Julia Saison Band 53

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SONNENBLUMEN ZUM VALENTINSTAG?! von HELEN R. MYERS
Am Valentinstag Blumen verschenken? Früher hätte der kühle Unternehmer Collin Masters darüber gelacht! Aber jetzt sucht er fieberhaft nach einem besonderen Strauß, um seine Assistentin Sabrina zurückzugewinnen. Und dabei geht es ihm nicht nur ums Geschäftliche …

ÜBERRASCHUNG AM VALENTINSTAG von TANYA MICHAELS
"Ich möchte eine neue Mom haben!" Das hat Marks kleine Tochter geschrieben - und kurz vor dem Valentinstag per E-Mail an alle Eltern der Schule geschickt. Kein Wunder also, dass die Schulleiterin ihn zu sich zitiert. Doch diese Shay Morgan sieht gar nicht streng, sondern absolut umwerfend aus …

KREUZFAHRT INS GROSSE GLÜCK von KRISTIN HARDY
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  • Erscheinungstag 10.01.2020
  • Bandnummer 53
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715670
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Helen R. Myers, Tanya Michaels, Kristin Hardy

JULIA SAISON BAND 53

1. KAPITEL

„Bist du allein?“

Wenn eine Frau ihm am Handy mit zärtlicher Stimme eine so verheißungsvolle Frage stellte, hätte Collin Masters normalerweise mit einem verwegenen Lächeln reagiert. Doch bei dieser Anruferin handelte es sich um seine Schwester. Er sah zu, wie die Nummern der Stockwerke aufleuchteten, während sich der Aufzug im Hochhaus von der Etage seiner Eigentumswohnung nach unten bewegte.

„Nicht mehr lange“, antwortete er. „Ich bin gerade im Aufzug, unterwegs zu einer Verabredung. Ihre Beine sind noch toller als ihr rotes Haar, und sie steht auf Champagner und meine Wenigkeit.“

„Sag ab“, erwiderte Cassidy Masters und hörte sich überhaupt nicht mehr freundlich an. „Ich bin auf dem Weg zu dir.“

Collin betete seine kleine Schwester an. Andere Geschwister hatte er nicht. Aber er konnte es nicht ausstehen, wenn sie ihn herumkommandierte, als ob er zu ihrer Helikoptercrew bei der Air Force gehörte. „Das ist nicht mal ansatzweise komisch, Captain Masters. Bleib mal schön in San Antonio …“

„Ich bin in ungefähr zehn Minuten da. Habe mir ein Flugzeug geborgt und bin zu dir rübergeflogen.“

Obwohl ihn das stutzig machte, versuchte er die Sache mit Humor zu nehmen. „Nur zu deiner Information: Das ist meine erste Verabredung seit Wochen. Verstehst du, was ich damit sagen will? Mein geschundener Körper braucht dringend Liebe und Zuwendung.“

„Warte noch eine Stunde, bis du die Hosen runterlässt. Das hier ist wichtig.“

„Aber …“

„Verdammt noch mal, zwing mich nicht dazu, dir das am Telefon zu sagen!“ Cassidy seufzte. „Ich bin zum Kampfeinsatz abkommandiert worden, Collin.“

Diese Nachricht traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Einen Augenblick glaubte er, dass der Aufzug plötzlich zwischen zwei Stockwerken stecken geblieben war. Als der Lift stattdessen mit einem sanften Ruck unten ankam und die Türen sich öffneten, beendete auch sein Magen wieder seine Achterbahnfahrt. Aber Collin hatte immer noch weiche Knie.

„Oh Mann, das tut mir so leid.“

„Das gehört eben zum Job … und es ist ja nicht so, als ob wir nicht gewusst haben, dass es passieren könnte.“

Tausend Fragen schossen Collin durch den Kopf, aber er stellte nur eine einzige: „Wann geht’s los?“

„In sechs Wochen. Spätestens in acht. Sobald ich die Trainingseinheiten nachgeholt habe, die mir noch fehlen, meine Impfungen aufgefrischt habe und meine persönlichen Angelegenheiten geregelt habe.“

Oh nein, dachte Collin und spürte, wie ihn wieder eine Welle der Übelkeit überkam. Ja, darüber hatten sie schon mal gesprochen. Aber das hatte er praktischerweise völlig verdrängt.

„So still wie du jetzt bist, nehme ich an, dass du zwei und zwei zusammenzählen kannst“, ließ sich Cassidy vernehmen. „Ich bin ungefähr um 18:50 bei dir, je nachdem wie dicht der Verkehr ist.“

Sie beendete den Anruf und nahm ihm so die Möglichkeit, einen Rückzieher zu machen. Er liebte seine Schwester wirklich von ganzem Herzen – abgesehen von dem Teil seines Herzens, der ihren vorwitzigen Töchtern gehörte. Aber wie konnte er das tun, worum sie ihn bitten würde?

Als sich gegenüber jemand bewegte, merkte Collin, dass er immer noch im offenen Aufzug stand und wahrscheinlich so aussah, als ob er den Weg nach unten gerade im freien Fall zurückgelegt hatte. Der Wachmann Sonny beobachtete ihn belustigt von der anderen Seite der Lobby aus.

Schwach lächelnd winkte Collin kurz, klappte sein Telefon zu und drückte dann den Knopf, der ihn zu seinem Stockwerk zurückbringen würde.

Es dauerte aber fast noch zwanzig Minuten, bevor Sonny sich bei ihm meldete und Bescheid sagte, dass Cassidy angekommen war. Inzwischen hatte Collin Nicole angerufen, die Verabredung abgesagt und einen Wodka auf Eis getrunken. Whisky wäre ihm lieber gewesen, um über den Schock hinwegzukommen. Aber um diesen Abend zu überstehen, würde er mehr als einen brauchen.

Und dann war doch noch die Atemkontrolle. Cass hatte eine Nase wie ein Spürhund. Er wollte auf keinen Fall, dass sie dachte, ihre geliebten dreijährigen Töchter bei einem verantwortungslosen Trunkenbold zurücklassen zu müssen.

„Mann, wem willst du was vormachen?“, murmelte er, als er einen Blick in den Spiegel im Flur warf. Das Haar zerzaust, weil er es gerauft hatte. Die Krawatte schief, weil er daran herumgezerrt hatte.

Abkommandiert … seine kleine Schwester musste in den Krieg. Das hatte er nun davon. „Du kannst alles schaffen“, hatte er ihr versichert, als sie vor fast vier Jahren erfahren hatte, dass sie schwanger war. Der Wurm von einem Samenspender, ihr damaliger Freund und Möchtegern-Rockstar, hatte sie zu einer Abtreibung gedrängt und sich dann aus dem Staub gemacht.

Hochschwanger hatte Cassie ihre Ausbildung mit Auszeichnung bestanden. Als die Zwillinge zwei Jahre alt waren, war sie drauf und dran, die besten Helikopter für die Luftwaffe zu fliegen.

Collin schaffte es kaum, einen Linienflug ohne Übelkeit zu überstehen. Für seine kleine Schwester empfand er nichts als Bewunderung. Aber sie im Cockpit über einem Kampfgebiet? Das war einfach unvorstellbar für ihn. Ja, natürlich gab es heutzutage viele Pilotinnen. Aber was Collin anging, hatten alle Kriege vorbei zu sein, bevor Cassie an der Reihe war, ihrem Land an der Front zu dienen.

Es klopfte an der Tür. „Versuch gar nicht erst, dich zu verstecken, ich weiß, dass du da bist!“, ertönte eine fröhliche Stimme und bereitete seinem Ausflug in die Vergangenheit ein jähes Ende. Er hatte keine Wahl. Er musste sie hereinlassen. Ihm war klar, dass es ihr jetzt nicht helfen würde, ihn mit gebeugten Schultern und hängendem Kopf zu sehen. Aber mehr hatte er im Augenblick nicht zu bieten.

Doch dann sah er seine Schwester vor sich. Mit ihrem Augenzwinkern. Und dem schiefen „So ein Mist“-Lächeln. Da breitete er die Arme aus. Er war sechs Jahre älter als sie mit ihren zweiunddreißig Jahren, also im wahrsten Sinne des Wortes ihr großer Bruder. Abgesehen davon, was Intelligenz und Tapferkeit anging. Ähnlich sahen sie sich aber überhaupt nicht, sondern kamen jeweils ganz nach einem Elternteil.

Sie war eine echte blonde Schönheit, mit toller Figur und natürlichen Korkenzieherlocken, die sie jedoch am liebsten unter einem Hut oder einem Helm versteckte. Ihre Augen waren so blau, dass jeder Mann sich nach ihr umdrehte, der dazu auch nur noch ansatzweise in der Lage war.

Collin war groß und dünn und hatte mit widerspenstigem hellbraunem Haar zu kämpfen. Das Auffälligste an ihm waren seine Augen: traurig, gedankenverloren und grau. An der Schule hatte ihm der richtige Augenaufschlag mehr Strafen erspart, als gerecht gewesen wäre.

„Verdammt“, murmelte er, während er seine Schwester eng an sich drückte.

„So zurückhaltend habe ich mich nicht ausgedrückt, als ich die Neuigkeiten erfahren habe, aber wir kommen der Sache schon näher“, meinte sie.

Er ließ sie los und musterte ihr jugendliches, ernstes Gesicht. „Hast du Angst?“

„Irgendwann kommt das bestimmt. Wahrscheinlich beim Flug ins Einsatzgebiet. Aber ich hoffe mal, dass ich vom Training so müde sein werde, dass ich zehn Minuten nach dem Start einschlafe.“

Das trug nicht gerade dazu bei, Collins wachsende Beunruhigung zurückzuhalten. „Ist denen nicht klar, dass du alleinerziehende Mutter von Zwillingen bist?“

„Ein Vertrag ist eben ein Vertrag. Außerdem sind es nur vier Monate, weil ich auf der Offiziersschule war und deswegen nicht mit dem Rest meiner Einheit rübergeschickt worden bin. Das ist nichts im Vergleich zu den Leuten, die für sechs Monate oder ein Jahr dorthin müssen.“ Die Hände in die Hüften gestemmt schüttelte sie den Kopf. „Collin, schaust du eigentlich nie Nachrichten? Ein paar von uns machen das jetzt zum dritten, vierten oder fünften Mal mit.“

Er murmelte etwas Undeutliches und massierte seinen verspannten Nacken. „Lass mich ein oder zwei Bekannte anrufen. Ich bin sicher, dass ich dir in kurzer Zeit eine Infektion mit Hepatitis oder so verschaffen kann.“

Endlich lachte Cassidy und machte die Tür hinter sich zu. „Es nutzt nichts, sich vor irgendetwas zu drücken. Es tut mir leid, Lieblingsbruder, aber du musst deine Rolle als schüchtern unbeholfener Held à la Hugh Grant aufgeben, um mein Held zu werden.“

„Wenn ich das bloß könnte … Unglücklicherweise habe ich jedoch meine Seele an meine Firma verkauft.“

Als sie ihn diesmal umarmte, glänzten Tränen in ihren Augen. „Vielleicht ist dieser ganze Schlamassel am Ende doch zu etwas gut. Du hast mich so lange und intensiv dabei unterstützt, meine Träume zu verwirklichen, dass du deine eigenen aus den Augen verloren hast.“

