Julia Extra Band 502

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LIEBE ODER FALSCHES SPIEL? von MICHELLE SMART
Milliardär Damián Delgado braucht eine Freundin zum Schein, um seine intrigante Familie ein Wochenende lang zu überlisten! Die junge Schauspielerin Mia ist perfekt für diese pikante Rolle. Doch die erotische Anziehungskraft zwischen ihnen ist alles andere als gespielt!

IN DER OASE DER HEIMLICHEN TRÄUME von SHARON KENDRICK
Vier Jahre hat Caitlin ihr Geheimnis bewahrt, niemandem verraten, wer der Vater ihres Sohnes ist! Doch nun hat Scheich Kadir herausgefunden, dass ihre Nacht voller Lust süße Folgen hatte. Der Wüstenherrscher stellt ihr ein verlockend-gefährliches Ultimatum …

DAS GEHEIMNIS DER SCHÖNEN NANNY von SUSAN MEIER
Es ist ein Traumjob: Marnie wird Nanny bei dem Söhnchen des Milliardärs Danny Manelli in New York. Sich zusammen mit Danny um den Kleinen zu kümmern, fühlt sich fast wie eine Familie an. Doch Marnie weiß, dass Danny sie feuern wird, wenn er ihr dunkles Geheimnis herausfindet …

ZU DIESEM PRINZEN SAGT MAN NICHT NEIN von LYNNE GRAHAM
Der muskulöse Körper ist nass, ein winziges Handtuch um die Hüften geschlungen: Fasziniert betrachtet Izzy den aufregend attraktiven Hotelgast. Eigentlich wollte sie nur das Bad in seiner Luxussuite putzen. Aber daraus wird eine erotische Begegnung – die Izzys Leben für immer ändert!


  • Erscheinungstag 22.06.2021
  • Bandnummer 502
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500623
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Smart, Sharon Kendrick, Susan Meier, Lynne Graham

JULIA EXTRA BAND 502

MICHELLE SMART

Liebe oder falsches Spiel?

Schauspielerin Mia kann vieles vorspielen. Aber nicht die Anziehungskraft zwischen ihr und Damián Delgado! Wohin nur mit den echten Gefühlen, wenn ihr Engagement als seine Schein-Freundin endet?

SHARON KENDRICK

In der Oase der heimlichen Träume

Caitlin hat einen Sohn – seinen Thronfolger! Scheich Kadir weiß, was zu tun ist: Seine Ex-Geliebte muss ihn heiraten. Doch wie wird Caitlin auf den Vorschlag reagieren, seine Königin zu werden?

SUSAN MEIER

Das Geheimnis der schönen Nanny

Marnie ist die perfekte Nanny für seinen kleinen Sohn. Dass Danny sie selbst unwiderstehlich findet, muss er ignorieren: Sein Leben ist zu kompliziert für Liebe. Aber das Verlangen brennt lichterloh …

LYNNE GRAHAM

Zu diesem Prinzen sagt man nicht Nein

Die Nacht mit der hinreißenden Izzy in Oxford ist für Prinz Rafiq wie ein süßer, verblassender Traum. Vorbei … bis Izzy unvermittelt in seinem Wüstenreich auftaucht und ein ungeheures Geständnis macht!

1. KAPITEL

Mia Caldwell betrachtete mit skeptischem Blick das unscheinbare Gebäude der Londoner Innenstadt und überprüfte noch einmal die Adresse, die man ihr gegeben hatte. Sie hatte noch nie vom Club Giroud gehört. Und diese schlichte, schwarze und etwas schäbig wirkende Eingangstür hatte nichts mit den Clubs gemeinsam, die sie sonst besuchte. Aber die Adresse stimmte, und laut der App auf ihrem Handy befand sie sich am richtigen Ort.

Sie drückte die Klingel, griff ihre Handtasche fester, und zwang sich, nicht auf den Füßen zu wippen, während sie wartete.

Mia war gerade nach ihrem Auftritt in ihre winzige Garderobe gekommen, um sich umzuziehen, als sie gestern den Anruf erhalten hatte.

Seit einem Monat hatte Phil, ihr Agent, sich nicht bei ihr gemeldet. Daher überraschte sie die Einladung zu einem Vorsprechen umso mehr.

Merkwürdig war nur, dass das Vorsprechen schon früh am nächsten Tag stattfinden sollte, und zwar in einem Privatclub statt in einem Theater. Zudem hatte Phil vergessen, nach dem Namen der Theatergruppe zu fragen. Und nach dem Namen des Stücks. Und nach der Gage.

Es ist wirklich an der Zeit, dass ich mir einen neuen Agenten suche, dachte Mia.

Doch die letzte Aufführung des Stücks, in dem sie zurzeit spielte, war schon bald, und für die Zeit danach hatte Mia noch kein neues Engagement in Aussicht. Daher musste sie diese Einladung zum Vorsprechen in jedem Fall annehmen. Wie auch immer die Gage ausfallen mochte, es konnte kaum weniger sein, als sie im Augenblick verdiente.

Die Tür ging auf. Ein Riese von einem Mann mit schulterlangem, fettigem Haar in einem zu kurzen und zu engen schwarzen Anzug stand Mia gegenüber und sah sie ausdruckslos an.

„Ist das der Club Giroud?“, fragte Mia, nachdem der Riese keine Anstalten machte, zu sprechen.

„Und Sie sind?“

„Mia Caldwell.“

„Ausweis?“

Das war eine weitere Ungereimtheit. Nicht nur über den Ort und den Zeitpunkt des Vorsprechens hatte Mia sich gewundert, sondern auch über die Bitte, sich ausweisen zu können.

Der Riese sah sich ihren Ausweis genau an, brummte kurz, gab ihn zurück und trat einen Schritt zur Seite, um Mia mit einem knappen Folgen Sie mir einzulassen.

Sie zögerte kurz, bevor sie die Lobby betrat, die genauso schäbig und unscheinbar aussah, wie die Fassade des Hauses. Sie folgte dem Riesen zu einer Tür am anderen Ende des Raumes. Und als diese Tür geöffnet wurde …

Erstaunt weiteten sich ihre Augen. Dieser Raum war das genaue Gegenteil der schäbigen, unscheinbaren Lobby. Doch sie hatte keine Zeit, sich den reich geschmückten, gotischen Empfangssaal genauer anzusehen, denn der Riese brummte ihr zu, ihm zu folgen. Er führte sie durch eine weitere Tür in einen breiten Flur, ebenfalls im gotischen Stil. Sie stiegen eine elegante Treppe hinauf und kamen in einen weiteren Flur. Einige der Türen, an denen sie vorbeikamen, standen offen. Mia konnte einen Blick auf ein Casino erhaschen und etwas weiter den Flur hinunter auf eine Bar mit einem Konzertflügel. Schließlich blieb der Riese stehen, stieß die Tür vor sich auf, und bedeutete ihr, einzutreten.

Mia setzte gekonnt ein warmes Lächeln auf, was ihr mittlerweile so leichtfiel, wie zu atmen, und trat ein.

Dieser Raum war nur einen Bruchteil so groß wie die anderen, an denen sie vorbeigekommen waren, und enthielt nur zwei schwarze Ledersofas mit einem kleinen Tisch dazwischen. Auf einem der Sofas saß ein Mann, der sich gerade eine Papierakte durchlas. Als ihre Blicke sich trafen, schloss sich die Tür hinter Mia.

Mia spürte, wie ihr bei seinem prüfenden Blick ein Schauer den Rücken herunterlief, doch bevor sie dieses Gefühl näher einordnen konnte, stand der Mann auf und schritt auf sie zu.

„Miss Caldwell?“, fragte er und streckte ihr die Hand entgegen. „Damián Delgado. Es freut mich, Sie kennenzulernen.“

Mia gab ihm die Hand und erhielt den festesten Händedruck, den sie je erlebt hatte.

„Freut mich ebenfalls“, murmelte sie. Sie wurde nur selten nervös, aber dieser Mann hatte etwas an sich, dass sie unruhig machte.

Er sah umwerfend aus. Er war so groß wie der Riese, aber nur halb so breit. An seinem muskulösen Körper trug er ein strahlend weißes Hemd und eine dunkelblaue Hose, dazu eine silbern gestreifte Krawatte. Doch was Mia am meisten faszinierte, waren seine Augen, so dunkel wie geschmolzener Obsidian. Er hatte dichtes, schwarzes Haar, trug einen klassischen Kurzhaarschnitt, und seine markanten Gesichtszüge wurden von einer breiten, eleganten Nase, vollen Lippen und einem frisch getrimmten Kinnbart vervollständigt.

Und sein exotischer Duft war unwiderstehlich.

„Kann ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?“

Mia bat um ein Glas Wasser, da sich ihr Mund auf einmal ganz trocken anfühlte.

„Still oder mit Kohlensäure?“

„Still.“

Er ging auf eine Vitrine zu. „Bitte, setzen Sie sich.“

Bevor sie Gefahr lief, bei seinem Anblick und dem Klang seiner Stimme in Ohnmacht zu fallen, setzte Mia sich auf das Sofa gegenüber dem, auf dem er zuvor gesessen hatte. Seine Stimme war so dunkel wie seine Augen. Und dieser Akzent! Von dieser Stimme würde sie sich nur allzu gern eine Gutenachtgeschichte vorlesen lassen.

„Kommen wir gleich zur Sache“, sagte er, als er eine Flasche Wasser öffnete. „Wissen Sie, warum Sie hier sind?“

Für einen kurzen Augenblick fragte Mia sich, wovon er sprach. Dann wurde ihr klar, dass sie kurz davor gewesen war, diesen Mann anzuhimmeln. Schnell riss sie sich zusammen. „Ich bin hier, um für eine Rolle vorzusprechen …“ Sie sah ihn sich etwas genauer an. Sein makelloses Auftreten, die polierten Schuhe, die so sehr glänzten, dass sie sich darin spiegeln konnte …

Damián Delgado sah nicht aus wie ein Theaterregisseur. Und sein Name sagte ihr auch nichts. Mia las alle wichtigen Theaterzeitschriften und Blogs. Wenn er ein Regisseur war, hätte ihr sein Name schon begegnen sollen.

Ein Verdacht breitete sich in ihr aus und sie sah ihn skeptisch an. „Es tut mir leid, ich kenne den Namen der Inszenierung nicht.“

„Das liegt daran, dass es keine Inszenierung gibt.“

„Wie bitte?“

Damián stellte das Glas Wasser vor Mia auf dem Tisch ab und setzte sich ihr gegenüber. „Das Vorsprechen war nur ein Vorwand.“ Er beugte sich Mia entgegen und sah sie prüfend an. Sein Blick war intensiv. Beunruhigend. „Ich brauche eine Schauspielerin, die mich für ein Wochenende zum Wohnsitz meiner Familie in Monte Cleure begleitet.“

Mia trank in einem Zug ihr Glas halb leer. Sie war nicht in der Lage, den Blick von ihm abzuwenden, als sie versuchte, seine Worte auf sich wirken zu lassen. Sie war noch nie in Monte Cleure gewesen. Das kleine Fürstentum zwischen Spanien und Frankreich galt als eines der wohlhabendsten Länder der Welt und nur die Reichsten konnten es sich leisten, dort zu leben.

„Wenn Sie mein Angebot annehmen, zahle ich Ihnen zweihunderttausend Pfund für Ihre Bemühungen.“

Mia klappte der Mund auf. Sie war so verblüfft von diesem Angebot, dass sie einen Augenblick brauchte, um diese astronomische Summe zu erfassen. Der Betrag war das Zehnfache dessen, was sie im gesamten letzten Jahr verdient hatte. „Sie wollen mir zweihunderttausend Pfund zahlen?“

Damián nickte knapp.

