Julia Saison Band 41

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VERFÜHRT AM VALENTINSTAG? von JACKSON, BRENDA
Dreißig Tage soll Clint mit der hübschen Alyssa auf seiner Ranch zusammenleben. Doch Liebe ist dabei tabu! Denn Alyssa spielt nur seine Ehefrau. Oder kann Clint sie doch zu mehr verführen? Spätestens am Valentinstag will er es herausfinden …

FRÜHLING IM PARADIES von BARKER, MARGARET
Weiße Strände, goldene Sonne: Katie zieht für ihren Job auf eine Malediveninsel und ist fasziniert von ihrem Chef Dr. Tim Fielding. Als er sie am Valentinstag in ihrem Strandbungalow besucht, kommen sie sich näher. Katie schwebt auf Wolke sieben, doch bald muss sie die Insel verlassen …

HEIRATSANTRAG AM VALENTINSTAG von HOFFMANN, KATE
Der erfolgreiche Rechtsanwalt Will ist glühend eifersüchtig: Ein geheimnisvoller Mann wirbt um seine Traumfrau Jane. Doch Will hat einen Plan: Am Valentinsabend wird er Jane zu einem romantischen Dinner einladen, um ihre Hand anhalten - und hoffen, dass er sie für immer erobern kann …


  • Erscheinungstag 05.01.2018
  • Bandnummer 41
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711535
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Brenda Jackson, Margaret Barker, Kate Hoffmann

JULIA SAISON BAND 41

1. KAPITEL

Clint Westmoreland fluchte leise, während er den Blick durch die Ankunftshalle des Flughafens schweifen ließ. Es war fast Mittag, auf der Ranch gab es jede Menge zu tun, und er musste hier auf seine Ehefrau warten, die vor ein paar Tagen wie aus heiterem Himmel wieder in seinem Leben aufgetaucht war.

Erneut spürte er Zorn in sich hochsteigen, als er an den Brief dachte, den ihm die Landeskriminalbehörde in Texas, das State Bureau of Investigations, geschickt hatte. In dem Schreiben stand, dass die Ehe, die er vor fünf Jahren für einen geheimen Ermittlungsauftrag als Texas Ranger hatte schließen müssen, niemals annulliert worden war. Das hieß, dass er und Alyssa Barkley, seine damalige Partnerin und „Ehefrau“, vor dem Gesetz immer noch ein Paar waren.

Die Vorstellung, verheiratet zu sein, ob legal oder sonst wie, ließ ihn frösteln. Je früher er und Alyssa sich treffen konnten, um die Ehe für nichtig erklären zu können, desto besser. Auch sie hatte vor einigen Tagen einen Brief mit dem gleichen Wortlaut erhalten. Umgehend hatten sie miteinander telefoniert. Über die Nachlässigkeit des State Bureaus war sie genauso empört wie er und daher sofort bereit, nach Austin zu fliegen, um die Angelegenheit zu regeln.

Was für eine Zeitverschwendung, dachte er mit einem Blick auf seine Uhr. Es war der 1. Februar, und er erwartete demnächst eine Lieferung Wildpferde. Bis sie kamen, hatte er noch eine Menge Vorbereitungen zu treffen.

Als er im vergangenen Juni anlässlich der Hochzeit seines Cousins Ian verkündet hatte, er werde die Rangers nach zehn Jahren verlassen, hatten sein Cousin Durango und sein Schwager McKinnon Quinn ihm angeboten, bei ihrer Pferdezucht einzusteigen, die sie in Montana betrieben – ein Millionengeschäft.

Sie wollten ihr Unternehmen bis nach Texas ausweiten. Clint sollte dort die Leitung übernehmen, sowie die Wildpferde zähmen und trainieren.

Bisher hatte er es noch keinen Tag bereut, ihr Angebot akzeptiert zu haben. Die Arbeit mit den Tieren machte ihm sehr viel Spaß – mehr jedenfalls, als in der Ankunftshalle dieses Flughafens zu stehen und auf „seine Frau“ zu warten, die er kaum kannte. Er hatte wirklich Wichtigeres zu tun.

Erneut schaute er auf seine Uhr. Würde er Alyssa überhaupt wiedererkennen? Fünf Jahre lang hatten sie sich nicht gesehen, und das Einzige, woran er sich erinnern konnte, war, dass sie frisch vom College gekommen war und einen Abschluss in Strafrecht hatte – und dass sie sehr jung war. Die beiden waren weniger als eine Woche zusammen gewesen. In dieser Zeit hatten sie sich als Ehepaar ausgeben müssen, das unbedingt ein Baby adoptieren wollte – illegal natürlich.

Alyssa hatte den Part der verzweifelten Mutter so überzeugend gespielt, dass ihr gemeinsamer Auftrag schon nach ein paar Tagen erledigt war. Danach war er zu einem anderen Einsatz beordert worden. Ein paar Monate später hatte er erfahren, dass sie bei den Texas Rangers gekündigt hatte, weil es nicht die Art von Arbeit war, der sie ihr ganzes Leben widmen wollte.

Was sie seitdem getan hatte, wusste er nicht. Ihr Telefonat war ziemlich kurz gewesen und er hatte keine Lust gehabt, sie danach zu fragen. Ihm lag nur daran, das Problem, das sie beide aneinander kettete, so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen, damit jeder sein Leben weiterführen konnte. Sie müsste jetzt siebenundzwanzig sein, überlegte er. Am Telefon hatte sie erzählt, dass sie allein lebte. Das überraschte ihn. Er hatte vermutet, dass sie längst verheiratet war oder einen festen Freund hatte.

Das Klackern hoher Absätze auf dem Boden der Ankunftshalle riss ihn aus seinen Gedanken. Eine Frau steuerte zielstrebig auf ihn zu. Er kniff die Augen zusammen. Wenn das Alyssa war, dann hatte sie sich ziemlich verändert. Obwohl sie auch zuvor schon keine graue Maus gewesen war, hätte er ihr unter normalen Umständen keinen zweiten Blick geschenkt – bis jetzt.

Und ganz offensichtlich war er nicht der Einzige, der das dachte, denn zahlreiche Männer starrten ihr ungeniert nach. Einer blieb sogar mitten auf seinem Weg wie angewurzelt stehen und betrachtete sie mit offenem Mund.

Clint warf dem Mann einen finsteren Blick zu. Schnell eilte dieser weiter, und Clint ärgerte sich über sich selbst. Wie kam er dazu, sich wie ein eifersüchtiger Ehemann aufzuführen? Andererseits war er ja tatsächlich Alyssas Mann. Also hatte er ein Recht dazu, besitzergreifend zu sein, wenn ihm danach war …

Alyssa kam näher. Sofort fiel ihm auf, dass sie nicht nur fantastisch aussah, sondern sich auch sehr elegant zu bewegen wusste. Ihre Hüften schwangen bei jedem Schritt, und sie trug hautenge Jeans. Seltsam – vor fünf Jahren hatte er sich überhaupt nicht zu ihr hingezogen gefühlt. Und nun spürte er ein gewisses Kribbeln in der Magengegend.

Schließlich blieb sie wenige Zentimeter vor ihm stehen, sodass er nur noch sie sah und alles andere um ihn herum verschwand. Eigentlich hatte sie sich kaum verändert: dunkle Augen, lange Wimpern, hohe Wangenknochen, volle Lippen, die kupferfarbenen Locken – alles war noch so, wie er es in Erinnerung hatte. Ihr hinreißendes Gesicht war von der Sonne gebräunt.

Die attraktive Stimme passte zu ihrem Äußeren. „Hallo, Clint. Da bin ich.“

Und ob sie da war!

Er sieht noch genauso aus wie damals, dachte Alyssa, während sie versuchte, auf dem Weg zum Parkplatz Schritt mit ihm zu halten. Mit einem Meter neunzig überragte er sie locker um dreißig Zentimeter, und der schwarze Stetson auf dem Kopf war immer noch fester Bestandteil seiner Garderobe.

Zugegeben, sein Gesicht war markanter geworden – was nur jemandem auffiel, der es schon vor Jahren genau angeschaut hatte. Ihr erster Eindruck damals war gewesen, dass er viel zu gut für einen Mann aussah, und jetzt, mit zweiunddreißig, wirkte er noch umwerfender. Die Vollkommenheit seiner Gesichtszüge wurde von seinem ausgeprägten Kinn, den Grübchen und seinen Augen, mit denen er so herausfordernd und arrogant blicken konnte, noch verstärkt.

Jedenfalls hatte er diese frisch vom College kommende Studentin schwer beeindruckt. Kein Wunder, dass sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte – wie so viele andere Frauen, die im State Bureau arbeiteten.

„Mein Truck steht da drüben“, erklärte er.

Seine Worte rissen sie aus ihren Erinnerungen. „Fahren wir sofort ins Hauptquartier?“, fragte sie und bemühte sich, nicht auf seine Lippen zu starren.

Diese Lippen waren es, die sie von Anfang an fasziniert hatten. Er war nie besonders redselig gewesen, aber wenn sich seine Lippen bewegten, war das immer ein toller Anblick. Sie zogen die Aufmerksamkeit auf sich und erweckten in ihr stets das Bedürfnis, sie zu küssen. Wie oft hatte sie davon geträumt!

Kein Wunder, dass sie von vielen Frauen im State Bureau beneidet wurde, als man sie für diesen Auftrag auswählte. Sie alle machten kein Hehl aus ihren Gefühlen ihm gegenüber. Dabei galt er als sehr zurückhaltend. Kaum zu glauben!

„Ja, das können wir machen“, erwiderte er. Schon wieder unterbrach er ihre Gedanken. „Ich denke, die Sache dürfte schnell erledigt sein. Maximal eine Stunde, hoffe ich.“

Plötzlich war sie versucht, stehen zu bleiben, die Hand auf seinen Arm zu legen, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und ihn zu küssen. Bei der Vorstellung begann ihr Herz zu rasen.

Sie atmete tief ein und konzentrierte sich auf seine Worte. Auch ihr lag viel daran, die Angelegenheit rasch zu regeln. Wenn sie nämlich länger mit diesem Mann zusammen war, bestand die Gefahr, dass sie sich erneut in ihn verliebte. Außerdem hatte sie nur Gepäck für eine Nacht mitgebracht. Wenn die Formalitäten erledigt waren, würde sie sich ein Hotelzimmer nehmen und am nächsten Morgen nach Waco zurückfliegen.

