Julia Saison Band 55

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WIE EIN SCHÖNER SCHMETTERLING von SANDRA FIELD

Warum hat er die Schöne im Schmetterlingskostüm nicht aufgehalten? Auf einem Maskenball hat Milliardär Seth eine zauberhafte Nacht mit der sinnlichen Unbekannten durchtanzt. Am Morgen ist sie spurlos verschwunden. Alle Mühen, sie wiederzufinden, scheinen vergebens …

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Wie magisch fühlt sich Francesca zu dem Fremden hingezogen, dessen Blicke sie in den Straßen Roms auffängt. Noch am selben Abend lädt der faszinierende Carlo Carlucci sie in seinen eleganten Palazzo ein - und macht ihr einen spontanen Heiratsantrag. Doch warum so eilig?

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  • Erscheinungstag 30.04.2020
  • Bandnummer 55
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715694
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sandra Field, Michelle Reid, Carole Mortimer

JULIA SAISON BAND 55

1. KAPITEL

Glitzernd. Faszinierend. Was für ein fantastischer Anblick!

Staunend schritt Lia d’Angeli durch das weitläufige Foyer des Pariser Luxushotels und bewunderte die riesigen Wandspiegel in den prunkvoll vergoldeten Barockrahmen. Was sie darin erblickte, hätte sich auf einer Lustbarkeit am Hofe Ludwigs des Vierzehnten abspielen können. Lia presste die Einladungskarte mit den elegant geschwungenen Lettern fester an sich. Ihr Freund Mathieu hatte sie ihr gestern in die Hand gedrückt. „Ein Maskenball“, hatte er ihr erklärt und gelächelt. „Leider kann ich nicht hin. Such dir einen hübschen jungen Mann aus, Lia, und iss, trink und tanz nach Herzenslust. Vielleicht begegnest du einem Prinzen – du bist viel zu schön, um wie eine Nonne zu leben, chérie.“

Mathieu war bekannt für seinen lockeren Lebensstil, dennoch war Lia fest entschlossen, seinen Rat in die Tat umzusetzen – wenigstens zum Teil. Sehr gern wollte sie essen, trinken, tanzen und ihren Spaß haben – jedoch allein. Sie würde das Fest ohne Begleiter besuchen und auch allein wieder verlassen.

Niemand hier weiß, wer ich bin, dachte sie erleichtert. Noch war ihre Berühmtheit jung und belastete sie teilweise schwer. Aber heute war sie nicht Lia d’Angeli, die junge begabte Geigerin, die ihr Publikum im Sturm eroberte und innerhalb von sechs Monaten zwei internationale Wettbewerbe gewonnen hatte. Nein, dachte sie und lächelte ihrem Spiegelbild zu, heute bin ich ein flatterhafter Schmetterling, der von Blume zu Blume gaukelt und sich nicht fangen lässt.

Wie eine zweite Haut umschloss ihr Kostüm, ein glänzender türkisfarbener Bodysuit, ihre Brüste, Taille, Hüften und die langen schlanken Beine. An den Füßen trug sie mit Strass besetzte Riemchensandaletten, und zwischen Körper und Armen deutete hauchdünner grüner und türkisfarbener Chiffon die Flügel an. Doch erst die Maske machte das Kostüm so aufsehenerregend.

Wie ein antiker Helm reichte sie bis über die Wangenknochen und ließ Lias braune Augen noch dunkler und geheimnisvoller wirken. Das lange dunkle Haar war unter einer mit Perlen und Pfauenfedern verzierten Kappe versteckt. Wangen, Kinn und Hals hatte Lia türkis geschminkt und die Lippen golden.

Für ihre Zwecke war es das perfekte Kostüm, denn es gab ihr die Freiheit, nach der sie sich an diesem Abend sehnte. Niemand konnte sie in dieser Aufmachung erkennen. Wie Cinderella wollte sie bis Mitternacht lachen und tanzen, um mit dem Glockenschlag heimlich zu verschwinden.

Neugierig blickte sie sich unter den Gästen um. Von Marie Antoinette bis zum Glöckner von Notre Dame, vom Kardinal bis zur Tänzerin von Moulin Rouge war alles vertreten, was man sich nur denken konnte. Alle trugen Masken, und alle waren fremd – vielleicht sogar sich selbst, dachte Lia und fühlte sich plötzlich bedrückt.

Doch schnell schüttelte sie dieses Gefühl wieder ab, ging zum Türsteher und zeigte ihre Einladung. Nachdem der uniformierte Beamte an seiner Seite ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte, nahm er Lia die Karte ab und legte sie, ohne auch nur einen Blick darauf geworfen zu haben, auf einen Stapel.

Also gab es keine Schwierigkeiten, obwohl die Einladung auf Mathieus und nicht auf ihren Namen ausgestellt war. Erleichtert betrat Lia den Ballsaal. Ein Wiener Walzer erklang, doch der mächtigen Musikanlage nach zu urteilen würden wohl bald härtere Rhythmen folgen.

Auch in diesem Raum, der kobaltblau tapeziert war, hingen Spiegel an den Wänden. Die Decke war mit unzähligen Putten bemalt, und in den prachtvollen Messingkandelabern brannten echte Kerzen. Die Tische um die Tanzfläche waren mit kostbaren Damasttüchern eingedeckt, und an der eleganten Atmosphäre hätte bestimmt der Sonnenkönig persönlich Gefallen gefunden. Überall boten Ober in weißer Livree den Gästen Wein und Champagner auf silbernen Tabletts an.

Und dann fiel ihr Blick auf ihn.

Genau wie sie lehnte er an der Wand und beobachtete das bunte Treiben. Ein Räuber mit Umhang und Reitstiefeln, schwarzer Maske und einem Dreispitz, den er tief ins Gesicht gezogen hatte.

Kein Kostüm hätte seine große athletische Gestalt verbergen können oder die Aura von Macht, die ihn umgab. Selbstbewusst und ruhig stand er da, als sei er es gewohnt, überall das Sagen zu haben.

Er war ein Mann, der sich nahm, was ihm gefiel, ein Räuber durch und durch.

Und wie sie, war auch er ohne Begleitung.

Als ihre Blicke sich trafen, fröstelte Lia. Der Fremde nahm sie so durchdringend ins Visier wie ein Bandit sein Opfer. Lia war nicht in der Lage, auch nur den kleinen Finger zu bewegen, und fühlte sich hilflos wie ein aufgespießter Schmetterling. Mit klopfendem Herzen stand sie bewegungslos da.

