Julia Extra Band 401

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DIE RÜCKKEHR DES GRIECHISCHEN TYCOONS von GRAHAM, LYNNE
Wenn Billie in die Augen ihres kleinen Sohnes schaut, muss sie an Giorgios denken. Der griechische Tycoon, der ihr das Herz brach, als er eine andere heiratete! Schluss, aus, vorbei - bis Giorgios überraschend vor ihrer Tür steht, so überwältigend wie damals. Und geschieden …

IM BANN DES WÜSTENSOHNS von YATES, MAISEY
Prinzessin Samarah liegt auf der Lauer, die Waffe in der Hand. Wenn Ferran das Schlafgemach betritt, wird sie Vergeltung üben! Doch der Scheich ist schneller und stellt Samarah vor eine unfassbare Alternative: Entweder er lässt sie in den Kerker werfen - oder sie heiratet ihn!

WAS KOSTET DAS GLÜCK? von COLLINS, DANI
"Du findest 100.000 Dollar auf deinem Konto. Vorausgesetzt, ich finde dich heute Abend in meinem Bett." Fassungslos liest Clair die E-Mail ihres neuen Bosses Alexej Dmitriev. Pure Erpressung - aber für ihr Herzensprojekt tut sie fast alles! Auch den sexy Milliardär zu lieben?

LIEBESWUNDER IN DER TOSKANA von PEMBROKE, SOPHIE
Es war Theas größter Traum: Eine Hochzeit in den sanften Hügeln der Toskana - eine Verbindung, die zwei verfeindete Familien versöhnt! Aber nicht ihr Bräutigam lässt sie voller Sehnsucht an ihre Hochzeitsnacht denken. Sondern dessen Bruder Zeke Ashton …


  • Erscheinungstag 28.07.2015
  • Bandnummer 0401
  • ISBN / Artikelnummer 9783733704568
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lynne Graham, Maisey Yates, Dani Collins, Sophie Pembroke

JULIA EXTRA BAND 401

LYNNE GRAHAM

Die Rückkehr des griechischen Tycoons

„Wir haben sie gefunden.“ Der Privatdetektiv war erfolgreich! Und schon steigt Giorgios in die Limousine. In ihm brennt der Wunsch, Billie zurückzuerobern. Die einzige Frau, die ihn jemals verlassen hat …

MAISEY YATES

Im Bann des Wüstensohns

Es ist nicht das erste Mal, dass Scheich Ferran bedroht wird. Aber noch nie trachtete ihm eine so schöne Frau nach dem Leben! Prinzessin Samarah zu entwaffnen ist leicht – und noch viel leichter, sie süß zu strafen …

DANI COLLINS

Was kostet das Glück?

Alexej Dmitriev ist überzeugt, dass seine neue Assistentin seinem Vorgänger jeden Wunsch erfüllt hat – und auch auf sein unmoralisches Angebot eingehen wird! Doch auf den Milliardär wartet eine Überraschung …

SOPHIE PEMBROKE

Liebeswunder in der Toskana

Es ist das Schlimmste, was Zeke jemals getan hat: Er hält Thea in seinen Armen und verführt sie voller Leidenschaft – dabei wird sie morgen seinen Bruder heiraten! Wenn nicht ein Wunder geschieht …

1. KAPITEL

Der griechische Milliardär Giorgios Letsos veranstaltete in seinem Stadthaus in London die Party des Jahres. Doch statt sich unter die Gäste zu mischen, beantwortete er seine E-Mails, um vor den Frauen zu fliehen, die ihn verfolgten, seit er seine Scheidung bekanntgegeben hatte.

„Ich habe gehört, dass er sie abserviert hat, weil sie Drogen genommen hat“, sagte eine Frauenstimme vor der Tür der Bibliothek. Ein Hausmädchen hatte ihm einen Drink gebracht und vergessen, diese zu schließen.

„Und ich habe gehört, dass er sie mitten in der Nacht mit Sack und Pack vor der Tür ihres Vaters abgesetzt hat“, sagte eine andere Frau.

Ich habe gehört“, ließ sich eine dritte Frau vernehmen, „dass sie wegen des Ehevertrags keinen Penny bekommen hat.“

Dass die ganzen Gerüchte seine Gäste bei Laune hielten, amüsierte Gio. Als sein Mobiltelefon klingelte, nahm er den Anruf an.

„Mr Letsos? Hier ist Joe Henley von Henley Investigations …“

„Ja?“, meinte Gio geistesabwesend, die Aufmerksamkeit immer noch auf den Laptop gerichtet, weil er glaubte, es würde sich um den üblichen vierteljährlichen Bericht handeln.

„Wir haben sie gefunden … zumindest bin ich mir diesmal zu neunzig Prozent sicher“, fügte der Mann mittleren Alters vorsichtig hinzu, nachdem er sich bereits einmal getäuscht hatte und Gio durch die Stadt gerast war, nur um dann auf eine Fremde zu treffen. „Ich habe ein Foto geschossen und es Ihnen per Mail geschickt. Vielleicht sehen Sie es sich an, bevor wir weitermachen.“

Wir haben sie gefunden … Gio sprang auf und straffte sich, während er erneut sein Postfach öffnete. Seine dunklen Augen funkelten, als er besagte Nachricht fand und auf den Anhang klickte.

Obwohl es sich um kein besonders gutes Foto handelte, erkannte er die zierliche und doch kurvenreiche Gestalt in dem geblümten Regenmantel sofort. Er verspürte ein erregendes Prickeln und zugleich eine tiefe Befriedigung.

„Dafür werde ich Sie großzügig entlohnen“, sagte er leise, während er starr das Foto betrachtete, als könnte es sich jeden Moment in Luft auflösen. So, wie sie es getan hatte. Sie hatte ihre Spuren so gut verwischt, dass er schon geglaubt hatte, er würde sie niemals finden.

„Wo ist sie?“, hakte er nach.

„Ich habe die Adresse, Mr Letsos, aber ich kann Ihnen noch keine Hintergrundinformationen liefern“, erwiderte Joe Henley. „Wenn Sie mir ein paar Tage geben …“

„Ich will nur ihre Adresse“, fiel Gio ihm ungeduldig ins Wort.

Und dann lächelte er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder. Endlich hatte er sie gefunden. Das bedeutete natürlich nicht automatisch, dass er ihr verzeihen würde. Er presste die sinnlichen Lippen auf eine Art und Weise zusammen, die seine leitenden Mitarbeiter hätte zusammenzucken lassen, denn er war ein harter, allseits gefürchteter Geschäftsmann. Aber da war sie, seine Billie, wie immer in geblümten Sachen, das herzförmige, zarte Gesicht von dunkelblonden Locken umgeben, die großen grünen Augen ungewöhnlich ernst.

„Du bist kein guter Gastgeber“, ließ sich im nächsten Moment eine Männerstimme von der Tür her vernehmen. Leandros Conistis, anders als Gio klein und blond, war sein bester Freund aus Schultagen und kam wie er aus einer wohlhabenden, privilegierten griechischen Familie. Auch seine Eltern hatten keine glückliche Ehe geführt und ihn nicht zuletzt deswegen auf ein exklusives Internat in England geschickt.

Gio klappte seinen Laptop zu und betrachtete seinen alten Freund. „Wundert dich das? Meine Partys sind doch immer gut besucht“, fügte er hinzu, wohl wissend, dass sein Reichtum wie ein Magnet auf andere wirkte.

„Ich wusste gar nicht, dass du eine Scheidungsparty gibst.“

„Es ist keine Scheidungsparty. Das wäre geschmacklos.“

„Mir kannst du nichts vormachen“, warnte Leandros ihn.

Gios markante Züge waren ausdruckslos. „Calisto und ich haben uns einvernehmlich scheiden lassen …“

„Und jetzt bist du wieder auf dem Markt, und die Piranhas ziehen ihre Kreise.“

„Ich werde nie wieder heiraten“, verkündete Gio grimmig.

„Nie wieder ist eine lange Zeit …“

„Das meine ich ernst.“

Sein Freund schwieg und versuchte dann, die Atmosphäre mit einem alten Witz aufzulockern. „Wenigstens wusste Calisto, dass Canaletto nicht der Name eines Rennpferds ist!“

Für einen Moment erstarrte Gio, denn der Witz hatte sich schon vor einer ganzen Weile abgenutzt.

„Ich meine …“ Leandros grinste immer noch. „… ich kann dir nicht verdenken, dass du die hast fallen lassen!“

Gio schwieg. Selbst seinem ältesten Freund offenbarte er nicht sein Innerstes. Er hatte Billie gar nicht fallen lassen, sondern sie nur nicht mehr mit in die Öffentlichkeit genommen.

Billie stand in der Garage und sichtete die Kleidungsstücke und den Modeschmuck, die sie in dieser Woche erstanden hatte, um sie in ihrem Secondhandgeschäft zu verkaufen. Auf den ersten Haufen tat sie die Sachen, die nur gewaschen werden mussten, auf den zweiten die, die gereinigt oder auch repariert werden mussten, auf den dritten die, die in die Altkleidersammlung gehörten. Dabei sprach sie ununterbrochen mit ihrem Sohn. „Du bist das süßeste Baby der Welt“, versicherte sie Theo, der lächelnd in seinem Hochstuhl saß, fröhlich strampelte und seinen Vormittagssnack aß.

Seufzend richtete sie sich auf, weil ihr der Rücken wehtat, und dachte erleichtert daran, dass sie nach der Geburt schon einige Pfund verloren hatte. Natürlich nahmen fast alle Frauen während der Schwangerschaft zu, doch sie hatte schon immer sehr auf ihr Gewicht achten müssen und wusste daher, wie schwer es war abzunehmen. Und da sie nur knapp einen Meter sechzig maß und üppige Rundungen hatte, fühlte sie sich schon mit wenigen überflüssigen Pfunden sehr unwohl in ihrer Haut.

„Kaffee?“, rief Dee, ihre Cousine und Mitbewohnerin, im nächsten Moment aus der Hintertür.

„Gern“, erwiderte Billie lächelnd.

Zum Glück hatte sie sich nicht eine Minute einsam gefühlt, seit sie ihre Freundschaft mit Dee wiederentdeckt hatte. Allerdings waren sie sich nur durch einen Zufall begegnet. Sie war im vierten Monat schwanger gewesen, als sie zur Beisetzung ihrer Tante, Dees Mutter, nach Yorkshire fuhr und dort mit Dee ins Gespräch kam. Obwohl diese einige Jahre älter war als sie, waren sie zusammen zur Grundschule gegangen. Dee hatte damals ein blaues Auge und zahlreiche Blutergüsse gehabt und mit ihren Zwillingen im Frauenhaus gewohnt, weil sie vor ihrem gewalttätigen Ehemann geflohen war. Jade und Davis waren inzwischen fünf und gingen in die Vorschule. In der Kleinstadt, in der Billie ein Reihenhaus gekauft hatte, hatten sie alle einen neuen Anfang gemacht.

Und das Leben ist schön, sagte Billie sich energisch, die Kaffeetasse in der Hand, während Dee sich darüber beklagte, dass Jade zu viel Hausaufgaben machen musste. Dieses Leben ist ganz normal und ruhig, überlegte Billie weiter, während im Hintergrund die Waschmaschine lief und die Kinder nebenan saßen und fernsahen. Es hatte zwar keine Höhen, aber auch keine Tiefen.

Niemals würde sie jene Wochen vergessen, in denen sie am absoluten Tiefpunkt angelangt war. Sie war in Depressionen verfallen und hatte keinen Ausweg mehr gewusst. Doch letztendlich hatte es dieser beängstigenden Entwicklung bedurft, damit sie irgendwann Licht am Ende des Tunnels sah und wieder zuversichtlich in die Zukunft blicken konnte. Strahlend betrachtete sie Theo.

„Es ist nicht gut, ein Baby so zu lieben“, warnte ihre Cousine sie stirnrunzelnd. „Kinder werden groß und gehen irgendwann aus dem Haus. Theo ist wirklich ein süßes Baby, Billie, aber du kannst nicht dein ganzes Leben nach ihm ausrichten. Du brauchst einen Mann …“

„Ich brauche einen Mann wie ein Fisch ein Fahrrad“, konterte Billie, denn ihre einzige richtige Beziehung bisher hatte sie für immer kuriert. „Und das sagt die Richtige.“

Dee, eine große, sehr schlanke Blondine mit grauen Augen, schnitt eine Grimasse. „Ich bin mit dem Thema durch.“

„Genau“, bestätigte Billie.

„Aber ich habe nicht so viele Chancen wie du“, wandte Dee ein. „An deiner Stelle würde ich jeden Abend mit einem anderen Mann ausgehen!“

Theo umfasste Billies Beine und versuchte aufzustehen. Wenn man bedachte, dass er wegen einer Fehlstellung der Hüften monatelang eine Gipsschiene hatte tragen müssen, entwickelte er sich sehr schnell. Flüchtig erinnerte er sie stark an seinen Vater, und das gefiel ihr überhaupt nicht, weil sie nicht an die Vergangenheit und die Fehler, die sie begangen hatte, denken wollte. Sie hatte eine harte Lektion gelernt und sich gezwungen weiterzumachen.