„Wie ist es dir denn so ergangen, Alyssa?“ Auch seine tiefe, sonore Stimme hatte sich kein bisschen verändert.

Aus den Augenwinkeln schaute sie ihn an. Es interessierte ihn nicht wirklich. Er wollte nur Small Talk machen. Deshalb erwiderte sie höflich: „Ganz gut. Und dir?“

„Ich kann nicht klagen.“

Das konnte er wohl wirklich nicht nach allem, was sie von den Kollegen aus dem State Bureau, zu denen sie noch Kontakt hielt, erfahren hatte. Er war Pferdezüchter auf einer hundertzwanzig Hektar großen Ranch ein paar Meilen außerhalb von Austin. Den Betrieb hatte er von seinem Onkel geerbt. Das Geschäft, hieß es, lief ausgezeichnet. Zu gerne hätte sie gewusst, warum er seinen Job bei den Rangers gekündigt hatte. Bestimmt hätte er dort eine glanzvolle Karriere gemacht. Aber sie scheute sich, ihn unverblümt nach dem Grund zu fragen.

Daher wechselte sie das Thema. „Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich hörte, dass wir angeblich noch verheiratet sind. Wie konnten die nur so einen Fehler machen?“

Sie standen jetzt vor seinem Wagen. Achselzuckend öffnete er ihr die Tür. „Zuerst habe ich es auch nicht geglaubt. Nur gut, dass in der Zwischenzeit keiner von uns heiraten wollte.“

Sie beschloss, ihm zu verschweigen, dass sie vor ein paar Jahren kurz davor gestanden hatte. Sämtliche Vorbereitungen waren bereits getroffen worden. Erst in letzter Minute hatte sie erfahren, was für ein hinterhältiger Typ der Kerl war, dem sie fast das Jawort gegeben hätte.

Bis heute hatte Kevin Brady ihr nicht vergeben, dass sie ihn praktisch am Altar hatte stehen lassen. Im Gegenzug dazu hatte sie ihm bis heute nicht verziehen, dass er eine Woche vor der Hochzeit mit ihrer Cousine Kim geschlafen hatte.

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass Clint sie beim Einsteigen beobachtete. Ob er mitbekommen hat, dass ich rot geworden bin, weil ich ihm etwas verheimliche? fragte sie sich, während sie auf den Ledersitz rutschte.

An die Wagentür gelehnt, sagte er: „Du hast dich verändert.“

War das ein Kompliment oder Kritik? Um sich Gewissheit zu verschaffen, fragte sie: „Inwiefern?“

„Na ja … verändert eben.“

Sie schmunzelte. „Ich habe mich verändert.“

„Inwiefern?“

Jetzt musste sie lachen. „Weil ich mein Leben so führe, wie ich es will und nicht, wie andere es wollen.“

„Hast du das vor fünf Jahren noch getan?“

„Nein.“ Mehr brauchte er nicht zu wissen. Offenbar reichte ihm ihre Antwort, denn er schloss die Tür und ging um das Auto herum zur Fahrerseite.

„Es ist gleich Mittag“, meinte er. „Möchtest du etwas essen, ehe wir uns mit Hightower zusammensetzen?“

Lester Hightower war Senior Captain und verantwortlich für die Abteilung, für die sie vor fünf Jahren ermittelt hatten. „Nein, ich möchte die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen“, erwiderte sie.

Mit hochgezogener Augenbraue musterte er sie. „Vielleicht war ich zu voreilig, als ich eben sagte, dass keiner von uns heiraten wollte. Hast du es vielleicht jetzt vor?“

Verblüfft sah sie ihn an, und er tat etwas, womit sie überhaupt nicht gerechnet hatte: Er lächelte. Sie versuchte, die heiße Welle, die durch ihren Körper strömte, zu ignorieren. „Wie kommst du denn darauf?“

Er unterbrach den Blickkontakt, um den Motor anzulassen. „War nur so eine Idee. Es dürfte auf jeden Fall kein Problem darstellen.“

„Hoffentlich hast du recht.“

Er schaute über die Schulter, während er aus der Parklücke setzte. „Natürlich habe ich recht. Du wirst schon sehen.“

„Was soll das heißen – die Ehe kann nicht annulliert werden?“ Fast hätte Clint gebrüllt. Hightowers Worte hatten ihn zutiefst schockiert. Er warf Alyssa einen Blick zu. Während er dem Senior Captain zugehört hatte, war sie aufgestanden und hatte sich an die geschlossene Tür gelehnt. Clint hatte ihre Reaktionen genau mitbekommen, denn er war sich ihrer Anwesenheit sehr bewusst. Ihn beschlich ein unangenehmes Gefühl. Schon lange hatte eine Frau nicht mehr so auf ihn gewirkt.

„Es gibt neue Anordnungen, Westmoreland“, hörte Clint seinen Ex-Chef sagen. „Sie gefallen mir auch nicht, und ich verstehe sie selbst nicht. Und ich gebe Ihnen recht, dass diese Befehle in Ihrem besonderen Fall keinen Sinn ergeben. Aber mehr kann ich Ihnen nicht dazu sagen. Wir haben versucht, unseren Fehler auszubügeln, indem wir uns umgehend um eine Annullierung bemüht haben, aber da so viel Zeit vergangen ist und Sie beide nicht länger für uns arbeiten, weigern sich die Verantwortlichen anzuerkennen, dass Ihre Ehe nie rechtmäßig war.“

„Sie haben recht, das ergibt alles keinen Sinn“, schaltete Alyssa sich ein. Ihre Stimme klang schneidend. „Clint und ich haben niemals zusammengelebt. Die Ehe ist nie vollzogen worden. Das allein sollte schon ein ausreichender Grund sein, sie umgehend aufzuheben.“

„Unter normalen Umständen wäre es das ja auch, aber Margaret Toner, die derzeitige Abteilungsleiterin, denkt anders darüber. Nach allem, was ich gehört habe, ist Toner selbst seit vierzig Jahren verheiratet und nimmt die Institution Ehe sehr ernst. Selbst wenn uns das nicht passt, müssen wir uns damit abfinden.“

„Von wegen.“ Clint traute seinen Ohren nicht.

„So ist es nun mal.“ Hightower warf eine Urkunde auf den Tisch. „Dreißig Tage. Toner hat sich bereit erklärt, Ihre Ehe in dreißig Tagen zu annullieren.“

Weder Clint noch Alyssa hielten es für klug, etwas zu sagen.

Ihre Verärgerung war allerdings unübersehbar. Schließlich ergriff Alyssa das Wort. „Mir gefällt das zwar überhaupt nicht, Hightower, aber wenn das mit den dreißig Tagen nicht zu ändern ist, können Clint und ich eben nichts machen. Fünf Jahre lang habe ich nicht gewusst, dass ich überhaupt verheiratet war, da kommt es auf einen Monat mehr oder weniger auch nicht mehr an“, meinte sie mit einem Blick zu Clint.

„Na gut“, sagte dieser mürrisch. „Dreißig Tage halte ich noch durch.“

Hightower zögerte. „Da gibt es noch etwas“, sagte er schließlich.

Die Furchen auf Clints Stirn wurden tiefer. Er hatte lange genug mit dem Mann zusammengearbeitet, um zu wissen, dass sein Tonfall nichts Gutes bedeutete. Alyssa stieß sich von der Tür ab und kam näher.

„Was denn?“, fragte Clint.

Hightower schaute erst ihn und dann Alyssa an. „Um die Ehe nach dreißig Tagen annullieren zu können, müssen Sie noch etwas tun.“

2. KAPITEL

Clint wurde immer unbehaglicher zumute.

Ihr Ex-Chef räusperte sich. „Sie verlangt, dass Sie beide während der dreißig Tage unter einem Dach leben.“

Clint Westmoreland war immer noch wütend. Vor zwanzig Minuten hatten sie Hightowers Büro verlassen, und seitdem hatte er kein Wort gesagt – abgesehen von den Flüchen, die er auf dem Weg zum Restaurant vor sich hinmurmelte.

Alyssa seufzte. „Es gibt bestimmt eine andere Möglichkeit“, unterbrach sie schließlich das eisige Schweigen.

Er warf ihr einen grimmigen Blick zu. „Du hast gehört, was er gesagt hat, Alyssa. Wir können versuchen, Einspruch einzulegen, aber wenn wir damit keinen Erfolg haben, müssen wir immer noch die dreißig Tage durchstehen, sodass sich alles nur noch länger hinzieht“, meinte er.

Dreißig Tage durchstehen. Es hörte sich an, als sei es eine Gefängnisstrafe. In Anbetracht der Tatsache, dass sie zusammenleben mussten, gefiel ihr seine Einstellung überhaupt nicht. Was Hightower ihnen erzählt hatte, passte ihr ebenso wenig wie ihm, aber das war noch lange kein Grund, grob zu werden.

