „Sean, du solltest jetzt gehen.“

„Ich habe ernst gemeint, was ich dir hinsichtlich deiner Arbeit gesagt habe, Kathy“, antwortete er mit grimmiger Miene.

„Nenn mich nicht Kathy“, fuhr sie ihn ärgerlich an. Zu spät fiel ihr ein, dass sie sich ihrem Sohn zuliebe zusammennehmen musste.

„Du verunsicherst das Kind“, stellte Sean dann auch prompt fest und nahm zu ihrem Entsetzen Ollie auf den Arm.

Kate rechnete damit, dass ihr Sohn sich wehren würde. Das tat er immer, wenn ein Fremder ihn anfasste. Doch dieses Mal reagierte er anders. Er schmiegte sich an Sean, ehe er ihn sekundenlang ansah und ihn mit fester Stimme bat: „Lies mir bitte eine Geschichte vor.“

Schmerzlich berührt beobachtete Kate die Szene. Ihr Exmann hielt seinen Sohn auf dem Arm, und Oliver schaute seinen Vater an, als wäre er ein Held. Am liebsten hätte sie ihm den Jungen aus den Armen gerissen und an sich gedrückt, um ihn zu beschützen. Oliver ahnte ja nicht, dass seinem Vater schon der Gedanke unerträglich gewesen war, ein Kind zu haben.

„Der Vater von Olivers Freund liest seinem Sohn jeden Abend, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, etwas vor“, erklärte sie steif.

Sean sah dem Jungen in die Augen und fand es unmöglich, ihn nicht zu mögen. „Eine Geschichte?“, wiederholte er lächelnd, ohne Kate zu beachten.

Oliver nickte begeistert. „Mom, das Buch“, forderte er seine Mutter auf und drehte sich zu ihr um.

„Sprich bitte in ganzen Sätzen, Oliver“, korrigierte Kate ihn automatisch.

„Mom, gib mir bitte das Buch, damit der Mann mir etwas vorlesen kann.“ Oliver lächelte gewinnend.

„Sean muss jetzt gehen“, sagte sie. „Ich lese dir später eine Geschichte vor.“

„Nein, Sean soll sie mir vorlesen“, beharrte Oliver und verzog schmollend den Mund.

Ihr war klar, dass er sehr müde war und wahrscheinlich gleich einen Wutanfall bekam, wenn sie ihm seinen Willen nicht ließ. Es wäre ihr sehr peinlich, und sie wollte Sean keinen Grund zur Schadenfreude geben.

„Warum gibst du mir nicht einfach das Buch?“, fragte er ruhig und freundlich.

Überrascht sah sie ihn an. Oliver hatte sich an seine Schulter gelehnt. „Er liegt doch noch gar nicht im Bett.“

„Man kann einem Kind immer etwas vorlesen, oder nicht?“

Kate schüttelte den Kopf und gab nach. Oliver auf dem Arm seines Vaters zu sehen war ein überwältigender Anblick. Sie verschwand, um das Buch zu holen.

Eine halbe Stunde später war Oliver in Seans Armen eingeschlafen.

„Ich glaube, er sollte jetzt wirklich ins Bett gebracht werden“, stellte Sean fest.

„Ja, ich bringe ihn nach oben.“ Kate wollte ihm das Kind abnehmen.

Sean schüttelte jedoch den Kopf. „Nein, ich mache das. Welches ist sein Zimmer?“

Kate erklärte es ihm.

Während er Oliver in sein Bett legte, stiegen Gefühle in ihm auf, die er längst überwunden geglaubt hatte. Kathys Kind, überlegte er, und seine Augen wurden feucht. Nachdem er den Raum verlassen hatte, blieb er sekundenlang vor der anderen Schlafzimmertür stehen, ehe er sie kurz entschlossen öffnete.

„Was hast du vor? Das ist mein Schlafzimmer“, protestierte Kate.

Er hatte nicht gehört, dass sie ihm gefolgt war, und drehte sich zu ihr um.

„Schläfst du allein darin?“ Er konnte sich die Frage nicht verbeißen, obwohl er wusste, dass es ihn nichts mehr anging.

„Nicht immer. Manchmal schläft auch Oliver bei mir im Bett.“

Sean verstand sich selbst nicht. Warum war er plötzlich so emotional? „Wie kommst du allein zurecht? Du arbeitest doch den ganzen Tag.“ Er runzelte die Stirn.

Er wirkt so, als wäre er ehrlich besorgt, dachte Kate und wandte sich ab. Dann ging sie über den Flur zur Treppe. Sie wollte sich nicht erlauben zu glauben, Sean hätte Gefühle. Den Fehler würde sie nicht noch einmal machen. „Oliver zuliebe muss ich irgendwie zurechtkommen. Er hat niemanden außer mir“, erwiderte sie.

„Heißt das, sein Vater will nichts von ihm wissen?“ Seans Stimme klang hart und leicht missbilligend. „Hat er dich verlassen?“

„Ja, das hat er“, antwortete Kate betont ruhig, als sie wieder unten waren. „Aber das ist auch besser für Oliver und mich.“ Sie öffnete entschlossen die Haustür, um Sean zu verstehen zu geben, dass er sich verabschieden sollte.

„Ich erwarte, dich morgen im Büro zu sehen“, erklärte er.

„Es tut mir leid, morgen komme ich bestimmt nicht“, entgegnete sie.

