Julia Royal Band 2

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

CINDERELLA UND DER PRINZ von ELIZABETH HARBISON
Es war einmal ein Prinz, der suchte dringend eine Frau. Schließlich fand er sie - an der Rezeption eines New Yorker Hotels … Die bildhübsche Lily soll Prinz Conrads neueste Eroberung spielen: eine kühl kalkulierte PR-Aktion. Aber Liebe ist nun mal unberechenbar ...

SCHENKE MIR NOCH EINE NACHT von BRENDA HARLEN
Die hübsche Polly ist sprachlos: Ihr Ex-Lover entpuppt sich als der Prinz von Tesoro del Mar! Und Erics glühende Umarmung zeigt ihr, dass er ihre stürmische Liebesnacht auch nie vergessen hat. Doch wie wird er reagieren, wenn er erfährt, dass er Vater wird?

WIE VERFÜHRT MAN EINEN PRINZEN? von SANDRA HYATT
Als Kronprinz Adam Marconi mit Danni in einem winterlichen Chalet strandet, knistert es zwischen ihnen gewaltig. Zwar könnte er die bürgerliche Danni niemals heiraten - aber was spricht gegen ein geheimes Wochenende der Leidenschaft? Solange nicht mehr daraus wird …


  • Erscheinungstag 02.10.2020
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500043
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Elizabeth Harbison, Brenda Harlen, Sandra Hyatt

JULIA ROYAL BAND 2

PROLOG

Vor fünfundzwanzig Jahren …

„Vorsicht, Lily. Nicht so schnell!“

Blass vor Angst, blickte Schwester Gladys zu dem lachenden Kind hoch, das auf der obersten Stange des Klettergerüsts hockte. Die Kleine war erst drei Jahre alt, aber sie fürchtete sich vor nichts. Seitdem Lily und ihre Schwestern Rose und Laurel zu den Schützlingen des Waisenhauses in Barrie gehörten, hatten sie den Betreuerinnen schon mehr als einmal Kopfschmerzen verursacht. Lily war unbestritten die Unternehmungslustigste unter ihren Spielkameraden, die Anführerin der kleinen Bande.

Gladys, die das nur allzu gut wusste, bedauerte jetzt ihren übereilten Entschluss, mit den Kindern auf den Spielplatz zu gehen. Sie hätte auf Schwester Maria warten sollen. Eine Betreuerin für fünf Kinder, so lautete die Regel. Doch nach den vielen Regentagen schien die Sonne heute so verlockend, dass Gladys dem Drängen ihrer Zöglinge nachgegeben hatte. Was konnte schon passieren?

Anfangs war alles gut gegangen, bis Dudley stolperte und sich den Knöchel verstauchte. Und während sich Gladys um ihn kümmerte und nicht auf die anderen achtete, war Lily wieselflink auf das Klettergerüst gestiegen. Ihre beiden Schwestern schauten gespannt zu.

„Schön langsam, nur einen Schritt nach dem anderen“, sagte Gladys beschwörend und setzte vorsichtig selbst einen Fuß auf die unterste Stange, um der Kleinen hinunterzuhelfen. Leider war Gladys für diese Aufgabe denkbar ungeeignet: Sie hatte Angst vor Höhen, selbst vor geringen. Doch was blieb ihr anderes übrig? Außer ihr war niemand zur Stelle.

Unbekümmert sah Lily zu ihr hinunter – ihr machte die Höhe offensichtlich nichts aus. Die goldblonden Locken glänzten wie ein Heiligenschein, obwohl das Mädchen alles andere als ein Engel war.

„Komm“, sagte Gladys und streckte Lily unsicher die Hand entgegen.

Glücklicherweise machte das Kind Anstalten hinunterzuklettern. „So ist’s recht. Brave Kleine.“

„Lil“, rief ein hohes Stimmchen. Lilys ein Jahr ältere Schwester Rose warf der kleinen Übeltäterin einen strengen Blick zu. „Komm sofort runter.“

„Ich komme ja schon.“

„Sofort!“, wiederholte die Jüngste des Dreiergespanns. Aber sogleich vergaß sie ihre Schwester und klatschte in die Hände. „Metterling!“, rief Laurel und lief einem gelben Schmetterling nach.

Schwester Gladys atmete erleichtert auf, als Lily heil und gesund wieder unten ankam. Nur gut, dass die Heimleiterin Virginia Porter nichts davon gesehen hatte, sonst würde sie ihr …

„Das ist Ihnen hoffentlich eine Lehre“, ertönte eine scharfe Stimme.

Erschrocken fuhr Gladys herum.

Mit finsterer Miene stand Virginia vor ihr. „Haben Sie unsere Anweisungen vergessen?“

„Ich weiß, es war unvorsichtig, aber der Tag war so schön, und da …“

„Er hätte schlimm enden können.“ Virginia nahm Lily auf den Arm. „Vor allem wenn sie mit von der Partie ist.“

Liebevoll drückte sie das Mädchen an sich. „Du bist viel zu risikofreudig, Kleines“, sagte sie und seufzte. „Und zu dickköpfig.“ Sie stellte das Kind wieder auf die Beine, und Lily rannte davon.

„Aber folgsam ist sie“, wandte Schwester Gladys ein. „Und so ein liebes Kind.“

„Das bestreite ich nicht“, erwiderte Virginia. „Nur wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, lässt sie sich durch nichts davon abbringen. Was sie will, das bekommt sie auch – es ist geradezu unheimlich.“

Gladys nickte. „Erinnern Sie sich noch an die Plätzchendose? Dabei stand sie auf dem obersten Regal in der Küche.“

Die Heimleiterin nickte lächelnd. „Und Lily wusste genau, dass sie nicht an die Plätzchen durfte. Das hat sie jedoch nicht gestört, sich trotz des Verbots zu bedienen. Fast könnte man sie für ihre Hartnäckigkeit bewundern. Ich hoffe nur“, fügte sie seufzend hinzu, „dass ihr das später einmal nicht zum Verhängnis wird.“

1. KAPITEL

„Die Belvedere-Suite ist für Prinz Conrad von Belorien, die Wyndham-Suite für seine Stiefmutter, Prinzessin Drucille, und ihre Tochter Lady Ann“, sagte Gerard de Mises und zeigte auf die drei Namen in dem altmodischen Gästebuch mit den vielen Tintenklecksen. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch wurde es nach wie vor handschriftlich geführt, weil es besser zu dem traditionellen Stil des Hauses passe. Computer waren ihm zu unpersönlich. Und ihm gehörte das Montclair-Hotel in New York.

Was er nicht wusste, war, dass seine Angestellte Lily Tilden ebenfalls ein Verzeichnis in ihrem Laptop pflegte. Tradition hin oder her, Computer fand sie zuverlässiger. Und als Concierge musste Lily praktisch denken.

Jetzt stand sie neben ihrem Chef und nickte zustimmend.

„Prinz Conrad und seine Begleitung kommen morgen früh an“, fuhr Gerard fort. „Ich habe veranlasst, dass das gesamte Personal zur Begrüßung erscheint. Die Prinzessin nimmt es mit Förmlichkeiten äußerst genau.“

Lily seufzte. Prinzessin Drucille schien auch sonst sehr anspruchsvoll zu sein. Sie hatte bereits mehrmals anrufen lassen, um rosa Badetücher und eine bestimmte Marke von Lavendelseife anzufordern. Dazu französisches Mineralwasser – das ein kleines Vermögen kostete.

„Mrs. Hillcrest in der Astor-Suite reist morgen ab. Damit bleibt auf der Etage für unsere exklusiven Gäste außer Prinz Conrad, Prinzessin Drucille und Lady Ann nur noch Samuel Eden. Und natürlich Mrs. Dorbrook“, fügte er hinzu und unterdrückte ein Aufseufzen. „Ich will mich ja nicht beklagen, nur … Das Geschäft könnte etwas lebhafter sein.“

„Ich weiß, zurzeit ist es überall flau“, versicherte Lily. Die Buchungen der letzten Zeit konnte sie fast an einer Hand abzählen. „Jetzt, wo Prinz Conrad bei uns wohnt, bekommen wir bestimmt mehr Zulauf. Die Zeitungen berichten nur noch über seinen Besuch in New York.“

Gerard schmunzelte. „Er ist sehr beliebt, vor allem bei den Damen.“

„Playboys wie er werden ständig fotografiert, das wird uns sicher zugutekommen“, meinte Lily, obwohl sie nicht sehr zuversichtlich war. Das Montclair hatte schon viele berühmte Persönlichkeiten beherbergt. Im Allgemeinen brachte das jedoch eher einen Ansturm von Paparazzi und Autogrammjägern mit sich als zusätzliche Gäste. Dennoch, der Aufenthalt des Kronprinzen von Belorien konnte dem Hotel nicht schaden.

„Warten wir es ab.“ Geräuschvoll schlug Gerard das Gästebuch zu. „Ich hoffe, Sie behalten recht“, sagte er und lächelte. „Jetzt gehen Sie besser nach Hause, es war ein langer Tag für Sie.“

„Das kann man wohl sagen.“

Nicht zum ersten Mal in dieser Woche war Lily seit über zehn Stunden auf den Beinen. Seitdem Gerard einige Mitarbeiter entlassen hatte, übernachtete sie öfter im Hotel als die meisten Gäste – mit Ausnahme der Ölmillionärswitwe Bernice Dorbrook, die seit dem Tod ihres Mannes dauerhaft bei ihnen wohnte.

Sehnsüchtig dachte Lily an ihr eigenes Apartment. Ein heißes Bad und danach ihr Bett, mehr wollte sie nicht. Die vielen Überstunden der letzten Wochen waren nicht spurlos an ihr vorbeigegangen. Aber Gerard konnte sich keine zusätzliche Rezeptionistin leisten. Die wenigen Angestellten mussten allein mit der Arbeit fertig werden.

„Dann bis morgen.“

Sie ging ins Büro, um ihre Sachen zu holen. Heute Abend würde sie ein Taxi nehmen. Das Warten auf den Bus, die lange Fahrt und zweimal Umsteigen, das war ihr einfach zu viel. Zum Glück konnte Lily sich den Luxus leisten: Samuel Eden hatte ihr ein großzügiges Trinkgeld gegeben, weil sie ihm Eintrittskarten zu einer ausverkauften Broadway-Show besorgt hatte. Seine Frau wollte unbedingt hingehen.

„Gute Nacht, Karen. Gute Nacht, Barbara.“ Sie winkte den Kolleginnen am Empfang zu. „Bis morgen.“

Karen lachte. „Morgen? Es ist schon fast morgen.“

„Erinnere mich nicht daran.“ Müde durchquerte Lily die Lobby und schritt über den kostbaren Perserteppich, auf den Gerard sehr stolz war. Er hatte ihn trotz seiner Abneigung gegen Computer online ersteigert. Lily hatte ihn auf die Gelegenheit aufmerksam gemacht und dazu ermuntert, sein Glück zu versuchen.