„Ich finde das auch nicht toll“, entgegnete sie gereizt. „Aber wenn wir die Dinge nicht ändern können, müssen wir eben tun, was Toner verlangt und …“

„Ich denke nicht daran“, grollte er. Er lenkte seinen Truck auf den Parkplatz des Restaurants und schaute sie an. „Ich habe Wichtigeres zu tun, als dich dreißig Tage lang zu verköstigen.“

Das ging nun wirklich zu weit. „Mich verköstigen? Offenbar gehst du davon aus, dass wir in deinem Haus wohnen.“

„Na klar.“

Missbilligend runzelte sie die Stirn. Er klang so unerträglich selbstsicher. Es würde ihr ein Vergnügen sein, ihm seine Illusionen zu nehmen. „Irrtum. Ich habe nicht vor, hier in Austin zu bleiben.“

Seine Augen wurden schmal. „Und wo willst du wohnen?“

Sie hielt seinem Blick stand. „Es geht nicht darum, wo ich wohne, sondern wo wir wohnen. Ich gehe nach Waco zurück, und wenn du vorhast, Toners Bedingungen zu erfüllen, kommst du mit.“

Sie hatte nicht gedacht, dass er noch wütender werden konnte, als er ohnehin schon war. „Jetzt hör mir mal zu, junge Frau. Ich muss mich um meine Ranch kümmern, und das geht in Waco nicht.“

„Du bist nicht der Einzige, der arbeiten muss, Clint. Ich kann auch nicht so einfach mein Leben umkrempeln.“

„Und ich werde bestimmt nicht nach Waco ziehen, nicht einmal vorübergehend. Das ist absolut unmöglich.“

Sie musste ihm recht geben, aber das löste ihr Problem immer noch nicht. Hightower hatte gesagt, sie müssten dreißig Tage unter einem Dach wohnen. Einer von ihnen musste also Kompromisse machen. Sie war nicht dazu bereit, und er ganz offensichtlich auch nicht. „Also, du willst nicht nach Waco ziehen, und ich will nicht hierhin ziehen. Was schlägst du vor, um die Annullierung durchzubekommen?“

Er zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich mit vollem Bauch besser denken kann.“ Er öffnete die Tür und stieg aus. „Deshalb schlage ich vor, dass wir erst mal was essen.“

Offenbar kann mich da oben jemand nicht leiden, dachte Clint, nachdem die Kellnerin ihre Bestellung entgegengenommen hatte. Sonst wäre ihm nicht Alyssa Barkley begegnet. Er war lange genug Ranger gewesen, um zu wissen, wie schnell man sich in den Netzen der Bürokratie verheddern konnte. Jemand hatte Mist gebaut. Sonst wären sie längst nicht mehr verheiratet. Sie hatten dem Senior Captain ja erzählt, dass die Ehe nicht einmal vollzogen worden war. Es war nur eine dienstliche Anweisung gewesen – sonst nichts. Dennoch machte ihn der Gedanke, mit ihr unter einem Dach wohnen zu müssen, ein wenig nervös. Schließlich war die Frau die reinste Versuchung.

„Du bist ein Drilling, nicht wahr?“

Überrascht musterte er sie. „Ja. Woher weißt du das?“

„Es war allgemein bekannt unter den Kollegen. Deinen Bruder Cole habe ich sogar mal getroffen. Und du hast auch eine Schwester?“

„Ja.“ Casey hatte vor ein paar Monaten geheiratet. „In der Reihenfolge der Geburt bin ich der Älteste, dann kommen Cole und Casey.“

„Ist Cole noch bei den Texas Rangers?“

Offenbar hatte sie sich von dem Schock inzwischen ein wenig erholt. Sonst würde sie wohl kaum so viele Fragen stellen. „Ja“, antwortete er einsilbig.

Ganz offensichtlich waren Alyssas Bemühungen, Small Talk zu machen, nur ein Versuch, von dem Dilemma abzulenken, in dem sie steckten. Aber sie mussten darüber reden und eine Entscheidung treffen. „Okay, Alyssa, zurück zu unserem Problem. Hast du einen Vorschlag?“

Sie stellte den Kaffeebecher ab, ehe sie antwortete. „Ich könnte nach Waco zurückfliegen und du könntest hier bleiben. Dann vergessen wir beide, dass wir jemals verheiratet waren, und alles bleibt beim Alten. Wie ich schon sagte, habe ich nicht vor, demnächst zu heiraten. Wie sieht’s bei dir aus?“

„Ähnlich. Aber ich fürchte, so einfach lässt sich die Sache nicht unter den Teppich kehren.“

Was würde zum Beispiel passieren, wenn sie es sich in den Kopf setzte, dass ihr als Ehefrau die Hälfte seines Besitzes zustand?

Der war beträchtlich, zumal die Partnerschaft mit seinem Cousin und seinem Schwager ausgezeichnet klappte und eine Menge Geld einbrachte. Er glaubte zwar nicht, dass Alyssa Ansprüche stellen würde, aber man konnte ja nie wissen. Casey und Cole hatte er für ihren Verzicht auf die Ranch ausbezahlt, sodass er nun der alleinige Eigentümer war. Es hätte ihm gerade noch gefehlt, wenn urplötzlich eine „Ehefrau“ auftauchte und die Hälfte seines Vermögens für sich beanspruchte.

Aber es gab noch einen anderen Grund, warum er nicht vergessen konnte, dass er eine Frau hatte. Sie sah einfach zu gut aus. Sie hatte ein schönes Gesicht und einen fantastischen Körper. Da sich ihr Aussehen kaum verändert hatte, fragte er sich nun, warum es ihm nicht schon vor fünf Jahren aufgefallen war. Die einzige Erklärung, die ihm in den Sinn kam, hieß Chantelle. Damals hatte er nur Augen für sie gehabt. Zu dumm, dass dies nicht auch umgekehrt so gewesen war.

„Es muss doch einen Ausweg geben“, unterbrach Alyssa seine Gedanken. Sie klang verärgert. Wodurch sie für Clint mit ihren vollen Lippen und den vor Wut dunkel funkelnden Augen nur noch attraktiver aussah. Er fragte sich, ob das Kupferrot ihrer Haare echt war, und er spürte ein erregendes Prickeln, als er sich vorstellte, wie er mit den Fingern durch diese seidige Pracht fuhr.

Offenbar wartete sie auf eine Antwort, denn sie sah ihn unverwandt an. Er lehnte sich zurück. „Es gibt einen Ausweg. Wir müssen ihn nur finden.“

Alyssa spürte genau, dass er sie ebenso taxierte wie sie ihn, was sie in ihrer Meinung bestärkte, dass es nicht funktionieren würde, wenn sie unter einem Dach lebten. Dass es zwischen ihnen beiden knisterte, war unübersehbar. Aber vermutlich fand er viele Frauen attraktiv. Er war schließlich ein Mann, und Onkel Jessie hatte ihr, nachdem er von der Sache zwischen Kim und Kevin erfahren hatte, erklärt, dass Männer in Bezug auf Frauen schnell den Kopf verlieren konnten. Dass er Kim nicht verurteilte, konnte man ihm kaum verübeln: Sie war ja seine Tochter.

„Was machst du denn beruflich?“

Sie schaute von ihrem Kaffeebecher auf, und ihre Blicke trafen sich. „Ich gestalte Webseiten.“

„Aha.“

Sie runzelte die Stirn. Er klang, als würde er ihre Arbeit nicht besonders wichtig nehmen. Zugegeben, es war kein solch millionenschweres Unternehmen wie – nach allem, was sie gehört hatte – seine Pferdezucht, aber es gehörte ihr. Sie hatte vor einigen Jahren damit begonnen und ihr gesamtes Kapital investiert. Ihr machte die Arbeit Spaß, und sie war stolz auf ihre kleine Firma. In den vergangenen Jahren hatte sie sogar mehrere Preise gewonnen.

„Es läuft sehr gut“, betonte sie.

Er hielt ihrem Blick stand. „Habe ich etwa das Gegenteil behauptet?“

Nein, hatte er nicht. „Hör mal, Clint, du bist gereizt wegen dieser ganzen Angelegenheit – genau wie ich. Vielleicht sollten wir erst einmal darüber schlafen. Vielleicht fällt uns morgen eine Lösung ein.“

„Hoffentlich. Du bist ja auf alle Eventualitäten eingerichtet“, meinte er in Anspielung auf die kleine Reisetasche, die sie mitgebracht hatte.

„Ich habe damit gerechnet, dass es höchstens einen Tag dauern würde, um unsere Ehe zu beenden. Deshalb wollte ich morgen früh wieder zurückfliegen.“

„Du kannst gerne bei mir übernachten.“

Sie wusste sein Angebot zu schätzen, hielt es aber für keine gute Idee. „Danke, aber ich gehe lieber ins Hotel.“

„Wie du willst“, entgegnete er und zog seinen Stuhl näher an den Tisch heran, als die Kellnerin das Bestellte brachte. Alyssa sah ihm beim Essen zu. Er hatte behauptet, mit vollem Bauch besser nachdenken zu können. Aber würde er wirklich die ganze Portion vertilgen?

„Was starrst du so auf meinen Teller?“, fragte er verwundert.

Sie zuckte mit den Schultern. „Das ist eine riesige Portion“, meinte sie, als die Kellnerin ihr ein Sandwich und eine Tasse Suppe servierte.

Er lachte. „Ich wachse noch. Außerdem brauche ich das alles, um bei Kräften zu bleiben. Die Arbeit auf der Ranch verlangt Muskeln.“ Und die hatte er wirklich!

„Was tust du eigentlich genau?“

„Ich zähme wilde Pferde Ein paar meiner Männer fangen sie in Nevada ein und bringen sie auf meine Ranch, wo ich sie trainiere. Anschließend bringe ich sie nach Montana. Mein Cousin und mein Schwager betreiben dort eine Pferdezucht. Meine Schwester arbeitet da als Trainerin.“

„Klingt nach Familienunternehmen.“

„Ist es auch.“

Alyssa konzentrierte sich auf ihr Essen. Jedes Mal, wenn sie Clint in die Augen sah, spürte sie ein Kribbeln auf der Haut. Nicht auszudenken, wenn er davon etwas mitbekam.

„Ich will mir übrigens auch eine zulegen.“

Jetzt schaute sie ihn doch an. „Was willst du dir zulegen?“

„Eine Website.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Du hast noch keine?“

„Nein. Bisher läuft es auch so ganz gut. Durango und McKinnon schaffen die Kunden heran. Die meisten sind Privatleute.“

„Aha. Und wer sind Durango und McKinnon?“

Ehe er antwortete, wischte er sich den Mund mit einer Serviette ab. „Durango ist mein Cousin, und McKinnon ist mit meiner Schwester Casey verheiratet. Die beiden sind meine Partner und haben die Pferdezucht ins Leben gerufen. Und ich bin für das Zähmen und Trainieren zuständig.“

„Wenn du bisher keine Website gebraucht hast, warum willst du jetzt eine?“

Plötzlich sah er aus, als hätte er keine Lust mehr auf ihre Fragen. Er antwortete nur noch aus reiner Höflichkeit. „Wegen der Stiftung, die ich neulich gegründet habe.“

„Eine Stiftung?“

„Die Sid-Roberts-Stiftung.“ Um ihrer nächsten Frage zuvorzukommen, fügte er rasch hinzu: „Er war mein Onkel.“

Ungläubig riss sie die Augen auf. „Sid Roberts? Der Sid Roberts war dein Onkel?“

„Ja“. Er klang irritiert. Um das Gespräch zu beenden, forderte er sie auf: „Iss jetzt deine Suppe. Sonst wird sie noch kalt.“

Wenigstens hält sie den Mund, dachte Clint, während er seinen Kaffee trank und sich darüber wunderte, dass sie mit einer so winzigen Portion zufrieden war.

