Julia Extra Band 320

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VERFÜHRT VON EINEM PLAYBOY von ARMSTRONG, LINDSAY
Als Bridget bei einem Unwetter von der Straße abkommt, wird sie von einem geheimnisvollen Fremden gerettet - und verführt. Alles scheint wie ein Traum. Bis Bridget kurz darauf entdecken muss: Sie ist schwanger! Und der Fremde ist Adam Beaumont, ein berüchtigter Playboy!

SAG EINFACH NUR: ICH LIEBE DICH! von KENDRICK, SHARON
So leidenschaftlich zieht Prinz Xaviero sie in seine Arme, so erregend küsst er sie … Cathy muss sich diesem Mann einfach hingeben! Auch wenn er von vornherein bestimmt hat: eine Affäre, mehr nicht! Doch dann muss er plötzlich heiraten - und macht ihr überraschend einen Antrag …

LIEBESZAUBER AUF SANTORIN von MOREY, TRISH
Auf Santorin soll Cleo einen Monat lang seine Geliebte spielen. Dafür zahlt der attraktive Grieche Andreas Xenides ihr eine Million Dollar. Ein reines Geschäft? Als Andreas es mit einem sinnlichen Kuss besiegelt, verspürt Cleo plötzlich heiße Leidenschaft …

AUSGERECHNET MIT DEM BOSS? von MARINELLI, CAROL
Emma hat ihren Traumjob gefunden: Sie wird die Assistentin für den erfolgreichen Unternehmer Luca d’Amato. Aber gehört es wirklich zu ihren Aufgaben, ihren umwerfend gut aussehenden Boss nach Italien zu begleiten? In seine Villa … und in sein Bett?


  • Erscheinungstag 29.09.2010
  • Bandnummer 320
  • ISBN / Artikelnummer 9783862950584
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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IMPRESSUM

JULIA EXTRA erscheint vierwöchentlich im CORA Verlag GmbH & Co. KG,

20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

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Geschäftsführung:

Thomas Beckmann

Redaktionsleitung:

Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)

Cheflektorat:

Ilse Bröhl

Lektorat/Textredaktion:

Sarah Hielscher

Produktion:

Christel Borges, Bettina Schult

Grafik:

Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,

Marina Grothues (Foto)

Vertrieb:

asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg

Telefon 040/347-29277

Anzeigen:

Christian Durbahn

 

Es gilt die aktuelle Anzeigenpreisliste.

© 2009 by Trish Morey

Originaltitel: „His Mistress For A Million“

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

in der Reihe: MODERN ROMANCE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Übersetzung: SAS

© 2009 by Carol Marinelli

Originaltitel: „Innocent Secretary … Accidentally Pregnant“

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

in der Reihe: MODERN ROMANCE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Übersetzung: Juliane Zaubitzer

© 2010 by Lindsay Armstrong

Originaltitel: „One-Night Pregnancy“

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

in der Reihe: MODERN ROMANCE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Übersetzung: SAS

© 2009 by Sharon Kendrick

Originaltitel: „The Prince’s Chambermaid“

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

in der Reihe: MODERN ROMANCE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Übersetzung: Rita Koppers

Fotos: shutterstock_RJB Photo Library

Deutsche Erstausgabe in der Reihe: JULIA EXTRA

Band 320 (11/1) 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Veröffentlicht im ePub Format im 10/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

ISBN-13: 978-3-86295-058-4

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

JULIA EXTRA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

Aus Liebe zur Umwelt: Für CORA-Romanhefte wird ausschließlich 100% umweltfreundliches Papier mit einem hohen Anteil Altpapier verwendet.

Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, HISTORICAL MYLADY, MYSTERY, TIFFANY HOT & SEXY, TIFFANY SEXY

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Trish Morey

Liebeszauber auf Santorin

1. KAPITEL

Rache ist süß.

Andreas Xenides sah zu dem heruntergekommenen Gebäude in der engen Londoner Gasse, das sich auf der im stürmischen Wind schaukelnden Namenstafel als Hotel ausgab.

Wie lange suchte er jetzt schon nach dem Mann, der dort lebte? Wie viele Jahre? Er schüttelte den Kopf, ohne auf die Passanten zu achten, die mit gegen die Kälte hochgeschlagenen Mantelkrägen an ihm vorbeihasteten. Es war unwichtig, wie lange. Jetzt hatte er ihn gefunden.

Das Handy in seiner Tasche klingelte. Mit einem irritierten Stirnrunzeln zog er es hervor. Sein Anwalt hatte doch versprochen, ihn nur anzurufen, falls es ein Problem geben sollte. Doch ein Blick auf die Nummer im Display, und Andreas ließ das Telefon unbeantwortet in die Tasche zurückgleiten. Nichts auf Santorin war wichtiger als das, was heute hier in London geschah. Wusste Petra das nicht?

Der Wind wurde noch heftiger, bevor Andreas die Straße überquert hatte, die grau und nass vor ihm lag. Fußgänger suchten eiligst vor den Böen Schutz. Er stieg die ausgetretene Außentreppe des Hotels empor. Die Tür war verschlossen, wie er vermutet hatte. Es gab eine Klingel und eine mitgenommen aussehende Kamera an der Hauswand. Doch der Zufall kam ihm zu Hilfe. Ein Paar mit festem Schuhwerk und Geldgürteln unter den Regenblousons trat aus dem Haus, zu angewidert vom Wetter, als dass es auf ihn geachtet hätte. Schon stand er im Inneren und folgte den handgeschriebenen Hinweisschildern zur Rezeption.

Die Dielenbretter ächzten bei jedem Schritt unter dem abgelaufenen Teppich. Die Pfeile wiesen ins Souterrain. Auf der Treppe dorthin musste Andreas den Kopf einziehen. Irgendwo plärrte ein Radio, und Andreas rümpfte die Nase über den Geruch von Verfall, der ihm entgegenschlug und gegen den auch das stärkste Reinigungsmittel nicht ankam.

Dieses Gebäude war kaum bewohnbar. Auch wenn die Kapriolen des Londoner Wetters jenseits seiner Macht lagen, zweifelte er nicht daran, dass die Gäste des Hauses wesentlich zufriedener mit den Unterbringungsmöglichkeiten wären, die er ihnen gleich bieten würde.

Am Ende des kurzen Gangs stand eine Tür halb offen, ein weiterer handgemalter Pfeil wies den Weg zum „Büro“. Für einen Moment war Andreas so auf diese Tür und die Ausführung seines lang gehegten Vorsatzes fixiert, dass er die zerzauste Gestalt gar nicht bemerkte, die sich jetzt bückte, einen vollen Abfallsack in der einen Hand, um mit der anderen den Staubsauger aufzunehmen. Wohl die Reinmachefrau, dachte er, als sie sich wieder aufrichtete. Er glaubte schon, sie wolle ihm etwas sagen, dann jedoch drückte sie sich nur in eine Tür, um ihn vorbeizulassen. Dunkle Ringe lagen unter ihren geröteten Augen, das Haar klebte um ihr Gesicht, die Arbeitsuniform war schmutzig. Schnell wandte er den Blick wieder von ihr ab. Als er an ihr vorbeiging, roch er Salmiak und schales Bier. Das war also das Personal, das hier arbeitete. Kein Wunder bei einer solchen Absteige.

Nur vage nahm er ihre sich entfernenden Schritte wahr, hörte, wie der Staubsauger irgendwo anstieß und sie einen leisen Schrei ausstieß. Aber er drehte sich nicht um. Er stand im Begriff, das Versprechen zu erfüllen, das er seinem Vater auf dem Sterbebett gegeben hatte.

Diesen Moment wollte er auskosten, darum verharrte er kurz. Er wünschte, sein Vater könnte hier sein. Doch er war sicher, dass er ihm zusah, wo immer er jetzt auch sein mochte.

Es war so weit.

Mit zwei Fingern stieß er die Tür auf und ließ die ungeölten Angeln seine Ankunft ankündigen. Der Mann am Schreibtisch schaute nicht einmal auf. Er telefonierte und kritzelte etwas auf einen Notizblock.

„Nehmen Sie Platz.“ Der Mann deutete abwesend zu einem kleinen Sofa. „Ich bin gleich fertig.“

„Ich stehe lieber“, stieß Andreas durch seine zusammengepressten Lippen aus. Er sagte es in Griechisch.

Der Kopf des Mannes ruckte hoch, alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Mit rot geränderten Augen starrte er zu dem Neuankömmling, krächzte etwas Unverständliches und legte fahrig den Telefonhörer zurück. Überhastet stieß er sich mit dem Stuhl zurück, landete in dem vollgestellten Raum krachend an der Wand, doch er versuchte nicht einmal, aufzustehen. Vielleicht weil seine Knie zu sehr zitterten, vermutete Andreas.

„Was willst du hier?“

Andreas trat in den Raum und baute sich drohend vor dem Schreibtisch auf, hinter dem der Mann kauerte. Träge nahm er einen Brieföffner auf und befühlte ihn mit schlanken, kräftigen Fingern. Der andere beobachtete ihn nervös.

„Es ist lange her, Darius. Oder sollte ich dich lieber Demetrius nennen? Oder vielleicht Dominic? So viele Namen … ich kann sie mir gar nicht alle merken. Du verbrauchst Namen wie andere Leute Toilettenpapier.“

Der ältere Mann leckte sich über die Lippen, gehetzt blickte er um sich. Aus der Nähe konnte Andreas erkennen, wie sehr der ehemalige Freund und Partner seines Vaters gealtert war. Fast schockierte es ihn. Nur wenig älter als fünfzig, hatte Darius nur noch schütteres graues Haar, und einst drahtig und robust, wirkte er jetzt zusammengefallen und knochig. Das Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen.

Die Zeit war also nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Pech. Jeder Anflug von Mitgefühl schwand, als Andreas das listige Funkeln in Darius’ Augen aufglimmen sah. Im Moment mochte der Mann Angst verspüren, aber Andreas wusste, er konnte jederzeit zum Angriff übergehen. Nicht, dass es ihm viel nützen würde.

„Wie hast du mich gefunden?“

„Das habe ich immer an dir geschätzt, Darius. Du hast nie viel Zeit mit Small Talk vergeudet. Kein ‚Wie geht es dir?‘, kein ‚Schönen Tag noch‘.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du hier bist, um nett zu plaudern.“

„Stimmt.“ Andreas schaute sich um und führte eine interessierte Bestandsaufnahme des Zimmers durch. Er genoss diese Konfrontation sehr viel mehr, als er sich vorgestellt hatte. „Ich muss zugeben, es war nicht leicht. In Südamerika hast du deine Spuren so gut verwischt, dass wir sie in Mexiko tatsächlich verloren haben.“ Andreas sah zu dem hoch gelegenen schmutzigen Fenster, an dem der Schneematsch herablief. „Man stelle sich vor, du könntest noch immer da drüben in der Sonne sitzen. Keiner hat dich für so dumm gehalten, dass du dich wieder in Europa blicken lässt.“

Ein verärgertes Funkeln glühte im Blick des Älteren auf, Darius verzog die Lippen und bleckte die Zähne. Der bissige Hund war also aus dem Zwinger gesprungen. „Vielleicht hatte ich einfach keine Lust mehr, Bohnen zu essen.“

„Meinen Informationen zufolge soll dir das Geld ausgegangen sein. Hast vermutlich das meiste davon bei schmutzigen Geschäften und an kostspielige Frauen verloren und den Rest beim Glücksspiel eingebüßt. Das ganze viele Geld, Darius, all die Millionen. Das hier“, mit einer Handbewegung schloss Andreas den Raum ein, „ist alles, was von dir übrig geblieben ist.“

Darius gab sich nicht die Mühe, den abfälligen Neid zu kaschieren, als er seinen Besucher von Kopf bis Fuß musterte – den Kaschmirmantel, die von Hand gefertigten Schuhe und Handschuhe. „Dir dagegen scheint es ja prächtig zu gehen.“

Das ist nicht dein Verdienst! Andreas ballte die Hände zu Fäusten, lockerte sie aber wieder, als er sich an sein Versprechen erinnerte, den Mann nicht in Stücke zu reißen. Er blieb zivilisiert. „Hast du ein Problem damit?“

„Bist du deshalb hier? Um zu prahlen?“ Verächtlich verzog Darius die Lippen. „Um mich auf das hier“, er ahmte Andreas’ Handbewegung nach, „reduziert zu sehen? Schön, jetzt hast du es also gesehen. Zufrieden? Heißt es nicht allgemein, Erfolg sei die beste Rache?“

„Siehst du, eben da liegt der Irrtum.“ Jetzt beherrschte Andreas sich nicht mehr, sondern erlaubte es sich, zu lächeln. „Es gibt noch andere, viel bessere Wege für Rache als den Erfolg.“

Mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen lehnte der ältere Mann sich vor. „Was soll das heißen?“

Andreas zog ein Dokument aus der Innentasche seines Mantels und hielt es hoch, damit der andere es erkennen konnte. „Das hier ist die beste Rache.“

Und dann sah er zu, wie Darius leichenblass wurde, als er den Kreditvertrag erkannte, den er erst letzte Woche unterschrieben hatte.

