Julia Extra Band 472

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IM BANN DES GEHEIMNISVOLLEN MILLIARDÄRS von KATE HEWITT
Ein Leben mit Antonio Rossi? Niemals! Maisie will für ihr Baby alleine sorgen. Schließlich hat der Milliardär sie nach ihrer Liebesnacht rigoros verleugnet! Nur ihrer kleinen Tochter zuliebe zieht sie in seine Villa. Aber warum küsst der unnahbare Italiener sie plötzlich so sinnlich?

HALT MICH FEST - FÜR IMMER UND EWIG! von THERESE BEHARRIE
Ohne eine Erklärung hat Rose ihn verlassen. Jetzt steht seine Frau wieder vor ihm, und Aaron Spencer erkennt: In ihr glüht das gleiche Begehren, das auch ihn jede Nacht wachhält. Und als draußen ein Sturm aufzieht, schmiedet der smarte Anwalt einen gewagten Plan …

WILDE HERZEN IN LAS VEGAS von ANDREA BOLTER
Wild und rebellisch! Hotelerbin Audrey Girard lässt sich von Shane Murphy nicht nur kulinarisch verwöhnen, in ihrer Fantasie küsst sie auch die sinnlichen Lippen des Bad Boys! Fatal, denn um ihr Unternehmen zu retten, soll sie eine Zweckehe mit Shanes Bruder eingehen …

NUR EIN FALSCHER TRAUM VOM GLÜCK? von CAROL MARINELLI
Die junge Schauspielerin Merida verbringt eine leidenschaftliche Nacht mit dem smarten Ethan Devereux. Doch statt Liebesglück wartet nur Verzweiflung auf sie: Als Ethan erfährt, dass sie von ihm schwanger ist, plant der mächtige Tycoon ihre Hochzeit so eiskalt wie seine Geschäfte …


  • Erscheinungstag 17.09.2019
  • Bandnummer 472
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712983
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kate Hewitt, Therese Beharrie, Andrea Bolter, Carol Marinelli

JULIA EXTRA BAND 472

KATE HEWITT

Im Bann des geheimnisvollen Milliardärs

Für Antonio sind Gefühle tabu! Doch die leidenschaftliche Maisie kommt seinem Herzen gefährlich nahe. Ein Grund mehr, sie auf Abstand zu halten. Von Antonios erschütterndem Geheimnis darf sie nie erfahren …

THERESE BEHARRIE

Halt mich fest – für immer und ewig!

Niemals möchte Rose ihrem Mann zur Last fallen. Lieber verlässt sie ihn! Doch dann sieht sie Aaron wieder: Für eine sinnliche Nacht scheint die Zeit stillzustehen – mit Folgen, die alles verändern …

ANDREA BOLTER

Wilde Herzen in Las Vegas

Seine Rezepte sind Legende! Trotzdem fehlen Shane für sein neues Kochbuch die Ideen. Die süße Audrey sorgt für neue Inspiration … Hat Shane sich etwa in die Braut seines Bruders verliebt?

CAROL MARINELLI

Nur ein falscher Traum vom Glück?

Liebe? Nein danke! Playboy Ethan Devereux bevorzugt lockere Affären. Selbst als die schöne Merida von ihm schwanger ist, interessiert ihn nur sein Ruf. Aber warum denkt er dann Tag und Nacht an sie?

1. KAPITEL

Das einunddreißigste Stockwerk des Bürogebäudes war dunkel, als Maisie Dobson ihren Reinigungswagen den Flur entlangschob. Das Quietschen der Räder war das einzige Geräusch, das in dem geisterhaft verlassenen Gebäude widerhallte. Nach sechs Monaten Nachtschicht hätte Maisie eigentlich daran gewöhnt sein müssen, aber manchmal bekam sie immer noch Angst. Ihre Kolleginnen und sie waren zwar zu sechst, arbeiteten jedoch in unterschiedlichen Stockwerken.

Es war zwei Uhr morgens, und sie war todmüde. Morgen früh um neun hatte sie Violinunterricht und würde wahrscheinlich mittendrin einschlafen. Dabei war das immer ihr Traum gewesen – Musik zu studieren, nicht zu putzen. Aber eins war ohne das andere leider nicht möglich, und das war in Ordnung so. Maisie war es gewöhnt, hart für ihre Ziele zu arbeiten.

Sie erstarrte, als sie sah, dass aus dem Büro vor ihr Licht drang. Vermutlich hatte es jemand aus Versehen angelassen. Trotzdem bekam sie ein mulmiges Gefühl. Bisher war so etwas noch nie vorgekommen, da die Lichter automatisch ausgingen. Wenn das Reinigungsteam um elf eintraf, war das Hochhaus in der Innenstadt Manhattans immer stockdunkel.

Zögernd schob Maisie den Wagen weiter. Das Quietschen der Räder kam ihr unnatürlich laut vor. Ihr Herz raste.

Stell dich nicht so an, ermahnte sie sich selbst. Du brauchst keine Angst zu haben. Das ist nur eine Schreibtischlampe, weiter nichts.

Vor dem erleuchteten Büro blieb sie stehen und atmete tief durch, bevor sie vorsichtig den Kopf durch die halb geöffnete Tür streckte. Ihr Blick fiel auf einen Mann, der hinter dem Schreibtisch saß.

Ihr stockte der Atem, und ihr Herzschlag beschleunigte sich noch mehr. Das hier war nicht irgendein Mann – kein übergewichtiger Bürotyp, der Überstunden machte. Nein, er war …

Ihr fehlten die Worte, um ihn zu beschreiben. Tintenschwarzes Haar fiel ihm in die Stirn, und er hatte die dunklen Brauen über halb geschlossenen Augen zusammengezogen. Seine Wimpern zeichneten sich über seinen hohen Wangenknochen ab. Trübsinnig betrachtete er ein halbleeres Whiskyglas, das er zwischen seinen langen, schmalen Fingern hielt.

Er trug keine Krawatte und hatte die obersten Knöpfe seines Hemds geöffnet, sodass Maisie ein paar Zentimeter seiner gebräunten, muskulösen Brust sehen konnte. Seine Ausstrahlung war so männlich, so faszinierend, dass sie wie magisch angezogen den Raum betrat.

Als er den Blick hob und sie aus leuchtend blauen Augen fixierte, war sie wie gebannt. „Sieh mal einer an“, sagte er gedehnt und verzog die Lippen zu einem Lächeln, in dem keine Freude lag. Seine Stimme klang tief und sexy, und er hatte einen leichten Akzent. „Wie geht es Ihnen an diesem wundervollen Abend?“

Maisie wäre vermutlich nervös geworden oder hätte vielleicht sogar Angst bekommen, wenn er nicht so traurig aussehen würde. Von spontanem Mitgefühl überwältigt ging sie einen Schritt auf ihn zu. „Es geht mir gut“, sagte sie sanft und nahm die fast leere Whiskyflasche vom Schreibtisch. „Aber viel interessanter ist die Frage, wie es Ihnen geht.“

Der Mann lehnte sich zurück und legte den Kopf in den Nacken, wobei er noch mehr von seinem Hals und seiner Brust zeigte. Das Glas rutschte ihm fast aus der Hand. „Wie es mir geht? Gute Frage. Eine sehr gute Frage sogar.“

„Ist sie das?“

Seine Traurigkeit war fast greifbar. Es brach ihr das Herz. Sie war schon immer liebevoll und mitfühlend gewesen, hatte aber nur wenige Menschen, denen sie ihre Zuneigung schenken konnte. Bisher hatte sie sich dabei auf ihren Bruder Max konzentriert, doch der war inzwischen erwachsen und ging eigene Wege. Natürlich war das gut so. Das durfte sie nicht vergessen.

„Allerdings.“ Der Mann breitete die Arme aus, sodass etwas von seinem Whisky auf den Fußboden schwappte. „Denn es müsste mir eigentlich gutgehen. Fantastisch sogar.“

Maisie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ach ja? Und warum?“

Sie hatte jetzt nicht mehr nur Mitleid, sondern war auch neugierig. Wer war dieser Mann? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er hier arbeitete. Sie arbeitete jetzt schon seit einem halben Jahr im Reinigungsteam für dieses Gebäude, hatte ihn aber noch nie gesehen. Da sie nur nachts arbeitete, bekam sie natürlich kaum irgendwelche Angestellten zu Gesicht, aber trotzdem hatte sie irgendwie das Gefühl, dass dieser Mann nicht hierhergehörte. Dafür war er einfach zu anders – zu faszinierend, zu charismatisch. Sogar in angetrunkenem Zustand hatte er eine so bezwingende Ausstrahlung, dass er Gefühle in ihr auslöste, die sie schon lange nicht mehr empfunden hatte …

Maisie kämpfte ihre Reaktion auf ihn nieder und wartete auf seine Antwort. Sie konnte den Schmerz hinter seiner charismatischen Fassade deutlich spüren – einen Schmerz, der sie nicht unberührt ließ.

„Warum es mir fantastisch gehen sollte?“ Er hob eine dunkle Augenbraue. Ein zynisches Lächeln umspielte seine Lippen. „Da gibt es einige Gründe. Ich bin reich, einflussreich, erfolgreich und kann jede Frau haben, die ich will.“ Er stellte das Glas ab, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und blickte an die Decke – eine Pose, die ihn seltsam verletzlich wirken ließ. „Ich habe Häuser in Mailand, in London und auf Kreta. Ich besitze eine Jacht, einen Privatjet …“ Er durchbohrte sie mit seinem Blick. „Soll ich fortfahren?“

Maisie schluckte, etwas eingeschüchtert von dieser beeindruckenden Liste. Nein, dieser Mann gehörte eindeutig nicht hierher. Er müsste im obersten Stockwerk bei den Geschäftsführern sitzen … oder gleich ein ganzes Stockwerk für sich haben. Wer zum Teufel war er?

„Ich bin alt genug, um zu wissen, dass einen solche Dinge nicht glücklich machen“, antwortete sie, obwohl ein solides Einkommen nicht schaden konnte. Ihr Leben lang hatte sie um ihre und Max’ Existenzgrundlage kämpfen müssen.

„Alt genug?“ Die blauen Augen des Mannes blitzen belustigt auf. „Sie sehen aus, als wären Sie gerade erst mit der Schule fertig.“

„Ich bin vierundzwanzig“, antwortete Maisie etwas gekränkt. „Und ich studiere noch. Das hier ist nur ein Nachtjob.“

„Ach ja, es ist schon Nacht.“ Der Mann sah aus dem Fenster und betrachtete das hell erleuchtete Chrysler Building, das sich vor dem dunklen Himmel abzeichnete. „Eine kalte, finstere Nacht.“

Seine Stimme klang so düster, dass Maisie ein Schauer über den Rücken lief. Er schien nicht vom Wetter zu reden.

„Was machen Sie hier?“, fragte sie sanft. „Warum trinken Sie allein in einem leeren Bürogebäude?“

Er antwortete nicht, sondern starrte weiter nach draußen. Erst nach einer Weile drehte er sich wieder zu ihr um und schenkte ihr ein freudloses Lächeln. „Dieses Gebäude ist nicht leer, und ich bin nicht allein.“ Er griff wieder nach seinem Glas. „Und ich brauche auch nicht allein zu trinken.“ Er schenkte Whisky nach und schob ihr das Glas hin.

„Ich darf nicht …“ Maisie wich zurück, als habe er ihr das Glas an den Mund gehalten. „Ich bin bei der Arbeit.“

Er ließ den Blick durch das Zimmer gleiten. Wieder zuckten seine Mundwinkel belustigt. „Arbeit?“

„Ich mache hier sauber“, sagte sie etwas steif. „Das hier ist das letzte Büro auf diesem Stockwerk.“

„Dann sind Sie ja fast fertig.“

Das stimmte zwar, aber es spielte keine Rolle. Es war fast zwei Uhr morgens, und sie musste morgen früh zur Musikschule. „Ich darf trotzdem nichts trinken. Ich sollte mich jetzt wirklich an die Arbeit machen.“

Er ließ den Blick über den Schreibtisch, die zwei Stühle und das Ledersofa an einer Wand gleiten. „Was gibt es hier schon zu putzen?“

„Ich muss sämtliche Oberflächen einsprühen und abwischen, die Papierkörbe leeren, staubsaugen …“ Aus irgendeinem Grund errötete Maisie bei der Auflistung dieser bescheidenen Tätigkeiten.

„Dann helfe ich Ihnen“, sagte der Mann zu ihrer Verblüffung. „Und danach trinken wir.“

Maisie starrte ihn aus großen Augen an. Mit so einem Vorschlag hätte sie nicht gerechnet. „Sie wollen was?“

Für einen Mann, der gerade vermutlich fast eine ganze Flasche Whisky geleert hatte, sprang er überraschend geschmeidig von seinem Stuhl auf. Er nahm eine Sprühflasche mit Reinigungsmittel und einen Lappen aus dem Eimer, den Maisie neben der Tür abgestellt hatte, ordnete die Unterlagen auf seinem Schreibtisch zu einem Stapel und sprühte die Tischplatte ein, während sie ihn wie vom Donner gerührt beobachtete. So etwas war ihr bisher noch nie passiert.