Clint lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Das Essen hat gutgetan, jetzt konnte er über alles nachdenken. Trotzdem fand er keine Lösung für ihr Problem.

„Du hast noch nicht erzählt, um was für eine Stiftung es sich handelt.“

Er warf Alyssa einen Blick zu. „Hab ich nicht?“, entgegnete er knapp. War sie schon immer so gesprächig gewesen? In seiner Erinnerung war sie eher eine zurückhaltende Frau, die seiner Meinung nach für den Beruf des Rangers überhaupt nicht geeignet war.

Allerdings hatte er seine Ansicht während ihres ersten gemeinsamen Einsatzes gründlich geändert: Sie hatte ganze Arbeit geleistet.

„Nein“, unterbrach sie seine Gedanken. Sein distanzierter Ton schien sie nicht im Mindesten abzuschrecken.

Eine Weile lang schwieg er, bevor er fragte: „Was weißt du über Sid Roberts?“

„Nur, was in den Geschichtsbüchern steht – und das, was mir mein Großvater erzählt hat.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Dein Großvater?“

„Ja. Er war ein großer Fan von Sid Roberts und behauptete sogar, mit ihm mal auf Rodeo-Tournee gegangen zu sein. Ich weiß, dass Mr. Roberts seinerzeit eine Berühmtheit war – erst als Rodeoreiter und später als Pferdetrainer.“

„Onkel Sid liebte Pferde. Diese Liebe hat er mir und meinen Geschwistern vererbt. Zum Andenken an ihn haben wir zwölfhundert Hektar Land von meinem Besitz zu einem Reservat umgewandelt. Dort können sich die Wildpferde erst einmal an die neue Umgebung gewöhnen.“

„Warum bringt ihr sie überhaupt hierher? Warum lasst ihr sie nicht in Nevada frei herumlaufen?“

„Hauptsächlich, weil die Wildpferde Land beanspruchen, das mehr und mehr für öffentliche Zwecke benötigt wird. Zurzeit überlegen die Anzugträger in Washington, ein Gesetz zu verabschieden, das es erlaubt, eine bestimmte Anzahl von ihnen zu töten. Viele Wildpferde sollen geschlachtet und zu Tierfutter verarbeitet werden.“

„Das ist ja schrecklich.“ Sie klang wirklich entsetzt.

„Das kann man wohl sagen. Mit der Stiftung will ich so viele Pferde wie möglich retten, indem ich sie hierher transportieren lasse.“

Er hatte das Gefühl, vom Thema abgekommen zu sein. Im Moment gab es wichtigere Dinge zu besprechen. „Also, Alyssa, was machen wir nun mit unserer Ehe?“

Sie runzelte die Stirn. „Das klingt ja, als sei es tatsächlich eine Ehe, obwohl es gar keine ist.“

„Erzähl das Toner. Vielleicht sollten wir uns vorläufig damit abfinden, dass wir vor dem Gesetz Mann und Frau sind, egal, wem wir die Verantwortung dafür in die Schuhe schieben.“

Alyssa wollte widersprechen. Aber er hatte recht. Sie konnten anderen noch so oft die Schuld dafür geben – ihr Problem würde es nicht lösen. „Okay, dein Magen ist voll. Was schlägst du also vor?“

„Es wird dir nicht gefallen.“

„Wenn es das ist, was ich vermute – wahrscheinlich nicht.“

Er seufzte. „Haben wir eine Wahl?“

Sie wusste, dass sie keine hatten. Dennoch … „Es muss doch eine Möglichkeit geben.“

„Hightower sagt Nein. Du hast ihn doch selbst gehört.“

„Dann schlage ich vor, dass wir dagegen kämpfen.“

„Und ich schlage vor, zu tun, was wir tun müssen, und die Sache ist erledigt.“

Sie nagte an ihrer Unterlippe. „Na gut, aber wir haben noch nicht geklärt, wo wir wohnen. Hier oder in Waco.“ Sie wussten beide, wie es ausgehen würde. Er musste auf seiner Ranch bleiben. Alyssa dagegen konnte von überall aus arbeiten, solange sie Computer und Internetanschluss hatte.

„Alyssa?“

Sie schaute auf. „Ja?“

„Ich weiß, dass du lieber in Waco arbeitest – aber könntest du das nicht auch hier, wenn ich dir die notwendigen Voraussetzungen schaffe?“

Sie beschloss, aufrichtig zu sein. „Im Prinzip schon.“

„Schön. Und – würdest du es tun? Auf meiner Ranch lebt es sich nicht schlecht. Sogar sehr angenehm. Außerdem bin ich während der Arbeit kaum daheim, sodass du das Haus praktisch für dich allein hast. Wir werden uns also nur selten über den Weg laufen.“

Nachdenklich schaute sie ihn an. Mit anderen Worten, sie lebten nicht wirklich dreißig Tage unter einem Dach – jedenfalls nicht die ganze Zeit. Das wäre auch nicht auszuhalten. Aber sie wusste, dass er recht hatte. Sie mussten etwas unternehmen. Warum noch lange darüber diskutieren, wenn ein Ortswechsel für sie einfacher war? Auch wenn es ihr nicht gefiel – wenigstens taten sie, was von ihnen verlangt wurde, und am Ende konnte jeder sein Leben fortsetzen. Dennoch …

„Hast du eine feste Freundin?“, wollte sie wissen.

„Weder fest noch sonst wie. Mir fehlt die Zeit.“

Alyssa zog eine Augenbraue hoch. Seit wann nahmen Männer sich keine Zeit mehr für Frauen?

„Und wie sieht es bei dir aus?“, erkundigte er sich. „Gibt’s in deinem Leben einen Mann?“

Sie dachte an die gelegentlichen Anrufe von Kevin. Er hatte sich ein paar Mal bei ihr gemeldet und versucht, seinen Fehler wieder gutzumachen – als ob sie nicht wüsste, dass er noch immer mit Kim ins Bett ging. Kim bereitete es ein diebisches Vergnügen, ihr gegenüber Andeutungen zu machen, dass sie hin und wieder mit Kevin ausging. „Nein. Genau wie dir fehlt mir die Zeit.“

Er nickte. „Also kann uns niemand in die Quere kommen, und wir können die Angelegenheit ein für alle Mal regeln.“

So schnell konnte sie sich jedoch nicht zu einer Entscheidung durchringen. „Ich muss eine Nacht darüber schlafen“, sagte sie.

„Okay. Würde es dir dann etwas ausmachen, auf der Ranch zu übernachten?“, fragte Clint. „So kannst du sehen, ob es dir dort gefällt und ob du dort arbeiten kannst.“

Nach wie vor hätte sie ein Hotel bevorzugt, aber sein Argument war stichhaltig.

„Nun gut, Clint. Ich schlafe eine Nacht auf deiner Ranch, und morgen früh werde ich mich endgültig entscheiden.“

Er legte den Kopf schräg und sah sie an. „Mehr kann man nicht verlangen.“

3. KAPITEL

„Kannst du reiten?“

Alyssa warf Clint einen Blick zu. Es war schon schwer genug gewesen, ihm im Restaurant gegenüberzusitzen. Jetzt, in der Enge des Wagens, war seine Gegenwart noch intensiver. Sie ließ den Blick von seinem Gesicht zu den kräftigen Händen wandern, die das Steuerrad umklammerten.

„Alyssa?“

Fast wäre sie zusammengezuckt, als er ihren Namen aussprach. Sie hatte seine Frage noch nicht beantwortet.

„Ja und nein.“

Amüsiert schaute er sie an. „Entweder kannst du’s oder nicht.“

„Nicht unbedingt. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit. Ja, ich kann reiten, aber ich tue es lieber nicht.“

„Gibt es dafür einen Grund?“

„Ja. Pferde mögen mich nicht.“

Er lachte. „Dann hast du vermutlich noch nicht herausgefunden, wie du mit ihnen umgehen musst. Ein Pferd durchschaut einen Menschen instinktiv. Ob du zu aggressiv bist, zu nachsichtig … manchmal beides. Für mich gehören Pferde zu den Tieren, mit denen man am besten zurechtkommen kann.“

„Kein Wunder. Du zähmst sie ja auch“, entgegnete sie. Sie betrachtete die Landschaft, die umso schöner wurde, je weiter sie die Stadt hinter sich ließen.

„Das würde ich auch sagen, wenn ich sie nicht zähmen würde. Solltest du auf der Ranch bleiben, wirst du bestimmt Gefallen an Pferden finden. Da gehe ich jede Wette ein.“

„Ich habe ja nicht behauptet, dass sie mir nicht gefallen. Ich bin nur zu oft von ihnen abgeworfen worden, um sie nett zu finden. Ich weiß, wann ich aufhören muss.“

Er lachte. „Ich nicht. Hätte ich jedes Mal aufgegeben, nachdem ich abgeworfen wurde, dann wäre ich schon seit Jahren nicht mehr auf ein Pferd gestiegen.“

Alyssa schaute Clint verstohlen aus den Augenwinkeln an. Er musterte sie mit einem Blick, der ihr Herz schneller schlagen ließ und ihr fast den Atem raubte. Sie räusperte sich. „Was ist?“

Es schien, als wäre ihm erst durch ihre Frage bewusst geworden, dass er sie die ganze Zeit angestarrt hatte. „Nichts“, murmelte er.

Alyssa wusste sehr wohl, dass ihn etwas beschäftigte, und zwar das Gleiche, was auch ihr schon eine ganze Weile durch den Kopf ging, seitdem sie eng nebeneinander im Auto saßen. Erneut schaute sie aus dem Fenster und überlegte, dass es nicht einfach sein würde, mit ihm auf der Ranch zu leben. Das einzig Positive daran war, dass er die meiste Zeit nicht da war.