„Hast du dir das Kleingedruckte überhaupt durchgelesen? Hast du dich nicht gefragt, warum jemand dir so problemlos Geld leihen sollte, nur mit dieser Bruchbude als Sicherheit? Hast du wirklich nicht einmal vermutet, dass es da einen Haken geben könnte?“

Darius schluckte, seine Haut wirkte jetzt grau.

Andreas lächelte noch immer. „Ich bin der Haken. Die Bank gehört mir. Ich habe dir das Geld geliehen. Und jetzt fordere ich den Kredit zurück.“

„Das kannst du nicht … So viel Geld habe ich nicht flüssig.“

Ungerührt warf Andreas den Vertrag auf den Tisch. „Doch, ich kann. Lies. Wenn du die Summe nicht heute zurückzahlen kannst, bist du in Verzug. Und was das bedeutet, weißt du.“

„Nein! Unmöglich, du weißt, dass ich das nicht kann …“ Dennoch blätterte Darius hektisch in den Papieren und suchte nach einer Klausel, die ihm einen Ausweg bieten könnte. Doch er fand nur bestätigt, was Andreas gesagt hatte. Er sah auf und wusste, dass er geschlagen war. „Das kannst du nicht tun. Das ist nichts anderes als Diebstahl.“

„Du müsstest doch alles über Diebstahl wissen. Nenn es, wie du willst, aber mit dem heutigen Tage gehört dieses Hotel mir. Und es wird auch mit dem heutigen Tage schließen.“

Das Entsetzen auf Darius’ Gesicht genoss Andreas in vollen Zügen. Der Mann sah aus, als hätte er einen Schlag in den Magen erhalten.

Oh, ja, und wie süß Rache ist, dachte Andreas. Vor allem wenn man so lange darauf hatte warten müssen.

2. KAPITEL

Ganz unten.

Da war Cleo Taylor angekommen.

Ihr dröhnte der Kopf. In ihrem Schienbein, dort, wo der Staubsauger sie getroffen hatte, pochte es heiß, und nach nur drei Wochen in dem Job war sie völlig ausgelaugt, sowohl physisch wie auch psychisch. Es war gerade mal fünf Uhr nachmittags, und sie wollte nichts anderes als schlafen.

Sie stellte den Sauger in die Ecke und warf sich auf das schmale Bett, dessen Sprungrahmen sich laut quietschend über das Gewicht beschwerte.

Wie viele Leute hatten sie nicht gewarnt? Und wie vielen von diesen Leuten hatte sie nicht bloßen Neid unterstellt, nur weil sie die wahre Liebe gefunden hatte? Und das an dem unwahrscheinlichsten aller Orte – in einem Chatroom im Internet, bei einem Mann auf der anderen Seite der Erdkugel.

Viel zu viele.

Niemand konnte behaupten, sie hätte es nicht verdient. Denn sie war dumm und naiv genug gewesen, Kurt zu glauben. Sie hatte ihm all seine Geschichten abgenommen, hatte geglaubt, dass er sie liebte. Und er hatte sich revanchiert und ihr nicht nur das Herz gestohlen, sondern auch das gesamte Geld, das sie von ihrer Großmutter hatte.

Schneematsch spritzte von der Straße gegen das winzige Souterrainfenster, und Cleo erschauerte. So viel also zum angeblichen Frühling.

Kurz dachte sie daran, sich von dem altersschwachen Bett zu quälen, aber sie hatte nicht vor, dem Mann von vorhin noch einmal irgendwo in den Korridoren zu begegnen. Wie er sie angesehen hatte, mit diesen eiskalten Augen! Der höfliche Gruß war ihr prompt auf den Lippen erstorben. In Sekundenbruchteilen hatte er sie als niederes Subjekt eingestuft, um dann hoheitsvoll an ihr vorbeizulaufen, in seinem Kaschmirmantel und eingehüllt in eine dezente Wolke eines teuren Aftershaves, das man an einem Ort wie diesem niemals zu riechen bekam.

Aber sie musste aufstehen. Sie durfte jetzt nicht einschlafen, auch wenn sie seit fünf Uhr morgens auf den Beinen war. Sie stank nach Bier, und ihre Uniform war völlig verdreckt, dank der Studenten, die im Raum nebenan drei Tage lang eine Dauerparty gefeiert hatten.

Es war eine Zumutung gewesen, den Raum in Ordnung zu bringen. Der Abfall war aus den Papierkörben gequollen, der Boden mit unzähligen Bierdosen bedeckt, und jemand hatte aus Pizzakartons einen Turm in der Zimmerecke gebaut, der fast bis unter die niedrige Decke reichte. Erstaunlich, dass er nicht irgendwann durch das Rumpeln der in der Nähe vorbeifahrenden U-Bahn zusammengebrochen war. Aber nein, er hatte mit dem Zusammenbrechen gewartet, bis sie das Zimmer betrat – damit sich angebissene Pizzastücke und Bierreste über sie ergießen konnten.

Kein Wunder, dass der Mann sie angesehen hatte, als wäre sie das Allerletzte. Nach dem Tag, der hinter ihr lag, fühlte sie sich auch so.

Cleo raffte sich vom Bett auf, schob ein Handtuch und ihre Kulturtasche unter den Arm und machte sich auf den Weg ins obere Stockwerk zum Bad. Was sollte es sie kümmern, was ein Fremder, den sie nie wiedersehen würde, von ihr dachte? In einer Viertelstunde würde sie frisch geduscht in ihrem Bett liegen und schlafen. Mehr interessierte sie im Moment nicht.

Die Sonnenseite. In Gedanken bedankte sie sich bei ihrer Großmutter, als sie die Treppe hinaufkam und den Schneeregen gegen die Fenster schlagen sah. Sie hatte ein Dach über dem Kopf und musste bei diesem Wetter nicht nach draußen.

„Es gibt immer einen Silberstreif“, hatte ihre Großmutter ihr gesagt, wenn sie sich als kleines Mädchen wieder einmal die Knie aufgeschlagen hatte oder wenn man sie in der Schule wegen der selbst genähten Schuluniform gehänselt hatte. Auch wenn ihre Familie beklagenswert arm gewesen war, es hatte immer etwas gegeben, an dem sie sich hatte festhalten können, irgendeine Sonnenseite, auf die sie sich hatte freuen können.

Fast immer.

Cleo seufzte, als endlich heißes Wasser aus der Leitung kam und ihre schmerzenden Muskeln wärmte. Eine heiße Dusche, ein Dach über dem Kopf und ein Zimmer, in dem ein Bett für sie stand. Es könnte schlimmer sein.

Wenn der Sommer kam und mit ihm die längeren Tage, dann würde sie London besichtigen, so wie sie es sich geschworen hatte, bevor sie nach Hause flog. Nicht, dass ihr die Zeit dafür knapp werden würde. So, wie man sie hier bezahlte, würde es wohl noch dauern, bevor sie sich ein Ticket zurück nach Australien leisten konnte. Gott, wie hatte sie nur so dumm sein und Kurt ihr Geld anvertrauen können!

Plötzlich überfiel Cleo Heimweh. Vor knapp sechs Wochen hatte sie Kangaroo Crossing, die kleine Stadt im australischen Outback, mit hoch fliegenden Erwartungen verlassen. Jetzt würde sie alles geben, um die Arme um ihre Mutter und ihre Halbbrüder schlingen zu können. Wahrscheinlich hätte sie sogar ein freundliches Lächeln für ihren Stiefvater übrig. Aber wann würde das wohl sein?

Sie würde erniedrigt nach Hause kommen. Ein Fehlschlag … Die Sonnenseite, ermahnte sie sich. Immer an die Sonnenseite denken.

Nach der Dusche ging Cleo in ihr Zimmer zurück und schlüpfte unter die Bettdecke. Sie lag warm und trocken, und ihr blieben mindestens zehn Stunden Schlaf, bevor sie wieder aufstehen musste und die Plackerei von vorn anfing.

„Du kannst das Hotel nicht schließen“, protestierte Darius. „Die Zimmer sind besetzt, wir haben Gäste!“

„Die Gäste werden in ein komfortables Hotel umgesiedelt, das Personal erhält eine großzügige Abfindung. Ich bin sicher, niemand wird Grund zur Beschwerde haben.“ Andreas klappte sein Handy auf, gab ein paar knappe Anweisungen und ließ das Telefon wieder in seine Tasche gleiten. „Und jetzt wünsche ich, dass du meinen Besitz räumst. Meine Leute kommen gleich, sie werden sich darum kümmern, dass mit dem Transfer der Gäste alles glattläuft. In zwei Stunden müsste das Hotel leer sein.“

Ein letztes Mal versuchte Darius, Andreas zu erweichen. Er entschuldigte sich für das, was vor Jahren geschehen war. Doch Andreas zeigte so wenig Mitleid mit ihm, wie Darius vor Jahren kein Mitleid mit Andreas’ Vater gekannt hatte. „Du hast zehn Minuten.“

Darius wusste, dass er geschlagen war. Er räumte seine persönlichen Sachen in einen Karton und schlurfte zum Zimmer hinaus, während schon die ersten Angestellten von Andreas ins Zimmer strömten.

Gerade als Andreas sein Team mit Anweisungen an die Arbeit geschickt hatte, klingelte sein Handy wieder. Automatisch griff er danach, gönnte sich aber einige wenige Sekunden des Triumphs über seinen Erfolg, bevor er es hochnahm. Den Ausdruck auf Darius’ Gesicht, dem Gesicht des Mannes, der seinem Vater vor so vielen Jahren Millionen gestohlen und nun selbst alles verloren hatte, würde er niemals vergessen.

Mit gerunzelter Stirn schaute er auf das Display. Schon wieder Petra? Gab es vielleicht doch einen Notfall?

„Ja?“

Vom anderen Ende des Kontinents erklang Petras Stimme. „Andreas!“

Er hörte das Strahlen in ihrer Stimme, als wäre eine Lampe eingeschaltet worden. „Was ist los?“

„Oh, ich habe mir solche Sorgen gemacht. Wie sieht es in London aus? Läuft alles nach Plan?“

Ärger erfasste Andreas. Also kein Notfall. Nur Petra, die sich irrigerweise einbildete, sie hätte etwas mit der Sache zu tun. „Warum rufst du an, Petra?“, fragte er kühl.

Stille, dann sagte sie: „Der Bonacelli-Deal! Die Papiere liegen zur Unterschrift vor.“

„Das war abgesprochen. Ich hatte auch gesagt, dass ich sie unterzeichne, wenn ich wieder zurück bin.“

„Und Stavros Markos hat angerufen“, fügte sie eilig hinzu. „Er möchte den Palazzo Caldera für die Hochzeit seiner Tochter im Juni nächsten Jahres mieten. Es soll eine riesige Hochzeit werden, und er will nur das Beste vom Besten. Ich habe ihm gesagt, dass es höchstwahrscheinlich klappt, auch wenn ich dafür ein paar andere Reservierungen zurückstellen muss …“

„Petra“, unterbrach er sie, „du weißt, dass es klappt, du brauchst keine Rücksprache mit mir zu halten. Gibt es sonst noch etwas?“

Nach einer kurzen Pause lachte sie leise. Ein Lachen, bei dem Andreas sich unwohl fühlte. „Es klingt sicher albern, aber … ich vermisse dich. Wann, meinst du, kommst du wieder zurück?“

Sein Magen zog sich zusammen. Jetzt ergaben ihre regelmäßigen Anrufe einen Sinn, auch wenn er diesen Sinn nicht anerkennen wollte. Sie überprüfte ihn, wollte sicherstellen, dass keine andere den Platz in seinem Bett besetzte, während er in London war und sie auf Santorin die Stellung hielt. Nach einer unverbindlichen Antwort beendete Andreas die Verbindung. Was war mit Petra los? Er machte nicht in Beziehungen, und Petra müsste das besser als jede andere wissen. Sie kannte doch die Parade von Frauen, die durch sein Leben zog. Verdammt, sie war es, die die Blumen bestellte, solange eine Frau zum inneren Kreis gehörte, und sie war es auch, die das Geschenk besorgte, mit dem diese Frau aus dem Kreis hinauskomplimentiert wurde.

