Julia Extra Band 483

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VERFÜHRERISCHER DEAL MIT DEM MILLIARDÄR von CAITLIN CREWS

Lauren erlaubt dem attraktiven Milliardär Dominik James, sie zu küssen, wann immer er will. Aber nur, weil sie dringend seine Hilfe braucht! Jedoch gerät sie mit jedem Kuss mehr in seinen gefährlich sinnlichen Bann - während es für ihn eine rein geschäftliche Abmachung scheint!

IN GRIECHENLAND ERWACHT DIE LIEBE von THERESE BEHARRIE

Unternehmer Caleb Martin ist so sexy wie arrogant - genau der Typ Mann, der Piper das Herz gebrochen hat! Doch ausgerechnet mit Caleb muss sie jetzt in Griechenland nach ihrem verschwundenen Bruder suchen. Ehe sie sich versieht, knistert es unwiderstehlich heiß zwischen ihnen …

DER WÜSTENPRINZ UND DAS SHOWGIRL von CAROL MARINELLI

Seidiges blondes Haar, himmelblaue Augen, glutrote Lippen: Das süße Showgirl Aubrey betört Scheich Khalid auf den ersten Blick, sodass er sie zu einer Nacht der Lust in seiner New Yorker Luxussuite verführt. Ein Fehler? Bald fürchtet er: Sie hat ihn in die Liebesfalle gelockt!

NUR EINE NACHT MIT DEM BOSS? von SHARON KENDRICK

Ein Date mit dem Boss? Die schüchterne Haushälterin Tara fühlt sich wie verzaubert, als Lucas Conway sie überraschend zum Dinner ausführt. Ohne an Morgen zu denken, gibt sie sich dem überzeugten Junggesellen in einer einzigen Liebesnacht hin. Mit skandalösen Folgen …


  • Erscheinungstag 28.04.2020
  • Bandnummer 483
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714833
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Caitlin Crews, Therese Beharrie, Carol Marinelli, Sharon Kendrick

JULIA EXTRA BAND 483

CAITLIN CREWS

Verführerischer Deal mit dem Milliardär

Der Liebe hat Milliardär Dominik James längst abgeschworen. Doch beim Blick in Laurens karamellfarbene Augen erwacht jäh unwiderstehlich sinnlicher Hunger in ihm. Er muss sie küssen – um jeden Preis!

THERESE BEHARRIE

In Griechenland erwacht die Liebe

Zwischen Caleb und der schönen Piper sprühen vom ersten Moment an die Funken. Allerdings ist sie ihm ein Rätsel: Kaum hat sie sich verlangend in seine Arme geschmiegt, stößt sie ihn wieder von sich …

CAROL MARINELLI

Der Wüstenprinz und das Showgirl

Wie im Märchen kommt Aubrey sich vor, als Scheich Khalid sie in seiner luxuriösen Hotelsuite in New York verführt. Doch dann wirft er ihr aus heiterem Himmel vor, eine schamlose Betrügerin zu sein …

SHARON KENDRICK

Nur eine Nacht mit dem Boss?

Selfmade-Millionär Lucas Conway genießt sein sorgloses Playboyleben. Bis er spontan eine Nacht der Leidenschaft mit seiner Haushälterin Tara verbringt – und schockiert von den Folgen erfährt …

1. KAPITEL

Lauren Isadora Clarke war in London geboren und aufgewachsen.

Sie war ein Stadtmensch, durch und durch. Wo andere beim Anblick der idyllischen englischen Natur ins Schwärmen gerieten, sah Lauren nur monotones Grün und störende Hecken. Da war ihr die Stadt mit ihren vielfältigen Transportmöglichkeiten weit lieber. Ein Hoch auf die Pünktlichkeit! Und im Notfall kam man auch zu Fuß ans Ziel …

Fürs Wandern hatte Lauren absolut keinen Sinn, und fürs Walken schon gar nicht. Niemals würde man sie dabei ertappen, wie sie mit diesen seltsamen Skistöcken bewaffnet in klobigen Schuhen durchs verregnete Gelände eilte! Sie fand es gar nicht reizvoll, keuchend auf Berge zu klettern, nur um wenig später matschbedeckt wieder nach unten zu schlittern.

Nein, vielen Dank. Lauren hielt sich lieber an Backsteine, Stahl und Beton, die ruhmreiche Londoner U-Bahn und Schnellimbisse an jeder Straßenecke. Allein bei der Erwähnung tiefer, dunkler Wälder bekam sie Hautausschlag.

Und doch marschierte sie jetzt in einem finsteren Wald in Ungarn diesen Trampelpfad entlang, den der Wirt des Gasthofs, in dem sie abgestiegen war, als Straße bezeichnet hatte.

Bloß gut, dass es hier – zumindest bis jetzt – keine Stechmücken gab.

Dafür hatte sie andere Probleme.

Das waren an erster Stelle ihre Schuhe, die natürlich total unvernünftig waren. Aber Lauren hasste vernünftige Schuhe. Reichte es denn nicht, dass ihr gesamtes Leben durch und durch vernünftig war?

Sie hatte nie Geldprobleme, bezahlte ihre Rechnungen immer pünktlich und leistete hervorragende Arbeit in ihrem Job als persönliche Assistentin des sehr reichen und mächtigen Präsidenten und CEO von Combe Industries. So gute Arbeit, dass Lauren sich geradezu unersetzlich gemacht hatte.

Ihre Schuhe waren stets unpraktische, fantasievolle Gebilde, die sie daran erinnerten, dass sie eine Frau war. Was ihr vor allem an Tagen, an denen ihr Chef sie wieder einmal wie eine perfekt funktionierende Maschine behandelte, sehr zupass kam.

„Meine Mutter hatte noch ein uneheliches Kind, das sie weggegeben hat“, hatte Matteo Combe ihr vor ein paar Wochen in seinem üblichen emotionslosen Tonfall eröffnet. „Einen Sohn.“

Lauren wusste wie jeder, der nicht völlig medienabstinent lebte, alles über die weitverzweigte Familie ihres Chefs. Und da sie ihr ganzes bisheriges Berufsleben für Matteo gearbeitet hatte, wusste sie sogar noch mehr. Dass die schöne verwöhnte Alexandrina San Giacomo sich allen Regeln ihrer versnobten venezianischen Herkunft widersetzt hatte, indem sie den reichen, aber beschämend ungeschliffenen Eddie Combe geheiratet hatte, dessen Vorfahren sich aus den Stahlwerken Nordenglands hochgearbeitet hatten, oft genug unter Einsatz ihrer Fäuste. Ihre turbulente Ehe hatte pausenlos Skandale verursacht und war Anlass endloser Spekulationen gewesen. Und dass sie so kurz nacheinander gestorben waren, hatte noch mehr Staub aufgewirbelt.

Aber noch nie hatte sie auch nur das leiseste Gerücht über irgendein uneheliches Kind gehört!

Nun, irgendwann kam eben alles ans Licht. Und Lauren brauchte nicht erst lange davon überzeugt zu werden, dass ein wahrer Sturm der Entrüstung losbrechen würde, wenn diese Geschichte publik wurde.

„Ich möchte, dass Sie ihn finden“, hatte Matteo so selbstverständlich gesagt, als bäte er sie, ihm einen Kaffee zu holen. „Ich habe keine Ahnung, wo und unter welchen Umständen dieser Mann lebt, aber ich brauche ihn in einem vorzeigbaren Zustand.“

Das war alles gewesen, was ihm dazu eingefallen war. Lauren hatte es sofort damit entschuldigt, dass der Mann in letzter Zeit so viel durchgemacht hatte. Schlimm genug, wenn man kurz nacheinander beide Eltern verlor. Aber dann hatte ihr Chef auch noch erfahren, dass seine unverheiratete jüngere Schwester ein Kind erwartete! Grund genug für Matteo, dem Kindsvater Prinz Ares von Atilia einen Kinnhaken zu verpassen. In Laurens Augen war das eine absolut verständliche Reaktion, wenn es nur nicht ausgerechnet auf der Beerdigung seines Vaters passiert wäre.

Und wenn es nicht die zahllosen Fotos und Videos der Paparazzi und Trauergäste gäbe, die seitdem im Internet kursierten. Das hatte Matteo im Konzernvorstand in größte Schwierigkeiten gebracht, sodass er gezwungen gewesen war, einem Training für Aggressionsbewältigung zuzustimmen, das noch immer andauerte.

Aber Lauren hatte ihren Chef natürlich verteidigt.

„Gibt es eigentlich irgendwann mal eine Situation, in der du ihn nicht in Schutz nimmst?“, hatte ihre Mitbewohnerin Mary gefragt, ohne den Blick von ihrem Handy zu lösen, während Lauren hektisch durch die Wohnung gerannt war, um für ihre Reise zu packen.

„Er ist ein wichtiger Mann, der irrsinnig viel um die Ohren hat, Mary.“

„Woran du uns alle bei jeder sich bietenden Gelegenheit erinnerst.“

Lauren, die keinen Streit wollte, hatte sich eine Antwort verkniffen. Aber nur, weil gute Mitbewohnerinnen rar gesät sind, dachte sie jetzt, während sie sich ihren Weg durch den ungarischen Wald bahnte. Denn weil Mary von dem Gedanken besessen war, zu jeder Zeit mit ihren dreißigtausend Freunden in allen Ecken der Welt auf jeder Art von sozialer Plattform in Verbindung zu bleiben, bedeutete dies, dass sie die meiste Zeit in ihrem Zimmer hockte und Lauren das Apartment praktisch für sich allein hatte. Auch wenn sie fast nie da war.

Aber eigentlich hat Mary doch nicht ganz unrecht, oder? meldete sich eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf, die Lauren sofort ausblendete. Denn wo käme sie hin, wenn sie ihre Loyalität zu Matteo Combe plötzlich infrage stellte?

Sie tat gut daran, sich auf den matschigen Weg zu konzentrieren, sonst rutschte sie womöglich noch aus. Mit einem finsteren Blick auf ihre ruinierten Schuhe zog Lauren ihr rotes Cape fester um sich. Die Verwünschungen, mit denen sie ihren Chef insgeheim bedachte, hätte sie natürlich nie laut ausgesprochen.

Diesen Dominik James zu finden war nicht ganz einfach gewesen.

Bis auf die spärlichen Hinweise, die Matteos Mutter in ihrem Testament genannt hatte, gab es fast keine Informationen über ihn. Doch dann hatte Lauren der Ehrgeiz gepackt, und nach wochenlangen Nachforschungen hatte sie ein handfestes Ergebnis gehabt! Alexandrina, die Erbin des riesigen San Giacomo-Vermögens, war mit gerade mal fünfzehn von einem absolut unstandesgemäßen Jungen schwanger geworden. Die Familie hatte es erst bemerkt, als die Schwangerschaft nicht mehr zu übersehen gewesen war. Daraufhin hatte man Alexandrina von der Klosterschule genommen und in eine noch strengere Anstalt gesteckt.

Im Sommer darauf – mit knapp sechzehn – brachte Alexandrina ihr Baby zur Welt, das von der Kirche sofort weggezaubert worden war, während sie selbst in ihr normales Leben zurückkehrte. Von ihrem Erstgeborenen war Zeit ihres Lebens nie die Rede gewesen, bis sie ihm nun in ihrem Testament ein Drittel ihres Vermögens vermacht hatte.

Zumindest hatte Lauren einen Namen gehabt, nach dem sie suchen konnte. Nach vielen vergeblichen Versuchen schien sie hier in Ungarn endlich auf den richtigen Dominik James gestoßen zu sein. Jetzt musste sie ihm nur noch die frohe Botschaft überbringen! Und das hier, mitten im tiefsten Wald, zwischen all den Bäumen, die da fremd und ehrfurchtgebietend um sie herum aufragten und eigentlich eher in ein Märchen gehörten.

Nur dass Lauren nicht an Märchen glaubte …

Es war Frühling, doch so tief im Wald war es kühl. Der Weg vor ihr war in dunkle Schatten gehüllt. Das machte sie nervös.

Aber vielleicht lag es ja gar nicht an den Schatten, sondern daran, dass sie nicht wusste, was sie an ihrem Ziel erwartete.

„Na, dann viel Glück“, hatte der Wirt des Gasthofs mit einem Auflachen gesagt, nachdem sie ihm erzählt hatte, dass sie Dominik James suchte. „Manch einer will nicht gefunden werden, Miss. Das sollte man respektieren.“

Bei diesen Worten war ihr leicht mulmig geworden, ein Gefühl, das sich hier draußen noch verstärkte.

Automatisch setzte Lauten einen Fuß vor den anderen, und bald war es, als hätte sie jegliche Zivilisation hinter sich gelassen. Tröstlich war nur, dass es wenigstens nicht bergauf ging. Aber dafür war ringsum nichts als Matsch. Und dazu dieses ständige Rascheln und Knistern, das verriet, dass es hier jede Menge unsichtbares Getier gab, das sie aus dem Dickicht heraus beobachtete.

Lauren erschauerte und tadelte sich, weil ihre Angst absolut lächerlich war.

Gleich darauf machte der Weg eine Biegung. Dann sah sie es.

Eine riesige Blockhütte. Da, auf der anderen Seite der Lichtung. Lauren ging ganz langsam direkt auf die Hütte zu. Die ganze Zeit über hatte sie sich gewünscht, diesen dichten Wald endlich hinter sich zu lassen, doch diese Lichtung machte sie nicht weniger nervös.