„Glaubst du, dass deine Familie ein Problem damit hat?“

Sie drehte den Kopf zu ihm. Er hatte den Blick fest auf die Straße gerichtet. Gut. Jedes Mal, wenn er sie anschaute, weckte er in ihr längst vergessene Gefühle. „Ein Problem womit?“, fragte sie zurück.

„Dass du eine Weile bei mir auf der Ranch wohnst. Das heißt, falls du dich dafür entscheidest.“

Alyssa seufzte. Hätte sie ihm erzählen sollen, dass einige Mitglieder ihrer Familie es am liebsten sähen, wenn sie Waco für immer den Rücken kehrte? Es war zu kompliziert und zu persönlich, um es zu erklären. Das war das einzig Gute an diesen dreißig Tagen. Vielleicht war es gar nicht schlecht, wenn sie eine Zeit lang nicht in Waco war. Kim hatte sich nämlich nicht damit begnügt, ihr die Hochzeit zu vermasseln. Sie schien fest entschlossen, Alyssa das Leben auch in Zukunft zur Hölle zu machen. „Nein, damit haben sie kein Problem“, antwortete sie schließlich. „Was ist mit deinen Leuten?“

„Meine Familie ist mit allem einverstanden, was ich mache. Wir mögen uns zwar sehr, lassen uns aber unseren Freiraum.“ Sein Blick und sein Lächeln jagten heiße Schauer durch ihren Körper.

„Zugegeben – um Casey haben Cole und ich uns schon sehr gekümmert. Wir fühlten uns für sie verantwortlich, vor allem als sie anfing, mit Jungs auszugehen. Aber seit ihrer Hochzeit mit McKinnon halten wir uns natürlich aus ihrem Leben heraus.“

„Ist sie schon lange verheiratet?“

Er schüttelte den Kopf. „Seit Ende November. Cole und ich könnten uns keinen besseren Mann für unsere Schwester wünschen.“

Alyssa lächelte versonnen. „Das hört sich sehr nett an.“

„Es stimmt. Meistens stehen wir sogar auf seiner Seite. Casey kann nämlich verdammt dickköpfig sein.“

„Du hast nur noch deine Geschwister?“

„Zumindest haben wir das geglaubt. Meine Mutter war die Schwester von Onkel Sid. Sie zog zu ihm auf die Ranch, als ihr Mann bei einem Rodeo angeblich ums Leben gekommen war und sie mit uns schwanger war.“

Verwirrt schaute Alyssa ihn an. „Angeblich ums Leben gekommen?“

„Ja. Das ist die Geschichte, die sie sich mit Onkel Sid ausgedacht hatte und allen erzählte. Dabei war unser Vater noch äußerst lebendig. Sie glaubte jedoch, sie würde ihm einen Gefallen tun, wenn sie ihm verschwieg, dass sie schwanger war und aus seinem Leben verschwand. Deshalb sind Cole, Casey und ich in dem Glauben aufgewachsen, unser Vater sei tot.“

„Wann hast du die Wahrheit herausgefunden?“

„An Moms Sterbebett. Sie wollte, dass wir alles erfuhren.“

Sogleich musste Alyssa an das Geheimnis denken, das ihr Großvater auf seinem Sterbebett offenbart hatte. Er hatte ihr gestanden, dass er ihr Vater und nicht ihr Großvater war – eine Offenbarung, die ihr Leben vollkommen verändert hatte. Es hatte Eifersucht in ihrer Familie gesät – in einer Familie, deren Mitglieder sich ohnehin nie besonders nahe gewesen waren. „Was ist danach passiert?“, erkundigte sich Alyssa interessiert.

„Cole und ich beschlossen, unseren Vater zu suchen. Wir wussten natürlich, dass es nicht einfach sein würde, eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Immerhin waren wir schon erwachsene Männer Ende zwanzig. Es wäre eine gewaltige Überraschung für ihn.“

„Habt ihr ihn denn gefunden?“

Wieder lachte er, und wieder spürte sie dieses Prickeln auf ihrer Haut. „Ja, haben wir. Und noch eine Menge Cousins und Cousinen, von deren Existenz wir überhaupt nichts ahnten. Westmorelands aus allen Ecken des Landes. Plötzlich waren wir Teil einer großen Familie, die uns mit offenen Armen empfing. Sie gaben uns sofort das Gefühl, zu ihnen zu gehören. Es war überwältigend.“

Am Klang seiner Stimme glaubte Alyssa zu erkennen, dass er noch immer tief bewegt war. Er konnte sich glücklich schätzen, Teil einer solchen Familie zu sein. Allerdings war ihr aufgefallen, dass er nicht erwähnt hatte, wie seine Schwester auf den plötzlich wiederauferstandenen Vater reagiert hatte.

„Wie war es denn für deine Schwester, als sie euren Dad das erste Mal sah?“, erkundigte sie sich deshalb.

Sie brannte darauf, es zu erfahren. Nur zu deutlich war ihr noch in Erinnerung, was sie gefühlt hatte, als Isaac Barkley ihr gestand, ihr Vater zu sein. Einerseits wünschte sie sich, es früher erfahren zu haben. Es hätte eine Menge erklärt, und zusammen wäre es ihnen sicher leichter gefallen, mit dem Hass und der Eifersucht ihrer Verwandten fertig zu werden. Aber kurz nach seinem Geständnis war er gestorben und hatte sie alleingelassen.

„Für Casey war es schwieriger, sich mit den Tatsachen abzufinden. Sie hatte fest an das geglaubt, was Mom uns all die Jahre erzählt hatte. Es dauerte eine Weile, bis sie mit ihm warm geworden war. Aber das ist nun vorbei. Inzwischen lebt sie sogar in Montana, um in seiner Nähe zu sein. Dort hat sie auch McKinnon kennengelernt und sich in ihn verliebt.“

Alyssa seufzte. Könnte sie doch auch jemanden fürs Leben finden. Aber das war unmöglich, solange Kim Barkley noch lebte, die sich vorgenommen hatte, alles, was Alyssa glücklich machen könnte, zu zerstören.

„Wir sind jetzt auf meinem Land“, verkündete Clint stolz.

Alyssa beugte sich nach vorn. Was sie durch das Autofenster sah, nahm ihr den Atem. Der Anblick war einfach großartig.

Während der ersten dreizehn Jahre ihres Lebens hatte sie auf einer kleinen Farm in Houston gelebt, wo sie sich sehr wohlgefühlt hatte. Doch eines Tages hatte ihre Mutter sie zu ihrem Großvater in die Stadt gebracht. Es war vermutlich das Vernünftigste, das diese Frau jemals getan hatte.

„Wunderschön, Clint.“ Sie schaute über Hügel, Wiesen und Felder, so weit das Auge reichte. Es musste fantastisch sein, jeden Tag in einer solchen Umgebung aufzuwachen.

Fasziniert schaute Alyssa sich um, während sie sich vorstellte, wie es wäre, wenn sie sich nicht länger darüber sorgen müsste, dass Kim ihr das Leben zur Hölle machte. Der Truck hatte angehalten, und sie schaute zu Clint.

„Komm, ich möchte dir was zeigen.“

Er stieg aus, und sie folgte ihm zu einem Felsvorsprung. „Schau mal dort hinunter“, forderte er sie auf und zeigte mit dem Finger auf etwas in der Ferne.

Sie sah in die angedeutete Richtung und erblickte die Ranch, die tief unten im Tal lag. Rund um das riesige Haus befanden sich mehrere Ställe, Scheunen und andere Gebäude. Auf einer riesigen Koppel grasten und galoppierten Pferde.

Aus der Entfernung wirkten die Männer, die mit ihnen arbeiteten, wie winzige Ameisen. „Es ist überwältigend, Clint“, staunte sie. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie dicht er neben ihr stand. Der Blick seiner dunklen Augen strich wie eine Liebkosung über ihre Haut.

Sie trat einen Schritt zurück, und er umfasste ihre Taille. Alyssa spürte die Wärme seiner Hand durch den dünnen Stoff ihrer Bluse. Fasziniert sah sie auf seine vollen Lippen. Wie mochte es sich anfühlen, wenn sie ihren Mund berührten? Weich und zärtlich zunächst, und dann immer fordernder und leidenschaftlicher …

Sie war kein ungestümer Mensch. Aber eines hatte ihr Grandpa sie gelehrt: Wenn man etwas wirklich wollte, war es das Beste, den Stier direkt bei den Hörnern zu packen. Und genau das hatte sie jetzt vor.

Er beugte seinen Kopf zu ihr hinunter, sie kam ihm ein wenig entgegen, bis sie seine Lippen auf ihren spürte. Diese erste Berührung sandte Schauer des Entzückens durch ihren Körper. Die sich noch verstärkten, als Clint sie an sich zog und mit einem Feuer küsste, das sie förmlich zu verbrennen schien.

Es war ein fantastisches Gefühl. Dieser Kuss barg eine Verheißung von Zärtlichkeit und unbändiger Leidenschaft in sich. Er ließ das ruhige und beschauliche Leben, das sie in den vergangenen zwei Jahren geführt hatte, plötzlich wie eine sinnlose Verschwendung von Zeit und Energie erscheinen.

Immer tiefer versank sie in diesem unglaublichen Kuss. Vielleicht würde sie es später bereuen, aber jetzt war es genau das, was sie wollte – und brauchte.

Unvermittelt löste sich Clint von ihr. Er holte tief Luft und versuchte, der Erregung in seinem Innern Herr zu werden. Wie konnte er das nur geschehen lassen? Wo war seine berühmte Selbstkontrolle geblieben? Wo war sein fester Wille, alles, was sein Leben durcheinanderbringen könnte, von sich fernzuhalten?

Er sagte kein Wort zu Alyssa. Stumm schaute er sie an und bemühte sich, das heftige Hämmern seines Herzens in den Griff zu bekommen. Kämpfte gegen die Emotionen, die ihn zu überwältigen drohten. Sie hatte ihn mit dem gleichen Verlangen geküsst wie er sie. Anfangs war er von ihrer mangelnden Erfahrung überrascht, was das Küssen anging, aber sie lernte schnell – sehr schnell.

„Okay, Clint, was sollte das jetzt?“, fragte sie so ruhig wie möglich.