„Ich habe dich gewarnt, Kate.“

„Morgen ist Samstag, Sean“, erinnerte sie ihn spöttisch. „Wir arbeiten nicht am Wochenende.“

Sekundenlang schwieg er. Kate überlegte, was seine derzeitige Partnerin wohl dazu sagte, dass er sieben Tage in der Woche arbeitete.

„Okay, dann bis Montag, Kate. Wenn du nicht erscheinst, hat es schwerwiegende Folgen.“ Er eilte an ihr vorbei aus dem Haus.

3. KAPITEL

„Nein!“ Ärgerlich richtete Kate sich im Bett auf. Es war drei Uhr am Montagmorgen, und sie brauchte den Schlaf. Doch sie quälte sich mit den Gedanken an Sean herum und an die Zeit mit ihm. „Nein“, sagte sie sich noch einmal. Dann drehte sie sich um und barg das Gesicht im Kopfkissen. Es half jedoch alles nichts, die Erinnerungen ließen sich nicht verdrängen.

Okay, wenn es nicht anders ging, wollte sie sich wenigstens daran erinnern, wie sehr er sie verletzt hatte. Sie musste alles tun, damit sich so etwas nicht wiederholte. Aber stattdessen hatte sie am Freitag seine Küsse erwidert und ihm beinah alles verziehen.

Sean konnte immer noch heißes Verlangen in ihr wecken, wie sie sich widerstrebend eingestand. Ihr Körper hatte offenbar nicht vergessen, dass Sean ihr Liebhaber gewesen war. Ihr Herz hingegen hatte den Schmerz nicht vergessen, den er ihr zugefügt hatte.

Sie hatten wirklich eine schöne Zeit gehabt. Sean war ein leidenschaftlicher und geschickter Liebhaber gewesen, er hatte ihr behutsam alles beigebracht, was sie hatte wissen müssen. Sie hatten so perfekt zusammengepasst, wie sie es sich nicht besser hätten wünschen können.

Schließlich erinnerte sie sich daran, wie es gewesen war, als sie sich das erste Mal geliebt hatten.

Nachdem sie bei ihrer Tante und ihrem Onkel ausgezogen und in Seans kleine Wohnung gezogen war, hatte er ihr erklärt, er würde erst mit ihr schlafen, wenn sie verheiratet wären. Seit sie sich kannten und Zärtlichkeiten austauschten, war er nie zu weit gegangen, obwohl Kate sich sehr danach sehnte, mit ihm zu schlafen. Er wollte jedoch vermeiden, dass sie schwanger wurde.

„Meinem Kind will ich das ersparen, was ich durchmachen musste. Es soll nicht unehelich geboren werden“, erklärte er entschlossen.

Nur ungern redete er über sich und seine schwierige Kindheit. Doch Kate konnte ihn dazu bewegen, sich ihr anzuvertrauen. Sie hatten sich dann ausgemalt, wie liebevoll sie mit ihren eigenen Kindern umgehen würden und wie behütet sie aufwachsen sollten.

„Wir könnten doch ein Verhütungsmittel benutzen“, schlug Kate eines Tages ziemlich verlegen vor.

„Natürlich, aber wir werden es nicht tun“, antwortete Sean, obwohl sie ihm anmerkte, wie sehr er sie begehrte. „Wenn wir uns zum ersten Mal lieben, Kate, soll es in jeder Hinsicht richtig sein. Ein Kondom würde mich stören“, fügte er hinzu.

Sie heirateten in der Kleinstadt, aus der ihre vor vielen Jahren gestorbene Mutter stammte. Es war Seans Idee gewesen, und Kate war ganz gerührt. Sie fand es sehr romantisch. Um dort getraut zu werden, mussten sie vor der Hochzeit mindestens drei Wochen in dem Ort gelebt haben. Sean hatte genug verdient, um ein kleines Haus mieten zu können.

Die drei Wochen kamen ihnen wie eine halbe Ewigkeit vor. Sie konnten es kaum noch erwarten, endlich miteinander zu schlafen. Sean blieb jedoch standhaft und gab seinem eigenen Verlangen nicht nach.

Die Hochzeitsnacht verbrachten sie in dem kleinen Haus. Es war so wunderschön und perfekt gewesen, dass Kate bei der Erinnerung daran auch jetzt noch Tränen in die Augen traten.

„Mom“, ertönte in dem Moment Olivers Stimme.

Kate verdrängte die Gedanken, stand auf und lief in sein Zimmer. „Was ist, mein Liebling?“, fragte sie besorgt.

„Ich habe Bauchschmerzen“, beschwerte er sich.

Sie unterdrückte einen Seufzer. Oliver neigte zu Magenproblemen. Nachdem sie ihn kurz untersucht hatte und nichts Außergewöhnliches hatte feststellen können, versuchte sie, ihren Sohn zu beruhigen.

„Mom, wann kommt Sean wieder?“

Kate versteifte sich. Da er Sean bis jetzt nicht erwähnt hatte, hatte sie gehofft, er hätte ihn vergessen.

„Ich weiß es nicht, Oliver“, erwiderte sie. Sie wollte ihm nicht verraten, dass Sean sie wahrscheinlich nie wieder besuchen würde. Ihr war bewusst, dass sie Oliver eigentlich die Wahrheit sagen musste, denn das tat sie sonst immer. Dieses Mal brachte sie es jedoch nicht übers Herz, denn ihr Sohn sah sie erwartungsvoll an.