Ungefähr zwei Meter von der mit goldenen Arabesken verzierten Drehtür entfernt, bemerkte Lily, wie zwei Männer das Hotel betraten. Beide trugen dunkle Anzüge und machten einen finsteren Eindruck. Sie sahen aus wie zwei Gangster aus einem alten Mafia-Film.

„Der Prinz und seine Begleitung kommen in fünf Minuten“, verkündete einer von ihnen.

„Jetzt?“, fragte Lily und drehte sich erstaunt nach Gerard und Karen um.

Der Hotelbesitzer wirkte wie erstarrt. Ein Ausdruck von Panik erschien auf seinem Gesicht. „Aber … Prinz Conrad und seine Familie wurden uns erst für morgen Vormittag angekündigt“, stammelte er.

Der zweite Mann runzelte die Stirn. „Das Programm hat sich geändert“, sagte er mit einem starken Akzent. „Soll das heißen, dass die Zimmer nicht vorbereitet sind?“

„Nein, natürlich nicht“, erwiderte Gerard scharf. „Es ist nur … Wir hatten für morgen einen gebührenden Empfang geplant … Jetzt ist es unmöglich. Nachts arbeiten wir mit weniger Personal.“

Die Männer wechselten einen vielsagenden Blick.

Wahrscheinlich stellen sie sich schon die Reaktion ihrer Chefin vor, ging es Lily durch den Kopf.

Einer der beiden zog ein Blatt Papier aus der Tasche. „Hier sind ein paar Anweisungen von Ihrer Hoheit. Sie wünscht Abendessen von Le Capitan und Champagner aufs Zimmer. Außerdem ein Blumenarrangement mit …“ Er las noch einmal. „Paradiesvogelblumen.“ Anschließend reichte er Gerard den Zettel.

Etwas Schlimmeres hätte der Mann ihm kaum mitteilen können, dachte Lily. Jeder in New York wusste, dass Le Capitan im Moment das meistgefragte Restaurant in Manhattan war. Selbst Prominente wurden dort weggeschickt, wenn sie nicht rechtzeitig reserviert hatten. Die Küche war hervorragend, doch hauptsächlich ging es in dem Nobelrestaurant ums Sehen und Gesehenwerden. Der Manager würde nur laut lachen, wenn Lily anrief, um ein Dinner ins Hotel zu bestellen. Aber, fiel ihr ein, ich kenne einen der Barkeeper dort. Vielleicht kann er mir helfen.

Eins stand fest: Das heiße Bad und die paar Stunden Schlaf, auf die sie sich so gefreut hatte, konnte sie vergessen.

„Ich kümmere mich darum“, sagte sie und nahm Gerard das Blatt aus der Hand. Nach einem kurzen Blick darauf hätte sie am liebsten aufgelacht. Die Bestellung belief sich auf drei gemischte Salate ohne Gurken und Vinaigrette, drei Rinderfilets, halb durchgebraten, ohne Soße, und zwei Stücke Schokoladentorte. Dieses Menü bekam man in fast jedem Restaurant zum halben Preis, aber Ihre Hoheit wollte natürlich nur das Exklusivste. Geld spielte dabei garantiert keine Rolle.

Lily las weiter: vier Flaschen Dom Perignon, Jahrgang 1983. Diesen Champagner um elf Uhr nachts aufzutreiben würde nicht einfach werden. Was die Blumen betraf, so konnte sie nur auf den Geschenkeladen in dem nahe gelegenen Krankenhaus hoffen.

Den Gästen jeden Wunsch zu erfüllen gehörte nun einmal zu ihrem Beruf. Und Lily hatte eine gewisse Begabung dafür, das Unmögliche möglich zu machen. Das oder ganz einfach Glück. Manchmal verstand sie es selbst nicht: Theaterkarten wurden zurückgegeben, gerade wenn sie welche bestellen wollte. Eine Tischreservierung wurde storniert, wenn sie dringend eine brauchte – es war direkt unheimlich.

Eines Nachmittags kam eine berühmte Broadway-Schauspielerin in die Hotellobby. Lily erinnerte sich noch gut an den Tag, denn es regnete in Strömen. Gerade hatte der Sekretär eines Botschafters ein Treffen mit eben dieser Künstlerin für seinen Vorgesetzten vereinbaren wollen. Der Zufall grenzte fast schon ans Übernatürliche.

Den Zettel in der Hand, wollte Lily nun das Hotel verlassen. Da betraten zwei beleibte Damen, dem Aussehen nach Mutter und Tochter, die Halle. Lily ahnte, wer da plötzlich vor ihr stand.

„Ich hatte eine angemessenere Begrüßung erwartet“, verkündete Prinzessin Drucille hochmütig. Trotz ihrer kleinen und fülligen Statur schaffte sie es, majestätisch aufzutreten. Die Tochter, die noch rundlicher aussah als die Mutter, nickte affektiert.

Gerard eilte ihnen entgegen. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Hoheit. Wir hatten Sie erst morgen erwartet.“ Er verbeugte sich. „Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle: Gerard de Mises, Besitzer des Hotels.“

Prinzessin Drucille rümpfte die Nase. „Prinz Conrad wird über diesen Empfang nicht sehr erbaut sein.“

Lily hasste es, mit anzusehen, wie beleidigend diese Frau den armen Gerard behandelte. Wie der Kronprinz sich wohl aufführen würde, daran wagte Lily kaum zu denken.

„Wann können wir Seine Hoheit erwarten?“, fragte sie die Prinzessin. Vielleicht konnte Gerard bis dahin eine Art Begrüßungskomitee zusammentrommeln.

Offenbar fand die Prinzessin es unter ihrer Würde, auf die Frage zu antworten. Dafür erwiderte Lady Ann: „Er ist bereits hier.“

„Ist Lady Penelope eingetroffen?“, wandte sich die Prinzessin gleichzeitig an Gerard, der augenblicklich erblasste.

„Lady Penelope?“, wiederholte Lily verständnislos. Wer, um alles in der Welt, war denn das?

„Die Tochter des Herzogs von Acacia“, erwiderte die Prinzessin ungeduldig. „Meine Sekretärin hat für sie reserviert.“

Hinter seinem Rücken schnippte Gerard diskret mit den Fingern. Daraufhin schlugen Karen und Barbara das Gästeverzeichnis auf, um nachzusehen. Lily wusste, dass keine Penelope darin aufgeführt war, ob Herzogstochter oder nicht.

„Nein“, sagte sie schnell, „sie ist noch nicht angekommen, aber ihre Zimmer sind vorbereitet. Sie wohnt in der Pampano-Suite.“

„Natürlich. Wie konnte ich das vergessen?“, bestätigte Gerard aufatmend und unterdrückte ein Grinsen.

Eine Suite mit diesem Namen gab es nicht. Als vor einiger Zeit ein russischer Würdenträger unangemeldet eintraf, hatte ein einfallsreicher Angestellter zwei benachbarte Zimmer in Windeseile in eine Art Suite umgewandelt. Nach ihm wurde sie später benannt. Und sie diente auch heute noch in Ausnahmefällen als Notlösung.

„Ausgezeichnet“, entgegnete die Prinzessin. „Dann ziehen wir uns jetzt zurück. Ich gehe davon aus“, fügte sie spitz hinzu, „dass unser Abendessen bereits bestellt ist.“

„Gewiss, Hoheit“, versicherte Gerard, und zu Lily gewandt, fragte er leise: „Glauben Sie, Sie schaffen es?“

Weil sie ihm die Unruhe ansah, erwiderte sie mit einer Zuversicht, die sie nicht empfand: „Bestimmt. Machen Sie sich keine Sorgen.“

„Wenn du das fertigbringst, glaube ich in Zukunft an Wunder“, murmelte Karen.

„Ich auch“, seufzte Lily. Sie wandte sich ab, um ins Büro zu gehen und beim Restaurant anzurufen. In diesem Moment setzte sich die Drehtür abermals in Bewegung.

Titel oder Vermögen beeindruckten Lily nur selten. Aber der Mann, der jetzt hereinkam, strahlte Energie und eine natürliche Überlegenheit aus, die ihr den Atem verschlugen. Wie verzaubert stand Lily da und blickte wie starr auf ihn.

Er war größer, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Auf Fotos wirkte er eher gedrungen, was an seinen breiten Schultern und dem athletischen Körperbau liegen musste. Doch das Bemerkenswerteste an ihm waren die Augen: Ein derart helles und gleichzeitig intensives Blau hatte sie noch nie gesehen. Sie fragte sich, ob es am Kontrast zu seinem braun gebrannten Gesicht und den kohlenschwarzen Haaren lag. In jedem Fall faszinierend, dachte sie. Was immer der Grund auch sein mochte, als sich ihre Blicke kreuzten, spürte sie, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief.

Er sah fantastisch aus, und zu allem Überfluss war er auch noch ein Prinz! Kein Wunder, dass die Frauen bei seinem Anblick schwach wurden.

„Guten Abend“, sagte er. Seine Stimme klang tief und kultiviert, außerdem sprach er fast akzentfrei.

„Guten Abend, Hoheit.“ Die ungewohnte Anrede kam ihr nicht leicht über die Lippen.

„Sie wissen, wer ich bin?“

„Selbstverständlich.“

Sein Blick war offen und gleichzeitig durchdringend. „Meine Ankunft hat sich um einen Tag verfrüht. Ist das ein Problem?“

„Keineswegs.“ Seine Manieren schienen besser zu sein als die seiner Stiefmutter. „Was Ihr Abendessen betrifft, so wird es in Kürze geliefert.“

„Mein Abendessen?“

Prinzessin Drucille mischte sich ins Gespräch. „Wir haben bei Le Capitan bestellen lassen, Darling“, verkündete sie und lächelte gekünstelt.

Der Prinz musterte sie kühl. „Für heute Abend habe ich bereits andere Pläne.“

„Wie du möchtest.“

„Bitte zögern Sie nicht, uns Ihre Wünsche mitzuteilen, Hoheit“, mischte sich Lily höflich ein. „Wir möchten, dass Sie sich bei uns wohlfühlen.“

Lange sah er sie an. Sie spürte erneut die magische Anziehungskraft seiner blauen Augen. „Worum ich vor allem bitte, ist, dass man mich nicht stört.“

Einen Moment lang verschlug es Lily die Sprache. Das klang wie eine Zurechtweisung. Meinte er damit etwa sie persönlich? Glaubte er etwa, sie wolle sich aufdrängen?

„Selbstverständlich, Hoheit“, erwiderte sie förmlich.

Er nickte kurz. „Ich gehe davon aus, dass ich mich auf Ihre Diskretion verlassen kann.“

Er meinte Besucher – oder vielmehr Besucherinnen. Was sonst? Lily war es gewöhnt, in ihrem Beruf über vieles hinwegzusehen. Prinz Conrad unterschied sich offensichtlich nicht von den anderen Gästen. Doch sein arrogantes Verhalten gefiel ihr überhaupt nicht.