Frustriert betrachtete Dee ihre Cousine. Billie Smith übte eine enorme Anziehungskraft auf Männer aus. Schlank und dennoch mit Kurven an den richtigen Stellen, langen dunkelblonden Locken und einem außergewöhnlich hübschen Gesicht, strahlte Billie die natürliche Wärme und den ebensolchen Sex-Appeal aus, die auf Männer unwiderstehlich wirkten. Sie wurde überall angesprochen – im Supermarkt, auf Parkplätzen oder auf der Straße. Wäre Billie nicht so bescheiden und liebenswert gewesen, wäre sie sicher von Neid zerfressen gewesen, wie Dee glaubte. Um ihre unglückliche längere Affäre mit dem ebenso rücksichtslosen wie egoistischen Mistkerl, der ihr das Herz gebrochen hatte, hätte sie sie allerdings niemals beneidet, wie Dee sich schuldbewusst klarmachte. Genau wie sie hatte Billie einen hohen Preis dafür bezahlt, dass sie sich in den falschen Mann verliebt hatte.

Ein lautes Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken.

„Ich gehe“, verkündete Billie, weil Dee gerade bügelte.

Davis kam aus dem Wohnzimmer gestürmt und fiel dabei fast über Theo, der nun hinter seiner Mutter her krabbelte. „Da draußen steht ein riesiges Auto!“, rief er aufgeregt.

Billie nahm an, dass es sich um einen Lieferwagen handelte. Sie schloss auf und wich dann einen Schritt zurück, verblüfft und in Panik zugleich.

„Du bist wirklich schwer zu finden“, sagte Gio leise.

Sie war wie gelähmt. „Was … machst du hier? Warum hast du mich ausfindig gemacht?“

Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete Gio Billie. Vierundzwanzig Sommersprossen zierten ihre Nase und ihre Wangen – er hatte sie einmal gezählt. Ihre klaren grünen Augen, die zarten Züge und die sinnlichen Lippen sahen noch genauso aus wie damals, wie er erleichtert feststellte. Sie trug ein verwaschenes blaues T-Shirt, unter dem sich ihre vollen Brüste abzeichneten. Zu seinem Leidwesen stellte er fest, dass heißes Verlangen in ihm aufflammte – zum ersten Mal seit langer Zeit.

Dann überwog allerdings seine Erleichterung, weil es viel zu lange her war, seit er das letzte Mal so auf eine Frau reagiert hatte. Er hatte sogar schon gefürchtet, seine Ehe hätte ihn auf seltsame Art und Weise seiner Männlichkeit beraubt. Doch er hatte auch noch nie eine Frau so begehrt wie Billie. Einmal war er sogar für eine Nacht nach New York geflogen, weil er es nicht geschafft hätte, noch eine Woche ohne sie zu überstehen.

Billie war so entsetzt über Gios unerwartetes Auftauchen, dass sie sich nicht von der Stelle rühren konnte. Starr betrachtete sie ihn, den Mann, den sie einmal geliebt und von dem sie geglaubt hatte, sie würde ihn niemals wiedersehen. Ihr Herz begann, schmerzhaft zu pochen. Sie atmete tief ein und zuckte zusammen, als Theo sie in die Wirklichkeit zurückholte, indem er die Finger in ihre Jeans krallte, um sich an ihr hochzuziehen.

„Wer ist da, Billie?“, fragte Dee von der Küchentür her. „Ist etwas?“

„Nein, nichts“, brachte Billie heraus, bevor sie sich abrupt bückte, um Theo hochzuheben. Dabei fiel ihr Blick auf Dees Kinder, die Gio fasziniert betrachteten. „Dee … kannst du die Kinder nehmen?“

Billie musste sich zwingen, ihre Aufmerksamkeit wieder auf Gio zu richten, während Dee ihr Theo abnahm und ihre Kinder in die Küche scheuchte. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, herrschte im Flur eine beklemmende Stille.

„Ich habe dich gefragt, warum du hier bist und warum du mich überhaupt ausfindig gemacht hast“, erinnerte Billie ihren unwillkommenen Besucher.

„Soll diese längst überfällige Begegnung wirklich zwischen Tür und Angel stattfinden?“, erkundigte Gio sich trügerisch sanft. Wie immer bestimmte er, und das verunsicherte und verärgerte sie gleichermaßen.

„Ja, warum nicht?“, flüsterte sie hilflos, während sie sich verzweifelt bemühte, den Blick von ihm abzuwenden. Wie oft hatte sie die Finger durch sein dichtes schwarzes Haar gleiten lassen! Sie hatte ihn geliebt, hatte alles an ihm geliebt, sogar seine Unzulänglichkeiten. „Ich schulde dir gar nichts!“

Gio presste die Lippen zusammen. Und das aus dem Mund einer Frau, die früher alles getan hatte, um ihm zu gefallen. „Du bist unhöflich“, erklärte er eisig.

Krampfhaft umklammerte Billie die Tür. Gio war so kühl, selbst wenn er andere schikanierte, was ihm offenbar im Blut lag. Er hatte es immer viel zu gut gehabt, obwohl ihm das natürlich nie klar gewesen war. Alle schmeichelten ihm und buhlten um seine Anerkennung. Und früher war sie genauso gewesen, wie sie sich traurig eingestehen musste. Sie hatte sich nie gegen ihn behauptet und ihm nie gesagt, wie sie wirklich empfand, weil sie immer viel zu große Angst davor gehabt hatte, ihn zu verlieren. Es war unglaublich naiv von ihr gewesen, nicht zu sehen, dass ein Mann wie Gio sie verlassen würde und nicht umgekehrt.

Geistesabwesend registrierte Billie, dass ihre Nachbarin sie neugierig über den Zaun hinweg betrachtete und vermutlich einiges mithörte. Verlegen trat sie von der Tür zurück. „Komm lieber rein.“

Gio betrat das winzige Wohnzimmer und achtete dabei darauf, nicht auf die Spielsachen zu treten, die überall herumlagen. Schnell schaltete Billie den Fernseher aus, in dem noch ein Zeichentrickfilm lief. Gio war so groß und muskulös, sie hatte ganz vergessen, dass er jeden Raum beherrschte.

„Du sagtest, ich wäre unhöflich“, meinte sie ausdruckslos, während sie die Tür hinter ihnen schloss.

Sie kehrte ihm so lange wie möglich den Rücken zu, um sich so seiner überwältigenden Ausstrahlung zu entziehen. Selbst jetzt verspürte sie wieder jenes erregende Prickeln und jene erwartungsvolle Vorfreude, die sie damals alle Zweifel hatten vergessen lassen. Gio war so attraktiv, dass es wehtat, ihn zu betrachten. Vor ihrem geistigen Auge sah sie seine geraden schwarzen Brauen, die fantastischen dunkelbraunen Augen, die markante Nase, die hohen Wangenknochen, den dunklen Teint und die sinnlichen Lippen, die ihr so viele Sinnesfreuden verschafft hatten.

„Das warst du auch“, bestätigte er.

„Und das zu Recht. Vor zwei Jahren hast du eine andere geheiratet“, erinnerte sie ihn, wütend, weil es sie immer noch schmerzte, die Worte auszusprechen. Sie war nur fürs Bett gut genug gewesen. „Wir haben nichts mehr miteinander zu tun!“

„Ich bin geschieden“, sagte Gio mit einem scharfen Unterton, weil nichts so lief, wie er erwartet hatte. Sie hatte es noch nie gewagt, sein Verhalten infrage zu stellen. Diese neue Billie überraschte ihn.

„Und warum sollte mich das interessieren?“, konterte Billie. „Damals hast du gesagt, deine Heirat würde mich nichts angehen.“

„Aber dann hast du sie als Vorwand benutzt, um mich zu verlassen.“

„Dafür brauchte ich keinen Vorwand!“ Genau wie früher wunderte sie sich über seine egoistische Sichtweise. „In dem Moment, als du geheiratet hast, war es aus zwischen uns. Ich habe auch nie etwas anderes behauptet …“

„Du warst meine Geliebte!“

Das Blut stieg ihr ins Gesicht, als hätte er sie geschlagen. „Für dich vielleicht. Ich war mit dir zusammen, weil ich mich in dich verliebt hatte, nicht wegen des Schmucks, der Klamotten und des schicken Apartments“, erklärte sie, die Hände zu Fäusten geballt.

„Aber es gab keinen Grund für dich zu gehen. Meine Braut hatte nichts dagegen, dass ich eine Geliebte habe“, sagte Gio zunehmend ungeduldiger.

Meine Braut. Selbst diese Worte versetzten ihr immer noch einen Stich. Tränen brannten ihr in die Augen, und Billie hasste sich, aber noch mehr hasste sie ihn. Wie hatte sie sich nur je in ihn verlieben können? Und aus welchem Grund hatte er sie ausfindig gemacht?

„In meiner Welt heiraten Männer nicht eine Frau und gehen weiter mit einer anderen ins Bett“, verkündete Billie, krampfhaft bemüht, ihren Zorn und ihren Schmerz zu unterdrücken. „Und dass du eine geheiratet hast, der es egal war, mit wem du schläfst, deprimiert mich einfach nur.“

„Aber jetzt bin ich frei“, erinnerte Gio sie, während er sich fragte, warum Billie sich so verändert hatte, dass sie gleich mit ihm zu streiten begonnen hatte.

„Ich möchte nicht unhöflich sein, aber geh jetzt bitte“, sagte sie mit bebender Stimme.

„Du hörst mir gar nicht zu. Was, zum Teufel, ist bloß los mit dir?“, hakte er nach.

„Es interessiert mich nicht. Wir haben uns vor langer Zeit getrennt!“

„Das haben wir nicht. Du bist einfach gegangen – verschwunden“, entgegnete er vorwurfsvoll.

„Gio … Du hast mir gesagt, ich müsste mir über einiges klar werden, nachdem du verkündet hattest, dass du heiratest. Und genau das habe ich getan“, erwiderte sie scharf. „Und das bedeutet, dass ich kein Wort mehr von dir hören will.“

„So kenne ich dich ja gar nicht.“

„Kein Wunder. Es ist zwei Jahre her, dass wir zusammen waren, und ich habe mich verändert“, verkündete sie stolz.

„Vielleicht könntest du mir in die Augen sehen, wenn du mit mir redest“, sagte Gio scharf.

Billie errötete wieder. Als sie sich umdrehte, begegnete sie dem Blick seiner dunklen Augen, die von ebensolchen Wimpern gesäumt waren. Als sie das erste Mal in diese Augen sah, war Gio krank gewesen und hatte hohes Fieber gehabt. Mühsam schluckte sie. „Ich bin nicht mehr dieselbe …“

„Das glaube ich nicht, moli mou.“ Ruhig erwiderte Gio ihren Blick und kostete das erotische Knistern aus. Nichts hatte sich verändert, zumindest nicht was die Chemie zwischen ihnen betraf. „Ich will dich zurück.“

Vor Schreck stockte ihr der Atem, doch dann wurde ihr klar, dass seine Worte einen Sinn ergaben. Seine Ehe war sehr schnell vorüber gewesen, und Billie wusste, dass Gio Veränderungen in seinem Privatleben hasste. Sich mit seiner ehemaligen Geliebten zu versöhnen erschien ihm deshalb offenbar die beste und bequemste Lösung. „Auf keinen Fall“, brachte sie hervor.

„Ich will dich immer noch, und du begehrst mich auch noch …“

„Ich habe mir hier ein neues Leben aufgebaut. Das kann ich nicht einfach aufgeben“, erwiderte Billie leise und fragte sich, warum sie sich überhaupt rechtfertigte. „Du und ich … Es hat nicht funktioniert …“

„Es hat sogar hervorragend funktioniert“, widersprach er.

„Und deine Ehe nicht?“, hörte sie sich fragen.

Plötzlich wirkten seine Züge abweisend, ein Zeichen dafür, dass sie eine Grenze überschritten hatte. Das kannte sie von früher. „Da ich geschieden bin, offenbar nicht“, antwortete er gewandt. „Aber mit uns beiden schon“, fuhr er rau fort und nahm ihre Hände, ehe sie reagieren konnte.

Plötzlich brach ihr der Schweiß aus. „Ich war nicht glücklich …“

„Du warst immer glücklich“, entgegnete er.

Vergeblich versuchte sie, ihm ihre Hände zu entziehen. „Nein“, bekräftigte sie und erschauerte, als ihr sein Duft in die Nase stieg – frisch, maskulin, mit einer Note von Zitrus und etwas, das ihm ganz eigen und ihr immer noch vertraut war. „Lass mich bitte los, Gio. Hierher zu kommen war reine Zeitverschwendung.“

Im nächsten Moment presste er die Lippen auf ihre und küsste sie mit einem Verlangen, das sie niemals vergessen hatte. Heiße Erregung loderte in ihr auf und setzte sie in Flammen. Das erotische Spiel seiner Zunge verzehrte sie und weckte den verrückten Wunsch in ihr, sich an ihn zu schmiegen. Heiße Wellen durchfluteten ihren Schoß, und ihre Knospen richteten sich auf. Sie wollte … Und dann kehrte Billie unvermittelt in die Wirklichkeit zurück, als Theo in der Küche zu weinen begann.