Aber Nervosität ließ Lauren nicht gelten. Sie blickte stirnrunzelnd auf die sorgfältig aus Holzstämmen gezimmerte Hütte, die sogar einen Kamin hatte, aus dem Rauch aufstieg. Es gab absolut keinen Grund dafür, warum dieser Anblick in einer überzeugten Großstädterin wie Lauren irgendetwas auslösen sollte. Und doch hatte sie plötzlich für einen winzigen Moment das seltsame Gefühl, nach einer langen ermüdenden Wanderung endlich zu Hause zu sein.

Natürlich war das völlig lachhaft. Unbewusst rieb sich Lauren die Stelle, wo ihr Herz war, wie um einen alten Schmerz zu lindern. Falls sich in irgendeinem Märchen in so einer Blockhütte jemals etwas Schönes ereignet haben sollte, konnte sie sich jedenfalls nicht daran erinnern. Und selbst wenn. Sie glaubte sowieso nicht an Märchen. Und das war auch besser so, da sich Lauren fast nur an düstere Stellen in Märchen erinnerte, nämlich an Hexenhäuser, Flüche und gefährliche Wölfe …

Genau in diesem Augenblick entdeckte sie vor der Blockhütte eine Gestalt. Dort im Schatten stand ein Mann.

Ein Mann, der in ihre Richtung schaute.

Ihr Herz machte einen erschrockenen Satz. Dann schien es einen so kraftvollen doppelten Salto zu schlagen, dass Lauren aufpassen musste, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

„Mr. Dominik James?“, rief sie möglichst forsch. Obwohl ihr Herz immer noch wie wild hämmerte.

Der Mann trat aus dem Schatten ins Licht.

Jetzt begann ihr Herz erst recht zu rasen.

Er war groß. Sehr groß! Und seine Schultern waren so breit, dass Lauren sie am liebsten sofort mit ihren Fingerspitzen berührt hätte … Sein Haar war dunkel und voll, leicht verwuschelt und ziemlich lang. Sein Kinn war kühn, der schön geformte Mund schmal und ernst – und zugleich so sinnlich, dass sie plötzlich ein heftiges Kribbeln im Bauch verspürte. Er war einfach gekleidet. Ein langärmeliges Hemd bedeckte seinen beeindruckenden Oberkörper, dunkle Hosen umspannten seine kraftvollen Schenkel, und seine Füße steckten in derben Stiefeln.

Am Ende aber waren es seine Augen, die in Lauren alle Alarmsirenen schrillen ließen.

Weil sie grau waren. Grau wie Sturmwolken, grau wie Matteo Combes Augen.

Das Grau der San Giacomos, dachte Lauren.

Sie brauchte nicht erneut nach seinem Namen zu fragen. Es gab keinen Zweifel daran, dass sie hier den verloren gegangenen San Giacomo-Erben vor sich hatte. Wie in dunkler Vorahnung richteten sich plötzlich die feinen Härchen in ihrem Nacken auf.

Aber Lauren zwang sich weiterzugehen.

„Mein Name ist Lauren Clarke“, stellte sie sich vor, wobei sie entschlossen versuchte, diese seltsamen Empfindungen abzuschütteln, von denen sie überschwemmt wurde. „Ich arbeite für Matteo Combe, den CEO von Combe Industries. Er ist der älteste Sohn der kürzlich verstorbenen Alexandrina San Giacomo Combe, und ich habe allen Grund anzunehmen, dass Alexandrina auch Ihre Mutter war.“

Diese kleine Ansprache hatte sie sorgfältig eingeübt, zuletzt heute Morgen vor dem Spiegel in ihrem kleinen Zimmer in dem Gasthof.

Sie hatte sich bereits jede Menge Reaktionen ausgemalt und alle möglichen Notfallpläne für die verschiedensten Szenarien geprobt.

Aber der Mann vor ihr blieb stumm.

Langsam kam er nun auf sie zu. Seine Bewegungen hatten eine solch raubtierhafte Lässigkeit, dass Lauren der Atem stockte.

Je näher er kam, desto mehr Einzelheiten konnte sie erkennen. Sogar den Ausdruck in seinen Augen, sarkastisch und belustigt, wie ihr schien.

Für dieses Szenario hatte sie keinen Notfallplan.

„Mrs. Combe hat ein Testament hinterlassen, dessen vollständige Erfüllung mein Arbeitgeber als seine Pflicht ansieht“, zwang sie sich fortzufahren. „Und ich bin gekommen, um für diesen Prozess alles in Gang zu setzen.“

Der Mann schwieg noch immer. Direkt vor ihr blieb er stehen und musterte Lauren so eindringlich, dass ihr die Röte ins Gesicht stieg.

Es fühlte sich fast unerträglich intim an. Als würde er mit den Händen über ihren Körper fahren. Als wollte er über ihr Haar streichen, das sie sich im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Als würde er mit seinen Blicken ihr rotes Cape durchdringen. Schließlich glitt sein Blick über ihre Beine zu ihren Schuhen und wieder zurück.

„Mr. Combe ist ein reicher und mächtiger Mann“, fuhr sie fort, entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. „Was nicht heißt, dass er vorhätte, sich seinen Verpflichtungen zu entziehen, im Gegenteil. Allerdings verlangt es seine Position, dass wir hier mit einem gewissen Fingerspitzengefühl vorgehen, falls Sie verstehen, was ich meine.“

Lauren wurde plötzlich bewusst, dass der Mann – Dominik James, denn wer sollte es sonst sein – offenbar erst kürzlich geduscht hatte. Das schloss sie nicht nur aus der Tatsache, dass sein Haar noch feucht war, sondern auch aus dem Geruch, den sie wahrnahm: eine seltsam anziehende Mischung aus Seife und warmer, sauberer Männlichkeit.

Ihr wurde leicht schwindlig, kein Wunder bei diesem Herzrasen.

Alles um sie herum schien zu lauern, sogar der Wald. Lauren vermisste den beruhigenden Lärm der Großstadt. Hier in der freien Natur war nichts, was sie von diesen durchdringenden grauen Augen hätte ablenken können.

„Entschuldigung“, sagte sie schließlich, als sie es nicht mehr aushielt. „Sprechen Sie Englisch? Das habe ich gar nicht gefragt.“

Er verzog ganz leicht den Mund. Lauren stand – warum auch immer – wie erstarrt da und beobachtete, wie er ihr langsam eine Hand entgegenstreckte.

Es schien fast so, als ob er vorhätte, sie zu berühren. Als ob er ihr mit einem seiner langen eleganten Finger über den Hals fahren wollte, so wie man es in diesen lächerlich romantischen Filmen oft sah, von denen Lauren stets behauptete, sie würde sie nicht schauen. Aber er tat es nicht. Als er schließlich nach einem Zipfel ihres Capes griff, verspürte sie einen scharfen Stich der Enttäuschung.

Die Berührung wirkte sachlich, als wollte er das Material prüfen.

„Was soll das denn?“, fragte sie und ließ alle Hoffnung fahren, ihre geschäftsmäßige Attitüde aufrechterhalten zu können. Sie hatte ganz weiche Knie, und ihre Stimme klang nicht wie ihre. Viel zu atemlos. Beschämend kraftlos.

Unbemerkt war er noch näher an sie herangetreten. Lauren war sich absolut sicher, dass sie sich nicht bewegt hatte. Und als er den Kopf leicht zur Seite neigte, herrschte in ihr nur noch Chaos.

Dann wurde es gefährlich still.

„Es war einmal ein schönes blondes Mädchen, das, eingehüllt in einen leuchtend roten Umhang, ganz allein durch den Wald ging.“ Allein der tiefe Klang seiner Stimme bewirkte, dass sich Lauren wieder in die dunkel lockende Welt der Märchen versetzt fühlte. Erregt biss sie sich auf die Unterlippe. „Und … wie glauben Sie, geht es weiter?“, fragte der Mann.

Erwartungsvoll blickte Lauren zu ihm hoch.

Da senkte der Fremde den Kopf – und küsste sie.

2. KAPITEL

Um Himmels willen, er küsst mich!

Lauren verstand, was die Worte in ihrem Kopf bedeuteten, aber sie ergaben keinen Sinn.

Das meiste von dem, was Dominik James mit seinem Mund anstellte, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit irgendeinem Kuss, den sie je erlebt oder gesehen hatte.

Verlockend fuhr er mit seiner Zunge über ihre Lippen, als wollte er sie ermuntern, ihren Mund für ihn zu öffnen.

Selbstverständlich würde sie das nicht tun.

Aber dann tat Lauren es doch, begleitet von einem sinnlichen Seufzen, wie es ihr noch nie zuvor entschlüpft war.

Nun war diese süße Verlockung in Gestalt einer Zunge in ihrem Mund – und jetzt wurde es völlig verrückt.

Vielleicht lag es am Winkel. Oder daran, wie dieser Mann schmeckte, vollmundig und wild. Oder an der unfassbar trägen Art des Kusses, den er sanft aber stetig vertiefte, veränderte. Meisterlich.

Als er sich von ihr löste, konnte Lauren den Blick nicht von seinen Lippen reißen.

Sie zitterte.

Aber nur vor Empörung, wie sie sich selbst rasch versicherte. „Na hören Sie mal! Sie können doch nicht einfach … Sie können doch nicht einfach fremde Leute küssen!“

Seine Mundwinkel hoben sich. „Ich gelobe feierlich, in Zukunft daran zu denken, falls hier in meinem Wald noch mehr Märchengestalten auftauchen sollten.“

Lauren war völlig durcheinander. Ihre Wangen glühten. Erregende Hitze breitete sich in ihrem ganzen Körper aus, ihre Brustwarzen kribbelten, und zwischen ihren begann es warm zu pulsieren.

Was sie zutiefst beschämte.

„Ich bin keine Märchengestalt.“ Noch während sie die Worte aussprach, bereute sie sie auch schon. Warum spielte sie bei dieser bizarren Veranstaltung überhaupt mit? „Märchen sind nicht real, und selbst wenn sie es wären, wollte ich nichts damit zu tun haben.“

„Das ist bedauerlich. Denn was sind Märchen anderes als Sinnbilder für allerlei menschliche Verlockungen? Fantasien. Dunkle Bilder.“

Lauren schluckte. „Ich weiß, dass manche Leute es sich erlauben können, von Berufs wegen lang und breit über den tieferen Sinn von Kindergeschichten zu philosophieren“, sagte sie in einem Ton, der eine Spur zu zickig klang. Doch das war jetzt, mit dem Brandmal seines Mundes auf ihrem, ihre geringste Sorge. „Aber ich fürchte, mein Job ist weit erwachsener.“

„Weil es nichts Erwachseneres gibt, als Befehle von oben zu befolgen.“

Seine Bemerkung brachte Lauren völlig aus dem Gleichgewicht, was ihr normalerweise nie passierte. Ihre Lippen fühlten sich geschwollen an, aber sie verbot sich, das zu überprüfen. Damit würde sie nur ihre Verletzlichkeit offenbaren, und das durfte nicht sein.

Schlimm genug, dass sie sich überhaupt so verletzlich gemacht hatte.

„Nicht jeder kann es sich leisten, einfach so in den Tag hineinzuleben“, sagte sie scharf.

Aber falls sie gehofft hatte, ihn damit zu ärgern, wurde sie enttäuscht. Der bemerkenswerte Mann sah sie weiterhin unbeirrt an. Und der silbrige Schimmer, den Lauren in seinen sturmgrauen Augen glänzen sah, schien die sinnliche Hitze in ihrem Körper noch zu verstärken …

„Der Gastwirt hat mich vorgewarnt, dass Sie kommen.“ Er zog sich etwas zurück, und sie war sich jeder seiner Bewegungen so überdeutlich bewusst, dass sie sich noch gedemütigter fühlte. Es hatte etwas mit seiner Geschmeidigkeit zu tun, die in ihr den Wunsch erweckte, sich ihm zu nähern. Ihre Hand nach ihm auszustrecken, um …

Abrupt verschränkte sie die Arme vor der Brust und strafte den Mann vor ihr mit einem finsteren Blick.

„Den Weg hätten Sie sich sparen können“, sagte er. „Ihr reicher Boss interessiert mich ebenso wenig wie seine Mutter und deren ominöses Testament. Sie können also beruhigt wieder abziehen.“

Das fühlte sich an wie Verrat, obwohl es das nicht sollte. Es ging nicht gegen sie, Lauren war kein Mitglied dieser Familie, sondern nur eine Angestellte. Aber dass dieser Mann so verächtlich über die Familie ihres Chefs sprach, wurmte sie. Ihre Lippen kribbelten noch immer. Es fühlte sich fast an, als ob sie sich verbrannt hätte. Was für ein Kuss! Kühn und unverfroren. Rücksichtslos männlich.

Eine Erinnerung, die nicht verblassen wollte. Im Gegenteil.