„Mein Steuerberater ist da anderer Meinung. Anders als du gerät der aber auch in Ekstase, wenn er sich meine 72-Stunden-Wochen genauer ansieht.“

„Du weißt genau, dass Geld allein nicht glücklich macht. Vor allem, wenn du niemanden hast, um deinen Reichtum zu teilen. Vielleicht hilft dir die Zeit mit meinen Mädchen dabei, mal die Scheuklappen abzunehmen, was zwischenmenschliche Beziehungen angeht.“

„Welch weise Worte …“ Collin trat zurück, lehnte sich gegen den Beistelltisch und presste die rechte Hand gegen die Brust. „Nein, nein. Ich weiß, was ich versprochen habe. Aber da warst du im Delirium wegen der Wehen. Oder vielleicht war ich im Delirium aus reiner Panik? Jedenfalls kann ich unmöglich die Mädchen zu mir nehmen, während du weg bist. Du stehst einem Mann gegenüber, der sich noch nie auch nur ansatzweise danach gesehnt hat, den Wickeldienst zu übernehmen.“

„Dann hast du ja noch mal Glück gehabt. Diese Phase haben Genie und Addie schon lange hinter sich. Im Augenblick gehen sie auf eine Vorschule für hochbegabte Kinder.“

„Und als Nächstes auf die Uni?“

Sie durchbohrte ihn mit dem berüchtigten bösen Blick, den schon ihre Großmutter beherrschte. Er hielt beide Hände hoch, während er seine Verteidigungsstrategie noch einmal überdachte. „Wie konnte ich so etwas nur denken, bei einer Mutter, die ihren Töchtern Namen wie General und Admiral gibt?“

Vom ersten Tag an hatte er sie deswegen aufgezogen und Gena und Addison die Spitznamen „General“ und „Admiral“ gegeben. Aber er hegte keine Zweifel daran, dass die beiden Mädchen schon auf dem besten Wege waren, selbst tollkühne Heldinnen zu werden. Eine ganz natürliche Weiterentwicklung von allem, was ihre schneidige Mutter sich erträumte. Was ihre Bitte an ihn umso verrückter machte.

„Schau dich doch nur mal an“, versuchte er es noch mal mit unverhohlener Bewunderung. „Du bist eine Pilotin. Du fliegst ein paar tausend Kilo Metall durch die Luft. Du bist dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr eine Heldin, wie sie leibt und lebt, auch wenn du noch nie einen Auslandeinsatz hattest.“

Er ließ die Hände sinken und warf ihr einen hilflosen Blick zu. „Was habe ich deinen Kindern denn zu bieten, Cass? Wenn ich am Wochenende tatsächlich mal freihabe, kommt es vor, dass ich vierzehn Stunden am Stück schlafe und aufwache, ohne mich einen einzigen Millimeter bewegt zu haben.“

„Du gewöhnst dich sicher daran. Du wirst schon lernen, wie ich das mache. Das alles zu jonglieren. Zurechtzukommen. Der einzige Unterschied ist, dass du das Ganze mit Hilfe eines siebenstelligen Einkommens tun wirst.“

Er beugte sich gekrümmt nach vorne und hob das linke Knie an, als ob sie ihm einen Faustschlag in die Magengrube versetzt hätte – oder einen Tritt. „Aua.“

Cassidy zog eine Grimasse. „Sorry. Hilft es gar nichts, dass du der einzige Mann bist, den ich liebe und dem ich vertraue?“

„Gib mir mal die Nummer von deinem kommandierenden Offizier.“ Collin schnappte sich sein Handy. „Ich muss ihm noch von deinem mangelhaften Urteilsvermögen berichten.“

Unbeeindruckt rührte sich Cass nicht vom Fleck. „Wenn ich nicht der Meinung wäre, dass du mit dieser Herausforderung fertig wirst, würde ich das Angebot der Frau von einem Kollegen annehmen und die Mädchen bei ihr auf dem Stützpunkt lassen. Ich habe sogar die Kinder gefragt, was ihnen lieber wäre. Weißt du, was sie gesagt haben?“

„Dass du ihnen ein Haus in Disneyland kaufen und ihre Vormundschaft auf die Gebrüder Grimm übertragen sollst?“

„Sie wollen ihren Onki Collie. Einstimmig, übrigens.“

Collin verschluckte sich beinahe. „Bitte sag mir, dass du dich mit einem Logopäden über dieses Problem mit der Aussprache unterhalten wirst.“

Insgeheim hatte er jedoch schon wieder mit Schuldgefühlen zu kämpfen. Er wusste, dass er es als Onki letzte Weihnachten vermasselt hatte. Anstatt die Feiertage mit seinen Nichten und Cassie zu verbringen, war er mit einer Rothaarigen, an deren Namen er sich schon nicht mehr erinnern konnte, nach Tahiti geflogen.

„Sag ihnen, dass sie es hier abscheulich finden würden. Keine Geschenke und nur noch Haferflocken und Algebra. Mit einem Hauslehrer, der kaum ein Wort Englisch spricht“, fügte er hinzu, weil es nur ein Vorteil sein konnte, noch schlimmere Befürchtungen zu wecken.

Unverdrossen erwiderte Cassie: „Ich dachte eher, das wäre eine tolle Gelegenheit, ihnen zu zeigen, was es hier in der Gegend zu sehen gibt. Du kannst mit ihnen in den botanischen Garten in Fort Worth gehen. Außerdem könnt ihr das Arboretum und den Zoo von Dallas anschauen. Konzentrier dich zur Abwechslung mal nicht nur darauf, was für dich dabei herausspringt.“

„Verzeih mir, wenn sich das jetzt arrogant anhört, aber genau das ist der Grund, warum du dich über mein Einkommen lustig machen kannst, Kleine.“

„Und genau das ist der Grund, warum du nichts vom Leben hast. Eines Tages fliegt dir das alles um die Ohren. Ich will nicht, dass du dich in Luft auflöst wie unsere Eltern, als Dads miese Geschäfte wie Seifenblasen geplatzt sind.“

Collin spannte sich innerlich an. Auf keinen Fall wollte er sich vorwerfen lassen, seinen Eltern in irgendeiner Hinsicht ähnlich zu sein.

„Gib mir einen Augenblick … oder eine Woche“, antwortete er. „Ich bin sicher, dass ich eine bessere Lösung finde. Für die du mir noch dankbar sein wirst.“

Als er das sagte, holte Cassidy tief Luft. Als sie weitersprach, betonte sie sorgfältig jede Silbe. „Ich habe nur noch dich, Collin. Und wenn es zum Schlimmsten kommen sollte, dann wären sie zumindest schon daran gewöhnt, bei dir zu leben.“

Bei diesen Worten ließ er den Kopf sinken. „Bitte denk nicht mal daran.“ Die Vorstellung, sie zu verlieren, erschütterte ihn bis ins Mark. Eilig bemühte er sich, seine Angst mit Humor zu überspielen. „Konzentrieren wir uns mal auf meinen deiner Meinung nach überbezahlten Job. Was soll mit den Mädchen passieren, wenn ich im Büro bin?“

Cassidy verschränkte die Arme vor der Brust. „In deinem riesigen Bekanntenkreis wird es doch wohl jemanden geben, der gut mit Kindern umgehen kann.“ Plötzlich riss sie die Augen auf und schnippte mit den Fingern. „Jetzt hab ich’s! Deine Ex. Die wäre perfekt, glaube ich.“

Ex? „Ich habe keine Ex“, knurrte er. „Du weißt doch genau, dass ich nie oft genug mit einer Frau ausgehe, um sie als ‚meine Freundin‘ bezeichnen zu können. Einfach nur um die Unannehmlichkeiten zu vermeiden, die mit dieser Bezeichnung einhergehen.“

„Ich meine ja auch deine Ex-Mitarbeiterin. Die Assistentin, die du rausgeschmissen hast.“

„Sabrina.“ Ihr Name kam ihm so schnell über die Lippen, wie er sie vor seinem geistigen Auge erblickte. Aber seine körperliche Reaktion war, als ob er einen Lungenschuss abbekommen hätte. Der folgende Hustenanfall zwang Collin, sich vornüber zu krümmen. „Die habe ich nicht gefeuert“, keuchte er.

„Klar, denn das wäre ja auch die korrekte Reaktion gewesen. Oder ihr ganz einfach die Wahrheit zu sagen – dass du auf sie stehst. Aber nein, du hast sie in den Keller verbannt, als Sekretärin von … wie heißt das Fossil da unten noch mal?“

„Norbit. Der Archivleiter.“

„Was für eine freundliche Umschreibung für ‚Aktenablage‘. Der Typ schneidet sich selbst die Haare, trägt eine schwarze Plastikbrille und bringt sich ein Pausenbrot in einer Bauarbeiterlunchbox mit.“

Es ging ihm schrecklich auf die Nerven, dass Cassie Persönlichkeitstypen so leicht einordnen konnte. „Eine ‚Raumschiff Enterprise‘-Lunchbox, um genau zu sein. Und er kann mit den Fingern den Gruß von Spock nachmachen.“

„Na, das qualifiziert ihn natürlich.“

„Er ist außerdem fantastisch bei Trivial Pursuit.“

„Hör sofort mit den Lobeshymnen auf, oder ich ändere den Nachnamen meiner Töchter.“

Collin widerstand der Versuchung, laut zu lachen. Stattdessen murmelte er: „Glaub ja nicht, dass ich mich dir je wieder anvertrauen werde.“

Genau aus diesem Grund hatte er seine Schwester nicht mehr so oft angerufen und sich hauptsächlich darauf beschränkt, ihr einmal in der Woche eine SMS zu schicken. So war es einfacher, ihren Nachforschungen aus dem Weg zu gehen, was sein Privatleben – mit anderen Worten, sein Liebesglück – anging. Auch wenn er damit das Risiko einging, alles zu verlieren, was von seiner Familie noch übrig war.

„Da bin ich jetzt aber beunruhigt“, meinte sie. „Wie gefällt ihr denn der neue Arbeitsbereich?“

„Sie hat gekündigt und bleibt nicht mehr lange.“

„Klug von ihr.“ Mit dem Fuß schob Cassie ihre Tasche zur Seite und ging ins Wohnzimmer. „Ich habe mich immer gut mit ihr verstanden, wenn ich bei dir im Büro angerufen habe und du mit einem sogenannten Meeting beschäftigt warst.“

Collin durchbohrte sie von hinten mit seinem Blick. „Meine Termine sind alle echt.“

„Du kannst nur hoffen, Donald Trump hat nicht mitbekommen, dass sie zu haben ist, und versucht jetzt, sich bei ihr einzuschleimen. Ich würde mich wirklich wohler fühlen, wenn ich wüsste, dass sie sich um meine Mädchen kümmert.“

„Entschuldige mal, bis vor einer Minute war ich dein Held. Jetzt hängt alles von ihr ab?“

Ohne einen Anflug von Reue grinste Cassie ihn an. „Erinnerst du dich noch daran, was Gran immer gesagt hat? Man soll nie eine Frage stellen, wenn man die Antwort nicht hören will.“

Sabrina Sinclair stand vor der Wohnung, die sie sich mit ihrer Mitbewohnerin Jeri Swanson teilte, und betrachtete stirnrunzelnd den Schlüssel, der nicht mehr ins Schloss passte. Als sie morgens um sechs weggegangen war, hatte das Schloss noch wunderbar funktioniert.