Angstzustände waren nichts Neues für Lia, denn sie hatte schon immer viel gewagt und steckte ihre Ziele stets gefährlich hoch. Aber so schlimm ihr Lampenfieber vor Konzerten auch sein mochte, eine Sache beruhigte sie immer: Sie konnte sich auf ihr Spiel verlassen, weil sie jedes Mal bestens vorbereitet war. Außerdem wusste sie aus Erfahrung, dass sie ihre Nerven im entscheidenden Moment unter Kontrolle hatte.

Wohingegen die Panik, unter der sie jetzt litt, von ganz anderer Qualität war. Lia fühlte sich nackt und hilflos, und das nur, weil ein Mann sie ansah, ein Mann, dem sie noch nie begegnet war und den sie bestimmt nie wieder treffen würde.

Ich benehme mich einfach lächerlich, gestand sie sich ein. Schließlich hatte der Fremde sie lediglich angeschaut, und sie reagierte, als ob er sie berührt hätte. Lia riss sich zusammen, nahm von einem Ober dankend ein Glas Rotwein entgegen, hob es hoch und prostete dem Fremden lässig zu.

Mit einer weit ausholenden Geste zog er den Hut und verbeugte sich bühnenreif, wobei seine dichten blonden und von der Sonne natürlich gesträhnten Locken im Kerzenlicht glänzten. Elegant richtete er sich wieder auf, durchquerte den Saal und kam auf sie zu.

Doch noch bevor er bei ihr war, verbeugte sich ein als Napoleon verkleideter Mann vor Lia und bat sie in gebrochenem Französisch um den nächsten Tanz. Schnell setzte sie ihr Glas auf dem nächsten Tisch ab und nahm die Aufforderung in Englisch an.

„Schön, dass Sie meine Muttersprache sprechen“, bemerkte der Napoleon erleichtert und führte sie im Walzertakt geschickt übers Parkett. Offenbar war er nicht an einer Unterhaltung interessiert, denn er konzentrierte sich ganz aufs Tanzen, was Lia sehr entgegenkam. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie der Räuber sich mit einem charmanten Lächeln der Umarmung einer Revuetänzerin entzog und immer näher kam.

„Ich würde gern einen Blick auf das Orchester werfen. Wäre das möglich?“, wandte Lia sich an ihren Partner.

Napoleon salutierte und steuerte sie elegant in die gewünschte Richtung. Als der Walzer in eine Rumba überging, löste ein Clown mit einem grellroten, übergroß geschminkten Mund den berühmten Franzosen ab. Anschließend landete Lia in den Armen eines vorbildlich gekleideten Gentlemans, der einem Roman des vorletzten Jahrhunderts entsprungen zu sein schien. Ganz der Musik hingegeben, hob und senkte Lia die Arme und folgte dem Rhythmus, sodass der Chiffon ihrer Flügel sie wie ein Schleier umwehte.

Als der Twostepp endete und der ältliche Gentleman sich vor Lia verbeugte, stand bereits der Räuber neben ihm.

„Jetzt bin ich an der Reihe“, forderte er in einem Ton, der sein verbindliches Lächeln Lügen strafte.

Lia hätte ablehnen können, doch sich vor einer Herausforderung zu drücken empfand sie als feige. Stolz legte sie also stattdessen den Kopf zurück. „Es ist sehr warm hier. Dürfte ich Sie um ein Glas Champagner bitten?“

„Wie heißen Sie?“

„Benehmen Sie sich immer wie der Elefant im Porzellanladen?“, fragte Lia spöttisch.

„Ich halte nichts davon, unnötig Zeit zu vertun.“

„Meine oder Ihre?“

„Meine“, antwortete er ungerührt.

„Dann sollten Sie sich besser eine andere Partnerin suchen.“

„Das glaube ich nicht.“

„Dann verraten Sie mir doch Ihren Namen“, provozierte sie ihn, fest davon überzeugt, dass er ablehnen würde.

„Seth Talbot aus Manhattan. Und auch Sie sind Amerikanerin.“

Lia erschrak, denn tatsächlich lebte sie ebenfalls in Manhattan – in einer kleinen Eigentumswohnung in Greenwich Village. „Ich bin in der Schweiz geboren, Mr. Talbot“, wich sie einer direkten Stellungnahme aus, winkte einem Ober und nahm sich ein Glas Champagner. Sie setzte es an die Lippen und genoss das Prickeln der Kohlensäure.

„Sie nehmen sich offensichtlich, was Ihnen gefällt“, stellte Seth fest.

„Gibt es denn eine andere Möglichkeit?“

„Nein, für meine Begriffe auch nicht. Wir verstehen uns.“

„Sie können mich nicht verstehen, weil Sie gar nicht wissen, worauf ich aus bin“, entgegnete sie kühl.

„Wir haben uns angesehen und sofort gewusst, was wir voneinander wollen.“

Halt dich zurück, Lia. Sei vernünftig und spiel nicht mit dem Feuer. „Leider bin ich keine Hellseherin, Mr. Talbot. Sie müssen mir schon erklären, was in Ihrem Kopf vor sich geht.“

Fast schmerzhaft eng umschloss er daraufhin ihre Handgelenke mit den Fingern. Dabei konnte sie sehen, dass er keinen Ring trug.

„Lassen Sie mich los“, bat sie ruhig.

Mit einer Abruptheit, die schon beleidigend wirkte, ließ er ihre Hände los – doch nur, um ihr den Arm um die Taille zu legen und sie von der Tanzfläche zu führen, obwohl die Musik gerade wieder einsetzte.

Wie selbstverständlich zog er sie mit unter sein weites schwarzes Cape, was Lia als unerhört intim empfand. Aber sie wehrte sich nicht gegen diese erregende Umarmung, denn ihre Faszination war größer als ihre Angst – was konnte ihr dieser Mann inmitten eines überfüllten Ballsaals auch schon antun?

Noch nie hatte sie so etwas erlebt, sie fühlte sich wie hypnotisiert. Die Körperwärme des Fremden übertrug sich auf sie, und ihr Herz klopfte langsam und stark. Jetzt nahm er ihre freie Hand und führte sie an die Lippen, bevor er sie umdrehte und die Innenfläche küsste – eine unbeschreiblich erotische Geste, die Lia erbeben ließ.

Am liebsten hätte sie ihr Glas zu Boden geworfen und beide Hände in die dichten, zerzausten und seidig glänzenden Locken des Fremden geschoben. Stattdessen umklammerte sie es krampfhaft, als wäre es ihr einziger Halt in dieser unwirklichen Situation.

