Julia Saison Band 49

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FRÜHLING DER LIEBE von DONALD, ROBYN
Es war eine herrliche Nacht mit Aline - und Jake ist fassungslos, dass sie ihn am Morgen danach schroff zurückweist. Erinnert sie sich wirklich an gar nichts mehr? Was ist nur passiert in dieser Frühlingsnacht - oder besser in den Stunden danach, in denen er nicht an ihrer Seite war ...

LIEBESTRÄUME IM CHÂTEAU von WINSPEAR, VIOLET
Ihre Locken leuchten in der warmen Frühlingssonne: Armand d’Aville hat noch nie zuvor eine Frau so begehrt wie Glenda, die er in Erfüllung eines alten Versprechens als Braut auf sein Château führt. Doch sie entzieht sich ihm und weigert sich, wirklich seine Frau zu werden. Armand ahnt, dass Glenda ein dunkles Geheimnis verbirgt ...

FRÜHLING DER HOFFNUNG von WINTERS, REBECCA
Jason will nur eins: Seine geliebte Frau Ashley, die sein Kind erwartet, zurückgewinnen. Fast ist er am Ziel seiner Wünsche, da droht seine intrigante Stiefmutter erneut, sein Lebensglück zu zerstören …


  • Erscheinungstag 03.05.2019
  • Bandnummer 0049
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713607
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Robyn Donald, Violet Winspear, Rebecca Winters

JULIA SAISON BAND 49

1. KAPITEL

Als Jake den Salon betrat, entdeckte er sie sofort: Aline Connor, die Frau seiner Träume. Ihre Anwesenheit warf ihn völlig aus der Bahn. Leidenschaft und ungezügeltes Verlangen stiegen in ihm hoch. Am liebsten hätte er sie gleich …

Stopp, dachte er aufgebracht. Was war bloß los mit ihm? Hatte sie ihn vielleicht mit einem Zauber belegt? Konnte er deswegen nicht mehr klar denken? Oder lag es einfach nur daran, dass er eine furchtbare Woche hinter sich hatte? Sein Flug von Kanada nach Neuseeland war mit großer Verspätung gestartet und ziemlich turbulent gewesen. Der Anblick dieser betörenden Aphrodite allerdings reichte, um ihn für all das zu entschädigen. Er wäre gern zehn Mal so weit gereist, nur um sie zu sehen.

„Da ist ja Baby Emma, unser Ehrengast.“ Lauren Penn hatte zusammen mit ihm die alte viktorianische Villa betreten und war ihm ins Zimmer gefolgt. „Die Kleine ist ein richtiger Engel. Als der Pfarrer ihr das Wasser auf die Stirn geträufelt hat, ist sie erstaunlich ruhig geblieben. Sie scheint Keirs Selbstbewusstsein geerbt zu haben, die Glückliche.“

Jake rang sich ein Lächeln ab und fragte sich, wann er diese Nervensäge endlich loswurde. Sie war die ganze Zeit schon an seiner Seite und nutzte jede Gelegenheit, um ihn zu berühren. Ihr schweres Parfüm verursachte ihm Kopfschmerzen. Warum immer ich?, fragte er sich entnervt. Die Antwort lag auf der Hand. Seitdem er auf der Liste der reichsten Junggesellen verzeichnet war, konnte er sich vor Anträgen – meistens versteckt, manchmal jedoch auch ganz offen an ihn herangetragen – kaum noch retten. All seine Verehrerinnen hatten nur ein Ziel im Leben: sich einen Millionär zu angeln. Einige von ihnen waren sogar attraktiv und hatten, wenn auch nur für kurze Zeit, sein Interesse geweckt. Aber nichts kam dem nahe, was er für Aline Connor empfand. Sie rief etwas in ihm hervor, das er kaum für möglich gehalten hätte. Eine brennende Begierde, die hell loderte, wann immer er seine Traumfrau ansah … sie berührte … ihre Stimme hörte …

Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Wahrscheinlich hatte diese Schönheit mit ihren langen, schwarzen Haaren, türkisblauen Augen, einer Stimme wie Musik und einer Haut wie Samt ihn doch verhext. Das war einmal etwas Neues, eine Herausforderung! Wenn sie nur nicht so zurückhaltend gewesen wäre! Kühl und unnahbar wie eine Eisprinzessin. Er ließ sich davon allerdings nicht abschrecken. Es war ihm egal. Er wollte sie. Schon seit dem Moment, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Vor zwei Monaten. Als Beauftragte von Keir Carmichaels Bankhaus hatte sie mit ihm, Jake, einen Millionenvertrag abgeschlossen. Es waren nicht nur ihr überragendes Verhandlungsgeschick und ihre Intelligenz gewesen, die ihn völlig den Kopf hatten verlieren lassen. Nein, er hatte sofort gespürt, dass da noch mehr war. Es hatte nichts mit Logik oder gesundem Menschenverstand zu tun. Normalerweise hatte er seine Gefühle stets unter Kontrolle. Nur hier, bei dieser Frau, versagten alle Schutzmechanismen, und das machte ihn wütend.

Lauren Penn schenkte ihm ein betörendes Lächeln und verschlang ihn mit Blicken. „Was für eine wundervolle Taufe! Sehen Sie nur, Aline hat das Baby auf dem Schoß. Und neben ihr sitzt Hope, die glückliche Mutter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Gerüchte wahr sind. Aline und Keir ein Liebespaar? Unsinn.“

Er hatte schon davon gehört, und es erzürnte ihn über alle Maßen. Irgendjemand versuchte, Aline zu schaden. Damit legte er sich auch mit ihm, Jake, an. Warte nur, Freundchen, dachte er böse, ich bin ein nicht zu unterschätzender Gegner.

„Diese Frau hat nur ihren Vorteil im Sinn.“ Lauren Penn ließ nicht locker. „Allerdings glaube ich nicht, dass Hope die abgelegte Geliebte ihres Mannes einfach so in die Familie aufnimmt – und sie dann auch noch zur Taufpatin macht.“

Jake wollte nichts mehr davon hören. Er hasste dieses Thema. Das hatte vor allem einen Grund: Er spürte eine unterschwellige Spannung zwischen Keir Carmichael und seiner elegant gekleideten leitenden Angestellten. Etwas hatte die beiden verbunden, und der Gedanke daran schmerzte. Doch das war inzwischen Geschichte. Der Mann war nicht mehr an Aline interessiert. Umso besser! Jake war sehr zufrieden. Das machte alles leichter, denn er hätte notfalls mit Zähnen und Klauen um seine Traumfrau gekämpft.

„Champagner, Madam? Sir?“ Ein Ober stand mit einem Tablett vor ihnen.

„Oh, danke. Genau das Richtige an so einem perfekten Tag.“ Dankbar nahm Lauren Penn ein Glas. „Ich liebe den Frühling. Das Leben beginnt von Neuem, alles grünt und blüht, das ist doch wunderbar, oder?“

Jake nickte, aber er hörte nicht zu. Fasziniert betrachtete er die Frau, die auf dem Sofa saß. Aline Connor war groß, schlank und hatte aristokratisch ausgeprägte Gesichtszüge. Sie lächelte das Baby auf ihrem Schoß strahlend an und sprach leise mit ihm. Neben ihr hatte Hope Carmichael, Keirs Frau, Platz genommen, und sie sagte leise etwas, was beide Frauen zum Lachen brachte.

„Aline erstaunt mich immer wieder.“ Lauren Penns Stimme klang bitter. „Sie kann sich gut verstellen. Eigentlich mag sie keine Kinder. Sie hat sich nämlich strikt geweigert, Michael einen Erben zu schenken. Dabei ist das sein größter Wunsch gewesen.“

Der unterschwellige Hass alarmierte Jake aufs Äußerste. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er blickte die Blondine neben sich stirnrunzelnd an. „Ich habe nicht gewusst, dass Sie die beiden so gut gekannt haben.“ Er ließ sich nicht anmerken, wie unruhig er war.

Sie trank etwas von der goldgelben prickelnden Flüssigkeit. „Aline ist meine Klassenkameradin gewesen. Eine Streberin, wie sie im Buche steht. Immer die besten Noten, nie die Hausaufgaben vergessen und der erklärte Liebling aller Lehrer. Darauf hat sie sich auch mächtig etwas eingebildet. Mich hat sie immer verachtet.“ Lauren Penn schüttelte den Kopf. „Ich bin ihr deswegen nicht böse. Sie hat es auch nicht leicht gehabt. Es hat nämlich nicht lange gedauert, bis wir uns alle gegen sie gestellt haben. Ihr Leben muss die Hölle gewesen sein. Na ja, das ist jetzt mehr als zwanzig Jahre her.“ Sie zuckte die Schultern.

„Sind Sie auch mit Michael zur Schule gegangen?“, fragte er neugierig.

Plötzlich sah er für den Bruchteil der Sekunde etwas in den Augen seiner Gesprächspartnerin, das er so schnell nicht deuten konnte. Das ungute Gefühl verstärkte sich. Sie hatte sich aber schnell wieder gefasst. Ruhig nippte sie noch einmal am Champagnerglas und stellte es dann auf einen der Tische. „Nein. Er ist drei Jahre älter als ich gewesen und auf eine andere Schule gegangen. Sein Tod ist eine Tragödie für uns alle.“ Sie warf der Frau auf dem Sofa einen bösen Blick zu. „Aline hat sich tapfer gehalten. Sie hat bei der Beerdigung nicht einmal geweint, obwohl es für sie doch furchtbar schwer gewesen sein muss.“

War das eine Unterstellung? Wollte sie damit andeuten, dass Aline froh war, ihren Mann los zu sein? Jake war erzürnt, aber er zeigte es nicht. Er musste noch mehr herausfinden. „Ich dachte, es sei die große Liebe gewesen?“

Die Blondine erstarrte. „Das sagen alle“, antwortete sie schließlich ausdruckslos. „Deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass sie so kurz nach Michaels Tod schon mit Keir geschlafen haben soll. Das passt so gar nicht zu einer trauernden Witwe, oder? Außerdem hat er …“ Sie zögerte.

„Wer?“ Jake versuchte, nicht allzu interessiert zu klingen, aber es gelang ihm nicht. „Michael?“

Doch sie war nicht bereit, mehr verlauten zu lassen. „Ach nichts. Bitte entschuldigen Sie mich.“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Da hinten ist jemand, dem ich gern Hallo sagen möchte.“ Sie winkte einem Mann zu, der auf der Veranda stand, und eilte davon. Das sah sehr verdächtig nach Flucht aus!