„Mein reicher Boss ist immerhin auch Ihr Bruder“, erinnerte sie ihn scharf. „Es geht nicht um Geld. Es geht um Familie.“

„Eine bekanntlich steinreiche Familie“, ergänzte Dominik James mit einem stählernen Glanz in den Augen. „Die mich nicht wollte. Ich fürchte, auf diese liebevolle Wiedervereinigung, die auf die flüchtige Laune einer Toten zurückgeht, werde ich wohl verzichten müssen.“

Als er die Hand ausstreckte und Laurens Kinn umfasste, blieb ihr fast das Herz stehen. Sie hätte ihn wegstoßen sollen. Und das wollte sie auch.

Aber ihr Kopf schien plötzlich mit Sirup gefüllt zu sein, zähflüssig und dick. Und so stand Lauren einfach nur da und fühlte die Hand, die ihr Kinn mit einer Entschlossenheit umspannte, die sie innerlich erbeben ließ.

Ein sarkastisches Grinsen breitete sich plötzlich auf seinem Gesicht aus. „Ich hätte nie gedacht, dass eine so taffe Blondine so süß schmecken kann.“

Als diese Worte endlich zu Lauren durchgedrungen waren, hatte der verlorene Sohn der San Giacomos bereits kehrtgemacht und schlenderte in Richtung Hütte.

Lauren spürte, wie ihr wütende Tränen in die Augen schossen. Sie wusste, dass sie sich für ihr bizarres Verhalten bis in alle Ewigkeit hassen würde. Wo blieb ihre Selbstbeherrschung?

„Nur damit ich es verstehe“, schleuderte sie ihm hinterher, und selbstverständlich warf sie dabei keinen Blick auf seinen muskulösen Rücken. „Was sollte der Quatsch mit dem Rotkäppchen?“

„Liegt an dem Cape.“

„Und Sie sind der große böse Wolf, ja?“

Erst jetzt merkte sie, dass sie ihm folgte. Ganz bestimmt war das nicht ratsam, nachdem dieser Mann es mühelos geschafft hatte, sie ganz und gar aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Indem er sie geküsst hatte, als ob es um ihrer beider Leben ginge …

Aber an diesen Kuss durfte Lauren jetzt auf keinen Fall denken! Diese Erfahrung war viel zu verwirrend gewesen.

„Die Wälder Europas sind voller Wölfe.“ Seine Stimme war plötzlich noch tiefer, als er sich nun zu ihr umdrehte und sie nachdenklich musterte. Mit demselben Effekt wie vorher. Lauren fühlte sich wie im Auge eines Hurrikans.

Sie registrierte, dass er ihre Frage nicht beantwortet hatte.

„Aber warum …?“

Lauren blieb einen halben Meter vor ihm stehen. Sie merkte, dass sie ihre Hände in die Hüften gestützt hatte, ihr Cape fiel jetzt vorn offen herab. Und sie hasste es, dass irgendetwas in ihr die Art, wie sein Blick über ihre zarte Seidenbluse glitt, wunderbar erregend fand.

Ihre Brustwarzen stellten sich plötzlich auf. Aber das lag bestimmt nur daran, dass sie auf die kalte Luft reagierte. Mit Dominik James hatte das nichts zu tun.

Lauren musste sich seit Jahren immer wieder daran erinnern, dass sie eine Frau war. Und sie hatte darauf gehofft, dass zumindest ihr Chef sich irgendwann daran erinnern würde, dass seine PA ein weibliches Wesen war. Bisher vergebens.

Doch unter dem Blick dieses Mannes hier fühlte sie sich plötzlich so unfassbar weiblich.

Sie versuchte sich einzureden, dass es nur blanke Wut war, was sie fühlte. Aber dafür war dieses verwirrende Gefühl in ihr ein wenig zu schwindelerregend.

„Warum ich Sie geküsst habe?“ Seine Zähne blitzten auf. „Weil ich es wollte, Rotkäppchen. Warum sonst?“

„Vielleicht haben Sie mich ja geküsst, weil Sie ein … weil Sie ein Macho-Schwein sind“, konterte sie. „So etwas kommt häufig vor bei Männern, die Angst davor haben, die Kontrolle zu verlieren.“

Ein Ausdruck dunklen Amüsements huschte über sein Gesicht.

„Ich glaube, Sie verwechseln da Ihre Märchen. Allerdings … Bei den drei kleinen Schweinchen wird ja viel gehustet und geprustet. Und geblasen, wenn mich nicht alles täuscht.“ Er legte den Kopf schräg. „Machen Sie mir gerade ein unsittliches Angebot?“

Sie spürte, wie in ihr ein Feuer entfacht wurde, das sich unaufhaltsam ausbreitete, aber sie ignorierte es standhaft.

„Sehr komisch“, fauchte sie. „Allerdings kann es kaum überraschen, dass ein Mann, der allein in einer Holzhütte im Wald lebt, aus reiner Langeweile Märchen so lange verdreht, bis sie zu seinen abstrusen Fantasien passen. Aber ich bin nicht hier, damit Sie sich über mich lustig machen können, Mr. James.“

„Nennen Sie mich Dominik.“ Jetzt lächelte er sie an, doch harmloser wirkte er deshalb noch lange nicht. „Auch wenn Mr. James mein Vater war, habe ich den Mann nie kennengelernt.“

„Ich weiß Ihre Machtspielchen durchaus zu schätzen.“ Lauren versuchte alles, um bloß nicht wieder an diesen Kuss denken zu müssen. „Danke, dass Sie mir meinen Platz gezeigt haben. Und tatsächlich wäre mir nichts lieber, als auf dem Absatz kehrtzumachen, um meinem Arbeitgeber von einem ungehobelten Einsiedler im Wald zu berichten, den er besser niemals als seinen Bruder anerkennen sollte. Aber das geht leider nicht.“

„Warum nicht?“

„Sie sollten nicht nach dem Grund fragen, sondern mir einfach nur dankbar sein. Denn wenn ich Sie aufspüren konnte, können es andere auch, was für Sie weit unangenehmer sein wird. Weil es Reporter sein werden, Paparazzi. Man wird Sie jagen, bis man Sie zur Strecke gebracht hat, glauben Sie mir.“ Sie lächelte strahlend. „Es ist nur eine Frage der Zeit.“

„Ich habe meine ganze Kindheit gewartet, dass jemand kommt“, sagte er leise, nachdem sich das Schweigen fast unerträglich gedehnt hatte. „Aber es kam niemand. Deshalb wüsste ich nicht, warum sich das jetzt ändern sollte.“

„Als Kind waren Sie unerwünscht, aber heute sind Sie einer der rechtmäßigen Erben des San-Giacomo-Vermögens. Sie sind ein reicher Mann, Mr. James, und darüber hinaus gehören Sie einer sehr alten und sehr berühmten Familie an.“

„Sie könnten nicht falscher liegen“, sagte er in dem ihm eigenen sanften Ton, den man keinesfalls mit Schwäche verwechseln durfte. „Ich bin Waise. Ein ehemaliger Soldat. Und ein Mensch, der seine Freiheit liebt. Ich kann Ihnen nur raten, so schnell wie möglich zu dem Mann zurückzukehren, der Sie an seiner kurzen Leine hält, und ihm das mitzuteilen.“ Jetzt war da ein gefährliches Glitzern in seinen Augen. „Also, seien Sie ein braves Mädchen. Bevor ich böse werde.“

Lauren schüttelte entschieden den Kopf. „Das kann ich nicht.“

„Sie haben keine Wahl, Rotkäppchen. Meine Antwort haben Sie.“

Lauren konnte ihm ansehen, dass er es ernst meinte.

„Die meisten Menschen würden bei so einer Nachricht Freudensprünge machen“, beharrte sie. „Schließlich ist das noch besser als im Lotto zu gewinnen, nicht wahr? Da leben Sie fröhlich in den Tag hinein, und plötzlich erfahren Sie, dass Sie jemand ganz anderes sind.“

„Ich bin genau der, für den ich mich halte.“ Jetzt schwang in seiner Stimme definitiv ein gefährlicher Unterton mit. „Ich habe hart daran gearbeitet, der zu werden, der ich heute bin. Und ich bin nicht im Mindesten interessiert daran, jemand anders zu werden, nur weil irgendwer plötzlich Schuldgefühle hatte.“

„Aber ich …“

„Ich weiß, wer die San Giacomos sind“, fiel er ihr schroff ins Wort. „Wie auch nicht? Ich bin in Italien in ihrem Schatten aufgewachsen, aber sie interessieren mich nicht im Geringsten. Sagen Sie das Ihrem Boss.“

„Warum sagen Sie ihm nicht selbst, dass Sie das Geschenk verschmähen, das er Ihnen anbietet?“

Dominik musterte sie eingehend. „Was denn für Geschenk? Man hat mir mein Geburtsrecht jahrelang verweigert.“

„Was auch immer, auf jeden Fall ändert sich nichts, solange Sie sich hier in Ihrem Blockhaus verkriechen.“

Jetzt lachte er. Oder nein, eigentlich war es nur ein schnelles Lächeln. Aber dieses Lächeln machte Lauren Appetit auf ein richtiges Lachen von ihm.

Himmel, was passierte eigentlich gerade mit ihr?

„Was ich nicht verstehe, ist die Hingabe, die Sie an den Tag legen“, sagte er mit einer Stimme, die wie etwas Dunkles an ihrem Rückgrat zu lecken schien. Und sofort begann sie sich auszumalen, wie er mit seiner Zunge über ihre Haut fuhr, während seine Hände die Linien ihrer Hüften nachzeichneten, wobei er … Rigoros rief sie sich zur Ordnung, straffte die Schultern und konzentrierte sich auf das, was Dominik James ihr zu sagen hatte. „Sie haben sich viel Mühe gemacht, mich zu finden, und jetzt sind Sie hier. Uneingeladen.“

„So bin ich eben.“ Lauren hob das Kinn. „Wenn man mir eine Aufgabe stellt, löse ich sie.“

„Und wenn Ihr Boss sagt ‚spring‘, dann springen Sie“, sagte Dominik sanft, aber sie hörte die Verachtung in seinen Worten mitschwingen. Erneut wurde Lauren von einer Welle der Scham durchflutet. Es war alles so verwirrend! Sie verstand so vieles nicht von dem, was hier passierte.

„Ich bin die persönliche Assistentin von Mr. Combe, Mr. James. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass er bekommt, was er braucht. Das ist kein Charakterfehler meinerseits, sondern liegt schlicht in der Natur der Sache.“

Sie unterbrach sich, überlegte.

„Ich kann Ihre Vorbehalte durchaus verstehen“, fuhr sie schließlich fort, wobei sie versuchte, versöhnlich zu klingen. „Ganz ehrlich. Aber ich möchte trotzdem, dass Sie Verbindung mit Ihrer Familie aufnehmen. Wie kann ich das erreichen?“

Er schüttelte leicht den Kopf. „Also wirklich. Erst wandern Sie in einem roten Cape durch den tiefen Wald. Dann erlauben Sie dem großen bösen Wolf, sich eine Kostprobe von Ihnen zu genehmigen. Und jetzt machen Sie ihm auch noch ein Angebot? Oh je. Was für große Augen du hast, Rotkäppchen.“

Es gab keinen Grund zu erschauern, weil sie doch genau wusste, dass seine Worte zu diesem Spiel dazugehörten, dem sie schon viel zu viel Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

Aber der Wald schloss sie ein. In den Bäumen rauschte der Wind, und das Dorf mit seinen Menschen lag in weiter Ferne.

Und geküsst hatte er sie bereits.

Sie überlegte, was sie ihm anbieten könnte. Doch sie kam zu keinem Ergebnis.

Während sie Dominik James ansah, verspürte Lauren plötzlich sich selbst gegenüber eine merkwürdige Fremdheit. Als ob ihr Körper ihr nicht mehr gehörte. Dieses ständige Erschauern, gegen das sie absolut machtlos war. Nicht einmal ihre Zunge schien ihr noch zu gehorchen. Das passte ihr überhaupt nicht.

„Es muss doch irgendetwas geben, womit ich Sie überzeugen kann, mich nach London zu begleiten“, sagte sie und versuchte vernünftig zu klingen. „Um Status und Geld scheint es Ihnen ja nicht zu gehen, sonst würden Sie nicht zögern, zuzugreifen.“

Er zuckte die Schultern. „Geld und Status interessieren mich nicht.“

„Dafür offensichtlich Machtspielchen wie dieses hier. Jedenfalls nutzen Sie Ihre Macht im Moment gnadenlos aus.“

Als er die Augen zusammenkniff und seinen Blick sehr langsam über sie hinwegschweifen ließ, erschauerte sie bis ins Mark. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie eben das Falsche gesagt hatte.

Es war nur ein Blick, sonst nichts. Er musterte sie einen Moment. Dann lächelte er.

Es war mehr ein sarkastisches Grinsen, bei dem ihr der Atem stockte. Ein Lächeln, das nichts Gutes verhieß.

Für sie. Und für ihr Herz, das wie verrückt hämmerte.

All das, was sie angeblich nicht fühlte, breitete sich wie eine brütende, allumfassende Hitze in Lauren aus.

„Ich schlage vor, Sie kommen erst einmal rein und setzen sich zu mir ans Feuer, Rotkäppchen“, sagte er mit tiefer Stimme. „Mal sehen, ob Sie es schaffen, mich davon zu überzeugen, mit Ihnen nach London zu kommen.“

3. KAPITEL

Dominik James hatte sein ganzes Leben damit verbracht, sich seinen Platz in der Welt zu suchen.