Manchmal stieß sie auf Angestellte, die Überstunden machten. Sie ließen sie meistens um sie herumputzen, wobei sie ab und zu genervt aufseufzten. Maisie beeilte sich dann immer und verschwand, so schnell sie konnte.

Als der Mann die Schreibtischplatte abgewischt hatte, nahm er sich den Couchtisch vor. Als er Maisies ungläubigen Gesichtsausdruck bemerkte, funkelten seine Augen belustigt. „Sie sind ganz schön faul, wissen Sie das?“

„Wer sind Sie?“, platzte Maisie heraus.

„Antonio Rossi.“ Er war mit dem Couchtisch fertig und griff nach dem Papierkorb unter dem Schreibtisch, um ihn in die Mülltüte zu entleeren, die von Maisies Reinigungswagen hing. „Und wer sind Sie?“

„Maisie.“

„Schön, Sie kennenzulernen, Maisie.“ Er nickte in Richtung Staubsauger. „Jetzt müssen wir nur noch staubsaugen, und dann gönnen wir uns einen Whisky.“

Antonio sah die bildhübsche Frau – Maisie hieß sie, hatte sie gesagt – erwartungsvoll an. Sie wirkte immer noch wie vom Donner gerührt wegen seiner Unterstützung, die ihn ehrlich gesagt selbst überraschte. Normalerweise griff er dem Reinigungspersonal nicht unter die Arme, obwohl das keine Schande war. Er hatte schon schlimmere und schlechter bezahlte Jobs gehabt.

Aber Maisie mit den roten Locken, den grünen Augen und der weiblichen Figur, die ihr formloser blauer Overall nicht verbergen konnte, gefiel ihm. Er wollte mit ihr trinken. Er wollte Vergessen finden, und im Laufe der Jahre hatte er herausgefunden, dass Alkohol ihm am besten dabei half … oder Sex.

Zögernd griff sie nach dem Staubsauger und steckte den Stecker in die Steckdose. Als Antonio ihr das Gerät ungeduldig aus der Hand nahm, hob sie überrascht den Kopf, sodass die roten Locken um ihr herzförmiges Gesicht wippten. Ihm fiel auf, dass sie Sommersprossen auf der Nase hatte.

„Ich mache das“, sagte er und stellte den Staubsauber an. Das Geräusch des Motors erfüllte den Raum und vibrierte in seiner Brust, als er das Gerät über den Fußboden gleiten ließ. Nach dem Ausschalten breitete sich eine erwartungsvolle Stille im Zimmer aus.

Während Antonio das Kabel um den Griff wickelte, spürte er Maisies Blicke auf sich. Er war nicht betrunken genug, um den Anflug eines schlechten Gewissens zu ignorieren, weil er mitten in der Nacht eine Putzfrau in einem leeren Bürogebäude verführte. Aber Maisie konnte schließlich jederzeit Nein sagen. Es gab keinen Grund für Schuldgefühle … zumal er auch so schon genug Sünden begangen hatte.

Außerdem würde es vielleicht gar nicht so weit kommen. Vielleicht war Maisie verheiratet oder hatte einen festen Freund. Obwohl es zwischen ihnen vorhin sofort gefunkt hatte.

Um sicherzugehen, streifte er wie zufällig ihre Hand, als er den Staubsauger wegstellte. Wie zu erwarten, weiteten sich ihre Pupillen. Ja, es hatte eindeutig gefunkt.

„So. Trinken wir jetzt etwas?“

„Ich sollte wirklich nicht …“

Ihr Widerstand erlahmte schon jetzt. Also nahm Antonio ein zweites Glas aus der Schreibtischschublade und schenkte großzügig ein.

„‚Sollte nicht‘ ist so langweilig, finden Sie nicht? Wir sollten unser Leben nicht von ‚sollte nicht’s‘ bestimmen lassen.“

„Ist das nicht ein Oxymoron – ein Widerspruch in sich?“

Er lachte, beeindruckt von ihrem scharfen Verstand. „Ganz genau.“ Er reichte ihr das Glas.

Sie nahm es und sah ihn forschend an. „Was machen Sie hier?“

„Hängt davon ab, was Sie mit ‚hier‘ meinen.“ Er trank einen Schluck Whisky und hoffte, dass sie seinem Beispiel folgen würde. Das Brennen des Alkohols in seinem Hals und die darauffolgende Wärme in seinem Bauch waren angenehm tröstlich.

„Ich meine, warum trinken Sie allein, nachts, in diesem Bürogebäude?“

„Ich arbeite.“

Zumindest hatte er das getan, bis die Erinnerungen in ihm aufgestiegen waren – so wie immer, wenn sich das heutige Datum jährte. Und an vielen anderen Tagen auch, wenn er nicht aufpasste.

„Sie arbeiten hier?“ Sie klang skeptisch.

„Nicht wirklich. Ich bin wegen eines bestimmten Auftrags hier.“

„Was für ein Auftrag?“

Er zögerte. Die Firmenübernahme war zwar kein Geheimnis, aber er wollte die Gerüchteküche nicht noch weiter anheizen. Andererseits wirkte Maisie harmlos und kannte wahrscheinlich sowieso niemanden hier.

„Ich bewerte die Risiken einer Firmenübernahme“, antwortete er. „Und versuche, den Schaden zu begrenzen.“

Ihre Augen weiteten sich überrascht. „Diese Firma soll übernommen werden?“

„Ja.“ Er legte den Kopf schief und sah sie an. „Kennen Sie jemanden, der hier arbeitet?“

„Nur das andere Reinigungspersonal. Werden wir … Stehen unsere Jobs auch auf dem Spiel?“

„Ich glaube nicht. Büros müssen schließlich immer gereinigt werden.“

„Ach so.“ Sie atmete erleichtert auf. „Gott sei Dank.“

„Wollen wir darauf anstoßen? Dass Ihr Job zu den wenigen gehört, die nicht betroffen sind?“

Sie verzog den vollen, roten Mund und schüttelte den Kopf. „Nein. Der Anlass ist mir zu traurig.“

„Aber nicht für Sie.“

„Das schon …“

Er hob sein Glas. „Cin cin.“

Langsam, ganz langsam trank sie einen Schluck Whisky und rümpfte die Nase, schluckte ihn jedoch hinunter, ohne zu husten. „Was heißt cin cin?“

„Das heißt ‚prost‘ auf Italienisch.“

„Aha.“ Sie nickte. „Kommen Sie aus Italien?“

„Schuldig im Sinne der Anklage.“ Die Worte, die ihm so spontan und scherzhaft über die Lippen gekommen war, brannten auf einmal wie Feuer in seinem Magen. Schuldig. Er war schuldig. Es gab so viele Dinge, die er nicht ungeschehen machen konnte. Dinge, die er nicht vergessen konnte, sosehr er es auch versuchte.

„Ich war noch nie in Italien“, sagte sie sehnsüchtig. „Ist es dort schön?“

„Sehr schön sogar.“

Maisie senkte den Blick und trank noch einen Schluck Whisky, wobei sie das Gesicht verzog. „Das brennt wie Feuer.“

„Stimmt.“ Antonio kippte den Rest seines Drinks hinunter und genoss das Brennen in Hals und Magen. Er sehnte sich nach Vergessen. Wenn er die Augen schloss, konnte er das fröhliche Gesicht seines Bruders sehen, seine Jugend und Sorglosigkeit. Doch je länger er die Augen geschlossen hielt, desto lebloser und blasser wurde dieses Gesicht.

Und deshalb trank er. Damit er gefahrlos die Augen schließen konnte.

„Warum sind Sie hier?“, wiederholte Maisie ihre Frage. Sie senkte ihr Glas und sah ihn forschend aus großen grünen Augen an. „Ich meine nicht Ihre Arbeit. Warum trinken Sie hier mitten in der Nacht, allein?“

Antonio zuckte mit den Schultern. Ihm lag bereits eine ausweichende Antwort auf der Zunge.

„Sie sehen so traurig aus“, fuhr Maisie fort. „So traurig, wie ich auch mal war.“

Etwas in ihm zog sich schmerzlich zusammen. „Woher wissen Sie …?“

Sie senkte den Blick. „Meine Eltern sind gestorben, als ich neunzehn war. Als ich Sie gesehen habe, musste ich sofort daran denken. Sie haben so ausgesehen, wie ich mich damals gefühlt habe. Manchmal geht es mir ja immer noch so.“

Ihre Ehrlichkeit machte ihn sprachlos. Noch nie war er jemandem begegnet, der so offen und furchtlos über seine Emotionen sprach. Es war fast beschämend. Als er die Sprache endlich wiederfand, sagte er etwas anderes, als er ursprünglich vorgehabt hatte. „Das liegt daran, dass ich auch jemanden verloren habe. Heute Abend musste ich wieder an ihn denken.“

Was zum Teufel tat er hier? Er redete sonst nie über Paolo. Mit niemandem – schon gar nicht mit Fremden. Er versuchte, noch nicht mal an ihn zu denken, aber natürlich dachte er ständig an ihn. Paolo war immer in seinem Hinterkopf. Verfolgte ihn. Klagte ihn an. Zwang ihn, sich zu erinnern.

„Wen haben Sie verloren?“

Die Trauer und das Mitgefühl in ihrem Blick machten sie unglaublich hübsch. Sie wirkte so offen. Antonio hätte sie am liebsten in die Arme genommen, aber sein Bedürfnis, mit ihr zu reden, war stärker. Er wollte ihr die Wahrheit sagen … oder zumindest so viel, wie er ertragen konnte.

„Meinen Bruder“, antwortete er tonlos. „Meinen kleinen Bruder.“

„Oh.“ Maisie keuchte erschrocken auf. Sie sah diesen schönen Mann an, der offensichtlich immer noch trauerte. Es brach ihr fast das Herz. „Das tut mir sehr leid.“

Er zuckte die Achseln. „Danke.“

„Ich habe auch einen kleinen Bruder. Es wäre nicht auszudenken, wenn …“

Max zu verlieren wäre unerträglich. Er war alles, was ihr geblieben war, auch wenn er inzwischen sein eigenes Leben hatte. Sie war stolz auf ihn, aber zugleich auch ein bisschen traurig. Wahrscheinlich wurde es Zeit, ihre eigenen Träume zu verwirklichen.

„Sie haben Ihre Eltern verloren?“ Antonio schob die Hände in die Hosentaschen und ging zum Fenster, den Blick auf die Skyline Manhattans gerichtet. „Wie ist das passiert?“

„Bei einem Autounfall.“

Er erstarrte. „War der andere Fahrer betrunken?“

„Nein, er fuhr nur zu schnell, weil er unbedingt noch bei Rot über die Ampel wollte.“ Sie holte tief Luft. Auch fünf Jahre später saß der Schmerz noch tief. Die Wunde war nicht mehr frisch, aber die Trauer würde immer ein Teil von ihr sein. „Gott sei Dank waren sie beide sofort tot.“

Er lachte freudlos auf. „Was für ein Glück.“

Manchmal war dieses Detail tatsächlich Maisies einziger Trost gewesen. „Wie ist Ihr Bruder gestorben?“

Antonio gab keine Antwort. Sie spürte, dass er abwog, wie viel er ihr erzählen sollte.

„Auch bei einem Autounfall“, antwortete er schließlich. „Genau wie Ihre Eltern.“

„Das tut mir leid.“

Er nickte steif.

„Es ist nicht leicht, damit zu leben, dass der Leichtsinn eines Fremden den Tod eines geliebten Menschen verursacht hat, oder?“

„Stimmt.“

„Fuhr bei Ihrem Bruder auch jemand zu schnell, oder …?“

„Ja“, fiel er ihr abrupt ins Wort. „Jemand fuhr zu schnell.“

Maisie merkte, dass er nicht darüber reden wollte. „Tut mir leid“, wiederholte sie. Spontan ging sie zu ihm und legte ihm eine Hand auf einen Unterarm. Da er die Ärmel hochgekrempelt hatte, war sein Unterarm nackt. Die Berührung seiner warmen Haut löste schockierend intensive Empfindungen in ihr aus. Ihr erster Impuls war, ihre Hand zurückzuziehen, doch das brachte sie aus irgendeinem Grund nicht fertig. Es ging einfach nicht.

Für einen Moment standen sie reglos da, bevor Antonio sich langsam zu ihr umdrehte. Beim Anblick der Glut in seinen blauen Augen flammte ein so heftiges Verlangen in Maisie auf, dass sie kaum noch klar denken konnte. Hoffentlich sah er ihr das nicht an. Eigentlich hatte sie ihn nur trösten wollen – zumindest war sie sich da ziemlich sicher –, aber plötzlich empfand sie etwas ganz anderes. Es war unglaublich.

Ihr stockte der Atem. Sie war wie erstarrt unter seinem Blick, aber auf eine wundervolle, erregende Art.

„Wie alt ist Ihr jüngerer Bruder?“, fragte Antonio.