„Selbstverständlich“, wiederholte sie. Sein Aufenthalt im Montclair war gut fürs Geschäft, das durfte sie nicht vergessen.

„Ausgezeichnet. Stephan!“ Er wandte sich an einen dunkel gekleideten Mann und fragte ihn etwas, das Lily nicht verstand. Dieser Stephan fiel ihr auch erst jetzt auf.

Er nickte und hielt einen Zimmerschlüssel hoch. Anschließend griffen Stephan und ein weiterer Begleiter nach den beiden Koffern, die der Chauffeur in die Lobby gebracht hatte. Prinz Conrad folgte ihnen zum Aufzug.

Drucille sah ihm nicht sehr freundlich nach, bevor sie sich zu Lily umdrehte. „Lassen Sie das Abendessen auf meine Suite bringen. Ich nehme an, sie verfügt über ein Speisezimmer.“

„Natürlich, Hoheit“, erwiderte Lily zerstreut, während ihr Blick der hochgewachsenen Gestalt in dem hervorragend geschnittenen Maßanzug folgte. Der Mann besaß Flair, so viel stand fest.

„Lily … Das Abendessen!“, flüsterte Gerard eindringlich. „Die Prinzessin sieht nicht aus, als sei sie besonders geduldig.“

„Nein, das ist sie bestimmt nicht. Ich habe große Lust, ins nächstbeste Restaurant zu gehen, um Steaks und Salat zu holen.“

Karen kicherte, verstummte jedoch unter Gerards vorwurfsvollem Blick.

„Keine Angst, das war nur ein Scherz.“ Nachdem sie die Kreditkarte für Geschäftseinkäufe eingesteckt hatte, machte Lily sich auf den Weg. „Bis gleich.“

Vor dem Hotel verharrte sie einen Augenblick. Wie immer roch es nach Auspuffgasen und den Essensdüften benachbarter Restaurants. Die Luft war mild, und im Licht der Straßenlampen glänzte das frische grüne Laub der Bäume. Lily atmete tief ein. Nach den langen kalten Wintermonaten war endlich wieder Frühling in New York. Es tat gut, im Freien zu sein.

Zuerst ging sie zum Krankenhaus, wo sie im Geschenkeladen tatsächlich die gewünschten Paradiesvogelblumen bekam. Problem Nummer eins war somit gelöst.

Die Glückssträhne hielt an. Beim Verlassen des Ladens hielt Lily ein Taxi an, das sie zu Le Capitan brachte, wo sie dank ihres Bekannten das Abendessen und sogar den Champagner bekam. Sie bedankte sich, versprach dem Barmann Eintrittskarten zu einer seit Monaten ausverkauften Show und kehrte ins Hotel zurück.

Zu ihrer Überraschung meldete sich trotz der späten Stunde noch ein Gast am Empfang. Dann erkannte Lily die Frau und seufzte: Es handelte sich um niemand anderen als die berüchtigte Baroness von Elsbon.

Kiki von Elsbon war im Montclair gut bekannt. Sie erschien vor allem, wenn ein attraktiver unverheirateter Mann im Hotel wohnte – wie vor nicht allzu langer Zeit der Pressekönig Breck Monohan oder der berühmte Filmschauspieler Jean Poirrou. Kein reicher lediger Mann war vor der exzentrischen Exfrau des kürzlich verstorbenen Barons Horst von Elsbon sicher. Anscheinend hatte sie auch schon von Prinz Conrads Besuch gehört.

Die Baroness zählte zu den unangenehmsten Gästen, denen Lily während ihrer Laufbahn im Montclair begegnet war. Als sie Kiki jetzt erblickte, ging sie deshalb so schnell und unauffällig wie möglich zu den Fahrstühlen, um die Einkäufe für Prinzessin Drucille abzuliefern.

In der Etagenküche im ersten Stock fand Lily außer dem Küchenchef Henri niemanden mehr vor.

„Wo sind die Zimmerkellner?“, fragte sie.

Henri zuckte die Schultern. „Lyle hat eine Erkältung und ist nach Hause gegangen. Elissa und Sean haben Frühschicht, und Miguel ist noch im Urlaub.“ Er griff nach seinem Mantel. „Und ich gehe jetzt auch.“

Lily seufzte. Henris temperamentvolle Ausbrüche kannte sie. Seitdem auch in der Küche das Personal gekürzt worden war, zeigte er sich noch unzugänglicher. Völlig aussichtslos, ihn mit dem Abendessen der Prinzessin zu belästigen.

„Können Sie mir sagen, wo ich einen Teewagen finde?“, fragte Lily deshalb nur.

„In der Anrichte. Elissa hat welche vorbereitet.“

„Danke.“ Sie zögerte, dann gab sie sich einen Ruck. Henri benahm sich nicht sehr freundlich. Trotzdem brauchte sie seinen Rat. „Henri, die Steaks sind fast kalt. Kann ich sie in der Mikrowelle aufwärmen?“

Entsetzt musterte der Küchenchef sie. „Das soll wohl ein Scherz sein.“

„Leider nicht.“

Er verdrehte die Augen, bevor er nickte. „Aber höchstens dreißig Sekunden, nicht länger. Für das Ergebnis übernehme ich keine Garantie.“

Lily schenkte ihm ein dankbares Lächeln. „Merci beaucoup, Henri. Vielen Dank für den Tipp.“

Abwinkend ging er zur Tür. „De rien. Viel Glück.“

„Danke, ich kann’s gebrauchen.“

Kurz darauf stand Lily bereits vor Drucilles Suite. Eine schüchterne junge Frau, wahrscheinlich die Sekretärin, öffnete. „Ich bringe das Abendessen.“

Die Prinzessin und Lady Ann saßen im Salon und unterhielten sich mit einer Besucherin. Lily bemerkten sie nicht.

„Seine Wünsche sind nicht von Belang“, sagte Drucille gerade. „Er muss heiraten, wenn die Nachfolge gesichert sein soll. Und dafür werde ich auch sorgen.“

Lady Ann nickte.

„Moment mal“, erwiderte die Unbekannte. „Ich war der Meinung, der Prinz ist schon verlobt. Mit Lady Penelope.“

„Noch nicht“, entgegnete Drucille. „Wenn Sie, meine Liebe, also eine geeignete Debütantin kennen, hätte ich nichts dagegen, mich mit ihr ein wenig zu unterhalten. Das wäre doch etwas für Ihre Kolumne, oder nicht?“, fügte sie herausfordernd hinzu.

Die Frau nickte. „Ja, das wäre nicht schlecht: Prinz Conrad auf der Suche nach einer Kronprinzessin.“ Ihre Augen funkelten.

„Eben. Dass er letztendlich doch Lady Penelope um ihre Hand bitten wird, spielt dabei keine Rolle. Ich verspreche Ihnen, dass Sie die Erste sind, die davon erfährt. Der Caroline-Horton-Exklusivbericht ist Ihnen sicher.“

Caroline Horton! Sie schrieb für den New York Tattler, ihre Klatschspalte auf Seite sieben war ebenso berühmt wie berüchtigt.

„Das hört sich gut an, Prinzessin, Sie können sich auf mich verlassen.“ Die Journalistin erhob sich und streckte Drucille die Hand hin, welche Ihre Hoheit nur widerstrebend ergriff. Die Formlosigkeit der Amerikanerin gefiel ihr offensichtlich nicht.

„Unser Gespräch ist vertraulich, Caroline. Bitte vergessen Sie das nicht.“

Im Flur warf die Sekretärin Lily einen beschwörenden Blick zu, worauf diese nickte und ein paar Schritte zurücktrat. Dann rollte sie den Teewagen in den Salon, als wäre sie eben erst angekommen.

„Hier ist Ihr Abendessen, Hoheit. Und der Champagner.“

Drucille begutachtete die Gedecke. „Ein Steak und Salat sind für Prinz Conrad.“

„Aber … Ich hatte den Eindruck, er wollte nicht gestört werden“, entgegnete Lily ein wenig verwirrt.

„Unsinn, er erwartet Sie. Bringen Sie ihm das Essen, bevor es kalt wird.“ Mit einer herrischen Geste zeigte sie auf einen der Teller.

Lily nahm das Tablett und ging. Sie war sicher, dass sie sich nicht geirrt hatte. Aber wenn die Prinzessin darauf bestand, dass ihr Stiefsohn auf sein Essen wartete, konnte sie schlecht widersprechen.

Nachdem er ihr die Tür geöffnet hatte, stellte Lily beschämt fest, dass er nicht allein war. Brittany Oliver, ein Hollywood-Starlet, dessen Ruhm seit einiger Zeit immer mehr verblasste, saß im Wohnzimmer auf der Couch.

„Ich habe nichts bestellt“, sagte er kurz angebunden. „Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich um keine Störung gebeten.“

Seine Stimme klang müde, so als überrasche ihn die Unterbrechung nicht. Und obwohl Lily den Vorwurf nicht verdiente, musste sie ihm recht geben: Genau das hatte er gesagt.

„Es tut mir sehr leid, Hoheit“, entgegnete sie. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Brittany Oliver sich auf dem Sofa zurechtsetzte, um sich nichts entgehen zu lassen. „Ihre Stiefmutter bestand darauf, dass ich Ihnen das Essen bringe. Sie sagte, Sie warten darauf.“

„Die Gattin meines verstorbenen Vaters“, korrigierte er, „sagt so manches, was man am besten ignoriert. Zum Beispiel das hier.“

„Hoheit, ich bedaure das Missverständnis. Meine Aufgabe ist, den Wünschen unserer Gäste nachzukommen und …“

„Mein Wunsch war, nicht gestört werden.“

„Das bestreite ich nicht. Nur, Ihre Stiefmutter …“

„Die Frau meines verstorbenen Vaters.“

„… versicherte mir, dass Sie auf Ihr Abendessen warten. Wie ich sehe, ist das nicht der Fall. Erlauben Sie, dass ich es wieder mitnehme.“

Schweigend musterte der Prinz sie. Den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie, etwas wie Mitgefühl in seinen Augen aufflackern zu sehen. „Das bedeutet, Sie müssen Drucille das Tablett zurückbringen, nicht wahr?“

„Ja.“ Die Vorstellung einer erneuten Konfrontierung mit der Prinzessin erschien Lily so verlockend wie ein Zahnarztbesuch.

Der Schatten eines Lächelns huschte über Prinz Conrads Gesicht. Dann nahm er das Tablett und stellte es auf eine Konsole. „Es ist gut, Sie können es hierlassen.“

Lily nickte und wandte sich zum Gehen, als sie Brittanys Stimme vernahm. „Fräulein?“

Sie drehte sich um. „Kann ich etwas für Sie tun?“

„Vor dem Hotel stehen ein paar Fotografen. Ich glaube, sie warten auf mich, um Bilder zu machen.“

„Wirklich?“ Lily rührte sich nicht.