Man hatte ihm erzählt, dass seine Eltern tot wären, dass er Waise sei, und er hatte es geglaubt. Anfangs. Auf jeden Fall war es eine Erklärung dafür gewesen, warum sein Zuhause das Waisenhaus war.

Aber als er zehn gewesen war, hatte ihm eine der Nonnen, die das Waisenhaus führten, tröpfchenweise eine andere Wahrheit eingeflößt, immer wenn sie ihn bei einem Lausbubenstreich erwischt hatte.

„Deine Mutter wollte dich nicht“, hatte sie dann gesagt. „Kein Wunder, wo du so ein garstiger, böser Junge bist. Wer sollte dich schon wollen?“

Das Ergebnis war, dass Dominik sich die nächsten zehn Jahre redlich bemüht hatte, sich selbst und der Welt zu beweisen, dass seine Mutter goldrichtig gehandelt hatte, als sie ihn gleich nach der Geburt weggab. Irgendwann war er aus dem Waisenhaus weggelaufen und in Spanien gelandet, wo er auf der Straße lebte und stahl, was er zum Leben brauchte. Im Vergleich zu den strengen Regeln im Waisenhaus war ihm dieses Leben wunderbar frei vorgekommen.

Doch irgendwann war er nach Italien zurückgekehrt und hatte sich bei der Armee gemeldet. Weniger aus einer patriotischen Anwandlung heraus, sondern um sich selbst zu bestrafen. Dominik hatte gehofft, man würde ihn in irgendeinen Krieg schicken, in dem er im Dienst für Italien fallen konnte. Keinesfalls aber hatte er damit gerechnet, bei der Armee Recht und Ordnung vorzufinden. Und Respekt. Einen Platz in der Welt und die Mittel, die er benötigte, um aus sich den Menschen zu machen, der diesen Platz auch verdiente.

Und doch war es so gewesen.

Nachdem er den Dienst quittiert hatte, waren Jahre ins Land gegangen, in denen er als Zivilist das umgesetzt hatte, was er bei der Armee gelernt hatte. Bis er unruhig geworden war. Wenig später hatte er die Sicherheitsfirma, die er mit seinem Wissen aufgebaut hatte, für ein Vermögen verkauft.

Danach hatte Dominik begonnen, intensiv an sich selbst zu arbeiten. Erst hatte er einen Hochschulabschluss gemacht, um sein Denken zu erweitern. Und um sicherzustellen, dass er sein beträchtliches Vermögen so anlegen konnte, wie er es für richtig hielt.

Oh nein, Dominik brauchte kein Geld von seiner verloren geglaubten Familie!

Im Moment liebte er es, hier allein in den ungarischen Wäldern zu leben. Weil es ihm so gelang, sich die Welt vom Leib zu halten. Diese Welt, die ihn stets mit Wut und Zorn erfüllt hatte, sogar als er in ihr erfolgreich gewesen war.

Dominik liebte kühle Schatten und tiefe Wälder. Es gab nichts Schöneres als Sonnenstrahlen, die durch das Laubdach der Bäume fielen. Und Stille.

Eine taffe Blondine wie diese Lauren Clarke mit ihren magischen karamellfarbenen Augen machte ihn nur hungrig und heiß. Sie raubte ihm seinen Seelenfrieden.

Er hätte sie sofort wegschicken sollen.

Stattdessen hatte er sie in sein Haus eingeladen …

Lauren ging vor ihm her. Allein wie diese absurd hohen Absätze auf dem Holzboden der Veranda knallten! Er bereute es fast sofort, dass er ihr den Vortritt gelassen hatte. Denn obwohl ihr leuchtend rotes Cape den größten Teil ihres schlanken Körpers verbarg, konnte er seinen Blick nicht von ihren schwingenden Hüften wenden.

Er konnte einfach nicht wegsehen.

Als sie an der Vordertür angekommen war, streckte er hinter ihr die Hand aus und stieß die Tür auf.

Wieder ein Fehler.

So dicht hinter der schönen Blonden hungerte Dominik plötzlich danach, seinen Mund auf ihren Nacken zu pressen. Mit beiden Händen von hinten ihre vollen Brüste zu umfangen. Sein Gesicht zwischen ihren Beinen zu vergraben und sich in ihrer süßen Hitze zu verlieren.

Stattdessen hielt er ihr nur die Tür auf. Ganz wohlerzogen und zivilisiert.

Kein großer böser Wolf, sondern nur ein Einsiedler in einer Blockhütte.

Er beobachtete sie beim Eintreten, registrierte ihre Anspannung. Als ob sie Angst hätte, irgendetwas könnte sie aus dem Hinterhalt anspringen. Aber hier drohte keine Gefahr. Hier war sein Zuhause.

„Das ist ja eine echte Überraschung“, sagte Lauren in die Stille hinein, während sie den Blick von den dicken Teppichen auf dem Fußboden zu den tiefen Ledersesseln vor dem Kamin schweifen ließ. „Ich hatte eigentlich eher so etwas wie einen Schuppen erwartet.“

„Einen Schuppen.“

„War nicht beleidigend gemeint“, sagte sie, aber er hüllte sich in Schweigen.

„Nein wirklich, Sie haben es sehr hübsch hier“, betonte die blonde Schönheit noch einmal. „Richtig gemütlich … und trotzdem maskulin.“

Dominik deutete auf einen der beiden Sessel vor dem Kamin. Dann ließ er sich in den Sessel gegenüber fallen und streckte die Beine lang aus, ohne sich darum zu scheren, dass er so den gesamten Raum zwischen ihnen beanspruchte. Als er sie schlucken sah, überlegte er, ob er ihr etwas zu trinken anbieten sollte.

Er entschied sich dagegen.

„Ich dachte, Sie sind hier, um mich von etwas zu überzeugen“, sagte er schließlich. „Wie Sie das schaffen wollen, ist mir allerdings schleierhaft.“

Lauren Clarke blinzelte ihn an, als ob sie in Gedanken gerade weit weg gewesen wäre. Schließlich legte sie das Cape ab und faltete ihre Hände im Schoß. Dominik ertappte sich dabei, dass er sie gierig anstarrte.

Sie war süß und üppig, mit Kurven genau an den richtigen Stellen. Ihr goldblondes Haar, das sie sich zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, glänzte im Feuerschein. Ihre Haut wirkte samtweich und einladend, besonders am Hals, dort, wo er am liebsten vorsichtig hineingebissen hätte – sanft nur, ganz sanft, bis sie erschauerte. Ihre vollen Brüste zeichneten sich reizvoll unter ihrer Seidenbluse ab. Er bräuchte sich nur vorzubeugen und …

Dominik verbrachte ein paar köstliche Momente damit, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen.

Und sie machte es nicht besser, als sie nun auch noch mit der Zunge über ihre bebende Unterlippe leckte …

„Ich wollte Sie wirklich nicht beleidigen“, beteuerte sie erneut leicht heiser. „Ich war einfach nur überrascht. Aber ganz offensichtlich schätzt selbst jemand wie Sie die Annehmlichkeiten des Lebens. Deshalb frage ich Sie jetzt noch einmal: Wie kann ich Sie davon überzeugen, mich nach London zu begleiten?“

„Ich wüsste nicht, warum ich das tun sollte.“

„Zum Beispiel, weil Sie sich dann in allen Wäldern der Welt so schöne Blockhütten bauen könnten wie diese.“

Er hob eine Schulter, ließ sie wieder fallen. „Eine Hütte reicht mir.“

Dass er bereits eine Vielzahl von Immobilien verstreut über die ganze Welt besaß, erwähnte er nicht.

„Sie könnten diese Blockhütte hier modernisieren“, schlug sie vor. „Vielleicht mit etwas mehr Anbindung an die Zivilisation. Da gibt es heutzutage unbegrenzte Möglichkeiten.“

„Seien Sie versichert, dass ich genauso viel Anbindung an die Zivilisation habe wie ich benötige.“

„Trotzdem. Sie könnten sich kaufen, was Ihr Herz begehrt.“

„Alles, was Sie mir anbieten, ist Geld“, sagte er nach einem Moment. „Aber ich sagte es bereits, ich brauche kein Geld. Dass Sie trotzdem immer wieder damit ankommen, verrät viel über Sie. Bezahlt mein Bruder Sie so schlecht, dass Sie die ganze Zeit nur an Geld denken können?“

Jetzt versteifte sie sich, zwischen ihren Brauen bildete sich eine steile Falte. „Mr. Combe war mir gegenüber immer großzügig.“

Er sah, dass sie rot geworden war. Interessant. „Das sagt nichts darüber aus, ob er Sie Ihrem Einsatz entsprechend bezahlt oder nicht. Ich frage mich, was das angemessene Gehalt für die Art von Loyalität ist, die eine Frau veranlasst, meilenweit durch die Wildnis zu stapfen, um sich in die Höhle eines womöglich gefährlichen Fremden zu begeben.“

Daraufhin reckte sie das Kinn, was er ziemlich faszinierend fand. „Die Höhe meines Gehalts tut hier nichts zur Sache.“

„Da Sie ungebeten hier bei mir reinschneien, tut alles etwas zur Sache.“ Bis auf die Tatsache, dass er sich übermäßig von ihr angezogen fühlte. Das war allein sein Problem. „Warum sagen Sie nicht einfach, weshalb Sie wirklich hier sind?“

Die Röte in ihren Wangen vertiefte sich ebenso wie die Furche zwischen ihren Augenbrauen. Und obwohl nicht vorstellbar war, wie sie es bewerkstelligen sollte, noch aufrechter in diesem Sessel zu sitzen, gelang es ihr.

„Das sagte ich bereits, Mr. James.“

„Sie hätten im Dorf auf mich warten können. Ich wette, man hat Ihnen erzählt, dass ich jede Woche vorbeikomme, um meine Vorräte aufzustocken. Sie hätten sich nicht extra hier raus bemühen müssen, besonders nicht in diesen Schuhen.“

Jetzt wirkte sie fast erfreut, als ob er in eine von ihr aufgestellte Falle getappt wäre. „Meine Schuhe lassen Sie ruhig meine Sorge sein“, sagte sie. Dabei schlug sie die Beine übereinander, womit sie seine Aufmerksamkeit natürlich sofort auf besagtes Schuhwerk lenkte. Was wahrscheinlich genau ihre Absicht war. „Sie sind sehr bequem.“

„Sie nehmen mich auf den Arm.“

Ihre schönen karamellfarbenen Augen sprühten wütende Funken. Was er höchst amüsant fand.

Obwohl er davon noch härter wurde.

„Ich bin immer wieder Männern begegnet, die verzweifelt auf die Zweckmäßigkeit meines Schuhwerks angespielt haben “, sagte sie. „Aber ich will Ihnen etwas verraten: Ich liebe schöne Schuhe, das ist das ganze Geheimnis.“

Dominik grinste. Dafür nahm er sich Zeit – und kostete es weidlich aus, zu sehen, wie sie nervös schluckte.

„Dann darf ich Ihnen versichern, dass ich überhaupt nicht verzweifelt bin. Und selbstverständlich bin ich bereit, Ihre Argumente zu berücksichtigen, aber dafür müsste ich sie erst einmal kennen.“ Er hielt ihren Blick fest. „Sagen Sie einfach, was Sie zu sagen haben. Überzeugen Sie mich, warum ich mir die Mühe machen sollte, Kontakt zu dieser Familie aufzunehmen, die mich bislang für nichtexistent erklärt hat. Vielleicht gelingt es Ihnen ja.“

„Auch das sagte ich bereits. Die Paparazzi …“

Er schüttelte den Kopf. „Wir wissen beide, dass es nicht um irgendwelche Reporter geht, die hier einfallen könnten. Ich bin durchaus zuversichtlich, dass ich mich meiner Haut erwehren kann.“ Als er sah, dass sie die Lippen zusammenpresste, grinste er noch breiter. „Also, die Angst vor irgendwelchen Paparazzi scheidet als Grund schon mal aus. Ich wüsste einfach nur gern, ob hinter dieser plötzlich erwachten Bruderliebe mehr steckt als Eigennutz, das müsste doch selbst jemand wie Sie verstehen, oder?“

„Sofort nachdem Mr. Combe von Ihrer Existenz erfahren hatte, hat er versucht, Sie ausfindig zu machen“, gab sie kühl – oder vorsichtig? – zurück.

„Hoffentlich vergesse ich nicht, Beifall zu klatschen.“

Sie seufzte nicht und rollte auch nicht die Augen, dafür lächelte sie verkniffen, was so ungefähr dasselbe war. „Mr. Combe …“

„Rotkäppchen. Bitte. Was glauben Sie, worauf wollte ich wohl hinaus, als ich Sie bat, mich zu überzeugen? Ich habe Sie bereits geküsst. Glauben Sie ernsthaft, ich hätte Sie hereingebeten, damit Sie mir einen langen Vortrag halten?“

Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Wut, vielleicht. Empörung, bevor sie mit einem beleidigten Schnauben aus der Hütte und aus seinem Leben rauschte. Und genau das wollte er erreichen.

Weil diese Frau in seine Privatsphäre eingedrungen war. Er hatte sie nur hereingebeten, um sie ein für alle Mal loszuwerden.

Wer’s glaubt wird selig, meldete sich eine spöttische Stimme in seinem Hinterkopf.

Und Lauren rauschte auch nicht hellauf empört davon, sondern starrte ihn entgeistert an. Fassungslos.