Tief Luft holend nahm Maisie die Hand von seinem Arm. Sofort vermisste sie die Wärme seines Körpers. „Er ist zweiundzwanzig.“

„Also war er siebzehn, als Ihre Eltern starben.“

Seine Scharfsinnigkeit überraschte sie … und erfüllte sie mit einem Gefühl der Dankbarkeit. „Ja.“

„Wie sind Sie klargekommen? Ohne Ihre Eltern, meine ich?“

„Ich habe gearbeitet.“

Sie hatte keine Lust, darüber zu reden, welch ein Schock es gewesen war zu erfahren, dass ihre Eltern ihnen noch nicht mal das Haus hinterlassen hatten, weil es hoch mit Hypotheken belastet gewesen war. Einen Mann wie Antonio Rossi mit seiner Jacht, seinen Häusern und seiner tollen Karriere interessierte das bestimmt nicht.

„Gearbeitet“, wiederholte Antonio nachdenklich. „Und Sie haben auch Ihren Bruder versorgt?“

„Ja“, antwortete Maisie nicht ohne Stolz. Max war nach dem Tod ihrer Eltern ihr Lebensmittelpunkt gewesen. Sie vermisste ihn daher sehr, genauso wie das Gefühl, gebraucht zu werden. Aber natürlich brauchte Max sie schon länger nicht mehr. Zumindest nicht emotional.

„Wie heißt er?“

Sein Interesse trieb ihr fast die Tränen in die Augen. „Max“, flüsterte sie. „Er ist gerade mit der Universität fertig und macht ein Praktikum an der Wall Street.“

„Wall Street.“ Antonio stieß einen ankerkennenden Pfiff aus. „Anscheinend haben Sie alles richtig gemacht.“

„Ich habe es zumindest versucht.“ Nur mühsam riss Maisie den Blick von Antonio los. „Aber wir reden gerade nicht über mich.“

„Nicht?“

„Wie hieß Ihr Bruder?“

Antonios Zögern verriet ihr, dass ihre Frage ihm zu persönlich war. Er redete offensichtlich nicht gern über seinen Bruder. Vermutlich konnte sie sich geschmeichelt fühlen, überhaupt etwas erfahren zu haben.

Er seufzte unwillig. „Paolo“, antwortete er widerstrebend. „Er war fünf Jahre jünger als ich. Heute vor zehn Jahren ist er gestorben.“

„Heute vor …?“

Antonio nickte. „Deshalb der Whisky.“ Er lachte humorlos auf. „Der sechzehnte Januar ist für mich der schlimmste Tag des Jahres.“

„Das tut mir leid.“

Achselzuckend wandte er den Blick ab. „Sie können ja nichts dafür.“

„Ich weiß.“ Sie lächelte mitfühlend. Sie verspürte ein unwiderstehliches Bedürfnis, ihn wieder zu berühren und ihm Trost zu schenken, hatte aber Angst vor seiner Reaktion – und ihrer. „Aber ich weiß auch, wie schmerzlich so ein Verlust ist, und es tut mir leid, dass Sie so traurig sind. So etwas wünscht man niemandem.“

„Nein.“ Er erwiderte ihren Blick unter halb geschlossenen Lidern. „Sie sind ein sehr guter Mensch, Maisie. Sie haben ein großes Herz, aber ich vermute, Sie bekommen nicht oft etwas zurück, oder?“

Sie lachte verunsichert. „Das klingt ja, als würde man auf mir rumtrampeln.“

Antonio legte den Kopf schief. „Empfinden Sie das denn manchmal so?“

Er war wirklich erstaunlich scharfsinnig, denn ehrlich gesagt hatte sie oft das Gefühl, dass in der Beziehung zwischen Max und ihr ein Ungleichgewicht herrschte. Dass sie ihn mehr liebte als er sie.

Aber wahrscheinlich war das völlig normal. Der Altersunterschied zwischen ihnen betrug zwar nur zwei Jahre, aber sie hatte ihm gewissermaßen beide Eltern ersetzt. Das hatte sie wirklich gern getan, aber … manchmal war das Leben ihr so undankbar vorgekommen. Manchmal hatte sie sich gefragt, ob sie nicht zu kurz kam, sosehr sie Max jetzt auch vermisste. „Ein bisschen vielleicht“, gab sie schuldbewusst zu. „Nicht wirklich …“

„Pst.“ Antonio legte einen Finger an ihre Lippen. „Sie brauchen sich nicht für Ihre Gefühle zu entschuldigen. Es ist offensichtlich, wie sehr Sie Ihren Bruder lieben und wie viel Sie ihm zuliebe aufgegeben haben.“

„Woher wissen Sie das?“, flüsterte Maisie dicht an seinem Finger. Er berührte ihre Lippen so leicht wie eine Feder, aber trotzdem fühlte diese Berührung sich intimer an als alles, was sie je erlebt hatte.

Antonios Augen waren dunkel, sein Blick war verschleiert. „Weil Sie das förmlich ausstrahlen. Liebe und … Güte.“

Bei jedem anderen hätte Maisie solche Worte kitschig gefunden und für leere Schmeichelei gehalten, aber Antonio klang so sanft und aufrichtig und zugleich so … traurig, dass sie tief berührt war. Noch nie hatte jemand so etwas zu ihr gesagt. Niemandem war je aufgefallen, was sie alles für Max getan hatte. Worauf sie seinetwegen alles verzichtet hatte. Aber dieser schönen Fremde hier begriff es sofort.

„Danke“, flüsterte sie.

Antonio presste den Finger etwas fester gegen ihre Lippen – eine Berührung, die ihr durch und durch ging. Sie erschauerte lustvoll.

Er lächelte. „So lieb“, murmelte er, während er die Umrisse ihrer Lippen mit einer Fingerspitze nachzeichnete. „Und so schön.“

Maisie stand völlig im Bann seiner Berührung. Im Laufe der letzten Jahre hatte sie ein paar kurze Beziehungen gehabt, aber nie etwas Ernstes. Erstens hatte sie Max berücksichtigen müssen, und zweitens hatte sie zu viel mit ihren Jobs und ihrer Musik zu tun gehabt. Außerdem hatten die Küsse und Berührungen ihrer Freunde nie solche Empfindungen in ihr ausgelöst wie die federleichte Berührung Antonio Rossis. Noch nicht mal annähernd.

Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf ermahnte sie, mit diesem Unsinn aufzuhören und sich wieder an die Arbeit zu machen. Den gefährlichen Zauber zu brechen, den dieser Mann auf sie ausübte, ihre Schicht hinter sich zu bringen und nach Hause zu gehen.

Sanft ließ er den Finger von ihren Lippen über ihr Kinn und ihren Hals gleiten, wo ihr Puls wild pochte, und musterte sie forschend unter halbgeschlossenen Lidern, bevor er ihren Overall über ihre Schultern streifte und den Finger unter das schlichte weiße T-Shirt mit dem Logo der Reinigungsfirma gleiten ließ.

Eine Mischung aus Schock und Verlangen durchzuckte Maisie. Ihr halbvolles Whiskyglas glitt ihr aus der Hand. Der Alkohol sickerte in den Teppich und erfüllte das Zimmer mit einem beißenden Geruch. „Oh nein!“, keuchte sie erschrocken.

„Das macht doch nichts.“

„Das macht sehr wohl etwas. Ich kann keinen Fleck im Teppich eines Büros hinterlassen, das ich gerade erst saubergemacht habe.“

„Dann putzen wir ihn eben weg“, sagte Antonio lächelnd.

Sein belustigter und zugleich entschlossener Blick verriet ihr, dass er sich nicht von seinem eigentlichen Ziel ablenken lassen würde … oder zumindest nicht lange. Was wollte er bloß von ihr, dieser faszinierende, sexy Milliardär?

Na, was wohl?

Blinzelnd beobachtete Maisie, wie Antonio einen Lappen und Teppichreiniger aus dem Eimer mit den Reinigungsutensilien nahm und anfing, den Fleck auf dem Teppich zu bearbeiten.

Er wollte Sex, was sonst? Das war es, was reiche, mächtige Männer von Frauen wie ihr wollten. Das Einzige, was sie wollten. Und trotzdem putzte er gerade einen Fleck für sie weg. Irgendwie wurde sie nicht schlau aus ihm. Andererseits verstand sie sich auch selbst nicht mehr – wusste nicht, warum die Aussicht auf etwas so Billiges wie Sex mit einem Fremden so verlockend war.

Obwohl Antonio vielleicht gar keinen Sex im Sinn hatte. Vielleicht wollte er nur nett sein, ein bisschen flirten.

Vor Verlegenheit lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken, während ihr gleichzeitig das Blut ins Gesicht schoss. Heiß und kalt – genauso fühlte sie sich. In jeder Hinsicht.

Antonio stellte Lappen und Teppichreiniger zurück und drehte sich mit einem durchtriebenen Lächeln zu ihr um, das ihr erneut den Atem raubte. „Wo waren wir gerade stehengeblieben?“

2. KAPITEL

Interessiert beobachtete Antonio, wie Maisie bis zu den Haarwurzeln errötete.

Ihm war aufgefallen, wie stark sie auf seine Berührung reagiert hatte. Aber auch er hatte auf das Gefühl ihrer weichen Lippen reagiert – mit Verlangen und etwas anderem … etwas, das tiefer ging. Sie war tatsächlich ein guter Mensch. Noch nie war er jemandem begegnet, der so unkompliziert, ehrlich und mitfühlend war. Ihr Charakter war genauso anziehend wie Maisies Körper.

Na ja, fast.

Sie hob das Kinn und sah ihn herausfordernd aus smaragdgrün schimmernden Augen an. „Was glauben Sie?“ Ihre Stimme klang etwas heiser, fast draufgängerisch.

Er lächelte. „Ich glaube“, murmelte er und strich ihr sanft mit den Fingerspitzen über das Gesicht, „wir waren genau hier.“

Maisie schloss die Augen und biss die Zähne zusammen, als könne sie seine Berührung kaum ertragen, aber Antonio wusste es besser. Sie zitterte von Kopf bis Fuß.

„Warum tun Sie mir das an?“, flüsterte sie.

„Ich habe Sie doch noch nicht mal geküsst.“

Sie schlug die Augen auf und sah ihn schockiert an – trotz allem, was bereits zwischen ihnen passiert war. Die Luft knisterte förmlich vor Erotik. „Noch nicht?“

Noch nicht“, bestätigte Antonio. „Dir ist doch klar, dass das nur eine Frage der Zeit ist, oder? Du willst mich, und ich will dich. Sehr sogar. Ich will meine Trauer und meinen Schmerz vergessen und nur noch … das.“

Er zog sie so sanft an sich, dass sie sich jederzeit von ihm losmachen konnte, wenn sie wollte. Ihre Hüften stießen zusammen, und Maisies Brüste wurden gegen seinen Oberkörper gedrückt. Sie zitterte immer noch. Ihre Augen wirkten riesig.

Am liebsten hätte er die Hände in ihren wilden, roten Locken vergraben und sie geküsst – seinem Verlangen freien Lauf gelassen, ohne Rücksicht auf sie zu nehmen.

Aber natürlich konnte er das nicht tun. Dafür war diese Frau zu wundervoll.

„Du bist sehr schön“, murmelte er, strich ihr eine rote Strähne aus der Stirn und zog Maisie sanft zu sich heran. „Sehr, sehr schön.“

Sie lachte zittrig. „Ich finde dich auch schön“, sagte sie. „Aber das hast du bestimmt schon gemerkt, oder?“

Ihre erfrischende Aufrichtigkeit brachte ihn zum Lachen. „Zeig es mir.“

Errötend schüttelte sie den Kopf. „Wie denn?“

Erneut spielte er mit einer Haarsträhne. „Du könntest mich zum Beispiel küssen.“

Sie errötete. „Das … das kann ich nicht.“

„Oh doch, du kannst.“

„Aber ich weiß nicht, wie.“

„Dann soll ich also die ganze Arbeit übernehmen und dich verführen?“, neckte er sie.

Unschlüssig biss sie sich auf die Unterlippe. „Nein, das brauchst du nicht“, sagte sie und wandte den Blick ab. „Es ist ja nicht so, dass ich dich darum bitte.“

Antonio musste wieder lachen. Er genoss ihre Antwort genauso wie seine Vorfreude auf ihren Kuss. „Aber ich bitte dich. Ich befehle es dir sogar.“

„Du befiehlst es?“

„Küss mich, Maisie.“

Sie starrte ihn an. Wenn ihre Augen nicht so funkeln würden und sie sich nicht auf die Unterlippe gebissen hätte, könnte er fast glauben, dass sie beleidigt war.

„Du schaust meinen Mund an, als sei er ein unüberwindliches Hindernis.“

Sie hatten einander noch kaum berührt, doch es fiel ihm jetzt schon schwer, entspannt zu bleiben. Sein Verlangen nach ihr wurde fast übermächtig. Nicht mehr lange, und er würde sich kaum noch im Griff haben.

„Es fühlt sich nun mal so an“, erklärte Maisie. „Ich bin nicht …“

„Ja? Was bist du nicht?“

„Ich bin nicht sehr abenteuerlustig“, brachte sie heiser hervor.

„Aber du willst mich küssen.“ Das war eine Feststellung, keine Frage. Er sah und spürte ihre Antwort in ihrem Zittern, ihren geweiteten Pupillen und an der Art, wie sie sich mit der Zungenspitze über die vollen rosa Lippen fuhr.