Nachdem sie sich von Gio gelöst hatte, sah sie ihm in die Augen und sagte, was sie sagen musste. „Bitte geh, Gio …“

Billie stand am Fenster und beobachtete, wie Gio draußen in seine lange schwarze Limousine stieg. Ohne es überhaupt zu versuchen, hatte er ihr gezeigt, dass sie noch lange nicht über das Ganze hinweg war. Ihn damals zu verlassen hatte sie fast umgebracht, und in ihrem tiefsten Inneren sehnte sie sich danach, ihn wieder zurückzunehmen. Doch sie wusste, dass es sinnlos war, denn Gio wäre außer sich, wenn er erfuhr, dass Theo sein Sohn war.

Als sie von der ungeplanten Schwangerschaft erfuhr, hatte sie sich entschieden, das Kind allein großzuziehen, denn sein Vater hatte sie immer nur wegen ihres Körpers begehrt und hätte es abgelehnt. Sie war erst wenige Wochen mit ihm zusammen gewesen, als er ihr gesagt hatte, falls sie je schwanger werden sollte, wäre es eine Katastrophe für ihn und würde ihre Beziehung zerstören. Außerdem hatte sie sich eingeredet, dass Theo auch ohne Vater glücklich wäre, weil sie ihm so viel Liebe geben konnte.

Nach seiner Geburt waren ihr allerdings Zweifel gekommen. Schuldbewusst hatte sie sich gefragt, ob es egoistisch von ihr gewesen war, heimlich ein Kind zu bekommen, das nie einen Vater haben würde, und wie Theo wohl reagieren würde, wenn er älter war und sie ihm nicht viel erzählen konnte.

Würde er sie eines Tages dafür verachten? Und wäre er wütend, weil sein Vater reich war, er dagegen in bescheidenen Verhältnissen aufwachsen musste? Würde er ihr Vorwürfe machen, weil sie ihn unter diesen Bedingungen zur Welt gebracht hatte?

2. KAPITEL

Billie barg das Gesicht im Kissen und weinte sich zum ersten Mal nach zwei langen Jahren die Augen aus, und das wieder einmal Gios wegen. Als sie sich irgendwann beruhigte, saß Dee an ihrem Bett und strich ihr tröstend übers Haar.

„Wo ist Theo?“, flüsterte Billie.

„Ich habe ihn zum Mittagsschlaf hingelegt.“

„Tut mir leid“, murmelte Billie, bevor sie aufstand und ins Bad ging, um sich das Gesicht zu waschen.

Als sie in ihr Zimmer zurückkehrte, betrachtete Dee sie unbehaglich. „Das war er, stimmt’s? Theos Dad?“

Billie nickte nur.

„Er ist umwerfend“, bemerkte ihre Cousine schuldbewusst. „Kein Wunder, dass du dich in ihn verliebt hast! Und diese Limousine … Du hast zwar erzählt, dass er wohlhabend ist, aber nicht, dass er im Geld schwimmt …“

„Er schwimmt im Geld“, räumte Billie schroff ein. „Das Wiedersehen mit ihm hat mich ziemlich aufgewühlt.“

„Was wollte er denn?“

„Etwas, das er nicht bekommen wird.“

Mit Zurückweisung hatte er überhaupt nicht gerechnet. Nachdem er zwei seiner Sicherheitsbeamten angewiesen hatte, Billie rund um die Uhr zu überwachen und dafür zu sorgen, dass sie nicht wieder untertauchte, kam Gio der Gedanke, dass es vielleicht einen anderen Mann in ihrem Leben gab. Diese Vorstellung wühlte ihn so auf, dass er minutenlang nicht klar denken konnte. Zum ersten Mal überhaupt fragte er sich, wie Billie sich gefühlt haben musste, als er ihr von Calisto erzählt hatte, und stöhnte laut. Normalerweise waren seine Frauengeschichten nicht so kompliziert.

Wie hatte er sich das Wiedersehen mit ihr denn vorgestellt? Billie hatte ihn gebeten zu gehen. Das konnte er noch immer nicht fassen. Sie war wütend auf ihn. Das hatte er begriffen. Er hatte eine andere Frau geheiratet, und das machte sie ihm zum Vorwurf, aber mit welchem Recht? Frustriert fuhr er sich durch das leicht gelockte schwarze Haar. Sie hatte doch wohl nicht geglaubt, er würde sie heiraten, oder?

Da sein Großvater schon so lange krank war, war er jetzt das Familienoberhaupt, und ihm war immer die Rolle zugefallen, den ebenso konservativen wie vermögenden adligen Letsos-Clan zu erneuern. Als Junge hatte er geschworen, niemals die Fehler zu wiederholen, die sein Vater gemacht hatte. Sein Urgroßvater hatte eine Geliebte gehabt, sein Großvater hatte eine Geliebte gehabt, aber sein Vater war unkonventioneller gewesen. Dmitri Letsos hatte sich von seiner Frau scheiden lassen, um seine Geliebte zu heiraten, und sich damit von seiner Familie losgesagt. Kurz darauf war auch seine Mutter gestorben. Er und seine Schwestern hatten keine glückliche Kindheit gehabt, zumal ihr Vater das Familienunternehmen fast in den Ruin getrieben hatte, um die Bedürfnisse seiner verschwendungsfreudigen Frau zu stillen.

Falls es einen anderen Mann in Billies Bett gibt, werde ich es bald herausfinden, sagte Gio sich grimmig. In vierundzwanzig Stunden hätte er alle Hintergrundinformationen von Henley Investigations. Leider war er kein geduldiger Mann, und er hatte damit gerechnet, dass Billie sich ihm sofort in die Arme werfen würde, wenn er ihr von seiner Scheidung erzählte. Warum hatte sie es nicht getan?

Auf seinen Kuss hatte sie sehr … leidenschaftlich reagiert. Allein der Gedanke daran erregte ihn ungemein. Gio fragte sich, ob er ihr einen Strauß schicken sollte, denn Billie war immer ganz verrückt nach Blumen gewesen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass es egoistisch von ihm gewesen war, ihr kein Haus mit einem Garten zu kaufen. Was mochte er noch versäumt haben, dass die Frau, die ihn einmal förmlich angebetet hatte, ihm nun die Tür wies? Das hatte noch keine Frau mit ihm gemacht. Er wusste, dass er fast jede haben konnte, doch das tröstete ihn nicht, denn er wollte Billie wieder da haben, wo sie hingehörte – in seinem Bett.

Nach einer unruhigen Nacht stand Billie im Morgengrauen auf, machte Frühstück für die Kinder und räumte anschließend auf. Ihre Cousine und sie sahen sich nur an den Wochenenden öfter. In der Woche brachte sie die Kinder zur Schule, damit Dee, die in einem Pub im Ort als Barfrau arbeitete, ausschlafen konnte. Theo begleitete sie zur Arbeit, und Dee holte ihn dort mittags ab und passte nachmittags auf alle drei auf. Nach Ladenschluss aßen sie immer alle zusammen Abendbrot, bevor Dee aufbrach. Es lief sehr gut, und Billie fühlte sich wohl in Dees Gesellschaft, zumal sie vorher in ihrem Apartment in der Londoner Innenstadt, wo Gio sie nur gelegentlich besucht hatte, sehr einsam gewesen war.

Zumindest hatte sie jene Zeit genutzt, um erst ihren Realschulabschluss und dann das Abitur nachzuholen sowie verschiedene Kurse zu besuchen. Unter anderem hatte sie ein Zertifikat in Kochen und in Floristik erworben. Gio hatte sich nicht dafür interessiert, doch es hatte ihr Selbstwertgefühl enorm gestärkt, nachdem sie als Teenager ihre Großmutter gepflegt und dadurch die Schule vernachlässigt hatte. Als sie ihn kennenlernte, hatte sie nämlich als Reinigungskraft gejobbt.

Während Billie den neu erworbenen Modeschmuck in der etwas mitgenommenen antiken Vitrine arrangierte, hing sie ihren Erinnerungen nach. Anders als Gio hatte sie keinen richtigen Stammbaum. Ihre Mutter, Sally, war Einzelkind und in ihrer Jugend ziemlich wild gewesen. Da ihre einzige Informationsquelle über ihre Mutter jedoch ihre Großmutter gewesen war, wusste sie nicht, wie viel sie davon glauben sollte. Billie erinnerte sich nicht daran, Sally je begegnet zu sein, und hatte keine Ahnung, wer ihr Vater gewesen war. Sie vermutete allerdings, dass er Billie geheißen hatte.

Nachdem Sally mit ihr als Baby überraschend bei ihnen vor der Tür gestanden hatte, hatte ihr Vater ihre Mutter überredet, sie für eine Nacht aufzunehmen, eine Entscheidung, die sie, wie ihre Großmutter immer wieder betont hatte, bitter bereut hatte, denn am nächsten Morgen war Sally verschwunden gewesen und hatte sie, Billie, einfach bei ihnen zurückgelassen.

Mit Unterstützung durch das Sozialamt hatte ihre Großmutter sie großgezogen, aber sie nie gewollt, geschweige denn geliebt. Ihr Großvater war liebevoll gewesen, hatte allerdings viel getrunken und deshalb nur selten Interesse an ihr gezeigt. Billie hatte oft überlegt, ob ihre Herkunft der eigentliche Grund dafür war, dass Gio so leichtes Spiel mit ihr gehabt hatte. Sein Verlangen und sein offensichtlicher Beschützerinstinkt waren die liebevollsten Gefühle gewesen, die ihr je jemand entgegengebracht hatte. Zwar hätte sie es ihm niemals gestanden, aber sie war wahnsinnig glücklich mit ihm gewesen, weil sie sich bei ihm geliebt gefühlt hatte – zumindest bis zu jenem schrecklichen Tag, an dem er ihr offenbart hatte, dass er seiner versnobten Familie und seinem kostbaren Unternehmen zuliebe heiraten und einen Erben zeugen musste.

Billie packte nun die Sachen aus, die sie zu Hause gewaschen und repariert hatte, und begann, sie auszuzeichnen. Theo schlief friedlich in seiner Tragetasche hinten im Laden, und sie bediente die Kundinnen, die Fragen hatten oder etwas kaufen wollten. Erst vor einem Monat hatte sie ihre erste Aushilfe, eine Polin namens Iwona, eingestellt, die sie nachmittags vertrat. Das Geschäft lief sogar besser, als Billie erhofft hatte. Allerdings hatte sie Secondhandkleidung schon immer geliebt und achtete darauf, nur hochwertige Sachen einzukaufen. So hatte sie sich schnell einen kleinen Kundenstamm aufgebaut.

Gio stieg aus der Limousine, gefolgt von seinen Leibwächtern, die in dem Wagen dahinter gesessen hatten. Er betrachtete die Ladenfront, auf der „Billie’s Vintage“ stand, verwundert darüber, dass Billie sich selbstständig gemacht hatte. Er fragte sich, ob er Billie überhaupt je richtig gekannt hatte, und runzelte die Stirn, was seinen ohnehin markanten Zügen etwas Finsteres verlieh. Er hatte dringende Termine, und dennoch befand er sich seit endlosen vierundzwanzig Stunden in einer Kleinstadt in Yorkshire und rannte Billie hinterher.

Dee war gleichzeitig mit Iwona gekommen und setzte Theo gerade in seinen Kinderwagen. In dem Moment kam Gio herein. Billie, die gerade mit ihrer Cousine sprach, verstummte mitten im Satz.

In dem anthrazitfarbenen Designeranzug, der seinen muskulösen Körper betonte, raubte Gio ihr den Atem. Das weiße Hemd bildete einen faszinierenden Kontrast zu seinem dunklen Teint, und die Bartstoppeln ließen ihn noch maskuliner erscheinen. Billie spürte, wie heiße Wellen der Erregung ihren Schoß durchfluteten und ihre Brustwarzen sich aufrichteten. Das Blut stieg ihr ins Gesicht, weil Gio eine noch verheerendere Wirkung auf sie ausübte als am Vortag.

„Billie …“, sagte er mit seiner samtweichen Stimme und blieb in einiger Entfernung stehen.

„Gio …“, brachte sie hervor und ging schnell auf ihn zu, damit niemand sie hörte. „Was machst du hier?“

Er blickte sich um. „Du hast mich also verlassen, um ein Geschäft zu eröffnen.“

„Du. Hast. Mich. Verlassen“, konterte sie bitter.

„Hier können wir nicht reden. Lass uns heute Mittag in meinem Hotel zusammen essen.“ Er umfasste ihren Arm.

„Lass mich sofort los, sonst verpasse ich dir eine Ohrfeige!“, zischte sie.

Seine dunklen Augen funkelten. „Mittagessen, pouli mou?“

„Wir haben uns nichts zu sagen.“

Den Blick auf ihren Mund gerichtet, verzog er die sinnlichen Lippen. „Dann kannst du mir wenigstens zuhören …“

Billie hatte Schmetterlinge im Bauch, als sie ihn ansah. „Ich will auch nicht zuhören …“

„Pech für dich“, sagte er, und dann tat er etwas, womit sie niemals gerechnet hätte. Kurzerhand hob er sie hoch und ging mit ihr zu Tür.