Er hatte einen Fehler gemacht. Geradezu berauscht von der Nachricht, dass man Darius aufgetrieben hatte, hatte er Petra zum Dinner eingeladen und Champagner bestellt, um zu feiern. Und er hatte reagiert, als sie sich vertraulich immer näher gelehnt hatte. Viel zu nah.

Was für ein Narr! Er hatte geglaubt, sie würde verstehen, dass es nur Sex war. Und doch, jedes Mal, wenn sie ihn jetzt anrief … Kalte Finger krochen seinen Rücken hinauf. Hoffte sie etwa auf mehr? Meinte sie, ihr stünde etwas Festeres zu nach all den Jahren, die sie jetzt mit ihm zusammenarbeitete?

Was hatte seine Mutter neulich zu ihm gesagt? Es sei Zeit, sesshaft zu werden und sich eine Ehefrau zu suchen. Und an wen wandte seine Mutter sich immer zuerst? Statt seiner Handynummer wählte sie grundsätzlich die Büronummer an, weil „der eigene Sohn ihr ja grundsätzlich nichts sagte“. Hatte seine Mutter etwa auch Petra, der Tochter ihrer Freundin, ihren Herzenswunsch anvertraut, dass ihr einziges Kind endlich solide werden sollte? Darauf ging er jede Wette ein.

Verdammt. Er wollte keinen neuen Marketingdirektor suchen müssen. Petra war gut in ihrem Job. Die Beste, wenn es darum ging, die Besitztümer von Xenides Exclusive Property zu managen. Er wollte sie nicht verlieren, sie waren ein großartiges Team. Aber sie sollte auch nicht glauben, sie könnte mehr als eine geschätzte Mitarbeiterin werden.

Er seufzte. Was würde sie wohl tun, wenn er eine andere fand – was unvermeidlich war? Kündigen? So wenig ihm dieser Gedanke gefiel, das Risiko musste er eingehen. Lieber einen neuen Marketingdirektor einarbeiten als eine Hochzeit planen.

Was ihm nur eine Möglichkeit ließ: Er würde mit einer Frau an seinem Arm und in seinem Bett nach Santorin zurückkehren müssen.

Sie müsste anders sein, eine Frau, die die Rolle seiner Geliebten übernahm und problemlos wieder abgab, wenn er sie nicht mehr brauchte. Keine Bedingungen, keine Bindungen. Eine Art Vertragsverhältnis. Für einen Monat, das müsste reichen.

Jetzt musste er diese Frau nur noch finden, bevor morgen sein Flug nach Griechenland zurückging.

Während Andreas sich in dem schäbigen Raum umsah, seufzte er noch einmal. Ein Gewicht, das jahrelang schwer auf seinen Schultern gelegen hatte, war verschwunden. Seine Arbeit hier war erledigt, die alte Rechnung beglichen, Darius zerstört. Er brauchte nicht länger zu bleiben, sein Team kümmerte sich um alles. Die Gäste wurden in ein Vier-Sterne-Hotel umgesiedelt, und natürlich würde er alle Kosten für die Unannehmlichkeiten tragen. Dann würden die Handwerker und Innenarchitekten aufkreuzen und dafür sorgen, dass aus diesem Gebäude etwas gemacht wurde, das in die über die ganze Welt verteilte Gruppe der Xenides-Luxushotels passte.

Alles war unter Kontrolle.

Dann hörte Andreas den gellenden Schrei.

3. KAPITEL

Der Schrei kam aus dem Keller. Innerhalb von Sekunden war Andreas unten, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie einem seiner Mitarbeiter, der sich hastig auf den Gang zurückzog, ein Pantoffel an den Kopf flog.

„Ich wusste doch nicht, dass noch jemand hier unten ist“, verteidigte sich der Mann, sobald er Andreas erblickte. „Auf den Plänen ist der Raum als Abstellkammer eingezeichnet. Und wer liegt denn schon um sechs Uhr abends im Bett und schläft?“

„Raus!“, schrie eine Stimme. „Ich rufe den Hotelmanager! Ich rufe die Polizei!“

Von wegen alles unter Kontrolle! Andreas schob den Mann beiseite. „Ich übernehme das.“

Er trat in den winzigen Raum, der wohl eine Besenkammer sein musste, und fand den Grund für die ganze Aufregung. Sie saß auf einem schmalen Bett, den Rücken an die Wand gedrückt, die Bettdecke bis an den Hals hochgezogen. Mit einer Hand hob sie drohend den zweiten Pantoffel in die Luft. Die weit aufgerissenen Augen blickten gehetzt, auf der Stirn saß eine pinkfarbene Schlafmaske aus Satin, auf der „Prinzessin“ gedruckt stand. Offensichtlich ein Scherz, denn in dem zerknitterten Flanellpyjama und mit dem mausbraunen Haar, das wirr in alle Richtungen abstand, war sie alles andere als Prinzessinnenmaterial.

Im Licht der nackten Glühbirne wurde zumindest eine Frage beantwortet, als Andreas den Staubsauger in der Ecke stehen und eine Arbeitsuniform über dem Heizungsradiator liegen sah. Die kreischende Sirene war die Putzfrau, der er vorhin im Korridor begegnet war. Die nach Bier gerochen hatte. Offensichtlich hatte sie ihren Rausch ausschlafen wollen und war überrascht worden.

Er musste sich ein abfälliges Grinsen verkneifen, als er sie ansprach. „Ich möchte mich entschuldigen, wenn mein Mitarbeiter Sie erschreckt hat. Ich versichere Ihnen, niemand wird Ihnen etwas tun. Uns war einfach nicht klar, dass Sie noch hier sind.“

„Nun, ich bin hier, und Sie haben wirklich Nerven, in anderer Leute Zimmer zu platzen! Was soll das? Wer sind Sie? Wo ist Demetrius?“

Vom Akzent her musste sie Australierin sein. Andreas hob beschwichtigend die Hände. „Vielleicht sollten Sie sich erst einmal beruhigen, um alles vernünftig zu besprechen.“

Der Pantoffel stieg noch etwas höher in die Luft. „Beruhigen? Vernünftig besprechen? Sie und Ihre Schergen haben kein Recht, einfach in mein Zimmer zu stürmen. Und jetzt verschwinden Sie, bevor ich wieder schreie!“

Wie sie diese Bettdecke an sich drückte! Glaubte sie wirklich, er wollte sie überfallen?! Da brauchte es schon einen mutigeren Mann als ihn, um sich an diesen Pyjama zu wagen!

„Ich gehe“, willigte er ein. „Damit Sie sich anziehen können. Kommen Sie raus, wenn Sie fertig sind zum Reden. Mit einer Frau, die im Aufzug eines Clowns im Bett sitzt, ist das unmöglich.“

Ihr Mund klaffte auf. „Wie können Sie es wagen! Sie haben kein Recht, hier zu sein!“

„Ich habe alles Recht der Welt. Und ich habe jetzt auch genug Zeit verschwendet. Also, ziehen Sie sich an, und kommen Sie in das Büro. Ich warte dort auf Sie.“

Damit drehte er sich um und zog die Tür hinter sich zu, doch nicht schnell genug, bevor nicht noch der zweite pinkfarbene Pantoffel wie ein plüschiges Geschoss an seinem Ohr vorbeizischte und im Korridor gegen die Wand prallte.

In dem schäbigen Büro lief Andreas unruhig auf und ab und verfluchte Darius gerade ausgiebig für das fauchende, kratzbürstige Erbe, das er ihm hinterlassen hatte, als er ein Geräusch hinter sich hörte. Er drehte sich um und sah eine junge Frau auf bloßen Füßen in der Tür stehen.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er.

„Das müssen Sie mir sagen, schließlich wollten Sie mit mir reden.“

Andreas blinzelte verdattert. Das war die Putzfrau? Der kreischende Clown aus dem Besenschrank? Er wusste nicht, was ihn mehr beeindruckte, ihr Tempo oder ihre Veränderung. Den Flanellpyjama hatte sie gegen Jeans und ein langärmeliges T-Shirt ausgewechselt, und das brachte die zweite Überraschung mit sich. Groß war sie nicht, aber was ihr an Körpergröße fehlte, machte sie mit Kurven wett. Er hätte sich nie träumen lassen, dass da, weder unter dem Flanell noch unter der schmutzigen Arbeitstracht, tatsächlich ansprechende Formen existierten. Eine klassische Schönheit war sie nicht, aber mit ein wenig Mühe könnte sie sicherlich etwas aus sich machen …

Angesichts seiner unverhohlenen Musterung begann es in Cleo zu brodeln. Welches Problem hatte dieser Mann? Sie hatte seine Anweisung befolgt, auf ihren Schlaf verzichtet und sich angezogen. Jetzt schaute er sie an, als wäre sie ein besonders guter Braten in der Metzgertheke. Gut, der Blick war vielleicht besser als der im Korridor, wo er sie für eine niedere Lebensform gehalten hatte, aber wohler fühlte sie sich dabei nicht.

Im Gegenteil. Ihre Haut prickelte am ganzen Körper. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ahnte nicht, dass sie damit die Aufmerksamkeit noch mehr auf ihre Rundungen zog. „Sagen Sie mir jetzt endlich, was hier los ist, oder möchten Sie mich erst noch ein wenig länger anstarren?“ Sie blickte sich um. „Wo ist Demetrius?“ Nicht, dass sie ihren Boss, dem seine Pferdewetten wichtiger waren als sein zerfallendes Hotel, besonders mochte.

„Der Mann, den Sie als Demetrius kennen, ist weg“, informierte der Fremde sie.

Natürlich, er musste in Rätseln sprechen! Ein unmöglicher Mann! „Was bedeutet das – weg? Wann kommt er zurück?“

„Er kommt nicht mehr zurück. Das Hotel gehört jetzt mir.“

Seine Eröffnung traf sie wie ein Schlag. Und was hieß das nun für sie? Ihre rasant abkühlenden Zehen krümmten sich in den abgelaufenen Linoleumboden. Was immer passiert war, es musste schnell und lautlos abgelaufen sein. Sie hatte Demetrius noch am Telefon mit seinem Buchmacher gehört, dann war dieser Mann aufgetaucht. Eine kampflose Übernahme. Und der Mann da vor ihr, mit seinen kalten Augen und dem harten Kinn, sah genauso aus wie jemand, der so etwas fertigbrachte. Skrupellos – und ihr neuer Chef. Sie schluckte. Und ausgerechnet ihm hatte sie ihren pinkfarbenen Pantoffel nachgeschmissen! Sie fasste sich ein Herz. „Dann ist das also eine Art Bewerbungsgespräch? Fein. Mein Name ist Cleo Taylor, seit drei Wochen mache ich hier die Zimmer sauber und richte das Frühstück an. Demetrius hat Sie sicherlich darüber informiert, dass ich …“

„Demetrius hat mich über nichts informiert. Und Ihr Name steht nicht auf der Personalliste.“

„Nein, wahrscheinlich nicht. Demetrius hat mich bar bezahlt. Er meinte, das sei besser so.“

„Ich bin sicher, dass er das so gesehen hat.“ Natürlich. Damit er ihr einen Hungerlohn zahlen und auch noch den größten Teil für Logis abziehen konnte.

Sie sah verwirrt aus. „Also … Sie werden doch noch immer jemanden zum Saubermachen brauchen, oder?“

„Nicht unbedingt.“

„Ich mache mehr als nur putzen. Jeden Morgen um fünf bereite ich das Frühstück vor und …“

„Ich brauche weder ein Zimmermädchen noch eine Küchenhilfe.“

„Aber das Hotel …“

„Schließt.“

Die Panik, die sich schon angemeldet hatte, explodierte in ihr. „Das heißt, ich verliere meinen Job.“

Er nickte nur knapp, doch Cleo kam diese Kopfbewegung vor wie der Fall der Guillotine. Es war der schlimmste Job der Welt, aber es war ein Job, und er hatte ihr ein Dach über dem Kopf garantiert. Und wieder einmal war alles schiefgegangen. Oh, Nanna, dachte sie, wo ist jetzt der Silberstreifen? Obwohl … vielleicht war es ja genau dieser Moment. Sie hatte den Job gehasst. Jetzt war sie gezwungen, sich etwas Neues zu suchen – hoffentlich etwas Besseres. Allerdings fand sie es schwierig, die Sonnenseite zu sehen, wenn draußen der Schneeregen gegen die Scheiben schlug und sie keine Bleibe hatte.