In der Hoffnung, dass ihre durchgeknallte Mitbewohnerin noch nicht mit ihrem neuesten Freund losgezogen war, um sich die Nacht in diversen Clubs um die Ohren zu schlagen, klopfte sie an die Tür.

„Jeri? Ich bin’s. Bist du da?“

„Nein, ist sie nicht. Und Sie sollten auch gehen.“

Die Stimme kam von unten. Sabrina ging zum wackeligen Holzgeländer des Treppenabsatzes und schaute zu der alten Dame hinunter, die dort stand. „Mrs. Finch? Stimmt etwas nicht?“

„Jetzt setzen Sie bloß keine Unschuldsmiene auf. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich keine Märchen mehr glaube, was die Miete angeht.“

Die gebrechliche alte Frau war so zänkisch wie eh und je. Drei Stockwerke über ihr fuhr Sabrina zusammen. „Aber Jeri hat doch gestern bezahlt. Ich musste wegen der Inventur früher zur Arbeit. Sie hat mein Geld genommen, um ihre Schulden und meinen Anteil an der Miete zu bezahlen.“

„Ach wirklich? Vielleicht hat sie Ihnen das erzählt. Aber ich habe keinen Cent gesehen. Also habe ich heute das Schloss auswechseln lassen, sobald sie weg war.“

Übelkeit erfasste Sabrina, und sie hielt sich am Treppengeländer fest. „Hat sie gesagt, wo sie hin ist? Wann sie zurückkommt?“

„Weiß ich nicht, ist mir egal, und Sie sind noch ein viel dümmeres Huhn, als ich dachte, wenn Sie auf die warten oder auch nur einen Gedanken an sie verschwenden.“

Sabrina wusste, was los war. Wieder einmal hatte sie an das Gute im Menschen geglaubt und sich geirrt. Jetzt konnte sie sich wieder einmal nur noch entschuldigen und von vorn anfangen. „Mrs. Finch, wenn sie mich reinlassen, verspreche ich, dass ich die Miete in zwei Monaten zurückzahle. Und ich versichere Ihnen, dass Jeri die Wohnung nicht mehr betreten wird.“

„Nein. Mit euch bin ich fertig. Diese Versprechungen habe ich satt. Den Lärm auch und den ganzen Ärger. Jetzt verschwinden Sie hier, oder ich hole die Polizei.“

„Aber meine ganzen Sachen sind in der Wohnung.“

„Nein, sind sie nicht. Ihre Freundin hat ihren ganzen persönlichen Kram mitgehen lassen. Und die Möbel behalte ich. Als Teil der Miete, die Sie mir schulden. Ich lasse mich nicht noch einmal reinlegen.“

Als ob es nicht noch schlimmer kommen könnte, tauchte auf einmal ein gut aussehender, hervorragend gekleideter Mann mit welligem hellbraunem Haar neben Mrs. Finch auf und legte den Kopf in den Nacken, um zu ihr nach oben zu schauen.

„Oh nein“, murmelte Sabrina.

Collin Masters? Was in aller Welt wollte der denn hier – und warum ausgerechnet jetzt? Hatte er sie nicht schon genug gedemütigt und verletzt?

„Kann ich helfen?“

Auf seinen unschuldigen Blick fiel sie keine Sekunde lang herein. In Rekordtempo rannte sie die Treppe hinunter. „Nein, können Sie nicht. Das hier ist eine private Angelegenheit.“

Collin ignorierte sie und konzentrierte seinen ganzen Charme auf Mrs. Finch. „Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es um Mietrückstände?“

Die Augen der zierlichen Frau leuchteten hoffnungsvoll auf, als sie sich vertraulich zu ihm vorbeugte. „Insgesamt eintausenddreihundertfünfzig Dollar.“

„Warten Sie mal! Sie haben gesagt, dass Sie meine Möbel behalten“, rief Sabrina. „Den Wert müssen Sie also von den Schulden abziehen.“

„Falls ich überhaupt was von Ihrem billigen Schrott loswerde, habe ich Glück, wenn ich damit den Schlosser und die Putzfrau bezahlen kann.“

Sabrina rang nach Luft und presste die Hand gegen die Brust. „Das ist nicht wahr! Und das ist nicht fair!“

„Bitte erlauben Sie mir …“ Collin griff in die Innentasche seines Anzugs und zog sein Scheckbuch heraus. „Ich stelle Ihnen einen Scheck über eintausendfünfhundert Dollar aus“, sagte Collin. „Klingt das fair, Mrs. Finch?“

Wenn es um Geld ging, war die Frau ein echter Bluthund. „Das muss es wohl. Auch wenn da noch die ganzen schlaflosen Nächte wären, die ich deswegen hatte.“ Sie schenkte Collin ein strahlendes Lächeln. „Sie sind ja so ein netter Mann. Wer sind Sie eigentlich?“

„Ein Freund.“

„Nein, das ist er nicht!“ Aber Sabrinas Widerspruch stieß auf taube Ohren. Also wandte sie sich wieder ihrer Vermieterin zu. „Mrs. Finch, es geht hier um meine Geburtsurkunde, meine Zeugnisse und andere Dokumente. Sind Sie sicher, dass alles weg ist?“

Die Frau nahm Collins Scheck und nickte. „Süße, für mich sieht das wie ein astreiner Identitätsdiebstahl aus. Sie haben wohl wirklich nicht viel Menschenkenntnis.“

„Wem sagen Sie das“, murmelte Sabrina mit einem vernichtenden Blick in Collins Richtung.

Nachdem Collin sein Scheckbuch und den Stift wieder eingesteckt hatte, hielt er ihr die Hand hin und spielte den Vertrauten: „Ich bringe dich irgendwohin, wo du in Ruhe nachdenken kannst.“

Am liebsten hätte sie seine Hand zur Seite geschlagen. Aber sie musste der Realität ins Auge sehen. Mrs. Finch hatte sein Geld genommen. Jetzt war sie dem Mann, den sie verachtete, etwas schuldig.

„Das kann doch alles nicht wahr sein“, flüsterte sie.

„Bitte entschuldigen Sie.“ Er legte ihr den Arm an den Rücken. „Mein Auto steht gleich vor der Tür. Ich kann Ihnen hinterherfahren oder ich bringe Sie dann zu Ihrem Wagen zurück, wenn wir etwas gegessen und uns unterhalten haben.“

Sie war so benommen, dass sie nicht gleich reagieren konnte. Aber dann schüttelte sie den Kopf. „Das geht nicht.“

„Also, hier können Sie jedenfalls nicht bleiben.“

„Nein … aber ich habe kein Auto mehr.“

„Wie bitte?“

„Der Leasingvertrag ist ausgelaufen.“ Verbittert starrte sie ihn an. „Ihretwegen konnte ich mir keine Verlängerung leisten.“

„Jetzt warten Sie mal … ich habe Sie nicht zur Kündigung gezwungen. Sie sind freiwillig gegangen.“

„Stanley Norbit hat Mundgeruch, und er stellt mir den ganzen Tag im Keller nach.“

Auch wenn Collin sich nicht vorstellen konnte, den alten Norbit zu einer Party einzuladen, konnte er auf die Arbeitsmoral und die Leistung des Exzentrikers nichts kommen lassen. „Er ist vielleicht etwas unbeholfen im Umgang mit anderen. Aber er hat mich noch nie enttäuscht, wenn ich in allerletzter Minute noch etwas gebraucht habe.“

„Versuchen Sie mal, in Norbits Gegenwart Rock und BH zu tragen. Dann reden wir weiter.“

„Das tue ich meinem Schneider nicht an.“

Diesen Versuch, ihren letzten Reinfall ins Lächerliche zu ziehen, fand Sabrina überhaupt nicht komisch. „Ich würde eher als Lehrling bei einem Bestatter anfangen, als wieder für einen Typen wie den zu arbeiten. Aber vor allem haben Sie mich vor der ganzen Firma lächerlich gemacht und haben das nicht mal gemerkt. Man wird nicht so einfach vom Büro des stellvertretenden Direktors in den Keller versetzt. Ist doch klar, dass sich alle fragen, warum, und aus der Geschichte widerwärtige und erniedrigende Schlussfolgerungen ziehen.“

Sabrina reckte das Kinn. Leider war ihr völlig klar, dass sie in den staubigen und zerrissenen Jeans, dem extragroßen T-Shirt und den abgetragenen Turnschuhen eher wie eine Obdachlose als wie die persönliche Assistentin eines Managers aussah.

Den Tränen nahe bemühte sie sich, ihr letztes bisschen Selbstachtung zu bewahren und erklärte: „Ich verspreche Ihnen, Mr. Masters, dass ich Ihnen jeden Cent von dem Geld zurückzahle, das Sie gerade Mrs. Finch gegeben haben. Aber jetzt lassen Sie mich bitte in Ruhe.“

Collin folgte ihr nach draußen. „Auf das Risiko hin, dass Sie mir Ihre Handtasche um die Ohren hauen – darf ich fragen, was Sie jetzt machen wollen? Ohne ein Dach über dem Kopf, Kleidung und Geld?“

Sabrina blieb im Schatten des alten Hauses stehen. Das Laub der Bäume leuchtete golden an diesem strahlenden Herbsttag, und der Wind war stark genug, um ihr Haar ganz aus dem Pferdeschwanz zu zerren. Während sie hastig ihr Haarband wieder festmachte, versuchte sie verzweifelt, sich etwas einfallen zu lassen.

Collin wagte sich einen Schritt vor und musterte sie. „Wann haben Sie das letzte Mal etwas gegessen?“

„Ich glaube, irgendwann so gegen …“

„Um die Ecke von meiner Wohnung gibt’s ein tolles Bistro“, sagte Collin. Sanft führte er sie zu seinem schwarzen Mercedes. „Ich wette, die machen Ihnen alles, was Sie wollen.“

„Und was wollen Sie?“, fragte sie mit einem Seitenblick. „Niemand hat Sie gebeten, diesen Scheck auszustellen. Was ist passiert? Hat dieser Wynne, Wooster oder wie auch immer er heißt, den Sie angestellt haben, nachdem Sie mich abserviert haben, Sie belästigt?“

„Geoffrey Wygant ist ein hervorragender Assistent. Und seit zwanzig Jahren mit seinem Lebenspartner Duke zusammen.“

„Entschuldigen Sie bitte. Das hätte ich nicht sagen sollen. Es ist nur …“

„Der Schock und der niedrige Blutzuckerspiegel.“ Collin fuhr los und bog an der nächsten Ecke scharf rechts ab. „Geoff war einfach nur der erste Bewerber, der besser buchstabieren konnte als ein Grundschüler. Wesentlich beeindruckender ist sein unschlagbares Talent, für jeden Kunden das richtige Restaurant zu finden.“

So viel also zu ihrem Lieblingstagtraum, in dem Collin Masters zugab, dass er einen Fehler gemacht hatte, und sie mit Blumen und dem Schlüssel für einen weißen Porsche bat, wieder seine Assistentin zu sein. Sie musste sich ein bitteres Lachen verbeißen und bekam einen Hustenanfall.