„Wow.“ Sie gab ein Pfeifen von sich. „Das ist eine Menge Geld …“ Ihr Misstrauen kehrte zurück. „Was wird dafür von mir erwartet?“

„Die Details besprechen wir, wenn wir eine Übereinkunft erzielt haben, aber im Großen und Ganzen sollen Sie vorgeben, in mich verliebt zu sein.“

Mit ihren vierundzwanzig Jahren war Mia schon einiges im Leben gewöhnt, aber dieses Angebot übertraf einfach alles. Sie war sich nicht sicher, was dieser Fremde von ihr verlangte. Während sie den Rest ihres Glases leerte, versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen. Hätte Damián bei seinen Worten nicht so ernst ausgesehen, würde sie den Raum jetzt nach versteckten Kameras absuchen. Es konnte sich nur um einen Spaß handeln. „Entschuldigen Sie, aber könnten Sie das bitte wiederholen? Sie wollen mich dafür bezahlen, dass ich mich für ein Wochenende vor Ihrer Familie als Ihre Freundin ausgebe?“

„Si. Aber in meiner Welt sagen wir Partnerin oder Geliebte. Niemals Freundin.“

Das beunruhigte Mia nur umso mehr. „Geliebte …?“ Plötzlich war sie wieder ganz klar im Kopf. „Erwarten Sie von mir, dass ich mir ein Zimmer mit Ihnen teile, während wir dort sind?“

Er verzog keine Miene. „Und ein Bett. Meine Familie soll davon überzeugt sein, dass wir ein Paar sind.“

Empört sprang Mia auf. „Ich glaube, Sie verwechseln mich mit jemand anderem. Ich bin eine Schauspielerin, kein Callgirl.“

„Ich weiß genau, wer Sie sind, Miss Caldwell“, sagte Damián mit einem wissenden Lächeln. Mia lief ein Schauer über den Rücken. „Ich brauche eine Schauspielerin, kein Callgirl. Sie sollen nur in Anwesenheit anderer Ihre Liebe und Hingabe mir gegenüber zur Schau stellen. Hinter geschlossenen Türen wird unsere Beziehung rein platonisch sein.“

Ihre Handtasche eng umklammert bewegte Mia sich langsam rückwärts auf die Tür zu. „Ich werde nicht das Bett mit einem Fremden teilen, der doppelt so groß ist wie ich, und auf sein Wort vertrauen, dass alles platonisch ablaufen wird. Auf keinen Fall. Ich lasse mich nicht kaufen. Suchen Sie sich eine andere.“

Mit einem teuflischen Grinsen auf den Lippen verschränkte Damián die Finger. „Ich will keine andere, Miss Caldwell. Ich will Sie. Wissen Sie, wer ich bin?“

Mia hatte die Tür erreicht und umfasste den Türgriff. „Nein“, antwortete sie mit einem unsicheren Lächeln. „Und es ist mir auch egal. Auf Wiedersehen, Mr. Delgado.“

„Sehen Sie nach, bevor Sie die Chance Ihres Lebens verpassen. Suchen Sie im Internet nach meinem Namen. Sie werden sehen, dass mein Angebot Ihnen nicht nur finanziell weiterhelfen wird. Es wird auch ein Sprungbrett für Ihre Karriere sein.“

Der plötzliche Verdacht, es könne sich bei diesem Mann um einen wohlhabenden Sponsor von Theaterproduktionen handeln, ließ Mia ihren Griff um den Türknauf etwas lockern. Wer war dieser gut aussehende Fremde?

Damián bemerkte den neugierigen Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht. „Suchen Sie nach meinem Namen“, wiederholte er. Er hatte sich nicht all diese Mühe gemacht, die perfekte Kandidatin zu finden, nur damit sie jetzt sein Angebot einfach so ablehnte. Die Zeit wurde knapp. In weniger als drei Wochen würde er das Familienunternehmen, für das er sein Leben lang gearbeitet hatte, und das er schon längst hätte leiten sollen, verlieren und seine Reputation wäre zerstört. Wenn er das verhindern wollte, brauchte er Mias Hilfe, und er brauchte ihr Einverständnis noch heute. Er war davon ausgegangen, dass die Gage von zweihunderttausend Pfund ausreichen würde, um sie zu überzeugen.

Mia Caldwell, früher bekannt als Mia Clarke, hatte um Aufträge kämpfen müssen, seit sie vor drei Jahren die Schauspielschule verlassen hatte. Ihr Haupteinkommen verdiente sie bei einer kleinen, unbekannten Theatergruppe. Nebenbei arbeitete sie in einem Café, um finanzielle Durststrecken überbrücken zu können. Es wäre gelogen zu behaupten, sie würde sich nicht nach Engagements in größeren Theatern sehnen.

Langsam griff sie mit der Hand in die schäbigste und billigste Handtasche, die Damián je gesehen hatte. Sie holte ihr Handy hervor und sah ihn aus strahlend blauen Augen an. „Wie schreibt man Ihren Namen?“

Er buchstabierte seinen Namen, lehnte sich zurück, und sah Mia dabei zu, wie sie die Fülle an Informationen überflog, die die Suchmaschine in ihrem Handy ausgespuckt hatte. Mit dem Rücken an die Tür gelehnt überflog sie die Schlagzeilen, wobei ihr Blick immer wieder zwischen Damián und ihrem Handy hin- und herschweifte, bis sich ihre Augen vor Staunen und Bewunderung weiteten.

Damián hatte sich große Mühe bei der Suche nach der perfekten Frau für diese Rolle gegeben. Sie musste auf der Suche nach dem großen Durchbruch sein. Zudem musste sie eine wichtige Voraussetzung erfüllen. Vier Schauspielerinnen auf seiner Liste erfüllten diese Kriterien. Mias honigblonde Haare und ihre wachen, strahlend blauen Augen hatten sofort Damiáns Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Mit ihrem Aussehen würde sie perfekt in seine Welt passen. Um sich von ihrer Schauspielkunst zu überzeugen und auf ihr erstes Treffen vorbereitet zu sein, hatte er eine ihrer Vorstellungen in My Fair Lady besucht, und ihre Darbietung hatte ihn mehr als überzeugt. Sie war witzig, verletzlich, charmant und konnte singen wie ein Engel. Noch vor der Pause wusste Damián, dass er die perfekte Frau gefunden hatte.

Er hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass sie im realen Leben noch bezaubernder sein würde, als auf der Bühne. Die Fotos in ihrem Portfolio wurden ihr nicht gerecht. Sie hatte ein klassisches ovales Gesicht mit wunderschönen mandelförmigen Augen, einer geraden Nase und einen anziehenden Mund mit vollen Lippen. Mit ihrer geschmeidigen Figur, die gegenwärtig unter einem locker fallenden knielangen Hemdkleid versteckt war, hätte sie ohne Weiteres auf einem Laufsteg auftreten können – wenn sie ein paar Zentimeter größer gewesen wäre.

Als Damián ihr nun gegenüberstand, bestätigte sich sein Eindruck ihrer Intelligenz, den er hinter ihren Fotos vermutet hatte.

In seiner Welt gab es Menschen, die zwar wohlhabend und gut aussehend waren, denen es aber dafür an Gehirnzellen mangelte. Mia war mit gutem Aussehen und Intelligenz gesegnet, doch es fehlte ihr an Geld. Genau danach hatte er gesucht. Für den Job, den er für sie in Aussicht hatte, brauchte er mehr als ein hübsches Accessoire an seinem Arm.

„Habe ich Ihre Aufmerksamkeit?“, fragte er, nachdem sie einige Minuten in ihr Handy versunken gewesen war.

Als sie mit ihren strahlend blauen Augen von ihrem Telefon aufsah, wirkte ihr Blick etwas verträumt. Sie blinzelte und nickte.

Natürlich hatte er ihre Aufmerksamkeit, jetzt, da sie wusste, wie wohlhabend und einflussreich er war. Zweifellos stellte sich diese clevere, wenn auch misstrauische, junge Dame bereits vor, wie ein Foto an seinem Arm ihre Karriere vorantreiben würde.

„Gut. Dann setzen Sie sich und lassen Sie uns weiterreden.“

Das Handy immer noch fest in ihrer Hand setzte Mia sich wieder.

Als Damián sich sicher war, dass er ihre ganze Aufmerksamkeit hatte, lehnte er sich entspannt zurück. „Hören Sie gut zu. Übernächstes Wochenende veranstaltet Celeste – meine Mutter – ihr alljährliches Sommerfest. Hunderte der reichsten und einflussreichsten Persönlichkeiten aus der ganzen Welt nehmen daran teil, und meine Familie kommt das ganze Wochenende zu Besuch. Wir beide werden am Freitag zusammen dort eintreffen. Am Sonntag reisen wir ab und können wieder getrennte Wege gehen. Bis dahin werden wir ein paarmal in der Öffentlichkeit miteinander ausgehen, Sie müssen mir die gesamte nächste Woche zur Verfügung stehen. Das gibt uns genug Zeit, zusammen gesehen zu werden und uns ausreichend kennenzulernen, um als Paar überzeugend zu wirken. Und ich habe die Gelegenheit, Sie über alles aufzuklären, was ich von Ihnen erwarte.“

„Was erwarten Sie noch von mir, außer dass ich so tun soll, als sei ich unsterblich in Sie verliebt?“

„Das verrate ich Ihnen, wenn wir zu einer Übereinkunft gelangen.“

Mias Augen verengten sich vor erneutem Misstrauen. „Soll ich irgendetwas Illegales tun?“

Und jetzt kamen sie auf die wichtigste Voraussetzung zu sprechen, die die Schauspielerin erfüllen musste, damit Damián sie für diese Rolle in Betracht ziehen konnte.

„Sie müssen nichts Illegales tun, aber der Job erfordert ein gewisses Maß an Skrupellosigkeit. Und Ihr Vorstrafenregister beweist, dass Sie diese Voraussetzung erfüllen.“

Mia wurde schlagartig blass.

„Woher wissen Sie davon?“, krächzte sie erschrocken.

„Von Ihrer Vorstrafe?“

Sie nickte kaum wahrnehmbar.

„Ich habe die nötigen Mittel, um alles herausfinden, was ich wissen muss.“

Mias Augen wurden weit. Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, aber es kam kein Ton heraus.

„Ihr Geheimnis ist bei mir sicher, Miss Caldwell“, versicherte er ihr. Damián kümmerte ihre Vergangenheit nicht, für ihn war nur wichtig zu wissen, dass sie zu einer gewissen Skrupellosigkeit fähig war.

Mia antwortete nicht. Sie saß einfach da und sah ihn an, als hätte sie plötzlich ein Gespenst gesehen.

Damián begann aufzuzählen, was sie alles zu gewinnen hatte, wenn sie die Rolle annahm. „Celestes Sommerfest ist ein Event der High Society. Die Presse wird dort sein. Wenn Sie an meinem Arm fotografiert werden, wird das Ihrer Karriere zweifellos den nötigen Aufschwung verschaffen. Die Bezahlung, die ich Ihnen anbiete, ist mehr als jeder Betrag, den die Presse Ihnen zahlen würde, um an Informationen über mich heranzukommen. Aber Sie werden sicher verstehen, dass ich eine Vertraulichkeitsvereinbarung für Sie zur Unterschrift vorbereiten lassen habe. Mein Unternehmen ist auf Verschwiegenheit angewiesen. Unsere Diskretion ist das, was uns von anderen Finanzinstitutionen abhebt. Im Laufe unserer Zusammenarbeit werden Ihnen Informationen anvertraut werden, für die Ihnen die Presse ein Vermögen zahlen würde.“

Mia gab immer noch keine Antwort. Damián hatte sie nicht einmal blinzeln sehen, seit er ihre Vorstrafe erwähnt hatte. Irritiert tippte er mit dem Finger auf den Tisch. Die Zeit drängte. „Jetzt liegen alle Karten auf dem Tisch. Sind Sie dabei oder nicht? Ich befürchte, ich benötige sofort eine Antwort. Wenn die Antwort Nein lautet, dann gehen Sie und die Sache ist erledigt. Noch habe ich Ihnen keine vertraulichen Informationen mitgeteilt und ich will Sie nicht wegen einer Kleinigkeit ruinieren.“

Diese letzten Worte von Damián rissen Mia aus ihren Gedanken. Alles, was seit der Erwähnung ihrer Vorstrafe gesagt worden war, hatte sie kaum wahrgenommen. Sein Mund hatte sich bewegt, aber sie hörte nur ein Rauschen in den Ohren.

Mia drehte sich der Magen um, ihre Gedanken rasten, und vor ihrem geistigen Auge sah sie die möglichen Auswirkungen, sollte die Wahrheit ans Licht kommen.

Ich will Sie nicht wegen einer Kleinigkeit ruinieren Das war eine unmissverständliche Drohung.

Mia würde sich am liebsten die Ohren zuhalten und die Augen zukneifen, um aus diesem schrecklichen Albtraum aufzuwachen, in den sie hier hineingeraten war.

Keine Panik. Bleib ruhig. Keine Panik.

Keine Panik? Sie durfte auf keinen Fall zulassen, dass die Vergangenheit heraufbeschworen wurde und aufs Neue die einzigen zwei Menschen, die ihr etwas bedeuteten, in Gefahr brachte.

Sie hätte ihrem Instinkt vertrauen und gehen sollen, als sie noch die Chance dazu gehabt hatte. Stattdessen hatte sie nach Damiáns Namen gesucht, und was sie gefunden hatte, war überwältigend. Dieser Mann ließ sogar Krösus arm aussehen. Ihre Neugier darüber, warum jemand wie Damián Delgado ihr so eine riesige Menge Geld dafür zahlen wollte, dass sie seine Geliebte spielte, hatte sie dazu bewegt, sich wieder zu setzen und abzuwarten, was er zu sagen hatte. Diese verfluchte Neugier.