Stirnrunzelnd beobachtete Jake, wie sie ihr nächstes potenzielles Opfer zu umgarnen versuchte: Tony Hudson, vierzig Jahre alt, ein ehemals berühmter Leichtathlet, der sich jetzt um Straßenkinder kümmerte und dabei hervorragende Arbeit leistete. Michael Connor, Alines Ehemann, hatte ihn noch vor seinem Tod zu einem der Treuhänder seines Wohltätigkeitsfonds ernannt. Nachdenklich trank Jake einen Schluck Champagner. Die Gefahr war noch nicht gebannt. Lauren Penn hegte einen unversöhnlichen Groll. Hoffentlich hatte sie nicht gerade heute vor, eine Szene zu machen!

In diesem Moment kam der Gastgeber auf ihn zu. Jake lächelte freundlich, war mit den Gedanken aber ganz woanders. Er wollte Aline Connor, und er würde sie bekommen. Sie war eine der wenigen Frauen, die sich nicht von Reichtum und Macht blenden ließen, und das machte sie nur noch begehrenswerter. Auch sie schien etwas für ihn zu empfinden. Warum sonst versuchte sie so hartnäckig, ihm aus dem Weg zu gehen? Sie interessierte sich für ihn, das war klar. Es gab für ihn keinen Grund mehr, sich zurückzuhalten. Sie hatten den Vertrag vor einer Woche unterzeichnet. Von jetzt an waren sie keine Geschäftspartner mehr, sondern nur noch Mann und Frau.

„Ich freue mich, dass Sie heute kommen konnten.“ Keir Carmichael reichte ihm die Hand.

Jake schüttelte sie lächelnd. „Ihre Tochter ist einfach unwiderstehlich. Sie wird später einmal die Herzen aller männlichen Wesen brechen. Wie konnte ich da ihre Taufe versäumen?“

Aline wusste auch ohne aufzublicken, dass Jake Howard den Salon betreten hatte. Die Atmosphäre im Raum schien sich geändert zu haben. Eine knisternde Spannung lag in der Luft. Verstohlen sah sie zur Tür und erstarrte. Er war tatsächlich mit dem Spatzenhirn Lauren Penn gekommen! Sie umklammerte das Baby, und es protestierte leise. Erschrocken lockerte Aline den Griff. „Alles in Ordnung, Kleines.“ Was war bloß in sie gefahren? Sie war doch nicht etwa eifersüchtig? Unsinn dachte sie erzürnt. Dieser Mann interessierte sie nicht im Geringsten.

Emma lachte zufrieden, und plötzlich entdeckte Aline etwas Weißes in Form eines Reiskorns auf dem Unterkiefer. „Du bekommst einen Zahn, Darling.“ Sie konnte es nicht glauben. „Bist du nicht noch etwas zu jung dafür?“ Sie spürte, wie Jakes Blicke sie durchdrangen, und nur mit größter Willensanstrengung schaffte sie es, ruhig zu bleiben und nicht aufzusehen.

„Im Alter von sechs Monaten ist das völlig normal.“ Hope betrachtete ihre Tochter liebevoll.

„Ich weiß wirklich nicht sehr viel über Babys“, antwortete ihre Freundin bedauernd.

„Dafür hältst du dich hervorragend. Sie liebt dich.“

Genau in diesem Moment gähnte das kleine Mädchen ausgiebig, und die beiden Frauen lachten. Aline nahm die kleine, perfekt geformte Hand und küsste sie. „Ich bin auch ganz vernarrt in Emma – aber nicht, weil sie Keir so ähnlich sieht.“ Sie wusste selbst nicht, warum sie gerade jetzt dieses verflixte Thema ansprach. „Es ist eine Dummheit gewesen, die ich mir heute noch vorwerfe. Ich bin kuriert, das kannst du mir glauben.“

„Das weiß ich.“ Hope nickte. „Hör auf, dich zu entschuldigen. Wir wollten die Vergangenheit doch ruhen lassen.“

Jakes Traumfrau strich dem Baby sanft übers Haar. „Ich wünschte nur, es wäre nie geschehen.“ Sie konnte sich selbst nicht erklären, warum sie versucht hatte, Hope den Verlobten auszuspannen. Zu der Zeit war sie nicht sie selbst gewesen. Die Trauer um Michael und die Angst vor dem Alleinsein hatten sie zu dieser Verzweiflungstat getrieben. „Es hat uns beiden nichts bedeutet. Ich hätte es dir überhaupt nicht erzählen sollen.“

„Lass uns nicht mehr darüber sprechen. Die Angelegenheit ist erledigt. Es macht mir nichts aus.“ Sie meinte es tatsächlich ernst. Hope Carmichael war sich der Liebe ihres Mannes sicher. Dieser One-Night-Stand war zwar ein Schock gewesen, aber sie hatte es ihnen nicht nachgetragen. „Warum vergisst du die ganze Sache nicht einfach? Wenn ich es kann, solltest du es auch tim.“

„Du hast uns vergeben. Dafür werde ich dir ewig dankbar sein. Wieso bist du so freundlich zu mir? Ich verdiene es gar nicht.“

„Hör endlich auf, dir Vorwürfe zu machen. Das ist dein Problem, Aline. Du bist eine Perfektionistin und verlangst viel zu viel von dir. Im Geschäftsleben mag es ja von Vorteil sein, aber sonst ist es bestimmt die Hölle auf Erden.“

„So bin ich nun einmal.“ Sie zuckte die Schultern und sah wieder zu Jake Howard. Er sprach gerade mit Keir Carmichael. Eine geballte Ladung Männlichkeit dachte sie bewundernd.

Hope war ihrem Blick gefolgt. „Die beiden sollten ein Schild tragen: Vorsicht! Gefahr! Überdosis Testosteron!“, sagte sie lächelnd. „Jetzt fehlt nur noch Leo Dacre, der Schauspieler, und alle Frauen in diesem Raum fallen in Ohnmacht.“ Sie zögerte einen Moment. „Wie findest du Jake?“

Oha! Ahnte ihre Freundin etwas? Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. „Er ist nett.“ Was für eine Untertreibung!

„Ich finde ihn umwerfend.“ Allerdings meinte Hope damit ihren Mann, den sie die ganze Zeit schon liebevoll betrachtet hatte. Für sie gab es nur Keir Carmichael. Auch Aline hatte früher einmal so für Michael empfunden – nur leider war dieser jetzt tot. Schnell wandte sie sich wieder Emma zu. Es hatte keinen Sinn, traurigen Gedanken nachzuhängen. Und doch …

Wenn Michael nicht noch hätte warten wollen, hielte sie jetzt vielleicht schon ihr eigenes Baby in den Armen. Ich muss damit aufhören, dachte sie traurig. Es war eben Schicksal. „Also gut. Ich gebe dir Hecht. Er ist umwerfend.“

Ihre Freundin lachte laut. „Er hat Ähnlichkeit mit einem griechischen Gott. Außerdem ist er sehr intelligent. Das findet man nur selten in dieser Kombination.“ Nachdenklich musterte sie den Geschäftspartner ihres Mannes. „Ob seine Konkurrenten ihn wohl unterschätzt haben? Viele haben bestimmt gedacht, dass ein so gut aussehender Mann nicht besonders viel Grips haben kann.“

„Das hat er sicher zu seinem Vorteil genutzt. Ich möchte nicht wissen, wie viele Firmen er übernommen hat, nur weil man ihn für ein Leichtgewicht gehalten hat. Dabei ist er genau das Gegenteil – standhaft und kühl wie der Mount Everest, das wäre die passendere Beschreibung.“

Aline hatte natürlich vorher genauestens recherchiert. Jake Howard besaß einen Universitätsabschluss mit Auszeichnung und hatte sich gleich danach als Wirtschaftsberater selbstständig gemacht. Innerhalb von zehn Jahren hatte er sich ein großes Imperium mit umfangreichen Kontakten ins In- und Ausland aufgebaut. Er stand in dem Ruf, ein guter und zuverlässiger Geschäftspartner zu sein – es sei denn, wagte es, ihm den Kampf anzusagen. Dann schlug er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zurück und kannte keine Gnade. Fasziniert hatte Aline die lange Liste der Firmen gelesen, die er übernommen hatte. Es war ihr auch nicht entgangen, dass er ethnische Minderheiten nicht ignorierte, sondern sie an seinen Projekten beteiligte.

Doch deshalb allein fühlte sie sich nicht so zu ihm hingezogen. Seine ungezügelte Männlichkeit und seine sinnliche Ausstrahlung hatten sie schon vom ersten Moment an in ihren Bann gezogen.

„Keir sagt, er hat das Durchsetzungsvermögen und den Mut, um die ganze Welt aufzukaufen.“ Hope lachte leise. „Sogar Emma ist von ihm beeindruckt. Sieh nur, sie blickt immer zu ihm hinüber. Er sollte heiraten und eine Dynastie gründen.“

„Die Frauen liegen ihm anscheinend zu Füßen. Er dürfte also keine Schwierigkeiten haben, die Passende zu finden.“ Warum klang das so bitter? Ihr sollte es doch egal sein! „Außerdem – wer weiß, vielleicht bekommt er ja nur Mädchen und keine Söhne.“

Ihre Freundin betrachtete sie belustigt. „Na und? Du bist der lebende Beweis dafür, dass eine Frau im Beruf durchaus ihren Mann stehen kann.“

„Mein Vater hätte viel lieber einen Jungen gehabt.“

„Er wäre sicher sehr stolz auf dich gewesen.“

Aline lächelte. „Ich hoffe es.“ Sie betrachtete Jake verstohlen, der immer noch mit dem Gastgeber sprach. Natürlich hatte sich auch Lauren Penn wieder zu den beiden gesellt, und sie war die Verführung in Person. Sie hatte nur ein Ziel: Jake einzufangen. Sie strahlte ihn an, berührte ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Auffälliger ging es wirklich nicht!

Plötzlich hob er den Kopf und sah Aline direkt in die Augen. Es war wie ein Stromschlag. Sie begann, am ganzen Körper zu beben. Er strahlte eine männliche Kraft aus, der sie sich nicht entziehen konnte. Wieso musste sie gerade jetzt an Michael denken? Er war doch das genaue Gegenteil gewesen! Großzügig, fröhlich, höflich … der Traum einer jeden Frau. Warum starben immer die Besten zuerst?