„Das meine ich ganz ernst.“

„Das ist es nicht.“ Sie schnappte nach Luft. „Ich kann einfach nicht mehr gleichzeitig denken und atmen. – Herzlichen Glückwunsch.“ Sie hoffte, dass sich das aufrichtig anhörte. „Ehrlich, ich wünsche Ihnen eine lange und gute Zusammenarbeit.“ Aber jetzt wusste sie genauso wenig wie vorher, warum er sich in ihr jämmerliches Dasein eingemischt hatte.

Als ob er ihre Gedanken lesen könnte, sagte Collin plötzlich: „Okay, damit Sie mir nicht aus dem Auto springen, sage ich lieber, warum ich hier bin. Cassidy ist nach Afghanistan abkommandiert worden.“

„Oh nein!“

Und da hatte sie gedacht, es konnte nicht noch schlimmer kommen. Sie mochte seine Schwester nicht nur, Sabrina wusste auch, wie nahe Collin seiner einzigen Schwester stand.

„Das tut mir ja so leid“, fügte sie eilig hinzu.

„Danke.“

Collin bog auf den Parkplatz des Restaurants ein. Bis sie an einem Tisch in einer ruhigen Ecke neben der Bar saßen, hatten sie keine Gelegenheit, sich weiter zu unterhalten. „Hier schmeckt alles sehr gut. Aber wenn Sie wirklich hungrig sind, empfehle ich das ‚Prime Rib‘-Steak. Das würde sogar aus einem vegetarischen Eichhörnchen einen Fleischfresser machen.“

Sie war versucht, darauf zu bestehen, dass er den Preis für das Abendessen zu ihren Schulden addierte. Aber dann wurde ihr klar, wie kleinlich das aussehen würde. Also nickte sie. „Danke. Das nehme ich.“ Ihr lief bereits das Wasser im Mund zusammen.

Von all der Aufregung fühlte sie sich ziemlich aufgelöst, außerdem waren ihre Hände noch immer staubig. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich mich gerne ein bisschen frisch machen.“

Sabrina verschwand in der Damentoilette. Als sie in den Spiegel über dem Waschbecken sah, schnappte sie nach Luft. In diesem Licht wirkte ihr Anblick noch schlimmer als befürchtet. Schnell zog sie eine Bürste aus ihrer Handtasche und bearbeitete damit ihre schulterlange Mähne, bis das Haar glänzte. Auch wenn es immer noch kraftlos herabhing. Sie wusch sich das Gesicht und erneuerte Mascara und Lipgloss. Der Versuchung, mehr Make-up aufzulegen widerstand sie. Das wäre einfach zu offensichtlich. Außerdem wollte sie ja nur verhindern, dass ihm bei ihrem Anblick der Appetit verging. Mehr nicht.

„Also, wie wird Cassie damit fertig?“, fragte sie, als sie sich wieder an den Tisch setzte.

Collin hatte schon seinen halben Whisky getrunken. „Die ist nicht kleinzukriegen. Sie wissen doch, Cassie ist einfach verrückt nach dem Fliegen. Das ist eben der Preis dafür.“

„Aber ihre Babys …“

„Ist ja jetzt ein paar Monate her, seit Sie Bilder gesehen haben.“ Er griff nach seiner Brieftasche und klappte sie auf. Ein Foto zeigte die beiden Mädchen in Miniaturausführungen der Pilotenuniform ihrer Mommy. Sie standen in der Türöffnung des Helikopters ihrer Mutter, umringt von lächelnden Crewmitgliedern.

„Oh, wie süß! Die beiden sehen ihr immer ähnlicher.“

„Also, Gena ist so begeistert von ihren Locken, dass sie schreit wie am Spieß, wenn ihr jemand mit einer Schere zu nahe kommt. Insofern ist diese Ähnlichkeit für Cassie vielleicht mehr ein Fluch als ein Segen. Was Addie angeht, hat Cassie gedroht, ihr einen Irokesenschnitt zu verpassen, wenn die Kleine weiter darauf besteht, dass ihre Haare abgeschnitten werden.“

Sabrina lächelte und nahm einen Schluck Wein. „Wem vertraut Cassidy denn ihre Kinder an, wenn sie weg ist? Das muss die schwerste Entscheidung ihres Lebens sein.“

„Allerdings.“ Immer wieder drehte Collin sein Glas in der Hand hin und her. „Ich bin froh, dass Sie da meiner Meinung sind.“

„Wie bitte?“ Die Art und Weise, wie er sich ganz auf seinen Drink konzentrierte und gleichzeitig nervös damit herumspielte, brachte Sabrina auf die richtige Spur. Ihr Magen machte einen Salto. „Doch nicht etwa Sie!“

„Wie schmeichelhaft. Wen hatten Sie denn erwartet?“

Sie wusste natürlich, dass es keine anderen Verwandten mehr gab. Aber es musste doch andere Möglichkeiten geben. „Haben Sie nicht mal am Telefon zu einem Kunden gesagt, dass für Sie ein perfekter Sonntag darin besteht, bis mittags zu schlafen? Mit einer Freundin in Ihrem Bett?“

Collin fuhr fort, sein Glas wie einen Handschmeichler zu bearbeiten. „Natürlich muss es ein paar Veränderungen geben. So leidenschaftlich, wie Sie in dieser Angelegenheit sind, werden Sie Cassidys Idee sicher gutheißen.“

„Das wette ich.“

Collin stieß ein freudloses Lachen aus. „Cassidy hat Sie empfohlen.“

„Wie bitte?“

„Cass verlangt, dass ich Sie anstelle, damit Sie mir helfen. Und dass Sie solange bei mir wohnen.“

Hätte sie gerade ihr Weinglas in der Hand gehabt, wäre es mit Sicherheit auf dem Boden gelandet. „Das tut sie nicht.“

„Sie war vom ersten Tag an von Ihnen begeistert. Das müssen Sie doch gemerkt haben.“

„Sie war nett zu mir, und das wusste ich zu schätzen. Sie wären überrascht, wie viele Ihrer hochnäsigen Kunden nicht in der Lage sind, zu jemandem höflich zu sein, den sie für weniger wichtig halten als sich selbst.“

„Warum haben Sie mir das nicht gesagt?“, fragte Collin stirnrunzelnd.

„Ich hatte den Eindruck, dass Ihre Kunden Ihnen wertvoller sind als Ihre Mitarbeiter.“

Collin räusperte sich. „Cassie ist der Ansicht, dass Sie außerordentlich vernünftig und zuverlässig sind. Im Nachhinein kann ich da nicht widersprechen.“

Was hatte ihm an ihr nicht gepasst? War sie ihm für seine zynische Weltsicht zu fröhlich und zu optimistisch? Aber weil er sie gerade heldenhaft aus größter Not gerettet hatte, verbiss sie sich eine entsprechende Bemerkung.

„Bitte danken Sie Cassidy von mir.“ Sabrina strich Butter auf ein Stück Brot. „Sagen Sie ihr, dass ich an sie denken und für sie beten werde. Aber dieses Angebot kann ich auf keinen Fall annehmen.“

„Das können Sie schon. Sie wollen nur nicht.“

Sie fixierte ihn mit ihrem Blick. „Nein, ich kann nicht.“ Aber als sie die Angst in seinen Augen sah, schaffte sie es nicht, ihre entschiedene Haltung aufrechtzuerhalten. „Wann geht der Einsatz los?“

„Spätestens Thanksgiving, vielleicht auch früher. Ich nehme nicht an, dass Sie bereit wären, nach dem Essen mit mir einkaufen zu gehen? Stockbetten und mädchenhaftes Bettzeug und Handtücher und so was. Damit das zweite Gästezimmer nicht mehr so leer wirkt?“

„Ich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich da eine große Hilfe wäre.“

„Erinnern Sie sich noch, wie ich Sie angerufen habe, als Addison sich so vernachlässigt gefühlt hat, weil ihre Mutter auf einem Nachtflug war und sich verspätet hatte? Sie haben Addie davon überzeugt, dass ein Sturm den ganzen Süden lahmgelegt hat. Nicht mal der Weihnachtsmann wäre pünktlich gewesen. Ehrlich, da hätte ich Sie gleich in unser Traineeprogramm stecken sollen.“

„Warum haben Sie das dann nicht getan? Die nötigen Qualifikationen habe ich.“

„Weil … Ich kann mich nicht erinnern.“

„Lügner.“

Collin griff wieder nach seinem Glas. Als er merkte, dass es leer war, seufzte er. „Ja, das bin ich. Wissen Sie was? Ich verspreche Ihnen, alles zu klären, sobald Cass wieder da ist.“

Sabrina nahm noch einen Schluck Wein. Aber dann beschloss sie, das Glas lieber nicht auszutrinken. Sein Angebot auch nur in Betracht zu ziehen war der Beweis dafür, dass ihr der Alkohol zu Kopf gestiegen war.

„Was Sie bei Mrs. Finch für mich getan haben“, setzte sie an, „war wirklich nett und großzügig. Aber Sie können nicht alle meine Träume zerstören und dann erwarten, dass ich darüber hinwegsehe, sobald Sie mal in Schwierigkeiten stecken.“

„Das sollten Sie auch nicht. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um über Ihre Gehaltsvorstellungen zu sprechen.“

Er nannte eine Summe und verstärkte damit Sabrinas Gewissenskonflikt immer mehr. Sein Angebot würde es ihr ermöglichen, ihre Schulden bei ihm in nur ein paar Wochen zurückzuzahlen. Und bis seine Schwester zurückkam, könnte sie genug Geld für eine neue Wohnung sparen.

„Was habe ich noch nicht gesagt, das Sie umstimmen könnte?“, fragte Collin, als sie stumm blieb.

In diesem Augenblick servierte die aufmerksame Bedienung Collin noch einen Drink, und Sabrina wartete, bis sie wieder weg war. Dann nahm sie ihren ganzen Mut zusammen, um ihm zu sagen, was sie dachte. „Schön“, fing sie an. „Wenn ich diesen Job annehmen soll, dann möchte ich die Wahrheit wissen, warum ich meine Stellung verloren habe. Nicht später. Jetzt sofort.“

Collin ließ sich gegen die Rückenlehne sinken. „Ich sehe einen totalen Reinfall in meiner nahen Zukunft – und wahrscheinlich einen Ausflug zur Notaufnahme.“

„Ich bin noch nie in meinem Leben gewalttätig geworden.“

„Glauben Sie mir, es gibt immer ein erstes Mal.“

Dann war es also noch schlimmer, als sie gedacht hatte? Was in aller Welt konnte sie nur getan haben?

Er vermied es, sie anzusehen. „Sie müssen mir aber versprechen, dass Sie nicht zum Anwalt gehen. Oder Ihre Entscheidung davon abhängig machen, was ich sage.“

„Haben Sie den Verstand verloren?“

„Die Mädchen brauchen Sie wirklich. Darum verspreche ich auch hoch und heilig, die ganze Zeit der perfekte Gentleman zu sein.“

„Wenn Sie denken, dass ich nicht in der Lage bin, mich zu benehmen, nur weil ich zehn Jahre jünger bin als Sie …“

„Okay, jetzt habe ich mich auch noch lächerlich gemacht. Ich hätte aufgeben sollen, solange ich noch konnte.“

„Also, wenn ich das Angebot annehme, garantieren Sie mir ein professionelles Arbeitsverhältnis“, sagte sie und faltete sittsam die Hände.