„Bist du verrückt geworden?“, stieß sie hervor und versuchte krampfhaft, ihr Kleid hinunterzuziehen, das hochgerutscht war. „Lass mich sofort runter!“

Gio blickte zu den beiden Frauen, die hinter dem Tresen standen. „Ich gehe mit Billie essen. Sie ist in ein paar Stunden wieder da“, erklärte er kühl.

„Gio!“ Billie erhaschte noch einen Blick auf eine sichtlich amüsierte Dee, bevor er mit ihr den Laden verließ.

Nachdem der Chauffeur ihnen die Beifahrertür geöffnet hatte, verfrachtete Gio sie in den Fond. „Meine Geduld war erschöpft, und außerdem habe ich Hunger.“

Wütend zog Billie ihr Kleid hinunter. „Warum bist du gestern nicht nach London zurückgekehrt?“

„Inzwischen solltest du wissen, dass ich es nicht leiden kann, wenn jemand Nein zu mir sagt.“

Sie verdrehte die Augen. „Woher denn? Ich habe schließlich nie Nein zu dir gesagt.“

Zu ihrem Leidwesen lachte Gio nun. „Ich habe dich vermisst, Billie.“

Unvermittelt wandte sie das Gesicht ab, weil seine leeren Worte sie gleichermaßen durcheinanderbrachten und verletzten. „Du hast geheiratet. Wie hättest du mich da vermissen können?“

„Ich weiß nicht, aber es war so. Du warst ein großer Teil meines Lebens.“

„Nein, das war ich nicht“, widersprach sie.

Das überraschte ihn. Er hatte Billie jeden Tag zweimal angerufen, egal, wo er war und wie viel er zu tun hatte. Ihr fröhliches Geplauder war immer eine nette Abwechslung zu seinem straffen Terminplan gewesen. Weder davor noch danach hatte er eine so enge Beziehung zu einer Frau gehabt. Er hatte Billie vertraut und war ehrlich zu ihr gewesen. Allmählich wurde ihm allerdings klar, dass nichts davon zählte, weil er Calisto geheiratet hatte. Billie, die vorher nie eifersüchtig oder argwöhnisch gewesen war, hatte dann genau diese Gefühle entwickelt. Das gefiel ihm überhaupt nicht, und schnell verdrängte Gio diesen Gedanken.

Schon als Kind hatte er einen Schutzschild um sich errichtet, um keine Gefühle an sich heranzulassen. Mit Ruhe, Vernunft und Selbstbeherrschung war er immer gut gefahren, allerdings nicht bei Billie, wie Gio sich nun widerstrebend eingestehen musste. Aber er konnte nichts mehr an der Vergangenheit ändern. Die Erfahrung hatte ihn jedoch gelehrt, dass er die Zukunft mit dem nötigen Geld, der nötigen Energie und Entschlusskraft nach seinem Willen gestalten konnte.

Billie hingegen war ausgesprochen gefühlsbetont, und vielleicht war es dieser wesentliche Unterschied zwischen ihnen gewesen, der sie für ihn so anziehend gemacht hatte und sie nun in die falsche Richtung gehen ließ. Forschend betrachtete er ihr erhitztes Gesicht, ihre funkelnden Augen und ihre sinnlichen Lippen und ließ den Blick dann zu ihren fantastischen Brüsten schweifen, die er so gern liebkost hatte, und zu ihren langen Beinen, zwischen die er so gern geglitten war. Der Sex mit Billie war wundervoll. Und dass sie in diesem Moment unerreichbar für ihn schien, war nicht nur eine seltsame, sondern auch quälende Vorstellung.

„Ich will dich zurück“, beharrte Gio. „Seit du verschwunden bist, habe ich nach dir gesucht.“

„Darüber war deine Frau bestimmt nicht begeistert.“

„Lass Calisto da raus …“

Allein die Erwähnung des Namens traf sie wie ein Schlag. Billie wusste, dass sie zu empfindlich reagierte. Gio hatte vor zwei Jahren eine andere geheiratet, und sie musste weitermachen. Auch wenn er es nicht getan hatte? Nein, das klang zu sehr nach Wunschdenken. Dies war der Mann, den sie über alles zu lieben geglaubt hatte, und er hatte ihr so wehgetan, dass sie ihm niemals verzeihen konnte. Ihn zu verlassen war ihr unbeschreiblich schwergefallen, aber nicht einmal für ihn wäre sie so tief gesunken, nach seiner Heirat weiter mit ihm zu schlafen.

„Was willst du von mir?“, hakte sie nach. „Warum wolltest du mich überhaupt wiedersehen? Das ergibt doch keinen Sinn!“

Wieder betrachtete Gio ihr Gesicht und fragte sich, warum er Billie so schön fand. Sie hatte eine Stupsnase, und ihre Augen und ihr Mund waren etwas zu groß für ihr Gesicht. Und wenn ihr lockiges Haar nass wurde, war es ein einziges Durcheinander. Trocken reichte es ihr jedoch bis zur Taille, und er hatte es so oft auf seiner nackten Haut gespürt, dass er bei der Erinnerung daran einen Stich verspürte.

„Sieh mich nicht so an“, sagte sie unwirsch und errötete verlegen.

„Wie denn?“

„Als wären wir noch … Du weißt schon.“ Sie senkte den Blick.

„Als würde ich immer noch gern in dich eindringen?“, brachte er hervor. „Das will ich auch, und ich sehne mich so nach dir …“

Unbehaglich veränderte Billie ihre Position. „Das hättest du dir sparen können, Gio.“

Langsam strich Gio mit dem Zeigefinger über ihren Handrücken. „Wenigstens war ich ehrlich, und du bist es nicht …“

„Ich komme nicht zu dir zurück!“, unterbrach sie ihn laut. „Ich habe ein neues Leben begonnen …“

„Mit einem anderen Mann?“, warf er rau ein.

Sie packte die Gelegenheit beim Schopf: „Ja. Es gibt einen anderen.“

Prompt spannte er sich an. „Erzähl mir von ihm.“

Billie dachte an ihren Sohn. „Er ist mir sehr wichtig, und ich würde ihm niemals wehtun.“

„Ich würde alles tun, um dich zurückzubekommen“, warnte Gio sie, während der Chauffeur vor seinem Hotel hielt und heraussprang, um ihnen die Tür zu öffnen.

Widerstrebend betrachtete sie sein markantes Gesicht und erstarrte, weil er plötzlich so bedrohlich wirkte. „Gibt es einen Grund dafür, dass du mich nicht ohne dich glücklich sein lassen kannst? Ich glaube, ich habe meine Schulden bezahlt, Gio.“

In seinen Zorn, den er zu Unrecht empfand, wie Gio klar war, mischte sich Verzweiflung. Wenn Billie einen anderen Mann hatte, würde sie natürlich mit ihm Schluss machen, denn keiner konnte sie so in Flammen versetzen wie er. Sie hatte immer nur ihm gehört.

Als sie durch das Foyer des luxuriösen Countryhotels gingen, hörte Billie, wie eine vertraute Stimme ihren Namen rief. Sie blieb stehen und drehte sich lächelnd um, als ein großer blonder, lässig, aber teuer gekleideter Mann auf sie zukam.

„Ich habe eine Adresse für dich.“ Simon zückte seine Brieftasche und nahm einen Zettel heraus. „Hast du einen Stift?“

Als ihr einfiel, dass sie ihre Tasche im Laden zurückgelassen hatte, wandte sie sich an Gio. „Hast du einen?“

Sichtlich widerstrebend und den Mund ironisch verzogen, nahm er einen vergoldeten Stift aus seiner Tasche und reichte ihn Simon.

Dieser schrieb eine Adresse auf die Rückseite einer Visitenkarte. „Es gibt dort eine Menge Sachen, die dir gefallen werden, und sie dürften auch nicht teuer sein. Der Verkäufer möchte nur das Haus leer räumen.“

Billie strahlte ihn an. „Danke, Simon, das ist sehr nett von dir.“

Dieser lächelte ebenfalls. „Vielleicht kann ich dich hier irgendwann mal zum Mittagessen einladen?“

Besitzergreifend legte Gio ihr den Arm um die Taille. „Leider ist sie schon vergeben.“

Prompt errötete sie, lächelte allerdings unbeirrt weiter. „Gern, Simon. Ruf mich an.“ Sie fühlte sich schuldig, weil sie Simon nur Gios wegen ermutigte.

„Was sollte das alles?“, erkundigte dieser sich grimmig, als er sie dann zum Aufzug führte.

„Simon ist Antiquitätenhändler. Er sagt mir immer Bescheid, wenn es irgendwo Räumungen gibt. Ich kenne viele Händler. So habe ich mir mein Geschäft aufgebaut“, informierte sie ihn stolz.

„Du kannst in London ein Geschäft eröffnen. Ich bezahle es“, erwiderte er grimmig.

„Na ja, gewissermaßen hast du für dies und für mein Haus auch bezahlt, und das genügt.“

„Wovon redest du?“

„Ich habe ein Schmuckstück verkauft. Es war ein Geschenk von dir.“

Gio runzelte die Stirn. „Du hast doch nichts von dem, was ich dir geschenkt habe, mitgenommen.“

„Doch, eins. Dein erstes Geschenk“, erwiderte Billie. „Ich hatte keine Ahnung, wie viel es wert war. Das war wirklich eine Überraschung.“

„Ach ja?“ Er wusste nicht einmal mehr, was er ihr als Erstes geschenkt hatte.

„Allerdings. Du kanntest mich kaum und hast für einen Diamantanhänger ein Vermögen ausgegeben“, erklärte sie mit einem kritischen Unterton. „Ich konnte mir dafür ein Haus kaufen und den Laden eröffnen. Ich konnte es nicht fassen.“

Inzwischen waren sie vor der Tür zu seiner Suite angekommen, und Gio öffnete diese. Er hatte den Diamantanhänger nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht gekauft, und nun war er wütend, dass Billie diesen veräußert hatte, als hätte er ihr nichts bedeutet. „Ich glaube nicht, dass es einen anderen Mann in deinem Leben gibt.“

„Ich komme nicht zu dir zurück.“ Zu ihrem Leidwesen klang sie, als würde sie sich rechtfertigen. „Warum sollte ich nach London ziehen und dort ein Geschäft eröffnen wollen? Ich bin hier glücklich. Und ob du es glaubst oder nicht, es gibt viele Männer, die gern mit mir ausgehen würden, anstatt mich in ihrer Suite zu verstecken!“

Offenbar hatte sie einen wunden Punkt getroffen, denn trotz seiner Bräune wurde Gio blass. „Wir sind nur hier, weil ich ungestört mit dir reden möchte.“

Billie lächelte. „Diesmal vielleicht, aber damals habe ich zwei Jahre gebraucht, um es endlich zu begreifen. Eigentlich hättest du gleich heiraten können. Ich war wie ein schmutziges Geheimnis in deinem Leben.“

„Das ist nicht wahr.“

„Es hat jetzt keinen Sinn mehr, über die Vergangenheit zu reden“, verkündete sie entschlossen.

„Doch, das hat es … Ich will dich zurück.“ Ein verzweifelter Ausdruck huschte über sein Gesicht, doch im nächsten Moment klopfte es, und zwei Ober schoben einen Servierwagen herein.

Billie verschränkte die Arme und erinnerte sich beschämt an das einzige Mal, als Gio mit ihr ausgegangen war und sie seinen Freunden vorgestellt hatte. Damals hatte sie sich – und ihn – unsterblich blamiert. In der Runde hatte man sich über Canaletto unterhalten. Damals hatte sie noch nie von dem Maler gehört und von dem gleichnamigen Lieblingsrennpferd ihres Großvaters gesprochen.

Obwohl Gio sich nichts hatte anmerken lassen, hatte er später nicht mit ihr darüber reden wollen und nur gesagt, wegen ihrer Herkunft sei sie eben mehr mit Wettbüros als mit Galerien vertraut. Ihr war allerdings klar gewesen, dass sie ihn in der Öffentlichkeit bloßgestellt und vor allem den Beweis dafür erbracht hatte, dass Welten sie beide voneinander trennten.

Deswegen hatte sie sich auch nie darüber beschwert, dass er sie nicht mehr mitnahm, sondern sie nur noch in weit entfernte Restaurants ausführte, in denen er keine Freunde oder Bekannte treffen würde. Ohne sein Wissen hatte sie sich dann weitergebildet, in der Hoffnung, er würde es irgendwann merken und ihr eine zweite Chance geben. Traurigkeit erfüllte sie, als Billie sich vor Augen führte, wie naiv sie zu Anfang ihrer Beziehung gewesen war. Erst später war ihr klar geworden, dass sie nicht Gios Freundin, sondern seine Geliebte war und er sie niemals ernst nehmen würde.