„Überzeugen Sie sich doch selbst, wenn Sie mir nicht glauben.“ Mit einem gekünstelten Lachen wandte sie sich an den Prinzen: „Es ist schrecklich, ständig sind sie hinter mir her.“

Schließlich trat Lily ans Fenster und blickte hinaus. „Die Straße ist leer.“

„Leer?“ Brittany sprang auf, sah hinaus und seufzte enttäuscht. „Aber ich hatte doch …“ Sie verstummte und fing sich wieder. „Ich hatte meinen Agenten ausdrücklich gebeten, er soll mir die Presse vom Leibe halten. Anscheinend hat es geklappt.“

Sie räusperte sich. „Würden Sie mich bitte einen Moment entschuldigen? Ich … ich möchte mir nur schnell die Nase pudern.“ Daraufhin verschwand sie im Badezimmer. Jedoch nicht, ohne vorher heimlich ihr Handy in die Handtasche zu stecken, wie Lily feststellte.

Unbeteiligt und kaum merklich zuckte sie die Schultern, bevor sie sich an den Prinzen wandte: „Darf ich mich jetzt verabschieden, Hoheit?“

Weil er am Fenster stand, hatte er den Vorfall mit dem Handy nicht bemerkt. „Waren heute Abend Fotografen vor dem Hotel?“

„Nicht dass ich wüsste.“

„Hat man jemanden darüber informiert, dass ich früher als erwartet angekommen bin?“

„Nein, Hoheit.“

„Hm.“ Nachdenklich betrachtete er die geschlossene Badezimmertür. „Bitte stellen Sie heute Abend keine Gespräche mehr durch.“

„Wie Sie wünschen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“

„Nein.“

„Dann gehe ich jetzt. Für den Fall, dass Sie etwas benötigen, brauchen Sie nur die Null zu wählen und sich mit der Concierge verbinden zu lassen.“

„Das sind Sie, nicht wahr?“

„Ich oder mein Kollege.“

„Sollte ich dann nicht besser Ihren Namen nennen?“

„Wie Sie möchten. Wenn ich nicht erreichbar bin, kann Ihnen mein Mitarbeiter auch helfen. Oder die Rezeptionistin.“

Brittany kam aus dem Badezimmer zurück. „Conrad?“

Er sah sie flüchtig an, bevor er sich von Lily verabschiedete. „Ich danke Ihnen.“

„Keine Ursache“, sagte sie und ging.

Eigentlich hatte sie ihm einen besseren Geschmack zugetraut – außer einem hübschen Gesicht hatte Brittany Oliver nicht viel zu bieten. Aber wie viele Männer gab es schon, deren Ansprüchen das nicht genügte? Und wenn man dem Ruf des Prinzen Glauben schenken durfte, gehörte er nicht zu den Ausnahmen.

Während sie zum Aufzug schritt, warf sie einen Blick auf die Armbanduhr. Es war bereits nach Mitternacht. Lilys nächste Schicht begann um sechs Uhr morgens. Jetzt noch nach Hause zu fahren lohnte sich nicht. Wie schon so oft in letzter Zeit würde also die Couch im Büro ihr Nachtlager bilden.

Lily seufzte. Zum Glück war es genauso komfortabel wie die meisten Gästezimmer. Gerard legte Wert auf Qualität, für ihn kam nur das Beste infrage. Das galt für die Betten in den Gästezimmern, das Sofa im Büro und genauso für die Mülltonnen in der Küche.

Auf dem Weg nahm sie eine leichte Decke aus einem der Wäscheschränke. Endlich im Büro, schloss Lily die Tür hinter sich. Gleich würde sie die Beine hochlegen und sich nur noch ausruhen. Müde ließ sie sich auf die Couch fallen.

Als das Telefon klingelte, hätte sie nicht sagen können, wie lange sie geschlafen hatte. Vielleicht ein oder zwei Stunden. Trotzdem kam es ihr eher wie zehn Minuten vor. Langsam stand sie auf und ging an den Schreibtisch. Das Lichtsignal am Telefon zeigte, dass jemand aus dem Hotel anrief. Sie hob ab und meldete sich, in der Hoffnung, nicht allzu verschlafen zu klingen.

„Ich glaube, dass es bei Ihren Sicherheitsvorkehrungen eine Panne gegeben hat“, sagte Prinz Conrad am anderen Ende der Leitung.

Sofort war Lily hellwach. War jemand bei ihm eingebrochen? Hatte man ihn bedroht? O nein, so etwas wäre nicht auszudenken. „Was ist geschehen?“, fragte sie so ruhig wie möglich. „Soll ich die Polizei verständigen?“

„Nein. Es handelt sich um die Presse. Vor dem Hotel steht eine Gruppe von Reportern.“

„Oje! Ich sorge dafür, dass sie sich sofort entfernen.“

„Darum geht es jetzt nicht. Ich bitte Sie um etwas anderes. Finden Sie einen Weg, damit mein Gast das Hotel diskret verlassen kann, und zwar so schnell wie möglich!“

Anscheinend war sie doch noch nicht ganz wach. Müde rieb Lily sich die Augen. „Bitte entschuldigen Sie, aber ich verstehe nicht ganz.“

„Ich spreche von meiner Besucherin Ms. Oliver“, erklärte er ungeduldig. „Im Gegensatz zu Ihrer Behauptung von vorhin warten Fotografen vor dem Eingang. Und ich möchte auf keinen Fall, dass die Zeitungen morgen Bilder von ihr veröffentlichen, wie sie mein Hotel verlässt!“

2. KAPITEL

„Ich komme sofort.“

Eine Verwünschung vor sich hin murmelnd, legte Lily den Hörer auf. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Für dergleichen war sie jetzt nicht in der richtigen Verfassung, mochte der Gast auch noch so wichtig oder hochwohlgeboren sein.

Trotzdem verließ sie das Büro, um die fünf oder sechs Reporter zu konfrontieren, die mit ihren Kameras vor dem Hotel herumstanden, Zigaretten rauchten und sich langweilten.

„Was wollen Sie hier?“, fragte sie.

„Wir bekamen einen Anruf, dass Brittany Oliver in Ihrem Hotel ist und seiner Durchlaucht Gesellschaft leistet, dem Kronprinzen von Belorien oder wie sein Land auch heißt“, erwiderte einer der Fotografen und warf seinen Zigarettenstummel auf die Straße. „Was können Sie uns dazu sagen? Haben wir eine Story oder nicht?“

„Ich weiß nicht, von wem Sie reden, aber ich kann Ihnen versichern, dass Ihre Anwesenheit unsere Gäste stört.“

„Mal schön langsam“, mischte sich ein anderer ein. „Wir tun nur unsere Arbeit, genau wie Sie. Brittany Oliver ist Schnee von gestern, sie interessiert mich nicht. Vielleicht ist das Ganze ein Trick von ihrem Agenten, damit sie wieder mal in die Zeitung kommt. Aber wir wissen, dass Prinz Conrad in New York ist. Stimmt es, dass er bei Ihnen wohnt?“

„Prinz Conrad? Nie von ihm gehört.“

Misstrauisch musterte der Reporter sie. „Wollen Sie mir weismachen, dass Ihnen der Playboy-Prinz von Belorien kein Begriff ist?“

Lily zuckte abweisend die Schultern. „Tut mir leid.“

„Sein Vater Prinz Frederick erhielt vor ein paar Wochen eine UN-Auszeichnung, kurz vor seinem Tod. Und der Sohn ist gekommen, um sie für ihn entgegenzunehmen. Was die Vereinten Nationen sind, das wissen Sie doch, oder?“

„Natürlich.“

„Er soll Samstagabend Gastgeber bei einer Benefizveranstaltung sein.“

„Davon ist mir nichts bekannt.“

„Man behauptet, der Prinz ist bei Ihnen abgestiegen, weil sein Vater auch immer hier gewohnt hat. Damals, als das Montclair noch das Hotel in New York war.“

„Dann setzt jemand Gerüchte in die Welt“, entgegnete sie kühl. „Es steht Ihnen frei, Bilder vom Hotel zu machen – von außen, versteht sich. Ich finde, es lohnt sich.“ Sie lächelte ironisch. „Auch wenn wir Ihrer Ansicht nicht mehr das Haus am Platze sind.“

Schweigend sah der Fotograf sie an, dann wandte er sich an seine Kollegen. „Ich glaube, sie sagt die Wahrheit.“

„Ich weiß nicht“, erwiderte ein anderer zweifelnd. „Es ist ihr Job, das Gegenteil zu behaupten, auch wenn er hier wohnt.“

Lily seufzte. „Wie gesagt, außerhalb unseres Geländes können Sie tun und lassen, was Sie wollen. Im Moment blockieren Sie allerdings den Eingang und stören unsere Gäste. Bitte zwingen Sie mich nicht, die Polizei zu rufen.“

„Mir langt’s“, ließ sich die einzige Fotografin der Gruppe vernehmen. „Ich habe Besseres zu tun, als mir die Nacht um die Ohren zu schlagen und auf Brittany Oliver zu warten – egal, mit wem sie zusammen ist.“

Zwei Reporter nickten und steckten ihre Kameras ein.

„Vielen Dank“, erwiderte Lily.

„Ich bleibe“, beharrte ein dritter. „Ein Bild vom schönen Conrad bringt mir mehr, als in meiner Wohnung herumzusitzen.“

Zustimmendes Gemurmel folgte. Sie wusste, dass jede weitere Bemühung ihrerseits nur verdächtig wäre. Achselzuckend drehte Lily sich um und ging in die Lobby zurück. Sie musste sich etwas anderes einfallen lassen, um Brittany unauffällig aus dem Hotel zu lassen.

Auf dem Weg zu Prinz Conrad kam Lily die Erleuchtung: Wo suchte der Löwe sein Opfer am wenigsten? In seiner eigenen Höhle. Wenn Ms. Oliver wie ein normaler Gast das Hotel verließ, würden die Presseleute am wenigsten auf sie aufmerksam werden.

„Ich würde sagen, Sie hängen sich einen Mantel um und setzen einen Hut auf, damit man Sie nicht sofort erkennt. Wir lassen Sie von einem unserer Angestellten mit seinem Privatauto heimbringen“, schlug sie vor, als sie dem Prinzen und seiner Begleiterin gegenüberstand.

„Aber … die Fotografen warten doch auf mich, oder?“

„Das stimmt. Wenn Sie jedoch wie jeder andere Gast aus dem Hotel gehen, wird man Sie nicht beachten.“ Sie bezweifelte, dass ihr Vorschlag der Dame gefiel. Obwohl sie es nicht eingestehen wollte, war offensichtlich, worum es Ms. Oliver ging: Aufmerksamkeit zu erregen. „Wahrscheinlich rechnen sie damit, dass wir Sie im Lieferwagen der Wäscherei hinausschmuggeln oder so etwas Ähnliches.“

Zum ersten Mal an diesem Abend erschien ein Lächeln auf Conrads Gesicht. „Ich glaube, Sie haben recht“, bemerkte er anerkennend. „Mir gefällt die Idee.“

Sein Lob bewirkte, dass Lily wie ein kleines Mädchen errötete. „Ich bin sicher, es funktioniert“, bekräftigte sie den Plan hastig.