Bei diesen Worten hörte Collin nicht auf, den Kopf zu schütteln.

„Was ist Ihr Problem?“, fuhr sie ihn an.

„Die Wahrheit ist … Der einzige Grund für das, was ich getan habe … war, dass Sie … also, Sie haben mich zu sehr in Versuchung geführt!“

Sabrina traute ihren Ohren nicht. „Was haben Sie gerade gesagt?“

„Das einmal laut auszusprechen sollte eigentlich Strafe genug sein.“

„Aber Sie haben mir das Leben zur Hölle gemacht und alle meine Chancen auf eine Karriere ruiniert, indem Sie mich in ein Kellerloch gesteckt haben! Wo ich kündigen musste. Was Sie genau gewusst haben.“

„Ich bekenne mich schuldig.“

Anstatt ihn mit den Schimpfworten zu bedenken, die ihr durch den Kopf schossen, ergriff Sabrina ihre Handtasche und rutschte von der Bank.

„Warten Sie! Versprochen ist versprochen.“

„Keine Sorge, ich schlage Ihnen meine Handtasche nicht um die Ohren. Ich wünschte nur, ich hätte schon früher gewusst, was für ein widerlicher Wurm Sie sind.“

„Vielleicht bin ich ein Feigling, was ernsthafte Beziehungen und langfristige Bindungen angeht. Aber ich protestiere gegen die Bezeichnung ‚widerlicher Wurm‘. Sabrina, spielt es denn gar keine Rolle, wie sehr ich mich wegen dieser Sache selbst hasse?“

„Nein. Sie würden jetzt alles sagen, damit Sie sich nicht ganz alleine um die Kinder kümmern müssen.“ Aber gleichzeitig klopfte ihr Herz wie verrückt. Wie eine einsame alte Jungfer konnte sie immer nur an den einen Satz denken: Sie haben mich zu sehr in Versuchung geführt.

Was war nur los mit ihr? Auf sein sogenanntes Charisma war sie nicht hereingefallen. Sie wusste ja genau, was für ein unverbesserlicher Frauenheld er war. Außerdem brauchte sie keinen Mann, um ein erfülltes Leben zu haben.

Sie reckte das Kinn und sah ihm geradewegs in die Augen. „Wenn Sie ehrlich zu mir gewesen wären, dann hätten wir uns beide eine Menge Erniedrigung und Peinlichkeit ersparen können. Ich habe mich entschieden: Ich nehme den Job an – nicht nur um Cassidy und ihren Kindern zu helfen, sondern um eines klarzustellen: Mir fällt es nämlich ausgesprochen leicht Ihnen zu widerstehen.“

2. KAPITEL

„Für Stockbetten sind sie noch zu klein.“ Collin lief voraus, um Sabrina die Tür zum Möbelgeschäft aufzuhalten.

„Sie kennen die Kinder meiner Schwester nicht“, sagte er nachdrücklich. „Die sind drei und haben fast schon ihren Doktor in der Tasche.“

„Im Alter von drei Jahren sind ihre Knochen noch weich. Viele Kinder in dem Alter schlafen unruhig. Ein Sturz aus einem Stockbett wäre gefährlich.“

„Warum hat Cassie mir nichts darüber gesagt? Glaube ich zumindest.“ Collin rieb sich die Stirn. Zweifel regten sich. Er konnte sich beim besten Willen an nichts erinnern, was sie im Hinblick auf die Kinder besprochen hatten. Abgesehen von der Tatsache, dass Cassie vier Monate lang weg sein würde.

„Sie hat jetzt bestimmt unglaublich viel um die Ohren“, meinte Sabrina. Dann schaute sie an ihm vorbei in den Laden und verzog das Gesicht. „Ich bin überhaupt nicht passend angezogen. Und vorbereitet bin ich auch nicht.“

„Sie sehen toll aus. Außerdem ist das egal.“ Als sie hineinging, folgte Collin ihr auf den Fersen und flüsterte ihr ins Ohr: „Was für Erfahrung haben Sie eigentlich mit Kindern, Sie Stockbettexpertin?“

„Als ich vier war, bin ich aus meinem ganz normalen, niedrigen Kinderbett gefallen und habe beinahe mein Auge verloren, als ich mit dem Gesicht auf die Kante von meinem Nachttisch gefallen bin.“ Sabrina deutete auf die Narbe unter ihrem rechten Auge. „Sehen Sie?“

Collin musterte ihr Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem perfekten Teint. „Was soll ich sehen? Sie sind makellos.“

„Ach, Blödsinn. Heute trage ich doch nicht mal Make-up, weil ich gewusst habe, dass ich bei der Arbeit ganz staubig werde.“

Ihre gereizte Reaktion amüsierte ihn. „War mir ein Vergnügen.“

Seufzend ging Sabrina an ihm vorbei. „Danke für das Kompliment – und fürs Türaufhalten.“

Sie hatte weniger Selbstbewusstsein, als er in Erinnerung hatte. „Sie sind aus dem Bett gefallen? Dann waren Sie also schon immer so ein Wirbelwind?“

„Ich habe drei ältere Brüder. Wenn ich mitmachen wollte, musste ich schnell sein.“

Brüder, dachte Collin. Älter. Und was ihre kleine Schwester anging, hatten sie wahrscheinlich alle drei einen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Ein Grund mehr, seine Fantasie im Zaum zu halten – und die Hände ruhig.

„Ich wette, da mussten Sie sich nicht sehr anstrengen. Aber zurück zum Bettenproblem … gibt es nicht welche, die man einzeln aufstellen kann, solange die Kinder klein sind, und dann aufeinander montieren kann, wenn sie größer werden?“

„Vermutlich können Sie das die Dame da fragen“, sagte Sabrina und warf der Frau einen Blick zu, die gerade auf sie zukam. „Ich wünschte, Sie hätten mir erlaubt, im Auto zu warten.“

„Süße, du siehst toll aus“, erklärte Collin lautstark. „Ah, da kommt die Kavallerie.“ Er strahlte die Verkäuferin an.

„Guten Abend. Mein Name ist Brenda. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Wir brauchen Kinderzimmermöbel für Zwillingsmädchen.“

Wie er gehofft hatte, drehte sich die Frau zu Sabrina um und betrachtete ihren Bauch. „Wie schön für Sie. Herzlichen Glückwunsch!“

Als er spürte, dass Sabrina drauf und dran war, die Sache richtigzustellen, nahm er schnell ihre Hand und drückte sie. „Vielen Dank. Äh … wir haben für die erste Zeit schon jede Menge Sachen. Deshalb denken wir schon jetzt an das Kleinkindalter. Haben Sie vielleicht weiße Stockbetten, die man einzeln aufstellen kann, bis die Mädchen alt genug sind, um mit der Höhe klarzukommen?“

„Aber natürlich. Ich zeige Ihnen mal welche. Und wie umsichtig von Ihnen, schon die Sicherheit Ihrer Kinder zu berücksichtigen. Sie wären überrascht, wie viele junge Eltern in ihrer Begeisterung daran überhaupt nicht denken.“

„Ist er nicht fantastisch?“ Sabrina schenkte ihm ein betörendes Lächeln. Gleichzeitig bog sie seinen kleinen Finger um, bis er sie loslassen musste.

„Nie würde ich vergessen, wie stark du bist.“

„Wie bitte?“, fragte die Verkäuferin.

Collin räusperte sich. „Ich habe nur Sabrina gesagt, dass sie beim Möbelverschieben vorsichtig sein soll.“

Die Verkäuferin nickte zustimmend. „Sie sind erstaunlich schlank für eine Zwillingsschwangerschaft. Darf ich fragen, in welchem Monat Sie sind?“

„Wenn ich heute Abend kein Dessert gegessen hätte, könnte man gar nichts von der Schwangerschaft sehen“, antwortete Sabrina mit zusammengebissenen Zähnen. „Liebster Collin, jetzt übertreib mal nicht so und lass uns das hinter uns bringen. Sonst warte ich lieber im Wagen. Nur für den Fall, dass mir übel wird.“

Trotz der besorgten Miene der Verkäuferin blieb er gelassen und lachte. „Jetzt mach der armen Frau keine Angst, Liebling.“

Sabrina packte ihn am Ärmel und hielt ihn fest, bis er ihr hochrotes Gesicht und ihre blitzenden Augen ansah. So kurz vor einem Wutausbruch hatte er sie noch nie erlebt – oder so aufreizend.

„Sag noch ein einziges Mal ‚Liebling‘ zu mir und ich übergebe mich wirklich“, zischte sie ihn an.

„Ganz wie du willst … meine Liebste.“

Fünfundvierzig Minuten später verließen sie endlich den Laden. Collin hatte ein geradezu diebisches Vergnügen daran gehabt, es so aussehen zu lassen, als ob die Möbel für ihre Kinder wären. Sie hatte ein paarmal die Chance gehabt, das Ganze richtig zu stellen und Collin zum Narren zu machen, aber sie hatte es gelassen.

Und jetzt bin ich die Dumme, dachte sie, als sie zitternd mit ihm zu seinem Mercedes ging. Nachts kühlte es schon sehr stark ab.

„Tut mir leid, ich gebe dir meine Jacke“, sagte Collin und fing an, das Jackett auszuziehen.

Aber dann hätte er nur noch sein Hemd an. Egal wie sauer sie auf ihn war, das konnte sie ihm auch nicht antun. „Danke, aber wenn du die Heizung aufdrehst, reicht mir das.“ Außerdem würde sie es nicht aushalten, die ganze Fahrt über von seinem maskulinen Duft umgeben zu sein.

„Wie du willst. Aber wir fahren zum nächsten Einkaufszentrum und besorgen dir wärmere Sachen.“

Sabrina stöhnte innerlich bei dem Gedanken an einen weiteren Zwischenstopp. „Das weiß ich wirklich zu schätzen. Aber wenn du mir einen Vorschuss gibst, mache ich das morgen nach der Arbeit.“

„Das geht nicht. Morgen werden die Betten und die Kommoden geliefert. Und du musst telefonieren, um die Bank und die Behörden über den möglichen Identitätsdiebstahl zu informieren.“

Sabrina blieb wie angewurzelt stehen. Wie ein Tornado brach die ganze Katastrophe wieder über sie herein.

„Was ist?“, fragte Collin, der ihr nicht von der Seite wich. „Ich will doch nur helfen. Du bist doch sonst so pragmatisch.“

„Helfen? Wohl eher weiter vor Verkäufern zum Narren machen!“

Seine Lippen zuckten, als er antwortete. „Also, deine Stimmungsschwankungen legen jedenfalls den Verdacht einer Schwangerschaft nahe.“

Sabrina legte den Kopf in den Nacken und stieß einen wilden Schrei aus.

„Na gut.“ Beschämt sah sich Collin um. „Wir fahren nach Hause. Ich bin sicher, ich habe noch irgendwo einen Schlafanzug, den ich dir anbieten kann. Ansonsten, wie wäre es mit einem Flanellhemd, das alle Cheerleader der Dallas Cowboys unterschrieben haben?“

Sabrina riss ihm so heftig die Beifahrertür aus der Hand, dass er beinahe die Balance verlor. Sie stieg ein und knallte die Türe hinter sich zu.