„Ich bin es nicht gewohnt, dass du mir gegenüber so still bist“, gestand Gio zunehmend frustrierter. Sobald die Ober gegangen waren, umfasste er ihre Schultern und begann, sie zu massieren. „Rede mit mir. Sag mir, was du willst.“

Seine Berührung elektrisierte sie, und Billie empfand den unwiderstehlichen Drang, sich an ihn zu lehnen und seine Körperwärme zu spüren. Schnell befreite sie sich aus seinem Griff und setzte sich auf einen der Stühle an dem schön gedeckten Tisch. Rede mit mir. Und das aus dem Mund eines Mannes wie Gio, der ernste Gespräche ablehnte und mit Emotionen überhaupt nichts am Hut hatte.

„Wir haben nichts zu besprechen“, erklärte Billie und begann dann, mit Appetit zu essen, zum einen, weil sie hungrig war, zum anderen, weil sie sich damit ablenken konnte und Gio nicht ansehen musste. Dann musterte sie ihn doch verstohlen. Sicher gehörte er zu den schönsten Männern überhaupt. Aber er war unerreichbar für sie. Vermögend und erfolgreich, attraktiv und weltgewandt, gebildet und mit einem langen Stammbaum, besaß und verkörperte er all das, was sie nicht hatte. Er war immer unerreichbar für sie gewesen. Hätte sie es sich damals eingestanden, hätte sie sich niemals mit ihm eingelassen und sich viel Kummer erspart.

„Gibt es wirklich einen anderen Mann?“, fragte Gio leise, und der Klang seiner samtweichen Stimme ließ sie erschauern, sosehr sie sich auch dagegen wehrte.

Billie dachte über die Frage nach und errötete, als sie plötzlich seinem Blick begegnete. Flüchtig erwog sie zu lügen, aber dann würde Gio so lange bohren, bis sie ihm schließlich die Wahrheit sagte. „Nein“, gestand sie deshalb widerstrebend. „Aber das ändert nichts zwischen uns.“

„Dann sind wir also beide frei“, erklärte er langsam, während er ihr Rotwein nachschenkte.

„Ich habe nicht die Absicht, mich wieder mit dir einzulassen“, verkündete Billie, bevor sie schnell einen Schluck trank. Dabei fragte sie sich, ob Gio lachen würde, wenn sie ihm sagte, woran der Geschmack sie erinnerte. Schließlich hatte sie auch einmal einen Weinkurs besucht und noch nie die Gelegenheit gehabt, ihre Kenntnisse anzuwenden.

„Aber wir passen gut zusammen.“

Energisch schüttelte sie den Kopf, bevor sie sich wieder ihrem Essen widmete.

Während Gio seinen Wein trank, beobachtete er Billie. Offenbar trug sie Secondhandkleidung, denn das hellgrüne Leinenkleid und die mit Blumen bestickte Jacke entsprachen sicher nicht der neuesten Mode. Aber die Farben und das Design waren elegant und dabei unaufdringlich. Zu seinem Leidwesen betonte der Schnitt des Kleids ihre vollen Brüste, und bei dem Anblick flammte heißes Verlangen in ihm auf. Er fragte sich, wie er eine Frau in Versuchung führen sollte, die sein Geld nicht wollte und es auch nie gewollt hatte. Einmal hatte Billie ihm deutlich gesagt, dass er keine Jacht brauchte, weil er ohnehin nicht die Zeit hatte, damit zu segeln. Diese lag schon seit Jahren ungenutzt in Southampton vor Anker und war nicht gerade billig im Unterhalt.

Die Ober kamen zurück, um den Hauptgang zu servieren. Billie bemerkte ihre verstohlenen Blicke. Die Hotelangestellten wussten inzwischen sicher alle, wer Gio war – Giorgios Letsos, der weltbekannte Ölmilliardär. Die Presse liebte ihn, weil er sehr fotogen war und ein schillerndes Leben führte. Mit ihrem langen, glatten blonden Haar, den perfekten Zügen und ihrem Size-Zero-Körper war Calisto auch ein beliebtes Motiv gewesen. Neben ihr hätte sie, Billie, ausgesprochen unvorteilhaft gewirkt, und nachdem sie das erste Bild von Calisto gesehen hatte, hatte sie sich damit abgefunden, dass sie ihr niemals das Wasser reichen konnte.

Gio lockerte die Atmosphäre auf, indem er von seinen jüngsten Reisen um die Welt erzählte. Billie stellte ihm unverfängliche Fragen, und beim Dessert, einer sehr leckeren Mischung aus frischen Beeren und Baiser, erkundigte sie sich, ob er noch sein Apartment in London hatte.

„Nein, schon lange nicht mehr“, erwiderte er.

Erleichterung überkam sie, weil sie offenbar keine Nachfolgerin gehabt hatte. Billie trank noch etwas Wein und versuchte, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Mit wem Gio schlief, ging sie seit seiner Heirat mit Calisto nichts mehr an. Damals hatte er sie in jeder Hinsicht ersetzt. Calisto hatte seine Villa in Griechenland bezogen, die sie, Billie, natürlich nie besucht hatte. Und Gio war mit Calisto ausgegangen, weil sie ein richtiges Paar gewesen waren und er offenbar vorgehabt hatte, sie zur Mutter seiner Kinder zu machen …

3. KAPITEL

Als ihr das alles schmerzlich bewusst wurde, stand Billie auf. „Ich kann das nicht!“, erklärte sie heiser. „Ich möchte sofort nach Hause!“

Sichtlich entgeistert sprang Gio ebenfalls auf und betrachtete sie forschend. „Was ist denn?“

„So eine Frage kannst nur du stellen!“, rief sie hilflos. „Ich will dich nie wiedersehen. Ich möchte nicht an damals erinnert werden!“

„Billie …“ Er kam zu ihr und umfasste ihre Schultern, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. „Beruhige dich …“

„Ich bin nicht wie du … Ich bin keine gute Schauspielerin.“ Tränen schnürten ihr die Kehle zu, und das machte ihr Angst, denn früher hatte sie sich immer zusammengerissen, obwohl er ihr so viel zugemutet hatte. „Du hättest nicht hierherkommen dürfen.“

Nun strich er ihr mit dem Finger über die Lippe. „Ich musste dich einfach wiedersehen.“

„Und warum?“

„Weil wir nicht miteinander fertig waren, als du gegangen bist.“

Beinah hätte sie vor Verzweiflung geschrien. „Natürlich waren wir das – du warst im Begriff zu heiraten!“

„Ich musste dich wiedersehen, um herauszufinden, ob ich dich noch immer will.“ Gio umfasste ihre Wangen. „Und die Antwort lautet Ja.“

Unvermittelt wandte Billie den Kopf. „Das hat nichts zu bedeuten.“

„Es bedeutet viel mehr für mich, als dir klar zu sein scheint!“

„Das reicht aber nicht“, konterte sie, während sie dem Drang widerstand, einfach wegzulaufen.

Ehe sie sich versah, legte Gio die Arme um sie. In seinen dunklen Augen schien ein goldenes Feuer zu lodern. „Es ist mehr als genug für uns beide.“

„Lass mich los“, bat sie mit bebender Stimme.

„Nein.“ Entschlossen betrachtete er sie. „Dann läufst du nur wieder weg. Und ich lasse nicht zu, dass du noch einmal so eine Dummheit begehst.“

„Ich mache nichts, was ich nicht will …“

„Und was willst du?“ Er neigte den Kopf, um die Zunge über ihre geschlossenen Lippen gleiten zu lassen.

Erschrocken zuckte sie zusammen. Sein Atem streifte ihre Wange, und als Gio im nächsten Moment die Lippen auf ihre presste, hob sie das Kinn, weil sie sich nach mehr sehnte.

Gio lächelte, während das Verlangen ihn zu verzehren drohte. Er wollte Billie mehr, als er je etwas oder jemanden in seinem Leben gewollt hatte, und er würde mit allen Mitteln um sie kämpfen, weil er wusste, dass sie ihm wieder den nötigen Seelenfrieden in seinem Privatleben verschaffen würde. Während er die Finger über ihren Rücken gleiten ließ, umfasste er mit der anderen Hand ihre Taille. Als sie einen überraschten Laut ausstieß, brachte er sie zum Schweigen, indem er die Lippen über ihre gleiten ließ. Dann schob er die Hand in ihre weichen Locken und verstärkte den Druck mit seinem Mund, bis sie den Kopf nach hinten bog.

Die Brüste an seiner muskulösen Brust, rang Billie nach Atem, bestürmt von Gefühlen, die sie lange unterdrückt hatte. Sie hatte ganz vergessen, wie zärtlich und erfindungsreich Gio sein konnte, und ihr Herz pochte wie wild, weil es zu lange her war, dass er sie berührt hatte, dass sie ihrer leidenschaftlichen Seite freien Lauf gelassen hatte.

Das lockende und ungemein erotische Spiel seiner Zunge ließ heiße Begierde in ihr aufflammen. Gio drängte sich ihr entgegen und weckte Erinnerungen in ihr, die sie zwei Jahre lang verdrängt hatte. Sie spürte, wie erregt er war.

Wie aus weiter Ferne, da ganz unter dem Eindruck seiner leidenschaftlichen Küsse, nahm Billie wahr, dass er sie hochhob. Ihr schwirrte der Kopf, während der Knoten in ihr sich langsam zu lösen begann. Plötzlich spürte sie etwas Weiches im Rücken, und dann hob Gio den Kopf und blickte sie mit einem Ausdruck in den Augen an, der sie bis ins Innerste berührte.

„Meine Krawatte bringt mich um“, gestand er rau, bevor er diese löste und sein Hemd so ungeduldig öffnete, dass ein Knopf abriss.

Das war typisch für ihn – einen emotionalen Moment mit einer derartigen Bemerkung zu überspielen. Als Billie ihn jedoch ansah, verzehrte das pulsierende Verlangen sie. Er zog sein Jackett aus und streifte sich die Schuhe ab.

„Ich kann dich nicht wieder gehen lassen, pouli mou.“

„Das musst du … Wir dürfen das nicht“, flüsterte Billie, die nun das riesige Bett und die anderen eleganten Möbel wahrnahm. Noch immer wunderte sie sich darüber, wie sie hierhergekommen war.

„Öffne deinen Mund für mich“, drängte Gio. „Theos, ich liebe ihn …“

Nur noch einmal, sagte sie sich verzweifelt. Und Gio schmeckte himmlisch. Sie ließ die Hände über seinen Bizeps gleiten und schob dann seinen Kragen auseinander, um die Lippen auf seinen Hals zu pressen. Unvermittelt drängte er sich ihr entgegen, sodass sie seine Muskeln überall spürte. Dieses Gefühl und der Duft seiner Haut versetzten sie in die Vergangenheit zurück.

Nun rollte Gio sich auf die Seite, um ihr die Jacke abzustreifen und dann den Reißverschluss ihres Kleids hinunterzuziehen. Als ihr BH folgte und Gio ihre Brüste umfasste, erwachte Billie aus dem sinnlichen Bann. Nachdem er die Brustwarzen mit den Händen liebkost hatte, umschloss er sie mit den Lippen, reizte sie mit der Zunge und Zähnen und verschaffte ihr die süßesten Qualen. Sie konnte nicht mehr stillhalten. Irgendwo in ihrem Unterbewusstsein war ihr klar, dass sie dies bereuen würde, doch sie konnte sich seiner Leidenschaft und ihrer zunehmenden Erregung nicht entziehen.

Geschickt zog er das Spitzendreieck zwischen ihren Schenkeln nach, und sie stieß einen hilflosen Laut aus, um ihn weiter zu ermuntern. Als er sie wieder küsste, diesmal noch verlangender, drängte sie ihm die Hüften entgegen und ließ die Hände über seinen Rücken gleiten. Heiße Begierde pulsierte in ihrem Schoß. Immer mehr erregte er sie mit seinen Zärtlichkeiten …

„Hör auf!“, stieß sie hervor, weil sie vor Lust zu vergehen glaubte.

Gio lachte und erinnerte sich daran, dass Billie die einzige Frau war, die ihn im Bett zum Lachen bringen konnte. Und wahrscheinlich war sie auch die einzige Frau, mit der er Sex hatte, ohne sich vorher richtig auszuziehen – wie ein unreifer Teenager. Er verdrängte den Gedanken, weil seine Stimmung plötzlich verdüsterte, doch er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle, wollte es auch gar nicht, sehnte sich nur danach, endlich in sie einzudringen und sich in ihr zu verlieren.

Billie bäumte sich auf, und plötzlich spürte sie, wie Gio in sie eindrang. Sie schrie, warf den Kopf zurück und drängte sich ihm entgegen, während sie schon kam und dabei hilflos aufschrie. Der drängende Rhythmus, in den Gio dann verfiel, verzehrte sie und brachte sie erneut dem Gipfel entgegen. Er wurde immer schneller, bis sie die Qualen nicht mehr zu ertragen glaubte und dann wieder ungeahnte Höhen erreichte.