Immer noch streichelte er mit den Lippen ihre Handfläche. Lia schloss die Augen und genoss das sinnliche Kribbeln. Tief in ihrem Inneren verspürte sie ein verlangendes Ziehen, und ihre Sehnsucht erwachte. Ich bin wirklich ein Schmetterling, dachte sie erstaunt, ein Schmetterling, der die Flügel ausbreitet, um der Sonne entgegenzufliegen. Plötzlich waren all ihre Sinne erwacht, und sie fühlte sich leicht und lebendig.

Vergiss die romantischen Gefühlsduseleien und sei ehrlich, Lia. Du lässt dich von einem Mann verführen, der in derselben Stadt lebt wie du. Du handelst unverantwortlich und spielst mit dem Feuer!

„Hören Sie auf damit!“ Mit einer ruckartigen Bewegung wollte sie sich aus seinem Griff befreien, wodurch der Champagner aus dem Glas schwappte und über ihre Sandaletten lief.

Doch Seth Talbot war schneller und hielt Lia an den Fingern fest. „Sie wollen doch gar nicht, dass ich aufhöre“, behauptete er.

„Ich weiß nichts über Sie …“

„Doch. Ich habe lediglich die Höflichkeitsfloskeln übersprungen“, antwortete er rau. „Und bin gleich zu dem gekommen, was uns wirklich interessiert.“

Beim Tonfall des Fremden setzte Lias Herz einen Schlag aus. Er klang dunkel vor Erregung, und an seinem Hals pochte eine kleine Ader.

„Sie fühlen es also auch“, meinte sie leise.

„Von dem Moment an, als ich Sie sah“, gestand er.

Hatte sie das nicht gewusst? Hatte sie nicht deshalb die Aufforderung des Napoleons sofort angenommen und sich eiligst unter die Tanzenden gemischt?

„Sie sind wirklich ein Räuber, Mr. Talbot. Was Sie sehen, wollen Sie auch haben.“

„Und Sie sind ein Schmetterling, dessen einziger Lebenszweck darin besteht, sich in Liebe zu vereinigen.“

Lia schluckte. „Ein Dieb nimmt sich, was ihm gefällt, ohne an die Konsequenzen zu denken.“

„Warum nennen Sie mich einen Dieb, wenn Sie freiwillig zu mir kommen?“

„Oh, hören Sie auf! Sie bringen mich ganz durcheinander.“

„Wie schön.“ Plötzlich lächelte er.

Das machte ihn noch verführerischer, und sie musste all ihre Kräfte mobilisieren, um sich gegen seinen männlichen Charme zu wappnen. „Ich bin nicht auf körperliche Vereinigung aus“, erklärte sie kühl. „Ein Kostüm ist nur ein Kostüm, es macht noch keine Aussage über meinen Charakter.“

Ausgiebig musterte er sie von Kopf bis Fuß – ihr kam es vor, als würde er sie mit den Augen entkleiden. „Ihr Kostüm ist provozierend und sexy“, stellte er nüchtern fest.

Nun ging Lias Temperament mit ihr durch. Was Seth Talbot konnte, konnte sie auch! Sie legte den Kopf zurück und betrachtete ihn ungeniert. Die kniehohen Stulpenstiefel mussten aus handschuhweichem Leder sein, denn sie umschlossen seine athletischen Waden fast ebenso eng wie die schwarze Hose seine muskulösen Oberschenkel. Das elegante, mit Spitzen besetzte Hemd stand am Hals offen und zeigte ein Stück sonnengebräunter Haut, und der Fall des Umhangs ließ keinen Zweifel daran, wie beeindruckend breit Seth Talbots Schultern waren.

Bei seinem Anblick überkam Lia ein primitives Verlangen, das sie schockierte. War sie jemals das Opfer derart heftiger Gefühle gewesen? Nein, und deshalb war es umso wichtiger, jetzt unbedingt beherrscht zu bleiben.

„Sie sind auch nicht auf die Idee gekommen, sich als Clown mit roter Nase und Riesenohren zu verkleiden, wie der Mann, mit dem ich gerade getanzt habe. Ihr Kostüm ist ebenfalls sexy und betont Ihre Männlichkeit. Was wollen Sie mir also vorwerfen?“

„Endlich geben Sie zu, dass Sie mich erotisch finden – was für ein Fortschritt!“

„Tun Sie doch nicht so naiv.“ Lia lächelte gespielt souverän. „Jede Frau, die Augen im Kopf hat, würde sich meinem Urteil anschließen.“

„Ich meine etwas anderes. Es hat uns beide getroffen wie der Blitz, so plötzlich und heftig, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Noch nie bin ich mitten in einem überfüllten Saal einer Unbekannten begegnet, von der ich sofort gewusst habe, dass sie für mich geschaffen ist – das schwöre ich Ihnen.“

Eigenartigerweise glaubte sie ihm aufs Wort. „Mir ist so etwas auch noch nie passiert“, gestand sie widerwillig.

Mit einer Zärtlichkeit, die sie endgültig entwaffnete, streichelte er ihre Wange. „Vielen Dank für Ihre Ehrlichkeit.“

Nur äußerst ungern widerstand Lia dem Wunsch, sich in seine Arme zu flüchten und die Stirn gegen seine Schulter zu lehnen. „Dann lassen Sie mich ehrlich bleiben: Es ist nicht meine Art, mit Fremden ins Bett zu gehen“, fuhr sie nüchtern fort.

„Meine auch nicht. Deshalb sollten Sie mir endlich Ihren Namen nennen.“

Eine innere Stimme riet Lia, ihre Identität auf keinen Fall preiszugeben. „Sie haben die Wahl, Mr. Talbot, entweder Sie verzichten auf meinen Namen, oder ich nenne Ihnen einen falschen.“

„Warum so geheimnisvoll?“

„Weil das besser für mich ist.“

„Sind Sie berühmt? Sollte ich Sie kennen?“ Angestrengt musterte er sie.

Seth Talbot sah nicht so aus, als würde er in ein klassisches Konzert gehen, eine Jazzkneipe passte viel besser zu ihm. „Nein, das ist unwahrscheinlich“, antwortete sie deshalb.

„Wenn wir gleich miteinander ins Bett gehen, und davon reden wir gerade, muss ich wissen, wer Sie sind.“

Er hat recht, erkannte Lia mit Schrecken, ich bin im Begriff, mit ihm ins Bett zu gehen! War sie denn völlig verrückt geworden? „Wenn Sie auf meinem Namen bestehen, wird nichts aus uns beiden“, erklärte sie fest.