„Ich bitte um Entschuldigung. Ist das jetzt eine Art zivilisatorischer Graben, der sich da zwischen uns auftut? Oder bringen Sie, sobald Sie anfangen sich zu langweilen, Sex ins Spiel?“

„Möglichst.“

Sie lachte, und überraschenderweise klang es sogar echt.

„Da verschwenden Sie bei mir nur Ihre Zeit.“ Ihr Lächeln war vage. Aber in ihrem Blick lag Herausforderung. „Sex interessiert mich nicht. Ich bedauere, Ihnen das ebenso sagen zu müssen wie den Männern, die glaubten, sie könnten über mich schneller zu meinem Chef durchkommen.“

Dominik hätte nicht überraschter sein können, wenn sie eine Handgranate aus ihrer Tasche gezogen und zwischen ihnen auf den Boden geworfen hätte.

„Wie bitte?“

Jetzt lehnte sich sein Rotkäppchen ganz entspannt zurück. Was ihn ebenfalls überraschte. Und als sie lächelte, wirkte sie zufrieden wie eine Katze, die soeben die Sahneschüssel ausgeschleckt hat.

„Sex interessiert mich nicht“, erklärte sie fast triumphal. Was allerdings in krassem Widerspruch zu dem verletzlichen Schimmer in ihren Augen stand, der ihn daran erinnerte, wie sie bei seinem Kuss dahingeschmolzen war. „Die Menschen sind eben verschieden. Die einen sind ihr Leben lang besessen von Sex und noch mehr Sex, aber zu dieser Sorte gehöre ich definitiv nicht. Ehrlich gesagt habe ich das ganze Getue, das um Sex gemacht wird, nie verstanden.“

Ihm fiel vor Überraschung fast der Unterkiefer runter. Was redete sie denn da für einen Unsinn?

„Sie wissen aber schon, dass ein Kuss eine sexuelle Handlung ist, oder?“

„Es war nicht mein erster Kuss“, sagte Lauren und zog dabei angewidert die Nase kraus. „Während meines Studiums habe ich mit Küssen experimentiert. Und herausgefunden, dass es nichts für mich ist.“

„Sie haben … experimentiert“, wiederholte er ungläubig. „Mit Küssen.“

„Richtig. Mit Küssen aller Art. Aber nicht jeder verspürt den unbezwingbaren Drang, sich deswegen gleich nackt mit irgendwem herumzuwälzen. Nicht dass irgendetwas falsch daran wäre, aber für manche Leute gibt es eben Wichtigeres.“ Der sittsame Gesichtsausdruck, den sie jetzt aufsetzte, verriet Dominik, dass sein Kuss sie bis in die Grundfesten hinein erschüttert hatte, auch wenn sie sich das Gegenteil einredete. „Viel Wichtigeres.“

„Und was ist das, wenn ich fragen darf?“

„Meine Arbeit. Sie ist für mich das Wichtigste überhaupt. Sie erfordert Hingabe, Konzentration und Energie. Ich könnte den Anforderungen, die täglich an mich gestellt werden, gar nicht nachkommen, wenn ich jede Nacht durch die Pubs zöge, und das alles nur, um mich …“

„Mit irgendwem herumzuwälzen. Nackt.“

„Exakt.“

Da wusste Dominik, dass sie log. Und er wusste noch mehr. Erstens, dass seine taffe, elegant beschuhte Blondine mit den karamellfarbenen Augen noch Jungfrau war. Und zweitens, dass er bei diesem Gedanken noch härter wurde.

Verdammt hart.

Weil er bereits eine Kostprobe von ihr genommen hatte. Begleitet von ihrem wollüstigen Stöhnen. Was ihm verraten hatte, dass Lauren Clarke, ganz egal was sie auch behauptete – und vielleicht sogar selbst glaubte – mit Sicherheit nicht gleichgültig geblieben war.

„Ich weiß genau, was Sie jetzt denken“, sagte Lauren fast siegesgewiss. „Ich verstehe einfach nicht, warum sich Männer von meinem Desinteresse an Sex so herausgefordert fühlen.“

Dominiks Lippen kräuselten sich. „Wirklich nicht?“

Sie zuckte die Schultern. „Ich fühle mich sehr wohl in meiner Haut.“

„Soso.“ Jetzt lehnte er sich ebenfalls in seinen Sessel zurück. Und musterte sie einen Moment schweigend, bis ihr Lächeln verblasste und sie gar nicht mehr so selbstsicher wirkte. „Nur um das klarzustellen, Rotkäppchen: Wer sich sehr wohlfühlt in seiner Haut, redet eher selten über seine Sexualität, geschweige denn, dass er sie anderen um die Ohren haut.“

„Oh, ich verstehe.“ Sie lächelte erneut, doch er sah, wie schwer es ihr fiel, ihre Verunsicherung zu verbergen. „Es ärgert Sie, dass mir Ihr Kuss nicht gefallen hat. Aber keine Sorge, Mr. James, es lag nicht an Ihrem Kuss. Ich mag einfach keine Küsse.“

„Wenn sich einer von uns beiden wohlfühlt in seiner Haut, dann bin ich es, Lauren.“ Er ließ sich ihren Namen auf der Zunge zergehen, während ihm das leise Zittern ihrer süßen Unterlippe die Wahrheit verriet. „Sie können mir nichts vormachen. Ich habe bemerkt, dass Sie es ausgekostet haben, geküsst zu werden. Da können Sie noch so lange das Gegenteil behaupten.“

„Was Sie nicht sagen.“ Ihr Kinn kam wieder hoch, ihre Augen blitzten. „Ich weiß doch, wie das läuft.“

„Ach ja? Wie denn?“

Sie wedelte wegwerfend mit der Hand. „Ich spüre nichts. Punkt. Das war schon immer so und wird auch so bleiben. So bin ich einfach gestrickt.“ Sie schaffte es tatsächlich, gelangweilt dreinzuschauen. „Aber wenn es sein muss, können wir das Ganze ja noch mal wiederholen … nur bitte im Schnelldurchlauf. Ich finde es nämlich ermüdend.“

„Ganz wie Sie meinen. Und was kommt danach? Nach dem Schnelldurchlauf?“

„Dann können wir hoffentlich endlich zur Sache kommen.“

„Wenn das so ist, haben wir dieselben Interessen, Rotkäppchen. Sind Sie nicht gekommen, um mich aus meiner bescheidenen Hütte hinaus in die große weite Welt zu locken?“

„Richtig. Deshalb schlage ich vor, Sie nennen mir einfach Ihren Preis.“

Dominik war kein impulsiver Mensch. Nicht mehr. Aber diese Frau hatte etwas an sich, das ihn reizte. Sie lächelte ihn immer noch auf diese mitleidige Art an, dabei wusste er doch längst Bescheid. Er wusste nicht, ob sie sich selbst ebenso belog wie ihn, aber es sprach nichts dagegen, zu versuchen, das herauszufinden.

Immerhin hatte er sich schon seit Menschengedenken nicht mehr so gut amüsiert wie jetzt mit Lauren Clarke.

Und Dominik war ein freier Mensch, er hatte keinerlei Verpflichtungen. Wenn er sich amüsieren wollte, konnte er das jederzeit tun.

Selbst wenn dafür eine Begegnung mit der Familie erforderlich war, von deren Existenz er bereits seit seiner Armeezeit wusste, ohne dass er jemals das Verlangen verspürt hätte, sie kennenzulernen.

„Ich möchte, dass Sie mir erlauben, Sie zu küssen, wo und wann ich will“, sagte er so behutsam wie möglich. „Das ist mein Preis. Wenn Sie zustimmen, bin ich zu allem bereit.“

„Machen Sie sich nicht lächerlich.“

Sie machte sich nicht einmal die Mühe, sich aufrechter hinzusetzen. Sie war auch nicht rot geworden und lächelte ihn immer noch an als wäre er ein Idiot. Und so fühlte er sich auch. Aber deshalb war er noch lange nicht bereit, seine Worte zurückzunehmen.

Besonders, weil er ihr die Wahrheit ansah, die sich nicht weglächeln ließ.

„Hören Sie, ich finde, jetzt treiben Sie es mit Ihrer Obsession für Märchen wirklich zu weit. Ich schlage vor, wir kehren auf den Boden der Realität zurück, die hier so weit draußen im Wald wahrscheinlich ziemlich rau ist.“

„Erstens sollten Sie wissen, dass ich mich nie lächerlich mache“, sagte Dominik. „Und zweitens kennen Sie jetzt meinen Preis. Ihn zu zahlen dürfte Ihnen nicht schwerfallen, wo Küsse Sie ja angeblich kaltlassen.“

„Ach, hören Sie auf, ich weiß doch, wie es läuft.“ Jetzt lächelte sie nicht mehr, sondern musterte ihn stirnrunzelnd. „Sie reden von Küssen, aber in Wirklichkeit geht es Ihnen um mehr. Es geht immer um mehr. Plötzlich ist da immer irgendwo eine Hand.“

„Ich habe eine Hand, das stimmt. Genau gesagt sogar zwei. Aber wir können Regeln festlegen, wenn Sie das beruhigt.“ Er bemühte sich, möglichst vertrauenerweckend zu lächeln. „Regel Nummer eins lautet, dass Sie mir erlauben, Sie zu küssen, wann immer ich will. Und Regel Nummer zwei besagt, dass ich selbstverständlich sofort aufhöre, wenn Sie es verlangen. So. Das ist alles.“

„Aber …“ Ihre Stimme klang matt. Das verbuchte er als Sieg.

„Und im Gegenzug bin ich bereit, mich von Ihnen bei Ihrem Chef in England vorführen zu lassen, um dort die Rolle des soeben aus der Versenkung geholten Bruders zu spielen. Was wird meine noble Familie mir wohl abverlangen, Rotkäppchen, was meinen Sie? Öffentliche Treueschwüre? Oder reicht ein angemessener Haarschnitt, um sich wenigstens optisch der faden Aristokratie anzupassen?“

Sie wirkte für einen Moment verwirrt. Und wenn Dominik jemals auf die Idee gekommen wäre, sich für einen guten Menschen zu halten – was nicht der Fall war – wüsste er es jetzt besser. Weil es ihm einen Heidenspaß machte, sie aus der Fassung zu bringen. Er genoss es von ganzem Herzen, dabei zuzusehen, wie sich diese weichen Lippen öffneten und sich Laurens Blick verschleierte, als wüsste sie kaum, wohin mit sich.

O ja, das liebte er. Definitiv.

„Und … und für wie lange soll dieses seltsame Arrangement dann gelten, was denken Sie?“, fragte sie schließlich.

Er zuckte die Schultern. „Das hängt ganz davon ab, was Ihr Mr. Combe mit mir vorhat.“

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Also wirklich, das verstehe, wer will. Da fällt jemandem aus heiterem Himmel ein Riesenvermögen in den Schoß, und er erfährt, dass er der Spross eines alten Adelsgeschlechts ist, aber sein ganzes Denken kreist allein um ein paar Küsse, die er zu erbeuten sucht“, sagte sie nach längerem Schweigen. „Das liegt vermutlich daran, dass Sie hier draußen nicht oft die Gelegenheit haben, jemand zu küssen. Aber warum gerade ich?“

Dominik hätte ihr sagen können, dass er noch nie unter Frauenmangel gelitten hatte, vielen Dank. Und dass er sich ganz freiwillig in diese Blockhütte zurückgezogen hatte und nicht, weil ihn irgendeine höhere Macht dazu verurteilt hatte. Aber das verkniff er sich.

„Tja, was soll ich sagen? Vielleicht ist es ja so, dass ich schon immer eine Schwäche für Rotkäppchen hatte.“

Sie seufzte, dann lachte sie leise auf. „Also gut, wenn es unbedingt sein muss, einverstanden. Aber jetzt müssen wir los.“

„Ganz wie Sie wünschen“, murmelte Dominik, erfüllt von Triumph und noch etwas weit Dunklerem und Intensiverem, dem er lieber nicht genauer nachgehen wollte. „Aber zuerst … brauche ich einen Kuss.“

4. KAPITEL

Lauren war perplex.

Warum sollte sich irgendjemand ausgerechnet einen Kuss wünschen? Oder mehrere Küsse. Zumal diesem Mann mit dem vereinten Vermögen der Combes und der San Giacomos schon bald die halbe Welt zu Diensten stehen würde.

Sie hatte über ihre Arbeit viele Männer kennengelernt, die sich als reich, einflussreich und mächtig betrachteten, aber so jemand wie dieser Dominik James war ihr noch nie untergekommen. Sein ganzes Verhalten ergab einfach keinen Sinn.

Aber egal. Sie war nicht hier, um den Mann zu verstehen, sondern um ihn zu bewegen, sie nach London begleiten, und das schnell.

„Jetzt?“, fragte sie. „Sie wollen, dass ich Sie jetzt küsse?“

Dominik saß immer noch lässig da, mit lang ausgestreckten Beinen und einem Glitzern in den Tiefen seiner grauen Augen, obwohl sein Gesicht ernst war. Er klopfte sich mit der Hand aufs Knie, wobei sich sein harter Mund zu einem schwachen Lächeln verzog.