„Schon …“

Er zog sich ein Stück zurück. „Du klingst unsicher.“

„Ich habe so was noch nie gemacht“, gestand sie. „Ich habe das Gefühl, in einem Märchen gelandet zu sein … oder einem Kaninchenloch wie Alice im Wunderland.“

„Genieß es doch einfach“, schlug er vor.

Für einen flüchtigen Moment fragte er sich, ob er sie vorwarnen sollte, dass das hier nur ein One-Night-Stand sein würde – ein flüchtiges Vergnügen. Aber er wollte die Stimmung nicht ruinieren. Außerdem war das ja wohl offensichtlich, oder? Beziehungen begannen nicht um zwei Uhr morgens zwischen zwei Fremden in einer leeren Büroetage. Maisie mochte erfrischend ehrlich und natürlich sein, aber sie war nicht auf den Kopf gefallen.

„Genießen …“, wiederholte sie langsam. „Ich fürchte, so etwas habe ich bisher noch nie getan.“

Antonio hob die Augenbrauen. „Nicht?“

„Nein, definitiv nicht.“

„Dann wird es vielleicht allmählich Zeit.“

Sie holte tief Luft und hob entschlossen das Kinn. Augenblicklich verspürte er so etwas wie ein Triumphgefühl. Anscheinend hatte sie ihre Entscheidung getroffen.

„Vielleicht hast du recht.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.

Sanft.

Hauchzart.

Antonio rührte sich nicht vom Fleck, wartete ab, was sie als Nächstes tun würde.

Stirnrunzelnd löste sie die Lippen von seinen. „Hat es dir … Gefällt es dir nicht?“

„Natürlich gefällt es mir“, versicherte er hastig. „Aber wie kann ich mich mit einer bloßen Vorspeise zufriedengeben, wenn ich eigentlich eine ganze Mahlzeit will? Ein Festessen?“ Er verriet ihr seine Begierde mit seinem Blick, bevor er den Kopf senkte. Das hier war wirklich ein interessantes Vorspiel – nichts, das ihm je bei einer anderen Frau passiert war. „Küss mich noch mal, Maisie.“

Sie gehorchte. Diesmal schmiegte sie sich an ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Sie wirkte etwas unbeholfen, aber es war trotzdem wunderschön. Allmählich fiel es Antonio schwer, sich noch länger zurückzuhalten. Er umfasste ihre Taille und zog Maisie enger an sich. Ihre weiblichen Kurven fühlten sich einfach herrlich an. Er spürte sie erschauern, als er seine harte Erektion an sie presste, hielt sich jedoch noch zurück, um ihr Zeit zu lassen.

Als sie bereit war, einen Schritt weiterzugehen, küsste sie ihn erneut. Diesmal berührte sie seine Lippen mit der Zunge – so flüchtig wie ein Schmetterling. Antonio schlang die Arme um sie und erwiderte ihren Kuss, erforschte die Tiefen ihres Mundes, wie er es von Anfang an gewollt hatte. Widerstandslos gab sie sich ihm hin.

Sein Verlangen wurde so überwältigend, dass ihm das Blut in den Ohren rauschte. Er hatte es langsam angehen lassen wollen, zivilisiert und beherrscht, aber all seine guten Vorsätze lösten sich schlagartig in Luft auf. Er schob Maisie rückwärts zum Sofa und legte sie sanft auf die Sitzfläche, obwohl er sie am liebsten darauf geworfen hätte.

Trotzdem sah sie aus erschrocken geweiteten Augen zu ihm auf. „Antonio …“

Schwer atmend erwiderte er ihren Blick. Hoffentlich überlegte sie es sich nicht gerade anders. „Willst du mich, Maisie?“

„Ja …“

Sie sagte das so zögerlich, dass Antonio sich für seine Unbeherrschtheit verfluchte. „Willst du das hier?“ Er zeigte zwischen ihnen hin und her, um keinen Zweifel an seinen Absichten zu lassen.

Maisie sah ihn mit einer Mischung aus Benommenheit und Verlangen an. In ihrem Blick lagen stumme Fragen, auf die Antonio keine Antworten hatte. Er wartete, die Hände zu Fäusten geballt vor Anspannung.

„Ja“, flüsterte sie schließlich und ließ den Kopf aufs Sofa sinken. „Ich will es.“

Maisie spürte, wie sich ein innerer Frieden in ihr ausbreitete – sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Sie würde es tun. Sie würde mit Antonio schlafen. Wann diese Entscheidung gefallen war, wusste sie selbst nicht. Als sie ihn geküsst hatte? Als er gesagt hatte, dass er sie wollte? Oder womöglich schon, als sie das Zimmer betreten hatte?

In den letzten Jahren hatte sie sich voll auf Max konzentriert und ihre eigenen Hoffnungen, Träume und Bedürfnisse zurückgestellt. Vielleicht lag sie ja genau deshalb jetzt auf einem Sofa, sah zu dem schönsten Mann auf, den sie je gesehen hatte, und wartete darauf, dass er sie verführte. Weil sie viel zu lange für jemand anderen da gewesen war und endlich etwas für sich tun, Spaß haben wollte. Wenigstens eine Nacht.

Sex …

Antonios Blick glitt hungrig über sie. „Bist du ganz sicher?“

„Ja.“ Sie schluckte nervös. „Ja, das bin ich.“

„Gut. Ich nämlich auch.“

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als er sich über sie beugte und die Hände auf ihre Hüften legte. Sie konnte sich kaum rühren, war wie gebannt von seiner sinnlichen Anziehungskraft.

Als er sie endlich küsste, war ihr Kopf plötzlich wie leergefegt. Das war ihr schon beim ersten Mal passiert, als er sie geküsst hatte … oder vielmehr sie ihn. Ihre Sinne hatten geradezu verrücktgespielt. Sie hatte nicht mehr klar denken, kaum noch atmen können. Sein Mund hatte ihre Seele genauso in Flammen versetzt wie ihren Körper, und aus diesen Flammen wurde gerade ein loderndes Feuer.

Sie fühlte sich wie versengt, aber auf die bestmögliche Art, als er sie auf die Lippen küsste – und dann auf die Wangen und den Hals. Sie spürte seine Zunge über ihr Schlüsselbein gleiten, bevor er die Lippen in ihre Halsbeuge drückte und sanft an ihrer Haut knabberte. Erschauernd bäumte sie sich unter ihm auf.

Antonio lachte. Seine Lippen streiften den Ausschnitt ihres T-Shirts. „Was hast du da an?“, murmelte er.

Maisie wand sich errötend. „Meine Uniform von der Reinigungsfirma. Sie ist schrecklich, ich weiß …“

„Du gefällst mir, egal, was du anhast.“ Er ließ die Hände unter ihr formloses T-Shirt gleiten. „Obwohl ich dich lieber ganz ohne Kleider sehen würde …“

Er streifte ihr das Shirt über den Kopf und warf es quer durchs Zimmer. Dabei lächelte er so anzüglich, dass Maisie gelacht hätte, wenn sie sich nicht so schrecklich entblößt fühlen würde. Sie musste sich beherrschen, ihre Blöße nicht mit den Händen zu bedecken. Niemand hatte sie je im BH gesehen. Niemand!

„Du bist wunderschön“, sagte Antonio sanft. „Kein Grund zur Verlegenheit.“

Maisie schluckte. Sie wollte ihm nicht verraten, wie aufgeregt und schüchtern sie war. Sie wollte ihm nicht gestehen, dass Antonio Rossi – ein praktisch Fremder – ihr Erster war.

Ohne sie aus den Augen zu lassen, umfasste er eine ihrer Brüste. Sie konnte die Wärme seiner Hand durch den dünnen Baumwollstoff ihres BHs fühlen. Seine Berührung versetzte sie erneut in Flammen, löste völlig neue Empfindungen in ihr aus. Antonio lächelte wissend, obwohl sie versuchte, ihre Reaktion vor ihm zu verbergen.

„Weißt du nicht, welche Wirkung du auf mich hast? Wie sehr es mich anmacht, zu sehen, dass es dir gefällt?“

„Du bist noch angezogen“, protestierte sie. Sie wollte, dass er sie überall berührte. Sie wollte ihn berühren. Sie wusste nur nicht, wie sie anfangen sollte.

„Das lässt sich ganz einfach beheben.“ Er hob eine Hand zu seinem Hemd, überlegte es sich dann jedoch anders. „Oder willst du das übernehmen?“

„Oh …“ Sie hätte nicht damit gerechnet, dass ein Mann wie Antonio – so einflussreich und bestimmt daran gewöhnt, die Führung zu übernehmen – ihr so viel Initiative überlassen würde. „Ich …“

Belustigt hob er eine Augenbraue. „Es sind nur Knöpfe.“

Stimmt, es waren nur Knöpfe, aber zugleich unendlich viel mehr. Wenn sie Antonio jetzt eigenhändig das Hemd aufknöpfte, hatte sie nicht nur eine leichtsinnige Entscheidung getroffen, sondern setzte sie auch noch aktiv in die Tat um. Kühner und wagemutiger und freizügiger, als sie je gewesen war.

Zögernd stützte sie sich auf einen Ellenbogen und machte sich mit zitternden Fingern ans Werk. Jedes Mal, wenn sie einatmete, stieg ihr der saubere, würzige Duft von Antonios Aftershave in die Nase; jedes Mal, wenn es ihr gelang, einen Knopf zu lösen, sah sie ein verlockendes bisschen mehr von seinem nackten, gebräunten und muskulösen Oberkörper.

Erst als Antonio scharf einatmete, wurde ihr bewusst, wie erregt er war. Wie sehr sie ihn erregte.

Er lachte leise, als er ihr Erschrecken bemerkte. „Ich habe dir doch schon gesagt, welche Wirkung du auf mich hast. Jetzt kannst du dich selbst davon überzeugen.“ Er griff nach ihrer Hand und legte sie flach auf seine nackte Brust – direkt auf sein wild klopfendes Herz.

Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Es war ein wundervolles Gefühl, seinen Herzschlag zu spüren. So intensiv. Was hier passierte, war so unglaublich intim, und das nicht nur, weil Maisie kein T-Shirt mehr trug. Sie hätte nie gedacht, sich plötzlich so stark mit diesem Mann verbunden zu fühlen – im Grunde schon, seitdem sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.

Sie spreizte die Finger auf seiner Brust und genoss es, seine harten Muskeln unter der glatten Haut zu spüren. Weitere atemlose Sekunden verstrichen, bevor sie den Blick zu ihm hob und ihn erwartungsvoll und voller Verlangen ansah.

Und plötzlich war alles anders. Es war, als hätte ein bloßer Funke ein loderndes Feuer entfacht. Antonio zog sie eng an sich und küsste sie wild und leidenschaftlich, während Maisie ihm die Arme um den Hals schlang und die Hände in seinem Haar vergrub.

Sie fielen zurück aufs Sofa. Als Antonio ein Bein zwischen ihre Schenkel schob, steigerte sich ihr Verlangen ins Unermessliche.

Zittrig keuchte Maisie auf und schloss die Augen, als er die Lippen von ihren löste und ihren BH nach unten schob. Er hakte ihn so schnell auf, dass sie plötzlich von der Taille aufwärts nackt war. Ihr wurde ganz schwindlig vor Verlangen, als Antonio ihren Körper mit Händen und Lippen erforschte.

Ihre weite Hose und ihr Slip folgten dem T-Shirt und dem BH, und ehe sie sich’s versah war Maisie nackt – und Antonio ebenfalls. Voller Verlangen ließ sie den Blick über seinen muskulösen, perfekten Körper gleiten, auf dem das Licht der Schreibtischlampe schwache Schatten zeichnete.

Sie zitterte von Kopf bis Fuß. Sogar in ihrem erregten Zustand war ihr bewusst, wie unwiderruflich der Schritt war, den sie als Nächstes machen würde.

Antonio schien zu spüren, was in ihr vorging, denn er stützte die Hände zu beiden Seiten ihres Kopfes auf. „Maisie … bist du wirklich sicher?“, fragte er schwer atmend. Sie nickte nur stumm, zu überwältigt, um zu reden. „Sag es mir“, drängte er. „Sag es mir, damit ich weiß, ob ich weitermachen oder aufhören soll.“

Sie holte tief Luft. „Ja“, flüsterte sie und zog seinen Kopf zu sich, um ihn zu küssen. „Ja, ich bin mir sicher.“

Mehr brauchte Antonio nicht zu hören. Er küsste sie hart auf den Mund und drang in sie ein. Als Maisie sich instinktiv versteifte, sah sie, wie er die Stirn runzelte, und für einen Moment hatte sie Angst, dass er ihr ihre Unerfahrenheit anmerkte.

Doch dann füllte er sie stöhnend ganz aus. Maisie fiel es schwer, nicht vor Schmerz das Gesicht zu verziehen, sich an dieses völlig neue und nicht gerade angenehme Gefühl zu gewöhnen. Das war also Sex. Das Vorspiel hatte ihr ehrlich gesagt besser gefallen.

Antonio hob den Kopf. „Maisie …?“

„Ist schon gut.“

Sie wollte nicht, dass er merkte, dass sie noch Jungfrau war … oder vielmehr gewesen war. Dass sie ihre Jungfräulichkeit einem Fremden schenkte, den sie nie wiedersehen würde. Sie hob die Hüften, um ihn noch tiefer in sich aufzunehmen, und schlang die Beine um ihn.