„Wann?“ Ihre Stimme war nur ein Flüstern. „Wie viel Zeit habe ich?“ Sie müsste schnell handeln. Das wenige Geld, das sie noch besaß, würde nicht lange reichen, und wenn sie auch noch eine Unterkunft zahlen musste …

„In zwei Stunden müssen Sie Ihre Sachen gepackt haben. Die Gäste werden bereits woanders untergebracht. Morgen früh beginnen die Renovierungsarbeiten.“

„Ich soll heute Abend noch raus?“ Cleos Panik wandelte sich in heiße Rage. „Das können Sie nicht tun!“

„Nicht? Und warum nicht?“

„Weil ich den ganzen Tag in dieser Bruchbude geputzt habe, jeden einzelnen Raum, von oben bis unten! Und jetzt sagen Sie mir, ich hätte mir das sparen und gleich heute Morgen gehen können?! Na, besten Dank auch!“ Vor Entrüstung warf sie die Arme in die Luft, was prompt seinen Blick auf ihren Busen zog.

Andreas wusste nicht, was er erwartet hatte. Vielleicht Tränen, eine Ohnmacht … aber auf jeden Fall nicht diese hitzige Reaktion. Ihre Brüste waren voll und üppig und fest. Ob sie sich in seinen Händen ebenso verführerisch anfühlen würden, wie sie aussahen? Sollte er es herausfinden? Er brauchte eine Frau …

Unauffällig atmete er durch und riss seinen Blick los. Sie war die Putzfrau. Eine Putzfrau mit einem Alkoholproblem. Diese Sache mit Petra musste ihm wirklich zusetzen, wenn er sich jetzt schon wegen einer Putzfrau den Kragen lockern musste. „Sie sind wütend auf mich, weil Sie den ganzen Tag geputzt haben? Ist das nicht Ihr Job?“

Cleo schluckte das Schluchzen herunter. Mochte ja sein, dass sie sich albern und hysterisch anhörte, aber erwartete er etwa noch Dank für die Bombe, die er gerade hatte platzen lassen? „Arbeiten Sie mal als Putzfrau auf einer Müllhalde. Ich habe den schlimmsten Tag meines Lebens hinter mir. Wie würde es Ihnen gefallen, wenn ein paar drollige Gäste aus ihrem Abfall eine Falle für das Zimmermädchen bauen? Was würden Sie dazu sagen, wenn Sie mit Bierresten übergossen und klebrigen Pizzakrusten dekoriert werden, nur damit Ihnen später jemand eröffnet, dass Sie das gar nicht hätten durchmachen müssen?“

Er horchte auf. Also kein Alkoholproblem? Vielleicht war die Idee ja doch nicht so verrückt … „Sie trinken kein Bier? Ich dachte, Sie seien Australierin.“

„Und deshalb muss ich Bier trinken? Nein, nur um das klarzustellen, ich finde den Geschmack von Bier widerlich. Und dann“, fuhr sie fort, ohne Luft zu holen, „werde ich aus dem Schlaf gerissen, und man teilt mir mit, dass mein Job flöten ist und ich zu verschwinden habe.“ Sie zeigte zum Fenster. „In das da wollen Sie mich hinausschicken? Was für ein Mensch sind Sie eigentlich?!“

Am liebsten hätte Andreas geknurrt. Es hätte der beste Tag seines Lebens werden sollen, von diesem Tag hatte er jahrelang geträumt. Stattdessen musste er sich mit einem weiblichen Winzling herumschlagen. Mit einer Putzfrau. „Ich bin Geschäftsmann“, stieß er aus.

„Ha, und was für einer! Was für ein Geschäft ist das, bei dem man unschuldige Frauen bei diesem Wetter auf die Straße hinauswirft?“

Es reichte ihm. „Sie müssen doch irgendwo einen Platz haben, wo Sie unterkommen können.“

„Richtig. Nur ist der zwölftausend Meilen weit weg. Was meinen Sie, ob ich schon mal mit dem Laufen anfangen sollte?“

„Warum kaufen Sie sich kein Flugticket nach Hause?“

„Glauben Sie wirklich, ich würde hier arbeiten, wenn ich das Geld dazu hätte?“

„Müssen Sie so melodramatisch sein?“

„Nein, natürlich nicht, ich mache das aus reinem Spaß.“ Sie holte tief Luft und versuchte, ruhiger zu werden. „Hören Sie, warum kann ich nicht bleiben? Nur für heute Nacht. Ich gehe gleich morgen früh, das verspreche ich. Vielleicht hört der Schneeregen bis dahin auf.“

„Das Hotel wird geschlossen“, wiederholte er. „Die Arbeiter kommen morgen früh. Es wurde vereinbart, dass es leer übergeben wird.“

„Mit mir hat niemand etwas vereinbart!“

„Das übernehme ich jetzt.“

Für sie hörte sich das aber keineswegs so an. „Wohin bringen Sie denn die Gäste? Kann ich da nicht mitgehen?“ Schnell hob sie die Hände, um seinen Einspruch von vornherein zu stoppen. „Ich bin kein Gast, schon klar. Aber ob die dort nicht ein zusätzliches Zimmermädchen brauchen könnten bei dem plötzlichen Gästeansturm?“

Er murmelte etwas auf Griechisch, das sich verdächtig nach einem Fluch anhörte. „Ich kann nachfragen. Aber garantieren kann ich nichts. In der Zwischenzeit packen Sie Ihre Sachen zusammen. Ich vermute, das wird nicht lange dauern.“

Cleo schnaubte. „Und wenn es keine Stelle für mich gibt?“

„Dann sind Sie auf sich selbst angewiesen.“

„Einfach so?“

„Einfach so.“

Ergeben hob sie die Arme, legte die Hände auf den Hinterkopf, verschränkte die Finger und schaute zum Fenster hoch, als müsse sie nachdenken. Andreas dagegen konnte plötzlich nicht mehr denken. Er war zu beschäftigt damit, auf die perfekte Form ihrer Brüste zu starren. Ihre Taille wirkte schmal und betonte damit die weiblich gerundeten Hüften umso mehr …

Mit trockenem Mund riss er den Blick von ihr. Verdammt, man sollte meinen, er hätte noch nie eine Frau gehabt! Sie war die Putzfrau. Es würde nicht funktionieren. Dieser Tag musste ihm mehr abverlangt haben, als er sich bewusst war.

„Und was ist mit meinem Gehalt?“ Cleo nahm die Arme wieder herunter. „Demetrius schuldet mir noch das Gehalt für mehr als eine Woche. Und bestimmt habe ich auch das Recht auf eine Abfindung, selbst wenn ich bar bezahlt wurde.“

Insgeheim verfluchte Andreas Darius und seine eigenen Leute, die diese Schwarzarbeiterin offensichtlich übersehen hatten. „Wie viel steht Ihnen noch zu?“

Mathe war nie ihre Stärke gewesen, aber anderthalb Wochen, abzüglich Logis … „Fünfzig Pfund“, rundete sie ab und hoffte, dass er nichts einwenden würde.

Ohne ein Wort zog Andreas seine Brieftasche hervor, nahm eine Handvoll Geldscheine heraus und reichte sie ihr. Dann überlegte er kurz und legte ihr noch ein weiteres Bündel in die Hand.

Auch wenn Cleo immer noch schlecht in Mathe war, brauchte sie doch kein Genie zu sein, um zu wissen, dass es viel mehr war, als sie verlangt hatte. Sie riss die Augen auf. „So viel kann ich nicht annehmen.“

„Betrachten Sie es als Abfindung. Damit bekommen Sie ein Zimmer für heute Nacht und wahrscheinlich für die ganze Woche. Und jetzt gehen Sie endlich packen.“

Ganz kurz öffnete sie den Mund, als wolle sie protestieren, schloss ihn wieder und wirbelte herum. An der Tür drehte sie sich noch einmal zu ihm um. „Ich würde ja gern sagen, dass es ein Vergnügen war, Sie kennengelernt zu haben, aber ich fürchte, das war es nicht. Ich lasse den Schlüssel in der Tür stecken. Auch wenn das offensichtlich unsinnig ist.“ Und damit schritt sie würdevoll wie eine Prinzessin, als die die lächerliche Schlafmaske sie ausgewiesen hatte, zur Tür hinaus.

Andreas saß reglos auf der Schreibtischkante, auch wenn es keinen Grund mehr für ihn gab, länger zu bleiben. Sie war nicht schön und weder groß noch elegant, so wie die Frauen, die ihn üblicherweise reizten, aber es loderte eine Leidenschaft in ihr, ein Feuer, das die Luft anheizte. Ob sie auch im Schlafzimmer eine solche Leidenschaft bewies wie bei ihrem Protest gegen die Schließung des Hotels? Oder würde sie wieder zu der unscheinbaren Maus werden, die er unten im Korridor getroffen hatte?

Verdammt, Darius hatte es ihm überlassen, hinter ihm aufzuräumen! Nun, er hätte es ahnen müssen. Aber die Frau berührte da einen Punkt. Denn er wusste besser als die meisten, wie es war, ohne einen Penny in der Tasche im Regen zu stehen.

Er wählte die Nummer des Hotels, in das die Gäste gebracht wurden. Es reichte aus, dass er seinen Namen nannte, und schon versicherte man ihm, eine Küchenhilfe gebrauchen zu können, für die natürlich auch eine Personalunterkunft im Haus bereit stehe.

Nach dem kurzen Telefonat atmete Andreas durch. Sein Vater war gerächt, und kein Unbeteiligter hatte das Dach über dem Kopf verloren. Das Ziel, das er sein Leben lang verfolgt hatte, war erreicht. Warum fühlte er sich dann nicht besser? Lag das an dem Adrenalinabsturz, jetzt, nachdem alles vollbracht war?

Oder wollte er nicht, dass sich jemand anders einer Putzfrau mit verführerischen Kurven und fantastischen Brüsten annahm?

Er sollte ihr die gute Nachricht überbringen. Sein Wagen wartete, und er hatte noch andere Dinge zu erledigen.

Als er das Büro verließ, schleifte Cleo bereits einen riesigen Rucksack aus dem Zimmer, und er fragte sich unwillkürlich, wie sie das Ding transportieren wollte. Der Rucksack war fast genauso groß wie sie. Andreas beugte sich vor und nahm ihr den Rucksack ab. Ihre Finger berührten sich unabsichtlich, und sie zog ruckartig die Hand zurück.

„Sie packen also genauso schnell, wie Sie sich anziehen, was?“, bemerkte er.

Sie sah ihn an, mit hochroten Wangen. „Bitte, bemühen Sie sich nicht, ich mache das schon. Und ich möchte mich entschuldigen für die Dinge, die ich gesagt habe. Sie waren sehr großzügig. Aber es war eben ein langer Tag.“

„Ich habe Ihnen einen Job besorgt.“

Vor Staunen riss sie die Augen auf. „Wirklich?“ Sie hatte blaue Augen, stellte er fest. Blau wie ein nebliger Sommermorgen auf Santorin. Und dann lächelte sie. „Fantastisch! Vielen Dank! Einen Job als Zimmermädchen in dem anderen Hotel? Kann ich da auch schlafen?“

Bisher hatte er sie noch nicht lächeln sehen. Vermutlich gab es hier in diesem Hotel auch nicht viel Grund dafür. Es war, als hätte jemand einen Scheinwerfer eingeschaltet, dafür schaltete sich seine Denkfähigkeit zeitgleich ab. Er hüstelte und versuchte seine Gedanken zu ordnen. „Die Stelle bietet auch eine Unterkunft, ja.“

„Oh, ich kann’s kaum glauben. Es tut mir wirklich leid, was ich Ihnen gesagt habe, ehrlich.“ Sie griff in ihre hintere Hosentasche und zog das Bündel Geldscheine heraus, das er ihr gegeben hatte. „Hier haben Sie es zurück“, damit drückte sie ihm die Scheine in die freie Hand. „Jetzt brauche ich Ihr Geld ja nicht.“

Eine Frau, die Geld zurückgab, das sie schon hatte? Er kannte nur wenige, die nicht versucht hätten, noch mehr herauszuschlagen, und keine einzige, die es wieder zurückgeben würde. Sie arbeitete als Putzfrau, sicher, aber vielleicht war sie überqualifizierter als gedacht.

Einen Monat. Mehr brauchte er nicht. Sie schien ihm nicht die Frau zu sein, die länger blieb als notwendig. Und sie würde auch nicht mehr verlangen, als er ihr anbot.

Ein Monat wäre genau das Richtige.

4. KAPITEL

„Behalten Sie es.“ Andreas schloss seine Finger um ihre ausgestreckte Hand. „Sie werden Kleider für Ihren neuen Job brauchen.“

Cleo sah auf die Scheine in ihrer Hand, die klein und warm in seiner lag. „Sie meinen, eine neue Uniform?“

„So etwas in der Art. Kommen Sie.“ Hastig wandte er sich um. „Mein Wagen wartet, ich bringe Sie hin.“ Er hob ihren Rucksack hoch, als würde er nichts wiegen und nicht all ihre Besitztümer enthalten.