Als Collin sich auf den Fahrersitz setzte, gab sie sich geschlagen. „Danke für das Angebot. Jetzt wo ich noch mal darüber nachdenke, wäre es vielleicht doch besser, heute Abend ein paar Sachen zu kaufen. Denn ich muss morgen wirklich zur Arbeit. Wenigstens um meine Kündigung zu regeln.“

„Das geht doch nicht. Ich habe dir ja gesagt …“

„Ich weiß Bescheid wegen der Möbel und der Anrufe, okay? Es gibt da bloß dieses klitzekleine technische Problem, dass ich immer noch einen Vorgesetzten habe.“

„Der dich wie ein Sklaventreiber geschunden hat.“

Sabrina bedauerte es beinahe, dass sie ihm ihre Arbeitsbedingungen beim Essen geschildert hatte. „Das ist doch egal. Wenn ich ein Empfehlungsschreiben will, muss ich die zweiwöchige Kündigungsfrist einhalten.“

„Ich stelle dir ein Empfehlungsschreiben aus – als meine persönliche Assistentin. Dann bist du auf die Typen nicht angewiesen.“

„Das ist unethisch.“

„Darf ich dir mal was sagen? Wenn die dich feuern würden, würden sie sich keine Sekunde den Kopf darüber zerbrechen, dich ohne Vorwarnung vor die Tür zu setzen. Dafür ist die Abfindung da.“

Da hatte er wahrscheinlich recht, aber so war sie nicht erzogen worden. Und sie wollte nicht, dass die Welt so funktionierte. „Ich denke drüber nach“, erklärte sie Collin.

Sabrina kam mit leeren Händen zum Auto zurück. Der Blick, den sie ihm durchs Fenster der Beifahrertür zuwarf, warnte ihn, kein Wort zu sagen. Er beugte sich hinüber und öffnete die Tür.

„Kannst du bitte reinkommen?“, fragte sie und hörte sich dabei noch abgekämpfter an als vorher.

„Was ist denn jetzt los? Sag nicht, dass die meine Kreditkarte nicht akzeptiert haben. Die kann nicht gesperrt sein. Ich benutze das Ding fast nie.“

„Danke. Darum denken die also, dass ich die Karte gestohlen habe. Entweder kommst du mit und versicherst, dass ich das nicht getan habe, oder ich schlafe heute Nacht in einer Zelle.“

Als sie mit dem Daumen über ihre Schulter deutete, bemerkte er den Wachmann, der sie begleitet hatte und sie jetzt beobachtete.

„Lieber Himmel.“ Eilends stieg Collin aus und ging zu dem Mann vom Sicherheitsdienst, um diesem zu versichern, das alles seine Ordnung hatte.

Wenigstens musste Sabrina diese Erniedrigung diesmal nur ungefähr fünfzehn Minuten lang ertragen. Aber das war mehr als genug. „Können wir jetzt bitte einfach nur irgendwohin fahren, wo ich schlafen kann?“

Collin fuhr zum Hochhaus. Unterwegs sprachen sie kaum ein Wort miteinander, weil Sabrina Angst hatte, beim nächsten Satz einen völligen Nervenzusammenbruch zu bekommen. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen? Womit hatte sie das alles verdient?

Als er sie in die Lobby begleitete, begrüßte sie der Wachmann vom Sicherheitsdienst.

„Guten Abend, Mr. Masters.“ Als er Sabrina bemerkte, huschte sein Blick zu Collin. „Sir? Ist alles in Ordnung?“

Ganz förmlich verkündete Collin: „Das ist Sabrina Sinclair, das Kindermädchen meiner Nichten. Sabrina, das ist Sonny Birdsong, der beste Wachmann der Stadt.“

Mit stolzgeschwellter Brust nickte Sonny. „Herzlich willkommen, Ma’am. Wenn ich irgendwie helfen kann, solange Sie sich um die Kleinen kümmern, sagen Sie Bescheid.“

„Das ist sehr nett von Ihnen, Sonny. Ich werde Ihre Ortskenntnis auf jeden Fall brauchen, was die Parks und so weiter hier im Viertel angeht – ach ja, gibt es den Bauernmarkt noch?“

„Mehrere Leute hier im Haus kaufen da täglich ein.“

„Wunderbar. Übrigens erwarten wir morgen eine Möbellieferung.“

„Sobald die Lieferung da ist, sage ich Ihnen Bescheid“, antwortete der dunkelhaarige Wachmann.

„Vielen Dank.“

Sonny wurde rot. „Jederzeit, Miss. Schönen Abend noch. Gute Nacht, Mr. Masters.“

Collin winkte. Dann wartete er, bis die Aufzugtüren sich geschlossen hatten. „Ich habe mich schon gefragt, wie lange es dauert, bis er dir aus der Hand frisst. Es dauert wahrscheinlich keine Woche, bis dir das ganze Haus zu Füßen liegt.“

„Wenn es deine Nichten und deine Schwester nicht gäbe, würde ich dir empfehlen, dich im Trinity River zu ertränken.“

Collin tat schockiert. „Was für eine Feindseligkeit! Die meisten Frauen würden sich über so ein Kompliment freuen.“

„Vielleicht habe ich das nicht als Kompliment aufgefasst. Ich habe vielleicht nicht sehr lange für dich gearbeitet, aber du bist ziemlich leicht zu durchschauen, Boss.

„Alle Männer sind das“, antwortete Collin mit einem Seufzer. „Wir brauchen Medaillen und Sporttrikots und Werkzeuggürtel, um für Frauen auch nur ansatzweise interessant zu sein. Sonny weiß ja gar nicht, wie gut er es hat. Er hat eine Uniform und eine Waffe. Und bevor du dir von ihm den Kopf verdrehen lässt, muss ich dir leider sagen, dass meine Haushaltshilfe Graziella ihn für ihre älteste Tochter Isabella im Auge hat.“

Ungläubig starrte Sabrina ihn an. „Ist für dich wirklich alles nur deine ganz persönliche Comedyshow?“ Sabrina war wild entschlossen, nicht zu weinen. Aber dieser Tag hatte ihr wirklich den Rest gegeben. Tränen stiegen ihr in die Augen, bevor Sabrina sie wegblinzeln konnte.

„Warte mal. Hier wird nicht geweint. Das steht in deinem Arbeitsvertrag.“ Als er sich hastig bewegte, schaute sie auf. Er kramte in seinen Taschen herum.

„Hör doch bitte auf“, fuhr er fort und wirkte immer angespannter. „Ich habe nicht mal ein Taschentuch dabei. Hilft es was, wenn ich alle Komplimente und alle Scherze zurücknehme? Ich kann auch in vier Sprachen ‚Tut mir leid‘ sagen.“

Trotz allem musste Sabrina lächeln. „Ich hatte ganz vergessen, dass du nicht nur ein bisschen, sondern total verrückt bist.“

Collin zuckte die Achseln. Seine Miene deutete an, dass er das nicht für ein Problem hielt. „Ich habe nur versucht, dich bei Laune zu halten.“ Sanfter fragte er: „Kommst du klar?“ Er streckte die Hand aus, als ob er ihr das Haar aus dem Gesicht streichen wollte, doch dann ließ er plötzlich den Arm sinken.

In diesem Augenblick erreichte der Aufzug Collins Stockwerk.

Als sie die weitläufige Wohnung betraten, schloss Collin hinter ihnen die Tür ab. Dann folgte er Sabrina. „Mi casa, tu casa.“ Er machte einen Schritt nach vorne und deutete mit einem Kopfnicken Richtung Küche. „Graziella ist mit der Mikrowelle hochzufrieden. Aber ich habe keine Ahnung, ob der Ofen schon jemals benutzt worden ist. Was den Kühlschrank angeht … also, momentan ist da hauptsächlich Wein drin. Statt zu kochen, gehe ich meistens essen – oder ich nehme mir etwas mit.“

„Soll das so weitergehen?“

„Dass meine Wenigkeit etwas zu essen bekommt? Das hoffe ich doch.“

Sabrina warf ihm von der Seite her einen Blick zu. Es war einfach nicht fair, dass sein britischer Akzent ihn so ernsthaft wirken ließ, sogar wenn er mit Absicht absoluten Blödsinn von sich gab. „Du solltest vielleicht mit den Mädchen zusammen essen, meine ich. Du weißt schon, damit ein geregelter Familienalltag eintritt, ein fester Tagesablauf.“

Collin zog ehrlich erstaunt die Augenbrauen hoch. „Darüber habe ich noch nicht wirklich nachgedacht. Siehst du? Du bist bereits unersetzlich. Also, vermutlich könnte ich Graziella bitten, uns was zu machen. Obwohl sie ja selbst acht Kinder hat.“

„Dann hat sie mehr als genug zu tun. Ich übernehme das Kochen.“

„Du kannst kochen?“

„Jawohl. Mit mir hast du ein echtes Schnäppchen gemacht. Ich kann auch noch backen, häkeln … und ein Hühnchen oder eine Ente kann ich auch für dich schlachten, wenn du Lust auf frisches Geflügel hast.“

Collin führte sie ins Wohnzimmer und deutet auf die Glastüren, die zum Balkon führten. „Auf dem Geländer sitzen manchmal Tauben. Die will ich nicht auf dem Teller wiedersehen. Manchmal unterhalten wir uns nämlich.“

„Warum überrascht mich das nicht?“ Sabrina biss sich auf die Lippen, als sie am Sofatisch aus Glas und Metall vorbeiging. „Scharfe Kanten und so viel Glas“, murmelte sie. Der Balkon machte ihr jedoch am meisten Sorgen. „Rennen kann man hier nicht. Und die Balkontüren bleiben geschlossenen, solange es draußen nicht kindersicher ist.“

Am anderen Ende des Apartments angelangt, erkannte sie, dass ihr Zimmer neben dem Kinderzimmer und gegenüber des zweiten Badezimmers war.

Collins Schlafzimmer war auf der anderen Seite der Wohnung. Sie bat nicht darum, es zu sehen. Und er bot ihr keine Besichtigung an. Alles in allem hatte das Apartment bestimmt eine Wohnfläche von mehr als zweihundert Quadratmetern. Angesichts der Raumaufteilung war sie erleichtert.

Sie stellte ihre Einkäufe auf dem weichen cremefarbenen Teppich neben dem riesengroßen Doppelbett ab.

„Bettzeug ist in der Kammer neben meinem Zimmer“, erklärte Collin. „Ich hole dir gleich noch eine Bettdecke und Kissen. Behalte einfach meine Kreditkarte und kauf alles, was du für dein Zimmer und das Mädchenzimmer brauchst.“

„Danke“, sagte Sabrina, aber er war schon verschwunden.

Sabrina hatte angefangen, die Etiketten von ihren Einkäufen zu entfernen, und war dabei, ihre Sachen ordentlich zusammengelegt im Schrank zu verstauen, als Collin zurückkam. Inzwischen hatte er sein Jackett und seine Krawatte ausgezogen. Sie merkte, wie einige Kleidungsstücke aus Spitze und Seide seinen Blick wie magisch anzogen. Er schleuderte Laken und Bettzeug beinahe aufs Gästebett, bevor er eilig rückwärts aus dem Zimmer stolperte.