Als sie aufstand, wurde sie von einem seltsam schwebenden Gefühl erfasst. Das passierte ihr manchmal, wenn sie in neue Schuhe schlüpfte, in die sie sich verliebt hatte. Es war ein Zustand, den sie genoss, weil sie sich dabei ganz als Frau fühlte. Aufregend, fast ein wenig … draufgängerisch.

Lauren verstand nicht, warum es ihr jetzt hier so ging, mitten im Wald. Und warum Dominik dieses schöne Gefühl jetzt unbedingt mit einem zweiten Kuss ruinieren wollte.

Zugegeben, die Art, wie er sie da draußen auf der Lichtung geküsst hatte, war ganz anders gewesen als ihre stümperhaften Versuche aus Teenagertagen. Was jedoch nichts daran ändern würde, dass alles so verlaufen würde wie damals. Die Begierde des Mannes würde sich mit jedem Kuss steigern, während Laurens Interesse mehr und mehr nachlassen würde.

Weil zwischen einem Kuss in der Wirklichkeit und einem Kuss in der Fantasie ein himmelweiter Unterschied lag. Weil ein echter Kuss immer eine Enttäuschung war.

Aber einmal hatte Dominik sie bereits geküsst, deshalb wusste sie jetzt zumindest, worauf sie sich einließ. Und wirklich unangenehm war es ja auch nicht gewesen.

Ganz im Gegenteil, meldete sich eine innere Stimme fast schnurrend vor Wohlbehagen zu Wort, die sie jedoch sofort rigoros ausblendete.

Es war der ungewohnte Fußmarsch, der ihren Puls in die Höhe getrieben hatte. Das allein war der Grund dafür, dass ihr so heiß geworden war. Dass sie sich gefühlt hatte, als würde sie gleich dahinschmelzen. So etwas kannte sie normalerweise nicht.

„Setzen Sie sich“, sagte Dominik mit diesem dunkel belustigten Unterton in der Stimme, den sie nicht richtig einordnen, dafür umso besser fühlen konnte. Ganz tief in ihrem Innern. „Es ist bequemer so. Aber vielleicht wissen Sie das ja nicht.“

„Sie erwarten doch nicht, dass ich mich auf Ihren Schoß setze?“, fragte sie geschockt.

„Wann, wie und wo ich es will“, erinnerte er sie leise mit diesem Glitzern in den Augen. „So lautet die Abmachung.“

Lauren, gewöhnlich ein Musterbeispiel an Tüchtigkeit und Effizienz, zögerte. Sie liebte ihren Beruf als persönliche Assistentin, weil er ihr die Gelegenheit gab, sich unersetzlich zu machen. Matteo brauchte sie tagtäglich für alle möglichen Projekte.

Für dieses Projekt hier brauchte er sie ganz besonders. Matteo wollte seinen Bruder ordentlich verpackt, mediengerecht und zivilisiert, was niemand besser bewerkstelligen konnte als Lauren.

Und wenn sie jetzt in sich das Kribbeln einer süßen Vorahnung spürte, tat sie gut daran, es zu ignorieren.

Das knisternde Feuer im Kamin neben ihnen wurde immer heißer. Es war, als ob die Flammen an ihrem Körper, an ihrem Gesicht leckten. Sie wusste nicht, wie es war, bei einem Mann auf dem Schoß zu sitzen, weil sie es noch nie getan hatte, aber sie sehnte sich auch nicht danach. Doch Dominik machte keine Anstalten, sie aus dieser Zwangslage zu befreien. Er beobachtete sie nur mit ausdruckslosem Gesicht und einem schwachsilbernen Glanz im Grau seiner Augen.

Sie stellte sich, die Schultern gestrafft, vor ihn hin, leider nicht, ohne ganz kurz seine langen, kräftigen Beine zu bewundern. Dann ließ sie sich übervorsichtig auf seinen Oberschenkeln nieder, wobei sie unbeholfen die Hand ausstreckte, um sich abzustützen.

„Wollen Sie mich allen Ernstes in dieser Position küssen?“ Obwohl er ernst blieb, hörte sie die Belustigung in seiner Stimme mitschwingen. „Sie wissen aber schon, dass sich beim Küssen die Lippen berühren, oder?“

Draußen auf der Lichtung war das alles so problemlos abgelaufen. Ganz ungezwungen. Doch jetzt wurde Lauren klar, dass sie noch nie einen Mann von sich aus geküsst hatte. Sie war immer nur geküsst worden. Aber das ging ihn nichts an.

Genauso wenig wie die unsägliche Tatsache, dass sich in ihrem Unterleib ein heißes Pulsieren ausbreitete, das ihr die Schamröte ins Gesicht trieb.

Sie hätte nicht gerade jetzt daran denken sollen. Nicht solange sie auf diesen muskulösen Schenkeln saß, die sie so faszinierend und heiß unter sich spürte, dass sie nicht anders konnte, als sich selbstvergessen an ihnen zu reiben.

Das Kaminfeuer brannte lichterloh. Es schien den ganzen Sauerstoff aus der Luft zu saugen, während der Feuerschein über ihre Arme tanzte, aber seltsamerweise war es nicht unangenehm. Es machte sie nur atemlos.

Sie näherte sich millimeterweise seiner Brust. Dabei drehte sie sich so, dass ihr Gesicht auf gleicher Höhe mit seinem war, nah genug, um ihn zu küssen. Glaubte sie jedenfalls.

Er streckte die Arme aus, legte beide Hände leicht um ihre Taille.

Lauren wusste nicht, warum sie deshalb erschauerte.

Am ganzen Körper.

Sie schnappte nach Luft, weil plötzlich viel zu viel auf sie einstürmte. Diese langen kräftigen Finger, die sie durch den dünnen Stoff ihrer Bluse brennend heiß auf ihrer Haut spürte. Die stahlharten Schenkel unter ihr trieben ihren Puls hoch und vermittelten ihr das Gefühl, an Stellen dahinzuschmelzen, von deren Vorhandensein sie bisher nicht einmal etwas geahnt hatte.

So aus der Nähe registrierte sie Einzelheiten, die ihr bisher entgangen waren. Die beeindruckenden Linien seines Gesichts, die hohen Wangenknochen, die schöne Nase. Das energische Kinn. Und dieses volle, lässig lange Haar, in dem sie jetzt aus einem unerfindlichen Grund am liebsten die Hände vergraben hätte.

Ihr Herz schlug so heftig …

Sie schaute ihm forschend in die Augen, ohne zu wissen, wonach sie suchte. Lauren brannte immer noch, innen wie außen, es war ein Feuer, das von allen Seiten kam, längst nicht nur vom Kamin.

Langsam, zögernd näherte sie sich seinem Mund.

Dann presste sie abrupt ihre Lippen auf seine.

Eine ganze Weile war das alles. Da war nur das geheimnisvolle Zittern in ihr und seine festen Lippen unter ihren.

Na sowas, schoss es ihr fast triumphierend durch den Kopf. Das war ja viel einfacher als erwartet!

Doch dann veränderte er den Winkel, in dem ihre Lippen aufeinandertrafen.

Und er küsste sie weder zögernd noch unsicher.

Er lächelte, bevor er sich mit der Zunge seinen Weg in ihren Mund bahnte. Plötzlich schien Lauren in Flammen zu stehen.

Sie konnte ihm gar nicht nah genug kommen. Dominiks große Hände lösten sich von ihrer Taille und legten sich auf ihren Rücken, um sie noch fester zu halten. Und sie presste sich an ihn, erlaubte ihren Händen, seine breiten Schultern zu erforschen. Das köstlich stoppelige Kinn. Und dieses dichte volle Haar, das sich unter ihren Handflächen anfühlte wie Seide.

Und immer noch küsste er sie, träge und sorgfältig zugleich, bis sie merkte, dass sie willig jede dreiste Annäherung seiner Zunge parierte. Und schließlich war sie es, die auf der Suche nach dem köstlichsten aller Winkel, dort, wo der Kuss am süßesten schmeckte, den Kopf neigte.

Sie waren wie zwei perfekt zueinander passende Hälften, aus Feuer geboren.

Es fühlte sich an wie ein Rausch. Aufregend und gefährlich.

Lauren hätte daran denken müssen, dass es sich bei diesem Kuss nur um eine geschäftsmäßige Abmachung handelte, aber sie vergaß es total. Sie vergaß alles, bis auf seinen Geschmack. Bis auf seine Kraft und dieses Feuer, das in ihr und um sie herum hellauf loderte.

Und dann fühlte sie eine ganz andere Art von Verlangen in sich aufsteigen, unabweisbar und drängend. Es überschwemmte sie vom Kopf bis in die Zehenspitzen, konzentrierte sich wenig später zwischen ihren Schenkeln, genau dort, wo das Feuer am heißesten brannte, viel zu wild, um …

Erschrocken und beschämt riss sie sich von ihm los, gleichzeitig aber verspürte sie fast so etwas wie Bedauern.

Für einen Moment war da allein dieses unerträglich heiße Feuer, das immer noch zwischen ihnen emporschlug. Sein silbergrauer Blick war stahlhart. Dieser Mund war Himmel und Hölle in einem, und sie verstand nicht, wie es dazu hatte kommen können.

Sie verstand gar nichts mehr, am wenigsten sich selbst.

„Sie haben … es versprochen“, stammelte sie.

Lauren würde wahrscheinlich ihr Leben lang nicht vergessen, wie verloren und erschrocken sie klang.

„Stimmt“, sagte er.

Seine Stimme war dunkel und rau, ein Klang, bei dem sie erneut heftig erbebte.

„Sie haben es versprochen und Ihr Versprechen gleich wieder gebrochen. Es hat nicht einmal …“

Sie unterbrach sich abrupt, als er die Hand nach ihren Pferdeschwanz ausstreckte und leicht daran zupfte. Ganz sanft nur, weshalb es eigentlich keinen Grund gab, erschrocken zusammenzuzucken.

„Welches Versprechen?“, fragte Dominik weich. So weich, dass sie ihn mit gerunzelter Stirn ungläubig anstarrte.

„Es war nur von einem Kuss die Rede“, sagte sie streng.

Aber sein wissender Blick ließ sie erneut erschauern.

„Sie müssen Stopp sagen, Rotkäppchen. Ich kann mich nicht erinnern, irgendetwas in der Art gehört zu haben. Sie?“

Wieder war Lauren schachmatt.

Unfähig zu atmen, geschweige denn zu reagieren. Unfähig irgendetwas anderes zu tun, als ihn mit offenem Mund anzustarren.

Weil er natürlich recht hatte.

Im nächsten Moment sprang sie zurück, so abrupt, dass sie es vielleicht komisch gefunden hätte, wenn es nicht so ein verzweifelter Versuch gewesen wäre, Abstand zwischen sich und diesen Mann zu bringen, mit dem sie diesen Teufelspakt geschlossen hatte.

„So war es doch abgemacht, oder?“, fragte Dominik in demselben sanften Ton. Er beobachtete sie einfach nur, während sie um den Sessel herumstolperte, um ihn besser im Blick behalten zu können. „Ich hoffe nicht, dass Sie es jetzt schon bereuen.“

Lauren glaubte nicht an Märchen. Doch während sie jetzt diesen beeindruckenden Mann anstarrte, dämmerte ihr, dass sie dabei immer nur an die falsche Art Märchen gedacht hatte.

Weil es auch die schönen Märchen gab, Erzählungen von prächtigen Kleidern, niedlichen Mäusen. Märchen von Liebe und Glück bis ans Lebensende.

Aber die dunklen, unheimlichen Elemente der Märchen hatten Lauren immer viel mehr beeindruckt.

Da gab es tiefe dunkle Wälder, in denen man sich heillos verirrte. Dornenhecken, die einem hundert Jahre seines Leben raubten. Böse Hexen, verschlossene Räume, die besser verschlossen blieben, und Kinder, die von ihren Eltern in den Wald geschickt wurden.

Und es gab Männer wie Dominik, mit gefährlich glitzernden Augen, die sie daran erinnerten, dass da tief in den dunklen Wäldern Einsiedler in Holzhütten lebten, von denen ein kluges Mädchen besser die Finger lassen sollte.

Sie war so entschlossen gewesen, Matteo in dieser schweren Zeit seines Lebens beizustehen. So entschlossen, diesen unbekannten Bruder ausfindig zu machen. Um ihren Chef ein weiteres Mal daran zu erinnern, wie unersetzlich sie war.

Weil es für Lauren das Wichtigste war, gebraucht zu werden.

Doch jetzt begriff sie plötzlich, dass ihr Schicksal in dem Moment, in dem Matteo seinen Bruder Dominik erwähnt hatte, besiegelt gewesen war.

„Ich bereue nichts“, log sie und merkte, dass sich ihre Lippen wie Fremdkörper anfühlten. Und obwohl es ihr schwerfiel, diesem wissenden Blick zu begegnen, zwang sie sich dazu. „Aber jetzt müssen wir so schnell wie möglich nach England.“

Er lächelte, ohne die Lippen zu verziehen, ganz und gar Wolf. Mit Reißzähnen, die man nur ahnte.

„Selbstverständlich“, sagte er ruhig. „Ich halte Wort, Lauren. Immer. Das sollten Sie nie vergessen.“

5. KAPITEL

Mit dem SUV, den Dominik gut versteckt hinter der Blockhütte geparkt hatte, kamen sie im Handumdrehen auf einem verborgenen Waldweg zurück zu Laurens Gasthaus. Nachdem Lauren schnell ihre Sachen geholt hatte, fuhren sie gemeinsam weiter zum nächstgelegenen Flugplatz, wo ein Firmenjet von Combe Industries bereits auf sie wartete.