Draußen nahm ihm sofort jemand den Rucksack ab und folgte ihnen, einen aufgespannten Regenschirm über ihre Köpfe haltend. Wer ist dieser Mann, fragte Cleo sich, der seine eigenen Leute für alles hatte und mit nur einem Anruf ein ganzes Hotel räumen ließ? Mehrere Minibusse warteten in einer Reihe. Automatisch ging sie auf sie zu.

„Nein“, hielt er sie zurück. „Unser Wagen steht dort.“

Er zeigte auf eine Limousine, so riesig, dass Cleo fast umgefallen wäre. Noch nie im Leben hatte sie in einem solchen Wagen gesessen. Sie sah an sich herab – ausgetretene Boots, verwaschene Jeans, abgetragene Jacke. Sehnsüchtig blickte sie zu den Minibussen. In einem von ihnen würde sie sich sehr viel wohler fühlen. Doch der Chauffeur hielt schon die Tür auf.

„Sind Sie sicher, dass wir beide da hineinpassen?“, witzelte sie.

Ihr Begleiter zuckte nicht einmal mit den Lippen, sondern half ihr nur beim Einsteigen. Es war, als wäre sie in einer anderen Welt angekommen. Die Lederpolster waren himmlisch weich und bequem, eine Bar prangte an einer Seite, Kristallgläser funkelten. Und dann war da ja noch er.

Ihr Gönner saß ihr gegenüber, mit dem Rücken zum Fahrer, einen Arm auf der Rücklehne, die Beine lang in den Fußraum zwischen ihnen ausgestreckt. Sein Mantel war offen, das Jackett hatte er ebenfalls aufgeknöpft. Ein blütenweißes Hemd leuchtete darunter, strahlend weiß im Kontrast zu seiner gebräunten Haut.

Er musterte sie, wie ihr klar wurde. Beobachtete sie, wie sie ihn studierte. Ihre Haut prickelte. Wie gelang ihm das, einfach indem er sie anschaute?

Cleo lehnte sich in die Polster zurück und versuchte, sich weniger überwältigt und mehr entspannt zu geben. „Vermutlich amüsiert es Sie, jemanden zu sehen, der noch nie in einer Stretchlimousine gefahren ist.“

„Im Gegenteil.“ Er blickte sie unverwandt an. „Ich finde es charmant.“

Charmant. Noch niemand hatte dieses Wort mit ihr in Verbindung gebracht. Wahrscheinlich war es nur eine höfliche Umschreibung für linkisch.

„Ist es noch weit bis zu dem Hotel?“, versuchte sie abzulenken.

„Nicht sehr weit.“

„Wissen Sie zufällig, um was für einen Job es sich handelt?“

„Ich glaube, Sie bekommen mehrere Aufgaben. Und ich bin fast überzeugt, dass es Ihnen gefallen wird.“

„Oh.“ Sie wünschte, er wäre konkreter. „Aber eine Unterkunft ist dabei?“

Er nickte. Im Licht der vorbeirauschenden Straßenlaternen blitzten seine Augen auf, und völlig unvermittelt fühlte Cleo sich seltsam unwohl.

„Einen Haken gibt es allerdings“, fuhr er fort.

Natürlich, warum sollte ihr Leben auch plötzlich glattlaufen? „Welchen?“

„Es ist ein Zeitvertrag. Die Position ist auf einen Monat befristet.“

„Ich verstehe.“ Ein Monat war besser als nichts. Und das gab ihr Zeit, sich nach etwas anderem umzusehen.

„Aber Sie werden eine großzügige Vergütung erhalten.“

Blinzelnd schaute sie zu ihm. „Ich muss mich noch einmal für Ihre Großzügigkeit bedanken, Mr. …“ Grundgütiger, wann würde sie es endlich lernen?! Sie saß mit einem Mann in einem Wagen, dessen Namen sie nicht einmal kannte, und hatte nicht die geringste Ahnung, wohin dieser Wagen fuhr! „Mein Gott, ich glaube nicht, dass ich das tue! Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen.“

Lächelnd neigte er leicht den Kopf. „Ich versichere Ihnen, Sie haben nichts zu befürchten. Andreas Xenides, zu Ihren Diensten.“

Irgendwo hatte sie den Namen schon einmal gehört oder gelesen … richtig, zu Hause in einem Hochglanzmagazin, ein Artikel über einen Milliardär. Vielleicht waren die beiden ja verwandt. „Es gibt da ein riesiges Luxushotel an der Gold Coast von Queensland, das einem Xenides gehört“, bemerkte sie.

„Das Xenides Mansions Hotel. Eines meiner besten“, nickte er.

Sie schluckte. „Das gehört Ihnen?“

„Es gehört zu einem meiner Firmenzweige. Aber letztlich gehört es wohl mir, ja.“ Als sie daraufhin in die Polster sackte, runzelte er die Stirn. „Beunruhigt Sie das?“

„Beunruhigen? Es versetzt mich in Panik!“ Cleo schlug entsetzt die Hand vor den Mund. Und diesem Mann hatte sie ihren Pantoffel nachgeworfen! Hatte darauf bestanden, dass er ihr ausstehendes Gehalt bezahlte und ihr einen Ersatzjob besorgte! Als Putzfrau! Das Erstaunlichste daran aber war, dass er es wirklich getan hatte.

Dieser Mann war also ein Milliardär. Das beantwortete immerhin eine ganze Reihe ihrer Fragen. Aber nicht alle. „Etwas verstehe ich allerdings nicht.“

„So?“ Fast klang er amüsiert. „Was?“

„Warum interessieren Sie sich für eine Londoner Absteige und kaufen sie auf? Es muss doch genügend andere Hotels geben, die viel eher Ihren Ansprüchen entsprechen.“

„Ich hatte meine Gründe.“ Seine Augen sahen plötzlich in die Ferne.

Die Temperatur war soeben um mindestens zwanzig Grad gesunken. Cleo erschauerte. Andreas Xenides war ein Mann, den man besser nicht gegen sich aufbringen sollte. Sie sah zum Fenster hinaus und wollte die plötzliche Kälte abschütteln. Dabei erkannte sie, dass sie nicht auf dem Weg zu einem kleinen Hotel in der Nähe waren, wie sie erwartet hatte, sondern in Richtung Mayfair fuhren.

Jetzt klingelte sein Handy, und sie war froh, dass er abgelenkt wurde. „Petra, gut, dass du anrufst. Ja, ich bin fertig hier.“

Cleo bemühte sich, dem Telefongespräch nicht zu folgen, was aber in einem Wagen, selbst einem so großen, schwer möglich war. Darum seufzte sie erleichtert, als er in seine Muttersprache wechselte. Wenn er Englisch sprach, schwang ein leichter, typisch mediterraner Akzent mit, aber in Griechisch bekam seine Stimme eine ganz andere Qualität. Sie war harscher, aber auch erdiger und leidenschaftlicher. Wohl wie der Mann selbst, vermutete sie. Denn trotz Kaschmirmantel und Limousine mit Chauffeur hatte sie ja schon miterlebt, wie hart er sein konnte. Er war es gewohnt, dass seine Anweisungen befolgt wurden. Und natürlich wartete irgendwo eine Petra auf ihn. Eine Ehefrau oder eine Geliebte. Oder vielleicht auch beides. Lebten die Reichen nicht nach ihren eigenen Regeln? Verstohlen sah Cleo sich im Wageninneren um. Wie mochte es wohl sein, eine von den Petras dieser Welt zu sein? Zu den Kreisen der Reichen zu gehören und solchen Luxus als normal anzusehen?

„Wir fliegen morgen zurück“, hörte sie ihn jetzt sagen. Er sprach jetzt wieder Englisch. „Erwarte uns gegen fünf. Uns? Entschuldige, das habe ich dir ja noch gar nicht gesagt. Ich bringe eine Freundin mit.“

Etwas in seinem Ton ließ Cleos Kopf in seine Richtung schnellen.

„Richtig“, sagte er in die Muschel und hielt Cleos Blick gefangen. „Eine Freundin. Sag Maria, dass sie meine Suite vorbereiten soll.“ Er beendete das Telefonat und klappte sein Handy zu, ohne den Blick von ihr zu nehmen.

„Ist es noch weit?“ Cleo gab sich übertrieben munter. Dabei fragte sie sich ernsthaft, ob sie etwas Wichtiges verpasst hatte und warum sie so atemlos war und er sie noch immer so ansah, als wäre sie seine nächste Mahlzeit!

„Nein, gar nicht mehr.“

Genau in diesem Moment bog die Limousine auf eine breite Auffahrt und rollte langsam aus. Cleo sah an dem Hotel empor. „Aber das ist … Grosvenor House.“

„Vollkommen richtig.“

Der Portier zog bereits die Wagentür auf, kalte Luft strömte ins Wageninnere. „Aber warum sind wir hier? Ich dachte … Sie sagten doch …“

„Wir sind eben hier“, erwiderte er schlicht, machte Anstalten auszusteigen und bot ihr seine Hand. „Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“

„Ich kann unmöglich da reingehen. Doch nicht so. Ich sehe ja aus, als käme ich frisch vom Bauernhof.“

„Man wird Sie für eine exzentrische Australierin halten.“

„Hier muss es doch einen Personaleingang geben!“ Noch während sie das sagte, legte sie ihre Hand in seine, unaufhaltsam von seiner Selbstsicherheit angezogen.

„Kommen Sie, diese Leute werden dafür bezahlt, dass sie nichts sehen.“

Das war kein Trost. Cleo erhaschte einen Blick auf ihr Spiegelbild in der Glasfront des nobelsten Hotels im Londoner Stadtteil Mayfair und zog eine Grimasse. Sie sah wie ein echtes Landei aus. Warum hatte er sie nicht vorgewarnt? Doch Andreas schien das nicht zu stören. Der Portier instruierte seine Crew von Pagen und Trägern, sich um das Gepäck zu kümmern, und ihr Rucksack wurde aus der Limousine auf einen Gepäckwagen gehoben, als wäre er der kostbarste Louis-Vuitton-Koffer.

Unsicher folgte sie Andreas durch die Drehtür, darauf gefasst, dass die Sicherheitsleute sie sofort packen und wieder hinauswerfen würden. Doch nichts dergleichen geschah. In dem strahlenden Märchenland aus weißem Marmor und blitzenden Kristalllüstern musste sie an sich halten, um sich nicht begeistert um die eigene Achse zu drehen, während Andreas auf die Rezeption zusteuerte. Also zog sie ihre Jacke aus, hängte sie sich über den Arm und versuchte so zu tun, als würde sie dazugehören. Ja, klar!

Sollte sie wirklich hier arbeiten dürfen? Mit großen Augen nahm sie den Luxus in sich auf. Oh, jetzt konnte sie endlich ihre Mutter anrufen und ihr etwas anderes als nur schlechte Neuigkeiten berichten. Sie hatte eine Stelle in einer von Londons Attraktionen ergattert! Sie würde ihr nicht sagen, dass es nur für einen Monat war. Wenn sie ihre Karten richtig ausspielte, bekam sie vielleicht eine Empfehlung von dieser feinen Adresse für ihren nächsten Job. Und dann könnte sie vielleicht sogar genug sparen, um ihrer Nanna das Geld zurückzugeben, um das Kurt sie gebracht hatte. Jetzt bestand zumindest die Chance dafür.

Andreas drehte sich zu ihr um und nahm ihren Arm.