Unschlüssig sah Brittany vom einen zum anderen. „Und wenn sie mich doch erkennen?“

„Dann fotografiert man Sie eben. Und jeder wird sich darüber den Kopf zerbrechen, mit wem Sie den Abend verbracht haben.“

Diese Aussicht schien ihr zu gefallen, wenn auch nicht dem Prinzen: Er runzelte die Stirn, sagte aber nichts.

„Dann sind wir uns also einig.“ Lily zog ihr Handy aus der Tasche. „Wenn Sie möchten, benachrichtige ich Mike, er soll den Wagen zum Eingang bringen.“

Brittany klatschte in die Hände. „Gut. Warum nicht? Ich finde es richtig aufregend.“

Du vielleicht, dachte Lily missgestimmt, ich bin absolut nicht begeistert. Laut erklärte sie: „Gehen wir. An Ihrer Stelle, Hoheit, würde ich die Lobby lieber meiden.“

Er zog die Brauen hoch. „Ich bin nicht daran gewöhnt, mich zu verstecken.“

„Sie hat recht, Conrad“, stimmte Brittany zu. „Wenn man Sie sieht, wird keiner glauben, dass wir nur Freunde sind.“

Vielleicht war es eine akustische Täuschung. Plötzlich hatte Lily den Eindruck, dass so etwas wie Hoffnung in Brittanys Stimme mitschwang.

Der Prinz zuckte die Schultern. „Wie Sie möchten, Brittany. Danke, dass Sie gekommen sind. Es war schön, Sie zu sehen, und ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen.“

„Jederzeit gern wieder.“ Indem sie ihm die Arme um den Hals legte, schmiegte sie sich verführerisch an ihn. Kokett küsste sie ihn auf die Wange.

Unangenehm berührt sah Lily zur Seite, sie fühlte sich ausgesprochen fehl am Platz.

Conrad löste sich aus der Umarmung. „Bitte informieren Sie mich, sobald Ms. Oliver das Hotel verlassen hat“, bat er Lily. „Ich werde auf Sie warten.“

„Sehr wohl, Hoheit. Ich bin sicher, dass alles reibungslos abläuft.“ Und danach kann ich mich endlich aufs Ohr legen, fügte sie stillschweigend hinzu.

Während sie mit Brittany auf den Fahrstuhl wartete, sagte sie mit einem Blick auf deren kostbaren Nerzmantel: „Vielleicht wäre es besser, Sie hätten etwas … Unauffälligeres an. Wir haben verschiedene Mäntel im Hotel, die …“

„Wie komme ich dazu, einen fremden Mantel anzuziehen? Ich habe meinen eigenen“, erwiderte die Schauspielerin hochnäsig. Sie fand es anscheinend nicht mehr nötig, weiterhin die Liebenswürdige zu spielen.

Der Fahrstuhl hielt, und sie stiegen ein.

„Und wenn man mich trotzdem erkennt“, fuhr Brittany fort, „dann kann ich es nicht ändern. Prinz Conrad und ich werden uns in den nächsten Tagen noch öfter sehen. Da wird es ohnehin nicht leicht, die Reporter zu meiden.“ Sie seufzte theatralisch.

Von dieser Bemerkung ließ sie sich nicht täuschen. Brittany ging es ausschließlich darum, gesehen zu werden, und dafür würde sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Doch das konnte Lily gleichgültig sein. Sie hatte getan, was sie konnte.

Als sie die Lobby erreichten, blickte sie vorsichtig nach draußen. „Ihr Fahrer ist da, die Fotografen leider auch noch.“

„Wirklich?“ Brittany strahlte und stolzierte zum Ausgang.

Missmutig sah Lily ihr nach, bevor sie seufzend den Lift betrat, um Prinz Conrad mitzuteilen, dass sich sein Gast auf dem Heimweg befand. Danach dauerte es etwa drei Stunden, bis die Frühschicht begann. Sei’s drum! Solange Lily Gerard und dem Hotel helfen konnte, würde sie es tun.

Was der Fotograf vorhin zu ihr gesagt hatte, stimmte: Noch vor wenigen Jahren war das Montclair das Hotel für königlichen Besuch, Würdenträger und Persönlichkeiten aus aller Welt gewesen. Nach den Ereignissen von 2001 hatte der Besucherstrom drastisch abgenommen. Leider sah es nicht so aus, als würde sich das in der nächsten Zeit ändern.

Gerard hatte versucht, mit Werbekampagnen und Angeboten wie „Wochenende zu zweit“ das Geschäft anzukurbeln, bedauerlicherweise ohne Erfolg. Lily hoffte von ganzem Herzen, dass Prinz Conrads Anwesenheit den notwendigen Aufschwung brachte. Natürlich würde sie alles tun, um ihn vor den Medien zu schützen. Wenn trotzdem ein oder zwei Artikel in der Presse erschienen – mit dem Hinweis, dass er im Montclair wohnte –, könnte es das Ansehen des Hotels verbessern.

Schon nach wenigen Sekunden öffnete Prinz Conrad die Tür. Lily erkannte mit einem Blick, dass er ebenso müde war wie sie.

„Hat alles geklappt?“, fragte er aufmerksam.

„Ja, Ms. Oliver ist unterwegs.“

„Gut.“ Während er sie musterte, verspürte Lily ein seltsames Kribbeln auf der Haut. Sein Blick war geradezu hypnotisch.

„Ich weiß Ihre Diskretion zu schätzen.“

Sie lächelte schlicht. „Diskretion gehört zu meinem Beruf.“

„Und was gehört sonst noch dazu?“

Die Frage überraschte sie. „Ich bin Concierge, Hoheit.“

„Ja, das sagten Sie bereits. Aber worin genau besteht Ihre Aufgabe? Ich bin mit kleineren Hotels nicht sehr vertraut. Heißt das, Sie …“ Er betonte das Wort. „… sorgen dafür, dass die Gäste in Ihrem Haus glücklich und zufrieden sind?“

„Soweit es möglich ist, ja“, erwiderte sie vorsichtig. Anscheinend wollte er auf etwas Bestimmtes hinaus.

„Ich vermute, Miss …?“ Fragend zog er die Brauen hoch.

„Tilden, Lily.“

Erstaunt sah er sie an. „Ms. Tildenlily?“

Sie musste lachen. „Mein Vorname ist Lily, Tilden ist der Nachname.“

„Lily Tilden.“ Das Timbre seiner Stimme war weich wie Samt. „So leid es mir auch tut, ich befürchte, Sie haben ein paar schwierige Tage vor sich, Ms. Tilden“, verkündete er und schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln.

Sie schluckte. Ob sie es wollte oder nicht, der Mann brachte sie aus dem Konzept. Das passierte ihr doch sonst nie. „Wie soll ich das verstehen?“

„Prinzessin Drucille kann, wie soll ich sagen, sehr anstrengend sein. Ich befürchte, dass sie Ihre Dienste mehr als nötig in Anspruch nehmen wird. Dafür möchte ich mich im Voraus bei Ihnen entschuldigen.“

Spontan fiel ihr keine passende Antwort ein. Zögernd erwiderte Lily: „Vielen Dank für den Hinweis, Prinz Conrad. Ich bin sicher, dass ich mit ihr zurechtkomme.“

Er hob die Hände und ließ sie sogleich wieder fallen. „Ich hoffe es. Jedenfalls wünsche ich Ihnen dabei viel Glück.“

Amüsiert betrachtete sie ihn. „Das klingt, als ob ich es brauchen könnte.“

Conrad lächelte daraufhin belustigt. „Glauben Sie mir, bei der Frau meines verstorbenen Vaters kann jeder eine Portion Glück gebrauchen.“

Schon legte sie die Finger auf die Türklinke, dann hielt Lily inne. „Ohne taktlos zu sein – darf ich Sie etwas fragen?“

„Bitte.“ Ein Anflug von Humor funkelte in seinen Augen, und für einen Moment vergaß sie, was sie sagen wollte.

„Prinzessin Drucilles Behauptung, dass Sie auf das Abendessen gewartet haben, war … nicht ganz korrekt, nicht wahr?“

Ruhig nickte er und wartete ab.

„Wenn sie also in Zukunft mich oder einen unserer Angestellten mit etwas beauftragt, heißt das, dass wir …“ Verlegen brach sie ab. Wie fragte man höflich, ob man sie nicht ernst zu nehmen brauchte?

Conrad schwieg eine Weile, bevor er ihr zu Hilfe kam. „Sollte ich etwas wünschen, melde ich mich persönlich. Anweisungen, die mich betreffen und von anderer Seite kommen, brauchen Sie nicht zu befolgen.“

„Dann ist alles klar. Ich werde meine Kollegen entsprechend informieren.“ Lily konnte ihre Erleichterung nicht verbergen.

Ernst nickte er. „Dafür wäre ich Ihnen dankbar. Sonst habe ich in Ihrem Haus keine ruhige Minute.“

3. KAPITEL

Wie nicht anders zu erwarten, erschienen am nächsten Tag in allen Abendzeitungen kurze Artikel über Brittany Oliver und Prinz Conrad, natürlich mit Fotos. Leider sah der Hintergrund auf jeder Aufnahme zu verschwommen aus. Dass das Hotel kaum zu erkennen war, entging weder Lily noch Gerard.

„Schade“, meinte der Hotelbesitzer seufzend und strich sich über das graue Haar. Dann legte er die Zeitungen beiseite. „Ein bisschen Reklame hätte nicht geschadet. Wenn das so weitergeht, können wir bald zumachen.“

Seine Worte schnitten Lily ins Herz. Gerard hatte sein ganzes Leben lang so hart gearbeitet. Jetzt deutete alles darauf hin, dass alles umsonst gewesen war.

„Es wird schon aufwärtsgehen“, versicherte sie ihm, wohl zum hundertsten Mal. Doch allmählich glaubte sie selbst nicht mehr daran.

Wegen ihrer Stelle machte sie sich keine Sorgen. Lily konnte jederzeit woanders anfangen. Hin und wieder hatte sie sogar mit dem Gedanken gespielt, eine Weile nach Europa oder Japan zu gehen. Bei Gerard lagen die Dinge hingegen anders: Das Montclair war sein Ein und Alles, das bewiesen die perfekt durchdachten Details. Allein sich vorzustellen, dass er gezwungen sein könnte, das Hotel zu schließen – Lily fand es unerträglich.