Sie schaute ihn an und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Bei diesem Anblick wurde ihm ganz anders. „Ich denke, ich könnte dich das Gleiche fragen“, murmelte er. „Zu diesem Kuss gehören zwei, Alyssa.“

Er wartete auf ihren Widerspruch, aber es kam keiner. Stattdessen wandte sie den Kopf ab und ließ ihren Blick erneut über die Ranch weit unten im Tal wandern. Noch ehe sie etwas entgegnen konnte, sagte er: „Ich verspreche dir, mich in den nächsten dreißig Tagen zurückzuhalten.“

Sie schien ihn überhaupt nicht zu hören. Reglos stand sie am Rand des Felsens. Nach einer Ewigkeit schaute sie ihn wieder an, und bei ihrem Blick hatte er das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

„Kannst du das?“, fragte sie leise.

Obwohl es ihm schwerfiel, hielt er ihrem Blick stand. „Kann ich was?“

„Dich zurückhalten. Deine Wünsche für dreißig Tage zu vergessen.“ Der sinnliche Ausdruck in ihren Augen verschwand. Ernst schaute sie ihn an. „Das muss ich wissen, ehe ich mich dazu entschließe, hier bei dir zu bleiben.“

Er runzelte die Stirn. Fürchtete sie sich vor ihm? Er trat einen Schritt auf sie zu, sodass sie zu ihm aufschauen und ihn direkt ansehen musste. „Ich will dir etwas erklären, Alyssa“, sagte er mit fester Stimme. „Du hast nichts zu befürchten, wenn du hierbleibst – am allerwenigsten von mir. Du legst die Regeln fest, und ich werde mich daran halten. Im Moment gibt es in meinem Leben keine Frau, und ich brauche auch keine. Was du da unten siehst, ist mein Leben. Du bist nur auf dem Papier meine Frau. Das werde ich nicht vergessen. Und ich werde es respektieren. Aber nach diesen dreißig Tagen erwarte ich von dir, dass du gehst. Ich muss sicher sein, dass du dann gehen willst. Für Beziehungen habe ich keine Zeit. Die einzige längerfristige Verpflichtung in meinem Leben sind die Ranch und die Stiftung. Darum will und muss ich mich kümmern. Sie sind alles, was ich brauche und alles, was ich will.“

Nachdem er seine freimütige Erklärung beendet hatte, fragte sie: „Warum hast du mich dann überhaupt geküsst?“

Clint bemerkte das Blitzen in ihren Augen. Sie begann, seine Worte persönlich zu nehmen. „Es gibt mehrere Gründe, warum wir uns geküsst haben“, begann er langsam. „Neugier. Verlangen. Begierde. Nur gut, dass wir alle drei abgehakt haben, ehe wir zur Ranch gehen. Ich versichere dir, dass du für mich keine Versuchung mehr sein wirst, der ich nachgeben werde.“

Alyssa war sich nicht sicher, ob ihr gefiel, was sie hörte. Fand er ihren Kuss so langweilig, dass er keine Lust verspürte, sie ein zweites Mal zu küssen? Kim hatte immer behauptet, dass ihre Wirkung auf Männer minimal sei und dass sie gar keine Ahnung von wirklicher Lust und wahrer Leidenschaft hätte.

Clint hatte ihre Cousine Lügen gestraft. Bei seinem Kuss hatte sie echte Begierde gespürt. Er hätte sie beinahe um den Verstand gebracht.

„Also“, unterbrach er ihre Gedanken, „willst du jetzt mit mir auf die Ranch fahren, oder soll ich dich in die Stadt zurückbringen?“

Sie schaute ihn an. „Ich habe mich noch nicht entschieden.“

„Na gut. Ich möchte nur nicht, dass du in Gewissenskonflikte gerätst.“

Aus Clints harschen Worten glaubte sie, eine gewisse Ungeduld herauszuhören. Die hatte sie schon zuvor im Restaurant bemerkt. Sie schaute hinunter zur Ranch und wieder zu Clint. „Heute Nacht bleibe ich hier.“

„Dann lass uns gehen. Ich habe noch eine Menge zu tun.“ Auf einmal war Clint gar nicht mehr davon überzeugt, dass es eine gute Idee war, Alyssa einzuladen, bei ihm zu übernachten.

Sie gingen zum Truck zurück. Schweigend betrachtete sie die Landschaft, als sich der Wagen in Bewegung setzte. Der Mann, der zumindest auf dem Papier ihr Ehemann war, hatte ihr eine Kostprobe von wahrer Leidenschaft gegeben. Und sie hatte sie genossen.

Gab es etwa eine wilde, ungezähmte Seite in Clint – eine, von deren Existenz er vielleicht selbst nichts wusste? Diese Wildheit hatte sich in seinem Kuss gezeigt. In ihren Augen war dieser Mann ein Vulkan, dessen Gefühle wie heiße Lava in seinem Inneren brodelten und jederzeit ausbrechen konnten. Über die Konsequenzen wollte sie lieber nicht nachdenken – über diese heiße, unbeherrschte Leidenschaft, die alles verschlingen konnte.

Gibt es irgendwo eine Frau auf dieser Welt, überlegte sie, die Clint Westmoreland zähmen könnte?

Schon vom Felsvorsprung aus betrachtet wirkte das Haus riesig. Doch wenn man erst einmal davorstand, erkannte man erst seine wirkliche Größe. In einem solchen Haus konnte man sich ohne Weiteres aus dem Weg gehen, auch für vier Wochen. Er hoffte, dass Alyssa genauso dachte.

Die Haustür wurde geöffnet, und Chester kam heraus. Er war Clints Koch und Hausmeister; er ging ihm zur Hand, wenn Reparaturen auf der Ranch anfielen. Und er war ein Riese – fast ein Meter neunzig groß und hundertzwanzig Kilo schwer.

Auf den ersten Blick wirkte der Fünfundsechzigjährige ziemlich einschüchternd und kräftig wie ein Bär. Doch wenn man ihn erst einmal näher kannte, merkte man schnell, dass er ein gutmütiger Teddybär war.

Chester fühlte sich als Ersatzvater der Drillinge. Er erzählte gern, dass er Doc Shaw geholfen hatte, sie auf die Welt zu bringen. Aus diesem Grund glaubte er auch zu wissen, was das Beste für Clint war. Diesbezüglich waren sie allerdings nicht immer einer Meinung. Chester war es auch gewesen, der Clint und Cole dazu gedrängt hatte, sich auf die Suche nach ihrem Vater zu machen, ebenso wie er Casey dazu überredet hatte, keinen Groll gegen ihren Erzeuger zu hegen und sogar freundschaftliche Gefühle für ihn zu entwickeln.

Jetzt, da Casey in Montana glücklich verheiratet war, wollte Chester ihre Brüder auch noch dazu bringen, ihrem Beispiel zu folgen. Er war der Ansicht, dass sie so schnell wie möglich heiraten und genauso glücklich werden sollten, wie er es in seiner mehr als dreißigjährigen Ehe gewesen war. Seine geliebte Ada war vor einigen Jahren gestorben. Noch immer spürte er die Lücke, die ihr Tod in seinem Leben zurückgelassen hatte.

Clint bemerkte Chesters prüfenden Blick sofort. Er musterte Alyssa von oben bis unten und schien zu überlegen, ob sie kräftig genug war für das harte Leben auf einer Ranch – und ob sie genug Mumm hatte, Clint im Zaum zu halten. Chester war schon immer der Meinung gewesen, dass der Golden Glade Ranch eine Frau fehlte, die ebenso intelligent wie stark war – und Clint eine Partnerin, die es mit ihm aufnehmen konnte.

Am Morgen hatte er Chester von dem Patzer seines ehemaligen Arbeitgebers erzählt. Jetzt beschlich ihn ein unangenehmes Gefühl bei dem Gedanken, ihm zu gestehen, dass er und Alyssa gezwungen waren, dreißig Tage wie Mann und Frau zusammenzuleben.

Für Chester wäre das ein Wink des Schicksals: Irgendjemand da oben versuchte, Clint etwas mitzuteilen. Er bemerkte den nachdenklichen Blick in Chesters Augen und runzelte irritiert die Stirn.

„Ich muss es einfach noch mal sagen, Clint – dein Zuhause ist wunderschön“, wiederholte Alyssa gerade.

Ihre Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. Er schaute sie an. Die Sonne schien ihr ins Gesicht und machte sie noch attraktiver. Ihre matt schimmernde Haut ließ ihn an ihren Kuss denken und wie süß sie geschmeckt hatte. Selbst jetzt hätte er nichts dagegen, sie noch einmal zu küssen, noch einmal zu schmecken. Als sie seinen Blick erwiderte, spürte er wieder heißes Verlangen. Seine Reaktion gefiel ihm überhaupt nicht.

Ihr Blick verriet ihm, dass sie auf eine Antwort wartete. „Danke. Ich möchte dich erst mit Chester bekannt machen. Dann führe ich dich herum.“

Offenbar brannte Chester darauf, Alyssa kennenzulernen, denn er lief mit ausgestreckter Hand geradewegs auf sie zu. „Willkommen auf Golden Glade. Sie sind also Clints Frau. Wir freuen uns sehr, dass Sie da sind.“ Ehe sie etwas entgegnen konnte, fügte er mit demselben strahlenden Lächeln hinzu: „Sie sind nämlich genau das, was Clint hier noch gefehlt hat.“

In dem Moment hätte Clint ihn am liebsten zusammengeschlagen.

Alyssa lächelte verunsichert. Es stimmte zwar, dass sie und Clint vor dem Gesetz verheiratet waren, aber das Ganze beruhte auf einem Formfehler. Ein Fehler, der korrigiert werden musste. Chesters Worte machten ihr einmal mehr die Ernsthaftigkeit ihrer Situation klar – und wie dringend sie dieses Problem aus der Welt schaffen mussten.

Da sie nicht wusste, wie sie auf Chesters Willkommensgruß und insbesondere auf seine Anspielung auf ihre Ehe reagieren sollte, wiederholte sie bloß: „Es ist eine fantastische Ranch.“

Clint war um den Truck herumgegangen und stand nun neben ihr. Der gereizte Blick, mit dem er den alten Mann bedachte, entging ihr nicht. Offenbar passte es ihm ebenfalls nicht, an ihre Situation erinnert zu werden.