„Haben Sie Schwierigkeiten mit der Polizei?“

„Nein!“

„Wenn Sie weder berühmt sind noch gesucht werden, hätten Sie mir einen falschen Namen nennen können, ohne dass ich je dahintergekommen wäre.“

„Ich lüge nicht.“

„Sie gewinnen lieber.“

„Und was ist falsch daran?“

„Nichts, aber auch ich bin lieber der Sieger als der Verlierer.“

„Dann können Sie mit mir eine neue Erfahrung machen, Mr. Talbot. Es tut uns allen gut, die Rollen einmal zu vertauschen.“

„Ich heiße Seth“, belehrte er sie. „Außerdem täuschen Sie sich in mir, ich habe in meinem Leben schon öfter auf der Verliererseite gestanden, als Sie ahnen.“

Instinktiv spürte sie, wie ernst ihm die Sache war, und ihr Lächeln verblasste. „Das tut mir aufrichtig leid“, meinte sie betroffen.

„Sie flirten nicht mit mir, das fasziniert mich, wie ich ehrlich gestehe. Wir reden also über mehr als nur Sex, oder?“

Erneut geriet Lia in Panik. „Wenn ein Räuber einen zarten bunten Schmetterling erblicken würde, würde er ihn doch nur zertreten“, versuchte sie sich herauszureden.

„Nein, meine Version lautet anders: Er wäre von der Schönheit des zarten Wesens überwältigt und würde es mit allen Sinnen genießen wollen.“

„Doch anschließend muss er das bunte Ding wieder fliegen lassen, denn es liebt die Freiheit.“ Lia war erstaunt, wie unnachgiebig sie klang.

Einen Moment verharrte er vollkommen reglos, dann riss er sich plötzlich die Maske ab und warf sie zu Boden. Seth Talbot hatte tiefgrüne Augen mit braunen Sprenkeln. Seine Wangenknochen waren breit, die Gesichtszüge viel zu kantig, um im landläufigen Sinne als hübsch zu gelten, und sein markantes Kinn verriet, dass mit ihm nicht zu spaßen war.

Benommen schüttelte Lia den Kopf. „Ich muss den Verstand verloren haben, sonst würde ich an Flucht denken und nicht an Sex. Und da ich stocknüchtern bin, kann ich noch nicht einmal den Champagner für meine Gefühlsverwirrung verantwortlich machen.“

„Alkohol hat damit nichts zu tun“, erklärte er leise. „Nehmen Sie die Maske ab.“

„Nein! Sollten wir wirklich zusammen ins Bett gehen, müssen Sie mir versprechen, sie nicht zu berühren. Sie sollen nicht wissen, wer ich bin – ich möchte das so. Wenn Sie das nicht akzeptieren, lasse ich Sie jetzt stehen und gehe. Und wagen Sie ja nicht, mir zu folgen, ich würde laut um Hilfe rufen.“

„Sie stellen harte Bedingungen. Haben Sie keine Angst, dass ich mein Versprechen brechen könnte?“

„Nein, ich erwarte von Ihnen, dass Sie meinen Willen respektieren.“

Er lachte, dann sah er ihr direkt in die Augen. „Mein Leben war die letzten Jahre langweilig und vorhersehbar, das merke ich jetzt. Sie dagegen verblüffen mich immer wieder, ich weiß nie, was ich als Nächstes von Ihnen zu erwarten habe.“

War das nicht exakt das, was die Kritiker über sie schrieben? Lia d’Angeli ist immer für eine Überraschung gut, ausgetretene Pfade sind nichts für sie. Immer geht sie aufs Ganze, um dem Geheimnis eines Werkes auf die Spur zu kommen.

In neun von zehn Fällen hatte ihr ihre Eigenwilligkeit als Geigerin den gewünschten Erfolg gebracht. Doch wie stand es mit ihren Chancen bei diesem Mann? Würden ihre Methoden bei ihm versagen wie in dem gefürchteten zehnten Konzert, das von den Kritikern regelrecht in der Luft zerrissen worden war?

Die Antwort kannte allein die Zukunft.

2. KAPITEL

Lia hörte, wie das Orchester einen Tango anstimmte, und sah den Fremden aufmerksam an. „Sie machen nicht den Eindruck eines Mannes, der ein eintöniges Leben führt“, stellte sie fest.

„Schein und Sein sind zwei verschiedene Dinge, kleiner Schmetterling.“

Seinem bitteren Lächeln zufolge wusste der attraktive Fremde im schwarzen Mantel sehr gut, was Leid war. Das zog sie noch mehr zu ihm hin, und sie richtete sich kerzengerade auf.

„Also, wie ist es, Mr. Talbot, gehen Sie auf meine Bedingungen ein? Sie erfahren weder meinen Namen noch rühren Sie meine Maske an.“

Stumm trat er einen Schritt näher, nahm ihr Gesicht in beide Hände und besiegelte sein Versprechen mit einem Kuss, in dem alles lag – die unwiderstehliche Anziehungskraft, das leidenschaftliche Verlangen und das Fehlen sämtlicher Schranken. Seths Kuss war leidenschaftlich und fordernd, und Lia erwiderte ihn rückhaltlos und hingebungsvoll.

Langsam löste Seth die Umarmung und hob den Kopf. Das Grün seiner Augen war noch dunkler geworden, und er atmete unregelmäßig. „Mir gefallen deine Forderungen nicht, aber ich würde alles tun, um dich zu besitzen. Ich schwöre dir, mich an deine Bedingungen zu halten.“

Alle Anspannung löste sich von Lia. „Gut. Wir haben zwei Möglichkeiten, entweder bleiben wir hier, tanzen, essen, trinken und machen Smalltalk, oder wir gehen an einen Ort, wo wir allein sind und unsere Träume wahr werden können.“

„Dein Stil gefällt mir, schöne Unbekannte“, meinte er bewundernd.

„Das Leben ist kurz, Seth, und ich liebe die Herausforderung.“ Sie lächelte. „In einem geschützten Kokon könnte ich niemals glücklich sein.“

„Ich habe eine Suite im Hotel. Komm, lass uns gehen“, erklärte er übergangslos.

Überrascht senkte Lia die Lider. Eine Suite in diesem Hotel kostete ungefähr so viel, wie sie in einem Monat verdiente. Dieser Seth Talbot aus Manhattan musste ein sehr reicher Mann sein. „Ich habe schon oft davon geträumt, eine Luxussuite von innen zu sehen, heute werde ich es also erleben.“

„Also gehörst du nicht zum Jetset und vertreibst dir die Zeit in Paris, bevor du die Villa an der Riviera für deine Freunde öffnest?“

Bei der Vorstellung musste Lia lachen. „Nein. Ich muss hart arbeiten, um einigermaßen gut leben zu können, süßes Nichtstun kann ich mir nicht leisten, und es ist auf Dauer auch nicht mein Fall.“

„Und womit verdienst du deinen Lebensunterhalt?“, hakte er sofort nach.