Sie hatte vorgehabt, sich sein Angebot anzuhören, und dann höflich abzulehnen und zu gehen.

Doch nun hatte Mia ihre Chance verpasst, sein Angebot abzulehnen. Kaum zu glauben, dass sie vorhin beim Anblick dieses gut aussehenden Fremden fast in Ohnmacht gefallen war …

„Wann brauchen Sie eine Antwort?“, fragte sie in der Hoffnung, sich etwas Zeit zu verschaffen.

„Ich brauche jetzt eine Antwort, Miss Caldwell. Der Vertrag und die Vertraulichkeitsvereinbarung liegen bereit und können sofort unterzeichnet werden. Entweder unterschreiben Sie oder Sie können gehen. Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Wählen Sie eine bessere Zukunft, oder wollen Sie in der Bedeutungslosigkeit versinken?“

Er sah sie aus seinen tiefschwarzen Augen an und hielt sie mit seinem Blick gefangen, sein markantes Gesicht eine starr kontrollierte Maske.

Wie konnte er nur so gefühlskalt sein, während er eine solche Drohung aussprach?

Vor dreißig Minuten hatte sie noch nicht einmal gewusst, dass es einen Damián Delgado gab. Er musste einige Hebel in Bewegung gesetzt haben, um von ihrer Vorstrafe zu erfahren. Sie war während des Gerichtsverfahrens noch minderjährig gewesen und ihr Name hatte nicht öffentlich genannt werden dürfen.

Damián sah auf seine Armbanduhr und dann wieder zurück zu Mia. „Die Zeit läuft, Miss Caldwell. Geben Sie mir Ihre Antwort, oder …“

„Okay, okay, ich unterschreibe“, antwortete sie nervös vor Angst. Wenn die einzige Möglichkeit ihn zum Schweigen zu bewegen, darin bestand, sein Angebot anzunehmen, dann würde sie das tun. Und dann konnte sie nur noch beten, dass die Presse nicht auf sie und ihre Vergangenheit aufmerksam wurde. Sie wollte sich die möglichen Auswirkungen nicht ausmalen.

2. KAPITEL

Mia trug gerade Lippenstift auf, als sie Damiáns lautes Klopfen an der Tür hörte. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Die Panik, die sie heute Morgen überkommen hatte, war einem Gefühl der Wut und Angst und Tausenden von Fragen gewichen.

Alles war so schnell gegangen. Kaum hatte sie Damiáns Bedingungen zugestimmt, hatte er ihr auch schon den Vertrag und die Vertraulichkeitsvereinbarung zur Unterschrift vorgelegt. Sobald sie unterschrieben hatte, wurde ihr ein Umschlag voller Geld übergeben, zusammen mit der Anweisung, sich ein schönes Outfit für ihr erstes Date zu kaufen, das noch heute stattfinden sollte. Gleich darauf hatte Damián sich entschuldigt und es seinem Riesen von Butler überlassen, sie hinauszubegleiten.

Mia tat, wie ihr geheißen, und besuchte eine teure Boutique, die sie schon oft von außen betrachtet, sich aber nie hineingewagt hatte. Sie kaufte sich das nötige Outfit und eilte dann nach Hause, um die verbleibende Zeit vor ihrem Date mit Damián so viel wie möglich über ihn herauszufinden.

Die Familie Delgado war unumstritten eine der reichsten Familien der Welt. Die Delgado Group, die Damiáns Großvater im Jahre 1960 gegründet hatte, war eines der erfolgreichsten Privatunternehmen weltweit. Und berüchtigt für seine Diskretion.

Über Damián selbst hatte sie nur herausgefunden, dass er sechsunddreißig Jahre alt war, zwei Jahre jünger als sein Bruder Emiliano, und dass er die Banco Delgado leitete, ein Unternehmenszweig der Delgado Group und zweitgrößte Privatbank Argentiniens. Nichts von alledem nahm Mia auch nur im Geringsten ihre Angst. Nicht einmal die hunderttausend Pfund, die als Anzahlung auf ihrem Konto eingegangen waren. Wenn überhaupt, machte es ihr nur noch mehr Angst. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie musste die nächsten Wochen einfach als Job betrachten. Sie würde eine Vorstellung geben, die nur ein kleines, ausgewähltes Publikum zu sehen bekommen würde.

Aber auf was hatte Mia sich da nur eingelassen? Und warum hatte Damián gerade sie ausgewählt, wo es doch Tausende anderer Schauspielerinnen gab, die sich nach so einer Chance die Finger lecken würden? Das waren nur einige der vielen Fragen, die ihr durch den Kopf gingen, als sie auf ihre Haustür zuging.

Ihr drehte sich vor Angst der Magen um, als sie die Haustür öffnete.

Damián trug einen schwarzen Samtanzug mit schwarzem Hemd darunter und hielt den größten Strauß Rosen in der Hand, den sie je gesehen hatte.

Mia war wie vom Blitz getroffen. Ein Sturm von Gefühlen wirbelte in ihr auf. Ihr Herz schlug wild in ihrer Brust und ihr Puls raste. Sie musste sich zusammennehmen, um sich nicht in seine Arme zu werfen. Diese Reaktion erschreckte sie, nie zuvor hatte sie das Bedürfnis verspürt, jemandem um den Hals zu fallen.

Damián sah sie aus seinen obsidianfarbenen Augen an. „Für dich, mi vida“, flüsterte er und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Du siehst umwerfend aus.“

Wie schon bei ihrem ersten Treffen waren Mias Sinne schlagartig überwältigt von seinem exotischen, männlichen Duft.

„Danke.“ Sie nahm ihm die Rosen aus der Hand und wich einen Schritt zurück. Die Haut ihrer Wange prickelte an der Stelle, wo er sie mit seinen Lippen berührt hatte. „Lass mich einen Platz für sie finden.“ Ohne sie dir vorher um die Ohren zu hauen, beendete sie ihren Gedanken.

Mia war schon drei Schritte gegangen, als sie bemerkte, dass Damián immer noch in der Tür stand. „Kommst du nicht rein?“

Das Lächeln, das er ihr zuwarf, zog ihr fast den Boden unter den Füßen weg. Nach ihrem ersten Treffen war sie eigentlich zu dem Schluss gekommen, dass er nicht wusste, wie man lächelt. „Du hast mich nicht hereingebeten.“

„Das hatte ich nicht für nötig gehalten“, erwiderte sie scharf. „Aber bitte, komm doch herein. Fühl dich wie Zuhause.“

„Sarkasmus?“

„Bravo.“

Er zog die Augenbraue hoch. „Kein sehr vielversprechender Anfang, wo wir doch auf dem Weg zu unserem ersten Rendezvous sind.“

Das erklärte sein Lächeln von vorhin. Damián wollte seine Rolle glaubwürdig spielen.

„Du hast gesagt, ich soll die hingebungsvolle Geliebte in der Öffentlichkeit spielen“, erinnerte sie ihn kalt und versuchte verzweifelt, das warme Gefühl zu ignorieren, das sie in seiner Anwesenheit spürte. „Wir sind nicht in der Öffentlichkeit.“

Während Mia sich in der Küche um die Rosen kümmerte, ließ Damián seine Umgebung auf ihn wirken. Er war noch nie in einer so kleinen Wohnung gewesen. Das gesamte Apartment würde in die Eingangshalle seines Hauses in Buenos Aires passen. Aber es war sauber und roch angenehm. Kein Möbelstück passte zu dem anderen, und doch bildete alles zusammen ein stimmiges, geschmackvolles Ensemble und vermittelte einen gemütlichen Eindruck. Er war beeindruckt von Mias gutem Geschmack.

Mia kam mit den Rosen zurück und platzierte sie auf dem Wohnzimmertisch.

„Bist du fertig? Mein Fahrer erwartet uns.“

„Gib mir nur eine Minute.“ Mia verschwand aus dem Zimmer, bevor Damián etwas erwidern konnte.

Als sie zurückkam, trug sie ein Paar goldene Sandalen mit hohem Absatz und hatte ein Parfum aufgelegt, das sie in einen köstlich fruchtigen Duft hüllte, sodass ihm fast das Wasser im Munde zusammenlief.

Damián unterzog Mia einem kritischen Blick. Sie trug ein weißes Kleid mit Riemchen-Trägern und einem tiefen V-Ausschnitt, der jedoch nichts von ihren Brüsten enthüllte. Ein dünner goldener Gürtel teilte den oberen Teil des Kleides vom Rock, der locker in Falten herabfiel und bis zu ihren Waden reichte. Ihr Haar hatte sie zu einem lockeren Dutt hochgesteckt und ihr hübsches Gesicht wurde von zahlreichen blonden Locken umrahmt. Dezentes Make-up und schlichte goldenen Ohrringe vervollständigten ihren klassischen, schlichten Look.

„Und?“, zischte sie mit glühend roten Wangen. „Bist du zufrieden mit dem, was du für dein Geld bekommen hast?“

Er sah sie nachdenklich an und unterdrückte die Wut, die ihre angriffslustige Haltung in ihm hervorrief. Niemand sprach in diesem Ton mit ihm und es war an der Zeit, dass Mia Caldwell das lernte. Er hatte ihr mehr als deutlich gesagt, dass sie einfach nur zu gehen brauchte, falls sie sein Angebot nicht annehmen wollte, und dass er ihre Vorstrafe für sich behalten würde. Und jetzt tat sie gerade so, als hätte er sie zu diesem Job gezwungen.

„Ich bin sehr zufrieden, danke. Wenn ich dich so ansehe, frage ich mich, ob ich dich nicht unterbezahle. Ich bin mir sicher, dass einige Gäste auf Celestes Sommerfest durchaus bereit wären, viel Geld für ein etwas privateres Arrangement mit dir zu zahlen. Nenn ihnen deinen Preis und du kannst ein Vermögen verdienen.“ Bevor Mia etwas erwidern konnte, fuhr er fort „Wenn du mich beißen willst, beiße ich zurück. Und jetzt zieh nicht so ein Gesicht, sondern setz dein schönstes Lächeln auf und beweise mir, dass du als Schauspielerin so gut bist, wie ich vermute.“

Außer sich vor Wut über diese Demütigung stürmte Mia auf die Tür zu und biss sich auf die Zunge, um Damián keine Schimpfwörter an den Kopf zu werfen. Sie griff ihre Handtasche und atmete ein paarmal tief durch.

Als Damián sich im Flur zu ihr gesellte, drehte Mia sich langsam zu ihm um und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Da bist du ja. Für einen Moment hatte ich befürchtet, du seist nach Argentinien zurückgeflogen.“

Damián sah sie aus schmalen Augen misstrauisch an.

Mia legte sich die Hand auf die Brust und sprach mit seidenweicher Stimme weiter. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf unser erstes Treffen freue. Es ist, als hätte ich mein Leben lang auf dich gewartet, und jetzt bist du endlich hier …“ Sie sah ihn verliebt an.

Damiáns Mund zuckte kurz, bevor er kaum merklich nickte. „Viel besser.“

Mia lächelte ihn verträumt zu und öffnete die Tür. „Gehen wir?“

Im Restaurant angekommen – einem der feinsten Sternerestaurants ganz Londons – wartete Mia, bis sie am Tisch allein waren, bevor sie sich zu Damián vorbeugte. „Können wir hier frei sprechen?“, fragte sie mit gedämpfter Stimme.

Damián, der sich gerade die Speisekarte durchlas, blickte zu ihr auf. „Ja.“

„Wenn das so ist, dann erklär mir bitte, wozu genau du mich hier zwingst.“

Zu Mias großem Unmut kam genau in diesem Moment die Kellnerin, um ihre Bestellung aufzunehmen. Mia hatte seit ihrem Vorsprechen bei Damián heute Morgen nichts mehr gegessen und bemerkte erst jetzt, wie hungrig sie eigentlich war. Sie warf einen schnellen Blick auf die Karte, wählte Hummer und Langustinenravioli als Vorspeise sowie gerösteten Seeteufel als Hauptgang, dazu den auf Anraten der Kellnerin passenden Wein.

„Also?“, fragte sie, als man ihnen den Wein serviert hatte und sie wieder unter sich waren.

Damián lehnte sich vor und legte seine Hand auf ihre. Vollkommen unvorbereitet auf diese Geste und das darauffolgende plötzliche Flattern in ihrem Bauch, hätte Mia ihre Hand fast reflexartig zurückgezogen.