„Bringen Sie mich jetzt zur Hausdame? Ich finde sie sicher allein, ich habe Sie schon lange genug aufgehalten.“

Ohne darauf einzugehen, führte er sie weiter auf die Aufzüge zu. „Wollen Sie nicht erst Ihr Zimmer sehen? Hatte ich Ihnen schon gesagt, dass Sie sich das Zimmer teilen müssen?“

„Oh, das macht mir bestimmt nichts aus. Sehen Sie sich doch nur mal um.“ Der Aufzug kam und setzte sich gleich darauf wieder leise in Bewegung. Cleo fiel etwas auf, das sie stutzig machte. „Wir fahren aufwärts. Das Personal wird doch nicht in den Gästeetagen untergebracht, oder?“

Andreas antwortete nicht, er wartete ab, bis die Türen aufglitten und sie in eine elegante Lobby traten. Unbeirrt steuerte er auf eine Tür zu und schloss auf. „Sieht aus, als wäre heute Ihr Glückstag.“

Prompt richteten sich ihre Nackenhärchen auf. „Sagen Sie mir, dass das nicht mein Zimmer ist.“

„Genau gesehen ist es das nicht, nein. Wie ich schon sagte, Sie werden das Zimmer teilen müssen.“

Sie schluckte. „Und wessen Zimmer ist es? Prinz Harrys?“ Noch während sie die Frage stellte, wusste sie die Antwort. Eine Antwort, so unglaublich und verrückt, dass sie meinte, selbst verrückt geworden zu sein. „Das ist Ihr Zimmer, nicht wahr? Es gibt gar keinen Job.“

In seinen Augen blitzte Ärger auf. „Kommen Sie herein, und ich erkläre es Ihnen.“

„Ich gehe nicht da rein! Ich fahre sofort nach unten, wenn Sie es mir nicht hier und jetzt erklären. Und dann fahre ich wahrscheinlich sowieso nach unten.“

„Cleo, ich möchte das nicht vor anderen Leuten diskutieren.“

Demonstrativ schaute sie sich um. „Sehen Sie hier irgendwo andere Leute?“

In diesem Augenblick schlug die Aufzugsglocke an. Zwei Paare stiegen aus dem Lift, die Frauen lachend und plaudernd. Die Männer, beladen mit Einkaufstüten, wirkten, als könnten sie einen kräftigen Drink gebrauchen. Sehnsüchtig blickte Cleo zu der offen stehenden Aufzugstür und machte einen Schritt darauf zu – bis ihr jäh etwas einfiel. „Wo ist mein Rucksack?“

„Wahrscheinlich auf dem Weg hierher. Und jetzt kommen Sie endlich rein, und hören Sie sich an, was ich Ihnen vorzuschlagen habe. Wenn Sie dann immer noch gehen wollen, können Sie gehen. Aber hören Sie mich erst an. Ich habe tatsächlich einen Job für Sie.“

„Nur nicht als Putzfrau, oder?“ Sie kaute an ihrer Lippe. Welche Art Jobs mochten griechische Milliardäre für Mädchen haben, die die Highschool geschmissen hatten und bei denen alles, was sie anfingen, in einer Katastrophe endete? Bestimmt nichts, wofür man eine Ausbildung brauchte …

Aber das ergab noch weniger Sinn. Sie sah durchschnittlich aus, ihre Figur grenzte hart an mollig, und die Männer standen nicht gerade Schlange, um ihre Wünsche zu erfüllen. Putzen war so ziemlich das Einzige, in dem sie gut war.

„Cleo.“

Er sprach ihren Namen wie eine Warnung aus. Vielleicht hatte er ja recht. Vielleicht sollte sie sich erst anhören, was er zu sagen hatte. Außerdem musste sie so oder so auf ihren Rucksack warten. Und … sie würde ihm auch noch einiges zu sagen haben, und für das war Privatsphäre angebrachter!

Danach würde sie gehen.

Allein bei dem Gedanken kroch ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Es regnete, es war kalt, und sie wusste nicht, wohin. Doch das Wetter würde ihre Moral nicht korrumpieren. Sie marschierte an ihm vorbei in das Zimmer und wünschte sich, sie hätte nicht ausgerechnet in diesem Moment eingeatmet. Er roch so gut. Glücklicherweise war der Raum groß genug, um Abstand halten zu können.

Es war eine Art Salon, eher wie der Empfangssaal in einem Palast und ganz bestimmt nicht wie die Hotelzimmer, die sie kannte. Eine elegante Sitzgruppe stand vor dem großen marmornen Kamin, ein Tisch mit Stühlen bot am anderen Ende Gelegenheit zum Sitzen. Farben und Stoffe waren geschmackvoll aufeinander abgestimmt. Aber sie war nicht hier, um die Einrichtung zu bewundern!

„Also, ich bin hier. Was nun?“

Fast hätte sie geglaubt, er habe sie nicht gehört. Denn er ging zum Barschrank und goss sich aus einer Kristallkaraffe einen Cognac ein. „Sie auch?“, bot er ihr an.

Sie schüttelte den Kopf. „Sie haben gesagt, Sie hätten eine Putzstelle in einem Hotel für mich.“

Wieder ließ er sich endlos viel Zeit und trank erst einen Schluck, bevor er sich zu ihr umdrehte. „So habe ich das zwar nicht ausgedrückt, aber ich habe es wohl angedeutet, stimmt.“

„Sie haben mich angelogen!“

„Nein, ich habe nicht gelogen. Ich habe tatsächlich eine Stelle als Küchenhilfe in einem anderen Hotel für Sie gefunden. Aber dann habe ich es mir anders überlegt.“

„Warum?“

Er trank das Glas in einem Schluck aus, stellte es ab und kam auf sie zu. „Was, wenn ich Ihnen einen anderen Job anbieten würde? Einen wesentlich besser bezahlten. Genug Geld, um sich ein Ticket zurück nach Australien zu kaufen, genug Geld für den Rest Ihres Lebens.“

Cleo fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Wenn sie ihrer Nanna das Geld zurückzahlen könnte, das sie sich geliehen hatte … Aber was wurde dafür von ihr erwartet? „Was für ein Job?“, verlangte sie zu wissen.

Lachend kam er näher. „Ich wusste, Sie sind die Richtige. Jede andere hätte zuerst gefragt, wie viel.“

„Das wäre meine nächste Frage gewesen.“ Sie zog sich hinter den Esstisch zurück, in Sicherheit.

„Wie viel wäre genug? Einhunderttausend Pfund? Wie viel ist das in Ihrer Währung?“

Auf jeden Fall mehr als das Doppelte. Fast lief ihr bei der Aussicht das Wasser im Mund zusammen. Aber sie hatte genügend Geschichten gehört, in denen man harmlosen Touristen eine Menge Geld anbot, um ein Paket mitzunehmen. Sie landeten später alle hinter Gittern! „Ich will nichts mit Drogengeld zu tun haben, ich bin kein Kurier!“

Ohne dass sie es bemerkt hatte, war er um den Tisch herumgekommen und stand jetzt näher, als sie vermutet hätte. Seine Augen funkelten. „Cleo, Sie beleidigen mich. Ich verachte den Drogenhandel ebenso sehr wie Sie. Ich versichere Ihnen, Ihre Stellung wäre völlig legal und vertraglich geregelt.“

Sicher, überbezahlte, legale Jobs für Highschool-Abbrecher standen ja auch jeden Tag in der Zeitung! Vorsichtshalber bewegte sie sich von ihm weg und befühlte ausgiebig die Blüten des Rosenstraußes, der auf dem Tisch stand. „Was für ein Job soll das sein?“

Dass er ihr nicht folgte, sondern stehen blieb, wo er war, machte sie seltsamerweise noch nervöser.

„Eigentlich ist es recht simpel. Sie sollen einen Monat lang die Rolle meiner Geliebten spielen.“

5. KAPITEL

Was soll ich spielen?“ Cleo wollte loslachen. Wenn es einen passenden Moment für hysterisches Gelächter gab, dann diesen hier. Doch vor Schock blieb ihr das Lachen in der Kehle stecken. „Sie sind ja verrückt!“

„Ich versichere Ihnen, dass das keineswegs der Fall ist. Es ist mir durchaus ernst.“

„Ich weiß nicht, wie Sie auf die Idee kommen, dass ich Ja sagen könnte, aber ich fürchte, Sie haben den falschen Eindruck von mir, Mr. Xenides. Es tut mir leid, aber ich muss Ihr großzügiges Angebot ablehnen.“

„Nennen Sie mich Andreas.“

Sie sah zur Tür. Wo blieb nur ihr Rucksack? Dann wandte sie sich wieder zu ihm. „Warum braucht ein Mann wie Sie überhaupt jemanden, der seine Geliebte spielt? Das ergibt doch keinen Sinn.“

„Vielleicht will ich einfach als nicht mehr verfügbar gelten.“

„Geben Sie doch eine Presseerklärung heraus! Wo ist mein Rucksack? Ich würde jetzt gern gehen.“

„Denken Sie wenigstens darüber nach, Cleo. Sie lassen sich da eine Menge Geld entgehen. Können Sie sich das leisten?“

„Sehen Sie mich doch mal an.“ Sie streckte die Arme aus. „Ich bin eine Putzfrau. Ich schrubbe Toiletten und leere Abfalleimer, und ich habe eingerissene Nägel und raue Hände, um es zu beweisen. Ich bin klein und mollig, und niemand käme auf die Idee, mich als hübsch zu bezeichnen. Und ausgerechnet mich wollen Sie als Ihre Geliebte ausgeben? Wer nimmt Ihnen das denn ab?“

Er zuckte mit einer Schulter und kam näher. „Ich denke, Sie unterschätzen Ihre Reize.“

Reize? Auf welchem Planeten lebte dieser Mann?! „Wieso ich? Sie können doch jede Frau haben, die Sie wollen. Und die haben Sie wahrscheinlich auch schon alle gehabt.“

Gekonnt drehte er den Spieß um und nutzte ihre Beleidigung als Argument. „Eben. Genau deshalb will ich ja auch nicht jede Frau.“ Nun stand er so nah vor ihr, dass sie jede einzelne seiner Wimpern erkennen konnte. Er fuhr mit einer Hand über ihre Wange, und sie zuckte zurück. „Ich will Sie.“

Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. „Ich kann aber nicht …“

Als ihm ein Gedanke kam, ließ er die Hand sinken. „Sind Sie noch Jungfrau?“

Diese unverblümte Frage überrumpelte sie. Ihre Wangen fingen an zu brennen. „Ich dachte, das Ganze soll nur gespielt sein. Warum ist das dann wichtig?“

Ein lässiges Schulterzucken begleitete seine Antwort. „Es könnte passieren, dass wir das Bett teilen müssen, um den Schein zu wahren. Und es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass ein Mann und eine Frau in einer solchen Situation körperliches Vergnügen suchen.“

Himmel, hilf! „Also erwarten Sie Sex als Teil des Deals?“, keuchte Cleo.

„Nicht unbedingt.“ Er wirkte, als hätte sie ihn beleidigt. „Er könnte jedoch ein Nebeneffekt unserer Abmachung sein.“

Ein Nebeneffekt der Abmachung. Wie nüchtern das klang, wie eine geschäftliche Abmachung. Aber das sollte es ja auch sein.

„Ich will das nicht“, erklärte sie und war sich nicht sicher, ob sie den Sex meinte oder die Vereinbarung oder beides. Denn etwas an ihm brachte ihre Sinne auf Hochtouren und weckte eine Sehnsucht in ihr nach etwas, das sie sich nicht wünschen sollte, vor allem nicht von einem Mann, den sie überhaupt nicht kannte.

„Es ist ein gutes Angebot. Ein Vertrag, befristet auf einen Monat, inklusive aller Spesen. Und dann fliegen Sie nach Hause zurück, natürlich erster Klasse.“ Er suchte in ihrer Miene nach dem Riss in ihrem Entschluss. „Und wenn Sie wollen, dann eben kein Sex. Sollte es dennoch dazu kommen, so garantiere ich Ihnen, wird es keine Bedeutung haben.“

Was er sonst noch sagte, hörte Cleo nicht mehr. Es hat keine Bedeutung. Genau das hatte Kurt auch gesagt, als sie ihm ihre Liebe gestanden hatte. Er hatte sich lachend wieder die Jeans angezogen, aber ihre Welt lag in Scherben da. Ihre Reise war umsonst gewesen, sie hatte sinnlos weggeworfen, was ihr so wichtig gewesen war.

„Können wir diesen Punkt klären? Hatten Sie schon Sex?“ Andreas’ Stimme drang wie aus weiter Ferne an ihr Ohr.

„Sicher, oft genug.“ Einmal.

„Fein, dann ist ja alles abgemacht.“

Ihr Kopf ruckte hoch. „Moment mal.“ Hatte sie irgendetwas verpasst? Hatte sie etwa zugestimmt, ohne es zu merken? „Was ist abgemacht?“

„Morgen fliegen wir zusammen in mein Haus auf Santorin.“

Es klingelte an der Tür, ein Page brachte endlich das Gepäck, und Cleo erwachte aus ihrer Starre.

„Nein!“ Sie überraschte beide Männer mit ihrem Ausruf und griff nach ihrem Rucksack. „Ich wollte gerade gehen.“

Der verdatterte Hotelangestellte sah von einem zum anderen – auf Andreas mit der finsteren Miene, dann auf Cleo, die hektisch an dem Trageriemen zerrte – und entschied, dass hier absolute Diskretion von Nöten war. „Wenn Sie noch einen Wunsch haben, können Sie mich jederzeit rufen“, sagte er und zog sich eilig zurück.

Cleo schnallte sich den Rucksack auf den Rücken.

„Ich dachte, wir hatten einen Deal“, warf Andreas ein.