Sobald sie den Wald hinter sich gelassen hatten, erschien Lauren alles, was sich dort abgespielt hatte, wie der Gipfel der Torheit.

Sie war doch ein rationaler Mensch. Nicht entflammbar. Ihre Verwirrung entsprang lediglich der unglücklichen Verbindung aus einem Fußmarsch auf High Heels und einem Mann, der Küsse als Zahlungsmittel betrachtete.

Wie seltsam, dass sie sich darauf eingelassen hatte!

Als sie im Flugzeug saßen, war alles wieder im Lot. Hier war Lauren zu Hause, hier kannte sie sich aus. Hier war sie in ihrem Element. Sie richtete sich auf ihrem angestammten Platz häuslich ein, checkte ihre E-Mails und informierte Matteo Combe pflichtbewusst, dass sie seinen Bruder nicht nur gefunden, sondern jetzt auch mit an Bord hatte.

Erstaunlich, dass sie sich allein dadurch, dass sie ein paar ganz normale Aufgaben ausführte, auch selbst wieder ganz normal fühlte.

Sie vertiefte sich in ihre Arbeit. Es war eine wunderbare Erleichterung, so tun zu können, als ob sie nicht wüsste, wer die Fremde war, die da in hemmungsloser Verzückung einen unbekannten Mann geküsst hatte. Je weiter sie sich von diesen Wäldern entfernte, desto mehr entfernte sie sich von diesen bizarren Empfindungen.

Märchen, um Himmels willen. Was hatte sie sich dabei bloß gedacht?

Lauren schwor, sich nie wieder auf so einen Unsinn einzulassen, obwohl es in diesem Fall ja offenbar unausweichlich gewesen war.

Aber egal, wie sehr sie auch versuchte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, schob sich doch Dominiks Anwesenheit immer wieder in den Vordergrund. Seine nachdenklichen Blicke, die jede ihrer Bewegungen verfolgten.

Und plötzlich war da wieder diese unbegreifliche Hitze, die seine Blicke jederzeit in ihr entfachen konnten …

Märchenunsinn, rief sie sich zur Ordnung.

Das hatte man davon, wenn man durch die wilde Natur marschierte. Zu viel frische Luft bekam ihr offensichtlich überhaupt nicht.

Bei ihrer Ankunft in London war Lauren fast wieder die Alte. Ruhig. Kompetent. Kontrolliert. Und froh, endlich wieder in ihrer Welt aus Beton, Stahl und Asphalt zu sein, der Welt, die ihr vertraut war. Der Welt, die ihr lieber war als jede andere.

„Die grünen Hügel Englands sind zu einer Ansammlung schmuddeliger grauer Häuserreihen mutiert“, bemerkte Dominik, der neben ihr auf dem Rücksitz des Wagens saß, der sie am Flughafen abgeholt hatte. „Eine herbe Enttäuschung.“

Lauren sagte sich, dass er nicht mehr als ein Geschäftspartner war, mit dem sie im Auto saß. „Tja, das liegt wahrscheinlich am vielen Regen“, bemerkte sie und lachte sogar.

Eigentlich hatte sie sich nicht von ihrer Arbeit ablenken lassen wollen, aber sobald Dominik sich ihr zuwandte, spielte jede Zelle in ihrem System verrückt. Plötzlich konnte sie unmöglich übersehen, dass er mit seinem großen Körper weit mehr als den ihm zustehenden Platz einnahm. Er hatte wirklich auffallend lange Beine, und seine Stiefel faszinierten sie. Sie wirkten so praktisch. So aufregend männlich.

Und an den Rest durfte sie gar nicht denken. Diese muskulösen geschmeidigen Gliedmaßen. Die gebändigte Kraft, die in ihm schlummerte.

Er saß nicht da wie ein San Giacomo. Auch wenn er vielleicht wie einer aussah, dieser Mann war weit unzivilisierter! Aber dafür auch viel natürlicher. Und viel gefährlicher.

„Was passiert jetzt?“, fragte Dominik hörbar desinteressiert. Für ihn war das alles offenbar nur ein Spiel.

Das er mit ihr spielte.

Dieser Gedanke war verstörend, und ihr Entschluss, jede Emotion zu unterdrücken, machte es nicht besser. Verzweifelt versuchte Lauren gegenzusteuern, indem sie ihn streng ansah.

„Was glauben Sie denn, was passiert?“

„Offensichtlich haben Sie vor, mich unbeschadet bei meiner mich liebenden Familie abzuliefern.“ Sein Lächeln war schneidend. „Wird man auch ein Kalb schlachten zur Feier des Tages?“

„Ich bringe Sie jetzt erst einmal in den Hauptsitz von Combe Industries“, gab sie betont sachlich zurück. Was nicht einfach war, weil sie sich fast die ganze Zeit nur auf seinen süffisant verzogenen Mund konzentrieren konnte. „Dort erhalte ich die nächsten Anweisungen von Mr. Combe.“

„Anweisungen“, knurrte Dominik. „Man darf gespannt sein.“

Lauren umklammerte ihr Smartphone so fest, dass ihr die Kanten in die Handfläche schnitten.

„Mr. Combe befindet sich derzeit außer Landes“, sagte sie. „Momentan weilt er in Perth, Australien. Er macht eine Rundreise, um jede einzelne Niederlassung von Combe Industries persönlich zu besuchen.“

Eigentlich hatte Lauren erwartet, dass Matteo Combe sofort in den Flieger springen würde, sobald er erfuhr, dass sie seinen Bruder gefunden hatte. Aber das erwähnte sie lieber nicht. Da ihr Chef offensichtlich gar nicht daran dachte, etwas Derartiges zu tun.

Das frustrierend zu finden, fühlte sich illoyal an, und doch war es so.

„Der große Meister weilt nicht in England?“, spottete Dominik. „Aber woher wissen wir dann, was wir tun sollen, wenn er nicht hier ist, um seine Wünsche kundzutun?“

„Er ist sehr gut in der Lage, seine Wünsche jederzeit zu übermitteln“, versicherte sie. „Genau gesagt ist es meine Aufgabe dafür zu sorgen, dass er es kann, und Sie werden bald ganz genau wissen, was er von Ihnen erwartet.“

Das war so ungefähr das Falscheste, was sie hätte sagen können. Dominik schaute sie aus silbergrau glitzernden Augen an.

„Unter uns gesagt, meine Liebe, ich halte nichts von Erwartungen, die man an mich stellt.“ Seine Stimme war viel zu tief, um beruhigend zu wirken. Zu intim. Ganz zu schweigen von dem zweideutigen Unterton, der darin mitschwang. „Ich ziehe es vor, meinen eigenen Weg zu gehen.“

„In der Familie San Giacomo kann niemand seinen eigenen Weg gehen“, belehrte sie ihn inbrünstiger als beabsichtigt. Als er die Brauen hob, versuchte sie, ein möglichst teilnahmsloses Gesicht zu machen. „Die San Giacomos gibt es seit Jahrhunderten. In der Republik Venedig waren sie eine glanzvolle Wirtschaftsmacht. Und selbst wenn die wirtschaftliche Kraft im Lauf der Zeit etwas verblasst sein mag, kann man das von ihrem gesellschaftlichen Einfluss gewiss nicht behaupten.“

„Das klingt ja fabelhaft“, murmelte Dominik. „Und ganz bestimmt haben sie das alles geschafft, ohne dass auch nur ein einziger Tropfen Blut an ihren Händen klebt.“

„Natürlich weiß ich nicht, was die Familie Giacomo im achtzehnten Jahrhundert getan hat. Aber Sie werden bald feststellen, dass Matteo Combe ein guter und bescheidender Mann ist.“

„Und Sie sind seine glühendste Verteidigerin“, sagte Dominik, und jetzt war sein Ton nicht mehr ganz so träge. „Offenbar bezahlt er Sie wirklich gut.“

„Egal, ob Sie an Sie gestellte Erwartungen mögen oder nicht, werden Sie diesen doch nicht entgehen können, fürchte ich.“

„Tatsächlich?“ In seiner Stimme schwang dunkle Belustigung mit.

„Im Moment stehen die San Giacomos mehr im Fokus der Öffentlichkeit als normalerweise“, erklärte Lauren.

„Mir scheint, dass sich dieser Fokus derzeit eher auf die Combes richtet“, erinnerte Dominik. „Weniger venezianische Ränke und mehr Yorkshire-Rabaukentum, wenn ich mich nicht irre.“

Lauren seufzte. „Sie spielen auf den Vorfall während des Begräbnisses an. Warum warten wir nicht mit diesem Streit bis …“

Dominik lachte. „Ist das ein Streit? Warum so dünnhäutig, Rotkäppchen? Ich würde es ein freundliches Geplänkel nennen.“

„… bis wir in der Firma sind und Mr. Combe über Video dazuschalten können. Er wird Ihnen alle Ihre Fragen beantworten.“

„Ganz wundervoll“, sagte Dominik. „Und jetzt möchte ich einen Kuss.“

Lauren erstarrte. Sie hatte sich schon halbwegs davon überzeugt, dass dieser vermeintliche Pakt, den sie geschlossen hatten, eine Art Halluzination gewesen war. Ein von den ungarischen Wäldern induzierter Albtraum, ausgelöst durch den Höhenunterschied und zu viel urwüchsige Natur. Sie war sich ganz sicher gewesen.

Lügnerin, flüsterte eine Stimme in ihrem Hinterkopf.

„Das kann nicht Ihr Ernst sein. Nicht hier.“

„Sagen Sie das jetzt jedes Mal?“ Dominiks Stimme war weich, aber sein Gesichtsausdruck war intensiv. Angespannt. „Wann, wo und wie ich es will. Kommen Sie, Lauren. Sie sind doch eine Frau, die Ihr Wort hält, oder?“

Aber hier war alles noch viel schlimmer. Auf dem Rücksitz eines Geschäftswagens. Hier in London, wo sie sich stets so viel auf ihre Professionalität zugutegehalten hatte. Auf ihre Tüchtigkeit und Effizienz. Wo sie sich ein Leben aufgebaut hatte, das nur aus Bedürfnissen bestand, die auch tatsächlich erfüllt werden konnten.

Ihr war immer noch schleierhaft, wer die Unbekannte war, die diesen Mann so enthemmt und hungrig geküsst hatte. Aber dass dieses Märchen jetzt in ihr reales Leben eingedrungen war, war ein Schock.

Dominik schüttelte betrübt den Kopf. „Tun Sie nicht so, Lauren. Sie haben unserem Pakt doch zugestimmt.“ Seine Augen glitzerten. „Man könnte fast auf die Idee kommen, dass Sie am Ende beim Küssen doch irgendwelche Gefühle entwickeln.“

Jetzt packte sie nacktes Entsetzen, das sie zum Handeln trieb. Dabei hielt sie sich nicht damit auf, sich zu fragen, warum sie so entschlossen war, diesen Mann keinesfalls wissen zu lassen, dass sein Kuss der einzige war, bei dem sie jemals etwas empfunden hatte.

Das durfte er nie erfahren.

Sie wollte es ja nicht einmal vor sich selbst zugeben.

Wortlos warf sie sich quer über den Rücksitz, wild entschlossen, ihre Zusage vollumfänglich einzuhalten. Dominik sollte nicht wissen, wie nah er der Wahrheit gekommen war. Und sie selbst wollte es auch lieber nicht wissen!

Dominik zog sie mit seinen kräftigen Händen auf seinen Schoß, was sich jedoch als wenig hilfreich erwies.

Da waren nicht nur die aufreizenden Muskeln seiner Schenkel, sondern auch diese steinharte Erhebung dazwischen. Und Lauren fühlte sich weich und töricht und schmolz unaufhaltsam dahin.

Da saß sie nun wieder auf ihm, gefangen in seinem silbernen Blick, und spürte seine starken Hände auf ihrer Taille.

„Ich weiß, dass Sie wissen, wie man das macht, Rotkäppchen“, sagte er mit sanftem Spott. „Oder spielen Sie Spielchen mit mir?“

„Ich spiele nicht“, widersprach sie in der vagen Hoffnung, diese unmögliche Situation vielleicht doch noch zu ihren Gunsten zu wenden. Oder wenigstens nicht darin unterzugehen.

„Angeblich tun Sie sehr vieles nicht“, murmelte Dominik. „Bis Sie es dann doch tun.“

Er sollte endlich aufhören zu reden, damit sie das hinter sich bringen konnte. Und zwar schnell. Zum Auftakt legte Lauren eine Hand auf seine Wange.

Es funktionierte! Er hörte auf zu reden.

Und Lauren hörte auf zu denken …

Sie war bezaubert, hingerissen von seiner Kinnpartie. Kostete es aus, die Bartstoppeln unter ihren Handflächen zu spüren.

Plötzlich schien ein Feuer in ihr zum Leben zu erwachen, das sinnliche Hitzeströme bis in die entlegensten Regionen ihres Körpers schickte.

Lauren studierte Dominiks hohe Wangenknochen, den schön geschwungenen Mund. Sie spürte, wie sie bei seinem Anblick heftig erschauerte, so tief im Innern, dass auch hier wieder etwas zum Leben erwachte, von dessen Existenz sie nicht einmal etwas geahnt hatte.