Als könne er ihre Gedanken lesen, erinnerte sie Damián an ihre Rolle. „Denk daran, deinen Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu halten. Du sollst verliebt wirken. Die Leute können zwar nicht hören, was wir sagen, aber ich habe keine Zweifel daran, dass wir genauestens beobachtet werden.“

Mia bemühte sich, ihr verträumtes Lächeln wieder aufzusetzen. „Besser?“

Zum zweiten Mal an diesem Tag warf er ihr dieses überwältigende Lächeln zu und nickte.

„Dann erklär es mir bitte endlich, bevor ich vor Spannung umkomme.“

In lässigem Ton, als würde er über das Wetter sprechen, begann er, ihr von seinem Plan zu erzählen. „Es sind ein paar wichtige Unterlagen in Celestes Villa versteckt, die ich dringend benötige. Deine Aufgabe wird sein, mir dabei zu helfen, sie zu finden.“

„Celeste? Deine Mutter?“

Er nickte.

Mia sah ihn skeptisch an. Das konnte nicht alles sein. Nicht bei all dem Aufwand, den er betrieb, und dem Geld, was er dafür ausgab. „Was sind das für Unterlagen?“

„Das musst du nicht wissen.“

„Warum nicht?“

„Es ist irrelevant. Alles was du wissen musst ist, dass die Unterlagen irgendwo in Celestes Villa versteckt sind.“

„Sie hat sie versteckt?“

„Nein. Und mehr Informationen werde ich dir darüber nicht geben. Das ist für deine Rolle unwichtig. Wichtig zu wissen ist, dass die Villa wie eine Festung aufgebaut und viele Geheimverstecke hat. Mein Vater ließ sie nach Celestes Wünschen gestalten. Ich habe alle nötigen Grundrisse und Videoaufnahmen des Gebäudes für dich zum Ansehen. Bevor wir anreisen, musst du dich in der Villa so gut auskennen, wie in deiner eigenen Wohnung.“

„Warum?“

„Du sollst mir beim Suchen helfen.“

Sie unterbrachen ihr Gespräch, als die Vorspeise gebracht wurde. Das gab Mia eine Entschuldigung, um ihre Hand unter der seinen wegzuziehen. Sie widerstand dem starken Drang, sie zu schütteln, um das warme Gefühl loszuwerden, das seine Finger auf ihrer Haut hinterlassen hatten.

Mia aß ein paar Bissen und trank einen Schluck Wein, bevor sie weitersprach. „Wenn diese Unterlagen sich in der Villa deiner Mutter befinden, warum gehst du sie dann nicht einfach besuchen und suchst nach ihnen, statt dieses Theater zu veranstalten?“

„Das ist unmöglich.“

„Warum? Du kannst doch einfach für einen Nachmittag in deinem Privatjet hinfliegen. Wo ist das Problem?“

Damián gab ein spöttisches Lachen von sich.

„Was ist daran so lustig?“

„Das wirst du verstehen, wenn du Celeste getroffen hast. Bei ihr kann man nicht einfach so vorbeikommen.“

„Ich gehe meine Mutter ständig spontan besuchen.“

„Celeste ist nicht wie andere Mütter. Ihr Personal vereinbart unsere Termine.“

Mia brauchte einen Augenblick, bis sie verstand. „Du musst einen Termin vereinbaren, um deine Mutter zu sehen?“

Damián nickte, als sei dies vollkommen normal.

Mia musste sich zusammenreißen, um ihn nicht entsetzt anzustarren. „Das klingt wie in einer Seifenoper.“

Damiáns Griff um die Gabel verfestigte sich, doch nach außen hin sah es aus, als würde er seiner Geliebten ein Kompliment ins Ohr hauchen, als er sich zu Mia vorbeugte. „Ich kann dir versichern, dass wir uns nicht in einer Seifenoper befinden. Hier geht es um mein Leben. Und wenn ich diese Dokumente nicht finde, ist mein Leben vorbei und alles, wofür ich gearbeitet habe, wird mir genommen.“

„Warum?“

„Das ist irrelevant.“

„Natürlich … Aber du ziehst mich in diese Sache mit hinein. Woher soll ich wissen, dass diese Unterlagen nicht der Beweis für etwas Illegales sind, das du getan hast und vertuschen willst?“

„Kriminelle Handlungen sind deine Spezialität, nicht meine.“

Die Empörung über diese Aussage musste Mia ins Gesicht geschrieben stehen, denn sogleich griff Damián wieder ihre Hand. „Denk an deinen Gesichtsausdruck, Mia. Sanft und liebevoll. Vergiss nicht, dass wir beobachtet werden.“

Mia schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter, stützte das Kinn auf ihrer noch freien Hand ab und sah Damián verträumt an. „Wenn kriminelle Handlungen nicht zu deinen Spezialitäten gehören, wie kommt es dann, dass du mich erpresst hast, um diesen Job anzunehmen?“

Damián hielt inne und verengte die Augen bei dieser feindseligen Anschuldigung. „Ich habe dich nicht erpresst.“

Mia sah ihn wütend an, behielt jedoch den süßen Ton in ihrer Stimme bei. „Doch, das hast du.“

„Nein, mi vida, das habe ich nicht.“

„Du hast gesagt, du willst mich nicht wegen einer Kleinigkeit ruinieren. Das klang wie eine Drohung.“

„Wenn du das als Drohung aufgefasst hast, ist das nicht meine Schuld.“

„Du hast gesagt, du willst mich nicht ruinieren. Das heißt, du hättest mich ruiniert, wenn ich dein Angebot abgelehnt hätte.“

Damián wurde langsam wütend. Er war es nicht gewöhnt, dass man an seinen Worten zweifelte. Mias Zynismus und ihre Anschuldigung, er hätte sie erpresst, ärgerten ihn zutiefst.

„Noch einmal, wenn du meine Worte als Drohung interpretierst, ist das nicht meine Schuld“, sagte er angespannt. „Hätte ich dich erpressen wollen, hätte ich dir nicht so viel Geld angeboten.“

Sie sah ihn weiterhin skeptisch an, während sie aß. Das Feuer, mit dem sie ihre Anschuldigung vorgebracht hatte, brachte Damiáns Blut in Wallung. Er nahm einen großen Schluck Wein, um das Gefühl abzuschütteln.

Mia schluckte ihren Bissen hinunter, tupfte sich den Mund mit der Serviette ab und schenkte ihm ein Lächeln, das einen Eisberg genauso schnell hätte schmelzen können wie das Feuer in ihren Augen. „Warum hast du dann nach einer vorbestraften Schauspielerin gesucht? Du hast sicher viele Hebel in Bewegung gesetzt und ein Vermögen bezahlt, um von meiner Vorstrafe zu erfahren.“

Damián zwang sich zu einem Lächeln, das es mit dem ihren aufnehmen konnte. „Weil ich, wie schon erwähnt, eine Schauspielerin ohne Skrupel benötige. Es ist gut möglich, dass wir auf der Suche nach den Unterlagen in den Privatbereich anderer eindringen müssen. Eine verurteilte Drogendealerin hat keine Skrupel …“ Er genoss den Anflug von Ärger, der sich nach dieser Erinnerung an ihre kriminelle Vorgeschichte kurz in ihren Gesichtszügen widerspiegelte. „Aber das war nur eine der Voraussetzungen, die erfüllt werden mussten. Ich brauchte jemanden, der perfekt in meine Welt passt. Sieh dich an, ein neues Outfit und schon siehst du aus wie eine von uns. Zudem bist du auch noch intelligent, auch wenn deine Fantasie anscheinend manchmal mit dir durchgeht. Ich brauche für diesen Job jemanden mit Köpfchen. Es wird sicher die ein oder andere Situation geben, in der du spontan handeln und schnell reagieren musst. Zudem brauchte ich eine unbekannte, aber talentierte Schauspielerin. Du warst eine der wenigen, die alle Kriterien erfüllte.“

Mia lachte. Jeder andere hätte dieses Lachen als echt empfunden, aber Damián hörte den Spott dahinter. „Dass ich unbekannt bin, ist wohl wahr. Aber woher willst du wissen, dass ich auch Talent besitze?“

„Ich habe deine Vorstellung gestern Abend gesehen.“

Mia stand der Mund offen. Nach ihrem verbalen Schlagabtausch fand Damián es höchst amüsant, sie plötzlich sprachlos zu sehen.

Mia brauchte ein paar Anläufe, um zu sprechen. „Du warst im Publikum?“, brachte sie schließlich krächzend hervor.

„Ich musste mich selbst davon überzeugen, ob du für die Rolle geeignet bist.“ Er legte erneut seine Hand auf ihre. „Als ich dich auf der Bühne sah … das war der Moment, in dem ich mich in dich verliebt habe, mi vida“, hauchte er zärtlich.

Mia schüttelte ungläubig den Kopf. „Du bist derjenige, der auf die Bühne gehört.“

Damián lächelte. „Am Wochenende bei meiner Mutter darf es sich keiner von uns leisten, nicht überzeugend zu wirken.“

3. KAPITEL

Zurück im Auto presste Mia sich gegen die Tür, um so viel Abstand wie möglich von Damián zu gewinnen. Nachdem sie ihm drei Stunden lang verliebt in die Augen gesehen hatte, fand sie es äußerst beunruhigend, dass sie immer noch das Bedürfnis verspürte, ihn anzusehen.

Sie presste die Wange an die Fensterscheibe, um sich etwas abzukühlen, und versuchte verzweifelt, Damián aus ihren Gedanken auszublenden. Der Tag war einfach zu viel für sie gewesen.

Auf einmal hatte sie eine Idee, wie sie aus dieser Sache herauskommen könnte. Schlagartig setzte Mia sich auf. „Damián …“ Es fühlte sich komisch an, seinen Namen zum ersten Mal laut auszusprechen. Er ging ihr so leicht von der Zunge. Und noch seltsamer war, dass sie das Verlangen spürte, ihn gleich noch einmal auszusprechen. Sie schüttelte dieses merkwürdige Gefühl ab und konzentrierte sich. „Du hast gesagt, dass du noch andere Schauspielerinnen für diese Rolle in Erwägung gezogen hast.“

„Und?“

„Nimm eine von ihnen. Ich habe nur zugestimmt, weil ich dachte, dass du mich erpresst. Aber da das nicht der Fall ist …“

„Es ist zu spät“, unterbrach er sie tonlos.

„Bitte! Ich gebe dir dein Geld zurück und unterschreibe, was du willst.“

„Es ist zu spät, Mia.“ Er drehte sich zu ihr um. Seine dunklen Augen funkelten. „Wir wurden zusammen gesehen.“

„Aber wir hatten nur ein einziges Date.“

„Glaub mir, mi vida, ich würde gerne eine andere Schauspielerin nehmen, aber es ist zu spät. Wir sind ab sofort offiziell ein Liebespaar.“

„Nach nur einer Verabredung?“, fragte sie fassungslos.

„Ich werde beobachtet und meine Gespräche abgehört.“

„Von wem?“

„Von meinem Bruder.“

Mia sah ihn schockiert an. Ihr Kopf stand kurz vor dem Explodieren, und bei allem, was ihr an diesem Tag widerfahren war, drohte diese kleine zusätzliche Information das Fass zum Überlaufen zu bringen.

Damián biss die Zähne aufeinander. Der Ärger stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mia hatte das Gefühl, dass er sich über sich selbst ärgerte. Er hatte diese Information nicht preisgeben wollen. Sie war ihm versehentlich herausgerutscht. Zum ersten Mal hatte sie Mitgefühl mit ihm.

„Emiliano steckt hinter alledem?“

Damián antwortete nicht und brach sein Schweigen erst, als sie vor Mias Haustür angekommen waren und der Wagen angehalten hatte.

„Morgen werden wir in meinem Apartment zu Abend essen“, sagte Damián knapp. „Mein Fahrer holt dich um sieben Uhr ab.“

Bei dieser arroganten Anweisung war ihr Mitgefühl mit einem Schlag wieder verschwunden. „Ich habe morgen Abend eine Vorstellung.“

„Ich fliege am Mittwoch nach Buenos Aires zurück. Es geht nur morgen.“

„Ich muss arbeiten.“

„Sag deiner Zweitbesetzung Bescheid, sie soll dich vertreten.“

„Ich habe keine Zweitbesetzung. Außerdem haben wir vereinbart, dass ich dir ab nächster Woche zur Verfügung stehe. Treib es also nicht zu weit.“

Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie konnte sein Missfallen förmlich spüren.

„Ich lasse dich nach der Vorstellung abholen“, sagte er knapp. „Pack eine Reisetasche, du wirst bei mir übernachten.“

„Ich werde nicht die Nacht bei dir verbringen.“

„Dann sag die Vorstellung ab und verbring den Abend mit mir.“

„Nein.“

Eine frische Brise wehte Mia entgegen, als der Fahrer ihr die Tür öffnete. Bevor sie aussteigen konnte umgriffen lange warme Finger ihr Handgelenk und Damiáns Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Nah genug, dass sie erneut von seinem Duft überwältigt wurde, der ihr fast die Sinne raubte.