„Hoffen wir das Beste“, antwortete er. „Bisher haben wir es noch immer geschafft.“

Lily nickte stumm. Plötzlich klingelte das Telefon am Empfang. „Bitte entschuldigen Sie mich, die Pflicht ruft.“

„Das hört man gern“, erwiderte er.

Sie nahm den Hörer ab und meldete sich freundlich. Es war Stephan, Prinz Conrads Bodyguard, der Einzelheiten über die Sicherheitsvorkehrungen im Hotel wissen wollte. So gut sie konnte, informierte sie ihn. Im Verlauf des Gesprächs erfuhr sie außerdem, dass nicht der Prinz sich Sorgen machte. Wenn es nach ihm ginge, könnte auf jegliche Art von Maßnahmen verzichtet werden. Nur aus Achtung vor seinem verstorbenen Vater, der diese Meinung nicht vertreten hatte, reiste Prinz Conrad in Begleitung von Leibwächtern.

Lily versicherte mehrmals, dass das Hotel ausreichend überwacht wurde. Damit traf sie bei Stephan jedoch auf taube Ohren. Schließlich gab sie ihm den Namen eines Privatunternehmens, wo er zusätzliche Überwacher anfordern konnte. Die Sicherheit des Kronprinzen von Belorien hatte Vorrang. Auch wenn Lily der Gedanke an eine Armee von Gorillas im Montclair sehr widerstrebte.

Danach erhielt Lily kurz hintereinander noch drei Anrufe. Lady Ann wollte etwas zum Knabbern. Kiki von Elsbon erfragte den Namen des Managers eines Kaufhauses, wo man sie, natürlich völlig grundlos, des Ladendiebstahls bezichtigte. Sie hatte lediglich versäumt, einen Kaschmirschal nach dem Anprobieren auf den Ladentisch zurückzulegen. Schließlich schilderte Portia Miletto ihre Sorgen am Telefon. Die wohlhabende junge Italienerin glaubte, ihr elektronisches Adressbuch in einem Taxi vergessen zu haben.

Als Lily nach mehreren Telefonaten und gegen Bezahlung einer erklecklichen Belohnung das kostbare Stück zurückbekam, war der Nachmittag fast vorbei – und sie selbst am Ende ihrer Kräfte. Das änderte sich aber schlagartig, weil Prinz Conrad anrief und sie für einige Minuten zu sich bat. Mit frischer Energie machte sie sich auf den Weg zu seiner Suite.

„Da sind Sie ja. Danke, dass Sie gekommen sind“, sagte er, nachdem er auf ihr Klopfen die Tür geöffnet hatte.

„Was kann ich für Sie tun, Hoheit?“

Schweigend betrachtete er sie, bevor er unerwartet fragte: „Wie wäre es mit einem Drink?“

Lily zögerte – damit hatte sie nicht gerechnet. Einladungen dieser Art waren ihr zwar nicht neu. Sie verstand es, sie geschickt und taktvoll abzulehnen. Allerdings kamen derlei Vorschläge im Allgemeinen von älteren und bei Weitem nicht so attraktiven männlichen Gästen.

Da ihm ihre Überraschung nicht entging, fügte er hinzu: „Wollen Sie nicht eintreten? Ich möchte Sie um etwas bitten.“

„Gern. Womit kann ich Ihnen helfen?“

Er zeigte auf das Sofa. „Bitte nehmen Sie Platz.“ Mit langen Schritten ging er an die Hausbar und kam mit einem Glas Champagner zurück.

Ablehnend schüttelte Lily den Kopf. „Danke, nicht wenn ich im Dienst bin.“

„Ich verstehe.“ Er stellte das Glas ab und nahm zwei kleine Flaschen des Mineralwassers aus dem Kühlschrank, das die Prinzessin angefordert hatte. „In der Regel sagen Frauen nicht Nein zu Champagner“, bemerkte er und deutete ein Lächeln an.

„Besonders wenn er von Ihnen kommt“, platzte sie heraus.

Der Prinz musterte sie nachdenklich. „Ich habe das Gefühl, dass meine … hm … Position Sie nicht sonderlich beeindruckt, Ms. Tilden.“

„Für mich sind alle Gäste gleich.“

Er lachte. „Bravo, Ihre Offenheit ist erfrischend.“

Bei seinem Kompliment errötete sie. „Um was geht es, Hoheit?“

Sofort wurde er wieder ernst. „Es ist etwas … heikel“, begann er. „Wenn ich nicht irre, sprachen wir gestern Abend über Diskretion. Das, um was ich Sie bitten möchte, muss sehr diskret geschehen.“

Unruhig rutschte Lily auf dem Sofa hin und her. Was wollte er von ihr? Plötzlich fürchtete sie das Schlimmste. Hatte er einen Mord begangen und wusste nicht, wohin mit der Leiche? Auch Diskretion hatte Grenzen.

„Worum handelt es sich?“, fragte sie noch einmal.

„Um Ms. Oliver.“

Natürlich! Das hätte sie sich denken können. Fast wünschte sie, er hätte lieber jemanden umgebracht. Denn mit einer Leiche würde sie eher fertig als mit Brittany Oliver. „Was ist mit ihr?“

„Nun, sie … Ich habe den Verdacht, dass sie beabsichtigt, mich auch weiterhin mit ihrer Gesellschaft zu erfreuen. Mit anderen Worten, ich rechne mit weiteren Besuchen.“

Sie schwieg. Das hörte sich ganz danach an, als habe der Prinz das Interesse an Brittany Oliver verloren. Lily fand die Schauspielerin auch nicht sonderlich sympathisch und zweifelte nicht daran, dass sie einem auf die Nerven gehen konnte. Doch das war kein Grund für den Prinzen, sie eiskalt fallen zu lassen – nachdem er gestern den ganzen Abend mit ihr in seiner Suite verbracht hatte. Was dort hinter verschlossenen Türen vor sich gegangen war, konnte Lily sich denken.

„Was erwarten Sie von mir?“, fragte sie misstrauisch.

„Ich möchte Sie nur darum bitten, ihr auszurichten, dass ich nicht zu sprechen bin, sollte sie anrufen oder mich besuchen kommen.“

Das, ging es Lily durch den Kopf, gefällt mir überhaupt nicht. Auch wenn es sich theoretisch mit meinen Pflichten vereinbaren lässt. „Mit anderen Worten, ich soll Sie verleugnen, sowohl am Telefon als auch in Person.“

„Richtig.“

Irritiert erwiderte sie: „Hoheit, das Hotel kann nicht bestimmen, welche Telefongespräche an Sie durchgestellt werden sollen und welche nicht. Vielleicht sollten Sie eine Sekretärin einstellen, die sich mit Ihren persönlichen Angelegenheiten befasst.“

„Ich habe eine Assistentin. Sie konnte mich auf dieser Reise nicht begleiten. Und jemand Fremdem kann ich meine persönlichen Angelegenheiten, wie Sie es nennen, nicht anvertrauen. Deswegen wende ich mich an Sie. Sie sind gewissermaßen im Moment meine Vertrauensperson.“

„Ich kann nicht behaupten, dass mir diese Aufgabe sonderlich zusagt.“

„Ist das notwendig?“

Bald wurde Lily wütend. „Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, Hoheit. Aber es gehört nicht zu meinen Aufgaben, einen Gast – wie bedeutend er auch immer sein mag – vor den unliebsamen Aufmerksamkeiten seiner Besucherinnen zu schützen.“

Er betrachtete sie mit einem amüsierten Lächeln. „Nehmen wir an, es handelt sich um Besucher, nicht um Besucherinnen. Einen besonders aufdringlichen Reporter zum Beispiel. Würden Sie bei ihm dieselben Skrupel haben?“

Ertappt. Einen aufdringlichen Reporter würde sie mit dem größten Vergnügen abwimmeln.

„Das ist nicht das Gleiche.“

„Wirklich nicht?“

„Nein.“

„Dann erklären Sie mir bitte den Unterschied.“

Der Mann verstand sich gut darauf, sie in die Enge zu treiben. Lily versuchte, sich herauszuwinden. „In diesem Fall handelt es sich um eine Verletzung Ihrer Privatsphäre. Das zu verhindern gehört zu meinen Aufgaben.“

„Und was sagt Ihnen, dass Ms. Olivers Anrufe oder Besuche meine Privatsphäre nicht verletzen?“

„Ihr Rendezvous von gestern Abend zum Beispiel.“ Sie biss sich auf die Zunge. Das hätte sie nicht sagen dürfen.

Zum Glück schien er weniger Anstoß daran zu nehmen, als ihm von Rechts wegen zustand. Prinz Conrad zog lediglich die Brauen hoch und fragte: „Rendezvous?“

„Nennt man es in Ihrem Land nicht so?“

„Ganz und gar nicht“, erwiderte er und sah sie herausfordernd an.

Lily winkte ab. „Wie auch immer. Ihr Privatleben geht mich nichts an …“

„Allerdings.“

„… aber als Frau stört es mich, Sie Ms. Oliver gegenüber zu verleugnen, nachdem Sie gestern den ganzen Abend mit ihr verbracht haben.“

Wieder hob er die Mundwinkel. Doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. „Ich finde Ihre Behauptung, wir hätten den ‚ganzen Abend miteinander verbracht‘, leicht übertrieben, Ms. Tilden.“

„Wie gesagt, es geht mich nichts an.“

„Darin stimmen wir überein.“

„Trotzdem lüge ich andere nicht gern an.“

Schweigend musterte er sie. Sein Blick war eisig.

„Ist es etwa eine Lüge“, fragte Prinz Conrad schließlich, „Anruferinnen mitzuteilen, dass ich überhaupt nicht zu sprechen bin und ihnen vorzuschlagen, eine Nachricht zu hinterlassen?“

Meinte er alle Anruferinnen? Das machte einen Unterschied. Oder nicht?

„Also gut. Ich werde mein Möglichstes tun.“

Er nickte. „Ich verlasse mich ganz auf Sie.“

Sie zögerte einen Moment. Als Concierge stand ihr so eine Frage natürlich nicht zu. Trotzdem konnte Lily sie nicht zurückhalten. „Behandeln Sie Ihre Freundinnen immer so, wenn Sie kein Interesse mehr an ihnen haben?“

Daraufhin lachte er kurz auf. „Und Sie, Ms. Tilden? Sprechen Sie mit Ihren Gästen immer in diesem Ton?“

„Das kommt ganz darauf an.“

„Sehen Sie? Mir geht es ebenso.“

Touché. Sie gewinnen. Wie gesagt, ich werde tun, was ich kann.“ Sie war ihm nicht gewachsen. Wie sie auch argumentierte, er blieb der Stärkere. Um die Suite zu verlassen, stand Lily auf. Doch er hielt sie zurück.