Mit dem Finger zog sie die Kontur seiner sinnlichen Unterlippe nach und genoss den Triumph, als sich seine Kinnmuskeln bei der zärtlichen Berührung unwillkürlich anspannten. „Ich glaube, wir interessieren uns für andere Dinge als Berufe“, antwortete sie schalkhaft. „Ich arbeite legal und sehr hart, bin schrecklich ehrgeizig, und spätestens in zehn Jahren wirst du von mir gehört haben. Mehr verrate ich nicht – oder hast du es dir inzwischen anders überlegt mit uns?“

„Anscheinend habe ich meinen Meister gefunden – und das in einer Frau.“ Er lächelte. „Nein, ich stehe zu meinem Wort. Komm!“

Galant reichte er ihr den Arm, und als Lia sich bei ihm einhakte, fiel der schwarze Samt seines Umhangs schwer auf den hellen duftigen Chiffon ihrer Flügel. Eine dunkle Vorahnung überfiel Lia, und sie schauderte. Dennoch ging sie stolz und aufrecht an Seths Seite, als er ihnen einen Weg durch die tanzenden Paare bahnte. Das ist das größte Risiko, das ich in meinem Leben je eingegangen bin, dachte sie. Mit ihren leidenschaftlichen Gefühlen für die Musik und ihrer Geige hatte Lia Erfahrung, mit ihnen konnte sie umgehen. In Liebesangelegenheiten hingegen war sie völlig unerfahren.

Seth Talbot allerdings – davon war sie überzeugt – musste ein Meister darin sein.

Nachdem der Fahrstuhl sie ins oberste Stockwerk gebracht hatte, nahm Seth Lias Hand und führte sie zu einer cremefarbenen, mit Schnitzereien verzierten und teilweise vergoldeten Tür am Ende des Flurs. Doch als er sie für Lia öffnete, konnte sie ihren Fuß nicht über die Schwelle setzen, weil ihr Körper ihr plötzlich nicht mehr gehorchte.

„Ich kenne dich nicht, Seth, ich weiß überhaupt nichts über dich“, erklärte sie brüchig.

„Aber du spürst doch, was uns verbindet. Was verlangst du mehr?“

Ängstlich bebten Lias Nasenflügel. „Du bist einen guten Kopf größer als ich, stärker und könntest gut und gern ein gemeiner Karatekämpfer sein.“

„Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinem Schmetterling etwas zu Leide getan, und daran wird sich auch nichts ändern.“

„Und das soll ich dir glauben? Einfach so?“

„Was sich zwischen uns abspielt, ist auch mir ein Rätsel“, antwortete er. „Aber es ist etwas Einmaliges und Kostbares, davon bin ich überzeugt. Wir werden uns entblößen, mein kleiner Schmetterling, und nicht nur körperlich. Es ist viel mehr als ein erotisches Spiel, es geht um gegenseitiges Vertrauen.“

„Vertrauen – das ist ein ziemlich hoher Anspruch.“

„Es ist nicht meine Art, mehr von Frauen zu nehmen, als sie zu geben bereit sind. Außerdem steht in jedem Zimmer ein Telefon, von dem aus du jederzeit die Rezeption erreichen kannst. In meiner Suite bist du sicherer als sonst wo in Paris, glaub es mir.“

Lia war zu stolz, um sich für ihr plötzliches Lampenfieber zu entschuldigen. Wie vor einem Konzert hob sie den Kopf und betrat selbstbewusst die Bühne.

Kaum war sie über die Schwelle getreten, raubte ihr die Inneneinrichtung der Suite den Atem: Edelholzparkett, echte Teppiche, Kristalllüster, Brokattapeten und geraffte Samtvorhänge. „Du hast ja sogar eine Dachterrasse!“, stellte sie beeindruckt fest.

„Mit Blick auf den Eiffelturm. Soll ich es dir zeigen?“

„Später vielleicht.“ Lias Zweifel waren restlos verflogen und ihr Vertrauen zu Seth wiederhergestellt. Ohne zu zögern ging sie zu ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn mit mehr Gefühl als Raffinesse.

Seth kniff die Augen zusammen, nahm ihr Gesicht in beide Hände und blickte ihr tief in die Augen. „Bist du noch Jungfrau?“

„Nein.“ Auf die Idee zu lügen, kam Lia nicht. „Vor drei Jahren hatte ich eine Beziehung mit einem Mann – aus Neugier, nicht aus Neigung. Wahrscheinlich geschah es mir recht, dass ich nichts dabei empfand.“

„Dann hast du also etwas nachzuholen.“ Er senkte den Kopf und ließ die Lippen sanft über ihren Mund gleiten.

Auch als seine Küsse fordernder wurden, überließ sich Lia rückhaltlos seinen Zärtlichkeiten. Seth verlangte vollkommene Hingabe, und Lia war jetzt ohne Wenn und Aber bereit, sie ihm zu schenken.

Als sie seine Erregung spürte, steigerte das ihre Leidenschaft. Sie hungerte nach neuen Erfahrungen und setzte dafür alles aufs Spiel. Stürmisch fasste sie in sein Haar und zog seinen Kopf noch dichter zu sich heran, um den Druck seiner Lippen zu verstärken.

Ihre Knie gaben nach, als heiße Sehnsucht sie wie eine mächtige Welle erfasste und mit sich riss.

„Wir sollten es langsamer angehen lassen.“ Um das Tempo zu drosseln, bedeckte Seth Lias Mund, Wangen, Kinn und Hals mit winzigen Küssen. „Es ist lange her für dich, und ich möchte …“

Als Antwort zupfte sie an seinem Hemd und schob es hoch. „Nimm mich, wie ich bin, Seth, kämpf nicht dagegen an. Ich möchte dich hier und jetzt.“

Mit einer geschickten Bewegung befreite er sich aus dem Cape, warf es zu Boden und zog sich das Hemd über den Kopf. Staunend betrachtete Lia ihn. „Du bist so schön!“, meinte sie leise und legte die Wange so auf seine Brust, dass sie sein Herz schlagen hörte. Sie roch Seths Seife und seinen Duft, der ihr neu und doch so vertraut vorkam.

Wieder lachte er auf die jungenhafte Art, die sie so an ihm mochte. „Und wie bekomme ich dich aus diesem Kostüm? Du bist doch nicht etwa darin eingenäht?“

„Nein.“ Sie drehte sich in seinen Armen. „Der Reißverschluss ist hinten, am Rücken.“ Auffordernd beugte sie den Kopf nach vorn.