Als er begann, sich rhythmisch in ihr zu bewegen, spürte Maisie erste Lustgefühle in sich aufflackern und begann instinktiv, sich Antonios Rhythmus anzupassen. Nach und nach verwandelte dieses Flackern sich in eine Flamme und dann in ein loderndes Feuer.

Sie bewegte sich immer und schneller und wilder mit ihm, vergaß alles andere um sich herum, bis aus dem Feuer eine heftige Explosion wurde. Sie hörte ihren Schrei im Zimmer widerhallen, bevor sie den Kopf erschöpft aufs Sofa fallen ließ.

Sanft legte Antonio seine Stirn an Maisies, wobei er sich um Fassung bemühen musste. Mit einer Frau, deren vollen Namen er nicht kannte, auf einem Bürosofa zu schlafen, war nicht wirklich Neuland für ihn. Aber diesmal – mit Maisie – war es irgendwie anders gewesen. Überwältigend.

Mit Gefühlen hatte er nicht gerechnet. Er war eigentlich kein emotionaler Mensch – nur am Todestag seines Bruders ließ er Gefühle zu, und dann auch nur für eine Nacht.

Vermutlich hätte er Maisie nicht ausgerechnet heute verführen dürfen. Nicht in seinem Zustand. Er hätte sein bisher immer so gut geschütztes Herz nicht öffnen dürfen, noch nicht mal ein winziges bisschen. Aber er hatte es getan, und jetzt brachen seine Trauer und sein Schmerz mit einem Mal aus ihm hervor.

Maisie mit sich nehmend rollte er sich auf die Seite und presste das Gesicht an ihren Hals. Er versuchte immer noch, sich zu beherrschen, aber es war vergeblich. Im Grunde war schon alles vorbei gewesen, als er in sie eingedrungen war. Als sie die Arme um ihn geschlungen und ihn an sich gezogen hatte. Da war etwas in ihm vorgegangen, das er so bis dahin nicht gekannt hatte. Es war seltsam. Er hatte sich … getröstet gefühlt. Getröstet und verloren zugleich.

Sie hielt ihn in ihren Armen, strich ihm übers Haar und flüsterte ihm Kosenamen und tröstliche Worte zu.

Er schämte sich sehr für seine Schwäche, aber er war machtlos dagegen.

„Du hast ihn sehr geliebt, oder?“, flüsterte sie.

„Ja“, sagte er mit erstickter Stimme, die Augen geschlossen. „Ja, das habe ich. Und …“ Irgendetwas in ihm drängte ihn dazu, mit ihr zu reden, ihr die schreckliche Wahrheit anzuvertrauen oder zumindest einen Teil davon. „Es war meine Schuld, dass er gestorben ist.“

Sie erstarrte für einen Moment. Antonio hielt die Luft an und wartete auf ihr Urteil. Ihre Verachtung.

„Hast du ihn etwa umgebracht?“, fragte sie.

Erschrocken zuckte er zusammen. „Nein! Nicht auf diese Weise …“

„Dann war es nicht deine Schuld.“

Er seufzte. Wenn das doch nur so einfach wäre! Er würde ihre Absolution so gerne annehmen und frei sein. Aber Antonio wusste es besser. „Das kannst du nicht sagen.“

„Und du kannst nicht von dir sagen, dass du ihn umgebracht hast.“ Sie umfasste sein Kinn und hob sein Gesicht an, damit er sie ansah. Tränen schimmerten in ihren moosgrünen Augen. „Dann hast du also deshalb vorhin so traurig ausgesehen“, sagte sie. „Weil du dir die Schuld an seinem Tod gibst.“

„Du hast keine Ahnung …“

„Dann erklär es mir.“

Abwehrend schüttelte er den Kopf, sogar jetzt noch. Vor allem jetzt. Wenn er Maisie alles erzählte, würde sie ihn hinterher hassen, und das wollte er nicht. Er wollte das, was heute Nacht zwischen ihnen passiert war, nicht ruinieren, so flüchtig es auch gewesen war. Er würde noch lange von der Erinnerung zehren müssen.

„Ach, Antonio.“ Sanft küsste sie ihn auf die Lippen. „Es ist auch ohne Schuldgefühle schon hart genug zu trauern.“

„Du hast keine Ahnung“, wiederholte er. Mehr hatte er anscheinend nicht zu bieten.

„Ich weiß genug“, flüsterte Maisie an seinen Lippen. „Ich spüre genug. Ich sehe es in deinen Augen.“ Sie küsste ihn erst auf den Mund, dann auf die geschlossenen Lider, und er ließ es geschehen, obwohl etwas in ihm zerbrach. Ein Stück des steinernen Schutzpanzers um sein Herz nach dem anderen löste Maisie auf, bis nichts mehr davon übrigblieb.

Ihr Haar streifte seine Brust, die sie mit Küssen bedeckte, als wollte sie jeden Quadratzentimeter seines Körpers erforschen. Trotz seines Schmerzes und seiner Trauer spürte Antonio, wie sein Verlangen sich erneut regte – nicht mehr jener drängende Hunger von vorhin, sondern etwas Tieferes, Zärtlicheres. Es war wundervoll und furchterregend zugleich. Und unwiderstehlich.

Sie setzte sich auf ihn, die Hände auf seinen Schultern aufgestützt, wobei ihr Haar sie beide wie ein roter Mantel einhüllte. Antonio legte ihr die Hände auf die Hüften und lenkte sie. Als er ihren stockenden Atem hörte, wusste er, dass sie genauso empfand wie er – nicht nur körperlich, sondern auch emotional. Sie hatten einander heute Nacht viel mehr als nur ihre Körper geschenkt. Sie hatten einander einen Blick in ihre Seelen erlaubt.

Es fühlte sich so selbstverständlich, so natürlich an, als sie ihn tief in sich aufnahm. So atemberaubend richtig. Antonio hatte im Laufe seines Lebens schon oft tollen Sex gehabt, aber so etwas hatte er noch nie erlebt. Es war so intensiv – lustvoll und emotional zugleich.

Während sie sich in einem sinnlichen Rhythmus bewegten, sahen sie einander tief in die Augen. In Maisies Blick lagen Schmerz und Mitgefühl, aber auch Verlangen. Je schwindelerregender ihre Lust wurde, desto mehr hatte Antonio das Gefühl, dass Maisie ein Teil von ihm war – dass sie ihm unter die Haut ging, sich unauslöschlich in seine Seele einbrannte. Auf dem Höhepunkt ihrer Lust war es, als würden sie zu einer Einheit verschmelzen.

Hinterher schmiegte sie sich schwer atmend an ihn und legte ihm eine Hand auf das wild klopfende Herz, während er mit einer Strähne ihres Haars spielte. Niemand von ihnen sagte etwas, aber das war auch nicht nötig. Worte waren überflüssig.

Sie mussten kurz eingenickt sein, denn Antonio wachte plötzlich von einem Geräusch im Flur auf. Er hatte einen steifen Hals, und ihm war kalt. Maisie schlief immer noch eng an ihn geschmiegt.

Sofort verkrampfte er sich von Kopf bis Fuß. Der innere Frieden, den er vorhin gefunden hatte, wich nackter Panik. Was zum Teufel hatte er sich nur dabei gedacht? Was hatte er getan?

Er wand sich innerlich vor Scham, als ihm einfiel, wie er in ihren Armen gelegen hatte … welche Schwäche er gezeigt hatte. Sein ganzes Erwachsenenleben lang hatte er sich von anderen Menschen ferngehalten und seine Gefühle in sich verschlossen. Nicht nur, um sich selbst zu schützen, sondern auch die anderen. Aber in einer einzigen Nacht, in nur einer Stunde, hatte Maisie es geschafft, in sein Innerstes vorzudringen.

Er kam sich schrecklich entblößt vor, und dieses Gefühl war unerträglich. Wie hatte er es nur so weit kommen lassen können? Warum war Maisie etwas gelungen, das bisher noch niemand geschafft hatte?

Es musste am Whisky gelegen haben. Der hatte ihn sentimental gemacht.

Als Maisie sich neben ihm regte, schloss er die Augen, um nicht ihrem womöglich mitleidigen Blick zu begegnen.

Von draußen war das Geräusch der quietschenden Rollen eines Reinigungswagens zu hören. „Maisie?“, hörte er eine Frauenstimme.

Maisie regte sich wieder und hob ruckartig den Kopf.

„Maisie, bist du da drin? Bist du mit diesem Stockwerk fertig?“

Sie keuchte erschrocken auf. „Oh nein!“ Sie stützte sich auf einen Ellenbogen. Antonio spürte ihren Blick trotz seiner geschlossenen Augen. Als sie aufstand und rasch ihre Sachen zusammensuchte, stellte er sich schlafend, so feige das auch war.

„Maisie …“, erklang die Stimme von draußen erneut.

„Ich bin hier“, rief sie leise zurück. „Warte … warte, ich komme gleich.“

Antonio hörte, wie sie sich anzog. Als er die Augen einen Spalt öffnete, sah er, wie sie sich rasch das Haar zusammenband und ihn mit einer Mischung aus Unschlüssigkeit und Besorgnis ansah. Dann griff sie nach ihrem Eimer mit Reinigungsutensilien, und die Tür fiel leise hinter ihr ins Schloss.

Antonio atmete erleichtert auf.

3. KAPITEL

Die nächsten zwei Wochen erlebte Maisie durch einen Nebel.

Sie konnte kaum glauben, was sie getan hatte – wie sie weit sie bei Antonio Rossi gegangen war. Sie musste vorübergehend den Verstand verloren haben. Als hätte sie irgendwelche Drogen eingenommen, die ihr all ihre Hemmungen und all ihren gesunden Menschenverstand geraubt hatten. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

Doch abgesehen davon musste sie immer wieder an die Zärtlichkeit zwischen ihnen denken – an die Nähe zwischen ihnen, die alles übertroffen hatte, was sie je erlebt oder sich ausgemalt hatte.

Sogar jetzt noch, viele Tage später, empfand Maisie abgesehen von Reue eine fast schmerzliche Sehnsucht nach ihm. Anfangs hatte sie sogar insgeheim gehofft, dass er sie kontaktieren würde. Für einen so mächtigen Mann wie ihn konnte es schließlich nicht schwer sein herauszufinden, wer sie war und wo sie wohnte.

Doch dann hatte sie sich jedes Mal wegen so viel Dummheit gescholten. Natürlich würde er keinen Kontakt zu ihr aufnehmen. Es war nur ein One-Night-Stand gewesen. Sie war nicht naiv genug, um sich etwas anderes einzubilden. Und trotzdem. Trotzdem … Nicht nur sie hatte so intensive Gefühle gehabt. In seinem Blick hatte sie ebenfalls dieses Erstaunen gesehen, das sie selbst empfunden hatte. Das Gefühl der Nähe zwischen ihnen war gegenseitig gewesen, davon war sie fest überzeugt.

Was wäre passiert, wenn sie sich nicht aus dem Büro rausgeschlichen hätte, voller Angst, dass ihre Kollegin sie erwischte und sie womöglich gefeuert wurde? Was wäre, wenn sich mehr aus ihrem One-Night-Stand entwickelt hätte und Antonio in New York geblieben wäre, um sie wiederzusehen?

Aber das war ein reines Hirngespinst, sodass Maisie versuchte, nicht zu oft darüber nachzudenken. Sie wusste schließlich, wie das Leben war. Es war hart und unfair und entwickelte sich nie so, wie man erwartete oder sich wünschte. Ja, es gab Glück und Liebe, aber man musste hart dafür kämpfen. Es fiel einem nicht einfach mitten in der Nacht in einem leeren Bürogebäude in den Schoß.

Sie sollte das Ganze einfach als interessante Erfahrung abhaken – eine, die gut und schlecht, wundervoll und herzzerreißend zugleich gewesen war. Und vorbei.

Sie versuchte, sich stattdessen auf ihr Studium an der Juilliard School zu konzentrieren, auf das sie fünf lange Jahre hatte warten müssen. Violine zu studieren war das, was sie schon immer gewollt hatte. Aber sogar wenn sie Unterricht hatte, Musiktheorie studierte oder mit Freunden ein Konzert besuchte, fühlte sie sich innerlich leer. Und das nervte sie extrem.

Die meisten ihrer Freunde am College waren jünger und sorgloser als sie. Für die waren One-Night-Stands nichts Besonderes. Sie hingegen sah so etwas nicht so locker. Hätte sie doch zumindest ihr Herz ein bisschen besser geschützt!

Na ja, wenigstens war sie nicht so tief gesunken, Antonio noch mal im Büro aufzusuchen oder im Internet Nachforschungen über ihn anzustellen. Sie war zwar in Versuchung gekommen, hatte sich jedoch beherrscht. Es hatte sowieso keinen Sinn. Das sagte sie sich immer wieder.

Doch dann, drei Wochen nach ihrem gemeinsamen Erlebnis, erbrach sie ihr Frühstück. Zuerst dachte sie an einen Virus, doch am nächsten Morgen passierte es wieder. Und am Morgen danach noch mal. Außerdem bekam sie ihre Tage nicht, obwohl sie bisher immer regelmäßig gekommen waren.