Als Oliver wieder eingeschlafen war, war Kate hellwach. Sie fühlte sich unbehaglich. Spürte Oliver instinktiv, dass Sean sein Vater war? Gab es so etwas wie eine innere Verbundenheit zwischen Vater und Sohn, obwohl die beiden nichts voneinander wussten? Wie sonst sollte sie sich erklären, dass sich ihr normalerweise so zurückhaltendes Kind zu Sean hingezogen fühlte?

Nachdem Kate den Wagen abgestellt hatte, ging sie mit wachsendem Unbehagen über den Parkplatz und hoffte, sie würde Sean nicht begegnen. Warum hatte er in ihr Leben zurückkehren müssen? Es passte ihr gar nicht, für ihn zu arbeiten. Aber Carol, der sie alles erzählt hatte, hatte ihr geraten, es nicht darauf ankommen zu lassen, dass Sean seine Drohung wahr machte und sie vor Gericht zerrte.

Während Kate über den Flur und in ihr Büro eilte, biss sie sich auf die Lippe. Oliver hatte ihr versichert, er habe keine Bauchschmerzen mehr. Dennoch hatte sie der Kindergärtnerin Bescheid gesagt, dass er sich in der Nacht nicht wohlgefühlt hatte, und sie gebeten, ihn etwas zu beobachten.

„Kate!“, rief Laura aus, als sie wenig später hereinkam. „Wie schön, dass du da bist. Bleibst du doch hier? Hast du es dir anders überlegt?“

„Ja, in gewisser Weise. Unser neuer Chef hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte“, erwiderte Kate betont fröhlich.

Laura blickte sie neugierig an. „So?“ Sie seufzte. „Was meinst du, ist er nicht der attraktivste und fantastischste Mann, den man sich vorstellen kann?“

„Nein, das meine ich nicht“, entgegnete Kate. Dass ihr Herz plötzlich viel zu heftig pochte, versuchte sie zu ignorieren.

„Wenn das wahr ist, bist du die einzige weibliche Mitarbeiterin hier, die so denkt“, erklärte Laura. „Stell dir vor, er ist Single und völlig ungebunden.“

„Wer behauptet das?“, fragte Kate.

„John“, antwortete Laura. „Offenbar hat Sean es ihm selbst erzählt.“

Was würde Laura sagen, wenn sie wüsste, dass Sean einen Sohn hat? überlegte Kate.

Sean saß am Schreibtisch und runzelte die Stirn. Aber nicht das Gespräch, das er soeben mit seinem Steuerberater geführt hatte, war der Grund für seinen Unmut. Seine Gefühle waren in Aufruhr geraten, was er für einen Mann seines Alters höchst unpassend fand. Dabei war er davon überzeugt gewesen, er hätte seine Emotionen unter Kontrolle.

Nach der Scheidung von Kate hatte er sie voll und ganz aus seinem Leben gestrichen. Aber hatte er sie auch aus seinem Herzen verdrängen können?

Nichts hat sich geändert, mahnte er sich ärgerlich. Er hatte damals einen bestimmten Grund gehabt, sich scheiden zu lassen, und dieser Grund bestand weiterhin. Es war ein Problem, das sich nicht aus der Welt schaffen ließ und das er nie vergessen würde.

Gereizt schob er den Bürosessel zurück, stand auf und stellte sich ans Fenster. Stimmte das wirklich, was er sich da einredete? Warum hatte er dann am Wochenende so etwas Außergewöhnliches getan? Normalerweise verbrachte er seine Zeit nicht in Spielzeuggeschäften, und er hatte auch noch nie einen Spielzeugzug gekauft.

Er schloss die Augen und schob die Hände in die Taschen. Als er in das Einkaufszentrum gegangen war, hatte er gar nicht vorgehabt, Spielzeug zu kaufen. Er hatte sich Fernsehgeräte ansehen wollen und rein zufällig das Spielwarengeschäft nebenan entdeckt. Doch warum machte er sich überhaupt Gedanken darüber, dass er den Zug gekauft hatte? Das hatte er nur getan, weil die Verkäuferin geglaubt hatte, er interessiere sich dafür. Es wäre ihm peinlich gewesen, hinauszugehen, ohne etwas zu kaufen.

In seinen Augen blitzte es belustigt auf, als er sich daran erinnerte, wie verblüfft der kleine Junge gewesen war, dem er das relativ teure Spielzeug sogleich geschenkt hatte. Die Mutter des Kindes hatte zunächst protestiert, doch Sean hatte sie überzeugt, dass ihr Sohn das Geschenk annehmen konnte. Er hoffte, die Frau hätte jetzt nicht den Verdacht, er hätte Hintergedanken dabei gehabt. Ganz unrecht hätte sie in dem Fall nicht, wie er sich eingestand. Immerhin hatte er über die Vergangenheit gegrübelt und Spielzeug gekauft, weil er Kates Sohn auf dem Arm gehabt hatte. Dabei waren Erinnerungen wach geworden an eine Zeit, in der sein Leben …

Nein, diese Zeit war endgültig vorbei. Dennoch musste er sich mit den Tatsachen auseinandersetzen, auch wenn es ihm nicht behagte.

„Kommst du mit in den Pub zum Mittagessen?“, fragte Laura.

Kate saß am Computer und schüttelte den Kopf, ohne aufzublicken. „Nein, das ist leider unmöglich. Ich muss das hier erst fertig machen. Außerdem habe ich mir etwas zu essen mitgebracht.“

Sie hätte gern ihre Kolleginnen und Kollegen ins Pub zum Mittagessen begleitet. Doch als alleinerziehende Mutter konnte sie sich solche Extras nicht oft erlauben.