In diesem Moment begann Emma, unruhig zu werden, und wäre ihr beinahe vom Schoß gerutscht. Schnell packte sie das kleine Mädchen und hielt es fest. Das war gerade noch gut gegangen! Erleichtert lehnte sie sich zurück und blickte wieder zu Jake. Er unterhielt sich angeregt mit ihrer ehemaligen Klassenkameradin. Aline schnitt ein Gesicht. „Emma ist nicht die Einzige, die mit Jake flirtet.“

„Stimmt.“ Hope schien darüber nicht besonders erfreut zu sein. „Irgendetwas belastet Lauren. Es kommt mir vor, als stände sie kurz vor einem Zusammenbruch. Ihr Vater macht sich große Sorgen um sie.“

Aber ihre Freundin hörte nicht mehr zu. Es war genau das eingetreten, was sie befürchtet hatte. Jake Howard hatte sich von der blonden Sirene losgerissen und kam auf sie, Aline, zu. Steh sofort auf und lauf weg! befahl ihr eine innere Stimme, aber sie konnte sich nicht bewegen. Sie war wie hypnotisiert. Er blieb direkt vor ihr stehen. Ihr Herz klopfte wie wild, und ihr Puls raste. Sie konnte es nicht ändern. Er war wie ein Taifun, dem man nicht entrinnen konnte. Wie sehr hatte sie gehofft, ihn nie wiederzusehen. Immerhin war der Vertrag inzwischen ja unterzeichnet, und die Abwicklung der Geschäfte lag in den Händen anderer Bankmitarbeiter. Sie hatte mit Mr. Howard nichts mehr zu tun … und damit waren hoffentlich auch die Nächte vorbei, in denen sie von diesem betörenden Mann, seinen wundervollen grünen Augen und seiner tiefen, sinnlichen Stimme geträumt hatte.

„Jake! Wie schön, Sie heute bei uns zu haben.“ Hope schenkte ihm ein liebenswürdiges Lächeln.

„Wie schaffen Sie es nur, so strahlend auszusehen?“ Ein routiniertes Kompliment, aber Aline bemerkte, wie er die Gastgeberin interessiert betrachtete. Sah er alle Frauen so an?

Emma streckte die Ärmchen nach ihm aus und lachte ihn fröhlich an.

„Was ist denn das, Kleines? Ein Zahn?“ Er kniete sich hin und strich dem Baby über die Wange.

Er war Aline viel zu nahe. Nur leider hatte sie keine Fluchtmöglichkeit. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als seinem durchdringenden Blick standzuhalten.

„Hallo, Aline“, sagte er leise.

Sie saß da wie erstarrt. Ihre Gedanken rasten. Sie konnte nicht mehr klar denken, sie hatte ihm nichts entgegenzusetzen. Am liebsten wäre sie im Boden versunken. Er übte eine Macht über sie aus, die sie zugleich faszinierte und erschreckte. Sie war willenlos wie eine Marionette.

Als sie schwieg, lächelte Jake spöttisch und stand auf. Jake erinnerte sie an ein kraftvolles Raubtier, auf der Suche nach Beute. „Geben Sie mir die Heldin des Tages“, befahl er selbstbewusst und streckte die Arme aus. Er schien sogar mit Kleinkindern zurechtzukommen! Gab es eigentlich irgendetwas, das er nicht konnte?

Ihm zu gehorchen, bedeutete, ihm noch näher zu sein, ihn zu berühren. Das wollte sie auf keinen Fall. Schon während der Vertragsverhandlungen hatte sie versucht, ihn auf Abstand zu halten. Sie hatte ihm nur die Hand gegeben, wenn es nicht zu vermeiden gewesen war. Doch jetzt …

Sie wandte den Blick ab, reichte ihm das immer noch lachende Baby und stand schnell auf. Nur weg von diesem gefährlichen Mann. Sie konnte für nichts garantieren, wenn sie noch länger in diese betörenden grünen Augen blickte. Na und?, fragte eine innere Stimme, gib es zu, du willst mit ihm schlafen. Es stimmte. Sie war diesem griechischen Gott verfallen. Was war so schlimm daran? Es ging hier nur um puren Sex. „Ich Tarzan, du Jane.“ Ein uraltes Gesetz von Mutter Natur, das den Fortbestand der Menschheit sicherte. Jake Howard war ein Alphamann und sie eine Frau Ende zwanzig, deren biologische Uhr erbarmungslos zu ticken begonnen hatte. Nicht einmal Michael hatte eine solche Anziehungskraft auf sie ausgeübt. Nur konnte man das nicht vergleichen. Ihr Ehemann hatte sie geliebt – und das nicht nur, weil sie sich gut im Bett verstanden hatten. Genau das war der Unterschied zwischen den beiden Männern. Michael hatte sie geschätzt, Jake Howard verschlang sie mit Blicken. Er sah in ihr nur ein Objekt seiner Begierde. Obwohl sie das wusste, konnte sie ihm trotzdem nicht widerstehen.

„Sie können wirklich gut mit Babys umgehen.“ Hope lachte, als Jake die kleine Emma in die Luft warf und geschickt wieder auffing. Aline zuckte zusammen. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, sie hatte die Welt um sich her völlig vergessen.

„Ich mag Kinder. Man weiß genau, woran man bei ihnen ist. Wenn sie dich nicht mögen, weinen sie und wehren sich. Sie lachen dich an, wenn sie Vertrauen zu dir haben.“

In diesem Moment kam Keir Carmichael dazu, und die nächsten fünf Minuten unterhielten die drei sich angeregt. Aline stand schweigend neben ihnen und überlegte, wie sie am unauffälligsten die Flucht ergreifen konnte. Doch bevor sie eine Lösung für das Problem gefunden hatte, beschlossen die stolzen Eltern, mit ihrer Tochter einen Rundgang zu machen. Auch das noch! Jetzt war sie mit diesem Mann allein. Verzweifelt blickte sie sich um. Keine Rettung in Sicht. Small Talk kam jawohl kaum infrage. Was sollte sie tun?

Spöttisch betrachtete Jake sie. Er schien sie durchschaut zu haben.

Schließlich rang sie sich ein Lächeln ab. „Ich habe nicht gewusst, dass Sie auch hier sein würden.“ Am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen. Geistloser ging es wirklich nicht!

„Soll ich wieder gehen?“

Typisch! Von Verbindlichkeit keine Spur. „Natürlich nicht. Ich habe nur gedacht, Sie wären in Vancouver.“ Ihre Stimme bebte. Sie blickte auf und sah ihm direkt in die Augen. Alles um sie her begann sich zu drehen. Ein tiefes Grün, kühl wie ein Eisberg und heiß wie lodernde Flammen. Sie konnte sich nicht lösen. Dieser Mann war viel zu faszinierend. Er trieb sie in den Wahnsinn … So geht es nicht weiter, dachte sie verzweifelt. Sie musste sich wehren. Wenn sie nachgab, war sie verloren.

„Dort bin ich auch gewesen.“ Amüsiert musterte er sie. Es war, als wüsste er genau, was in ihr vorging. „Es gibt täglich mehrere Direktverbindungen von Kanada nach Neuseeland. Ich konnte mir die Taufe doch nicht entgehen lassen. In Zukunft werde ich Keir, Hope und Emma häufiger besuchen.“

„Eine gute Idee.“

Er nickte und wartete, aber sie schwieg. Schließlich schien er mit seiner Geduld am Ende zu sein. „Ich hoffe, dass auch wir uns dann häufiger sehen.“

Dieser Mann ging sofort aufs Ganze! „Warum?“ Sie versuchte, ruhig zu bleiben. „Der Vertrag ist unterschrieben. Es gibt also keinen Grund …“

„Es geht nicht ums Geschäft, sondern um uns beide, Aline. Du und ich.“

Spätestens jetzt hätte sie die Flucht ergreifen müssen. Sie konnte es jedoch nicht. Er stand vor ihr und hatte sie hypnotisiert, wie die Schlange das Kaninchen. Gleich würde er zum entscheidenden Schlag ausholen, und dann war alles zu spät. „Nein“, flüsterte sie.

Er packte ihr Handgelenk und hielt es eisern fest. „Ich spüre deinen Herzschlag.“ Nachdenklich betrachtete er sie. „Dein Puls rast.“ Bevor sie sich’s versah, hatte er sie wieder losgelassen.

„Wage es nicht noch einmal, mich anzurühren.“ Sie war außer sich vor Wut. „Sonst verpasse ich dir eine Ohrfeige.“ Wenn er sie duzen wollte – in Ordnung. Damit konnte er sie nicht aus der Fassung bringen. Sie dachte nicht daran, sich einschüchtern zu lassen.

„Vorsicht, Jake“, sagte plötzlich eine schrille weibliche Stimme hinter ihnen. „Die liebe Aline spielt gern die Unnahbare. Niemand darf sie anfassen – mit Ausnahme ihres Ehemanns natürlich. Was für eine Lachnummer!“ Es war Lauren Penn. Sie hob das Champagnerglas, toastete ihrer Widersacherin spöttisch zu und leerte es in einem Zug.

„Bitte, Lauren …“ Aline hoffte, die aufgebrachte Frau beruhigen zu können.

Aber diese dachte nicht daran, das Feld zu räumen. Gespielt höhnisch wiederholte sie die Worte. „Bitte, Lauren … Halt den Mund … Verschwinde endlich … Hör auf, eine Szene zu machen … Weißt du was, Aline Connor? Ich habe genug von dir. Seitdem Michael tot ist, läufst du mit einem Gesicht wie zehn Tage Regenwetter herum und spielst die bedauernswerte Witwe. Immer nur heißt es: ‚Ich … ich …‘ Bist du eigentlich schon einmal auf die Idee gekommen, dass auch andere um deinen Mann trauern? Natürlich nicht.“ Sie warf ihrer Widersacherin einen hasserfüllten Blick zu und wandte sich dann Jake zu. „Unsere gemeinsame Freundin hier hat ein kleines Problem. Sie mag es nicht, wenn ein Mann sie berührt. Sie wollen sicher wissen, woher ich das weiß? Na woher schon! Aus erster Quelle selbstverständlich. Von Michael. Er hat es mir selbst erzählt. Sie ist kalt, oberflächlich und gefühllos. Er hat sie oft ‚die Eisprinzessin‘ genannt. Beim Sex hat er das Gefühl gehabt, eine Statue und nicht eine Frau aus Fleisch und Blut zu lieben …“

„Das reicht!“ Jake ging drohend auf Lauren Penn zu.