„Sie haben falsch gedacht. Ich habe nie zugestimmt. Und ich gehe jetzt.“

„Aber wohin? Sie haben keinen Job, keine Bleibe.“

„Ich finde schon etwas.“ Sie nahm ihre Jacke und stählte sich, um einen letzten Blick auf ihn zu werfen.

Verboten gut aussehend. So würde sie ihn in Erinnerung behalten. Schwarze Augen und dunkles Haar, das sich um den Hemdskragen wellte, eine gerade Nase über einem sündhaft sinnlichen Mund, ein ausdrucksstarkes Gesicht, auf dem die Schatten spielten.

Na und? Sie würde jetzt gehen. Sicher, es war eine Menge Geld, das sie aufgab, aber sie tat das Richtige. Es war ein unmögliches Angebot. Vor allem aber hatte sie keine Lust auf „Sex als Nebeneffekt“. Sie hatte bedeutungslosen Sex gehabt und sich danach billig gefühlt und sich selbst gehasst. Es hatte sie mehr verletzt, als sie sich eingestehen wollte. Dem würde sie sich nicht noch einmal aussetzen, ganz gleich für wie viel Geld.

„Ich finde auch allein hinaus.“

„Ich brauche Sie“, sagte er, als sie bei der Tür angelangt war.

Die Hand auf dem Knauf, hielt sie inne. „Ich habe eher den Eindruck, Mr. Xenides, dass Sie niemanden brauchen.“ Dann drehte sie den Knauf und zog. Sie gehörte nicht hierher und sollte zusehen, dass sie so schnell wie möglich verschwand.

Die Tür stand schon einen Spaltbreit offen, als Andreas sie wieder zuschlug. „Sie täuschen sich.“ Seine Augen glühten dunkel. „Sie sind auch nicht anders als die anderen. Ich dachte wirklich, Geld interessiert Sie nicht. Aber Sie sind einfach nur eine bessere Schauspielerin als die anderen. Und damit genau die Frau, die ich brauche. Also, wie viel wollen Sie, süße, talentierte Cleo? Was verlangen Sie für Ihre Dienste für einen Monat? Einhunderttausend reichen offensichtlich nicht, also verdoppeln wir es doch einfach. Zweihunderttausend Pfund – vierhunderttausend australische Dollar. Ist das besser?“

Die Summen wirbelten durch ihren Kopf, so groß, dass sie Cleo nicht wirklich etwas bedeuteten. Vierhunderttausend Dollar, um einen Monat lang Andreas’ Begleitung zu spielen? Und diese Chance wollte sie sich ernsthaft entgehen lassen? Damit konnte sie nach Hause fliegen, ihrer Nanna das Geld zurückgeben, endlich das lecke Dach auf der Farm reparieren lassen, über das ihre Mutter sich schon so lange beklagte, und ihr würde noch genügend Geld übrig bleiben, um sich ein eigenes Haus zu kaufen.

Mehr noch … Sie konnte mit hoch erhobenem Kopf nach Hause kommen. Ein Mal, ein einziges Mal in ihrem Leben, wäre sie nicht die Verliererin.

Doch brachte sie es über sich, einen Monat lang die Geliebte dieses Mannes zu spielen? Kopfschüttelnd versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen. Wenn sie doch nur Zeit hätte, sich das Ganze gründlich zu überlegen. „Andreas, ich …“, begann sie.

„Fünfhunderttausend! Eine Million Ihrer Dollar. Ist das genug, um Sie umzustimmen?“

Sie schnappte nach Luft. „Sie machen Witze! Das ist obszön viel Geld.“

„Nicht wenn ich dafür bekomme, was ich will. Und ich will Sie, Cleo. Sagen Sie Ja.“

Eine Million Dollar. Wie konnte sie das ablehnen? Das war ja, als hätte sie in der Lotterie gewonnen. Und ein ganzer Monat auf Santorin, der Insel, von der Kurt so geschwärmt hatte, dass sie sie unbedingt sehen wollte. „Einen Monat, sagen Sie?“, knickte sie ein.

Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln. „Vielleicht sogar weniger, wenn Sie Ihre Karten richtig ausspielen.“

„Aber definitiv kein Sex. Nur so tun als ob, richtig?“, vergewisserte sie sich.

Ein Schatten legte sich über seinen Blick – und verschwand sofort wieder. „Wenn Sie es so wünschen.“

„Ja, so wünsche ich es. Kein Sex. Und in einem Monat fliege ich nach Hause.“

„Erster Klasse, alle Spesen gedeckt.“

Und wenn er nun im letzten Moment noch herausfand, welchen Fehler er machte, dachte Cleo unsicher. „Ich weiß nicht, ob ich die Richtige für den Job bin.“

Er nahm ihr den Rucksack ab und stellte ihn auf den Boden. Die Angst jedoch konnte er ihr nicht nehmen. „Sie sind sogar perfekt für den Job. Noch Fragen?“

Stumm schüttelte sie den Kopf. Wie sollte er all die Fragen beantworten können, die in ihrem Kopf schwirrten, wenn sie selbst sie nicht einmal in Worte fassen konnte? „Nein, ich glaube nicht.“

Er lächelte und legte seine Hand an ihren Nacken. Das setzte ihre Haut in Brand. „Warum besiegeln wir unsere Abmachung nicht mit einem Kuss?“

Schockiert schaute sie zu ihm hoch. „Wir können das doch auch per Handschlag tun.“

„Könnten wir“, stimmte er lässig zu und strich mit einem Daumen über ihre Unterlippe. „Aber da wir mindestens das für die Öffentlichkeit brauchen, sollten wir uns besser gleich daran gewöhnen.“

Und damit bog Andreas ihren Kopf leicht zurück und legte seinen Mund auf ihren, so sanft und zart, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Zuerst verhielt Cleo sich steif vor Angst, ihr Herz pochte rasend, als wollte es aus ihrer Brust springen. Eine Hand an ihren Rücken gelegt, presste er sie an sich, und ihr Körper reagierte prompt. Wohlige Hitze durchströmte sie, ein Seufzer entschlüpfte ihren Lippen, und ihre Knie wollten nachgeben, sodass sie sich an ihn klammern musste, während seine Lippen ihren magischen Zauber ausübten. Fühlte sich so ein Mann an, harte Muskeln unter samtweicher Haut, im Gegensatz zu einem Jungen? Kurt hatte behauptet, sechsundzwanzig zu sein und regelmäßig zu trainieren. Aber sein Körper war weich wie Toast gewesen und ebenso unbefriedigend. Ihre Finger sehnten sich geradezu schmerzhaft danach, mehr zu erkunden …

Dann war der Kuss vorbei. Andreas löste seine Lippen von ihren, und sie blinzelte verwirrt und atemlos. Voller Angst sah sie zu ihm. Hatte er ihre Unerfahrenheit etwa bemerkt und es sich doch noch anders überlegt?

„Wir haben also eine Abmachung“, überraschte er sie jedoch und ließ sie los. „Du möchtest dich wahrscheinlich einrichten. In der Zeit rufe ich meinen Anwalt an, damit er die Papiere aufsetzt.“

„Papiere?“ Er hatte sie gerade geküsst, bis ihr Hören und Sehen vergangen war, und erwartete nun, dass sie wusste, wovon er sprach?

„Der Vertrag. Es ist schließlich eine Geschäftsvereinbarung. Wir brauchen die Absicherung, dass es auch so bleibt.“

„Ja, natürlich.“ Was sie von geschäftlichen Vereinbarungen verstand, passte durch ein Nadelöhr. Aber wenn ein Vertrag bedeutete, dass sie ihr Geld bekam und dieses Mal nicht übers Ohr gehauen wurde wie von Kurt, dann konnte sie damit leben.

Die Ereignisse des Tages holten Cleo jäh ein, eine Welle der Erschöpfung schlug über ihr zusammen. Sie brauchte Schlaf, und zwar dringend. „Wo ist mein Zimmer?“, fragte sie.

Doch er telefonierte schon und schickte einen Schwall auf schnellem Griechisch durch die Muschel. Na schön, dann würde sie ihr Zimmer eben selbst finden. Sie hievte ihren Rucksack über die Schulter und machte sich auf die Suche.

Vom Salon führte eine Tür in ein Schlafzimmer mit einem riesigen Doppelbett, davon ging eine Tür ab, die in ein mit Marmor ausgelegtes Bad führte. Cleo ging durch die nächste Tür, nur um sich im Salon wiederzufinden, wo Andreas noch immer telefonierte. Mit gerunzelter Stirn schaute er zu ihr hin. „Mein Zimmer?“, formte sie mit den Lippen. Er zog eine Braue hoch und deutete auf die Tür, durch die sie zuerst gegangen war.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Er erwartete doch nicht ernsthaft von ihr, dass sie in einem Bett mit ihm schlief? Sicher, er hatte erwähnt, dass das nötig werden könnte, um den Schein zu wahren. Aber hier war doch niemand, der sie sah. Sie schüttelte den Kopf. Die Panik musste in ihren Augen stehen, denn er legte die Hand auf die Muschel und zeigte auf das Sofa. „Das Schlafzimmer gehört dir. Ich schlafe hier.“

Verlegen zog sie sich ins Schlafzimmer zurück und fühlte sich albern und dumm und zugleich erleichtert. Hatte sie sich etwa eingebildet, er würde mit ihr schlafen wollen? Natürlich nicht! Die Abmachung hieß doch, sie solle seine Geliebte spielen, nicht sein. Ein einziger Kuss, und schon konnte sie nicht mehr klar denken und erwartete praktisch von ihm, dass er mit ihr schlief.

Sie kramte ihren Schlafanzug und ihre Kulturtasche aus dem Rucksack und ging ins Bad. Eine heiße Dusche und dann ins Bett. Nach einer Nacht Schlaf würde sie wieder vernünftig denken können. Dann könnten sie morgen früh die nötigen Regeln festlegen.

Morgen früh …

Andreas telefonierte noch immer, als der Zimmerservice das Essen brachte, das er zwischen den Anrufen mit seinen Anwälten und den Absprachen für Cleos Termine hier im Hotel bestellt hatte. Morgen würde Cleo gründlich zurechtgemacht werden müssen, bevor sie sich zusammen in der Öffentlichkeit blicken ließen. Und es konnte nicht schaden, wenn sie ein paar Stunden ihre Privatsphäre hatten, um sich kennenzulernen. So perfekt sie im Moment für seine Zwecke auch schien, die Verträge würden erst unterzeichnet werden, wenn er sich absolut sicher war.

Er öffnete die Tür zum Schlafzimmer und fand den Raum in Dunkelheit vor, nur der Lichtschein vom Salon hinter ihm fiel herein. Da lag sie, winzig in dem riesigen Bett, verpackt in ihren Flanellpyjama wie in eine Rüstung und mit der lächerlichen Schlafmaske auf den Augen. Ärger rann heiß durch seine Adern. Gerade hatte er ihr eine Million Dollar für ihre Dienste geboten, und sie lag da und schlief, als könnte sie morgen damit anfangen, ihr Geld zu verdienen?!

Schon wollte er ihr die verdammte Schlafmaske von den Augen reißen, als sie leise seufzte und sich umdrehte. Da fiel es ihm wieder ein.

Seine Leute hatten sie am frühen Abend aus dem Schlaf gerissen. Sie hatte ihm gesagt, dass sie seit dem Morgengrauen arbeitete. Er selbst hatte die Ringe unter ihren Augen gesehen. Vielleicht sollte er den Ringen erst einmal die Möglichkeit lassen zu verschwinden. Dann hätten die Stylisten morgen auch eine bessere Chance, die Frau aus ihr zu machen, die er brauchte.

Er sollte sie schlafen lassen. Andererseits könnte er auch zu ihr ins Bett steigen und sich holen, wofür er bezahlt hatte. Kein Sex, hatte sie gesagt, aber bisher hatte noch keine Frau ihn abgewiesen …

Es klopfte. Vermutlich das Zimmermädchen, um aus dem Sofa ein Bett zu machen. Andreas drehte sich um und zog die Schlafzimmertür zu.

Er hatte es nicht nötig, sich einer Frau aufzudrängen. Ihm blieb ein ganzer Monat. Sie würde von allein zu ihm kommen.

6. KAPITEL

„Aufstehen, Schlafmütze. Du hast einen vollen Terminkalender.“

Der Wecker neben dem Bett hörte auf zu rasseln, und Cleo atmete tief den Duft von schlafgewärmter Haut ein. Seine schlafgewärmte Haut. Also, der Wecker erklärte das Klingeln in ihrem Kopf, was aber war verantwortlich für das Rauschen ihres Bluts?