Bevor er den Anzug mit einer einzigen Bewegung öffnete, küsste Seth zärtlich ihren Nacken. Lia wandte sich Seth wieder zu, befreite sich aus den engen Ärmeln und streifte den elastischen Stoff bis zur Taille hinunter.

„Du raubst mir den Verstand“, meinte er rau und bewunderte ihre Brüste, bevor er sie streichelte und küsste.

Unwillkürlich schrie Lia leise auf. Sie schloss die Augen, bog sich zurück und genoss, wie Seths Hände über ihren Körper glitten. Immer quälender und drängender spürte sie die Hitze zwischen ihren Schenkeln. Als würde Seth es ahnen, berührte er ganz kurz ihre empfindsamste Stelle – für Lia jedoch lange genug, um sofort zu einem ersten Höhepunkt zu kommen.

Unbewusst rief sie Seths Namen und sank anschließend an seine Brust. „Ich verstehe nicht … Noch nie …“

„Das war erst das Vorspiel, mein zauberhafter Schmetterling.“ Er hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer, wo er sie auf das riesige Doppelbett legte. Wild und leidenschaftlich küsste er ihre Brüste, ihre Schultern und ihren Mund, bevor er ihr den Bodystocking von den Hüften streifte.

In Windeseile entledigte sich Lia ihrer Sandaletten und zog das störende Kleidungsstück ganz aus, sie wollte nackt sein für Seth, sie wollte sich ihm so zeigen, wie die Natur sie geschaffen hatte. Noch nie hatte sie einen solchen Wunsch verspürt, und das ungläubige Staunen, das aus Seths Augen sprach, verunsicherte sie. „Was ist schon Besonderes an mir?“, fragte sie scheu.

„Du bist so hinreißend, so großzügig und tapfer“, erwiderte er.

Nur mit Mühe konnte Lia die Tränen zurückhalten. Dies ist nur ein sexuelles Abenteuer, nichts weiter, sagte sie sich immer wieder, damit gar nicht erst Illusionen aufkamen.

„Seth, du hast viel zu viel Stoff am Körper!“ Um jegliche Innigkeit im Keim zu ersticken, gab sie sich betont locker.

Dem durchdringenden Blick seiner grünen Augen konnte sie nur mit Mühe standhalten. „Nimm die Maske ab“, bat er. „Bitte.“

Sie biss sich auf die Lippe und versuchte, sich Seths leidenschaftlich geäußertem Wunsch zu verschließen. „Ich habe dir schon unvernünftig viel von mir verraten“, antwortete sie. „Wir haben eine Nacht, die wir genießen wollen, nicht mehr und nicht weniger.“

Auf keinen Fall durfte sie Seth Talbot ihre Identität preisgeben. Er besaß die Macht, ihr Leben zu ändern, und das machte ihn gefährlich.

Seit Lia fünf war und zum ersten Mal eine Geige ans Kinn gesetzt hatte, kannte sie nur ein Ziel: die beste Violinistin der Welt zu werden. Bis dahin war es noch ein weiter Weg, und nie würde sie einem Mann erlauben, ihren Ehrgeiz zu blockieren. Sie duldete einfach nicht, dass ihre Träume wie Seifenblasen zerplatzten und ihr hoher Einsatz umsonst gewesen sein sollte.

Ihre Karriere würde sie für nichts und niemanden aufgeben.

„Ich schenke mich dir ganz, Seth“, meinte sie leise. „Aber meinen Namen verrate ich dir nicht.“

Mühsam beherrscht sprang er auf und zog sich Stiefel und Hose aus. „Wirklich ganz? Weißt du, was du da versprichst?“, fragte er gepresst, stellte sich vors Bett und betrachtete sie.

„Ja.“ Sie zögerte keine Sekunde. „Das weiß ich.“

Weil sein Körper sie so faszinierte, kniete sie sich hin, um Seths Brust zu küssen. Lia hörte, wie er leise stöhnte, das Blut rauschte ihr in den Ohren, sie zog ihn an den Hüften zu sich heran und bettete ihn in das weiche Tal zwischen ihren Brüsten. Seth legte den Kopf zurück und bewegte sich lustvoll, bis er sich abrupt zurückzog, Lia an den Schultern in die Kissen drückte und sich neben sie legte.

„Ich will dich“, raunte er und bedeckte ihren Körper mit Küssen. Immer tiefer glitten seine Lippen, bis sie ihr Ziel fanden. Vor Lust und Wonne vergaß Lia alles um sich. Nur verschwommen nahm sie wahr, wie Seth sich auf sie schob und kraftvoll zu ihr kam. Alles ging so einfach und natürlich, als seien sie füreinander geschaffen und hätten schon immer auf diesen Moment gewartet.

Beide überließen sich bereitwillig ihrer Leidenschaft, gaben sich völlig hin, und ihr Rhythmus wurde immer schneller, bis ihre Lust in einem berauschenden Glücksgefühl aufging und in tausend kleine Glitzerfunken zerbarst. Lia hörte, wie Seth aufschrie, sah, wie sich sein Gesicht veränderte, und spürte ganz tief in sich, wie er den Höhepunkt erreichte. Aufbäumend folgte sie ihm in das Land des Glücks, das sich mit Worten nicht beschreiben lässt.

Als sie wieder zu sich kam, lag Seth immer noch auf ihr, mit der Stirn drückte er den Rand ihrer Maske tief in die Haut, und sein Atem streifte warm ihren Hals.

„So etwas habe ich noch nie erlebt“, gestand sie leise, als sie ihrer Stimme endlich wieder traute.

„Ich auch nicht.“

So gern Lia der Umarmung auch keine schicksalhafte Bedeutung beimessen wollte, es gelang ihr nicht. „Also war es auch für dich anders als sonst?“, fragte sie zaghaft.

„Hast du das nicht gespürt?“

„Ich bin in diesen Dingen nicht gerade erfahren.“

„Normalerweise bin ich sehr beherrscht“, erklärte er und sah ihr in die Augen, als könne er ihr Geheimnis dort ergründen. „Aber bei dir habe ich innerhalb von Sekunden die Kontrolle verloren – vollständig.“

Lia glaubte ihm aufs Wort. Doch woher nahm sie diese Gewissheit? Wie konnte sie einem Mann trauen, den sie erst vor einer Stunde getroffen hatte?

„Mir ging es nicht anders“, gestand sie.