Ein Lächeln spielte auf seinen Lippen, als er sie mit drohendem Blick ansah. „Du wirst die Nacht morgen in meinem Apartment verbringen, mi vida“, sagte er mit dunkler Stimme. „Und die gesamte nächste Woche ebenfalls, wie im Vertrag vereinbart. Ich zahle dir eine hübsche Summe, um diese Rolle zu spielen, und ich erwarte, dass du sie gut spielst. Verstehen wir uns?“

Mia schluckte und lächelte artig zurück, um den Fahrer, der darauf wartete, dass sie ausstieg, nicht skeptisch zu machen, und beugte sich zu Damián hinunter. „Lass mich augenblicklich los, oder ich schreie“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Als sie dabei ungewollt mit der Nasenspitze sein Ohr berührte, war es, als würde ein Blitz sie durchfahren, und sie wich erschrocken zurück.

Damián sah sie aus funkelnden Augen an und sog scharf die Luft ein. Dann ließ er ihr Handgelenk los und beugte sich zu ihr hinunter, bis er mit seinen Lippen ihr Ohr berührte. Diese kleine Berührung reichte, um bei Mia ein Schwindelgefühl auszulösen.

„Der einzige Anlass, zu dem ein Mann eine Frau schreien hören möchte, ist vor Lust im Bett“, flüsterte er in scharfem Ton. „Aber deinen Mund würde dir sicher jeder Mann am liebsten zukleben.“

Mia brauchte einen Augenblick, bis sie merkte, dass Damián ihr Handgelenk losgelassen und sich wieder aufgesetzt hatte. Während sie sich bemühte, ihren Atem wieder zu beruhigen, sah Damián sie triumphierend an. Er wusste, dass er diese Runde gewonnen hatte.

„Gute Nacht, mi vida“, sagte er mit einem arroganten Lächeln. „Ich werde von dir träumen.“

Als ihre Blicke sich begegneten, war es, als tanzten Eis und Feuer miteinander. Aber da war noch etwas. Eine Spannung, die Mia noch nie zuvor gespürt hatte, und von der sie instinktiv wusste, dass sie Ärger bedeutete.

„Träum schön“, antwortete sie mit süßer Stimme, bevor sie aus dem Auto stieg, dem Fahrer dankte, und sich zwang, nicht auf ihre Haustür zuzurennen.

Damián konnte die schwerwiegenden Fehler, die er in seinem Leben gemacht hatte, an einer Hand abzählen. Seinen Vater davon zu überzeugen, seinem unerfahrenen Bruder Emiliano eine Führungsrolle im Familienunternehmen zu übergeben, hatte bisher immer auf Platz eins gestanden. Dieser Fehler hatte Damián und seinen Vater eine halbe Milliarde Dollar ihres Privatvermögens gekostet. Damiáns Bauchgefühl sagte ihm, dass Mia das ohne Weiteres übertreffen konnte.

Während Mia ihre Rolle im Restaurant perfekt gespielt hatte, hatte sie offensichtlich nicht vor, dies zu tun, wenn sie unter sich waren. Sie wollte, dass er spürte, wie sehr sie ihn verachtete.

An sich hätte das kein großes Problem dargestellt. Nicht, solange sie ihre Rolle gut spielte, wenn es darauf ankam.

Das Problem war, musste Damián sich widerwillig eingestehen, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte. Diese Möglichkeit hatte er nicht in Betracht gezogen, als er in seiner verzweifelten Lage den letzten Ausweg darin gesehen hatte, eine Schauspielerin zu engagieren, um ihm zu helfen. Und was zum Teufel hatte ihn dazu getrieben, ihr zu verraten, dass es sein Bruder war, der sich gegen ihn verschworen hatte. Diese Information war ihm einfach so herausgerutscht.

Damián hatte in seinen sechsunddreißig Jahren noch nie ein Problem damit gehabt, die Arbeit und das Vergnügen zu trennen. Und gerade jetzt, da seine gesamte Zukunft auf dem Spiel stand, durfte sich das auch nicht ändern.

Er hätte nichts lieber getan, als ihrer Bitte nachzukommen und ihre Zusammenarbeit zu beenden. Er war sich unsicher, ob sie damit nicht nur mehr Geld herausschlagen wollte, er hatte sie unterbrochen, bevor sie darauf zu sprechen gekommen war. Aber es stand außer Frage, ihre Vereinbarung jetzt noch zu beenden, dazu war es tatsächlich zu spät. Man hatte sie zusammen in der Öffentlichkeit gesehen.

Mitten während ihrer Vorstellung am nächsten Abend entdeckte Mia auf einmal Damián im Publikum. Ihr Herz machte einen Sprung und sie ließ vor Schreck das Nachthemd fallen, das sie gerade in der Hand hielt.

Als es nach der Vorstellung laut an der Tür hämmerte – Mia war gerade in der Garderobe und zog sich um – bestand kein Zweifel daran, wer da klopfte. Mia beeilte sich, ihr T-Shirt in ihre Jeans zu stopfen, während Nicole, die Mrs. Higgins gespielt hatte, die Tür öffnete.

„Sieh an …“, sagte Nicole, nachdem sie ein anerkennendes Pfeifen von sich gegeben hatte, als sie Damián erblickte. „Und was können wir für Sie tun?“

Mia kniff die Augen zusammen, als sie Damiáns tiefe Stimme hörte, die die plötzliche Stille im Raum unterbrach. „Ich möchte zu Mia.“

„Du Glückspilz!“, flüsterte jemand hinter Mia, wahrscheinlich Jo.

Mia griff ihre Reisetasche und zwang sich zu einem Lächeln, bevor sie sich zu Damián umdrehte, der immer noch in der Tür stand. Er trug ein dunkelblaues Poloshirt und schwarze Jeans, sein Haar war perfekt gestylt, sein intensiver Blick auf sie gerichtet. Sie wusste genau, was er von ihr erwartete.

„Damián!“, rief sie begeistert und eilte zu ihm. „Du hast es geschafft!“

Sein Lächeln hätte einen Eisberg zum Schmelzen bringen können. Als er seinen Arm um ihre Taille legte und sie an sich zog, traf sie auch schon sein exotischer Duft, der sie jedes Mal aufs Neue überwältigte. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, zog Damián sie an sich und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss.

„Um nichts in der Welt hätte ich deine Vorstellung verpasst“, raunte er. „Mi vida, ich konnte keine Sekunde die Augen von dir lassen.“

Vollkommen überwältigt von seinem Kuss und der plötzlichen Hitze, die sich in ihrem Körper ausbreitete, konnte Mia bloß dastehen und ihm in diese unglaublich dunklen Augen sehen. Insgeheim betete sie, dass ihre Beine nicht nachgaben.

Damián war nicht entgangen, wie Mias Wangen rot anliefen und er kam zu dem Schluss, dass sie tatsächlich eine überragende Schauspielerin sein musste. Sich der verblüfften Gesichter der anderen Schauspielerinnen bewusst, nahm er den Arm von Mias Taille und nahm ihre Hand. „Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse, Ladys, wenn ich euch Mia entführe. Dies ist meine letzte Nacht in London, morgen verlasse ich das Land, und wir wollen die Zeit, die uns zusammen bleibt, genießen.“

Hand in Hand verließen sie das Gebäude durch den Hintereingang und gingen auf Damiáns Auto zu. Sobald sie eingestiegen waren und der Fahrer die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, ließ Mia seine Hand los und setzte sich so weit wie möglich weg von ihm und warf ihm einen bitterbösen Blick zu.

„Was treibst du für ein Spiel?“, fragte sie wütend.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich nach der Vorstellung abholen würde.“

„Du hast nichts davon gesagt, die Vorstellung zu besuchen.“

„Hat meine Anwesenheit dich abgelenkt?“

„Natürlich nicht“, entgegnete sie lässig. „Ich habe dich im Publikum nicht einmal bemerkt.“

„Natürlich nicht, Pinocchio.“ Er hatte genau gesehen, wie ihr das Nachthemd aus der Hand gefallen war, als sie ihn im Publikum entdeckt hatte. Jeder hatte es gesehen, es war der einzige Ausrutscher in einer sonst einwandfreien Vorstellung gewesen, aber sie hatte ihn so gut überspielt, dass es keinem aufgefallen war. Nur er hatte gewusst, was es bedeutete, und seine Reaktion darauf hatte ihn vollkommen unerwartet getroffen.„Und was zum Teufel sollte dieser Kuss? Wie kannst du es wagen? Tu das gefälligst nie wieder!“

Damián sah sie teilnahmslos an. „Wir waren in der Öffentlichkeit. Ich habe dir doch gesagt, dass du mir gegenüber in der Öffentlichkeit Zuneigung zeigen sollst. Dafür bezahle ich dich.“

„Und ich habe es mehr als deutlich gemacht, dass ich kein Callgirl bin.“

„Weigerst du dich auf der Bühne auch, jemanden zu küssen, wenn die Rolle es erfordert?“

Sie presste ihre hübschen, vollen Lippen zusammen und aus ihren blauen Augen schossen wütende Funken. Aber sie sagte nichts darauf.

Damián hielt ihrem Blick stand und schüttelte verzweifelt den Kopf. „Das dachte ich mir. Gewöhn dich lieber an den Gedanken, mich in der Öffentlichkeit zu küssen, mi vida. Wenn wir erst bei meiner Familie sind, wirst du an meiner Seite kleben, wenn nicht an meinem Mund.“

„Wenn du mich auch nur anrührst, wenn wir unter uns sind, dann Gnade dir Gott …“ Sie ließ den Satz unbeendet.

„Beruhige dich“, sagte er entnervt. „Der Kuss hatte nichts zu bedeuten.“ Wenn sie das Kribbeln auf seinen Lippen sehen könnte, das dieser Kuss bei ihm hinterlassen hatte, wüsste sie, wie gelogen das war. Zum Glück hatte seine eiserne Selbstkontrolle ihn nicht im Stich gelassen und er hatte vermeiden können, dass sich dieses Kribbeln in weitaus intimere Stellen seines Körpers ausbreitete.

Diese verdammte Anziehungskraft zu Mia war wirklich das Letzte, was Damián jetzt gebrauchen konnte. Als er sie heute Abend auf der Bühne gesehen hatte, war er von ihr so fasziniert gewesen wie beim ersten Mal. Er konnte die Augen nicht von ihr lassen und stellte sich vor, wie sie unter ihrem Kostüm wohl aussehen mochte.

Aber er durfte sich jetzt keine Ablenkung leisten, seine Zukunft und die seiner Firma standen auf dem Spiel.

4. KAPITEL

Damiáns Apartment entsprach so ihren Vorstellungen, dass Mia ein Lachen nicht unterdrücken konnte, als sie eintrat.

„Was ist so lustig?“, fragte er.

Sie zuckte mit den Schultern und kramte in ihrer Reisetasche nach ihrem Handy. „Ich hab mich nur gefragt, wo all deine Sachen sind.“

Das Apartment war riesengroß und die lange Glasfensterfront bot einen beeindruckenden Blick auf die Themse. Doch bis auf ein paar spärliche, vermutlich maßangefertigte, Möbelstücke war es weitgehend leer. Im Wohnbereich, der so groß war wie ihre ganze Wohnung, befanden sich gerade einmal zwei weiße Ledersofas mit einem Glastisch dazwischen. An der Wand hing der größte Flachbildschirm, den sie je gesehen hatte. Ungefähr einen Kilometer weiter, am anderen Ende des Raumes, stand ein Esstisch mit acht Stühlen. Das war alles.

„Ich bin nur selten zum Übernachten hier, wenn ich geschäftlich in London zu tun habe“, sagte er steif, als er einen Laptop aufklappte. „Mein Zuhause ist in Buenos Aires. Einen Moment, ich muss einen kurzen Sicherheitscheck durchführen, um sicherzugehen, dass niemand in meinem Apartment war … Was machst du da?“

Mia richtete ihr Handy auf ihn. „Sag Cheese.“

Damián blinzelte, als er von einem Blitz geblendet wurde. „Hast du gerade ein Foto von mir gemacht?“

„Ich habe ein Foto von meinem Geliebten gemacht …“, Mia sprach das Wort besonders gedehnt aus, „… für meine Schwester.“ Sie ignorierte Damiáns finsteren Blick und hängte das Foto an die E-Mail an ihre Schwester an und schickte sie ab. „Ich habe ihr auch deine Adresse geschickt, falls man meine Leiche also in der Themse findet, weiß die Polizei, wo sie dich finden kann.“

Damián biss die Zähne zusammen. „Was hast du ihr erzählt?“

„Amy? Nur, dass ich jemanden kennengelernt habe.“ Dasselbe hatte sie ihrer Mutter erzählt, und das nicht nur aus Sicherheitsgründen. Sie hatte keine Ahnung, ob die Presse Bilder von ihr und Damián veröffentlichen würde, aber wenn sie es tun sollte, wollte sie, dass ihre Familie darauf vorbereitet war.