Kaum hatte Gio sein Verlangen gestillt, löste er sich von Billie, stand auf und nahm die wenigen Sachen, die er ausgezogen hatte, um ins Bad zu gehen. Die starke Begierde, die er verspürt hatte, machte ihn gleichermaßen nervös und wütend. Billie war wirklich etwas Besonderes, fantastisch im Bett, aber mehr auch nicht, denn niemand wusste besser als er, dass jede Art von Bindungen gefährlich für einen Mann war. Er konnte die Finger von ihr lassen, wenn er musste. Es war zwar schön mit ihr, aber er konnte auch ohne sie leben.

Nachdem er sich ausgezogen hatte, lehnte er die Stirn an die Fliesen, um sich abzukühlen, die Hände zu Fäusten geballt. Für einige Sekunden tauchten Bilder von jenem schlimmsten Tag seines Lebens vor seinem geistigen Auge auf, und ihm brach der kalte Schweiß aus. Eine Frau zu sehr zu begehren war schwach und dumm, guten Sex zu genießen hingegen etwas ganz Normales. Und er hatte gerade nur sehr guten Sex gehabt.

4. KAPITEL

Langsam setzte Billie sich auf. Als ihr bewusst wurde, was gerade passiert war, hasste sie sich abgrundtief. Was hatte sie bloß getan? Theos vertrauensvolles, von schwarzen Locken gerahmtes Gesicht tauchte vor ihrem geistigen Auge auf. Wo war ihre Selbstbeherrschung geblieben? Sie hatte Gio mit einer Verzweiflung begehrt, die sie im Nachhinein zutiefst schockierte. Hatte ihr der Sex so sehr gefehlt? Mit zittrigen Fingern zog sie ihren Slip an. Im nächsten Moment wurde die Badezimmertür geöffnet, und sie erstarrte. Beschämt stand sie auf und sammelte ihre Sachen zusammen.

„Das hatte ich nicht geplant …“, sagte Gio leise.

Billie, die gerade damit beschäftigt war, ihren BH anzuziehen, warf nur einen flüchtigen Blick in seine Richtung. Es überraschte sie, dass er nicht triumphierend lächelte, weil er gewonnen hatte, denn er gewann gern. Es war diese Mischung aus seinem Siegeswillen, seiner Angriffslust und seinem Ehrgeiz, die ihn so erfolgreich machte.

„Ja, ganz bestimmt“, erwiderte Billie dumpf, während sie ihr Kleid hochzog. Sie wusste schließlich, wie gern er andere hinterging und manipulierte. Das tat er im Beruf, und sie war sicher, dass er es auch bei ihr getan hatte und immer noch tat. Wenn er etwas wollte, holte er es sich ohne Rücksicht auf Verluste.

„Lass mich das machen …“ Er kam um das Bett herum, um ihr den Reißverschluss hochzuziehen. Am liebsten hätte sie seine Hände weggeschlagen und geschrien, doch damit hätte sie ihm gezeigt, wie sehr er sie verletzt hatte. „Ich habe das nicht geplant“, wiederholte er.

„Okay, du hast es nicht geplant“, wiederholte sie, während sie in ihre Schuhe schlüpfte. Sie sehnte sich nach einer Dusche, konnte es allerdings nicht erwarten, nach Hause und zu ihrem Sohn zu kommen.

„Nächste Woche wirst du fünfundzwanzig“, erklärte Gio.

Billie schnitt eine Grimasse. „Dreiundzwanzig …“

Irritiert blickte er sie an. „Fünfundzwanzig …“

„Ich habe mich damals zwei Jahre älter gemacht“, informierte sie ihn. „Du hast gesagt, du würdest nicht mit Teenagern ausgehen, und ich war neunzehn.“

Entgeistert betrachtete er sie. „Du hast gelogen?“

Sie nickte und zuckte die Schultern. „Was spielt das jetzt noch für eine Rolle?“

Gio verkniff sich eine scharfe Bemerkung und presste die Lippen zusammen. Dies war wie ein Schlag ins Gesicht für ihn, denn Billie hatte ihn von Anfang an durch ihre augenscheinliche Ehrlichkeit für sich eingenommen. Abgesehen davon war er alles andere als erfreut darüber, dass er unwissentlich mit einem Teenager geschlafen hatte. Er war damals sechsundzwanzig und in jeder Hinsicht weitaus erfahrener gewesen.

„Ruf mir ein Taxi“, brach Billie das angespannte Schweigen. „Ich möchte nach Hause.“

„Wir haben noch gar nicht miteinander geredet …“

„Und das werden wir auch nicht“, warf sie ein. „Was gerade passiert ist, war ein Unfall, ein Fehler … ein typisches Beispiel dafür, dass zu viel Vertraulichkeit nur schadet. Aber es hat keinem von uns etwas bedeutet, und es ändert nichts …“

Billie wartete darauf, dass Gio ihr widersprach, doch er schwieg beharrlich, und plötzlich wurde ihr bewusst, wie sehr es sie kränkte. Sein ungezügeltes Verlangen war scheinbarer Gleichgültigkeit gewichen – offenbar hatte ihr leidenschaftliches Intermezzo ihn kuriert. Und warum überraschte sie das? Sie hatte sich doch immer darüber gewundert, dass sein Interesse an ihr nicht nachließ, und sich gefragt, was er in ihr sah, dass er sich keine schönere und glamourösere Frau suchte.

„Mein Chauffeur bringt dich nach Hause“, sagte er ausdruckslos, einen unergründlichen Ausdruck in den Augen. „Ich muss noch arbeiten. Mein Team kann jederzeit hier eintreffen. Ich rufe dich morgen an.“

Wieder einmal hatte sie sein Verhalten falsch gedeutet. Langsam schüttelte sie den Kopf. „Es hat keinen Sinn. Belassen wir es dabei, Gio. Du gehst deinen Weg, ich meinen. Es ist diesmal die einzige vernünftige Lösung.“

Zorn flammte in ihm auf, weil Billie immer noch glaubte, sie könnte einfach so gehen. Dies war die Frau, von der er einmal geglaubt hatte, sie würde ihn lieben. Er hatte ein Vermögen dafür ausgegeben, sie ausfindig zu machen. So viel also zum Thema Liebe, überlegte Gio. Hatte es daran gelegen, dass er im Bett zu ungestüm und zu schnell gewesen war? Frustriert presste er die Lippen zusammen.

„Allmählich beleidigst du mich“, gestand er, bevor er sein Mobiltelefon zückte und auf Griechisch telefonierte. „Vielleicht solltest du jetzt wirklich gehen und über dein Verhalten nachdenken.“

Errötend rang Billie die Hände. „Ich dachte schon …“

„Dass ich nicht zurückkomme, wenn ich gehe“, beendete er herausfordernd den Satz. „Denk nach, bevor ich dir gebe, was du willst.“

Billie war bestürzt. Sie wollte, dass er sie allein ließ – natürlich wollte sie das. Sie musste Theo schützen, weil Gio außer sich sein würde, wenn er von ihm erfuhr. Seine griechische Familie war sehr traditionsverbunden und konservativ und würde daher kein uneheliches Kind aus einfachen Verhältnissen akzeptieren. Sie wusste, dass sein Vater ein uneheliches Kind mit einer Geliebten bekommen hatte – Gios Halbschwester, die seine Familie immer abgelehnt hatte.

Offenbar nahm Gio ihre Einwände nun endlich ernst, und sie freute sich darüber, wie Billie sich einzureden versuchte. Als er sie jedoch zum Aufzug schob und dann wieder in seiner Suite verschwand, ohne sie noch einmal eines Blickes zu würdigen, fühlte sie sich elend. Sie war sehr aufgewühlt und musste schrecklich aussehen. In der verspiegelten Wand im Aufzug blickte ihr eine Frau mit geschwollenen Lippen, zerzaustem Haar und einem schuldbewussten Ausdruck in den Augen, in denen Tränen brannten, entgegen. Hatte es an dem Wein gelegen? Daran, dass sie so lange enthaltsam gelebt hatte? An den alten Erinnerungen? Oder konnte sie Gio Letsos einfach nicht widerstehen? Plötzlich musste sie an ihre erste Begegnung mit ihm denken.

Ihr Großvater war gestorben, als sie elf war. Sieben Jahre später war ihre Großmutter einer langen, schweren Krankheit erlegen. Da sie ihr Haus einer karitativen Organisation im Ort überschrieben hatte, saß Billie buchstäblich auf der Straße. Sie war mit einer Freundin nach London gereist, hatte sich ein Zimmer in einer Pension genommen und sich einen Job als Reinigungskraft in einem Luxusapartmenthaus gesucht. Sie hatte Gios exklusives Apartment schon monatelang jeden Tag saubergemacht, bevor sie ihm begegnet war.

Bevor sie eine Wohnung betrat, klingelte sie immer, um sich zu vergewissern, ob jemand zu Hause war, und auch an jenem Tag öffnete niemand. Sie wischte gerade Staub in dem riesigen offenen Wohnbereich, als ein plötzliches Geräusch sie zusammenzucken ließ. Erschrocken wirbelte sie herum und bemerkte erst jetzt den Mann, der auf einem der Sofas lag. Zuerst glaubte sie, er würde schlafen, doch er betrachtete sie mit seinen dunkelbraunen Augen und versuchte dann mühsam, sich aufzusetzen. Entsetzt beobachtete sie, wie er dabei vom Sofa fiel.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, rief sie, während sie überlegte, ob er betrunken war.

Da ihr Großvater Alkoholiker gewesen war, merkte sie es allerdings, wenn jemand betrunken war. Und es standen nirgends Flaschen oder Gläser herum, und es roch auch nicht nach Alkohol. Schließlich ging sie zögernd auf den Mann zu, um sich zu vergewissern, ob er krank war.

„Grippe …“, murmelte er und schloss die Lider, als hätte er nicht einmal mehr die Kraft zu sprechen. Dabei fiel ihr auf, dass er ungewöhnlich lange Wimpern hatte.

Flüchtig legte sie ihm die Hand auf die Stirn und stellte dabei fest, dass er hohes Fieber hatte. „Ich glaube, Sie müssen ins Krankenhaus“, flüsterte sie.

„Nein … Rufen Sie … einen Arzt“, brachte er hervor und klopfte dabei auf seine Jacketttasche.

Sie nahm das Telefon heraus und drückte es ihm in die Hand. Vergeblich mühte er sich damit ab. „Nein, machen Sie es.“

Doch sie konnte die Liste nicht lesen, weil sie in einer anderen Schrift abgefasst war. Nachdem sie an seiner Schulter gerüttelt hatte, wählte er den entsprechenden Kontakt, und sie rief den Arzt an. Er versprach, in zwanzig Minuten zu kommen.

Billie fühlte sich ausgesprochen unwohl. Da sie warten musste, um den Arzt hereinzulassen, fuhr sie mit dem Saubermachen fort, während der Mann, den der Arzt Gio genannt hatte, auf dem Boden liegen blieb. Sie fühlte sich ebenso hilf- wie nutzlos, weil er viel zu groß und kräftig für sie war, als dass sie ihm aufs Sofa hätte helfen können. Als der Arzt eintraf, war er schockiert von dem Anblick. Sofort half er ihm hoch und trug ihn praktisch in sein Schlafzimmer.

Zehn Minuten später kam er zu ihr in die Küche. „Gio ist Workaholic und völlig überarbeitet, und wahrscheinlich ist er deswegen krank geworden. Er hat eine schwere Grippe, will aber nicht ins Krankenhaus. Ich hole Medikamente für ihn und sorge dafür, dass er bald eine private Krankenschwester bekommt. Könnten Sie bis dahin hierbleiben? Er sollte nicht allein sein, aber ich bin jederzeit zu erreichen …“

„Ich bin nur die Putzfrau, und ich liege schon im Zeitplan zurück“, erklärte Billie. „Eigentlich müsste ich jetzt in der Wohnung nebenan anfangen …“

„Das Gebäude gehört Gio. Wahrscheinlich zahlt er auch Ihren Lohn. Deswegen würde ich mir um das Apartment nebenan keine Gedanken machen“, informierte der Arzt sie trocken. „Er hat nach Ihnen verlangt …“

„Warum das?“

Der Arzt, der sich schon auf dem Weg zur Tür befand, zuckte die Schultern. „Vielleicht möchte er sich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie ihm geholfen haben. Sie hätten ihn ja auch einfach da liegen lassen und die Flucht ergreifen können.“

Billie klopfte an die Schlafzimmertür und öffnete sie, als niemand antwortete. Nur mit einer seidenen schwarzen Schlafanzughose bekleidet, lag Gio tief schlafend auf dem größten Bett, das sie je gesehen hatte. Selbst mit hohem Fieber und trotz seiner Bräune blassem Gesicht, war er der schönste Mann, dem sie je begegnet war. Fasziniert betrachtete sie sein leicht gelocktes schwarzes Haar, sein unrasiertes Kinn und seinen beeindruckenden muskulösen Oberkörper und den flachen Bauch.

Nachdem sie die Gästebäder saubergemacht und eine Stunde gewartet hatte, kehrte sie ins Schlafzimmer zurück und traf ihn wach an.