Die Blondine wurde aschfahl, ließ sich aber nicht einschüchtern. „Es ist an der Zeit, dass die dort …“ Sie zeigte auf die wie erstarrt dastehende Aline. „… die Wahrheit erfährt. Sie trauert ganz umsonst. Michael und ich, wir haben uns geliebt.“ Sie konnte die Tränen kaum zurückhalten. „Wir sind ein Jahr lang ein Paar gewesen – bis zu seinem Tod. Wir wollten heiraten. Er ist nicht mehr dazu gekommen, es ihr zu sagen.“

„Ich … Das kann ich nicht glauben“, flüsterte Aline entsetzt.

„Solltest du aber. Weißt du eigentlich, was geschehen ist, als er gestorben ist? Ich habe sein Kind verloren.“ Sie sah zu Emma hinüber. Der Schmerz in ihrem Blick war nicht gespielt. „Wenn du dich nicht so an ihn geklammert hättest, wäre das alles nie geschehen. Er hat es einfach nicht übers Herz gebracht, dir die Wahrheit zu gestehen. Er und mein Baby könnten noch leben, wenn du nicht so egoistisch gewesen wärst. Ich hätte ihm nie erlaubt, mit dem Flugzeug das Meer nach irgendeinem verdammten Jachtbesitzer abzusuchen, der zu dumm zum Steuern gewesen ist. Du hast Michael getötet – und mein Baby gleich mit, nur weil du nicht loslassen konntest. Ich hasse dich. Du hast mit deinen ach so wundervollen türkisblauen Augen immer schon alle Männer um den Verstand gebracht.“

In diesem Moment wurde Aline klar, dass Lauren Penn die Wahrheit sagte.

2. KAPITEL

Aline konnte keinen klaren Gedanken fassen. Wann hatte sie das letzte Mal so einen Schmerz verspürt? Plötzlich erinnerte sie sich wieder – an den Tag, als die Polizei ihr mitgeteilt hatte, dass Michael tot sei. Was für eine Ironie!

„Du wirst noch dein blaues Wunder erleben.“ Lauren Penn funkelte sie böse an. „Es geht nicht immer nur um dich. Du hast dich stets für etwas Besseres gehalten, und nun stoße ich dich von deinem hohen Ross. Selbst wenn du mir jetzt nicht glaubst – morgen wirst du es bestimmt tun. Ich habe dem Autor sogar Michaels Briefe zur Verfügung gestellt.“

Jake konnte es nicht fassen. „Was, zur Hölle, haben Sie getan?“

„Ganz einfach. Vor einiger Zeit hat sich ein Schriftsteller – Stuart irgendwie – an Aline gewandt. Er wollte Michaels Biografie schreiben. Die Eisprinzessin hat sich geweigert, mit ihm zu reden. Das ist meine Chance gewesen. Michael hat nur mich geliebt. Genau das habe ich diesem Mann erzählt. Morgen früh wird ganz Neuseeland erfahren, wie es um die Ehe der beiden bestellt gewesen ist. Aline hat ihm nichts bedeutet, ich aber umso mehr.“

Aline wollte nichts mehr hören. Verzweifelt ballte sie die Hände zu Fäusten, machte die Augen zu und wünschte sich, am anderen Ende der Welt zu sein. „Das Buch kommt also morgen auf den Markt?“ Jakes Frage überraschte sie. Schnell blickte sie auf und erstarrte. Noch nie hatte sie bei einem Menschen so eine drohende Miene gesehen. Er kam ihr vor wie ein Tiger auf dem Sprung, gnadenlos und absolut tödlich.

Auch Lauren Penn hatte die Veränderung bemerkt. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. „Erst nächste Woche. Eine große Sonntagszeitung veröffentlicht allerdings morgen schon einen umfangreichen Auszug.“ Sie nahm all ihren Mut zusammen. „Michael hat Neuseeland berühmt gemacht. Seine Einhand-Segeltörns rund um die Welt sind Legende. Außerdem ist er ein echter Wohltäter gewesen. Sein Fonds zugunsten neuseeländischer Straßenkinder ist millionenschwer. Ein Teil des Verkaufserlöses von Stuarts Buch fließt in diese Stiftung. Trotzdem hätte Aline die Veröffentlichung bestimmt zu verhindern versucht.“ Sie warf ihrer Gegnerin einen bösen Blick zu. „Michael ist ein großartiger – ein überragender – Mann gewesen, und alle Welt soll das erfahren. Ich schäme mich nicht, ihn geliebt zu haben, und ich bin stolz, dass er meine Gefühle erwidert hat.“

Jake hielt sich nur mühsam zurück. Wie gern hätte er der Frau die Hände um den schlanken Hals gelegt und sie erwürgt. Leider stand das nicht zur Debatte. Wichtig war jetzt nur, Aline aus der Schusslinie zu bringen. Die anderen Gäste blickten schon neugierig zu ihnen herüber. Er ignorierte Lauren Penn und nahm energisch Alines Arm. „Lass uns gehen.“

Sie reagierte nicht.

Er versuchte es noch einmal. „Komm bitte mit.“

Diesmal ließ sie sich von ihm nach draußen in die große Eingangshalle führen. Suchend sah er sich um. Niemand war zu sehen. Gut. Wohin sollte er sie bringen? Am besten ins Arbeitszimmer. Schweigend gingen sie über die kostbaren Perserteppiche zur großen Flügeltür. Jake atmete erleichtert durch. Wenigstens war der Raum nicht verschlossen. Keir Carmichael schien vollstes Vertrauen zu seinen Gästen zu haben. Sehr gut. Hier konnten sie sich hoffentlich ungestört aufhalten, bis die erste Aufregung vorbei war. Jake ließ die junge Frau zuerst eintreten und stellte dann fest, dass ihr Gastgeber doch nicht ganz so leichtgläubig gewesen war. Der Schreibtisch war leer geräumt, und alle Wertsachen waren in den großen Schränken verstaut worden.

Aline blieb in der Mitte des Zimmers stehen. Sie schien immer noch in einem Albtraum gefangen. Besorgt nahm Jake ihre Hand. Sie war eiskalt. „Vielleicht lügt Lauren ja.“ Seine Stimme klang heiser.

„Nein“, antwortete sie ausdruckslos.

„Woher willst du das wissen?“

„Michael hat die Farbe meiner Augen fasziniert. Er nannte es ‚wundervolles Türkisblau‘. Woher sollte Lauren das wissen? Er muss es ihr erzählt haben.“

Wahrscheinlich im Bett, dachte Jake böse. „Hat er einmal darüber gesprochen? Bei einem Empfang oder Theaterbesuch?“

Sie schüttelte den Kopf. „Keir weiß auch Bescheid, denn er ist Michaels bester Freund gewesen.“ Sie konnte die Tränen nur mühsam zurückhalten. „Deshalb also …“

„Was?“ Eigentlich hielt er ja nichts davon, die Situation auszunutzen, aber es war einfach zu verlockend. Aline war in den vergangenen zwei Monaten äußerst zurückhaltend gewesen. Seine Versuche, den Schutzwall einzureißen, waren vergeblich gewesen. Lauren Penn hatte mehr Erfolg gehabt. Allerdings hatte sie auch viel schwerere Geschütze aufgefahren. Vielleicht gar nicht schlecht dachte er. Aline hatte bis jetzt in einem goldenen Käfig gelebt. Sie konnte sich nur befreien, wenn sie sich der Wahrheit stellte – egal, wie schmerzlich sie auch war. Auch für ihn konnte es nur von Vorteil sein. Immerhin war er nicht zum Vergnügen hier, sondern hatte ganz persönliche Gründe: Er musste unbedingt herausfinden, was bei der Michael-Connor-Stiftung vor sich ging. Sein Freund Tony Hudson, der berühmte Leichtathlet, hatte ihm vorhin einige beunruhigende Dinge erzählt.

Dummerweise hatten sich die Dinge nicht so entwickelt, wie er sich erhofft hatte. Woher hatte er auch wissen sollen, dass die wunderschöne Aline ihn innerhalb kürzester Zeit um den Finger wickeln würde? Gegen eine kleine Abwechslung war nichts einzuwenden, solange er sein Ziel nicht aus den Augen verlor. Trotzdem war er kein Unmensch. Es tat ihm weh, sie so leiden zu sehen.

Sie kämpfte mit sich, entschloss sich dann aber doch, ihm zu vertrauen. „Ungefähr ein Jahr vor Michaels Tod ist mir aufgefallen, dass Michael mit Keir kaum noch geredet hat. Ich wollte wissen warum, aber er ist mir ausgewichen. Nach dem Motto: Ein verheirateter Mann und ein Single passen nicht zusammen. Es ist gelogen gewesen, und jetzt weiß ich, warum.“ Aline wischte sich eine Träne ab. „Ich habe ihm vertraut“, flüsterte sie.

Er betrachtete ihr aschfahles, trauriges Gesicht und ballte die Hände zu Fäusten. Gut, dass Michael Connor schon tot war, sonst hätte er, Jake, allen Ernstes einen Mord begangen!

In diesem Moment öffnete sich die große Flügeltür, und Keir Carmichael betrat den Raum. Stirnrunzelnd sah er sich um. „Was ist hier los?“

Stockend berichtete ihm Aline, was geschehen war.

Ihr Gastgeber hatte sich gut unter Kontrolle, das musste Jake ihm lassen. Nur einmal flackerte Wut in seinem Blick auf. Auch Aline hatte es bemerkt. „Ist Lauren die Einzige gewesen?“, fragte sie leise.

„Ja.“ Keir Carmichael war anzumerken, wie unangenehm ihm das Thema war.

„Dann hat er sie also geliebt.“ Sie hatte das Gefühl, als reiße ihr jemand das Herz heraus. Von ihrem Leben war nur noch ein Scherbenhaufen übrig geblieben. „Warum hast du es mir verschwiegen?“

„Du hättest mir nicht geglaubt. Außerdem hat mir das nicht zugestanden.“

Jetzt verstand Jake alles. Der Mann hatte sich in einer Zwickmühle befunden. War das vielleicht der Grund für die Spannung, die er zwischen Aline und ihrem Chef gespürt hatte?

„Du hast recht. Entschuldige, Keir. Ich hätte nicht fragen dürfen.“ Sie fuhr sich durchs Haar. „Ich gehe jetzt besser.“

„Ich fahre dich.“ Jake nutzte die Chance.