„Die Laken sind ägyptische Baumwolle. Du kennst mich doch, für den wichtigsten Menschen in meinem Leben – nämlich mich – ist mir nichts gut genug.“

„Ein Glück für mich, dass du so auf Luxus stehst“, antwortete sie lächelnd. „Ich werde schlafen wie ein Baby.“

„Gut.“ Erneut glitt sein Blick zu ihrer Unterwäsche, und er schüttelte den Kopf. „Also, dann lasse ich dich jetzt besser in Ruhe. Ach ja …“ Er zog etwas aus der Hemdtasche. „Dein Hausschlüssel.“

Sabrina betrachtete den bronzefarbenen Schlüssel in ihrer Hand. „Ich möchte dir noch sagen, dass ich dein Vertrauen sehr zu schätzen weiß. Ich werde dich bestimmt nicht enttäuschen.“

„Seit ich dich kenne, weiß ich, dass ich dir vertrauen kann.“ Ihre Blicke begegneten sich. Dann blinzelte er und presste die Handflächen zusammen. Er deutete mit einem Kopfnicken auf seine Seite der Wohnung. „Wenn du alles hast, was du brauchst, lasse ich dich jetzt allein.“

„Alles bestens. Noch mal vielen Dank.“

„Süße Träume“, murmelte er.

Am nächsten Morgen stellte Sabrina dankbar fest, dass Collin schon früh zur Arbeit gegangen war. Als Erstes rief sie Stanley Norbit an und teilte ihm mit, dass sie fristlos kündigte. Zwar hatte sie immer noch ein schlechtes Gewissen, so plötzlich aufzuhören, aber sie musste zugeben, dass Collin recht hatte; unter anderen Umständen würde man ihr auch keine Frist oder Übergangszeit zubilligen.

Dann machte Sabrina noch ein paar Anrufe wegen des Identitätsdiebstahls, bevor sie sich die Liste mit Telefonnummern vornahm, die Collin auf dem Küchentisch für sie hingelegt hatte. Nachdem sie sich noch eine Tasse Kaffee eingeschenkt hatte, nahm sie das schnurlose Telefon von der Theke und wählte Cassidys Nummer.

„Sabrina!“, rief Collins Schwester erfreut. „Also, ich weiß es ehrlich zu schätzen, dass du dich so schnell bei mir meldest. Dann hast du den Job angenommen?“

Sabrina wollte schon zugeben, dass sie keine Alternative hatte. Aber sie hatte ja Cassidy Masters am Apparat, die daran glaubte, dass man immer eine Wahl hat. „Ja, habe ich. Nur bin ich nicht sicher, ob ich dafür qualifiziert bin, auch nur zeitweise in deine Fußstapfen zu treten. Bist du sicher, dass du mich für diesen Job willst? Das ist eine enorme Verantwortung.“

„Genau darum habe ich Collin gesagt, dass er dich auftreiben soll. Hat er dir das nicht erzählt?“

Sabrina presste die Hand gegen ihre Brust. „Das ist so lieb von dir.“

„Und du wirst das toll machen. Ich habe nur Angst, ob meine Kinder überhaupt noch nach Hause kommen wollen, wenn ich wieder da bin.“

„Und ich habe Angst, dass ich sie nicht dazu bringen kann, mit dem Weinen aufzuhören, weil sie dich so furchtbar vermissen.“

„Sabrina, sie werden weinen“, sagte Cassie mit einem Seufzer. „Und sich daneben benehmen. Und versuchen, dich auszutricksen. Aber wenn es jemanden gibt, der damit fertig wird, dann bist du das.“

Sabrina konnte nur hoffen, dass Cassie recht hatte. Dann fing sie an, Fragen zu stellen. „Du musst mir den Tagesablauf der Mädchen erklären, ihre Vorlieben und Abneigungen, und auf jeden Fall musst du mir alle medizinischen Informationen geben. Ach ja, und können sie dich manchmal anrufen? Ich weiß von anderen Leuten mit Familienmitgliedern in Krisengebieten, dass E-Mails fast immer möglich sind. Aber die Mädchen sind ja noch so klein, dass das kaum reichen wird.“

„Klar, E-Mails und Telefon geht immer. Das ist nicht die Art von Krieg, in dem unsere Väter und Großväter gekämpft haben“, fügte sie trocken hinzu. „Aber hör mal, ich möchte, dass du mit Collin so bald wie möglich herkommst. Dann können wir alles besprechen, und ihr könnt schon einen Teil ihrer Sachen mitnehmen. Das ist die perfekte Gelegenheit, damit ihr euch alle besser kennenlernt.“

„Ich weiß nicht, wie begeistert Collin davon sein wird.“

„Wenn er sich beschwert, lügt er, dass sich die Balken biegen.“

Hatte Collin etwa seiner Schwester erzählt, dass er sich von Sabrina angezogen fühlte?

„Du bist auf einmal so still“, sagte Cass. „Hat er dir gegenüber etwa so getan, als wäre er völlig unsensibel und ungehobelt?“

„Wenn jemand unhöflich war, dann ich. Ich war immer noch wütend auf ihn, weil er mich dazu gebracht hat zu kündigen.“

„Ich auch, das kannst du mir glauben.“

„Oh nein“, entfuhr es Sabrina. „Er hat dir gesagt, warum er mich versetzt hat?“

„Das musste er gar nicht. Sei dankbar, dass er so viel Respekt für dich hat und du unantastbar für ihn warst. Sonst hätte er ein Verhältnis mit dir angefangen. Und dann hätte er sich dazu verpflichtet gefühlt, dir schönen Schmuck zu schenken und dir einen besseren Job zu verschaffen.“

„Also, ich hatte schon damals kein Interesse an einer Affäre mit ihm. Und jetzt auf gar keinen Fall.“

Cassidy seufzte. „Nein, du bist die Sorte Frau, die Männer heiraten. Und dank unserer Eltern ist Collin dagegen regelrecht allergisch.“

„Das geht mich wirklich nichts an, aber ich hoffe, wenn er eine Affäre hat, bringt er die Frau nicht hierher – wegen der Mädchen, meine ich.“

Cass lachte. „Natürlich. Wegen der Mädchen.“

Weil ihr das Ganze peinlich war, stand Sabrina auf. „Jetzt lege ich besser auf. Die Möbel sollen gleich geliefert werden.“

„Du bist so gut organisiert. Ich melde mich wieder, sobald mein Terminplan feststeht.“

Collin war überrascht, wie sehr er sich an diesem Abend darauf freute, nach Hause zu kommen. Kein gutes Zeichen, stellte er fest. Trotzdem konnte er seine gute Laune kaum verbergen.

Eine Riesenmenge chinesisches Essen in der Hand, machte er sich auf die Suche nach Sabrina. Im Kinderzimmer entdeckte er sie auf einer Stehleiter. Sie war dabei, Chiffon in Orange, Lavendel, Pink und Lindgrün vom Deckenventilator aus in die Ecken des Zimmers zu spannen.

„Lieber Himmel, das soll ein Kinderzimmer werden, kein Harem.“

Mit einem Aufschrei sprang Sabrina von der Leiter, stolperte und wäre rückwärts auf eine Kommode neben der Tür gefallen, wenn Collin sie nicht aufgefangen hätte.

„Du bist früh dran.“ Sie warf einen Blick auf die Uhr und runzelte die Stirn. „Sehr früh sogar. Hast du nicht gesagt, dass du heute Abend etwas vorhast?“

„Gut, dass ich mich entschieden habe, nicht hinzugehen. Sonst hättest du jetzt eine Gehirnerschütterung oder Schlimmeres.“

„Wenn Sonny hier oben Bescheid gegeben hätte, wäre ich nicht gestürzt.“

„Wie bitte, ich soll mich ankündigen lassen, wenn ich in meine eigene Wohnung komme?“ Er wedelte mit dem Zeigefinger vor ihrer vorwitzigen Nase hin und her. „Ich glaube, mir gefällt der Gedanke generell nicht, dass du auf einer Leiter herumkletterst, wenn sonst keiner da ist. Wo hast du die überhaupt her? Mir gehört sie jedenfalls bestimmt nicht.“

„Vom Hausmeister, Mr. Salazar. Ein sehr netter Mann.“ Sabrina deutete auf ihr Kunstwerk. „Gefällt es dir wirklich nicht?“

Sabrina hatte eine fröhliche Tagesdecke in Orange gekauft und eine in Lila. Dazu Sofadecken in Lavendel mit passenden Kissen. Poster von Disney-Filmen schmückten die Wände.

„Wer hat gesagt, dass es mir nicht gefällt? Es ist einfach … anders. Auf jeden Fall bunt.“ Er schaute von einem Poster zum anderen. Als sie wieder die Leiter hochklettern wollte, hielt Collin sie fest. „Hast du heute schon etwas gegessen?“

Sie senkte den Blick. „Klar. Ich habe ein paar Kräcker in der Speisekammer gefunden. Und ich gebe zu, dass ich mich an dem Käse vergangen habe, den du im Kühlschrank hast.“

„Mehr nicht? Also, das reicht jetzt für heute. Ich will nicht, dass du mir noch mal von der Leiter fällst, diesmal vor Hunger.“ Er hielt sie am Ellbogen fest und führte sie den Flur entlang. „Ich habe Abendessen mitgebracht.“

„Zwei Abende hintereinander lädst du mich ein? Das ist wirklich nicht nötig.“

Auf dem Weg ließ er Krawatte und Jackett auf einen der vier Barhocker fallen, dann zog er einen für Sabrina zurück. Als sie sich gesetzt hatte, holte er zwei langstielige Weingläser aus dem Schrank und dann den Wein. „Magst du Shiraz?“

„Also, getrunken habe ich Shiraz schon einmal. Aber ich erinnere mich nicht mehr daran, was das für eine Sorte war.“

„Und asiatisches Essen?“

„Fast alles. Vor allem Thailändisch.“

„Das bringe ich dann nächstes Mal mit. Diesmal gibt es Chinesisch.“

Collin genoss es, mir ihr zusammen zu sein. So wie sie aussah und sich gab, wirkte sie einfach echt, ungekünstelt. Es schadete natürlich auch nichts, dass ihre Augen perfekt zur Farbe ihres blauen Pullis passten. Obwohl das Oberteil für seinen Geschmack zu lang war, weil es Sabrinas süßen Po verdeckte, der besonders in diesen engen Jeans eine echte Augenweide war.

„Also, die Anlieferung der Möbel hat reibungslos geklappt? Bist du zufrieden mit den Sachen?“

„Ja, bin ich. Und die Männer haben sich gefreut, mal in so ein Luxusapartment zu liefern.“

Nach dem ersten Schluck Wein fiel Collin etwas ein. „Was hast du denen als Trinkgeld gegeben?“

Sabrina zuckte die Schultern. „Was ich gerade einstecken hatte.“

Wahrscheinlich hätte sie nie darum gebeten, das Geld ersetzt zu bekommen. „Das tut mir wirklich leid.“ Sofort griff er nach seinem Jackett und zog seine Brieftasche heraus.

„Das ist nicht nötig.“

Er leerte die Brieftasche und legte das Geld auf die Theke. „Haushaltsgeld. Dafür ist dein Gehalt nicht da. Wir können uns dann später noch darüber unterhalten, ob es bequemer für dich ist, Lebensmittel mit Kreditkarte oder in bar zu bezahlen.“

„Danke. Ich lege dir natürlich die Kassenzettel vor.“

„Nicht nötig.“

„Also, dann führe ich ein Haushaltsbuch und lege es in die Küche, damit du es jederzeit kontrollieren kannst.“

Collin nahm noch einen Schluck Wein. Dann stand er auf, um Teller und Besteck zu holen. Die ganze Zeit über war er sich bewusst, dass sie ihn beobachtete. „Was ist denn los?“, fragte er schließlich.