Als Laura weg war, ging Kate mit ihren Sandwiches über den Flur zum Pausenraum. Plötzlich kam Sean aus der unteren Etage die Treppe herauf. Kate reagierte auf seinen Anblick genau wie damals, als sie noch ein Paar gewesen waren. Sie machte einige Schritte auf ihn zu, ehe sie stehen blieb.

Als ihr bewusst wurde, was sie gemacht hatte, war sie schockiert und errötete. Sie erinnerte sich sogleich an eine ganz besondere Begebenheit. Sean war in dem kleinen Haus die Treppe heraufgeeilt, hatte sie, Kate, in die Arme genommen, sie im Kreis herumgewirbelt und sie langsam an seinem Körper hinuntergleiten lassen. Dann hatte er sie leidenschaftlich und voller Verlangen geküsst.

Später hatten sie die Neuigkeit im Bett mit Champagner gefeiert, die er erzählt hatte: Er hatte einen wichtigen und großen Auftrag bekommen.

„Kathy, was ist los?“, fragte Sean und betrachtete ihre entsetzte Miene.

Rasch nahm Kate sich zusammen und wollte um ihn herumgehen. Doch er packte sie am Arm und hielt sie fest.

„Du sollst mich nicht mehr Kathy nennen“, forderte sie ihn scharf auf. „Das habe ich dir schon einmal gesagt. Ich bin jetzt Kate. Und musst du mich wirklich fragen, was los ist?“

Sie ärgerte sich darüber, dass ihr Körper prompt auf die Berührung reagierte. Lag es vielleicht daran, dass sie seit der Trennung von Sean mit keinem Mann mehr zusammen gewesen war? Oder lag es daran, dass es ihr Exmann war, der sie berührte? Seit er sie geküsst hatte, konnte sie die Erinnerungen an die schöne Zeit mit ihm einfach nicht mehr verdrängen.

Beinah automatisch machte sie einen Schritt auf ihn zu und seufzte. Sean sah sie mit seinen blauen Augen wie gebannt an, und sie erwiderte seinen Blick, während er mit dem Daumen ihren Arm streichelte. Er wusste genau, wie verletzlich sie war und wie leidenschaftlich sie auf seine Zärtlichkeiten reagiert hatte. Es wäre so leicht, sich an ihn zu schmiegen und sich in seinen Armen geborgen zu fühlen. Und sie sehnte sich danach, in seinem Blick dasselbe Verlangen zu lesen wie damals.

Plötzlich wurde hinter ihr eine Tür geöffnet, und Kate wich zurück. Vor ihrem Mann und bestem Freund hatte sie während des Zusammenseins ihre Gefühle nicht zu verbergen brauchen, wenn er sie ansah und berührte. Doch jetzt war alles anders. Sie löste sich aus seinem Griff.

„Was ist das?“ Er wies auf die eingepackten Sandwiches, die sie in der Hand hielt.

„Mein Mittagessen.“

„Wie bitte? Das ist alles? Müsstest du deinem Sohn zuliebe nicht etwas Richtiges essen?“ Seine Stimme klang leicht vorwurfsvoll.

All die leidenschaftlichen Gefühle, die sie gerade noch empfunden hatte, waren wie ausgelöscht. Kate war nur noch empört. „Obwohl du kein Recht mehr dazu hast, mich zu kritisieren oder irgendetwas zu hinterfragen, was ich mache, kann ich dir verraten, dass ich mir nur Oliver zuliebe das Essen von zu Hause mitnehme“, erklärte sie zornig. „Es kostet Geld, ein Kind großzuziehen. Davon hast du natürlich keine Ahnung, und es ist dir auch egal. Du hast dich entschlossen, dich nicht mit Kindern zu belasten“, fügte sie ironisch hinzu. „Mir das Essen mitzubringen ist wesentlich billiger, als ins Pub zu gehen. Was hast du?“, fragte sie, als sie seine seltsame Miene bemerkte. „Lass mich raten. Du magst dich hier als besorgter Chef aufspielen, aber ich kenne dich besser. Und ehe du mich daran erinnerst: Ich weiß, dass du reich genug bist, in den teuersten Luxusrestaurants zu essen. Das war jedoch nicht immer so. Es gab eine Zeit, als ein Sandwich für dich ein wahrer Luxus war.“

Er versteifte sich und schien sich zu ärgern. Ich bin zu weit gegangen, dachte Kate. Doch sie war nicht bereit, sich zu entschuldigen, sondern hob herausfordernd den Kopf.

„Dein Sohn hat sicher einen Vater“, antwortete Sean kühl. „Warum zahlt er keinen Unterhalt?“

Sekundenlang sah Kate ihn schweigend an. Sie war sehr verletzt. Aber das interessierte ihn natürlich nicht. „Olivers Vater wollte ihn nicht, deshalb zahlt er keinen Unterhalt und kümmert sich auch sonst nicht um ihn.“ Dann ging sie an ihm vorbei und lief die Treppe hinunter, denn sie befürchtete, die Beherrschung zu verlieren.