„Brauchen Sie etwas?“

„Ein Glas Wasser wäre nicht schlecht … Wie heißen Sie?“, erkundigte er sich matt und atmete schwer, während er sich vergeblich aufzusetzen versuchte.

„Billie.“

„Und das ist die Abkürzung für?“

„Billie. Soll ich die Kissen aufschütteln?“

Dann schüttelte sie die Kissen auf, zog die Decke glatt und holte ihm ein Glas Wasser. Als sie ihm erzählte, dass sie sein Apartment schon seit einigen Monaten täglich reinigte, reagierte er erstaunt.

„Es gibt hier aber kaum etwas zu tun“, gestand sie. „Anscheinend benutzen Sie die Küche überhaupt nicht.“

„Ich reise viel. Und wenn ich hier bin, esse ich entweder auswärts oder bestelle mir etwas.“

Dann klingelte es. „Das ist bestimmt die Schwester, die der Arzt bestellt hat“, bemerkte Billie.

„Ich brauche keine Krankenschwester.“

„Sie können aber nicht allein bleiben. Dafür sind Sie zu krank.“

„Ich hatte gehofft, Sie könnten hierbleiben …“

„Ich muss noch andere Apartments saubermachen. Es wird heute Abend ohnehin spät.“ Dann eilte sie zur Tür, um einer schönen Blondine mit dem Gesicht einer Madonna in Schwesterntracht zu öffnen.

Am nächsten Morgen erhielt Billie einen Anruf von ihrem Chef. „Sie sollen bis auf weiteres Vollzeit in Mr Letsos’ Apartment bleiben.“

„Aber … warum?“, hakte sie verblüfft nach.

„Die Anweisung kommt von oben. Vielleicht hat der Typ gestern Abend eine Party gegeben und braucht jetzt eine Grundreinigung“, erwiderte er desinteressiert. „Wir stellen keine Fragen.“

Als Billie klingelte, kam niemand, und so öffnete sie die Tür mit ihrem Generalschlüssel. Leise klopfte sie an die Schlafzimmertür.

„Wo ist die Krankenschwester?“, erkundigte sie sich.

Gio, immer noch unrasiert im Bett liegend, warf ihr einen viel sagenden Blick zu. „Sie wollte zu mir ins Bett … Ich habe sie gebeten zu gehen.“

Obwohl seine Worte sie beunruhigten, betrachtete Billie ihn fasziniert. Ja, selbst in diesem Zustand übte er eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus.

„Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass ich Sie engagiert habe, denn Sie haben keinerlei Ambitionen in der Richtung gezeigt …“

Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. „Nein, natürlich nicht … Und wie haben Sie das geschafft?“

„Und, haben Sie etwas dagegen?“

„Was soll ich denn tun?“, erkundigte sie sich argwöhnisch, ohne seine Frage zu beantworten. „Ich bin keine Krankenschwester …“

„Ich habe seit gestern Morgen nichts mehr gegessen. Ein Frühstück wäre also nicht schlecht.“

Er tat ihr leid, und sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie ihm am Vortag nichts zu essen gemacht hatte. Schließlich kannte sie sich mit Krankenpflege aus, seit sie sich vom elften Lebensjahr an um ihre kranke Großmutter gekümmert hatte. In den nächsten drei Tagen kaufte sie also für Gio ein, machte Essen für ihn, bezog sein Bett neu und verabreichte ihm seine Medikamente. Und immer wenn er verkündete, dass er fit genug sei, um aufzustehen, diskutierte sie mit ihm. Ungeachtet des großen sozialen Unterschieds entwickelte sich zwischen ihnen ein lockeres Verhältnis, doch Billie lachte laut, als Gio sagte, er würde als Dankeschön mit ihr essen gehen, sobald er wieder fit sei.

„Wie alt sind Sie eigentlich?“, erkundigte er sich unvermittelt und betrachtete sie dabei forschend. „Ich gehe nicht mit Teenagern aus.“

Als ihr klar geworden war, dass es tatsächlich so etwas wie eine Verabredung wäre, hatte sie sich also zwei Jahre älter gemacht, denn eine Verabredung mit einem Mann wie Gio war ihr wie die Erfüllung all ihrer Träume erschienen.

Während die Bilder schwächer wurden, schluckte Billie nun mühsam, aufgewühlt durch diese Erinnerungen und ihre Unschuld, denn damals hatte sie Gio als edlen Ritter betrachtet. Sie hatte ihn für perfekt gehalten, höflich und rücksichtsvoll. Erst später hatte sie die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass er die schlimmsten Dinge sagen konnte, ohne aus der Rolle zu fallen.

An diesem Abend erschien der Chef seines Sicherheitsteams, Damon Kitzakis, in Gios Suite. In Anbetracht der Tatsache, dass sie ein entspanntes Verhältnis zueinander hatten, wirkte er ungewöhnlich zerstreut.

„Gibt es irgendwelche Probleme?“, erkundigte Gio sich stirnrunzelnd.

„Wie Sie angewiesen haben, behält Stavros Miss Smith im Auge, und im Zuge dessen hat er mit einer ihrer Nachbarinnen geplaudert“, begann Damon steif. „Dabei hat er zufällig etwas aufgeschnappt, das Sie wahrscheinlich – natürlich – schon wissen, aber …“

Gio, der gerade am Schreibtisch saß, erstarrte. „Und das wäre?“

„Miss Smith hat ein Kind.“

Erschrocken blickte Gio ihn an. „Ihre Mitbewohnerin hat Kinder.“

Damon zuckte zusammen. „Als Miss Smith … in das Haus gezogen ist, war sie offenbar schwanger. Das jüngste Kind … ist ihrs.“

Gio blinzelte einige Male und versuchte krampfhaft, einen klaren Gedanken zu fassen. Billie hatte ein Baby, ein Kind von einem anderen Mann. Es hatte also einen anderen in ihrem Leben gegeben. Theos, er hätte sie niemals aufsuchen dürfen, bevor er die nötigen Hintergrundinformationen von Henley bekommen hatte. Das ist also die Strafe für meine Ungeduld, überlegte er grimmig. Sie hätte es mir wenigstens sagen können, dachte er dann wütend.

Flüchtig presste er die Lippen zusammen, bevor er Joe Henley anrief. Ja, es gebe ein Kind, bestätigte dieser sofort, doch er hätte noch keine Kopie der Geburtsurkunde und somit auch noch keine Einzelheiten.

Warum, zum Teufel, hatte Billie ihm nicht einfach erzählt, dass sie Mutter war? Schließlich war es die perfekte Ausrede dafür, dass sie ihre Beziehung nicht wieder aufnehmen wollte. Und sicher war ihr klar, dass er sie mit einem Kind im Schlepptau gar nicht mehr wollte. Aufgebracht sprang Gio auf. Sein Zorn wuchs, weil Billie etwas erreicht hatte, das nur wenige Leute geschafft hatten – er kam sich wie ein Idiot vor. Hätte er gewusst, dass sie ein Kind hatte, wäre er niemals wieder mit ihr ins Bett gegangen. Spielte sie irgendwelche Spielchen mit ihm?

Billie sank in die Badewanne und ließ die Finger durch den Schaum gleiten. Dies war ihr Verwöhnabend. Die Kinder schliefen tief und fest, die Küche war sauber. Sie wollte es sich mit einem romantischen Film auf der Couch gemütlich machen und dazu heißen Kakao trinken. Auch wenn sie selbst nicht mehr an die wahre Liebe glaubte, konnte sie zumindest träumen, wie sie sich zerknirscht eingestand.

Als sie sich abtrocknete, klingelte es an der Tür. Sie schnitt ein Gesicht, nahm schnell ihren Bademantel vom Haken und verknotete den Gürtel. Dann eilte sie die Treppe hinunter, bevor es noch einmal klingelte und die Kinder womöglich aufwachten. Jade hatte einen leichten Schlaf, und wenn sie erst einmal wach war, würde es Stunden dauern, bis sie wieder einnickte.

Billie riss die Tür auf und erstarrte bestürzt. Vor ihr stand Gio, diesmal in Lederjacke und Jeans – ein seltener Anblick. Sie ließ den Blick zu seinem markanten Gesicht schweifen. Seine dunklen Augen funkelten, und sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg, weil sie daran denken musste, wie er in sie eingedrungen war und sie sofort zum Höhepunkt gebracht hatte.

„Warum hast du mir nicht erzählt, dass du ein Kind hast?“, fragte er rau.

Billie zuckte zusammen und merkte dann, dass ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Sie öffnete die Tür ein Stück weiter, denn dies war kein Gespräch, das sie hier führen konnte. „Komm lieber rein.“

„Worauf du dich verlassen kannst“, stieß er hervor, bevor er an ihr vorbeistürmte und die Tür zum Wohnzimmer aufriss.

Er weiß Bescheid, ging es ihr durch den Kopf.

Gio wandte sich vom Fenster ab und musterte sie mit blitzenden Augen, als hätte sie ihn gekränkt. „Ich hätte dich nie angefasst, wenn ich gewusst hätte, dass du ein Kind von einem anderen Mann hast!“

Ein Kind von einem anderen Mann. Die Anspannung fiel von ihr ab, als Billie bewusst wurde, dass er wie durch ein Wunder nicht hinter ihr Geheimnis gekommen war. Offenbar kam ihm gar nicht der Gedanke, dass ihr Kind von ihm sein könnte. Dass er sich so besitzergreifend gab, irritierte sie allerdings. „Ja, ich habe ein Kind“, bestätigte sie ausdruckslos. „Aber das geht dich nichts an …“

Theos … Natürlich ging es mich etwas an, als ich dich gebeten habe, zu mir zurückzukehren!“, rief er mit verächtlicher Miene.

Dass er sie mit einem Kind nicht wollte, überraschte sie nicht. Zwar hatte er sich von Calisto einen Erben gewünscht, aber nur, damit die Familie fortbestand und diesem einmal das Unternehmen übertragen werden könnte. Ihr war nie aufgefallen, dass er etwas für Kinder übrighatte. Er hatte Neffen und Nichten, weil zumindest zwei seiner Schwestern verheiratet gewesen waren und Kinder bekommen hatten, doch er hatte sich nie positiv über diese geäußert, sondern sich immer nur über den Lärm und die Unannehmlichkeiten auf den Familientreffen geäußert.

„Nein, denn ich hatte nicht vor, das zu tun“, konterte Billie ruhig. Sie straffte die Schultern und funkelte ihn trotzig an.

„Und was sollte das heute Nachmittag dann?“, höhnte er.

„Wie ich schon sagte, war das ein Fehler. Ein Fehler, den wir nicht wiederholen werden.“

Gio betrachtete Billie, die unter dem Bademantel zweifellos nackt war. Als sie sich bewegte, wippten ihre Brüste, und die Brustwarzen zeichneten sich unter dem dünnen Stoff ab. Sofort flammte brennende Begierde in ihm auf, was ihn wiederum wütend machte, denn er hatte sein Verlangen doch erst vor Kurzem gestillt. „Wer war der Typ?“

„Das spielt keine Rolle.“

Er atmete tief durch, irritiert darüber, dass sein Zorn sich nicht legte. „Wie alt ist das Kind?“, fragte er, obwohl er nicht wusste, warum es ihn interessieren sollte.

„Ein Jahr“, schwindelte Billie, aus Angst, seine Neugier zu wecken.

Verächtlich presste Gio die sinnlichen Lippen zusammen. „Aha, du wolltest dich also mit ihm über mich hinwegtrösten.“

„In meinem Leben dreht sich nicht immer alles um dich!“, erwiderte sie scharf.

„Aber offenbar ist er nicht mehr da …“

„Es eignen sich eben nicht alle Männer zum Vater“, parierte sie.

„Ein Mann sollte sein Kind zumindest unterstützen“, verkündete sie zu ihrer Verblüffung. „Es ist eine grundlegende Pflicht.“

„Na ja, meiner …“ Unvermittelt verstummte sie, weil sie ihn nicht daran erinnern wollte, dass sein Vater in der Hinsicht genauso versagt hatte.

„Wie auch immer.“ Gio zuckte die Schultern und ging zur Tür, da er es offenbar nicht erwarten konnte, von ihr wegzukommen. „Du hättest es mir sofort erzählen sollen. Es ändert alles.“

Dass er sein Kind unwissentlich ablehnte, verstärkte ihre Gewissensbisse. Früher hätte es sie mit Befriedigung erfüllt, doch inzwischen war sie versöhnlicher gestimmt. Nichts war so Schwarz und Weiß, wie sie es geglaubt hatte, als sie Theo ohne Gios Wissen zur Welt gebracht hatte. Da sie nicht mehr so emotional war wie damals, wusste sie, dass seine Fehler ihre Entscheidungen nicht automatisch rechtfertigten. Ein Kind war keine Trophäe oder Mittel zum Zweck. Und vielleicht würde Theo ihre Entscheidung nicht gutheißen, wenn er alt genug war, um sich eine eigene Meinung zu bilden.

Für Gio begann der nächste Morgen mit einem Schock, als das Faxgerät ein Dokument ausspuckte und weiterdruckte. Er schnappte sich die erste Seite auf dem Weg zur Dusche und erstarrte, denn es handelte sich um die Kopie einer Geburtsurkunde.