Ihre absolute Priorität war es, ihre Schwester und ihre Mutter zu schützen. Und sei es nur, um zu verhindern, dass sie sich unnötige Sorgen machten. Sie konnte nicht einfach für ein Wochenende nach Monte Cleure verschwinden, ohne den beiden Bescheid zu sagen. Sie fühlte sich schrecklich dabei, Amy und ihre Mutter anzulügen und ihnen falsche Hoffnungen zu machen, aber das ließ sich leider nicht vermeiden.

„Ich dachte, du willst, dass man uns für verliebt hält?“ Mia schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und flatterte mit den Wimpern. „Unsere Liebe wird lodern wie eine heiße Flamme – und sich dann leider verzehren“, fügte sie theatralisch hinzu.

Damián sah nicht im Geringsten amüsiert aus. „Die Vertraulichkeitsvereinbarung schließt auch deine Schwester mit ein.“

„Ich weiß.“ Mia verdrehte die Augen und sah ihn anklagend an. „Du hast mich zu einer Lügnerin gemacht.“ Mia drehte sich auf dem Absatz um und betrat die Küche. „Warum sieht dein Apartment aus wie eine leer geräumte Musterwohnung?“

„Ich bin nur selten hier und verbringe dann in der Regel auch nicht sehr viel Zeit hier. Daher benötige ich kaum was.“

„Darf ich mich in deiner Küche umsehen?“

„Wenn du dann fünf Minuten den Mund hältst, gerne.“

„Dankeschön.“

Auf einmal von Misstrauen befallen folge er ihr in die Küche und stellte den Laptop auf dem Tresen ab. „Wonach suchst du?“

Mia öffnete den nächstgelegenen Schrank. Er war leer. „Ich will wissen, wie das Geschirr eines Milliardärs aussieht.“ Sie öffnete eine weitere Schranktür, hinter der sich ebenfalls nichts befand. „Wo sind die Lebensmittel? Wo ist das ganze Essen?“

„Bist du immer so neugierig?“

„Nur zu besonderen Anlässen.“

Damián schaute genervt zur Decke. „Bist du immer so feindselig?“

„Überhaupt nicht.“ Der nächste Küchenschrank war so leer wie die beiden ersten. „Betrachte dich als etwas Besonderes.“

„Warum?“

„Das musst du noch Fragen?“

„Ich bezahle dich großzügig, um eine Rolle zu spielen, die sich nicht besonders von deiner Arbeit auf der Bühne unterscheidet. Du kannst davon ausgehen, dass dieser Job deine Karriere vorantreiben wird. All das, und trotzdem tust du so, als sei ich dein größter Feind.“

Aha! Im nächsten Schrank befanden sich Teller und Schüsseln. Natürlich alle in Weiß. „Kannst du mir das verdenken? Immerhin zwingst du mich, diese Rolle weiterzuspielen, obwohl ich sie nur angenommen habe, weil ich dachte, dass du mich erpresst.“

„Erwartest du, dass ich dir glaube, du hättest all das Geld abgelehnt?“, fragte er und hob skeptisch die Augenbraue.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich es dir zurückgeben kann. Wenn du mir das nicht geglaubt hast, ist das dein Problem. Hast du etwas Alkoholisches zu Trinken hier?“

„Wann hast du zuletzt etwas gegessen?“

„Eine Stunde vor der Vorstellung heute Abend.“

„Ich bestelle etwas zu essen.“

„Zuerst einen Drink.“

„Das ist keine gute Idee, auf nüchternen Magen.“

„Seit wann bist du meine Mutter?“

„Mia …“ Damián atmete tief ein und schloss den Laptop. Seit sie sein Apartment betreten hatte, war sie ungewohnt unruhig und aufgekratzt gewesen. „Du verhältst dich merkwürdig.“

„Ich bin nervös. Überrascht dich das?“

„Hast du etwa Angst vor mir?“

Mia wurde still und sah zu Boden. „Es wäre töricht von mir, keine Angst zu haben“, sagte sie leise.

Auf einmal ergab ihr feindseliges Verhalten Sinn. Damián spürte Schuldgefühle in sich aufsteigen.

Es war ihm bisher gar nicht in den Sinn gekommen, wie bedrohlich die ganze Situation auf sie wirken musste. Sie befand sich in einer vollkommen ungewohnten Umgebung, in der Wohnung eines Fremden, den sie kaum kannte, und der dazu fast doppelt so groß war wie sie.

Damián würde sich nie an einer Frau vergehen, aber woher sollte Mia das wissen? Er fühlte sich stark zu ihr hingezogen, und er hatte den Eindruck, dass es auf Gegenseitigkeit beruhte. Doch selbst wenn das der Fall war, er würde sich einer Frau nie aufzwingen.

„Mia, sieh mich an.“

Zögernd hob Mia den Kopf und sah ihm in die Augen.

„Ich habe dir mein Wort gegeben, dass unsere Beziehung rein platonisch sein wird, wenn wir unter uns sind. Sex ist eine Komplikation, die ich mir nicht leisten kann. Du bist bei mir sicher, okay?“

Etwas blitzte in ihren Augen auf, aber sie blinzelte, bevor er irgendetwas herauslesen konnte.

„Du hast hier dein eigenes Bett im Gästeschlafzimmer, falls ich das noch nicht erwähnt habe. Wir werden nur das Wochenende in Monte Cleure im selben Bett schlafen. Und wenn du einen Keuschheitsgürtel tragen möchtest, habe ich nichts dagegen.“

Mias Mundwinkel zuckten.

„Und heute Nacht kannst du gerne mit einem Messer unter dem Kopfkissen schlafen, wenn du dich dann besser fühlst.“

Mia hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Kichern zu unterdrücken.

„Ich meine es ernst. Hast du Hunger?“

Sie nickte.

„Soll ich uns etwas kommen lassen? Im dritten Stock ist ein Italiener, der sehr gutes Essen macht. Würde dir das zusagen?“

„Das klingt gut.“

Damián öffnete eine Schublade und holte eine Speisekarte heraus, die er neben Mia auf dem Tresen ablegte, wobei er darauf achtete, sie nicht zu berühren. „Was für einen Drink hättest du gerne?“

Mias Augen leuchteten auf. „Gin Tonic.“

„Groß?“

Sie nickte und schenkte ihm ein Lächeln. Das erste aufrichtige Lächeln an diesem Tag, dachte Damián.

„Ja, bitte.“

Erst als er gegangen war, um ihre Drinks zu mixen, kamen ihm Zweifel. Nach allem, was er wusste, hatte ihr Lächeln genauso gut gespielt sein können wie ihr nervöses Verhalten.

Doch etwas in ihm sagte, dass Mia ihm nichts vorgespielt hatte.

Wie dem auch sei, es gab keinen Grund, warum er sich wegen ihres Lächelns auf einmal so gut fühlen sollte.

Mit ihrem dritten Gin Tonic in der Hand kuschelte Mia sich auf einem der weißen Sofas in die Kissen. Seit ihrem Gespräch in der Küche war sie viel entspannter. Sie hatte sich Damián gegenüber bewusst feindselig verhalten, und ein Teil von ihr wollte das auch jetzt noch.

Dabei hatte sie nicht die geringste Ahnung, warum sie in seiner Gegenwart so nervös war. Als sie ihm gesagt hatte, es wäre töricht, keine Angst zu haben, hatte sie damit nicht gemeint, dass sie Angst vor ihm hatte.

Es war vielmehr diese unerklärliche Wirkung, die er auf sie hatte, die sie in Alarmbereitschaft versetzte. Selbst jetzt schaffte sie es nicht, ihren Herzschlag zu beruhigen. Sie verfolgte jede seiner Bewegungen mit größter Aufmerksamkeit. Als sie das letzte Mal so verängstigt gewesen war, saß sie im Gerichtssaal und wartete auf ihr Urteil. Aber das hier war eine ganz andere Art von Nervosität.

„Erzähl mir von dir“, sagte sie, als er sich ihr gegenüber auf dem anderen Sofa niederließ. „Wie war es, in einer reichen Familie aufzuwachsen?“

Eigentlich wollte sie ihn fragen, warum er seinen Bruder verdächtigte, ihn zu beobachten, und was es mit diesen Unterlagen auf sich hatte. Aber Damián hatte ihr bereits deutlich gemacht, dass er sie nicht bezahlte, um Fragen zu stellen.

Damián nahm einen großen Schluck Bier, bevor er ihr antwortete. „Nächstes Mal. Heute Abend möchte ich mehr über dich erfahren.“

„Du weißt doch bereits alles über mich.“

Mi vida, ich weiß nur sehr wenig über dich. Ich weiß, dass du vierundzwanzig bist, dass du eine Schauspielerin auf der Suche nach dem großen Durchbruch bist, und dass du wegen Drogenbesitz vorbestraft bist. Das ist alles.“

„Ich dachte, du wüsstest alles über meine Vergangenheit?“

„Nur deine jüngste Vergangenheit, und nur um mich zu vergewissern, dass du clean bist.“

„Hast du keine Angst, dass die Presse von meiner Vorstrafe erfährt? Das würde deinen Ruf schädigen.“

„Das wird nicht passieren. Deine Akte ist dauerhaft unter Verschluss, das hat man mir versichert.“

Mia nahm einen Schluck von ihrem Drink und sah in die Ferne.

Damián rieb sich die Schläfen und seufzte. „Mi vida, bitte … Vergiss die Akte mit deiner Vorstrafe.“

„Wie könnte ich das vergessen?“ Das Wissen, dass ein Fremder jederzeit die Informationen aus dieser Akte gegen sie verwenden konnte, lag ihr wie ein Stein im Magen.

Damián atmete tief ein und stand auf. „Einen Moment“, murmelte er.

Er verschwand und kam kurz darauf mit einem dicken Umschlag in der Hand zurück, den er ihr übergab. „Das ist meine Kopie deiner Akte. Sie gehört dir.“

5. KAPITEL

Damián entging nicht, wie Mia zögerte, bevor sie den Umschlag nahm.

„Das beweist, dass ich nicht die Absicht habe, diese Information gegen dich zu verwenden.“ Er setzte sich wieder und blickte zu Mia, die ihn verblüfft aus großen Augen ansah. „Das ist die einzige Kopie, allerdings wird dir mein Wort diesbezüglich genügen müssen.“

Er war angenehm überrascht, dass sie daraufhin keinen Beweis für seine Aussage forderte. Nachdem sie einander eine Weile still in die Augen gesehen hatten, begann sich ein Lächeln auf Mias Lippen abzuzeichnen.

„Danke“, sagte sie schlicht, und legte den Umschlag auf den Tisch. „Okay. Was möchtest du über mich wissen?“

Alles …

Dieser spontane Gedanke traf Damián völlig unvorbereitet. Er nahm einen weiteren großen Schluck von seinem Bier, um seine Gedanken zu ordnen, bevor er ihr antwortete. „Deine Familie. Erzähl mir von ihnen.“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Wir sind einfach normal.“

„Definiere normal.“

„Na ja, Amy und ich nennen unsere Mutter nicht beim Vornamen. Und wir müssen keinen Termin vereinbaren, um sie zu sehen. Und ich glaube nicht, dass meine Schwester mich verfolgt, oder meine Gespräche abhört. Das verstehe ich unter normal.“

In einer anderen Situation hätte Damián diesen offensichtlichen Seitenhieb gegen seine Familie als Kränkung empfunden, doch überraschenderweise brachte Mias Bemerkung ihn zum Lachen.

„Ist Amy älter oder jünger als du?“

„Zwei Jahre jünger.“

„Hast du noch andere Geschwister?“

„Nein.“

„Ist Amy auch Schauspielerin?“

„Nein. Sie hat gerade die Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen“, sagte Mia mit unüberhörbarem Stolz. „Unsere Mutter arbeitet als Lehrassistentin in einer Schule. Normal eben. Ich bin in einer Dreizimmerwohnung in einem kleinen Dorf aufgewachsen, wo nicht viel passiert. Alles ganz gewöhnlich und …“

„Normal“, beendete er ihren Satz und hob die Braue. Er konnte es kaum glauben, aber er begann langsam, sich zu entspannen. Etwas, das genauso selten war, wie dass er sich selbst lachen hörte. Vielleicht war es das gedämpfte Licht, oder Mias Anblick, wie sie sich entspannt auf dem Sofa ausstreckte, oder dass sie sich unterhielten wie … nicht gerade wie alte Freunde, aber auch nicht wie Feinde.