Sean blickte hinter ihr her. Sie war viel zu schlank, sehr angespannt und nervös. Sie hatte offenbar Sorgen. Auch wenn sie glaubte, es verbergen zu können, war ihm klar, dass sie sehr bescheiden lebte und keineswegs in dem Luxus, den er ihr hätte bieten können. Hatte sie überhaupt noch an ihn gedacht, als sie mit dem Vater ihres Kindes zusammen gewesen war?

Rasch verdrängte Sean die Gedanken. Es war zu gefährlich, sie weiterzuverfolgen.

Nach der Mittagspause konnte Kate sich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren, sondern musste immer an Sean denken. Sie hatte Herzklopfen und war so angespannt, dass ihre Muskeln schmerzten. Und alles konnte noch schlimmer werden.

Nachdem Sean sie verlassen hatte, hatte in den ersten schwierigen Monaten danach nur das Kind, das sie erwartete, ihr geholfen, nicht zusammenzubrechen. Es hatte ihr Mut und Kraft gegeben weiterzumachen.

Zwei Monate nach Seans Ankündigung, er wolle sich scheiden lassen, hatte sie festgestellt, dass sie schwanger war. Bis zu dem Moment war es ihr egal gewesen, was mit ihr geschah. Wenn sie die Wahl gehabt hätte, wäre sie lieber tot gewesen. Sie hatte nicht gewusst, wie sie ohne Sean weiterleben sollte.

„Du wirst bald darüber hinwegkommen und einen anderen Mann kennenlernen, mit dem du die Kinder haben kannst, die du dir so sehr wünschst“, hatte er gesagt.

Seine gefühllosen Worte hatten sie zutiefst getroffen. Sie hatte nur mit ihm Kinder haben wollen. Aber er liebte sie nicht mehr. Das Haus, in dem sie gewohnt hatten, war leer, und sie hatte sich eine Unterkunft gemietet. Sie lehnte es kategorisch ab, von Sean Geld anzunehmen. Sie wusste auch gar nicht, wo er sich befand. Und dann stellte sich heraus, dass sie schwanger war.

Weil er plötzlich keine Kinder mehr hatte haben wollen, beschloss sie, ihn nicht über die Schwangerschaft zu informieren. Er hatte sie zurückgewiesen, und der Schmerz darüber hätte sie beinah vernichtet. Ihrem Kind wollte sie ein ähnliches Schicksal ersparen.

Sie nahm sich fest vor, Sean nicht mehr zu lieben. Nach Olivers Geburt hatte sie geglaubt, es wäre ihr gelungen, alle Gefühle für ihren Exmann zu überwinden.

Jetzt befürchtete sie, dass sie sich getäuscht hatte. Sie war immer noch sehr verletzt, und zugleich sehnte sie sich nach ihm. Egal, welche Konsequenzen er ihr androhte, sie musste so rasch wie möglich weg von ihm. Sie beschloss, sogleich zu handeln.

Sie stand auf und ging in das Büro, das einmal Johns gewesen war und das Sean jetzt benutzte, um sich mit seiner neuen Firma und den täglich anfallenden Arbeiten vertraut zu machen. Doch Sean war nicht da, zumindest glaubte sie es. Die Tür zu dem angrenzenden Privatzimmer mit Ankleideraum und Duschbad war nur angelehnt. Kate hörte, dass dort jemand herumlief. Es konnte nur Sean sein.

Entschlossen durchquerte Kate das Büro und legte die Hand auf die Türklinke. Auf einmal zögerte sie. Einerseits war sie noch nicht bereit zu einer erneuten Konfrontation mit ihrem Exmann. Andererseits wollte sie die ganze Sache so rasch wie möglich hinter sich bringen.

Nervös räusperte sie sich, atmete tief ein und rief: „Sean, bist du da? Ich muss unbedingt mit dir reden.“

Nichts geschah, alles war ruhig. Kate verließ der Mut. Vielleicht hatte sie sich geirrt, und Sean war gar nicht da. Sie drehte sich um und wollte gehen.

Und dann blieb sie wie erstarrt stehen. Die Tür wurde geöffnet, und Sean stand völlig nackt da. Das Wasser lief seinen Körper hinunter, und er wickelte sich das Handtuch um die Hüften. Sekundenlang war Kate sprachlos und sah ihn fassungslos an.

„Oh, du hast geduscht“, brachte sie schließlich atemlos hervor.

„Richtig“, antwortete er spöttisch.

Kate versuchte, die Sehnsucht zu verdrängen, die sie empfand. Er hätte sich wenigstens etwas überziehen können, statt nur mit dem Handtuch um die Hüften aufzutauchen, dachte sie ärgerlich. Rasch wandte sie den Blick ab.

„Komm herein, und mach die Tür zu“, forderte Sean sie auf.

Sie wollte sich empört weigern, doch er fügte freundlich hinzu: „Oder willst du riskieren, dass uns jemand in dieser verfänglich wirkenden Situation überrascht?“

Während sie noch überlegte, was sie dazu sagen sollte, machte Sean die Tür zu und schloss sie ab.

„Weshalb hast du abgeschlossen?“ Kate war es unangenehm, dass man ihr anhörte, wie beunruhigt sie war.

„Damit niemand hereinkommt, weshalb sonst?“, erwiderte er. „Oder hast du dich vielleicht daran erinnert, was wir …?“

„Ich habe mich an gar nichts erinnert“, unterbrach sie ihn geradezu panisch. „Ich wollte nur …“ Sie verstummte, als er einige Schritte zurücktrat. Wieder betrachtete sie seinen beinah nackten Körper.