Es war, als hätte sie seine Anwesenheit vergessen. Verblüfft betrachtete sie ihn, als sähe sie ihn zum ersten Mal. „Das ist sehr freundlich, aber ich … ich bin mit dem Wagen gekommen.“

„Das macht nichts.“ So leicht ließ er sich nicht abschrecken. „Ich bin sicher, Keir löst dieses kleine Problem für dich.“ Als sie protestieren wollte, schüttelte er warnend den Kopf. „Du kannst dich jetzt nicht hinters Steuer setzen. Das lasse ich nicht zu.“

Gehorsam nickte sie. „Also gut.“ Sie wandte sich wieder dem Gastgeber zu. „Bitte richte Hope meine Grüße aus. Ich rufe sie an.“

„Natürlich. Kommst du auch wirklich zurecht?“ Besorgt musterte er ihr aschfahles Gesicht.

Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ja. Das Ganze ist zwar ein furchtbarer Schock gewesen, aber ich werde mich davon erholen. Versprochen. Ich habe nächste Woche frei. Wenn ich mich erst einmal mit dem Gedanken angefreundet habe …“ Sie schwieg, und wieder lief ihr eine Träne die Wange hinunter.

„Ich kümmere mich um sie.“ Jake ließ keinen Widerspruch zu.

Keir Carmichael schien nicht besonders glücklich darüber zu sein, aber er hatte keine andere Wahl. Sie verabschiedeten sich und verließen die Villa. Einer der Bediensteten fuhr Jakes Sportwagen vor, und sie stiegen ein. Aline lehnte sich zurück und blickte starr aus dem Fenster. Sie versuchte, sich abzulenken, aber es gelang ihr nicht. Immer wieder musste sie an Michaels Verrat denken. Sie hatte ihm vertraut, und er hatte sie, ohne zu zögern, hintergangen. „Warum hat sie es mir erst heute gestanden?“, fragte sie schließlich. „Sie hat so lange geschwiegen. Es muss doch die Hölle sein, nicht öffentlich um jemand trauern zu können, den man liebt. Und dann hat sie auch ihr Kind verloren. Sie tut mir leid.“ Sie wusste selbst nicht, warum sie ihre Widersacherin auch noch bedauerte.

„Ich denke, Emma ist der Grund gewesen. Lauren hat dich mit dem Baby auf dem Schoß gesehen. Das hat den Ausschlag gegeben.“

Sie betrachtete traurig den King, den Michael ihr vor fünf Jahren angesteckt und den sie mit solchem Stolz getragen hatte. Er kam ihr jetzt vor wie eine zentnerschwere Last. „Wie konnte ich nur so dumm sein?“, flüsterte sie mutlos. „Ich habe fast drei Jahre um einen Mann getrauert, der mich nicht geliebt hat.“

„Solche Dinge geschehen nun einmal.“ Jakes Stimme war kühl.

„Ach ja? Sprichst du aus eigener Erfahrung?“

„Möglich.“ Er zuckte die Schultern.

Er nahm alles so leicht! Aline spürte, wie die Wut in ihr hochstieg. Es war alles so ungerecht. Womit hatte sie das verdient? Energisch zog sie den Ehering vom Finger, öffnete das Fenster und warf ihn in hohem Bogen hinaus in die am Straßenrand stehenden Büsche. Jake hielt sie nicht zurück. „So!“ Erleichtert lehnte sie sich wieder zurück und schloss die Scheibe. „Das war’s. Ich werde mich nie wieder betrügen lassen. Jetzt will ich nur noch eins: vergessen.“

Einige Meilen später kamen sie an eine Kreuzung. „Hier musst du rechts abbiegen. Ich wohne …“

„Auf der Whangaparoa-Halbinsel. In einem Stadthaus am Hafen.“

Woher, zum Teufel, wusste er das?

„Was hast du jetzt für Pläne?“

Sie zuckte zusammen. Darüber hatte sie noch nicht nachgedacht. „Keine Ahnung. Wahrscheinlich mache ich erst einmal einige Tage Urlaub. Ich muss mein Leben neu ordnen.“

„Hast du mit ihm dort gewohnt?“

„Mit Michael? Ja.“ Verdammt noch mal, daran hatte sie gar nicht gedacht. Zu Hause … Das bedeutete gleichzeitig die Hölle auf Erden. Erinnerungen an ihre Ehe, die sie auf Schritt und Tritt verfolgten. Ein nicht enden wollender Albtraum. „Ich kann nicht zurück.“ Sie biss sich auf die Lippe.

„Möchtest du mit zu mir kommen? Ich besitze ein Strandhaus auf einer der Inseln. Es liegt sehr einsam – was im Moment genau das Richtige für dich wäre. Ich wollte sowieso eine Woche dort verbringen, bevor ich nach Kanada reise. Also, was hältst du von meinem Vorschlag?“

Aline verschränkte die Arme und zögerte. Was sollte sie tun? Er lachte spöttisch. „Glaubt du, ich nutze deine Situation aus und verführe dich? Hältst du mich wirklich für so rücksichtslos? Du brauchst nicht mit mir zu schlafen, wenn du es nicht willst. Du hast mein Wort darauf.“

Röte stieg ihr ins Gesicht. „Es tut mir leid. So habe ich es nicht gemeint. Ich danke dir für das Angebot, aber ich kann es nicht annehmen. Es ist alles in Ordnung. Ich komme auch allein zurecht.“

Leider hatte sie die Rechnung ohne die Presse gemacht. Als sie vor ihrem Stadthaus hielten, wartete eine Reporterin mit einem Kameramann im Schlepptau auf sie, und einige der Nachbarn blickten neugierig aus den Fenstern.

Jake fluchte leise und wandte sich dann Aline zu. „Wollen wir nicht doch zu mir fahren?“

Sie atmete tief durch. „Nein. Ich werde nicht weglaufen.“

„Gut.“ Er parkte direkt hinter dem Wagen der Fernsehgesellschaft. „Du schaffst es. Sei höflich, aber bestimmt. Verweigere jeden Kommentar. Keine Angst, ich bin direkt hinter dir.“ Dieses Versprechen hielt sie aufrecht, als sie langsam ausstieg und auf die wartende Meute zuging.

„Mrs. Connor?“ Die junge Reporterin stürzte sofort auf sie zu. „Ich würde gern mit Ihnen …“ Erst jetzt hatte sie Jake entdeckt. Interessiert betrachtete sie ihn.

„Nein.“ Aline sah die auf sie gerichtete Kamera, und ihr wurde schwindelig. Bloß weg von hier!

Aber die Frau ließ nicht locker. „Es geht um Ihren verstorbenen Mann. Haben Sie gewusst, dass Stuart Freely eine Biografie über ihn verfasst hat?“

„Kein Kommentar.“ Aline begann, am ganzen Körper zu beben.

„Haben Sie denn gar nichts dazu zu sagen? Es ist aufsehenerregendes Material …“

„Sie haben Mrs. Connor gehört. Lassen Sie sie in Ruhe.“ Jake war mit seiner Geduld am Ende.

Aline nutzte die Gelegenheit. Ohne nach links oder rechts zu blicken, ging sie zur Tür, schloss auf und verschwand im Haus. Jake warf den Presseleuten noch einen warnenden Blick zu und folgte ihr.

„Armes Neuseeland, wie tief bist du gesunken“, sagte sie spöttisch, aber ihre Stimme bebte. „Gibt es denn nichts Interessanteres als einen untreuen Ehemann?“ Sie betrat das Wohnzimmer und sah sich um. Plötzlich betrachtete sie den Raum mit anderen Augen. Michael und sie hatten die Möbel und Accessoires mit Liebe ausgesucht. Sie erinnerte sich an die vielen Stunden, die sie in Einrichtungshäusern und Galerien verbracht hatten. Sie waren so glücklich gewesen, eine glänzende Zukunft hatte vor ihnen gelegen. Doch das war alles nur eine große Lüge gewesen. Noch nie im Leben hatte sie sich so verraten und verkauft gefühlt. Sie wusste nur eins: In diesem Haus voller trauriger Erinnerungen wollte sie nicht eine Minute länger bleiben. Energisch drehte sie sich zu Jake um. „Ich habe es mir überlegt. Ich komme mit.“

„Gut. Geh packen.“ Er holte ein Handy aus der Tasche und gab eine Nummer ein. „Sally? Sie müssen etwas für mich erledigen. Es eilt. Passen Sie auf …“ Die ganze Zeit beobachtete er Aline scharf.

Sie hatte genug gehört. Er hatte wie immer das Kommando übernommen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Er ließ ihr keine Zeit zum Nachdenken. Eine Viertelstunde später verließ sie mit einer Reisetasche in der Hand das Schlafzimmer. Sie hatte sich ihr Seidenkleid abgestreift und sich für eine praktische rote Hose und ein farblich dazu passendes T-Shirt entschieden. Außerdem hatte sie sich einen Pullover lässig um die Schultern geschlungen, falls es auf dem Boot kalt wurde.

Jake wartete schon auf sie, als sie die Treppe herunterkam. „Soll ich dir beim Tragen helfen?“

„Nein, danke.“ Als sie ihn dort stehen sah – so kraftvoll und unbeschreiblich männlich –, bekam sie plötzlich Bedenken. Sollte sie sich wirklich in die Höhle des Löwen wagen? Wenn sie jetzt mit ihm ging, war es wie eine Irrfahrt über einen großen, unbekannten Ozean – ohne Kompass und Karte. Ihre innere Stimme warnte sie eindringlich, aber ihr Herz sagte etwas anderes. Was sollte sie tun?

Er schien bemerkt zu haben, wie sie mit sich kämpfte, denn er nahm ihr kurz entschlossen die Tasche aus der Hand und blickte sich suchend um. „Gibt es hier einen Hinterausgang?“

„Da entlang.“ Sie zeigte ihm den Weg. „Die Tür dort führt direkt in die Garage.“

„Umso besser.“ Er lächelte sie an. „Ich sehe, du hast dich umgezogen. Eine gute Wahl. Immerhin sind wir auf der Flucht. Da wäre ein Kleid nicht so passend. Bis zum Golfplatz ist es ein Kilometer. Wir müssen zu Fuß gehen, vielleicht sogar laufen. Schaffst du das?“

„Sicher. Willst du etwa eine Runde Golf spielen?“ Das konnte nicht sein Ernst sein.