Sogar sie in ihrer – zumindest vorherigen – Unschuld wusste, was das bedeutete. Warum hatte sie nicht schon viel eher damit gerechnet? Sie war total leichtsinnig gewesen, nicht zu verhüten. Noch ein Zeichen, wie sehr sie neben sich gestanden hatte. Ein sehr bedenkliches Zeichen.

Maisie kaufte einen Schwangerschaftstest und eilte zurück in ihre Einzimmerwohnung in Morningside – mehr konnte sie sich nicht leisten, seitdem Max in Manhattan wohnte.

Nachdem sie den Instruktionen gefolgt war, kauerte sie sich auf dem Fußboden ihres kleinen Badezimmers zusammen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie durfte nicht schwanger sein, das war einfach ausgeschlossen! Aber natürlich könnte es trotzdem passiert sein. Sie wusste, wie schnell sich von einer Sekunde auf die andere alles verändern konnte.

Als sie das Teststäbchen nach den vorgeschriebenen drei Minuten umdrehte, empfand sie das gleiche surreale Gefühl wie damals im Krankenhaus, als man ihr mitgeteilt hatte, dass ihre Eltern tot waren. Und dann noch mal zwei Wochen später, als sie von ihrem Anwalt erfahren hatte, dass sie völlig mittellos war.

Beide Male hatte sie das Gefühl gehabt, in einen Zerrspiegel zu sehen, und jetzt ging es ihr genauso, obwohl sie das Ergebnis noch nicht mal gesehen hatte. Sie wusste sowieso, wie es ausfallen würde. Und sie wusste, dass ihr Leben sich von jetzt an unwiderruflich verändern würde. Schon wieder.

Der Anblick der beiden rosa Striche überraschte sie nicht allzu sehr. Sie hatte Angst vor der Verantwortung … durchmischt mit einem winzigen Anflug von Freude. Ein Baby würde all ihre Pläne durcheinanderbringen. Sie studierte erst seit einem halben Jahr, und jetzt würde sie wieder aufhören oder ihr Studium zumindest aufschieben müssen.

Trotzdem stand schon jetzt für sie fest, dass sie nicht abtreiben würde. Dieses Baby war ein Teil von ihr, genauso wie ihr Bruder. Ein Grund, weiterzumachen.

Aber was war mit Antonio Rossi?

Maisie holte tief Luft, dann griff sie nach ihrem Handy und tippte nach kurzem Zögern Antonios Namen in die Suchmaschine. Sie blinzelte überrascht, als sein Foto sofort zusammen mit einem Wikipedia-Eintrag auf dem Bildschirm auftauchte. Beim Anblick seines Gesichts mit dem leicht belustigten Lächeln und den blauen Augen beschleunigte sich ihr Herzschlag.

Sie lehnte sich auf ihrem Sofa zurück und starrte blicklos auf den Bildschirm, während eine Erinnerung nach der anderen vor ihrem inneren Auge aufflackerte. Sein Lächeln, sein intensiver Blick …

Nein, sie durfte nicht daran denken! Das war völlig überflüssig.

Hastig scrollte sie durch die Suchergebnisse, um eine Telefonnummer oder eine E-Mail-Adresse zu finden. Sie fand unendlich viel mehr, konnte sich gar nicht von den vielen Artikeln und Fotos losreißen. Antonio Rossi, der Playboy von Mailand. Antonio Rossi mit einem Top Model, zwei Top Models, einer Schauspielerin und einer gelangweilten Dame der feinen Gesellschaft – eine hübscher als die andere.

Doch noch schlimmer als die Fotos waren die Artikel. Maisie wurde ganz übel, als sie vom „Ruchlosen Rossi“ las – dem Mann, der sein Vermögen damit angehäuft hatte, verzweifelten Menschen ihre Häuser abzukaufen und sie zu zerstören, während er nebenbei als Berater bei Firmenübernahmen arbeitete.

Sie las vernichtende Berichte über Firmen, die Rossi damit beauftragten, dafür zu sorgen, dass die Übernahmen reibungslos liefen, damit sie ihre Profite steigern konnten. Wenn man der Presse glauben konnte, half er den Reichen, sich noch mehr zu bereichern, während er achtlos auf den Armen herumtrampelte.

Ihr schwirrte der Kopf vor Entsetzen. Sie war drauf und dran, sich wieder zu übergeben. Das war der Mann, dem sie ihre Jungfräulichkeit geschenkt hatte? Der Vater ihres Babys? Ein selbstsüchtiger und skrupelloser Playboy, dem es Spaß machte, Menschen in den Ruin zu treiben?

Er war ihr neulich so ganz anders vorgekommen, aber war ihre Wahrnehmung vom Alkohol, ihrem Verlangen und ihrer Trauer so beeinträchtigt gewesen, dass sie nicht erkannt hatte, was für ein Mensch er in Wirklichkeit war? Ja, so musste es gewesen sein.

Eine Woche lang wusste Maisie nicht, was sie tun sollte. Sie wünschte, sie hätte jemanden, dem sie sich anvertrauen konnte. Mit Max zu reden, war ausgeschlossen. Er wäre völlig außer sich, und ehrlich gesagt bezweifelte sie, dass sie sich auf den Rat eines Zweiundzwanzigjährigen verlassen konnte, der Nacht für Nacht Manhattan unsicher machte. Ihre Kommilitoninnen würden vermutlich nur die Augen verdrehen und ihr raten, das Kind abzutreiben, was für sie nicht infrage kam.

Nein, dieses Baby gehörte zu ihr. Sie liebte es jetzt schon – trotz all der Opfer, die sie ihm oder ihr zuliebe würde bringen müssen.

Die einzige Frage war, ob Antonio Rossi es verdiente, von seinem Kind zu erfahren. Durfte sie ihm etwas so Einschneidendes verheimlichen, auch wenn sie ihn kaum kannte und ihr das bisschen, das sie über ihn wusste, missfiel?

Sie kam zu dem Schluss, dass sie nicht das Recht hatte, ihm die Neuigkeit vorzuenthalten … Und das bedeutete, dass sie Antonio ausfindig machen und ihm ihre vermutlich sehr unwillkommene Neuigkeit mitteilen musste.

Antonio betrachtete den blassblauen Frühlingshimmel vorm Fenster und fragte sich, warum es ihm so schwerfiel, sich zu konzentrieren. Er war jetzt schon seit fast einem Monat in New York, um die Übernahme von Alcorn Tech zu regeln. Normalerweise dauerte so etwas bei ihm höchstens drei Wochen, aber diesmal war er mit seinem Auftrag immer noch nicht fertig, obwohl er morgen nach Mailand zurückkehren musste.

Seufzend stand er auf und ging in dem bescheidenen Büroraum auf und ab, den er sich nach seiner Ankunft bei Alcorn ausgesucht hatte. Eigentlich hatte man ihn im Büro des Geschäftsführers im obersten Stockwerk unterbringen wollen, aber Antonio wusste aus Erfahrung, wie schnell so etwas Misstrauen weckte. Es war besser, sich bedeckt zu halten. Die Angestellten nicht noch mehr zu beunruhigen.

Er war deshalb als Berater so begehrt, weil er den Ruf hatte, Ausgaben und schlechte Publicity zu reduzieren, aber in Wirklichkeit bot er seine Dienste aus einem ganz anderen Grund an. Einem, den er so unter Verschluss hielt, dass noch nicht mal die Presse Wind davon bekommen hatte. Ein paar erboste Journalisten bezeichneten ihn daher als skrupellosen Zerstörer, der die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer machte, aber damit konnte er leben. Er war gut in seinem Job. So gut, dass seine wahren Motive noch nicht mal seinen Auftraggebern auffielen.

Als die Gegensprechanlage summte, drückte er auf den Knopf, froh über die Ablenkung. „Ja?“

„Eine Miss Dobson will Sie sprechen, Mr. Rossi.“

Antonio überkam ein ungutes Gefühl. Miss Dobson? Er kannte niemanden mit diesem Namen, hatte aber schon einen Verdacht, um wen es sich handelte.

Um Maisie nämlich. Maisie, die er seit drei Wochen nicht mehr gesehen hatte, aber immer noch nicht vergessen konnte. Mehr als nur eine Nacht lang war er von fieberhaften Träumen voller Verlangen heimgesucht worden, von den Erinnerungen an ihren Duft und an das Gefühl ihres weichen Haars auf seiner Haut. Mehr als einmal war er abends länger im Büro geblieben, um ihr vielleicht wieder über den Weg zu laufen, obwohl es besser für sie beide war, wenn ihre Wege sich nicht wieder kreuzten.

Was machte sie hier? Was wollte sie von ihm?

„Mr. Rossi?“

„Ich habe keine Zeit“, sagte Antonio kurz angebunden und unterdrückte einen Anflug von Schuldgefühlen. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, waren Maisie Dobsons Fragen oder – schlimmer noch – ihre Tränen. Er hatte einen Auftrag abzuwickeln, und zwar schnell. Ihre eine gemeinsame Nacht war nichts weiter gewesen als das: eine Nacht. Mehr würde, durfte sich nicht daraus entwickeln.

„Wie Sie wünschen“, sagte die Empfangsdame nach kurzem Zögern, und Antonio beendete das Gespräch. Es war das Beste so. Er hatte Maisie nichts zu bieten. Je schneller sie ihn vergaß, desto besser. Umgekehrt natürlich genauso.

Im Grunde habe ich sie schon längst vergessen, sagte er sich grimmig, während er wieder hinterm Schreibtisch Platz nahm.

Als er drei Stunden später die Lobby durchquerte und dabei die Nachrichten auf seinem Handy checkte, hörte er plötzlich eine weibliche Stimme hinter sich.

„Antonio?“

Erschrocken drehte er sich um und sah Maisie vor sich stehen. Ihre rotgoldenen Locken umrahmten ihr Gesicht. Verunsichert sah sie ihn aus großen, grünen Augen an. Sie trug Jeans und Pullover und hielt sich ihre Handtasche vor die Brust wie ein Schutzschild.

Antonio erstarrte. Das Letzte, das er jetzt gebrauchen konnte, war eine Szene, aber er wollte nicht mit Maisie reden. Die Tatsache, dass er ihr gegenüber Gefühle gezeigt hatte, steckte ihm immer noch in den Knochen. Er wollte nicht mehr an diese demütigende Szene erinnert werden.

Er bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. „Ja, bitte …?“

„Wäre es okay für dich, wenn wir reden?“ Sie klang nervös und angespannt. „Nur ein paar Minuten?“

„Reden?“, wiederholte er mit gespielter Verständnislosigkeit.

Ihm fiel auf, wie elend Maisie aussah – so als könne ein bloßer Windhauch sie umstoßen. Ihr Gesicht war blass, und ihre Augen waren rot und geschwollen. Sie wirkte traurig und verängstigt. Hatte sie in den letzten drei Wochen womöglich ständig an ihn denken müssen? Ihre gemeinsame Nacht zu etwas aufgebauscht, das sie nicht gewesen war?

Schuldgefühle stiegen in ihm auf, aber er hatte seine Entscheidung getroffen. „Sorry, kennen wir uns?“

Maisie riss die Augen auf. Für einen Moment wirkte sie zu schockiert, um etwas zu sagen. „Ob wir uns …?“, stammelte sie.

„Sind wir uns schon mal begegnet?“, fügte er höflich, aber mit einer Spur Ungeduld hinzu.

„Du … du erinnerst dich nicht mehr?“

Er legte den Kopf schief und musterte sie. „Sieht ganz so aus.“ Angesichts ihres Blicks fiel es ihm schwer, seine Gesichtszüge zu kontrollieren. Vielleicht hätte er gar nicht erst mit dieser Charade anfangen sollten, aber jetzt war es zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Außerdem wäre eine öffentliche Zurückweisung noch verletzender für sie.

„Du erinnerst dich wirklich überhaupt nicht mehr an mich?“

„Offensichtlich nicht. Warum ist das so schwer vorstellbar?“ Als sie schmerzlich das Gesicht verzog, unterdrückte er die Entschuldigung, die ihm auf der Zunge lag. Er gab sich schließlich nur Mühe, sie nicht zu verletzen, aber sie schien das Ganze viel zu persönlich zu nehmen.

„Ich wollte nur … Ich wusste nicht …“ Langsam schüttelte sie den Kopf.

Antonio wollte nur noch, dass es vorbei war. „Entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch Termine.“ Als er Anstalten machte, an ihr vorbeizugehen, hielt sie ihn an einem Ärmel fest. Antonio erstarrte. Allmählich ging sie zu weit. Verstand sie denn nicht, dass sie gehen musste? Merkte sie nicht, wann sie unerwünscht war?

„Es ist nur … Ich wollte dir etwas sagen …“

Ihre Stimme klang so leise und kläglich, dass Antonio sie kaum verstand. „Das kann ich mir nicht vorstellen, da wir uns nie begegnet sind.“

Für einen Moment sah sie ihn verletzt an, bevor ihre Gesichtszüge sich verhärteten. Die Schultern straffend ließ sie seinen Ärmel los. „Sie haben absolut recht“, sagte sie kalt. „Absolut. Ich habe Ihnen nichts zu sagen. Gar nichts.“ Kopfschüttelnd trat sie einen Schritt zurück. Diesmal war Antonio derjenige, der sich aus irgendeinem Grund nicht vom Fleck rühren konnte.