Schon damals hatte er einen schönen Körper gehabt. Kate war fasziniert gewesen, als sie Sean zum ersten Mal nackt gesehen hatte. Sie hatte geglaubt, er sei absolut perfekt mit den breiten Schultern, den starken Armen, der muskulösen Brust und dem flachen Bauch. Aber offenbar hatte sie sich getäuscht, denn jetzt wirkte er noch perfekter. Oder hatte sie nur vergessen, wie ungemein erotisch und männlich er war? Sie bemühte sich, die Sehnsucht und das Verlangen zu ignorieren, die sie empfand.

Oberhalb des Handtuchs bemerkte sie die kleine helle Narbe. Sie stammte von einem Unfall, den er als Fünfzehnjähriger gehabt hatte. In dem Alter hatte er schon gearbeitet, statt in die Schule zu gehen. Es hatte sehr wehgetan. Er hatte jedoch die Schmerzen schweigend ertragen, um nicht von den Arbeitskollegen verspottet zu werden. Außerdem hatte er nicht zum Arzt gehen wollen, um keinen Verdienstausfall zu haben.

Kate war sehr betroffen gewesen, als er es erzählte, und hatte die Lippen auf die Narbe gepresst. Sean war ihr mit den Händen durchs Haar gefahren, und dann …

Nein, das muss aufhören, sagte sie sich entsetzt, als ihr bewusst wurde, wohin ihre Gedanken wanderten und wie sehr sie sich wünschte, das alles noch einmal zu erleben. Sie musste unbedingt den Raum verlassen und drehte sich um.

„Kate.“ Sean packte sie am Handgelenk. Es fühlte sich viel zerbrechlicher an als damals. Er ärgerte sich darüber, dass sie offenbar nicht gut genug auf ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen achtete. Noch mehr ärgerte er sich darüber, dass der Vater ihres Kindes sie verlassen und verletzt hatte. Sean hätte sie am liebsten beschützt.

Ohne nachzudenken, nahm er sie in die Arme, obwohl sie sich wehrte. Dann fuhr er ihr mit der Hand durchs Haar. „Ich bin froh, dass dein Haar immer noch so lang ist.“ Seine Stimme klang rau.

Kate hörte auf, sich zu wehren. Sie spürte seinen warmen Körper an ihrem und war von ihren Gefühlen so überwältigt, dass sie leise stöhnte. Auf diese Reaktion schien er gewartet zu haben, denn sogleich presste er die Lippen leidenschaftlich und voller Verlangen auf ihre.

Die Vergangenheit und der Schmerz waren wie ausgelöscht. Für Kate gab es nur noch das Hier und Jetzt – und Sean.

Mit der einen Hand umfasste er ihr Gesicht und ließ die Finger zärtlich über ihre Wangen und den Hals gleiten.

Sehnsüchtig schmiegte Kate sich an ihn. Sie löste das Handtuch von seinen Hüften, so als hätte sie immer noch das Recht dazu, Seans nackten Körper zu spüren und überall zu berühren. Sean konnte dasselbe mit ihr machen, er konnte sie überall streicheln und liebkosen wie damals, als sie ein Ehepaar gewesen waren und sich noch geliebt hatten.

Obwohl sie genau wusste, dass das alles der Vergangenheit angehörte, waren ihr Verlangen und ihre Sehnsucht stärker als jede Vernunft.

Sean stöhnte auf, als sie seine nackte Haut berührte. Er konnte sich nicht beherrschen, denn er sehnte sich schon viel zu lange nach Kate, wie er sich eingestand, während er die Lippen über ihren Hals gleiten ließ. Beinah automatisch fing er an, Kate auszuziehen. Und als er ihre nackten Brüste berührte, erbebte sie. Ihre Brustspitzen richteten sich auf, und er streichelte sie zärtlich mit dem Daumen. Sie presste sich mit den Hüften an seine.

„Ist dir klar, wohin das führt?“, fragte er rau.

Statt zu antworten, nahm Kate seine Hand und führte sie an ihrem Körper hinunter. Schließlich machte Sean dasselbe mit ihr, und Kate umfasste ihn.

Seit der Trennung war sie mit keinem Mann mehr zusammen gewesen. Sie hatte auch nie den Wunsch gehabt, einen anderen Mann zu küssen und zu berühren. Doch mit Sean war alles anders, es gefiel ihr, ihn zu liebkosen und zu erregen.

„Kate … Kate“, sagte er, und es klang seltsam gequält.

Wieder streichelte sie ihn zärtlich und konnte ihr eigenes Verlangen kaum noch beherrschen.

Das ist Himmel und Hölle zugleich, dachte Sean. Es war genau das, was er sich sehnlichst gewünscht hatte, es war aber auch das, was er nicht haben konnte. Geradezu hilflos überließ er sich seinem Verlangen. Doch dann wurde ihm bewusst, dass er Kate schon viel zu lange die Führung überlassen hatte. Er nahm sie in die Arme und küsste sie leidenschaftlich und besitzergreifend.

Sie klammerte sich an ihn und erwiderte seine Küsse genauso leidenschaftlich. Sie wollte mehr, viel mehr. Plötzlich läutete das Telefon in Seans Büro.

Entsetzt über sich selbst, löste Kate sich von ihm, zog sich schnell an und verließ fluchtartig den Raum. Seans Aufforderung, bei ihm zu bleiben, ignorierte sie.

4. KAPITEL

„Und jetzt ist dieser verdammte Grippevirus im Umlauf“, erklärte Carol.