„Der Helikopter steht dort für uns bereit.“

„Was?“ Dieser Mann war unglaublich und immer für eine Überraschung gut.

„Der Pilot sollte mich eigentlich in Auckland abholen. Ich habe ihn hierher umgeleitet.“

„Was ist mit deinem Wagen?“

„Wird abgeholt.“

Er hatte alles bis ins kleinste Detail geplant. Also gut dachte sie, ich wage es. Schweigend folgte sie ihm durch die Garage nach draußen, reichte ihm den Schlüssel und wartete, bis er die Tür verriegelt hatte.

„Ich gehe vor.“ Wieder ein Befehl. Wenn sie nicht so müde gewesen wäre, hätte sie sich das nie bieten lassen!

Sie hatten Glück. Das Fernsehteam lauerte anscheinend immer noch vor dem Haus und hatte nicht daran gedacht, den Hintereingang zu bewachen. Ohne zurückzublicken, gingen sie die kleine Straße entlang, die zum Golfplatz führte. Gleich darauf betraten sie das exklusive Klubhaus und warteten ungeduldig. Schon kurze Zeit später hörten sie das unverwechselbare Geräusch eines sich nähernden Hubschraubers. Es dauerte nicht lange, bis der Pilot geschickt auf dem dafür vorgesehenen Platz landete. Überrascht stellte Aline fest, dass niemand sich darüber zu wundern schien. Wahrscheinlich war das bei den reichen Golfspielern gang und gäbe.

Der Pilot winkte ihnen zu und öffnete die Tür. Jake nahm Alines Hand. „Lass den Kopf unten“, rief er ihr zu und führte sie zu der wartenden Maschine. Die von den Rotorblättern aufgewirbelte Luft schlug ihr entgegen und zerrte an ihren langen schwarzen Haaren. Jake half erst Aline und stieg dann selbst ein. Er gab dem Piloten ein Zeichen, und dieser hob sofort ab. Sie schnallte sich an und lehnte sich zurück. Fasziniert blickte sie nach draußen. Die Sonne ging gerade im Westen unter, und die letzten Strahlen tauchten das Meer in ein atemberaubendes Rot. Aline hatte noch nie etwas Schöneres gesehen. Sie flogen über die vielen kleinen Inseln und Buchten mit den wundervollen Stränden. Manche von ihnen kamen ihr bekannt vor, und sie versuchte, sich an die Namen zu erinnern. Schnell wurde es dunkel, und am Boden gingen die Lichter an – kleine helle Punkte in der Finsternis. Über ihnen strahlte der sternenklare Himmel.

Sie wäre am liebsten immer so weitergeflogen, nur leider war das unmöglich. Schon zehn Minuten später landete der Pilot sicher den Hubschrauber. Jake stieg als Erster aus und bedeutete Aline, ihm zu folgen. Sie öffnete den Gurt und stand vorsichtig auf. Bevor sie sich’s versah, hatte Jake sie umfasst und aus der Maschine gehoben. Er setzte sie weit entfernt vom Helikopter ab, lief noch einmal zurück und ließ sich einige Kartons und zwei Reisetaschen reichen – ihre und noch eine, die anscheinend für ihn bestimmt war. Seine Angestellten arbeiteten wirklich effektiv! Sie hatten an alles gedacht. Kleidung und Nahrungsmittel, nichts fehlte. Jake nahm die Taschen hoch und kam zu ihr zurück. In diesem Moment hob der Hubschrauber wieder ab, flog über ihre Köpfe und verschwand dann in der Nacht.

„Willkommen auf meiner Insel.“ Jake lächelte sie an. „Lass uns ins Haus gehen.“

„Was ist mit den Kartons? Soll ich dir helfen?“

„Die hole ich später.“ Er nahm ihre Hand. Sie wollte sich aus seinem Griff befreien, aber er ließ es nicht zu. „Du bist eiskalt. Wir sollten nicht länger hier herumstehen.“

„Es ist alles in Ordnung.“

Er lachte leise und presste die Lippen auf die Innenfläche ihrer Hand. Aline stand da wie erstarrt. Diese Berührung war elektrisierend, verheißungsvoll. „Eindeutig steif gefroren“, sagte er leise. „Wir wärmen uns drinnen auf. Keine Widerrede.“ Gehorsam folgte sie ihm den Steinpfad entlang. Sie war zu müde, um sich zu wehren. Es wäre sowieso vergebliche Liebesmüh gewesen. Er war so willensstark, sie hätte ihm nichts entgegensetzen können. Neugierig betrachtete sie die Umgebung. Über ihnen standen die Sterne am Himmel, eine leichte Brise wehte, und es duftete herrlich nach Meer und gemähtem Gras. Am Strandhaus angekommen, holte Jake den Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür. Dann schaltete er das Licht an und ließ Aline vorangehen. „Das hier ist meine bescheidene Hütte.“ Zögernd betrat sie den breiten, mit hellen Möbeln eingerichteten Flur. „So würde ich sie nicht gerade nennen.“ Bewundernd blickte sie sich um. „Dafür ist sie viel zu groß und modern eingerichtet. Wie viele Räume gibt es?“

„Vier. Ein Domizil nur für den Urlaub.“ Seine Stimme war kühl, sein durchdringender Blick genau das Gegenteil. Hoffentlich habe ich keinen Fehler gemacht, dachte sie verzagt. Sie hatte sich ihm ausgeliefert – mit Haut und Haaren.

„Ich zeige dir dein Zimmer.“ Er führte sie den Gang entlang bis zu einer der weiß gestrichenen, offen stehenden Türen. „Hier bitte.“ Aline trat ein und blieb verblüfft stehen. Der Raum war riesig, und in der Mitte stand ein großes Bett. Jake ging zur Terrassentür, stieß sie auf und ließ die leicht nach Salz duftende Seeluft herein. Dann wandte er sich wieder Aline zu. „Das Badezimmer ist gleich nebenan.“ Er zeigte es ihr. „Jetzt hole ich dir etwas zu trinken.“

„Ich möchte nichts.“

Seine Miene verfinsterte sich. „Natürlich willst du. Du stehst unter Schock. Dein Adrenalinspiegel ist bestimmt in ungeahnte Höhen gestiegen. Irgendwann brichst du zusammen. Du solltest dich einmal im Spiegel ansehen. Du bist aschfahl und bebst am ganzen Körper. Lass dich von Lauren nicht unterkriegen. Ihre Schmutzkampagne ist zwar nicht schön, aber auch nicht das Ende der Welt. Ein Drink und ein anständiges Abendessen werden dich wieder aufmuntern. Ich werde dir einen schönen Cognac einschenken. Du wirst sehen, danach geht es dir gleich wieder besser.“

Der Blick, den sie ihm zuwarf, hätte töten können. „Ich brauche keinen Alkohol, um mich zu entspannen – und mit fremden Männern trinke ich sowieso nicht.“

Er lächelte spöttisch. „Touche. Das klingt schon eher nach der Aline Connor, die ich kenne. Was deine ‚fremden Männer‘ angeht – das trifft auf mich jawohl nicht zu. Wir kennen uns inzwischen viel zu gut.“ Er kam auf sie zu und umfasste ihr Gesicht.

Sie war wie erstarrt. Gegenwehr war unmöglich. Es war, als hätte er sie hypnotisiert. Ihr Herz klopfte wie wild, und der Puls raste.

Sanft strich er ihr über die Wange.

Das war zu viel! Was fiel ihm ein! Er hatte kein Recht, sie so zu berühren. Wütend befreite sie sich aus seinem Griff. „Hör auf damit.“

„Wir sind uns nicht fremd“, sagte Jake heiser. „Ganz und gar nicht.“ Er trat einen Schritt zurück.

Sie atmete tief durch. Ich muss ruhig bleiben, ermahnte sie sich. Was war bloß los mit ihr? Ihre Gefühle waren ein einziges Chaos. Eigentlich hatte ihr seine Liebkosung ja gefallen, und sie fragte sich, wie es wohl wäre … Stopp! Sie durfte nicht weiter darüber nachdenken! Sie hatte andere Sorgen. Eine leidenschaftliche Nacht mit diesem gut aussehenden Mann kam überhaupt nicht infrage! „Was willst du?“ Das war zwar nicht gerade freundlich, aber es war ihr egal. „Mit mir schlafen? Vergiss es. Du hast mir versprochen, mich in Ruhe zu lassen.“

„Keine Angst, ich halte mein Wort.“ Er schien nicht erzürnt zu sein. „Allerdings weiß ich eins genau: Du wirst von allein zu mir kommen.“ Als sie protestieren wollte, winkte er ab. „Wir beide sind füreinander bestimmt. Das habe ich – und du auch – schon erkannt, als wir uns das erste Mal getroffen haben. Es hat keinen Sinn, es zu leugnen. Früher oder später wird es geschehen, ob wir es wollen oder nicht.“

„Du bist ja so …“

„Ganz ruhig.“ Er winkte ab. „Ich bin nicht so rücksichtslos und nutze deine Situation aus. Es liegt allein in deiner Hand. Ich schlage vor, du packst jetzt aus und machst dich frisch.“ Er wandte sich ab und ging hinaus.

Aline wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte, warf dann ihre Reisetasche aufs Bett, öffnete sie und verstaute ihre Sachen in dem begehbaren Schrank. Sie wollte nicht über seine Worte nachdenken. Das gelang ihr am besten, wenn sie sich ablenkte. Sie streifte sich die Kleidung ab und ging unter die Dusche. Das warme Wasser half ihr, sich zu entspannen, und sie hätte ewig unter der Brause stehen können. Zehn Minuten später trocknete sie sich ab und zog sich eine hellblaue Seidenbluse und eine weiße leichte Hose an.

„Schon viel besser.“ Jake nickte zufrieden, als sie die offene Küche betrat. Auch er hatte die Kleidung gewechselt. Er trug jetzt Jeans und ein maßgeschneidertes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Seine Haut war von der Sonne gebräunt. Er stand am Herd und rührte gerade etwas appetitanregend Duftendes um.

„Kann ich dir helfen?“, fragte sie.

„Wie sieht es bei dir mit Kochen aus?“

„Na ja …“

Er lachte. „Das überrascht mich nicht. Es ist alles fertig.“ Er legte den Löffel beiseite und deckte den Topf zu. Dann öffnete er einen der Schränke und holte Geschirr und Bestecke heraus. Er stellte alles auf ein Tablett und ging damit um die große amerikanische Bar herum, die die Küche vom Ess- und Wohnzimmer trennte. Erst jetzt entdeckte Aline, dass auf dem Tisch schon zwei teure Kristallgläser und eine Flasche Champagner standen.