Mia kicherte. „Genau.“

„Was ist mit deinem Vater? Was macht er?“

Sie nahm schnell einen Schluck von ihrem Gin Tonic, bevor sie antwortete. „Er starb vor neun Jahren.“

Augenblicklich kippte die Stimmung.

„Oh.“ Damián blinzelte überrascht. „Das tut mir leid.“

Mias Lächeln fiel in sich zusammen. „Das muss es nicht. Es ist lange her.“

„Wie ist er …“ Damiáns Stimme brach ab.

„Gestorben?“ Mia schluckte, doch sie bemühte sich, ihr zittriges Lächeln aufrechtzuerhalten. „Er starb bei einem Autounfall.“

„Es tut mir leid“, wiederholte er. Er konnte ihre Trauer nachempfinden, war doch sein eigener Vater erst vor Kurzem verstorben.

„Was war er für ein Mensch?“

Ihre Gesichtszüge entspannten sich. „Er war ein wundervoller Mensch. Er war Physiklehrer. Liebenswert, lustig, intelligent, und er hat Amy und mich vergöttert.“

„Sein Tod muss sehr schwer für dich gewesen sein“, sagte Damián mit belegter Stimme. Er vermisste seinen Vater, aber er hatte ihm nie sehr nahegestanden. Selbst als sie später zusammengearbeitet hatten, herrschte immer eine gewissen Distanz zwischen ihnen.

Mia nickte und trank den Rest ihres Gin Tonic in einem Zug aus.

„Möchtest du noch einen?“

Sie stellte ihr Glas auf dem Tisch ab. „Einen noch, und dann muss ich ins Bett.“

Damián stand auf, um ihnen neue Drinks zu besorgen. Als er zurückkam und Mias Glas neben ihr auf dem Tisch abstellte, fand er sie ausgestreckt und mit einem Kissen unter dem Kopf auf dem Sofa liegend vor. Ob ihr Körper nach einem Abend auf der Bühne wohl schmerzte …?

Er atmete tief ein und löste den Blick von ihr. Solcherlei Gedanken waren unangemessen. Es fiel ihm zunehmend schwerer, sein Verlangen nach ihr zu unterdrücken, während sie sich unterhielten.

Mia war schlicht und einfach zu begehrenswert, und die Stille und mangelnde Ablenkung in seinem Apartment verstärkten seine Gefühle nur noch. Jede ihrer Bewegungen regte seine Sinne an. Er hatte noch nie zuvor sein Begehren für eine Frau unterdrücken müssen, und die Unfähigkeit, seiner Gefühle Herr zu werden, beunruhigte ihn zutiefst. Er hatte es bisher immer geschafft, Privates und Geschäftliches zu trennen, warum gelang ihm das also nicht mit Mia?

Schnell setzte er sich, damit sie nicht sehen konnte, wie seine Männlichkeit begann, sich zu regen. „Wie kommt die Tochter eines Physiklehrers dazu, Schauspielerin zu werden?“, fragte er ehrlich interessiert. „War das schon immer dein Traum?“

„Nicht wirklich.“

Damián wartete, damit sie ihre Antwort näher ausführen konnte.

Mia seufzte. „Nachdem Dad gestorben ist … war es zu Hause … nicht mehr wie vorher.“

„Das ist verständlich.“

Mia blickte ihm in die Augen. „Es war furchtbar“, sagte sie leise. „Anfangs versuchten wir, füreinander da zu sein, aber dann sind wir alle irgendwie eine Zeit lang in unserer eigenen Trauer versunken. Ich habe mich spontan für eine Schulaufführung von Romeo und Julia eingetragen. Ich konnte es nicht glauben, als ich die Rolle der Julia bekam. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob ich die Rolle aus Mitleid erhalten habe, oder ob sie in mir ein gewisses Talent gesehen haben. Es ist auch egal. Ich bekam die Rolle und …“ Mia schluckte. „Es ist schwer zu beschreiben, aber als ich auf der Bühne stand … Ich habe mich in der Rolle der Julia verloren. Ich habe mich in sie hineinversetzt, und auf einmal waren all mein Kummer und der Schmerz vergessen. Ich bin vor der Realität geflüchtet, das war mir damals schon bewusst. Aber es hat mir geholfen.“

Damián schwieg einen Augenblick, um das Gehörte zu verarbeiten. „Warum hast du dann mit Drogen angefangen?“

Für den Bruchteil einer Sekunde weiteten sich Mias Augen, und auf einmal wusste Damián, was er jedes Mal in ihren Augen sah, wenn er ihre Vorstrafe erwähnte. Es war Angst. Sie erinnerte ihn an ein Reh im Scheinwerferlicht, das in Schockstarre verfällt.

Mia griff nach ihrem Drink. „Ich will nicht darüber sprechen.“

„Warum nicht?“

„Es ist zu persönlich.“

Persönlicher als er Tod deines Vaters? dachte er.

Er suchte ihren Blick. „Du musst mir nicht davon erzählen, wenn du nicht willst“, versicherte er ihr. „Ich bin nur froh, dass du jetzt clean bist. Es war bestimmt schwer, von den Drogen loszukommen.“

Sie wandte ihr Gesicht ab. „Bitte Damián, ich kann nicht darüber sprechen.“

Damián zog sich die Kehle zu, als er ihre flehende Stimme hörte.

„Wir müssen es nie wieder erwähnen“, versprach er ihr, während er sich fragte, warum sie dieses Thema so mitnahm. „Es sei denn, du willst es.“

Mia drehte sich ihm wieder zu und sah ihn an. „Danke“, flüsterte sie.

Er sah sie prüfend an. „Bist du okay?“

Sie presste die Lippen zusammen, nickte aber.

„Okay.“ Er trank ein Drittel seines Biers in einem Zug aus, bevor er weitersprach. „Was sind deine Pläne? Was willst du im Leben erreichen?“

Er sah die Dankbarkeit in ihren Augen für diesen Themenwechsel.

„Eine Rolle in einer neuen Aufführung wäre ein guter Anfang“, sagte sie in gewohnt fröhlichemTon.

„Hast du noch nichts in Aussicht?“

Nada. Ich habe am Montag morgen ein Vorsprechen. Und keine Angst, es ist vorbei, bevor du zurück in London bist. Aber ich weiß, wer meine Konkurrenz ist, und ich schätze meine Chancen nicht sehr hoch ein.“

„Warum so negativ?“

„Realistisch“, korrigierte sie ihn.

„Wenn du realistisch wärst, wüsstest du, wie gut deine Chancen sind. Ich habe dich auf der Bühne gesehen, mi vida, du bist ein Naturtalent.“

„Das ist nett von dir. Aber ich bereite mich lieber auf das Schlimmste vor, falls es nicht klappen sollte. So bin ich später nicht enttäuscht.“

„Ich bin sicher, du wirst Erfolg haben. Eines Tages werde ich an einem Filmplakat des neuesten Hollywood Blockbusters vorbeigehen und dein Gesicht darauf sehen.“ Er hatte das Bild lebhaft vor Augen. Mia hatte das nötige Talent und das Aussehen, um ein erfolgreicher Star zu werden.

Sie schüttelte sich theatralisch. „Das wird nie passieren.“

„Sei nicht so pessimistisch.“

„Ich bin nicht pessimistisch. So ein Leben will ich nicht. Ich habe keine Lust, öffentliches Eigentum zu werden.“

„Eine Schauspielerin, die kein Star werden möchte?“, fragte er zynisch.

„Ich liebe die Bühne. Ich liebe das Gefühl, Teil einer Theatertruppe zu sein. Es ist, als würde man zu einer Familie gehören. Ich liebe einfach alles am Theater.“

„Dann sehe ich dich eines Tages vielleicht am Broadway.“

Mia verzog das Gesicht und verdeckte ein Gähnen hinter der Hand. „Niemals. Ich will England nicht verlassen. Und selbst wenn ich es wollte, mit meiner Vorstrafe werde ich wohl kaum ein Visum in die USA bekommen.“

Damián nahm sich in Gedanken vor, die Sache mit dem Visum zu überprüfen.

Mia gähnte erneut, setzte sich auf und streckte sich, wobei ihre Brüste sich ihm unweigerlich entgegenreckten. „Ich muss ins Bett.“

Beim Anblick ihrer ungewollt reizvollen Bewegung geriet Damiáns Blut in Wallung und er stand abrupt auf. „Ich zeige dir dein Zimmer.“

Ihre Reisetasche und den dicken Umschlag in der Hand folgte Mia ihm den Flur entlang, bis er eine Tür öffnete und eintrat. „Das ist dein Zimmer“, sagte Damián in bemüht lässigem Ton. „Du hast dein eigenes Badezimmer. Nimm dir alles, was du benötigst. Wenn du mich brauchst, ich bin im Zimmer gegenüber.“

„Danke“, murmelte Mia mit gesenktem Blick.

„Also … Gute Nacht.“

Sie nickte, bevor sie zu ihm aufblickte. „Damián?“

Sein Herz klopfte wie wild in seiner Brust. „Ja?“

„Es tut mir leid, wie ich mich vorhin verhalten habe.“

Er schluckte. „Dein Verhalten war verständlich.“

Einen Augenblick lang, der eine Ewigkeit zu dauern schien, sahen sie sich in die Augen. Dann atmete Damián tief ein und sah als erster weg. Und dann wären sie fast ineinandergelaufen, als er den Raum verlassen und Mia gleichzeitig eintreten wollte.

„Entschuldige.“

„Nein, ich bitte um Entschuldigung.“

Schließlich hatten sie die Plätze getauscht, aber nicht ohne dass Mias Brüste leicht Damiáns Arm gestreift hatten.

Ein letztes Mal trafen sich ihre Blicke.

Mias Wangen waren unverkennbar rot angelaufen.

Damián räusperte sich. „Gute Nacht, mi vida.“

Ihr geflüstertes Gute Nacht ging verloren, als er abrupt die Tür hinter sich schloss.

Die Arme fest um ihren Körper geschlungen, um das Kribbeln in ihren Brüsten zu unterdrücken, ihr Herz wild in ihrer Brust schlagend, schloss Mia die Augen und atmete tief ein.

Als sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte, setzte sie sich auf die Bettkante des riesigen Betts und bedeckte ihre glühenden Wangen mit den Händen.

Sie hatte Damián Dinge anvertraut, über die sie sonst mit niemandem je sprach, abgesehen von ihrer Mutter und ihrer Schwester.

Was sie am meisten verwirrte, war, dass sie das Bedürfnis verspürte, ihm die Wahrheit zu sagen. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er diese schrecklichen Dinge über sie dachte. Aber warum störte sie das so sehr? Warum sollte es sie kümmern, was er von ihr dachte?

Nach einer kurzen Dusche schlüpfte Mia ins Bett und wickelte die Bettdecke wie einen Kokon um sich. Nicht, weil sie fürchtete, Damián könne sich des Nachts in ihr Zimmer schleichen, sondern aus Angst, sie selbst könnte aufstehen und sich auf die Suche nach ihm machen.

6. KAPITEL

Mia hatte Damián seit fünf Tagen nicht mehr gesehen, aber das hieß nicht, dass sie nichts von ihm gehört hatte. Er hatte ihr vor jeder ihrer Vorstellungen Textnachrichten geschickt und ihr Hals- und Beinbruch gewünscht. Und nach jedem ihrer Auftritte hatte er angerufen und gefragt, wie es gelaufen war.

Natürlich hatte er das nur getan, weil er wusste, dass sein Bruder seine Gespräche abhörte, aber das hatte ihr Herz nicht davon abgehalten, jedes Mal einen Sprung zu machen, wenn er angerufen hatte.

Letzte Nacht hatten sie eine halbe Stunde miteinander telefoniert. Für Mia war die Zeit wie im Fluge vergangen. Sie hatte sich ins Sofa gekuschelt und den vollen Klang seiner Stimme genossen, im sicheren Wissen, dass er Tausende Kilometer weit weg war und nicht sehen konnte, wie sehr sie das Gespräch genoss.

Als er sie heute überraschend nach ihrem Vorsprechen abgeholt und zum Essen eingeladen hatte, war sie ihm freudig um den Hals gefallen. Vor den Augen von Mias Kolleginnen hatten sie sich zur Begrüßung innig geküsst, und nichts davon hatte Mia spielen müssen.

Daher war sie umso verwirrter, als er sie den ganzen Weg zum Restaurant ignorierte und sich ihr gegenüber kalt und distanziert verhielt.

Seine schlechte Laune setzte sich auch im Restaurant fort.