„Ich habe auch eine Frage, Ms. Tilden.“

„Bitte.“

„Sind Sie, wenn ein Gast Sie um etwas bittet, immer so abweisend?“

Sie lächelte. „Nein. Aber ich trage nicht gern dazu bei, einem Menschen das Gefühl zu geben, dass er – oder sie – unerwünscht ist.“

Sekundenlang herrschte Schweigen, bevor er erwiderte: „So betrachtet, klingt es eher bewundernswert.“

„Danke. Wünschen Sie sonst noch etwas, Hoheit?“

„Das ist alles.“

„Gut. Bitte zögern Sie nicht, wenn Sie etwas brauchen.“ Wie automatisch wiederholte sie die übliche Floskel. Anschließend ging Lily, unzufrieden mit sich und der Welt. Was war nur mit ihr los? Ständig kamen Gäste mit seltsamen Anliegen auf sie zu, und bisher hatte sie das noch nie gestört. Außerdem war es keine größere Sache. Wie kam es dann, dass Lily das Ganze so unangenehm erschien? Sie mochte Brittany Oliver nicht einmal.

Sie hatte viel zu persönlich reagiert, unprofessionell – es war geradezu lächerlich.

Auf dem Weg ins Büro sagte sie sich, dass seine Bitte, Brittany zu belügen, nicht ihr Berufsethos, sondern ihre weiblichen Instinkte verletzte. Andererseits war Lily hundertprozentig davon überzeugt, dass die Schauspielerin ebenfalls gelogen hatte. Bestimmt spielte sie den Fotografen bewusst Informationen zu.

Welche Lüge wog schwerer – Brittanys oder Prinz Conrads?

Nein, erkannte Lily, das Problem liegt woanders: Er bittet mich, ihm bei seinem Betrug zu helfen. Und dazu hat er kein Recht.

Am nächsten Morgen stand das Telefon nicht still: Prinzessin Drucille und Lady Ann orderten eine Kosmetikerin, eine Masseurin und später eine private Modenschau in ihre Suite. Stephan bestellte belegte Brote für sich und seinen Kollegen. Die Bewachung ihrer hochwohlgeborenen Schützlinge ließ ihnen keine Zeit, um zu Tisch zu gehen.

Auch Kiki von Elsbon gab keine Ruhe. Immer wieder rief sie unter den fadenscheinigsten Vorwänden an, um etwas über Prinz Conrad zu erfahren: in welchem Restaurant er speiste, wo er den Nachmittag verbrachte, wer ihm Gesellschaft leistete … Es war direkt komisch. Unter anderen Umständen hätten die Manöver der Baroness Lily köstlich amüsiert. Im Moment war sie dafür jedoch zu beschäftigt.

Am Nachmittag machte sie sich auf, um Mrs. Dorbrook, dem Dauergast des Montclair, einen Besuch abzustatten. Lily mochte Bernice: Sie war eine typische Amerikanerin, die mit beiden Beinen im Leben stand und kein Blatt vor den Mund nahm. Sie hatte mehrere reiche Ehemänner überlebt und war in ihrem Leben vielen bekannten Persönlichkeiten und Filmgrößen begegnet. Darum erzählte sie oft von den faszinierendsten Begebenheiten. Nichts genoss Bernice mehr als einen gemütlichen Plausch mit ein bisschen Klatsch.

Lily zuckte mit keiner Wimper, als ihre Freundin sie mit den Worten empfing: „Wie ich höre, haben wir diese Woche hohen Besuch – Prinz Conrad von Belorien! Wie interessant!“

Anschließend sah sie sich misstrauisch um und schloss die Tür hinter Lily.

4. KAPITEL

Lily lächelte nachsichtig. „Ja. Seine Hoheit wohnt auf Ihrer Etage.“

Bernice klatschte in die Hände. „Erzählen Sie mir von ihm!“

„Da gibt es nichts zu erzählen“, erwiderte sie abweisend.

„Oho! Er hat es Ihnen wohl angetan, wie?“

„Wie kommen Sie denn darauf, Bernice?“

„Mir können Sie nichts vormachen, Lily. Wir kennen uns beinahe fünf Jahre. Und so wie jetzt habe ich Sie noch nie gesehen. Dafür gibt es meiner Ansicht nach nur zwei Erklärungen: Entweder haben Sie eine Schwäche für ihn, oder er geht Ihnen auf die Nerven.“

Sie hat recht, dachte Lily verblüfft. Normalerweise ließ sie sich durch nichts aus der Fassung bringen. Warum brachte Prinz Conrad sie dazu, ihm zu widersprechen und ihn zu Wortgefechten herauszufordern? Gerade von seinem Aufenthalt versprach sich das Hotel so viel! Wenn sie sich nicht zusammennahm, dann könnte …

„Sieht er wirklich so gut aus wie auf den Fotos?“, unterbrach Bernice wissbegierig ihre Gedankengänge.

„Er …“ Es ließ sich nicht bestreiten: Was das Aussehen betraf, war Seine Hoheit der Traummann in Person, groß, dunkelhaarig und atemberaubend sexy. „Er sieht aus, wie man sich einen europäischen Prinzen eben vorstellt: ziemlich groß, schlank und vornehm …“

„Und diese Augen!“, seufzte Bernice schwärmerisch. „Sie erinnern mich an Paul Newman.“

Der begeisterte Tonfall entlockte Lily ein kleines Lächeln. „Möglich. Ich finde ihn eher unangenehm. Arrogant und viel zu sehr von sich eingenommen.“

„Nun, ich mag diese Art von Männern.“ Sie zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Und da bin ich bestimmt nicht die Einzige.“

„Sicher nicht.“

„Wussten Sie, dass ich vor Jahren seinem Vater begegnet bin?“

„Tatsächlich?“, hakte Lily interessiert nach. „Wie war er?“

Bernice schmunzelte. „So gut wie sein Sohn sah er nicht aus, aber das spielte keine Rolle. Er war ein wunderbarer Mann, voll Anteilnahme für seine Mitmenschen – besonders für diejenigen, die es schwer hatten. Ein echter Philanthrop.“

„Haben Sie seine erste Frau auch gekannt?“

„Nur flüchtig.“ Bekümmert schüttelte Bernice den Kopf. „Sie verhielt sich sehr ruhig und zurückhaltend, in der Öffentlichkeit zeigte sie sich selten an der Seite ihres Mannes. Das hatte wohl gesundheitliche Gründe, angeblich litt die Prinzessin schon als Kind an Gelenkrheumatismus. Außerdem hatte sie ein schwaches Herz. Dass sie so jung gestorben ist, überraschte die wenigsten.“

„Furchtbar“, sagte Lily voller Mitgefühl. „Besonders für ihren Sohn. Wenn er sie nicht so früh verloren hätte, wäre seine Einstellung Frauen gegenüber heute vielleicht anders.“

„Macht er Ihnen vielleicht das Leben schwer?“

„Das kann man wohl sagen.“

„Hm.“

Lily warf ihr einen argwöhnischen Blick zu. Sie wusste, worauf Bernice hinauswollte. Weil sie sie schon lange kannte, nahm sie es ihr aber nicht übel. „Was meinen Sie mit ‚hm‘, Bernice? Woran denken Sie?“

„Ich?“ Mit gespielter Überraschung legte sie eine Hand aufs Herz. „An nichts Besonderes. Nur …“ Sie verstummte und sah Lily aufmerksam an.

„Nur was?“

„Ich überlege mir nur, dass Sie eine bezaubernde Prinzessin abgeben würden, meine Liebe.“

Lily verschlug es den Atem. „Eine was?“

Spitzbübisch lächelte Bernice sie an. „Sie haben schon richtig gehört. Eine Prinzessin. Prinzessin Lily von Belorien.“

Darauf konnte sie nur mit einem lauten Lachen antworten. „Das ist der größte Unsinn, den ich je gehört habe, Bernice. Alles, was ich will, ist, am Ende der Woche nicht im Irrenhaus zu landen. Oder im Gefängnis – wegen Mord im Affekt.“

„Sehen Sie?“ Sie deutete mit dem Zeigefinger auf sie. „Ich hatte bei meinen diversen Ehemännern am Anfang auch immer Mordgelüste. Es ist der beste Beweis, dass es sich um den Richtigen handelt.“

„Ach Bernice.“ Lily legte ihr den Arm um die Schulter. „Sie sind unbezahlbar, doch diesmal täuschen Sie sich. Erwarten Sie weder einen Mord noch eine Hochzeit. Ich bin ehrlich froh, wenn er wieder abreist.“

„Abwarten“, erwiderte Bernice leichthin. „Aber bis dahin müssen Sie mich über seine Hoheit auf dem Laufenden halten. Ich liebe Klatsch, wie Sie wissen. Vor allem wenn es sich um eine Königsfamilie handelt.“

„Damit stehen Sie nicht allein da“, erwiderte Lily seufzend und schilderte den gestrigen Vorfall mit Brittany Oliver und den Fotografen. „Ich habe das ungute Gefühl, dass wir in den nächsten Tagen noch mehrere Möchtegernprinzessinnen zu Gesicht bekommen werden.“

„Wegen der Oliver würde ich mir an Ihrer Stelle keine grauen Haare wachsen lassen.“

„Aber Prinz Conrad …“

„Ihn meine ich nicht, sondern seine Stiefmutter. Prinzessin Drucille oder vielmehr …“ Sie lehnte sich vor. „Drucille Germorenko, wie sie zu meiner Zeit noch hieß.“

Vor Überraschung blieb Lily der Mund offen stehen. „Sie kennen die Prinzessin?“

„Gut genug, um zu wissen, dass sie eine ganz durchtriebene Person ist. Und ich glaube nicht, dass sie sich in den letzten Jahrzehnten geändert hat. Wenn ich mich recht entsinne, wollte sie schon damals Königin werden, Prinzessin war ihr nicht gut genug. Sehen Sie sich vor, Lily“, fügte sie warnend hinzu. „Mit Drucille Germorenko ist nicht gut Kirschen essen.“

Am nächsten Tag sollte Lily am eigenen Leib erfahren, dass Bernice mit ihrer Einschätzung richtig lag.

Es begann damit, dass Prinzessin Drucille einen der angesagtesten Hairstylisten von New York ins Hotel bestellen ließ, um sie und Lady Ann zu frisieren. Sein Honorar spiele dabei keine Rolle, betonte die Prinzessin ausdrücklich. Und nur diese Versicherung bewegte François Labeaux schließlich zu einer Zusage.

Kurz darauf klingelte das Telefon aufs Neue. Dieses Mal verlangte die Prinzessin ein Zimmermädchen, das die Türklinken in ihrer Suite reinigen sollte. Angeblich sei es am Morgen übersehen worden.

Mit ähnlichen Anliegen beschäftigte sie Lily den ganzen Tag. Wann immer Drucille etwas einfiel, bestand sie darauf, mit Ms. Tilden zu sprechen.

Am Nachmittag war Lily so weit, sich verleugnen zu lassen, als wieder nach ihr gefragt wurde.