„Jemand hat mir mal gesagt, dass ich ein guter und großherziger Mensch bin.“ Sie lachte bitter. „Aber jetzt weiß ich, dass dieser Jemand nicht existiert.“ Ruckartig drehte sie sich um und verließ das Gebäude.

Antonio sah ihr hinterher, außerstande, sich zu bewegen. In seinem Kopf drehte sich alles. Er blickte zu seinem Ärmel und zupfte ihn gerade. Dann holte er tief Luft. Das hätte besser laufen können, aber wenigstens hatte er es hinter sich. Und sollte Maisies Auftauchen für einen Moment Zweifel und Reue in ihm geweckt haben, waren diese unwillkommenen Gefühle jetzt verflogen.

Vielleicht hätte er nicht so tun dürfen, als würde er sie nicht kennen, aber die Alternative wäre für sie noch viel verletzender geworden. Nein, es war das Beste so.

4. KAPITEL

Ein Jahr später …

„Tisch vier will mehr Wein.“

„Ich komme sofort.“

Maisie dehnte die verspannten Schultern und nahm eine Weinflasche aus der Kiste neben der Küchentür. Bei noblen Dinnerpartys zu kellnern, war nicht gerade ihr Traumjob, aber sie konnte das Geld gut gebrauchen.

Seit dem Schwangerschaftstest vor einem Jahr hatte sich viel verändert. Sie hatte jetzt eine Tochter, Ella – das Kostbarste und Wundervollste, das ihr je passiert war, obwohl die Schwangerschaft mitsamt Morgenübelkeit und einer beginnenden Präeklampsie am Schluss sie ziemlich mitgenommen hatte. In den letzten zwei Monaten war sie kaum aus dem Bett gekommen.

Gott sei Dank war Max für sie da gewesen. Maisie hatte oft ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn so falsch eingeschätzt hatte. Er hatte nämlich sofort alles stehen und liegen lassen, nachdem er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, und sogar darauf bestanden, bei ihr einzuziehen. Außerdem hatte er sich öfter freigenommen, um sie während der Schwangerschaft und in der Anfangszeit mit dem Baby zu unterstützen.

Er passte auch heute Abend auf ihr Baby auf, damit sie arbeiten konnte. In ihrer Pause würde er Ella zum Hotel bringen, damit Maisie sie stillen konnte.

Genau genommen würde er schon in einer Viertelstunde eintreffen, was hieß, dass sie an Tisch vier Wein nachschenken musste, bevor sie ihre dringend benötigte Pause machen konnte. Sie war jetzt seit drei Stunden auf den Beinen, und Ella hatte sie letzte Nacht ganz schön auf Trab gehalten. Maisie wusste schon gar nicht mehr, wie es war, nachts durchzuschlafen.

Als sie um den Tisch mit den korpulenten und selbstgefälligen Geschäftsleuten herumging, um die Weingläser nachzufüllen, musste sie ab und zu einer zudringlichen Hand ausweichen. Sie kellnerte erst seit zwei Monaten, hatte jedoch schnell die Erfahrung gemacht, dass privilegierte Männer Kellnerinnen anscheinend gerne für bessere Prostituierte hielten. Nicht alle, natürlich, aber manche eben schon.

Dabei fühlte Maisie sich zurzeit alles andere als attraktiv. Sie hatte ein paar Kilos zu viel auf den Rippen, dunkle Augenringe und einen Spuckfleck auf einer Schulter, aber anscheinend waren Millionäre nicht wählerisch.

Sie schenkte gerade eins der Gläser voll, als sie ein scharfes Einatmen hörte und den Blick hob. Sie sah direkt in zwei leuchtend blaue Augen, die sie im Laufe des letzten Jahres im Schlaf, aber auch in vielen wachen Stunden verfolgt hatten. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen.

„Passen Sie doch auf!“

Maisie senkte den Blick zum Weinglas und sah zu ihrem Schreck, dass es übergelaufen war. Auf der bisher makellos weißen Tischdecke breitete sich ein roter Fleck aus.

„Tut mir schrecklich leid …“

„Was sind Sie nur für ein Trampel!“, schimpfte der Mann. Sein Gesicht war hochrot angelaufen vor Wut. „Sie werden mir die Reinigung bezahlen!“

Ein winziger Tropfen Wein war auf seiner Manschette gelandet. Maisie wurde schlecht. Sie konnte sich keine Trockenreinigung leisten. Das würde fast ihren ganzen heutigen Verdienst verschlingen. „Tut mir wirklich sehr leid …“

„Das ist ja wohl auch das Mindeste“, sagte der Mann empört. „Ich will sofort den Geschäftsführer sprechen und dafür sorgen, dass Sie gefeuert werden!“

Maisie fiel auf, dass er zu den Typen gehörte, die versucht hatten, sie zu begrapschen. Anscheinend nahm er ihr ihre Zurückweisung übel.

„Ich glaube, das wäre etwas übertrieben“, sagte Antonio locker und charmant, aber in seiner Stimme schwang ein nicht zu überhörender eisiger Unterton mit. Maisie erschauerte. Antonio? Hier? Als sie zuletzt an diesem Tisch gewesen war, hatte er noch nicht hier gesessen, davon war sie fest überzeugt.

„Vor allem“, fuhr er aalglatt fort, „in Anbetracht der Tatsache, dass Sie schon ganz schön tief ins Glas geschaut haben.“ Er nickte in Richtung des überfließenden Glases. „Kommen Sie, Bryson, wie viele Gläser hatten Sie schon? Vier? Fünf?“

Der Mann errötete noch heftiger. „Wie können Sie es wagen …?“

„Ehrlich gesagt hat das nichts mit Wagemut zu tun“, fiel Antonio ihm ins Wort. „Auch wenn es Ihnen so vorkommen mag, wenn Sie selbst es nötig haben, eine einfache Kellnerin zu tyrannisieren.“

Der Mann funkelte Antonio wütend an, während Maisie reglos dastand. Es war schon schockierend genug, Antonio wiederzusehen, aber dass er sie auch noch verteidigte …

Dabei wusste er gar nicht, wer sie war. Er war wahrscheinlich einfach nur nett zu irgendeiner einfachen Kellnerin. Irgendwie verletzte diese Formulierung sie noch mehr.

„Ich hole Ihnen eine neue Serviette“, murmelte sie und verließ fluchtartig den Tisch. Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Was machte Antonio in New York? War er hier, um eine weitere Firma zu vernichten und das Leben weiterer Menschen zu ruinieren? Einem bösartigen Artikel zufolge, den sie gelesen hatte, war das sein Spezialgebiet.

„Maisie?“, hörte sie auf halbem Weg zur Küche seine Stimme hinter sich und erstarrte.

Langsam drehte sie sich zu ihm um. „Sorry“, sagte sie, wobei sie versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken, „kennen wir uns?“

Antonio presste nickend die Lippen zusammen. „Vermutlich habe ich es nicht anders verdient.“

„Du hast also nur so getan, als würdest du dich nicht an mich erinnern“, stieß Maisie fassungslos hervor. „Du bist ein noch größerer Mistkerl, als ich dachte, und das will etwas heißen!“

„Wie meinst du das?“

„Was glaubst du wohl?“ Sie hatte die Stimme erhoben, sodass ein paar Gäste verstummten und neugierig die Köpfe reckten, doch Maisie hatte keine Lust, ihnen die Genugtuung einer Szene geben. Sie würde auch Antonio nicht die Genugtuung geben, ihm zu verraten, wie tief er sie verletzt hatte. Wie unglücklich sie seinetwegen vor einem Jahr gewesen war.

Sie wandte ihm wieder den Rücken zu und ging weiter Richtung Küche.

Antonio folgte ihr. Im schmalen Flur vor dem Speisesaal hielt er sie an einem Arm fest. „Was machst du hier?“

„Was machst du hier?“, schoss sie zurück und schüttelte seine Hand ab. „Ich wohne schließlich in New York, du nicht.“

„Ich bin beruflich hier.“

„Ich auch.“ Sie nickte Richtung Küche. „Warum gehst du nicht einfach zu deinem Tisch zurück und tust weiterhin so, als würdest du mich nicht kennen?“

Es tat immer noch weh. Er hatte also nur so getan! Warum nur? Weil er keine Lust gehabt hatte, mit ihr zu reden? Weil er sie nach einer Nacht schon sattgehabt hatte? Schmerz vermischte sich mit ihrer Wut, aber sie zog Wut vor, weil sie ihr Energie gab.

„Ich meine es ernst, Antonio. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Solltest du dir Hoffnung auf eine zweite Nacht machen, vergiss es.“

Er zuckte zurück, als habe sie ihn geschlagen. Seine Augen blitzten wütend auf. „Daran habe ich überhaupt nicht gedacht.“

„Umso besser.“

Zu ihrer Erleichterung – und auch ein bisschen zu ihrer Enttäuschung – folgte er ihr nicht, als sie in die Küche ging. Albern von ihr, aber so war es nun mal. Stures Herz. Stures, dummes, albernes Herz.

Mit zitternden Händen holte sie eine saubere Serviette und ging zurück zu Tisch vier, wobei sie starr geradeaus sah, um keine Blicke aufzufangen. Schon gar nicht Antonios. Aber er saß sowieso nicht mehr am Tisch, und der wütende Gast grummelte nur noch missbilligend vor sich hin, sodass es Maisie gelang, ihn zu ignorieren.

Als sie wieder in die Küche zurückkehrte, schlug ihr das Herz wegen der unerwarteten Begegnung mit Antonio immer noch bis zum Hals. Warum war er ihr gefolgt? Warum hatte er sie vor einem Jahr ignoriert, um sie dann jetzt plötzlich zu verteidigen?

Zu ihrem Schreck fiel ihr ein, dass ihr Bruder gleich mit Ella kommen würde. Hoffentlich war Antonio nicht noch in der Nähe!

Nachdem er vor einem Jahr behauptet hatte, sie nicht zu kennen, hatte sie die Entscheidung getroffen, ihm nichts von dem Baby zu erzählen. Und das, was über ihn in der Presse zu lesen war, hatte ihr immer wieder bestätigt, das Richtige getan zu haben. Antonio Rossi mit seinen skrupellosen Geschäftspraktiken und seinen Affären war nicht die Art Vater, die sie sich für ihr Kind vorstellte. Und da er behauptet hatte, sie nicht zu kennen, würde er auch nicht seine Tochter kennenlernen.

„Maisie?“, rief einer ihrer Kollegen. „Dein Bruder ist hier.“

Erleichtert eilte sie auf Max zu und nahm ihm ihre drei Monate alte Tochter ab.

„Alles in Ordnung mit dir?“ Max musterte sie besorgt. Seitdem er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, schienen sie irgendwie die Rollen getauscht zu haben. Seitdem beschützte er sie, nicht umgekehrt.

„Jetzt schon.“ Dankbar presste Maisie eine Wange an Ellas weiches Gesichtchen. Die Kleine war tröstlich warm und duftete nach Babypuder.

„Ist was passiert?“

„Nein.“

Nachdem Maisie sich so lange um Max gekümmert hatte, empfand sie seine Fürsorge immer noch als etwas ungewohnt, wenn auch sehr angenehm. Aber sie wollte Max nicht unnötig belasten. „Ich werde Ella kurz stillen, und dann kannst du sie wieder nach Hause bringen. Danke, dass du sie hergebracht hast. Du bist wirklich ein toller Bruder.“

„Das sagst du immer.“ Er lächelte schief. „Dann treffen wir uns gleich in der Lobby?“

„Ja, in etwa zwanzig Minuten.“ Maisie erwiderte sein Lächeln und ging mit Ella auf dem Arm in die Frauentoilette des Hotels, in der es eine Ecke mit einem bequemen Sessel gab, in der man gut stillen konnte.

Sie spürte, wie sie innerlich etwas zur Ruhe kam, als Ella zu saugen begann, ein Händchen besitzergreifend auf Maisies Brust gelegt. Sanft strich sie ihrer Tochter über das schwarze Haar, das genauso dunkel war wie Antonios. Sie hatte auch seine leuchtend blauen Augen geerbt. Sollte er Ella je zu Gesicht bekommen, würde er sofort wissen, dass sie seine Tochter war.

Sie erschauerte. War es wirklich fair, ihm sein Kind vorzuenthalten? Natürlich war es das! Sie wusste genug über Antonio Rossi, um zu wissen, dass er nie ein guter Vater sein würde. Und trotzdem war da diese beharrliche Stimme in ihrem Hinterkopf, die ihr einflüstern wollte, dass er zumindest von Ella erfahren sollte …

Instinktiv presste Maisie ihre Tochter an sich, die sofort zu zappeln begann.

„Tut mir leid, meine Kleine“, flüsterte Maisie und versuchte, sich wieder zu entspannen.

In zehn Minuten sollte Ella satt sein, und dann würde Max sie wieder nach Hause bringen. Antonio würde nie von ihr erfahren. Es war nichts passiert, das Maisies Meinung geändert hatte.