„Vielen Dank. Clint leistet hier wirklich ganze Arbeit“, antwortete Chester. „Aber ich habe ihm schon tausend Mal gesagt, was der Ranch wirklich fehlt, und das ist …“

„Alyssa, darf ich dir Chester vorstellen“, unterbrach Clint ihn hastig. „Er ist hier Koch und Hausmeister.“

Unbeirrt, als sei Clint ihm nicht ins Wort gefallen, beendete Chester seinen Satz: „Was der Ranch wirklich fehlt, ist die Hand einer Frau.“

In Alyssas Kopf überschlugen sich die Gedanken. Warum sagte Chester so etwas? Wusste er nicht, dass ihre Ehe in Wirklichkeit gar nicht existierte? Sie warf Clint einen raschen Blick zu, aber seine Miene war undurchdringlich. Da es sie im Grunde nichts anging, was zwischen Clint und einem seiner Angestellten vor sich ging, sagte sie nur: „Schön, Sie kennenzulernen.“

Der Mann strahlte sie an. „Nein, Alyssa, es ist schön, Sie kennenzulernen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen alles.“

„Das mache ich schon“, schaltete Clint sich ein.

Alyssa und Chester sahen ihn an. „Ich dachte, du hättest so viel zu tun“, entgegnete Chester gedehnt.

„Das kann warten.“ Clints Antwort überraschte Chester ebenso sehr wie Alyssa.

Sie hätte schwören können, ein zufriedenes Leuchten in Chesters Augen zu sehen. „Wie du willst“, meinte der alte Mann. „Ich muss mich ohnehin um das Abendessen kümmern.“ Er lächelte Alyssa noch einmal zu, ehe er wieder im Haus verschwand.

„Ich zeige dir dein Zimmer, ehe ich dich durchs Haus führe“, schlug Clint vor.

Fasziniert schaute Alyssa zu, wie Clint zum Wagen ging, um ihre Reisetasche zu holen. Der Mann bewegt sich geschmeidig wie ein Raubtier, dachte sie bewundernd.

Als könnte er ihre Blicke auf seinem Rücken spüren, drehte er sich abrupt um. „Alles in Ordnung, Alyssa?“, fragte er beiläufig.

Am liebsten hätte sie die Arme vor der Brust verschränkt, um sich vor seinem forschenden Blick zu schützen. Doch das hätte ihre Unsicherheit verraten. Stattdessen sagte sie nur: „Na klar.“

Er nickte kurz, ehe er die Autotür öffnete und die Tasche herausnahm. Sie wusste, dass ihm die Situation genauso unangenehm war wie ihr selbst. Aber sie würden es wieder hinbiegen. Vor fünf Jahren hatte sie erlebt, dass Clint Westmoreland für jedes erdenkliche Problem eine Lösung parat hatte. Schon damals hatte sie ihn wegen dieser Fähigkeit bewundert.

„Hier entlang“, forderte er sie auf. Er stand nur wenige Zentimeter vor ihr, und unwillkürlich ging ihr Atem schneller. Sie musste schlucken. Es war nicht so, dass sie nicht schon vorher Zeit zusammen verbracht hatten.

Als sie vor fünf Jahren ihren Geheimauftrag erledigten, waren sie eine Woche lang praktisch unzertrennlich gewesen, um ihre Tarnung nicht auffliegen zu lassen. Sie hatten in einem Hotelzimmer übernachtet – sie im Bett, er auf dem Sofa. Doch trotz dieser fast schon intimen Nähe hatte sie seine Gegenwart nicht so aus der Fassung gebracht wie jetzt.

Dieses Mal jedoch übte Clint Westmoreland eine unerklärliche Wirkung auf sie aus. Seinerzeit war es ihr vor allem wichtig gewesen, ihren Job als Texas Ranger anständig zu erledigen, sodass alles andere – inklusive Clint Westmoreland – in den Hintergrund trat. Jetzt jedoch gab es keinen Auftrag, der sie ablenkte. Wie um alles in der Welt würde sie dreißig Tage an der Seite dieses Mannes und unter demselben Dach mit ihm überleben?

Er öffnete die Haustür und ließ ihr den Vortritt. Ihr war ganz beklommen zumute, als sie hineinging. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass ihr Leben nie mehr dasselbe sein würde, sobald sie über diese Schwelle trat.

4. KAPITEL

Clint straffte den Rücken, als Alyssa sein Haus betrat. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann ihm die Gegenwart einer Frau so sehr bewusst gewesen war, dass alles an ihr, selbst ihr Geruch, sich unauslöschlich in sein Gedächtnis einbrannte.

Aber sie bleibt ja nur dreißig Tage, beruhigte er sich. Dreißig Tage vergehen wie im Flug. Das würde er schon schaffen. Seine Arbeitstage auf der Ranch waren lang und anstrengend. Das Pferdetraining und die Stiftung seines Onkels würden ihn so sehr in Beschlag nehmen, dass er nicht auf dumme Gedanken kam.

Alyssa stand mitten in seinem Wohnzimmer und schaute sich um. Vor lauter Staunen brachte sie kein Wort heraus. Hatte sie geglaubt, nur weil er die meiste Zeit im Freien verbrachte, würde er keinen Wert auf ein behagliches Zuhause legen?

„Das ist alles so schön hier“, sagte sie schließlich leise.

Er nahm das Kompliment bereitwillig entgegen. „Danke. Ich habe eine Innenarchitektin mit der Einrichtung beauftragt. Sie hat sich um jedes Zimmer gekümmert – inklusive der Gästezimmer.“

Neugierig schaute sie ihn an. „Hast du oft Gäste?“

„Kann man so sagen. Die Westmorelands sind eine große Familie, und sie kommen gern zu Besuch. Ich habe dir ja schon erzählt, dass unsere Cousins und Cousinen Cole, Casey und mich mit offenen Armen aufgenommen haben. Wir verstehen uns wirklich prächtig.“

Er schaute auf seine Uhr. „Komm, ich zeige dir dein Zimmer, damit du dich ein wenig frisch machen kannst. Den Rest des Hauses lernst du dann später kennen.“

Das Zimmer, in das Clint Alyssa führte, war ebenso luxuriös eingerichtet wie das Wohnzimmer und wie vermutlich auch die anderen Gästezimmer, von denen es ungefähr zehn gab. Nach Auskunft von Clint hatte sein Onkel ein großes Haus geführt und gerne Freunde um sich versammelt.

Das Haus besaß vier Flügel, die vom Wohnzimmer aus in alle vier Himmelsrichtungen gingen. Clints Schlafzimmer lag im Nordflügel. Das Haus schien wie für einen König gemacht – und für seine Königin. Offenbar umgab Clint sich gern mit schönen Dingen, was die teuren Möbel und die kostbaren Gemälde deutlich zeigten. Geld jedenfalls schien für ihn keine Rolle zu spielen.

Er hatte sie alleingelassen und gesagt, dass er in ein paar Minuten zurückkommen würde. Trotzdem ließ das wilde Hämmern ihres Herzens nicht nach. Auch die Schmetterlinge in ihrem Bauch wollten nicht zur Ruhe kommen.

Ihr Blick fiel auf ihre Reisetasche. Sie hatte nur ihre Kosmetiksachen, Wäsche zum Wechseln, ein extra großes T-Shirt für die Nacht sowie eine Jeans und ein Top eingepackt. Wenn sie sich dazu durchringen würde, dreißig Tage zu bleiben, müsste sie zuvor noch nach Waco fliegen, um weitere Sachen zu holen. Ob ihre Freunde sie schon vermissten? Sie hatte keinem erzählt, wohin sie fuhr und aus welchem Grund. Nur ihre Tante Claudine wusste Bescheid, und sie würde keinem etwas verraten. Alyssa lächelte. Ihre sechzigjährige Großtante war geschmeichelt, dass ihre Nichte sie als Einzige eingeweiht hatte.

Als Clint an die Schlafzimmertür klopfte, hatte Alyssa ihre wenigen Sachen schon eingeräumt. Zuvor hatte sie mit Tante Claudine telefoniert und erfahren, dass Kim sich bereits nach ihr erkundigt hatte. Obwohl ihre Tante ihr versichert hatte, dass sie sich deswegen keine Sorgen zu machen brauchte, war Alyssa beunruhigt.

Erneut klopfte Clint, und rasch ging sie zur Tür. Er sollte nicht glauben, sie habe sich hingelegt und sei eingeschlafen. Er stand im Türrahmen und schaute auf sie hinunter. „Bist du bereit für einen Rundgang?“

Der forschende Blick aus seinen dunklen Augen verunsicherte sie noch mehr. Einen Moment lang überlegte sie, ob es nicht besser wäre, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen, anstatt an seiner Seite durchs Haus zu laufen. Doch erstens wäre das sehr unhöflich gewesen, und zweitens war sie fest entschlossen, sich nicht mehr von einem Mann beeindrucken oder einschüchtern zu lassen. Keiner sollte mehr über ihr Leben bestimmen. Diese Lektion hatte Kevin sie gelehrt, und sie würde sie nie mehr vergessen. „Clint …“

„Ja?“

Er trat einen Schritt näher, doch sie rührte sich nicht vom Fleck. „Ist was?“, fragte sie unwillkürlich.

„Sag du’s mir“, antwortete er mit einem leichten Schulterzucken.

Was soll ich ihm sagen, überlegte Alyssa verwirrt. Die Nähe dieses Mannes, sein fantastischer Körper, dessen Wärme sie zu spüren glaubte, brachten sie vollkommen durcheinander. „Ich wollte sagen“, stammelte sie, „wenn du viel zu tun hast, kann ich mich auch allein umschauen.“

„Ich habe nichts zu tun, also komm“, erwiderte er.

Die Furchen auf seiner Stirn waren noch tiefer geworden. Abrupt drehte er sich um, und Alyssa spürte instinktiv, dass ihm etwas nicht passte. Vermutlich die Tatsache, dass er sie eingeladen hatte, auf der Ranch zu übernachten.