„Sag ihr, ich bin nach Hause gegangen, Karen.“

„Es ist Prinz Conrad, nicht die Prinzessin.“

Sofort nahm Lily den Anruf entgegen. „Was kann ich für Sie tun, Hoheit?“

„Bitte kommen Sie in meine Suite.“

„Darf ich erfahren, worum es geht?“

„Darüber möchte ich am Telefon nicht sprechen, die Sache ist etwas heikel.“

Sein ärgerlicher Tonfall machte sie stutzig. „Ich komme sofort“, erwiderte sie und legte auf.

Auf dem Weg durch die Lobby fiel ihr eine attraktive Dame am Empfang auf, die eine perfekt manikürte Hand auf das Pult legte. Der Akzent bewies deutlich, dass die Frau der britischen Oberschicht angehörte. Lily überlegte, dass es sich nur um Lady Penelope handeln konnte.

Das also war die Herzogstochter, die Drucilles Wünschen gemäß Conrads Ehefrau werden sollte. Lily konnte sich nicht vorstellen, dass der Prinz Lady Penelope einen Antrag machte, wie sympathisch sie auch sein mochte. Ob es am Äußeren oder am Auftreten lag, hätte Lily nicht sagen können. Instinktiv wusste sie einfach, dass Prinz Conrad sich in so eine Frau nicht verlieben würde.

Im Lift dachte sie an das Gespräch zwischen Prinzessin Drucille und Caroline Horton zurück, das sie unfreiwillig mit angehört hatte. Welche Absichten verfolgte Conrads Stiefmutter? Und warum die Geheimniskrämerei? Ganz offensichtlich wollte sie doch, dass die Journalistin in ihrer Klatschspalte über ihn und Lady Penelope schrieb. Das Ganze ergab keinen Sinn.

Inzwischen erstaunte es Lily kaum, von wie vielen königlichen Intrigen sie im Montclair schon erfahren hatte. Aber Diskretion gehörte zu ihrem Beruf, sie hatte schon ganz andere Dinge verschwiegen. Unwillkürlich lächelte Lily, als sie an ein Ehepaar dachte. Sie hatten in zwei verschiedenen Zimmern auf derselben Etage gewohnt – ohne dass der jeweils andere jemals davon erfuhr.

Nichtsdestoweniger – diesmal war es kompliziert. Nicht weil sie es mit einem Prinzen zu tun hatte. An seiner beunruhigenden Wirkung auf sie lag es bestimmt auch nicht. Warum hatte er am Telefon so aufgebracht geklungen?

Lily atmete tief ein und klopfte.

Der Prinz erwartete sie bereits ungeduldig und führte sie in den Wohnraum. Ohne sie zu begrüßen, hielt er ihr ein kleines rundes Objekt entgegen. „Das hier befand sich im Kronleuchter!“

„Wie bitte, was ist das?“

„Ein Mikrofon.“ Er ließ das Gerät geräuschvoll auf den Couchtisch fallen. „Oder, wie Sie es hier nennen, eine Wanze.“

Fassungslos sah Lily ihn an. „Ein Abhörgerät?“

„Ja.“

„Das … das kann ich nicht glauben!“

„Sie wussten also nichts davon?“

„Natürlich nicht. Wer sollte bei Ihnen ein Mikrofon verstecken? Und warum?“

„Um mir das zu erklären, habe ich Sie kommen lassen.“

„Ich habe nicht die geringste Ahnung.“

Er nickte. „So etwas dachte ich mir schon.“

Sogleich versteifte Lily sich. „Wie soll ich das verstehen?“

„Das will ich Ihnen gern erklären. Wenn jemand in meinen Räumen unbemerkt ein Abhörgerät anbringen kann, dann ist dieses angeblich so sichere Hotel keineswegs sicher.“

„Das Montclair ist sicher.“

„Wenn dem so ist, dann kann nur ein Insider dahinterstecken.“

Wen er damit meinte, war klar: sie! „Haben Sie jemand Bestimmtes in Verdacht?“

Der stahlharte Blick aus seinen blauen Augen ruhte auf ihr. „Vorgestern Abend, kurz nach Ihrem Besuch, bekam die Presse einen Hinweis auf Ms. Olivers Anwesenheit in meiner Suite.“

„Das ist richtig, aber darüber haben wir bereits …“

„Heute fällt dieses Ding aus dem Kronleuchter in mein Frühstück“, unterbrach er sie schneidend. „Ich will gern glauben, dass der Tipp an die Fotografen Brittanys Werk war. Das hier hingegen … Niemand außer mir und dem Hotelpersonal hatte Zugang zu diesen Räumen.“

Abgesehen von Ms. Oliver, dachte Lily, schwieg aber lieber. Es gab keinen Beweis, dass die Schauspielerin mit dieser Geschichte etwas zu tun hatte. Außerdem sähe es so aus, als wollte Lily nur den Verdacht von sich ablenken.

„Nun?“, fragte Conrad eindringlich.

„Nun was? Was soll ich Ihnen sagen?“

„Das ist doch nicht schwer zu verstehen: Ich möchte eine Erklärung dafür, wie so etwas geschehen konnte.“ Ungeduldig sah er sie an.

„Ich …“ Lily brach ab. Sie konnte es nicht erklären. Vermutungen ersetzten keine Beweise. Brittanys Motive waren allerdings nicht schwer zu durchschauen: Sie wollte, dass ihr Bild in die Zeitungen kam. Sollte sie jedoch deshalb ein Abhörgerät in Prinz Conrads Salon verstecken?

Wer also konnte ein Interesse daran haben? Ein Reporter? Vielleicht Caroline Horton? Lily fiel wieder das Gespräch zwischen der Journalistin und Prinzessin Drucille ein. Dass sie dafür verantwortlich waren, erschien Lily jedoch genauso unwahrscheinlich. Ohnehin durfte sie die Unterhaltung nicht erwähnen. Die Gäste hatten ein Anrecht auf Diskretion.

„So leid es mir auch tut, Hoheit, ich kann Ihnen keine Erklärung geben“, antwortete sie schließlich schwach.

Conrad schüttelte den Kopf. „Das bedeutet, Ihre Sicherheitsvorkehrungen sind unzureichend oder …“

Lily horchte auf. „Oder was?“

„Oder jemand sagt nicht die Wahrheit.“

Jetzt konnte sie sich nicht länger beherrschen. Später gestand sie sich ein, dass er damit nicht zwangsläufig sie persönlich gemeint hatte. In diesem Augenblick kam es ihr aber genau so vor. „Sie haben kein Recht, so mit mir zu sprechen, Hoheit! Auch nicht, weil Sie ein Prinz sind und dazu ein Gast in diesem Hotel.“

„Dann sollte ich mich vielleicht an Ihren Vorgesetzten wenden, Ms. Tilden.“

„Bitte, das steht Ihnen frei. Obwohl ich sicher bin, dass er Ihnen auch nicht mehr sagen kann. Wenn Sie darauf bestehen, lassen wir einen Spezialisten kommen, damit er Ihre Suite von oben bis unten durchleuchtet.“

Wütend trat sie einen Schritt zurück. „Und was meinen Tagesablauf angeht, ich bin gern bereit, Ihnen alle Einzelheiten schriftlich zu geben. In Anbetracht der Tatsache, dass ich seit Ihrer Ankunft buchstäblich jede Minute Ihnen und Ihrem Gefolge widmen musste, dürfte das nicht allzu schwer sein.“

Sie schwieg einen Moment, bevor sie fortfuhr: „Da Ihnen Ihre Anonymität jedoch so sehr am Herzen liegt, schlage ich vor, dass Sie in Zukunft bei der Wahl Ihrer Besucher etwas vorsichtiger sind.“

„Was wollen Sie damit andeuten?“ Conrad erblasste.

Gleichmütig zuckte sie die Schultern. „Nichts, Hoheit. Überhaupt nichts.“

Er musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. „Sie, Ms. Tilden, sind ausgesprochen impertinent, wissen Sie das?“

„Das ist sonst nicht meine Art. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen. Ich habe noch andere Gäste, um die ich mich kümmern muss.“

Ohne seine Antwort abzuwarten, machte sie auf dem Absatz kehrt und ging zum Aufzug. Als Erstes musste sie Gerard von dem Vorfall berichten, auch wenn es sie vielleicht ihren Job kostete.

5. KAPITEL

Mit gemischten Gefühlen sah Conrad ihr nach. Einerseits reizte ihn ihr Benehmen, andererseits gefiel es ihm. Schließlich überwog die Bewunderung. Er hatte die Staaten bisher nur selten besucht und kannte sich mit amerikanischen Frauen nicht gut aus. Jemand, der ihm so freimütig die Meinung sagte, war ihm jedenfalls noch nicht begegnet. Lily Tilden beeindruckte es absolut nicht, dass er ein Prinz war.

Er fand ihre Haltung … ungewöhnlich, frustrierend, und möglicherweise führte sie zu Schwierigkeiten, doch im Moment amüsierte es ihn eher. Er hatte nicht die Absicht, den Hotelbesitzer über Ms. Tildens Mangel an Respekt zu informieren. Denn wenn Gerard de Mises den Hoteliers in Europa auch nur halbwegs ähnelte, würde er sie auf der Stelle entlassen. Und das verdiente sie nicht.

Am liebsten würde Conrad sie selbst einstellen – schon damit sie ihn ab und zu daran erinnerte, sich nicht zu wichtig zu nehmen.

Bei dem Gedanken musste er lächeln. Beschwingt ging er ans Fenster und betrachtete den regen Verkehr unten auf der Straße.

New York war eine faszinierende Stadt, aufregend, modern und gleichzeitig reich an Geschichte. Früher hatte er das Großstadtleben in vollen Zügen genossen, aber seit einiger Zeit bevorzugte er den gemächlicheren Rhythmus in seinem eigenen Land. Besonders im Frühling, wenn nach einem harschen Winter die Bäume und Sträucher im Schlosspark in voller Blüte standen.

Autor

Elizabeth Harbison
Elizabeth Harbison kam erst auf Umwegen zum Schreiben von Romances. Nach ihrem Abschluss an der Universität von Maryland, ihrem amerikanischen Heimatstaat, arbeitete sie zunächst in Washington, D.C. als Gourmet-Köchin. 1993 schrieb sie ihr erstes Backbuch, danach ein Kochbuch, wie man besonders romantische Mahlzeiten zubereitet, dann ein zweites Backbuch und schließlich...
Mehr erfahren
Brenda Harlen
Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
Mehr erfahren
Sandra Hyatt
Nachdem Sandra Hyatt ihr Betriebswirtschaftstudium erfolgreich beendet hatte, entschloss sie sich erst einmal zu reisen. Ihre berufliche Laufbahn startete sie danach zunächst im Marketing. Doch dann erlebte sie einer dieser „Aha“- Momente und entdeckte während ihres Mutterschaftsurlaubs, dass das Schreiben von Liebesromanen ihrer wahren Bestimmung entspricht.
Die Autorin liebt es, sich...
Mehr erfahren