Sie erschauderte. Das teure Getränk erinnerte sie wieder an Lauren Penn und Michaels Verrat. „Wie selten“, sagte sie heiser. „Ein Mann, der kochen kann! Ein Traum wird wahr.“

„Davon gibt es viele. In fast allen großen Restaurants zum Beispiel.“ Inzwischen hatte er den Tisch gedeckt. Er ließ den Korken knallen und schenkte die goldfarbene, prickelnde Flüssigkeit ein. „Es ist alles vorbereitet, Madam.“

Aline ging zu ihm und setzte sich. Er hatte an alles gedacht. Tischdecke, Servietten, Kerzen – und nicht zu vergessen der sündhaft teure französische Champagner. „Willst du mich beeindrucken?“

Er blickte sie forschend an. „Kann ich das denn?“

3. KAPITEL

Später wusste Aline nicht mehr, warum sie sich von Jake hatte herausfordern lassen. Es wäre besser gewesen, ihm nicht zu antworten oder das Thema zu wechseln. Vielleicht lag es an den Nachwirkungen des Schocks oder an ihrer überstürzten Flucht – jedenfalls warf sie jede Vorsicht über Bord. „Nein“, erwiderte sie ehrlich. „Du versuchst es nicht einmal. Dein Selbstvertrauen ist so groß, dir ist es egal, was andere Leute denken.“

Er lachte leise. „Das stimmt nicht. Die Ansichten meiner Freunde interessieren mich schon.“

„Ach ja? Die der Öffentlichkeit aber nicht.“

„Vor einhundertfünfzig Jahren durften Frauen nicht wählen, weil man sie für unfähig dazu hielt.“ Er lächelte spöttisch. „Die meisten deiner Artgenossinnen sind damit einverstanden gewesen. Deshalb lege ich auf die öffentliche Meinung keinen Wert.“ Er war ein intelligenter, scharfsinniger Gesprächspartner, und Aline liebte es, mit ihm die Klingen zu kreuzen. Nur heute nicht. Er brachte sie aus dem Gleichgewicht, und das war ein sehr beunruhigendes Gefühl. Schweigend betrachtete sie seine schlanken, von der Sonne gebräunten Hände. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie er sie liebkoste … voller Leidenschaft und Hingabe …

„Lass uns anstoßen. Auf die Wahrheit.“ Er reichte ihr ein mit Champagner gefülltes Glas.

Aline zuckte zusammen. Sie war ganz in Gedanken versunken gewesen. „Und die macht mich frei? Was für ein Witz.“ Aus ihren Worten war deutlich herauszuhören, wie verzagt sie war. Trotzdem nahm sie den teuren Kelch und trank etwas von der goldgelben Flüssigkeit.

„Du überraschst mich. Möchtest du lieber mit Lügen leben?“ Jake schüttelte den Kopf. „Das ist nicht die Aline Connor, die ich kenne. Ich habe dich anders eingeschätzt: stark, zuverlässig, wie ein Fels in der Brandung. Habe ich mich getäuscht?“

Sie zögerte, beschloss dann aber doch, ihm zu antworten. „Nein.“ Besonders überzeugend klang das nicht. Seine skeptische Miene sprach Bände. Schnell stellte sie das Glas auf den Tisch, stand auf und ging zum Panoramafenster. Die Vorhänge waren nicht zugezogen. Die Sterne strahlten am Himmel, und ihr Licht spiegelte sich auf der dunklen Wasseroberfläche wider. Der Anblick war atemberaubend – und die Gelegenheit, das Thema zu wechseln. „Du hast es wunderschön hier.“ Das klang ziemlich lahm, aber er ließ es durchgehen. Erleichtert ging sie zum Tisch zurück, und schon einige Minuten später unterhielten sie sich angeregt über eine umstrittene Fusion, die in der letzten Woche stattgefunden und in der Presse für viel Aufsehen gesorgt hatte.

Aline war selbst überrascht, wie gut sie sich amüsierte. Jakes scharfzüngige Kommentare entlockten ihr mehr als einmal ein Lächeln. Als das Abendessen schließlich zubereitet war, fiel ihr auf, dass sie schon seit fast einer Stunde nicht mehr an Michael gedacht hatte.

Jake servierte als Vorspeise einen delikaten Nudelsalat mit Jakobsmuscheln und einem Zitronen-Sesamöl-Dressing. Aline hatte noch nie etwas Köstlicheres gegessen. Sie füllte sich ein zweites Mal auf und riss etwas von dem knusprigen Baguette ab. „Es schmeckt wunderbar. Du hast deinen Beruf verfehlt. Koch in einem Fünf-Sterne-Hotel wäre das Richtige für dich gewesen.“ Sie nippte noch einmal an ihrem Glas.

„Vielen Dank“, antwortete er lachend. „Ich weiß allerdings nicht, was meine Aktionäre dazu sagen würden.“ Als sie gleich darauf den Teller zur Seite schob, stand Jake auf, stellte das Geschirr auf das Tablett und brachte es in die Küche.

Dieser Mann war wirklich außergewöhnlich. Aline fühlte sich wundervoll. Das Essen, der teure französische Champagner, die ausgelassene Unterhaltung, das Gefühl, umsorgt zu werden – es war wie im Märchen.

Allerdings hatte das Ganze einen Haken. Jake Howard war gefährlich. Das durfte sie nie vergessen. Er spielte mit ihr und schien ihre Gedanken lesen zu können. Es war ihm gelungen, sie von Michaels Verrat abzulenken und zum Lachen zu bringen. Er war fantastisch – und gleichzeitig eine Bedrohung, die sie nicht einschätzen konnte. Unruhig stand sie auf, ging zur Terrassentür, öffnete sie und atmete tief durch. Sie liebte das Meer: den salzigen Duft, die Weite, in der man sich verlieren konnte … einfach so versinken, nichts mehr fühlen … von allen in Ruhe gelassen …

In diesem Moment kam Jake mit Tellern, Schüsseln und Besteck zurück. Beinahe bedauernd wandte Aline sich um. „Kann ich die Tür auflassen?“

„Natürlich.“ Geschickt deckte er den Tisch und bat sie dann, Platz zu nehmen. „Jetzt kommt der Hauptgang. Guten Appetit.“

Aline gehorchte nur zu gern. Eine Stunde später legte sie die Serviette auf den Tisch und lehnte sich zurück. „Es hat hervorragend geschmeckt. Bist du sicher, dass du in einem früheren Leben nicht doch Chefkoch gewesen bist?“

„Als ich studiert habe, konnte ich es mir nicht leisten, jeden Tag essen zu gehen. Also musste ich notgedrungen lernen, wie man sich selbst versorgt.“ Er stand auf und reichte ihr die Hand. „Es ist gar nicht so schwer gewesen. Außerdem habe ich ein Motto: Bei allem, was ich tue, möchte ich zu den Besten gehören.“

Das konnte sie sich lebhaft vorstellen. Es passte genau zu ihm. Wieso musste sie plötzlich daran denken, wie es wohl war, mit ihm zu schlafen? Adonis, von der Sonne gebräunt, muskulös und leidenschaftlich? Was, zum Teufel, dachte sie sich dabei? Wenn sie nicht aufpasste, wickelte er sie um den kleinen Finger. Und was dann? Er würde ihr das Herz brechen, das wusste sie jetzt schon genau.

Sie ignorierte ihn und begann, den Tisch abzudecken. „Wer hat dir das Kochen beigebracht? Eine deiner verflossenen Freundinnen?“

Er ließ sich nichts anmerken, sondern nahm ihr das Geschirr aus der Hand und stellte es auf das Tablett. „Ich habe als Spülhilfe in einem Restaurant gejobbt. Später habe ich mich dann hochgearbeitet. Immer wenn der Küchenchef gute Laune hatte und nicht viele Gäste anwesend waren, durfte ich ihm helfen.“ Er führte sie zu einer großen, bequemen Sitzecke, die gegenüber der Terrassentür stand. „Was ist mit dir? Stehst du nicht gern am Herd?“

Sie sank in das tiefe Polster und lehnte sich zurück. „Ich nicht, meine Schwester schon. Aus einem Stück Käse, einigen Salatblättern und etwas Chutney kann sie ein delikates Mahl zaubern. Deshalb hat sie Hauswirtschaftskurse belegt, während ich an der Universität so viele Abschlüsse wie möglich gemacht habe. Immerhin sollte ich in die Fußstapfen meines Vaters treten. Halt, Jake, was soll das?“ Erschrocken blickte sie auf, denn er hatte das Licht ausgeschaltet.

„Keine Angst. Ich möchte dir nur etwas zeigen. Gleich geht der Mond über der Coromandelhalbinsel auf. Das darfst du nicht verpassen.“

Wenigstens hatte er so viel Anstand und setzte sich nicht neben sie, sondern auf einen der Sessel. Erleichtert entspannte sie sich und konzentrierte sich auf das beeindruckende Schauspiel. Weit entfernt, über dem von Sternen beschienenen Meer, war ein schwaches Glühen zu sehen.

„Hast du das Geschäft deines Vaters übernommen?“

„Nein.“

Das Schweigen schien eine Ewigkeit zu dauern. Schließlich brach Jake es. „Was ist geschehen?“

„Meine Schwester und meine Mutter sind tödlich verunglückt. Dad hat alles verkauft und mit dem Geld eine Wohltätigkeitsstiftung in ihrem Namen eingerichtet.“ Sie zögerte, beschloss dann aber doch, ihm die ganze furchtbare Wahrheit zu sagen. „Und dann hat er sich das Leben genommen.“

Der Mond stieg langsam höher und tauchte den Horizont in ein warmes, silbriges Licht. Doch Aline hatte keine Augen für das atemberaubende Naturwunder. Sie war zu sehr in der Vergangenheit gefangen.

„Das ist feige gewesen“, sagte Jake schließlich. Anscheinend hatte er kein Verständnis für Väter, die sich einfach so davonstahlen.