Theon Giorgios, Sohn von Billie Smith, war fünfzehn Monate alt, wie er schnell ausrechnete. Theon war der Name seines Großvaters, und das Alter des Jungen ließ keinen Zweifel daran, wann er gezeugt worden war.

Gio überflog die anderen Seiten, die aus dem Faxgerät kamen. Seine Hände zitterten vor Wut. Er war so fassungslos, so zornig, dass er am liebsten etwas zertrümmert hätte. Er hatte Billie vertraut, und sie hatte sein Vertrauen missbraucht. Dann riss er sich zusammen und versuchte, die Fakten nüchtern zu betrachten. Kein Verhütungsmittel war absolut sicher. Das wusste er vom Verstand her, doch er hatte immer aufgepasst, um keine böse Überraschung zu erleben.

Billie hatte damals die Pille genommen, aber sie manchmal nicht vertragen. Er hatte ihr also die Verantwortung überlassen, und es war durchaus möglich, dass sie trotz Verhütung schwanger geworden war. Nachdem er den Bericht weggelegt hatte, ging er unter die Dusche und drehte das Wasser voll auf. Ich habe einen Sohn, sagte er sich ungläubig und verwundert zugleich, während er unter dem warmen Strahl stand.

Einen unehelichen Sohn. Das gefiel ihm überhaupt nicht. In der Hinsicht hatte er sehr starre Prinzipien, zumal er wusste, wie seine Halbschwester darunter gelitten hatte, keinen Vater und keine Familie zu haben, die sie akzeptierten und unterstützten. Natürlich hatten die Zeiten sich inzwischen geändert, und es war kein Makel mehr, unehelich geboren zu werden. In seiner Familie hingegen spielten Dinge wie Erbe, gesellschaftliche Stellung und Ehre immer noch eine große Rolle.

Dass Billie ihn angelogen hatte, schockierte ihn am meisten. Nachdem Gio den Bericht gelesen und von der Operation seines Sohnes, Billies unzureichenden Betreuungsmaßnahmen und dem zweifelhaften Charakter ihrer Mitbewohnerin erfahren hatte, hielt er sofort eine Videokonferenz mit seinen Anwälten in London ab. Danach wusste er, welche Möglichkeiten er hatte, und das waren nur sehr wenige. Sein stürmisches Naturell, das er normalerweise gut im Griff hatte, gewann nun die Oberhand. Er befand sich in einer Situation, die er niemals freiwillig gewählt hätte und die er, was noch schlimmer war, nicht kontrollieren konnte. Wenn es sein musste, würde er mit harten Bandagen kämpfen. Billie mochte ihn überrascht haben, aber er wusste, was ihm wichtig war.

An diesem Morgen war Billie wie gerädert, weil sie kaum geschlafen hatte. Sie stand früher auf und saß gerade mit einer Tasse Tee am Küchentisch, als Dee gähnend hereinkam.

„Ich habe etwas Schlimmes getan“, gestand Billie und erzählte ihr dann alles. „Ich weiß, es war falsch von mir, Gio zu erzählen, dass Theo von einem anderen Mann ist …“

Dee war sichtlich bestürzt. „Was ist da nur in dich gefahren?“

Billie stöhnte. „Ich fühlte mich in die Ecke gedrängt und bedroht. Und ich hatte gar nicht die Möglichkeit, richtig zu überlegen. Gio wird fuchsteufelswild sein, wenn er die Wahrheit erfährt.“ Sie strich sich einige Locken aus der Stirn und stöhnte erneut. „Ich schreibe ihm eine SMS und bitte ihn herzukommen.“

„Ja, tu das. Ich meine … du hättest gleich reinen Tisch machen sollen. Wenn du es ihm nicht erzählst, was ist, wenn Theo eines Tages seinen Vater kennenlernen möchte?“, fragte ihre Cousine besorgt. „Ich weiß, Gio hat dich verletzt, aber das heißt nicht, dass er kein guter Vater sein kann.“

Dee erzählte ihr nichts, was sie nicht selbst in dieser langen, einsamen Nacht gedacht hatte. Gio unerwartetes Auftauchen hatte alles verändert. Sie konnte die Vaterschaft nicht länger geheimhalten, und zu behaupten, ein anderer Mann wäre Theos Vater, war unverzeihlich gewesen, wie Billie sich, den Tränen nahe, eingestehen musste. Sie schluckte mühsam, bevor sie zu ihrem Telefon griff und die Nummer wählte, die sie nie gelöscht hatte und die hoffentlich immer noch stimmte. Dann schrieb sie: Ich muss heute mit Dir reden. Es ist sehr wichtig.

Als er Billies Nachricht bekam, antwortete Gio: Um elf bei dir.

Offenbar hatte Billie vor, ihm die Wahrheit zu sagen. Gio verzog die Lippen. Er war nicht beeindruckt. Diese kam immer noch mindestens fünfzehn Monate zu spät …

5. KAPITEL

Nervös blickte Billie aus dem Fenster, als Gio aus der Limousine sprang, und verspannte sich noch mehr beim Anblick seines Aufzugs. Er trug einen maßgeschneiderten schwarzen Anzug, den er mit einem weißen Hemd und einer roten Krawatte kombiniert hatte. Dies war Gio, der Tycoon, ernst, distanziert und mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen.

„Ich muss dir etwas mitteilen“, sagte sie atemlos, nachdem sie ihm die Tür geöffnet hatte.

Er nahm ein zusammengefaltetes Blatt aus seiner Jacketttasche und reichte es ihr. „Ich weiß es schon …“

Mit wild pochendem Herzen faltete sie es auseinander und blinzelte einige Male, als sie feststellte, dass es sich um eine Kopie der Geburtsurkunde handelte. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll …“

„Du brauchst gar nichts zu sagen“, erklärte er eisig. „Du hast mich gestern belogen. Über ein Jahr hast du mir die Wahrheit ganz bewusst vorenthalten. Offenbar hattest du nicht die Absicht, mir je zu erzählen, dass ich Vater bin.“

„Ich hatte auch nie damit gerechnet, dich wiederzusehen“, murmelte Billie.

„Ich möchte ihn sehen“, sagte Gio leise und mit einem gequälten Unterton.

„Er schläft gerade …“

Er blieb am Fuß der Treppe stehen und musterte sie spöttisch. „Trotzdem möchte ich ihn sehen.“

Nachdem sie tief durchgeatmet hatte, ging sie die Treppe hoch und wischte dabei die feuchten Handflächen an ihren Jeans ab. Eigentlich sollten wir es schaffen, ganz normal mit der Situation umzugehen, tröstete sie sich. Natürlich war Gio neugierig, und nun konnte Theos Existenz nicht so peinlich für ihn sein, wie sie es während seiner Ehe gewesen wäre.

„Wir müssen leise sein“, flüsterte Billie. „Dee ist sehr müde und hat sich wieder hingelegt. Ich möchte sie nicht wecken.“ Dann öffnete sie die Tür zu dem Zimmer, das die drei Kinder miteinander teilten.

Ungläubig trat Gio an das Gitterbett in der Ecke und betrachtete das friedlich schlafende Baby. Seinen Sohn. Selbst auf den ersten Blick war die Ähnlichkeit verblüffend. Theo hatte schwarze Locken, eine markante kleine Nase, und auch die Augenpartie ähnelte seiner. Gio atmete tief ein und aus, während unbekannte Gefühle ihn überkamen und ihm die Brust eng wurde. Dies war sein kleiner Sohn, und er hatte bereits eine schwere Operation ohne seine Unterstützung hinter sich. Theo hätte sterben können, ohne dass er je von seiner Existenz erfahren hätte. Zorn flammte in ihm auf, und bevor er die Beherrschung verlor, verließ Gio schnell das Zimmer.

Unbehaglich betrachtete Billie ihn. Seine dunklen Augen funkelten, und er hatte die sinnlichen Lippen zusammengepresst.

Theos … Das werde ich dir nie verzeihen“, stieß er oben an der Treppe eisig hervor.

Ihr Magen krampfte sich zusammen, und sie hatte ganz weiche Knie, als sie die Treppe hinunterging. Im Wohnzimmer drehte sie sich zu ihm um. „Und warum nicht? Weil ich damals schwanger geworden bin?“

Gio war auf der Schwelle stehen geblieben und blickte sie starr an. „Ich weiß natürlich, dass dazu immer zwei gehören. Und genauso weiß ich, dass du nicht absichtlich schwanger geworden bist, denn sonst hättest du längst Geld von mir verlangt.“

„Soll ich dir für dieses Vertrauensvotum etwa dankbar sein?“, fragte sie, die Brauen hochgezogen.

„Nein.“ Er kam weiter in den Raum und schloss die Tür hinter sich. „Du sollst mir erklären, warum du es mir nicht erzählt hast.“

„Mich wundert, dass du mich das fragst.“

„Ach ja?“

„Ja. Du warst doch im Begriff zu heiraten“, erinnerte Billie ihn ausdruckslos.

„Das ist keine Entschuldigung“, erklärte Gio schroff. „Das Baby da oben ging mich etwas an und wird mich immer etwas angehen, und deswegen hättest du mir sofort von deiner Schwangerschaft erzählen müssen.“

Sie fragte sich, was er von ihr hören wollte. „Du hast mir einmal gesagt, falls ich schwanger werden sollte, sei es eine Katastrophe und würde das Ende unserer Beziehung bedeuten.“

„Das ist auch keine Entschuldigung, zumal unsere Beziehung deinen Worten zufolge ja schon beendet war“, erinnerte er sie.

„Gio, du weißt, dass du außer dir gewesen wärst und mir wahrscheinlich die Schuld daran gegeben hättest. Du hättest niemals gewollt, dass ich das Kind bekomme!“, rief sie frustriert, weil er es einfach nicht begreifen wollte.

„Was du im Leben willst und was du bekommst, sind oft zweierlei Dinge“, bemerkte er zynisch. „Und ich bin reif genug, um das einzusehen.“

„Oh, vielen Dank!“, rief sie, während ihr das Blut ins Gesicht stieg. „Wie kannst du es wagen, mich zu verhöhnen, weil ich ein Kind von dir bekommen habe? Ich war damals davon überzeugt, dass du mich zu einem Abbruch drängen würdest, wenn ich dir von der Schwangerschaft erzähle …“

Nun musterte er sie abschätzend. „Und wie kommst du darauf?“

Deutlich spürte sie seine Feindseligkeit. Sie suchte nach den richtigen Worten. „Na ja, offensichtlich …“

„Habe ich je behauptet, ich würde im Falle eines Falles von dir erwarten, dass du einen Abbruch vornehmen lässt?“

Billie veränderte ihre Position. „Nein, aber angesichts deiner Äußerung bin ich natürlich davon ausgegangen. Das heißt also, du hättest keinen Abbruch vorgeschlagen?“

„Genau das heißt es. Und wenn man bedenkt, dass wir nur einmal flüchtig darüber geredet haben, wie es für mich wäre, wenn du schwanger werden solltest, hast du eine Menge voreilige Schlüsse gezogen“, meinte Gio verächtlich.

„Damals warst du im Begriff zu heiraten, um mit einer anderen Frau ein Kind zu bekommen. Die Nachricht von meiner Schwangerschaft wäre also in jeder Hinsicht eine schlechte gewesen“, erwiderte sie aufgewühlt. „Und vielleicht wollte ich dir nicht sagen, was du nicht hören wolltest, vielleicht hatte ich noch ein letztes Fünkchen Stolz …“

„Hätte ich geahnt, dass du schwanger bist, hätte ich Calisto nie geheiratet“, erklärte Gio grimmig. „Ich hätte die Bedürfnisse meines Kindes immer an erste Stelle gestellt.“

Sein Geständnis erschütterte sie zutiefst. „Das verstehe ich nicht.“

Die Bedeutung seiner Worte wurde auch ihm erst jetzt in vollem Umfang bewusst, und er war mit seiner Geduld am Ende. „Nein, du verstehst nicht, was du getan hast“, sagte Gio ausdruckslos. „Oder?“

„Was ich getan habe? Ich habe Theo zur Welt gebracht und sorge für ihn, so gut ich kann. Er hat alles, was er braucht …“

Seine Augen funkelten. „Nein, das hat er nicht. Er hat keinen Vater …“

Billie runzelte die Stirn. „Wenn du an seinem Leben teilhaben möchtest, unterstütze ich das … falls du dir deswegen Gedanken machst …“

„Hältst du das etwa für ausreichend?“, fragte Gio so scharf, dass es sie wie ein Peitschenhieb traf. „Hältst du es für tragbar, unseren Sohn operieren zu lassen, ohne es mir zu sagen? Ihn hier in diesem Loch großzuziehen? Ihn mit zur Arbeit zu nehmen? Ihm die Familie seines Vaters, sein Erbe vorzuenthalten, während du nicht einmal eine eigene Familie hast? Nein, nichts von dem, was du getan hast, ist akzeptabel!“

Autor

Maisey Yates
Schon von klein auf wusste Maisey Yates ganz genau, was sie einmal werden wollte: Autorin.
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