Kate presste die Hände auf die Schläfen, um die heftigen Kopfschmerzen zu lindern und sich auf ihre Freundin zu konzentrieren.

„Es ist wirklich sehr heftig dieses Jahr“, fuhr Carol fort. „Ich habe schon darüber nachgedacht, George einige Tage zu Hause zu lassen.“

Diese Möglichkeit hatte Kate leider nicht. Sie war auf die Kinderkrippe angewiesen, denn sie musste für Oliver und sich den Unterhalt verdienen.

Als Carol weg war, betrachtete Kate ihren Sohn leicht besorgt. Obwohl er mit George so fröhlich wie immer gespielt hatte, wirkte er bedrückt. „Hast du immer noch Bauchschmerzen, Liebling?“

„Besucht Sean uns wieder?“, fragte er, statt zu antworten.

Kate war schockiert, und die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Das Herz wurde ihr schwer. Am liebsten hätte sie Oliver in den Arm genommen und an sich gedrückt, damit nichts und niemand ihn verletzen konnte. Aber es war sinnlos, sich noch länger selbst zu belügen. In Seans Armen an diesem Nachmittag war ihr klar geworden, dass sie ihn immer noch liebte. Und deshalb lief sie vor ihm davon. Er liebte sie nicht mehr, das hatte er ihr vor fünf Jahren erklärt. Seine Liebe war erloschen, das war nicht zu ändern.

„Nein, Oliver, das tut er nicht“, erwiderte sie deshalb.

„Ich will aber, dass er kommt“, entgegnete er und verzog schmollend die Lippen.

Sie empfand tiefen Schmerz und fuhr Oliver liebevoll übers Haar.

Er blickte sie vorwurfsvoll an und stellte die Frage, vor der sie sich gefürchtet hatte. „Warum habe ich keinen Dad wie George?“

Verzweiflung stieg in Kate auf. Oliver war zu jung, um zu verstehen, dass sein Vater ihn nicht gewollt hatte. „Nicht alle Dads und Moms leben zusammen wie Georges Eltern“, erwiderte sie behutsam.

„Wo wohnt mein Dad denn?“, wollte er wissen, nachdem er kurz nachgedacht hatte.

„Es ist Zeit, ins Bett zu gehen, Oliver“, erklärte sie. Sie war sich bewusst, dass ihr Sohn sich früher oder später nicht mehr so leicht ablenken lassen würde. Es kam ihr vor wie eine schwere Last. „Welche Geschichte soll ich dir heute vorlesen?“

Sean blickte aus dem Fenster des luxuriösen Apartments, das er für die Dauer seines Aufenthalts hier gemietet hatte. Wenn er sich überhaupt erlaubt hatte, an Kate zu denken, hatte er sich vorgestellt, sie lebe mit einem liebevollen Mann und mehreren Kindern zufrieden irgendwo auf dem Land. Die harte Wirklichkeit schockierte ihn. Sie hatte sich ihren Wunsch nach einem Kind erfüllt, aber wo war der Mann, der an ihrer Seite sein, sie lieben und unterstützen sollte?

Natürlich hatte Sean nicht vergessen, wie er gelebt hatte, ehe er geschäftlich so erfolgreich geworden war. Deshalb konnte er sich gut vorstellen, wie schwierig es für Kate war, finanziell zurechtzukommen.

Warum verklagte sie den Kerl, der sie und seinen Sohn verlassen hatte, nicht auf Unterhalt? Wenn man ein Kind hatte, durfte man sich als Mann der Verantwortung nicht entziehen. Aus eigener Erfahrung wusste Sean, wie schwierig es für ein Kind war, in Armut aufzuwachsen. Oliver lebte nicht in Armut, aber es war für seine Mutter offenbar nicht leicht, ihn und sich durchzubringen.

Ärgerlich fuhr Sean sich mit der Hand durchs Haar. Als er Kate kennengelernt hatte, war er ein ungebildeter, zorniger, eigensinniger junger Mann gewesen. Kate hatte ihn nicht nur von ganzem Herzen geliebt, sie hatte noch viel mehr für ihn getan. Sie hatte ihm in jeder Hinsicht geholfen und ihn ermutigt. Was er jetzt war, hatte er ihr zu verdanken.

Er wünschte, er könnte etwas für sie tun, und drehte sich um. Nachdenklich betrachtete er die Luxuswohnung, die keineswegs kinderfreundlich war. Sie war nicht mit dem alten Pfarrhaus zu vergleichen, von dem Kate damals so begeistert gewesen war. Er schloss die Augen und atmete tief ein. Hatte sie den Vater ihres Kindes geliebt? Wer, zum Teufel, war er?

Entschlossen griff Sean nach den Autoschlüsseln, die auf der steril wirkenden Arbeitsfläche in der Küche lagen. In einer halben Stunde wäre er bei Kate. Er würde darauf bestehen, dass sie ihm den Namen von Olivers Vater verriet. Und dann würde er dafür sorgen, dass dieser Mann seine Pflicht erfüllte und Unterhalt zahlte.

Oliver lag im Bett und schlief, und Kates Kopfschmerzen hatten etwas nachgelassen. Die Wäsche, die sie am Morgen aufgehängt hatte, war trocken und konnte gebügelt werden.

Kate erledigte gern so viel Hausarbeit wie möglich, wenn Oliver abends im Bett lag. Dann hatte sie das Wochenende frei und konnte sich ganz um ihn kümmern. Sie wollte alles tun, was sie tun konnte, um ihm den Vater zu ersetzen.