Nach der Besichtigungstour drinnen traten sie ins Freie. Alyssas Begeisterung über die geschmackvoll eingerichteten Zimmer hatte ihm gefallen, obwohl er nicht so recht wusste, warum. Er hatte nie viel Aufheben um seinen Besitz gemacht, und was andere darüber dachten, war ihm eigentlich egal. Es musste ihm gefallen und nicht seinen Gästen.

„Kommt deine Schwester aus Montana dich oft besuchen?“

Täuschte er sich, oder war Alyssa kleiner geworden? Als er auf ihre Füße schaute, entdeckte er den Grund: Sie hatte die hochhackigen Schuhe gegen ein Paar Slipper getauscht. Kluges Mädchen. Eine Ranch war wirklich nicht der Ort für Stöckelschuhe. „Bis jetzt war sie nur einmal hier, aber wahrscheinlich kommen sie und McKinnon demnächst hierher. Wieso?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich frage nur so. Und was ist mit Cole?“

Verständnislos schaute er sie an. „Was soll mit ihm sein?“

„Lebt er auch hier?“

„Nein. Er hat eine Wohnung in der Stadt, aber die meiste Zeit ist er unterwegs.“ Plötzlich wurde Clint klar, warum sich Alyssa nach seinen Geschwistern erkundigte und ob mit ihrem Besuch zu rechnen war. „Falls du dir Gedanken machst, was meine Geschwister über unsere Situation denken, vergiss es. Sie stellen bestimmt keine Fragen.“

Als sie ihn weiterhin zweifelnd anschaute, fügte er hinzu: „Und das hat nichts damit zu tun, dass manchmal Frauen bei mir übernachten. Meine Familie respektiert mein Privatleben. Außerdem hat keiner von uns etwas Unrechtes getan.“

„Du willst ihnen also die Wahrheit über mich erzählen?“

„Dass du meine Frau bist?“

„Ja.“

Er sah ihr in die Augen. „Warum sollte ich es nicht tun? Außerdem weiß Chester es schon, und wenn er es weiß, wissen es die anderen auch – oder zumindest bald. Er glaubt ohnehin, dass ich eine Frau brauche.“

„Warum?“

„Weil er befürchtet, dass ich mich nur noch mit Pferden beschäftige – ganz wie Onkel Sid. Der hat nämlich alles andere darüber vergessen – Privatleben, Familie … Chester will nicht, dass es mir genauso ergeht. Wenn er könnte, würde er mich sofort verkuppeln.“

Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her. Clint entgingen die bewundernden Blicke nicht, die die Arbeiter auf der Ranch Alyssa hinterher warfen. Warum irritierte ihn das? Er presste die Lippen zusammen, bis sie nur noch ein dünner Strich waren.

„Die Ranch ist ja wirklich riesig“, sagte sie, um das Thema zu wechseln, was ihm nur recht war.

„Ja, das ist sie in der Tat.“

„Arbeiten viele Leute für dich?“

„Gut hundert. Und wie ich schon sagte, Alyssa, falls du dich dazu entscheidest, hierzubleiben, sind die Chancen, dass wir uns ständig sehen, ziemlich gering.“ Was ihn anging, würde ihm dieser Umstand während ihres Aufenthalts das Leben erleichtern.

„Wollen wir zurückgehen?“, fragte er schließlich.

Sie strich sich eine Locke aus dem Gesicht. „Ja. Und danke für die Führung.“

Während sie zum Haus zurückschlenderten, konnte er die Erinnerung an den Geschmack nicht vergessen, den ihr Kuss bei ihm hinterlassen hatte. Allein beim Gedanken daran …

Diese Reaktion irritierte ihn. Schließlich hatte er ihr hoch und heilig versprochen, dass er sich zurückhalten würde. Es galt, einen kühlen Kopf zu bewahren, egal, wie stark sein Verlangen und wie groß seine Begierde wurde. Er musste sich stets vor Augen halten, dass das Letzte, was er momentan in seinem Leben brauchte, eine Ehefrau war.

„Ich sag dir, Alyssa, dieses Mädchen führt nichts Gutes im Schilde.“

Alyssa nahm den Ohrring ab und hielt das Telefon ans andere Ohr. Sie konnte ihrer Tante nur beipflichten. Seit Monaten hatte sie nichts von Kim gehört – nicht seitdem sie das letzte Mal versucht hatte, eines ihrer Projekte zu sabotieren – eine Präsentation, die sie für einen ihrer Kunden vorbereitete.

Zwei Wochen lang hatte Alyssa zusätzlich Tag und Nacht arbeiten müssen, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen und rechtzeitig fertig zu werden. Natürlich hatte Kim wie immer jegliche Schuld abgestritten, und Alyssa hatte ihr wie so oft nichts nachweisen können.

„Vermutlich hast du recht, Tante Claudine, aber wie kann ich mich davor schützen? Du weißt, Kim ist stets für eine böse Überraschung gut.“ Und immer hatte Alyssa einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Kims Repertoire an Boshaftigkeiten reichte von der Sabotage wichtiger Projekte bis zu einer Affäre mit Alyssas Verlobtem. Dann besaß sie auch noch die Frechheit, die Fotos, die sie bei Kevins Seitensprung gemacht hatte, Alyssa kurz vor der Trauung zukommen zu lassen.

Ihre Probleme mit Kim hatten begonnen, als Alyssa zu ihrem Großvater und ihrer Großtante zog. Ihre Mutter hatte ihr nie einen Grund genannt, warum sie ihre Tochter fortgeschickt hatte, aber Alyssa glaubte immer noch, dass die Schuld beim Liebhaber ihrer Mutter zu suchen war. Kate Harris war nicht entgangen, dass er ein Auge auf die pubertierende Dreizehnjährige geworfen hatte.

Von ihrer Mutter hatte Alyssa nie erfahren, wer ihr Vater war. Umso überraschter war sie, als sie ihr erzählte, dass es einen Großvater väterlicherseits gab. Kurz bevor ihre Mutter sie ins Flugzeug nach Waco gesetzt hatte, hatte sie Alyssa gestanden, dass sie die uneheliche Tochter von Isaac Barkleys verstorbenem Sohn Todd war. Todd gehörte ebenfalls zu den Texas Rangers und war bei einem Dienstunfall ums Leben gekommen.

Nach ihrer Ankunft in Waco hatte Alyssa sich schrecklich einsam gefühlt, aber im Lauf der Zeit stellte sich heraus, dass ihr nichts Besseres im Leben hätte passieren können, als bei Grandpa Isaac und Tante Claudine zu leben. Sie gaben ihr sofort das Gefühl, erwünscht, geliebt und beschützt zu sein.

Unglücklicherweise erregte das die Eifersucht ihrer Cousine Kim, die genauso alt war wie Alyssa. Kim war die Tochter von Grandpa Isaacs zweitem Sohn Jessie. Dessen Frau gestorben war, als Kim sechs Jahre alt war. Später erfuhr Alyssa, dass Jessie sich schuldig fühlte, weil er seine Frau wegen seiner zahlreichen Affären in den Selbstmord getrieben hatte. Um seine Schuldgefühle zu kompensieren, hatte er Kim total verwöhnt. Sie war es gewohnt, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, und weil sich das mit Alyssas Ankunft schlagartig änderte, hasste Kim sie von Anfang an – abgrundtief.

Alyssa konnte sich an keine Zeit erinnern, in dem Kim nicht versucht hatte, ihr das Leben schwer zu machen. Sie hatte böse Streiche angezettelt und es so hinbekommen, dass stets Alyssa als Schuldige dastand. Glücklicherweise hatte Grandpa Isaac gemerkt, was los war, und sich auf Alyssas Seite gestellt. Doch je mehr er Partei für Alyssa ergriff, umso heimtückischer und bösartiger wurde Kim.

Ohne Unterstützung ihres Großvaters und ihrer Großtante, dessen war sich Alyssa sicher, hätte sie ihre Teenagerzeit kaum unbeschadet überstanden. Dass ihre Mutter sie nicht ein einziges Mal besuchte und sich auch sonst in keiner Weise um die Tochter kümmerte, machte ihre Lage nicht besser.

Kim erzählte überall, dass Alyssa die Wohltätigkeit der Barkleys schamlos ausnutzte und es einige Familienmitglieder gab, die daran zweifelten, dass Todd Barkley wirklich ihr leiblicher Vater war. Das hatte Alyssa nichts ausgemacht, denn die Zuneigung ihres Großvaters war so groß, wie man sie nur einer wirklichen Enkelin gegenüber empfindet.

Kurz vor seinem Tod hatte sie dann herausgefunden, dass sie in Wahrheit seine Tochter war – eine Entdeckung, die die gesamte Familie schockierte, vor allem, weil er ihr in seinem Testament die Hälfte seines Besitzes vermachte. In Kims Augen war das der endgültige Beweis dafür gewesen, dass Alyssa nichts weiter als eine Erbschleicherin war.

„Alyssa …“

Ihre Tante brachte sie in die Gegenwart zurück. „Ja, Tante Claudine?“

„Ist es denn so schlimm, wenn du einen Monat mit diesem Mann zusammen sein musst? Wenigstens wird die Ehe dann annulliert – falls es das ist, was du wirklich möchtest.“

Unwillkürlich musste Alyssa lächeln. Ihre Tante versuchte schon wieder, Heiratsvermittlerin zu spielen. „Natürlich will ich das. Clint und ich wollen es beide. Wir kennen uns doch überhaupt nicht, und wie er sagte, sind wir das Opfer eines bürokratischen Fehlers. Ich finde es wirklich nicht gerecht, dass wir darunter leiden müssen“, erklärte Alyssa.

Sie hörte ihre Tante lachen. „Ich würde nicht darunter leiden, wenn ich mit einem fantastischen Mann unter einem Dach leben müsste – du hast doch gesagt, dass er wahnsinnig gut aussieht, oder?“

Ja, das hatte sie gesagt – und sie hatte es auch so gemeint. Clint sah wirklich toll aus – warum sollte sie das leugnen? Genau das war ja das Problem. „Ja, Tantchen, er ist ein Teufelskerl.“

„Dann schlage ich vor, dass du in Austin bleibst. Die einzige Alternative wäre, ihn hierher zu bringen. Aber du kannst dir ja wohl vorstellen, was dann los wäre. Kim wäre außer sich. Sie würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um … na ja, du weißt schon.“

Autor

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