Cleo setzte sich auf und schob die Schlafmaske auf die Stirn. Dann fiel ihr Andreas’ Kommentar über den Clown im Bett ein, und hastig riss sie sie sich vom Kopf. Keine Sekunde später wünschte sie, sie hätte es nicht getan. Er war nackt. Ohne jegliche Spur von Verlegenheit ging er zum Schrank, um einen Bademantel hervorzuziehen. Ihre Wangen brannten, aber sie konnte ihren faszinierten Blick auch nicht von ihm abwenden. Daher war sie endlos dankbar, als er in den Bademantel schlüpfte und den Gürtel auf Hüfthöhe verknotete.

„Hunger?“, fragte er lässig. Doch in solchen Kategorien dachte ihr Verstand jetzt überhaupt nicht. „Du hast das Abendessen gestern verpasst. Also habe ich mir die Freiheit genommen, für uns beide zu bestellen. Du sahst aus, als könntest du noch bis Mittag schlafen.“

Irgendwie gelang es ihr, die Zunge vom Gaumen zu lösen. „Ich war müde.“

„Ganz offensichtlich. Du hast wie eine Tote geschlafen. Das Frühstück wird gleich hier sein, und in weniger als einer Stunde hast du deinen ersten Termin.“

„Was für ein Termin?“

„Unten im Schönheitssalon. Das volle Programm. Danach kommt die Stylistin mit einer Garderobenauswahl. Viel Zeit zur Auswahl bleibt dir nicht, mittags geht unser Flug.“

Cleo sah zur Uhr. Es war gerade kurz nach sieben. „Bis dahin sind es doch noch Stunden.“

„Und die wirst du brauchen. Also, iss, und warte nicht auf mich.“ Unter seinem Blick begann ihre Haut zu prickeln. „Denn ebenso wirst du auch deine Kraft brauchen.“

Als er im Bad verschwand, erschauerte sie leicht. Warum hatte sie das Gefühl, dass er nicht nur von den bevorstehenden Terminen sprach?

Nur Minuten später kam der Zimmerservice mit dem Frühstück, und Cleo langte kräftig zu. Sie hatte großen Hunger, und das, was der Kellner servierte, war ein wahres Festmahl. Sie aß noch immer, als Andreas nur mit einem Handtuch um die Hüften geschlungen und die Haut noch feucht vom Duschen, ins Zimmer zurückkam.

„Das sehe ich gern“, sagte er, als er sich zu ihr an den Tisch setzte. „Eine Frau mit gesundem Appetit.“

Den Bissen, den sie im Mund hatte, bekam sie noch herunter, aber danach war an Essen nicht mehr zu denken. Wie auch, wenn er halb nackt neben ihr saß und sein frischer Duft ihren Hunger in eine ganz andere Richtung lenkte? Er nahm den Korb mit den noch warmen Croissants und bot ihn ihr an.

Sich zu ihm zu drehen war eindeutig ein Fehler. Ihn anzusehen statt die Croissants ein noch viel größerer. Ein einzelner Wassertropfen lief langsam über seine breite Brust. Fasziniert verfolgte sie seinen Weg nach unten und meinte, den Tropfen auf der eigenen Haut zu spüren. Die Spitzen ihrer Brüste richteten sich auf und drückten sich gegen den weichen Flanell ihres Pyjamas. Dann erreichte der Tropfen den Handtuchrand und wurde aufgesaugt.

„Möchtest du etwas?“

Blinzelnd hob Cleo den Blick, nur um festzustellen, dass Andreas sie beobachtete. Ein Lächeln saß in seinen Mundwinkeln, ganz offensichtlich amüsierte er sich über sie. Kein Wunder. Sie war gut darin, sich selbst zum Narren zu machen, bisher allerdings nicht wegen eines einzelnen Wassertropfens auf einer bloßen Männerbrust.

„Nein … nein, danke“, brachte sie hervor und hielt den Kragen ihres Schlafanzugs eng am Hals zusammen, als müsste sie sich gegen etwas schützen. Aber gegen was? „Ich sollte besser duschen gehen. Vielen Dank für das Frühstück.“

„Eines noch.“ Er nahm ihre Hand und stoppte damit vorerst ihren überhasteten Rückzug. Mit dem Daumen beschrieb er kleine Kreise auf ihrer Handfläche. „Du musst mir für nichts danken. Wir haben eine Abmachung. Du spielst meine Geliebte und nimmst alles, was dir geboten wird, und ich werde alles nehmen, was mir angeboten wird. So weit klar?“

Ihre Hand wirkte so winzig in seiner, und ihre Haut, die längst Australiens gesunde Bräune verloren hatte, wirkte so hell im Vergleich zu seiner. Andreas war stark und dunkel und reich, und sie war pleite und blass und musste bizarre Deals eingehen, um zu überleben. Erwartete er wirklich, dass sie sich ihm anbieten würde? Immerhin hatte er auf dem Sofa geschlafen, das zerknitterte Laken und die Decken auf dem Boden zeugten noch davon. Doch seit er sie geweckt hatte, ohne jegliche Scham halb nackt herumstolzierte und doppeldeutige Kommentare machte, schien es tatsächlich so, als läge der Gedanke an Sex bei ihm nicht allzu weit entfernt. Mit ihr? Ganz bestimmt nicht!

Sie schluckte. „Ich werde meinen Job gemäß Arbeitsvertrag erfüllen. Ich kann mir nicht denken, was ich sonst noch zu offerieren habe, was von Interesse für dich sein könnte.“

„Ich meine es genau so, wie ich es gesagt habe.“ Einen Augenblick lang hielten seine Augen sie noch gefangen, dann ließ er sie los, und sie flüchtete sich ins Bad.

Der Vormittag verging wie Flug. Ein Hotelangestellter geleitete Cleo zum Schönheitssalon hinunter und in einen privaten Raum, wo Coiffeur, Kosmetikerin und Maniküre wahre Wunder an ihr vollbrachten und sie in eine Frau verwandelten, mit der Andreas sich sehen lassen konnte.

Nachdem das Team seine Arbeit beendet hatte, scharte es sich um Cleo und wartete auf eine Reaktion. Doch sie war viel zu überwältigt, um etwas zu sagen. Ihr einst mausbraunes Haar schimmerte in mindestens einem Dutzend verschiedener Kupfer- und Goldtöne, der raffinierte Schnitt nutzte die natürlichen weichen Wellen, um mehr Volumen und Länge zu erreichen. Die Kosmetikerin hatte mit Lidschatten und Wimperntusche aus Cleos Augen die einer Sirene gemacht, die dunklen Ringe darunter waren verschwunden, das Blau strahlte. Eine junge Frau, die niemals auf die Idee gekommen wäre, sich als hübsch zu bezeichnen, fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben schön.

Tränen wollten ihr in die Augen schießen. Cleo biss sich hart auf die Lippe, weil sie ihr Make-up nicht ruinieren wollte. Die Mühe des Teams sollte schließlich nicht umsonst gewesen sein. „Ich fasse kaum, was Sie vollbracht haben, ich bin Ihnen so unendlich dankbar.“ Sie blickte zu der Kosmetikerin. „Können Sie mir zeigen, wie ich mich selbst schminken kann?“

Die Frau nickte lächelnd, und als Cleo wenig später auf dem Weg zurück zur Suite durch die Lobby ging, ausgestattet mit einer vollständigen Palette aller erdenklichen Kosmetika, befürchtete sie nicht mehr, von den Sicherheitsleuten gepackt zu werden. Zwar trug sie Jeans und T-Shirt, aber sie bewegte sich mit einer Selbstsicherheit, die sie noch nie empfunden hatte. Und als sich tatsächlich ein oder zwei Köpfe nach ihr umdrehten, verspürte sie ein unbekanntes Prickeln, und ein Lächeln spielte um ihre Lippen. Sie konnte es kaum erwarten, Andreas’ Reaktion auf ihre Verwandlung zu erleben.

Doch er war gar nicht in der Suite. Natürlich, er war ein beschäftigter Mann und hatte sicher nicht die Zeit, um herumsitzen und auf sie zu warten. Außerdem war der Salon in ihrer Abwesenheit in eine Art Boutique umgewandelt worden. Rollende Garderobenstangen mit eleganter und lässiger Kleidung inklusive Abendmode füllten den Raum. Eine Stylistin stellte sich als Madame Bernadette vor und ging sofort an ihre Arbeit, die sie offensichtlich sehr ernst nahm. Kein Wunder, dass Andreas sich aus dem Staub gemacht hatte!

Zwei Stunden später war Cleo völlig erschlagen. Längst hatte sie aufgehört zu zählen, wie viele Kombinationen sie anprobiert hatte, wie oft Madame Bernadette wohlwollend genickt, kritisch den Stoff befühlt oder missbilligend mit der Zunge geschnalzt hatte. Doch sie schien ihr Handwerk zu verstehen, denn nach den zwei Stunden hing nur noch wenig auf den Ständern. Alles, was nicht mehr dort hing, ging mit auf die Reise. Für jemanden, der seit sechs Wochen mit dem Inhalt eines Rucksacks auskam, war das hier die Übertreibung des Jahrhunderts. Aber Andreas musste klare Anweisungen gegeben haben, denn Madame Bernadette war selbst mit Engelszungen nicht dazu zu bewegen, auch nur einen Teil wieder auf die Ständer zurückzuhängen. Und die Frage, wie das alles transportiert werden sollte, löste sich in Luft auf, als ein Klopfen an der Tür die Ankunft eines gesamten Sortiments der feinsten Reisekoffer ankündigte, einschließlich zweier Zimmermädchen, die alles ordentlich einpackten.

Inzwischen war es fast zwölf. Cleo zweifelte nicht daran, dass Andreas von ihr erwartete, pünktlich auf die Minute fertig zu sein und auch die neue Kollektion sofort in Gebrauch zu sehen. Also wählte sie einen Hosenanzug aus einem fließenden Wolle-Seide-Gemisch und kombinierte ihn mit einer passenden Bluse und sündhaft sexy Dessous. Die Sandaletten mit den hohen Absätzen machten sie gute zehn Zentimeter größer, und der blaue Seidenschal, den Madame Bernadette ihr um den Hals geschlungen hatte, ließ ihre Augen strahlen. Innerhalb weniger Stunden hatte sie die Wandlung vom Kind zur Frau durchlaufen, und sie fühlte sich weiblicher denn je zuvor. Sie konnte es gar nicht mehr abwarten, Andreas ihr neues Ich zu präsentieren.

Es wurde zwölf, es wurde halb eins. Noch immer kein Ton von Andreas. Hatte er seine Meinung etwa im letzten Moment geändert? Nach diesem Wirbelwind-Vormittag, an dem nicht einmal Zeit zum Luftholen geblieben war, wusste Cleo nicht, ob sie jetzt wirklich darüber nachdenken wollte, auf was sie sich da eingelassen hatte. Nach dem Desaster mit Kurt stand sie im Begriff, England zu verlassen und auf eine griechische Insel zu fliegen, mit einem Mann, den sie kaum kannte. Mit einem Milliardär, der eine Scheingeliebte brauchte.

Als es an der Tür klopfte, wäre sie fast aus der Haut gefahren. Ein Page stand auf der Schwelle. „Ich soll das Gepäck abholen, Miss. Der Wagen wartet bereits vor dem Eingang, um Sie zum Flughafen zu bringen.“

Also hatte Andreas seine Meinung nicht geändert! Cleo atmete noch einmal tief durch. Es war nur für einen Monat. Danach würde sie die Insel wieder verlassen. Als Millionärin.

Wie schwer konnte ein Monat schon werden?

Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen durchquerte sie die Halle, ihr Haar wippte bei jedem ihrer Schritte luftig mit. Endlich war ihre Pechsträhne zu Ende. Endlich hatte Cleo Taylor ihre eigene Erfolgsgeschichte.

Am Eingang tippte der Portier sich grüßend an den Zylinder. „Miss Taylor.“ Er beeilte sich, die Tür der wartenden Limousine für sie aufzuziehen, als wäre sie jemand Wichtiges, ein geschätzter Gast, und nicht das Landei, das gestern noch in Jeans und Boots in der Lobby gestanden hatte.

Sie beugte sich vor, stieg in den Wagen und setzte sich auf den Sitz Andreas gegenüber, der irgendwelche Papiere auf den Knien hielt, in die er völlig vertieft war.

Autor

Lindsay Armstrong

Lindsay Armstrong wurde in Südafrika geboren, und bis heute fasziniert sie der Kontinent sehr. Schon als kleines Mädchen wusste sie, was sie später machen wollte: Sie war entschlossen, Schriftstellerin zu werden, viel zu reisen und als Wildhüterin zu arbeiten.

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