„Es ist schon in Ordnung.“ Wie gern hätte sie sich in seine starken Arme geflüchtet und sich von ihm trösten lassen, aber das wäre Schwäche gewesen. Sie musste dagegen ankämpfen. Wenn sie jetzt nachgab, war sie verloren. „Ich verstehe ihn. Er hat die beiden sehr geliebt.“ Ihre Stimme bebte. „Es ist jetzt fast sechs Jahre her. Ich bin darüber hinweg.“

„Ach ja?“ Er stand auf, stellte sich hinter sie und ließ die Hände über ihre Schultern gleiten. „Hart wie Stahl, so gibst du dich nach außen. Aber in Wahrheit ist das nur Fassade. Du möchtest deine Gefühle nicht zeigen. Hast du um deine Familie geweint?“

„Natürlich habe ich das. Für wen hältst du mich?“ Empört rutschte sie zur Seite. Was gab ihm das Recht, sie so auszuhorchen?

Er ließ sie gewähren. „Irgendwann einmal hast du gelernt, mit der Vergangenheit zu leben, nicht wahr? Man kann nicht ewig Schwarz tragen. Genau das unterscheidet dich von deinem Vater. Er hat nicht aufhören können zu trauern. Das ist ihm zum Verhängnis geworden.“ Langsam ging er um das Sofa herum und setzte sich neben sie. Verstohlen sah sie ihn im inzwischen hellen Mondlicht an, das durch die große Scheibe fiel. Wieder kam er ihr vor wie ein Raubtier – kraftvoll, zum Sprung bereit und äußerst gefährlich.

„Was ist mit deinem Ehemann? Warum hat Michael diese Stiftung gegründet?“ Was, zum Teufel, war in ihn gefahren? Er verstand sich selbst nicht mehr. Wieso hatte er ihr diese Frage gerade jetzt gestellt? Sie war in ihrem Leben schon so oft betrogen worden. Musste er unbedingt noch zu ihrem Kummer beitragen? Er war hin- und hergerissen zwischen Pflicht und Mitgefühl. Wie weit wollte er in seinem persönlichen Kreuzzug noch gehen? Nachdenklich betrachtete er sie. Er spürte, wie sie mit sich kämpfte. Ihr eiserner Wille war nicht gebrochen, obwohl sie müde war und unter Schock stand. Mrs. Connor war eine bemerkenswerte Frau. Es tat ihm fast leid, ihr noch mehr Schmerz zufügen zu müssen, aber er hatte etwas gelobt. Daran sollte ich immer denken, dachte er energisch. Selbst wenn er Aline begehrte und sie gern in den Arm genommen hätte. Er hatte eine Aufgabe zu erledigen, und nichts konnte ihn davon abbringen. „Dein Mann hat ja viele Talente gehabt.“ Anscheinend hatte sie nicht vor, ihm zu antworten. Vielleicht konnte er sie ja anders aus der Reserve locken. „Er ist nicht nur ein begabter Segler gewesen, sondern auch ein guter Fotograf. Ich bin in seiner Ausstellung Geheimnisvoller Ozean gewesen.“

Damit hatte er einen Nerv getroffen. „Ja“, flüsterte sie. „Er hat das Meer geliebt.“

„Wie ist er gestorben?“ Er hatte seine Hausaufgaben gemacht und wusste es deshalb schon – der Mann war ein verdammter Held gewesen. Ganz Neuseeland hatte um ihn getrauert.

Sie atmete tief durch. „Er hat mit einem Hubschrauber nach einem auf dem Meer verschollenen Freund gesucht. Dabei ist er abgestürzt. Man hat seine Leiche nie gefunden.“

„Das muss die Hölle für dich gewesen sein.“

„Ja.“ Sie war kaum zu verstehen. „Und jetzt finde ich auch noch heraus, dass er mich nie geliebt hat.“ Erst jetzt schien ihr die furchtbare Wahrheit richtig bewusst zu werden. Sie schlug die Hände vors Gesicht und bebte am ganzen Körper. Unwillkürlich legte Jake die Arme um Aline und zog sie an sich. Es würde ihm zwar nicht gelingen, die Geister der Vergangenheit zu vertreiben, aber vielleicht konnte er den Schrecken etwas mildern.

Es dauerte lange, bis sie sich wieder gefasst hatte. „Du wolltest wissen, warum er die Stiftung gegründet hat“, sagte sie schließlich ruhig. „Es hat mit Michaels Highschoollehrer zu tun. Dieser Mann hat ihm unendlich viel bedeutet. Von ihm hat er gelernt, wie man sich durchsetzt und den Mut aufbringt, sein Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Ohne Mr. Tucker, so sagte er jedenfalls immer, wäre er auf der Straße gelandet. Er wollte etwas davon weitergeben – an Kinder, die nicht so viel Glück gehabt haben.“

Auch das wusste Jake schon. Er war an etwas ganz anderem interessiert. Die nächste Frage war entscheidend. „Hast du etwas mit dem Fonds zu tun?“

Sie zögerte einen Bruchteil der Sekunde zu lange. „Nein.“

Das war gelogen, aber Jake ließ es durchgehen. Er hatte Zeit. Aline war eine Herausforderung, und er liebte es, seine Kräfte zu messen. Die Frau neben ihm wusste, wo das letzte Teilchen des Puzzles zu finden war, nach dem er schon so lange gesucht hatte. Er würde seine Antwort bekommen – und die betörende Mrs. Connor ebenfalls. Sie hatte sich nicht gewehrt, als er sie in die Arme genommen hatte. Das war doch ein gutes Zeichen!

Schweigend betrachteten sie den Mond, dessen Licht durch das große Fenster hereinfiel. „Bist du eigentlich schon einmal verliebt gewesen?“ Ihre Stimme klang rau.

Ein geschicktes Ablenkungsmanöver dachte Jake belustigt. Mal sehen, worauf sie hinauswollte! „Nicht richtig. Ich habe nur gedacht, ich wäre es.“

„Das ist wirklich schade. Die Liebe ist einfach wunderbar. Michael und ich … wir sind ein Traumpaar gewesen – das habe ich jedenfalls bis heute geglaubt.“ Es war ihr deutlich anzumerken, wie verletzt sie war. „Jetzt frage ich mich, ob er überhaupt etwas für mich empfunden hat. Oder ist alles nur eine einzige große Lüge gewesen?“

Jake schwieg und umfasste sie fester. Vielleicht konnte er sie ja so trösten.

„Könntest du einer Frau so etwas antun? Ihr ewige Treue schwören und sie kalt lächelnd mit einer anderen betrügen?“

Darüber brauchte er nicht lange nachzudenken. „Nein.“

Es war ihm todernst, das spürte sie genau. Ein Mann wie Jake Howard log nicht. Sie hatte ihn während der Vertragsverhandlungen genau studiert. Er war ein knallharter Geschäftsmann, der seine Interessen durchzusetzen verstand. Seine strengen Wertmaßstäbe hatten Aline von Anfang an beeindruckt. Er war ehrlich und vertrauenswürdig. „Keir auch nicht. Er liebt Hope von Herzen, er würde nie darauf kommen, sie zu betrügen. Michael hingegen … Ich habe mir so sehr ein Kind gewünscht, aber er wollte noch warten. Jetzt weiß ich, warum. Er hat Lauren geliebt, nicht mich. Ich bin ihm anscheinend nicht genug gewesen.“

„Wie kommst du darauf?“, fragte er kurz angebunden.

Sie hätte nie gedacht, dass es so einfach war, mit ihm darüber zu sprechen. Lag es an der Faszination, die vom Mond ausging, oder an dem atemberaubenden Anblick des unergründlich tiefen, in fahles Licht getauchten Meeres? Sie fühlte sich seltsam getröstet, sicher. „Das liegt doch auf der Hand. Ich habe ihn nicht halten können. Es ist meine Schuld gewesen.“

„Was für ein Unsinn!“ Er drehte sie zu sich und brachte sie dazu, ihn anzusehen. „Du bist eine wundervolle, attraktive und intelligente Frau. Die Männer sind Wachs in deinen Händen. Du verdrehst ihnen den Kopf, bis sie nicht mehr ein noch aus wissen. Trotzdem bleibst du kühl und beherrscht.“

„Das reicht nicht.“ Traurig schüttelte sie den Kopf. „Lauren und Hope – sie sind das genaue Gegenteil von mir. Anschmiegsam und verführerisch. Du kennst mich nicht, Jake, sonst würdest du so etwas nicht sagen.“ Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien.

„Eins weiß ich aber genau“, er hielt sie fest und umschloss ihr Gesicht, „wenn ich dich jetzt nicht küsse, werde ich es mein Leben lang bereuen.“ Er beugte sich herunter und presste die Lippen auf ihre.

Aline wurde völlig überrascht. Widerstand war zwecklos. Sie hätte es auch gar nicht gewollt. Es war, als brächen alle Dämme. Jake entfachte eine Leidenschaft, die sie noch nie zuvor verspürt hatte. Sie schloss die Augen, ließ sich treiben und genoss dieses unbeschreibliche Gefühl.

Schließlich löste er sich von ihr, und sie blickte ihn forschend an. Er begehrte sie, das sah sie ganz deutlich. Mit Michael war es anders gewesen. Hier ging es um puren Sex. Eine Begierde, die gebieterisch danach verlangte, gestillt zu werden. Jake Howard hatte mit schwarzer Magie einen Bann über sie gelegt und sie zur willenlosen Sklavin der Leidenschaft gemacht. Sie konnte nur noch an eins denken: Erfüllung in seinen Armen zu finden. „Ich möchte mit dir schlafen“, flüsterte sie heiser.

Er schüttelte den Kopf. „Nein.“

Sie hätte beinahe geschrien. Wie konnte er bloß so ruhig sein? Empfand er denn nicht das gleiche brennende Verlangen wie sie? „Warum nicht?“

„Ganz einfach. Du stehst noch unter Schock und bist nicht du selbst. Wenn wir jetzt miteinander ins Bett gehen, wirst du es spätestens morgen früh bereuen.“

„Das ist mir egal.“

„Mir aber nicht. Du willst dich an einem Mann rächen, der fast drei Jahre tot ist. Dazu brauchst du mich. Keine Chance. Dafür gebe ich mich nicht her.“

Sie glaubte, sich verhört zu haben. „Das hat damit nichts zu tun.“

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Violet Winspear
Violet Winspear wurde am 28.04.1928 in England geboren. 1961 veröffentliche sie ihren ersten Roman „Lucifer`s Angel“ bei Mills & Boon. Sie beschreibt ihre Helden so: Sie sind hager und muskulös, Außenseiter, bitter und hartherzig, wild, zynisch und Single. Natürlich sind sie auch reich. Aber vor allem haben sie eine große...
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