„Ich bin einfach nicht daran gewöhnt, bedient zu werden. Das riecht alles so gut. Ich bin wohl doch hungriger, als ich dachte.“

„Gut so!“ Er zog zwei eingewickelte Sets Besteck hervor. „Stäbchen oder normales Besteck?“

Collin konnte sich das Phänomen nicht erklären, aber aus irgendeinem Grund schmeckten das Essen und der Wein in Sabrinas Gesellschaft viel besser. „Es geht mich zwar nichts an, aber ist alles klar, was deinen anderen Arbeitgeber betrifft?“

„Das geht in Ordnung.“

„Und du hast die nötigen Anrufe wegen deiner Bank und so weiter gemacht?“

„Außerdem habe ich auch noch mit Cassidy gesprochen.“

„Und deiner Familie Bescheid gesagt?“

„Das mache ich noch.“

„Sabrina …“

„Die haben alle meine Handynummer. Wenn es einen Notfall gibt, können sie mich erreichen.“

Collin beschloss, sich zurückzuhalten. Für den Augenblick jedenfalls. Aber er würde sich wesentlich wohler fühlen, wenn ihre Familie – einschließlich ihrer Brüder – über ihren Jobwechsel informiert wäre. „Was hat Cassidy denn gesagt?“

„Das sollte sie dir besser selbst sagen.“

3. KAPITEL

Sabrina hatte Fotos von Cassidy Masters gesehen und die Telefonate mit ihr immer genossen. Aber in Person war Cassidy noch beeindruckender.

„Es ist so schön, dich endlich persönlich kennenzulernen“, sagte sie, als Cass sie umarmte. Neben Cass mit ihren eins fünfundsiebzig fühlte Sabrina sich wie ein Zwerg. Außerdem hatte Cass eine gertenschlanke Figur und intelligente blaue Augen.

„Mir geht’s genauso. Mädels“, damit wandte sie sich an ihre Töchter, „das hier ist Miss Sabrina. Ich habe euch doch von ihr erzählt.“ Sabrina erklärte sie: „Mit Zahlen sind die beiden besser als mit der Aussprache. Kannst du damit leben, wenn sie dich Miss Bina nennen?“

„Das ist jedenfalls besser als Onki Collie“, ließ sich Collin vernehmen.

„Ja, klar. Einfach nur Bina ist in Ordnung.“ Sie ging in die Hocke, um mit den beiden kleinen Mädchen auf Augenhöhe zu sein. „Lasst mich mal überlegen …“ Sie rief sich in Erinnerung, welche von den beiden ihr langes Haar liebte und welche kein Lockenfan war. „Du musst Gena sein“, sagte sie zu dem Kind mit der beeindruckenden Haarpracht. „Und Addison, das ist wirklich ein sehr bunter Pulli.“ Er war leuchtend orange mit einem Muster aus Handabdrücken in allen Farben des Regenbogens.

„Habe ich selber gemacht. Für Halloween. Machst du noch Halloween oder bist du auch schon zu alt, so wie Mommy?“

„Ja, leider bin ich schon zu alt. Aber es macht auch Spaß, Süßigkeiten zu verteilen und Kostüme zu bewundern.“

„Kommt rein und ignoriert bitte die Unordnung“, unterbrach sie Cassie. „Das ganze Training und die Packerei haben dafür gesorgt, dass hier das Chaos herrscht.“

Nicht mal ansatzweise, dachte Sabrina, als sie sich im Haus umsah. Abgesehen von den Koffern der Mädchen, die offen auf dem Couchtisch standen und ein paar Umzugskartons neben der Tür war das Apartment blitzsauber.

„Ich habe gehört, dass du in Collins Wohnung wahre Wunder vollbracht hast“, sagte Cassie, als sie ins Kinderzimmer gingen. „Danke, dass du dir solche Mühe gibst. Ich weiß einfach, dass sie begeistert sein werden.“

„Das hoffe ich. Es hat Spaß gemacht.“

Addison zupfte an ihrer Jeans und fragte: „Wina, hast du kleine Mädchen, mit denen wir spielen können?“

„Leider nicht, Süße. Aber ich freue mich schon darauf, dass ihr mir eure Lieblingsspiele beibringt. Und wir werden schöne Ausflüge machen. In den Park und in den Zoo.“

„Hände waschen.“ Cass deutete in Richtung Badezimmer. „In fünfzehn Minuten gibt es Essen.“

„Du hättest dir wirklich keine Umstände machen sollen“, sagte Collin, als die beiden kleinen Blondinen verschwunden waren. „Ich hätte euch gerne alle zusammen zu etwas Besonderem eingeladen.“

„Glaub mir, es ist etwas Besonderes, den Grill anzuwerfen und sich keine Gedanken zu machen, ob Senf oder Ketchup im Gesicht oder auf den Händen landet. Jetzt kümmer dich mal um die Hamburger und die Hot Dogs, Onki Collie. Ich muss Sabrina noch ein paar langweilige Details erzählen.“

Sobald die Tür hinter ihm zufiel, drehte sich Cassie zu Sabrina um. Ihr Gesichtsausdruck verriet Erschöpfung und Sorge. „Wie war die Fahrt?“

„Besser als erwartet. Bei unserer Vorgeschichte bleibt der eine oder andere schwierige Moment eben nicht aus.“

„Er beobachtet dich gerne, wenn er denkt, dass du es nicht merkst.“

„Ich schätze, er fängt an, in mir so etwas wie eine zweite kleine Schwester zu sehen.“

Cassie tat so, als ob sie husten musste. „Aber klar doch. Genau das ist auch mein Eindruck.“

Mit heißen Wangen schüttelte Sabrina den Kopf. „Du musst dir keine Sorgen machen, dass ich – oder er –, also, dass wir uns vor den Mädchen unangemessen benehmen würden.“

„Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Ehrlich gesagt wünschte ich mir, dass du dem alten Fossil ein bisschen den Kopf verdrehst.“

„Oh nein, fang gar nicht erst damit an.“

Die Mädchen kamen zurück und Cassie wechselte mühelos das Thema, indem sie fragte, wer Milch und wer Wasser trinken wollte.

„Ich bemühe mich, sie von Limo und Cola möglichst fernzuhalten“, erklärte sie. „Später können sie sich bei mir für bessere Zähne und eine gesündere Verdauung bedanken.“ Dann schenkte sie den Kindern die Getränke ein. „Was möchtest du, Sabrina? Ich habe Bier oder Wein, was du lieber magst.“

„Oh, nein danke. Sonst schlafe ich auf der langen Rückfahrt nach Dallas nur ein.“

„Ich nehme ein Glas Wein“, sagte Collin, der gerade mit einem Tablett Grillgut zurückkam.

„Du fährst doch“, ermahnte Cassie ihn sanft.

„Ehrlich gesagt übernachten wir heute in einem Hotel um die Ecke“, erwiderte er im gleichen Tonfall.

Cassie warf einen Blick auf Sabrinas verdutzte Miene. „Es wäre nett gewesen, wenn du ihr das vorher gesagt hättest.“ Sie stellte das Essen auf den Tisch.

Während Collin sich ein Glas Wein einschenkte, musterte Addison ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen und geschürzten Lippen. „Aber Onki Collie“, fing sie an. „Bist du dann Daddy Collie? Wenn wir bei dir wohnen?“

Collin hatte gerade Chardonnay im Mund, der vor lauter Schreck aber nicht mehr lange dort bleiben würde. Verzweifelt griff er nach ein paar Papiertüchern. Cassie und Sabrina wandten sich räuspernd ab.

Als kein Erwachsener ihre Schwester korrigierte, übernahm Gena das. „Er kann nicht unser Daddy sein, Addie. Er ist unser Onki Daddy.“

Als Sabrina und Collin die drei verließen, war es bereits dunkel. Nach dem Lunch schauten sie sich alte Fotoalben an. Später halfen sie Cassie dabei, die beiden Mädchen zu baden. Dann hörten sie dem Abendgebet der Kinder zu und brachten sie ins Bett. Sabrina war ganz erschöpft und erklärte Collin, dass ihr einfach nicht klar war, wie Cassie das alles schaffen und dann noch ihre militärischen Pflichten erfüllen konnte.

„Ich bewundere sie noch mehr als vorher“, meinte Sabrina. Collin manövrierte den Wagen genauso sicher durch die Straßen von San Antonio wie durch Dallas, obwohl an diesem Samstagabend viel los war.

„Schön, dass ihr beide euch so gut versteht“, sagte Collin.

„Danke, aber wer könnte sie nicht mögen? Sie ist klug und witzig und hat so eine tolle Ausstrahlung.“ Sie fügte beinahe hinzu: „So wie ihr Bruder.“ Aber sie wollte nicht, dass er noch eingebildeter wurde, als er es schon war. Seine Nichten beteten ihn ganz offensichtlich an und hatten seinen Besuch in vollen Zügen genossen. Er hatte sie huckepack genommen und ihnen Zaubertricks mit ein paar Münzen vorgeführt, die sie dann behalten durften. Sabrina musterte das nächste Hotel, an dem sie vorbeifuhren. „Wo genau übernachten wir eigentlich?“

„Im Hilton am River Walk. Bitte nicht schimpfen. Schieb es einfach auf mein Bedürfnis nach Behaglichkeit.“

„Würde mir nicht im Traum einfallen. Aber das kann ich mir beim besten Willen nicht leisten“, sagte sie. „Warum setzt du mich nicht bei dem Hotel ab, an dem wir gerade vorbeigefahren sind und holst mich morgen früh wieder ab?“

„Nur über meine Leiche. Für dich habe ich auch ein Zimmer reserviert. Geschäftskosten. Außerdem will ich, dass du mit mir Abendessen gehst. Ich brauche jetzt richtiges Essen, keine Kleinkindersnacks.“

„Bitte verlang nicht von mir, dass ich noch mal die Obdachlose im Steakhaus spiele.“

Collin lachte nur. „Du siehst fantastisch aus. Wenn du darauf bestehst, können wir in der Hotelboutique vorbeischauen und dir ein Paar schicke Ohrringe kaufen.“

„Lieb von dir, wenn du glaubst, damit ist es getan. Aber du kennst doch bestimmt jemanden hier? Willst du dich nicht lieber mit Freunden treffen?“

Autor

Helen R. Myers
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Tanya Michaels
Tanya Michaels, die eigentlich Tany Michna heißt, hat schon über 25 Auszeichnung für ihre Bücher gewonnen und wurde mehrfach für den RITA-Award, die wichtigste Auszeichnung für Liebesromane, nominiert. Daher wundert es nicht, dass ihre gefühlvollen und mitreißenden Geschichten in viele Sprachen wie Deutsch, Spanisch, Holländisch, Französisch, Griechisch, Koreanisch und Italienisch...
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Kristin Hardy
Kristin Hardy studierte Geologie und Physik und arbeitete nach ihrem Abschluss in Connecticut im Auftrag der NASA an der Entwicklung eines Telekops mit, dass mittlerweile die Erde umkreist. Doch der Drang zu schreiben wuchs.
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