Während des Bügelns bemerkte sie plötzlich einen Schatten vor dem Küchenfenster und sah auf. Als sie Sean erkannte, erstarrte sie vor Schreck. Dann nahm sie sich zusammen, stellte das Bügeleisen ab und öffnete die Tür. Sie wollte vermeiden, dass er klopfte und Oliver wach wurde.

Wollte Sean ihr mitteilen, dass er es sich anders überlegt habe und sie die Kündigungsfrist nicht einzuhalten brauche? Seltsamerweise freute sie sich über diese Möglichkeit nicht. Hatte ihm ihr Verhalten am Nachmittag im Büro verraten, dass sie ihn immer noch liebte?

Was auch immer der Grund seines Auftauchens war, Sean war nicht so eitel und selbstgefällig, dass er sich darüber freute, von einer Frau geliebt zu werden, auf deren Gefühle er keinen Wert mehr legte. Da er sich damals skrupellos und rücksichtslos von ihr getrennt hatte, würde er nicht zögern, sie auch jetzt wieder aus seinem Leben zu streichen.

Obwohl sie entschlossen gewesen war, die Firma so rasch wie möglich zu verlassen, bereitete ihr der Gedanke, Sean würde auf die Einhaltung der Kündigungsfrist verzichten, Unbehagen. Es kam ihr vor wie eine Ironie des Schicksals.

„Hallo, Sean. Was willst du?“, fragte sie und wünschte, er würde sie in die Arme nehmen und …

Für ihren Geschmack stellte er sich viel zu dicht vor sie. Sie bemerkte, dass er sich rasiert hatte. Auf einmal fiel ihr ein, wie es früher gewesen war, wenn sie ihn von der Arbeit abgeholt hatte. Sie hatte ihn damit geneckt, dass er nicht rasiert war. Er hatte sie angeblickt und sie daran erinnert, dass er sich lieber rasierte, ehe er ins Bett ging. Dabei hatte seine Stimme rau und verführerisch geklungen. „Du hast so eine feine Haut. Ich will dir doch mit den Bartstoppeln nicht wehtun“, hatte er hinzugefügt.

Verzweiflung und Trostlosigkeit stiegen in ihr auf.

„Wer ist Olivers Vater, Kate?“ Er sah sie durchdringend an.

Sie fühlte sich plötzlich ganz schwach auf den Beinen und hielt sich an der Küchentischkante fest. Was soll ich machen? überlegte sie krampfhaft. Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit: Sie musste ihm die Wahrheit sagen.

Ehe der Mut sie verließ, atmete sie tief ein und erwiderte ruhig: „Du, Sean.“

Sekundenlang schwieg er betroffen. „Nein“, stieß er dann so heftig hervor, dass Kate das Gefühl hatte, all ihre Hoffnungen seien damit endgültig zerstört. „Nein“, wiederholte er ungestüm und schüttelte den Kopf. „Das ist eine Lüge, Kate. Ich weiß, wie sehr ich dich verletzt habe, als ich mich von dir getrennt habe. Ich kann auch gut verstehen, dass du wenig später schon einen neuen Partner hattest. Aber es ist unmöglich, dass ich Olivers Vater bin.“

Einen neuen Partner? dachte Kate verbittert. Ihr Zorn darüber, dass Sean seinen Sohn ablehnte, wuchs. Doch auch ihr Schmerz wurde stärker. Was hatte sie erwartet? Oder besser, was hatte sie gehofft?

Sie hatte sich gewünscht, Sean würde sie umarmen und zugeben, dass alles ein Fehler gewesen sei und er sie noch liebe. Sie hatte vielleicht sogar gehofft, er würde sie umso mehr lieben, weil sie einen gemeinsamen Sohn hatten.

„Ja, du hast mich verletzt, Sean“, stimmte sie ruhig zu. „Aber das war gar nichts im Vergleich zu dem, was du mir soeben angetan hast. Mich kannst du verletzen, sooft und sosehr du willst. Ich lasse jedoch nicht zu, dass Oliver verletzt wird.“ Ihr eigener Schmerz und ihre Gefühle waren nicht so wichtig wie ihr Bedürfnis, ihr Kind zu beschützen.

Für Oliver würde sie alles tun, auch ihre eigenen Wünsche zurückstellen. Ihr war klar, dass ihre Liebe zu Sean nie erloschen war. Doch Oliver zuliebe würde sie alle Gefühle für Sean verdrängen.

Seans Reaktion auf die Eröffnung, er sei Olivers Vater, bewies Kate, dass sie sich damals richtig entschieden hatte. Es war gut gewesen, dass sie ihm die Schwangerschaft verschwiegen hatte. Andererseits tat ihr Seans Zurückweisung seines eigenen Kindes so weh, dass sie glaubte, es würde ihr das Herz zerreißen.

Ihr Zorn darüber, was er ihrem Sohn antat, gab ihr die Kraft, Sean ihre ganze Verachtung spüren zu lassen. „Okay, Sean, du kannst deinen Sohn genauso zurückweisen, wie du mich zurückgewiesen hast. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass du sein Vater bist.“

Er konnte sich nur mühsam beherrschen und wirkte sehr angespannt. Kate war zufrieden mit der Wirkung ihrer Worte.

„Es ist unmöglich. Er kann nicht mein Sohn sein“, entgegnete er hart.

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