„Damián?“, fragte sie, unsicher, ob sie etwas falsch gemacht hatte.

„Was?“, fragte er, ohne von der Speisekarte aufzusehen.

„Was ist aus sanft und liebevoll geworden? Wir sind ein frisch verliebtes Paar, schon vergessen?“ Sie konnte es nicht glauben, dass sie diejenige war, die ihn daran erinnern musste. Bisher war es immer andersherum gewesen. „Was ist los?“

„Nichts“, antwortete er schroff und streckte sich den Nacken.

Doch das war gelogen. Nachdem er sich anfangs so über ihre warmherzige Begrüßung gefreut hatte, erinnerte er sich wieder daran, dass er sie genau dafür bezahlte. Und die Tatsache, dass er sich wirklich gefreut hatte, sie wiederzusehen, während sie es nur spielte, um ihre Kolleginnen zu überzeugen, machte es nur noch schlimmer.

„Dann schau nicht so finster drein. Du bist hier, um deine Geliebte zum Essen auszuführen, nicht um zu überlegen, wen du mit deiner Gabel erstechen willst.“

Blitzartig sah er zu ihr hinüber, und zu ihrer Erleichterung hatte er ein Lächeln im Gesicht.

„Schon besser“, lobte sie und grinste.

Sobald sie bestellt hatten, erklärte Damián ihr das weitere Vorgehen. „Wenn wir fertig gegessen haben, holen wir deine Sachen und gehen direkt in mein Apartment.“

„Was hast du mit mir vor?“

Das Aufblitzen in seinen Augen ließ sie ihre unglückliche Wortwahl augenblicklich bereuen.

„Ich meine, was sind deine Pläne?“, korrigierte sie sich schnell und spürte, wie ihre Wangen anfingen, zu glühen.

Damiáns Mundwinkel zuckte. „Ich habe morgen ein Meeting in Frankfurt, den Rest der Woche habe ich frei. Ich werde dir erklären, wie das Wochenende ablaufen wird und was deine Aufgaben sein werden. Ich habe die Baupläne und Videoaufnahmen der Villa, die du verinnerlichen sollst. Wenn wir dort sind, musst du genau wissen, was zu tun ist. Außerdem werden wir für dich einkaufen gehen.“

„Wozu?“

„Du brauchst eine Garderobe und passende Accessoires für das Wochenende – du sollst aussehen, als gehörtest du dazu, mi vida.“

„Fällt das unter Spesen?“

„Ja.“

Mia grinste breit. „Ausgezeichnet.“

Es war schon spät am Nachmittag, als Damián aus Frankfurt zurückkam. Mia hatte den ganzen Tag damit verbracht, in seiner Wohnung zu sitzen und die Pläne der Villa zu studieren. Als sie hörte, wie Damián die Wohnung betrat, begann ihr Herz schneller zu schlagen.

Aus Angst, ihm zur Begrüßung wieder um den Hals zu fallen, lenkte sie sich damit ab, die Baupläne zu sortieren, die sie auf dem Esstisch verteilt hatte.

„Hast du dich mit der Villa vertraut gemacht?“, fragte Damián, als er sie mit den Plänen am Tisch sitzen sah.

„Ich fände es passender, das Gebäude als Palast zu bezeichnen“, scherzte sie. Sie konnte sich nicht erklären, warum seine Anwesenheit sie so nervös machte, aber wie alles, was ihre verwirrenden Gefühle für Damián betraf, machte es ihr Angst. „Gib mir noch ein paar Tage und dann kannst du mich abfragen.“

Sein Mundwinkel zuckte. „Ich kann es kaum erwarten. Hast du schon gegessen?“

„Ich habe den ganzen Tag über vom Hotelservice Gebrauch gemacht.“

Damián schmunzelte und löste seine Krawatte, wobei Mia einen Blick auf die angespannten Muskeln seines Oberarms erhaschen konnte. „Gut. Möchtest du einen Drink?“

„Ja, bitte.“

„Das Übliche?“

Das Übliche … Bei diesen Worten breitete sich ein warmes Gefühl in Mia aus, als sei gerade etwas Intimes zwischen ihnen passiert. Sie bejahte mit einem Nicken.

Als Damián ihre Drinks mixte, wandte Mia sich wieder den Unterlagen auf dem Tisch zu und bemühte sich mit aller Kraft, dieses Kribbeln von sich abzuschütteln, dass sie jedes Mal in seiner Gegenwart spürte.

Doch als er mit den Getränken zurückkam, versank sie in seinen tiefschwarzen Augen und das Kribbeln kam mit aller Kraft zurück. Sie musste den Impuls unterdrücken, über den Tisch zu greifen und seine Hand zu nehmen.

Einen kurzen Moment lang, den sie sich tief in die Augen sahen, hatte Mia das Gefühl, dass es ihm genau so ging und er sie ebenfalls berühren wollte.

Mia räusperte sich und sah auf ihre Hände. „Ich weiß, du willst mir nicht erzählen, was es mit diesen Unterlagen auf sich hat, und das respektiere ich …“ Immerhin hatte Damián auch akzeptiert, dass sie nicht über ihre Vorstrafe sprechen wollte. „Aber ich frage mich, wie du dir so sicher sein kannst, dass Emiliano derjenige ist, der sie versteckt hat.“

Auf ihre Frage folgte nur Schweigen.

Als Mia ihn wieder ansah, hatte er den Blick immer noch auf sie gerichtet. Er nahm einen großen Schluck von seinem Bier. Dann stellte er das Glas ab, neigte den Kopf nach vorne und vergrub das Gesicht in seinen Händen. „Sie waren in der Villa, bevor mein Vater starb.“

„Die Unterlagen?“

„Si.“ Er rieb sich mit den Fingern die Schläfen. „Kurz vor seinem Tod hatte mein Vater sein Testament ändern lassen. Sein Privatvermögen teilte er zu gleichen Teilen zwischen Emiliano und Celeste auf. Das Geschäft vermachte er mir. Das Testament ist verschwunden, zusammen mit der Urkunde, in der er mir die gesamten Geschäftsanteile überträgt, womit mir die Führung über die Delgado Group übertragen worden wäre.“ Er sah sie wieder an. Sie hatte noch nie solche Bitterkeit in seinem Blick gesehen. „Wenn diese Unterlagen in den nächsten zwei Wochen nicht gefunden werden, geht das gesamte Erbe sowie die Geschäftsführung der Delgado Group an Emiliano.“

Mia brummte der Kopf, als sie versuchte, diese Informationen zu verarbeiten. „Aber wie kann das sein? Ich dachte, er hätte nichts mit dem Geschäft zu tun.“

Laut der Informationen, die sie im Internet gefunden hatte, lagen Emilianos Interessen eher im Bereich des Polosports. Für Finanzen hatte er nicht viel übrig.

„Mein Vater hat vor Jahren die Staatsbürgerschaft von Monte Cleure angenommen und war daher an das dortige Recht gebunden. Im Falle des Todes tritt das Testament sechs Monate nach dem Ableben in Kraft, und wenn kein Testament gefunden wird, erbt der älteste Sohn alles.“

„Und du glaubst, Emiliano hat die Unterlagen versteckt, um das einzufädeln? Warum sollte er das tun, wenn er doch am Geschäftlichen gar nicht interessiert ist?“

„Rache“, sagte Damián düster. „Vor zehn Jahren hatte unser Vater ihm die Verwaltung über einen unserer größten Investmentfonds übertragen. Emiliano hat Mist gebaut und eine halbe Milliarde Dollar unserer Kunden verloren.“

Mia klappte der Mund auf, als sie diese astronomische Summe hörte.

„Emiliano stritt seine Schuld an dem Ganzen ab. Er behauptete, es sei eine Verschwörung gegen ihn gewesen.“

„Und war es das?“

„Er konnte es nicht beweisen. Uns blieb keine Wahl, wir mussten ihn von seinem Posten entlassen.“

„Ihr habt ihn rausgeschmissen?“

Damián fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Das mussten wir.“

„Du warst an dieser Entscheidung beteiligt?“

„Es war die Entscheidung unseres Vaters, aber ich habe ihn darin unterstützt. Wenn die Sache rausgekommen wäre, hätte das die Delgado Group ihre Reputation gekostet, Vertrauen ist unser Credo. Emiliano hat verlangt, dass wir ihm glauben, dass es nicht seine Schuld war. Aber wie konnten wir? Die Fakten sprachen gegen ihn.“

Mia bemerkte den defensiven Ton in seiner Stimme. „Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen“, sagte sie sanft.

„Er ist nicht mit leeren Händen gegangen. Vater und ich haben den Verlust aus eigener Tasche bezahlt. Und dann hat Vater einen Treuhandfonds für Emiliano eingerichtet, aus dem er für den Rest seines Lebens monatlich zehn Millionen Dollar erhält. Trotz alledem hat Emiliano uns nie verziehen. Nichts würde ihm mehr Freude machen, als mir die Firma unter der Nase wegzuschnappen und mich öffentlich zu demütigen. Wenn er mich erst einmal los ist, wird er das Unternehmen mit Sicherheit zugrunde richten. Als ich gesagt habe, dass ich vielleicht alles verliere, habe ich es genau so gemeint.“

7. KAPITEL

Mia hatte starkes Mitgefühl mit Damián und musste sich räuspern, bevor sie sprach. „Was, wenn Emiliano die Unterlagen nicht versteckt, sondern zerstört hat? Hast du ihn danach gefragt?“

„Nicht direkt. Wir haben nicht mehr miteinander gesprochen, seit er die Delgado Group verlassen hat. Aber Celeste gegenüber hat er es abgestritten.“

Mia stieß einen Seufzer aus bei dieser sachlichen Beschreibung der Fehde zwischen den beiden Brüdern. „Aber theoretisch könnte er sie zerstört haben, oder?“

„Nein. Emiliano würde nichts zerstören, dass sich in der Zukunft für ihn noch als nützlich erweisen könnte. Er hat die Unterlagen versteckt, da bin ich ganz sicher.“

„Denkt Celeste das auch?“

„Sie hält nichts von dieser Idee“, sagte er bitter. „Emiliano ist ihr Lieblingssohn.“

Obwohl Mia schon einen Eindruck davon erhalten hatte, wie sehr die Delgados sich von ihrer eigenen liebevollen Familie unterschieden, traf sie diese Aussage mitten ins Herz. Wie konnte seine eigene Mutter den einen Sohn mehr lieben, als den anderen?

Kein Wunder, dass Damián eine so riesige Schutzmauer um sich herum aufgebaut hatte.

Doch hinter dieser Fassade, wusste sie, schlug ein großes Herz, das durchaus in der Lage war, zu fühlen.

„Ich besuchte meinen Vater drei Tage, bevor er starb. Er wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, und wollte, dass ich das Testament und die Urkunde lese, bevor er sie besiegeln ließ. Er wollte meine Übernahme der Delgado Group in einer großen Pressekonferenz offiziell ankündigen. Aber er verstarb, bevor es dazu kommen konnte.“

Mia konnte nicht anders, als nach seiner Hand zu greifen. Sie wusste, dass Worte in Momenten der Trauer nicht viel halfen, aber menschlicher Beistand konnte eine große Stütze sein.

Damián atmete scharf ein und zog seine Hand zurück. „Mein Vater hatte die Unterlagen in seinem Safe aufbewahrt. Am Tag seiner Beerdigung wollte ich sie abholen, aber der Safe war leer. Auch sein Anwalt und der Anwalt in Monte Cleure wussten von nichts.“

Mia rieb sich die Schläfe und dachte nach. „Wenn du recht hast und Emiliano hat die Unterlagen nicht zerstört, woher weißt du dann, dass sie noch in Monte Cleure sind?“

„Emiliano blieb nach der Beerdigung für ein paar Tage in der Villa.“ Damián zögerte kurz. „Ich habe einen Insider in der Villa. Ein alter Freund. Es gelang ihm, an die externen Überwachungsvideos zu kommen. Wenn Emiliano nicht jemand anderen damit beauftragt hat, die Unterlagen rauszuschmuggeln, dann sind sie noch da. Er hat das Anwesen nur mit dem Autoschlüssel in der Hand verlassen und war seitdem nicht mehr dort. Sobald wir in der Villa ankommen, hacke ich mich in das Sicherheitssystem und versuche, an das Videomaterial der internen Überwachungskameras zu kommen. Aber das wird wahrscheinlich nicht zeigen, wo Emiliano die Dokumente versteckt hat. Deshalb muss ich das Haus vor Ort absuchen. Und da kommst du ins Spiel. Ich brauche deine Hilfe, um bei der Suche keinen Verdacht zu erwecken und nicht erwischt zu werden.“

„Was immer du verlangst, ich werde es tun“, versprach sie.

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

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