„Das habe ich gemerkt.“

Lia lächelte. „Vielleicht sollten wir uns das nächste Mal etwas mehr Zeit nehmen.“

„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Was dich betrifft, werde ich mich auf keine Voraussage mehr einlassen, die Mühe kann ich mir sparen.“

Plötzlich regte sich Lias Neugier. „Du bist sicher schon mit vielen Frauen zusammen gewesen. Ich bin bestimmt nicht anders als andere auch.“

„Ich wechsele meine Frauen nicht wie meine Wäsche, wenn es das ist, was du wissen wolltest. Ich lasse sie jedoch emotional nicht zu nah an mich heran. Bei dir ist mir das nicht gelungen, du hast mich so verzaubert, dass ich all meine gewohnten Vorsichtsmaßnahmen vergessen habe.“

Lia konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. „Auch du hast mich ganz in deinen Bann gezogen – das ist fast unheimlich.“ Sie schauderte.

„Lass die dunklen Gedanken, ich möchte dich wieder lieben“, bekannte er stürmisch. „Diesmal möchte ich mir Zeit lassen und jedes Fleckchen deines Körpers erkunden. Ich will wissen, was dir gefällt, dich lieben, wie kein anderer Mann dich je lieben wird, damit du mich nie vergisst.“

„Seth, wie könnte ich dich je vergessen?“

Unwillig presste er die Lippen zusammen. „Und trotzdem verrätst du mir nicht, wer du bist.“

„Du kennst mich besser als jeder andere Mensch auf dieser Welt“, hielt sie ihm entgegen. „Das muss dir reichen.“

„Wir werden sehen.“ Zärtlich glitt seine Hand über ihre Hüfte. „Deine Haut ist so glatt und seidig … wie die Innenseite einer Muschel.“ Sanft nahm er die Spitze ihrer Brust zwischen zwei Finger und rieb sie zärtlich. „Magst du das?“

„Ja.“ Sie atmete unregelmäßig und hob den Kopf, damit er sie küsste. „Das gefällt mir.“

Wieder entführte Seth sie in das Reich der Sinnlichkeit. Seine Zärtlichkeiten schenkten ihr die höchsten Wonnen und ließen sie fast zerfließen vor Glück. Um nicht nur zu nehmen, sondern auch zu geben, streichelte sie Seths Körper, ließ die Lippen über seine muskulöse Brust und die Flanken gleiten, bis sie ihn schließlich dort leidenschaftlich küsste, wo er am empfindlichsten war.

Triumphierend stellte sie fest, wie sich seine Augen verdunkelten und sein Atem schneller ging.

„Nicht so schnell“, bat er, hob sie an der Taille hoch und setzte sie auf sich. Das Mondlicht fiel silbern auf Lias Haut, als er immer tiefer in sie eindrang, bis sie ganz nah beieinander waren. Dann zog er sie so weit an sich, dass er ihre Brüste küssen konnte. Verzückt schob Lia die Hände in seine dichten blonden Locken und legte den Kopf zurück.

Diesmal steigerte er den Rhythmus ganz langsam, sodass Lia die Vorfreude voll auskosten konnte. Erst als er spürte, wie ihr Herz unter seiner Hand fast bis zum Zerspringen klopfte, wurde er schneller. Er wartete, bis er Lia leise schreien hörte, dann gab auch er die Kontrolle auf.

Diesmal lag Lia oben, und ihre Maske kratzte leicht an seiner Brust. Wie gern hätte sie sie abgenommen und Seth ihr wahres Gesicht gezeigt.

Doch das durfte sie nicht. Ihr Leben war auf ein einziges Ziel ausgerichtet, und das würde sie aus den Augen verlieren, wenn sie Seth Talbot in ihr Leben ließ. Wahrscheinlich wäre sie dann nie wieder in der Lage, ihre Geige ans Kinn zu setzen oder gar zu stimmen.

Seit siebzehn Jahren arbeitete sie mit höchstem künstlerischen Einsatz und feierte gerade ihre ersten internationalen Erfolge. Unmöglich, diese Karriere einfach wegen eines Mannes abzubrechen! Auch wenn dieser Mann die faszinierendsten grünen Augen der Welt besaß und sie noch sosehr verzauberte.

„Alles in Ordnung?“, fragte Seth zärtlich und legte ihr den Arm um die Schultern – eine Geste, die sie nur als besitzergreifend bezeichnen konnte.

Was sollte sie darauf antworten? Gerade erst hatte er ihr eine Welt gezeigt, die neu für sie war und sie ebenso anzog wie erschreckte.

„Ja. Nein. Du stellst wirklich komplizierte Fragen“, antwortete sie unwillig.

Er lachte. „Wenn das kein Kompliment ist!“

„Wie du meinst, Seth Talbot. Aber soll ich dir etwas verraten? Ich habe nichts zu Abend gegessen und bin jetzt schrecklich hungrig.“

„Du denkst ans Essen, während du mich in den Armen hältst?“

„Ja.“ Sie lächelte. „Es tut mir wirklich leid für dich.“

Ohne sie loszulassen, richtete er sich auf. „Glücklicherweise gibt eine segensreiche Erfindung, die sich Zimmerservice nennt. Was darf ich dir bestellen?“

Sein Lächeln war so liebevoll, dass sie Angst bekam. Worauf hatte sie sich nur eingelassen? „Crepe mit Meeresfrüchten und ein riesiges Dessert“, antwortete sie hastig.

„Gut.“ In akzentfreiem Französisch gab er die Bestellung auf. Dann schwang er die Beine über die Bettkante und reckte sich. „Ich fühle mich großartig“, erklärte er.

„Das sieht man dir an. Solltest du dir nicht lieber etwas überziehen, bevor du an die Tür gehst?“

„Richtig, das Zimmermädchen könnte schockiert sein.“ Er verschwand im Badezimmer und kehrte mit zwei weißen Kimonos zurück. „Einer für mich, der andere für dich.“ Seine Stimme wurde schroff. „Ich möchte der Einzige sein, der dich in deiner ganzen Schönheit sieht.“

Der Einzige? Und sie lieben wie kein anderer Mann? Insgeheim fand Lia derartige Besitzansprüche altmodisch und lächerlich – doch allein der Gedanke, Seth könne einer anderen seine Gunst schenken, machte sie rasend vor Eifersucht.

Wie erklärst du dir diesen Widerspruch, Lia, fragte sie sich selbst und wusste keine Antwort.

3. KAPITEL

Als Lia den Bademantel in Empfang nahm, hielt sie ihn so, dass ihre Brüste, die sie für etwas zu füllig hielt, bedeckt waren.