Antonio durchsuchte den Speisesaal, die Lobby und sogar die Hotelküche nach Maisie, auch wenn er keine Ahnung hatte, welcher Teufel ihn gerade ritt. Wozu schlafende Hunde wecken?

In den letzten Monaten hatte er keinen Gedanken mehr an Maisie verschwendet, oder zumindest hatte er es versucht. Ehrlich gesagt hatte er sich insgesamt von Frauen ferngehalten. Er war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, seine Geschäftsbeziehungen in die USA auszuweiten, und die wenigen Dates, die er gehabt hatte, waren eher unbefriedigend verlaufen. Die betreffenden Frauen hatten ihn irgendwann so gelangweilt und irritiert, dass er jedes Mal an Maisie hatte denken müssen.

An ihre zugleich wundervolle und peinliche gemeinsame Nacht.

Abrupt blieb er in der Lobby stehen. Was machte er hier eigentlich? Er sollte zu seinem Tisch und seinen langweiligen Geschäftspartnern zurückkehren und anschließend an der Bar eine sexy Frau aufreißen, um Maisie Dobson zu vergessen. Ja, genau das sollte er tun. Stattdessen stand er hier rum und ärgerte sich über sich selbst.

„Maisie?“

Antonio erstarrte, als er ihren Namen aus dem Mund eines anderen Mannes hörte. Langsam drehte er sich nach der Stimme um. Ein Mann stand vor dem Hoteleingang und streckte lächelnd die Arme nach einem Baby aus, das Maisie ihm hinhielt.

Ein Baby also.

Verblüfft beobachtete Antonio, wie der Mann ihr das Baby abnahm und zärtlich an sich drückte. „Hey, Süße.“

Ein Gefühl der Eifersucht stieg in Antonio auf. Maisie schien ihn ja verdammt schnell überwunden zu haben, wenn sie schon einen neuen Freund oder Ehemann und ein Baby hatte. Wogegen natürlich überhaupt nichts sprach. Obwohl …

Ihre gemeinsame Nacht war vor einem Jahr passiert, und obwohl Antonio weiß Gott kein Experte war, was Babys anging, sah das Kind in den Armen des Mannes noch sehr klein aus. Was bedeutete …

Entweder war Maisie bereits schwanger gewesen, als sie mit ihm geschlafen hatte, oder gleich danach schwanger geworden. Oder … er war derjenige, der sie geschwängert hatte!

Er hatte damals nicht verhütet. Er war viel zu betrunken und zu durcheinander gewesen, um an so etwas zu denken, und danach war er davon ausgegangen, dass Maisie die Pille nahm.

Aber hinterher war sie zu ihm gekommen … nach wie vielen Wochen? Zwei, drei? Sie hatte ihm irgendetwas mitteilen wollen und hatte völlig verstört gewirkt.

War sie damals etwa schwanger von mir?

Schockiert richtete er den Blick wieder auf den Mann und das Baby, aber die beiden waren schon gegangen, und Maisie selbst befand sich wieder auf dem Rückweg Richtung Speisesaal.

„Maisie!“

Sie drehte sich zu ihm um. Ihre jadegrünen Augen weiteten sich erschrocken bei seinem Anblick, und sie wurde so blass, dass Antonios Verdacht bestätigt wurde. Warum sollte sie so reagieren, wenn das Kind nicht von ihm war?

„Was machst du hier?“, fragte sie mit zitternder Stimme.

„Ich bin hier Gast.“

„Ja, aber … Was willst du von mir, Antonio?“ Sie wirkte völlig verunsichert. Immer wieder sah sie nervös Richtung Ausgang.

„Lass uns unter vier Augen reden.“

„Bei unserer letzten Begegnung hattest du keine Lust dazu.“

„Ich weiß, aber die Situation hat sich inzwischen geändert.“

„Für mich auch.“ Sie trat einen Schritt zurück und hob trotzig das Kinn. „Vor einem Jahr wolltest du nichts mit mir zu tun haben, Antonio, und jetzt will ich nichts mit dir zu tun haben. Fühlt sich nicht gut an, oder?“ Sie lachte bitter auf.

„Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für solche Kleinlichkeiten. Wir müssen reden.“

„Nein, das müssen wir …“

„Maisie!“, schnitt er ihr so scharf das Wort ab, sodass sie erschrocken zusammenzuckte. „Ist das Baby von mir?“

Sie öffnete den Mund, aber es kam kein Ton heraus. Mehr brauchte Antonio nicht, um Bescheid zu wissen. Er zog sie an einem Arm sie zu den Fahrstühlen.

„Wo gehen wir hin?“, keuchte sie, als er auf einen Knopf drückte.

Die Tür glitt auf, und er zog Maisie mit sich in die Fahrstuhlkabine. „Zu meiner Suite“, erklärte er, während die Tür sich hinter ihnen schloss.

Maisie riss sich von ihm los und wirbelte zu ihm herum. „Ich gehe nirgendwo mit dir hin …“

„Du bist schon dabei.“

„Ich muss in den Speisesaal zurück! Ich werde meinen Job verlieren …“

„Ich bezahle dich.“

„Ich will dein Geld nicht!“, stieß sie hervor. „Und es geht mir nicht nur ums Geld, sondern um meinen Ruf. Wenn ich diesen Job verliere, finde ich vielleicht keinen neuen mehr.“

„Hast du gerade keine anderen Sorgen?“, fragte Antonio schroff. „Ich werde dafür sorgen, dass deine Chancen von unserem Gespräch nicht beeinträchtigt werden.“

Maisie wandte sich von ihm ab und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast gut reden“, sagte sie etwas ruhiger, aber immer noch voller Verachtung. „Du hast dir schließlich nie Gedanken um Geld machen müssen.“

„Das stimmt nicht ganz, aber darüber werde ich mal großzügig hinwegsehen.“

„Wie reizend von dir“, erwiderte sie bissig. „Ich weiß genau, was für ein Mensch du bist, Antonio Rossi!“

Für einen Moment wurde ihm innerlich eiskalt. Er fühlte sich ertappt. Ja, sie wusste in der Tat, wer er war. Sie hatte ihn im schwächsten Augenblick seines Lebens erlebt. Verdammt, er hatte ihr seine Schwäche selbst offenbart! Natürlich wusste sie, wie er war. Genau das war ja sein Problem.

„Wer ich bin, spielt keine Rolle“, sagte er kalt, als der Fahrstuhl hielt. Er trat mit Maisie hinaus auf den schwarzen Marmorfußboden seiner Suite hoch über Manhattan. „Das Einzige, das zählt, ist die Frage, ob das Kind von mir ist oder nicht.“

„Und falls sie es ist?“

Das kleine Wort – sie – traf ihn bis ins Mark. „Sie? Ich habe eine Tochter?“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Hör endlich auf mit diesen Spielchen und sag mir die Wahrheit. Ist das Baby meins?“

Störrisch presste sie die Lippen zusammen und wandte den Blick ab.

„Maisie! Ich verdiene, die Wahrheit zu erfahren.“

„Gar nichts verdienst du!“ Ihre Stimme zitterte. „Du hast so getan, als würdest du mich nicht kennen, Antonio! Ich bin zu dir ins Büro gekommen …“ Ihre Stimme brach.

Antonio nutzte die Gesprächspause zu seinem Vorteil. „Warum bist du damals zu mir ins Büro gekommen, Maisie? Worüber hast du mit mir reden wollen?“

„Warum hast du so getan, als würdest du mich nicht kennen, obwohl das nicht stimmte?“

„Es war einfacher so …“

„Einfacher für dich!“

„Und für dich. Unsere … Beziehung … führte nirgendwohin, und ich wollte dich nicht in der Öffentlichkeit zurückweisen.“

„Wow, wie ritterlich von dir! Wie aufmerksam und charmant. Ich bin gerührt, wirklich.“

„Ich gebe zu, dass das nicht die beste Idee war“, erwiderte er hölzern. Er verschwieg ihr, dass er vor allem deshalb so getan hatte, als würde er sie nicht kennen, weil er sich geschämt hatte. Sogar jetzt noch krümmte er sich bei der Erinnerung an seinen Gefühlsausbruch innerlich vor Scham. „Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet.“

Wieder wich sie seinem Blick aus, die Arme schützend um sich selbst geschlungen.

„Maisie …“

„Was willst du von mir hören?“, fragte sie leise. „Was soll ich sagen?“

„Die Wahrheit!“

Seufzend drehte sie sich zu ihm um. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck der Resignation und Hoffnungslosigkeit. „Ja, Antonio. Das Baby ist von dir. Du hast eine Tochter.“

Maisie beobachtete, wie sich verschiedene Emotionen auf Antonios Gesicht spiegelten – Ungläubigkeit, Schock … und zu ihrer Überraschung fast so etwas wie Freude. Zumindest für den Bruchteil einer Sekunde blitzte ein Lächeln auf, das dann sofort wieder erlosch.

Er presste die Lippen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hättest es mir sagen müssen.“

„Das habe ich doch versucht.“ Sie hatte nicht die Absicht, sich die Schuld in die Schuhe schieben zu lassen. „Du scheinst unter selektiver Amnesie zu leiden! Ich bin zu dir ins Büro gekommen und habe dich gefragt, ob wir reden können, aber du wolltest nicht.“

„Ich hätte einem Gespräch zugestimmt, wenn ich gewusst hätte …“

„Sorry, dass ich die Bombe nicht in einer überfüllten Lobby platzen lassen wollte“, schoss Maisie zurück. „Hättest du auch nur einen Funken Anstand besessen, hättest du mir zugehört. Zwei Sekunden hätten gereicht. Aber vielleicht ist das bei dir ja schon zu viel verlangt, wenn es um Frauen geht. Zumindest sieht es ganz danach aus, wenn man den Zeitungsartikeln über dich Glauben schenken kann.“

Antonio verzog das Gesicht. „Du solltest diesen Quatsch nicht lesen. Da stehen sowieso nur Lügen drin.“

„Anders konnte ich aber nichts über dich herausfinden.“

„Du hast dir deine Meinung über mich also auf der Grundlage von Klatschmagazinen gebildet?“

„Und deiner Handlungen. Nichts, was du getan oder gesagt hast, hat mir den Eindruck vermittelt, dass du dich über ein Kind freuen würdest, Antonio.“

„Ich hätte trotzdem davon erfahren müssen.“

Maisie zuckte die Achseln. „Wie schon gesagt, ich habe es versucht.“

„Dann hättest du dir eben mehr Mühe geben müssen!“, erwiderte er und straffte die Schultern. „Ach, egal. Was zählt, ist die Zukunft. Unsere Zukunft.“

Maisie entging die Betonung auf dem Wort „unsere“ nicht. Sie bekam ein mulmiges Gefühl. „Wie meinst du das, unsere Zukunft?“

„Glaubst du etwa, jetzt, wo ich weiß, dass ich eine Tochter habe, werde ich diese Tatsache einfach ignorieren? So tun, als sei nichts passiert?“

„Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was du tun wirst.“ Maisie unterdrückte einen Anflug von Panik. Was wollte Antonio von ihr? Ihr Leben hatte sich gerade wieder einigermaßen stabilisiert. Sie hatte Angst, dass er das alles wieder zunichtemachen würde.

„Dann werde ich es dir verraten! Ich will einen Platz im Leben meines Kindes.“

„Wie das denn?“ Maisies Schläfen begannen, schmerzhaft zu pochen. Sie war noch nicht bereit für so ein Gespräch. Vor noch nicht mal einer Stunde hätte sie nie damit gerechnet, Antonio Rossi je wiederzusehen, und jetzt stand er plötzlich in seiner Hotelsuite vor ihr und konfrontierte sie mit Forderungen.

Ja, Forderungen. Er strahlte Macht aus. Autorität, Charisma. Was sie über ihn herausgefunden hatte, gefiel ihr überhaupt nicht, aber trotzdem übte er eine fast magnetische Anziehungskraft auf sie aus. Ihr fiel wieder auf, wie unglaublich blau seine Augen waren, wie markant sein Gesicht und wie dunkel sein Haar war. Und sie wusste plötzlich wieder genau, wie weich es sich unter ihren Fingern angefühlt hatte …

Sie konnte den Blick kaum von seinem schlanken, durchtrainierten Körper losreißen. Sein weißes Hemd betonte seine gebräunte Haut und seine blauen Augen. Er sah wundervoll aus – und zugleich unglaublich einschüchternd. Sie konnte kaum glauben, dass er eine Nacht lang ihr gehört hatte … obwohl das natürlich nie der Fall gewesen war. Nicht wirklich.

„Ich will das gemeinsame Sorgerecht.“

Maisie klappte die Kinnlade nach unten. „Gemeinsam? Wie soll das gehen? Du lebst in Mailand, und ich lebe in New York. Ich bin ihre Mutter, Antonio. Sie ist erst drei Monate alt!“

„Und ich habe diese drei Monate verpasst. Das reicht, finde ich.“

Maisie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber ganz bestimmt hatte sie nicht hiermit gerechnet. „Du kommst mir nicht vor wie jemand, der Kinder will …“

Autor

Carol Marinelli
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