Sie verspürte den verrückten Drang, sich an Dominik zu reiben.

Stattdessen küsste sie ihn.

Sie hatte ihm eigentlich nur ganz schnell einen Kuss geben und sich sofort wieder zurückziehen wollen. Doch das war vergessen, sobald sie ihn schmeckte. Sein Mund war Verlockung und Sünde zugleich, und ihr schwindelte vor Aufregung. Von seinem Geschmack, seiner Hitze.

Von ihm.

Deshalb vertiefte sie jetzt den Kuss, indem sie ihren Kopf neigte, wie sie es von ihm gelernt hatte.

Und für einen Moment gab es nichts außer dem Spiel ihrer Zungen. Ihren Atemzügen, die sich hier in dem beengten Raum auf dem Rücksitz eines Autos vermischten, das durch die Straßen Londons fuhr.

Da war nichts außer diesem flirrenden Etwas, das zwischen ihnen emporschoss und sie beide umkreiste. Und Lauren, die bis ins Mark erbebte, während eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf sie warnte, dass sie nach diesem Kuss nie wieder dieselbe sein würde.

Es wurde ein sehr langer Kuss, aber schließlich beendete sie ihn.

Ihr fehlten die Worte, um Dominiks Gesichtsausdruck zu beschreiben, als er die Hand ausstreckte und ihren Mund nachzeichnete.

„Braves Mädchen“, sagte er dann in seinem üblichen spöttischen Ton. „Gut zu wissen, dass Sie auch weiterhin bereit sind, unsere Abmachung einzuhalten, obwohl Sie bereits bekommen haben, was Sie wollten.“

„Ich halte mich grundsätzlich an Abmachungen, Mr. James“, gab sie spitz zurück, während sie sich mühsam daran zu erinnern versuchte, mit wem sie es zu tun hatte.

Und erst da wurde ihr bewusst, dass sie immer noch auf seinem Schoß saß, wo sich seine harte Erektion so unerträglich intim an sie presste.

Sie rutschte von ihm herunter, unterschwellig enttäuscht, dass er es zuließ. Dann musterte er sie, als könnte er bis auf den Grund ihrer Seele schauen.

Und genau das war das Problem. Sie glaubte wirklich, dass er das konnte.

Was völlig inakzeptabel war.

„Beschäftigen Sie sich lieber damit, dass Sie bald zum ersten Mal Ihre Familie kennenlernen“, belehrte sie ihn. „Das kann Sie doch nicht kaltlassen.“

„Es lässt mich sogar völlig kalt.“

„Hören Sie, ich verstehe ja, dass Sie …“

„Sie verstehen gar nichts.“ In seiner Stimme schwang ein stählerner Unterton mit. „Ich bin in einem Waisenhaus aufgewachsen, weil meine Eltern mich nicht wollten, und ich sehe keinerlei Grund, jetzt plötzlich sentimental zu werden.“

Lauren war schockiert darüber, dass es einen Teil in ihr gab, der wieder die Hand nach ihm ausstrecken wollte. Diesmal einfach nur, um ihn zu berühren. Das war noch etwas, das keinen Sinn ergab.

„Ich bin mir sicher, dass Mr. Combe alles in seiner Macht Stehende tun wird, um diesen Übergang für Sie so leicht wie möglich zu gestalten.“

„Sie sind sich bei allem, was Ihren Mr. Combe betrifft, erstaunlich sicher. Und bei allem, was er denkt.“

„Ich arbeite schon sehr lange für ihn.“

„Und mit so viel Hingabe. Aber womit genau hat er sich Ihre ewig währende Ergebenheit eigentlich verdient?“

Sie streckte die Zehen in ihren Schuhen und schwieg.

„Ich verstehe“, sagte Dominik, und jetzt schwang in seiner Stimme eine andere Art Dunkelheit mit. „Sie sind also in Ihren Chef verliebt, obwohl Sie sexuell vollkommen desinteressiert sind, wie Sie mir bereits so überzeugend demonstriert haben. Fragt sich nur, wie das zusammenpasst.“

„Ich bin nicht in …“ Sie war so geschockt, dass sie den Satz nicht beenden konnte. „Und ich würde nie …“ Ihr war plötzlich so heiß, dass sie gern ihr Fenster geöffnet hätte, aber sie war wie erstarrt. Ihr Körper weigerte sich, die Befehle ihres Gehirns auszuführen. „Matteo Combe ist ein großartiger Mensch. Es macht mir Freude, für ihn zu arbeiten, das ist alles.“

Sie hätte nie behauptet, in ihn verliebt zu sein. Und schon gar nicht hätte sie in sexuellen Kategorien an ihn gedacht. Das wäre ihr wie ein Sakrileg erschienen.

Alles, was sie wollte – alles, was sie jemals gewollt hatte – war, von ihm als Mensch wahrgenommen zu werden. Auch als Frau natürlich. Zumindest als ein Wesen, das mehr war als sein sprechender Terminkalender.

„Und dieser großartige Mensch bringt es nicht über sich, den Bruder, der ihm angeblich so am Herzen liegt, persönlich zu begrüßen? Vielleicht kennen Sie den Mann, dem Sie so loyal ergeben sind, ja doch nicht so gut, wie Sie glauben.“

„Ich kenne ihn so gut, wie ich ihn kennen muss.“

„Aber er hat noch nie von Ihnen gekostet, richtig?“, sagte Dominik mit all seiner dunklen Rücksichtslosigkeit. Das trieb ihr fast die Tränen in die Augen, während sie eine tiefe Ratlosigkeit in sich aufsteigen spürte. „Hat er?“

Lauren konnte kaum atmen. Ihre Wangen waren so heiß, dass sich daran wahrscheinlich die ganze Londoner City entzünden könnte.

„Keine Antwort ist auch eine Antwort, Rotkäppchen“, brummte Dominik zufrieden, dessen Miene sich sofort wieder aufgehellt hatte.

Wie gut, dass in diesem Moment das Auto vor dem Firmensitz von Combe Industries anhielt! So blieb Lauren zumindest dieses Mal eine Erwiderung erspart …

6. KAPITEL

Die Familienähnlichkeit war unverkennbar. Der Mann auf dem Bildschirm hatte dieselbe entschlossene Kinnpartie wie Dominik, dieselben grauen Augen. Nur dass er sein Haar viel kürzer trug und alles an ihm Reichtum und Arroganz atmete. Die Luxusarmbanduhr an seinem Handgelenk. Der maßgeschneiderte Anzug. Die ganze Art, wie er sich in dieser Videokonferenz präsentierte. Unübersehbar ein Mann, der ohne die Unterstützung seines geschulten Personals nicht einmal zwinkerte.

Es war Dominiks erste Begegnung mit einem Blutsverwandten. Vorausgesetzt, man betrachtete einen Bildschirm als einen Ort der Begegnung …

Sie starrten einander eine halbe Ewigkeit an.

Dominik stand in Laurens großem, modern eingerichteten Büro, das zeigte, wie wichtig die Position war, die sie in dem Unternehmen bekleidete. Und das keinen Zweifel daran ließ, dass sie wie ein Zerberus darüber wachte, wer Zutritt zu dem noch aufwendiger ausgestatteten Raum dahinter bekam.

Niemand brauchte Dominik zu erklären, dass das Matteo Combes Büro war.

Matteo Combe, sein Halbbruder. Der das Glück gehabt hatte, sein Leben lang alle Vorteile ihrer gemeinsamen Herkunft genießen zu können. Während Dominik nur die Nachteile geblieben waren.

Matteo Combe, der Mann, dem Lauren loyal ergeben war.

Dominik entschied, dass er ihn ablehnte. Aus tiefstem Herzen.

„Ich hätte dich überall erkannt“, sagte Matteo, nachdem sie einander lange gemustert hatten.

Dominik wollte nicht zugeben, dass er die verblüffende Ähnlichkeit ebenfalls sah. „Bruderherz“, sagte er stattdessen spöttisch. „Es ist mir ein Vergnügen, dir … fast begegnen zu dürfen.“

Nachdem sie ein paar Floskeln ausgetauscht hatten, beendete Lauren die Wiedervereinigung und bat Dominik, kurz draußen in der eleganten Besucherzone zu warten.

Dominik verfiel ins Grübeln. Plötzlich war er Teil einer wirklichen Familie. Warum hatte ihn das bis jetzt so wenig beeindruckt?.

Die Antwort lag auf der Hand. Weil er nur noch Lauren im Kopf hatte.

Als er vor Jahren nach seinen Eltern gesucht hatte, hatte er rasch entdeckt, dass der junge Mann, der die Unverfrorenheit besessen hatte, eine Erbin so weit über seinem eigenen sozialen Stand zu schwängern, mit kaum zwanzig bei einem Unfall auf einer Offshore-Bohrinsel ums Leben gekommen war. Dort hatte er sich seinen Lebensunterhalt verdient, weil er nach Aufdeckung seiner Liebelei mit Alexandrina gezwungen gewesen war, sein Studium abzubrechen.

Und nachdem Dominik alle Combes und San Giacomos überraschend mühelos gefunden hatte – ein Weg, den diese umgekehrt natürlich ebenso hätten beschreiten können – hatte er alles Wissen über seine Herkunft aus seinem Gedächtnis gelöscht.

Er brauchte die berühmten Familien nicht, die ihn aus der Gosse hätten ziehen können, es aber nicht getan hatten. Und so war er völlig zufrieden gewesen, sich eigene Maßstäbe zu setzen und sich daran zu messen.

Allerdings war er nicht darauf vorbereitet gewesen, einem anderen Mann ins Gesicht zu sehen und darin sein eigenes zu erkennen.

Das war beunruhigend, gelinde ausgedrückt.

„Haben Sie mit Ihrem Chef auch experimentiert?“, fragte er, als Lauren sich wieder zu ihm gesellte. Er weigerte sich, den Mann, den er gerade am Bildschirm kennengelernt hatte, Mr. Combe oder gar Matteo zu nennen.

Lauren runzelte die Stirn. Dominik fläzte sich in seinen Sessel und sah sie so lange eindringlich an, bis sie zwinkerte. Verständnislos, wie es schien.

„Das hatten wir doch bereits geklärt“, erwiderte sie ungnädig.

„Also war er keins Ihrer Kussexperimente?“

Jetzt errötete sie zu seiner größten Freude leicht, und er kam nicht umhin sich zu fragen, was er tun könnte, damit sich diese Röte noch weiter vertiefte.

„Ganz bestimmt nicht“, sagte sie in eisigem Ton. Aber Dominik hatte von ihr gekostet. „Ich bewundere ihn, wie bereits gesagt“, fuhr sie fort. „Und ich genieße es, mit ihm zusammenzuarbeiten, aber ich habe ihn nie geküsst …“ Sie unterbrach sich, straffte die Schultern. „Im Übrigen haben wir beide weit ernstere Dinge zu bereden, Mr. James.“

„Wieso? In meinen Augen ist Küssen eine sehr ernste Sache. Spricht etwas dagegen, wenn ich es Ihnen demonstriere?“

Jetzt breitete sich die Röte auf ihren Wangen aus, und er fragte sich, wo sie wohl enden mochte. Ob sie sich bis über ihre Brüste erstreckte und welche Farbe ihre Spitzen hatten. Ob die zarte Röte bis zu ihren Hüften reichte, oder gar bis zu ihren Schenkeln. Und bis zu all den Köstlichkeiten dazwischen. Er wollte sie aus dieser Seidenbluse schälen und mit ihr in schönster Ausführlichkeit seine eigenen Experimente durchführen.

„Mr. Combe möchte, dass wir nach Combe Manor fahren. Das ist das Familienanwesen in Yorkshire. Er weiß natürlich, dass Sie kein Combe sind. Aber er hofft, dass es so geräuschloser über die Bühne geht, als wenn wir Sie zum jetzigen Zeitpunkt direkt auf eins der San Giacomo-Anwesen in Italien bringen.“

Soweit Dominik es verstand, war „zum jetzigen Zeitpunkt“ das Entscheidende in Laurens kleiner Ansprache. Das und die Art, wie sie es sagte, immer noch mit fest durchgedrücktem Kreuz und gestrafften Schultern auf der Schwelle zu ihrem Büro, in viel zu nervösem Ton. Noch während er sie musterte, sah er, dass sie noch nervöser wurde – und dass sie versuchte, es zu kaschieren.

Eine Beobachtung, die ihm fast ein süffisantes Grinsen entlockte.

„Ich frage mich, wer mir so große Aufmerksamkeit schenken sollte“, sagte er nach einem Moment. „Kein Mensch hat mich je mit einem Mitglied der Familie San Giacomo in Verbindung gebracht. Ich wüsste nicht, warum sich das jetzt plötzlich ändern sollte.“

„Es wird sich in dem Moment ändern, in dem man Sie auch nur in der Nähe eines San Giacomo-Domizils ortet, weil man dann die verblüffende Ähnlichkeit entdecken wird.“

Er neigte leicht den Kopf. „Ich bin geübt darin, ein Leben fernab von neugierigen Blicken zu verbringen, Rotkäppchen. Sie haben es vielleicht schon bemerkt.“

Autor

Caitlin Crews
<p>Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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