„Schönheit?“, wiederholte sie zweifelnd. „Ich bin zwar nicht hässlich, aber …“

„Du bist einzigartig, du bist die schönste Frau der Welt“, behauptete Seth in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

„Oh.“ Sie errötete unter ihrem Make-up. „Das klingt, als hieltest du jede weitere Diskussion für überflüssig.“

„Richtig. Ich habe den Eindruck, dass man dich mit Komplimenten bisher nicht allzu sehr verwöhnt hat.“

Leider hatte er recht. Ihre beruflich sehr engagierten Eltern hatten nicht nur an sich, sondern auch an sie – ihr einziges Kind – höchste Ansprüche gestellt. Und auch wenn sie ihr stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatten, war selten Platz für ein Lob oder Komplimente gewesen. Auch in ihrer flüchtigen Affäre mit Lionel hatte sie weder besonders viel Anerkennung noch Aufmerksamkeit bekommen, dazu war er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Blieben noch die Kritiker, die gerade erst anfingen, von ihrer Existenz als Geigerin Kenntnis zu nehmen. Doch deren erste, vorsichtig positive Beurteilungen hatten sie so glücklich gemacht, dass sie sich nach mehr sehnte – wofür sie sich heimlich schämte.

„Du bist mit deinen Gedanken ganz woanders, kleiner Schmetterling“, bemerkte Seth.

Schlagartig kehrte Lia in die Gegenwart zurück. Ich darf jetzt keinen Fehler machen, dachte sie, ich muss mich mit einem Mann auseinander setzen, der mir – wie meine Geige – das Letzte abverlangt. Mit bebenden Fingern zog sie das goldene Hotel-Logo auf dem Kimono nach. „Du hast meine Welt ins Wanken gebracht“, gestand sie, „und das nicht nur in sexueller Hinsicht.“

Da Lia den Kopf gesenkt hielt, entging ihr, wie eindringlich Seth sie betrachtete. „Schön“, erwiderte er nur und wandte sich zum Gehen. „Es hat geklopft, das wird der Zimmerservice sein.“

Kurz darauf schob er einen Teewagen aus Mahagoni vors Bett. Mit der Eleganz eines gut geschulten Oberkellners hob er die Wärmehaube von dem kostbaren Porzellanteller, setzte sich und klopfte auf den Platz neben sich. „Komm.“

Das ließ Lia sich nicht zweimal sagen, denn die Crepe sah nicht nur verführerisch aus, sondern duftete auch so. „Bon appétit“, meinte sie und griff zum Besteck.

Seth nahm die Flasche aus dem Kühler und schenkte ihr ein Glas Chardonnay ein. Wieder bemerkte Lia nicht, wie intensiv er sie beobachtete, während sie mit herzhaftem Appetit aß und trank. Als sie den letzten Rest der köstlichen Sauce mit einem Stück Baguette vom Teller gewischt hatte, hob Seth die silberne Abdeckung der Tortenplatte.

Lia war tief beeindruckt. „Das sind ja keine Kuchenstücke, das sind essbare Kunstwerke“, staunte sie. „Sieh dir nur die Schwäne an! Davon nehme ich mir gleich einen.“

Neugierig biss sie in die Kreation aus zartestem Blätterteig, Sahnecreme und einem Hauch Grand Marnier und schloss verzückt die Augen. „Das ist das Paradies auf Erden“, schwärmte sie.

„Ich dachte, das hätte ich dir gezeigt!“

Lia lachte, verteilte mit dem Finger einen Klecks Sahne auf seinem Kinn und küsste sie wieder fort. „Darf ich nicht beides haben, die Schwäne und dich?“

Seth reichte ihr eine Erdbeere im Marzipanmantel. „Bescheiden bist du nicht gerade, kleiner Schmetterling.“

Genießerisch leckte Lia sich einen Krümel von der Lippe. „Ich liebe das Leben und möchte es voll auskosten“, erklärte sie überschwänglich.

„Und wie? Du bist vielleicht zwanzig oder einundzwanzig und hast vor mir nur mit einem einzigen Mann geschlafen. Unter Lebenshunger stelle ich mir etwas anderes vor.“

„Ich bin schon zweiundzwanzig und habe andere Ziele als Sex. Doch lass uns nicht streiten, Seth, dazu ist die Zeit zu kostbar.“

„Und worin siehst du deine Lebensaufgabe? Was machst du, wenn du gerade nicht einen Maskenball besuchst?“

Unwillig runzelte Lia die Stirn. „Ich frage dich nicht nach deinem Beruf, und du solltest mich das auch nicht fragen, schließlich hast du es mir versprochen.“

„Mir gehört Talbot Holdings – und nicht nur das, ich bin auch der geschäftsführende Direktor. Ist dir der Name ein Begriff?“

Unsicher sah sie ihn an. „Tal-Air? Mit der Linie fliege ich oft. Die Flüge sind pünktlich, die Sitze bequem und die Angestellten freundlich.“

„Wir geben uns Mühe.“ Er lächelte. „Du fliegst also viel?“, fragte er betont beiläufig.

Dass sie ihm versehentlich etwas über sich verraten hatte, ärgerte Lia. „Nein, nur ab und zu“, versuchte sie, ihren Fehler zu korrigieren. „Gehört dir vielleicht auch der Ölmulti Tal-Oil?“

Er nickte. „Zusammen mit einer kleinen Flotte Tanker und Luxusliner.“

„Jetzt macht auch diese Suite Sinn. Du gehörst zu den Reichsten der Reichen.“ Bei ihrem Tonfall klang das eher wie eine Beleidigung.

Als hätte er die Bemerkung nicht gehört, nahm er ihr den Teller aus der Hand und zog sie vom Bett. „Zeit für die Dachterrasse“, erklärte er.

Barfuß folgte sie ihm nach draußen. Die Nacht war kühl, tief unten brandete der nie endende Verkehr der Rue de Rivoli, und die Lichter des Quartier Latin funkelten wie Edelsteine in der Dunkelheit.

„Paris ist einfach traumhaft schön.“ Lia seufzte.

„Nicht nur Paris.“ Seth drückte sie an den Schultern gegen die Wand und schob den störenden Stoff der Kimonos beiseite, damit er sie Haut an Haut spüren konnte. Als hätten sie sich nicht gerade erst ausgiebig geliebt, küsste er sie mit verzehrender Leidenschaft. Dabei wuchs seine Erregung, und er hob Lia hoch. Augenblicklich kreuzte sie die Beine hinter seinem Rücken und bog sich ihm entgegen, um ihn ganz tief in sich zu spüren. Fest gruben sich ihre Finger in seine Schultern, als sie den Höhepunkt erreichte, dann hörte sie, wie Seth leise stöhnte, und fühlte, wie auch er den Gipfel der Lust erreichte.

Nur langsam kehrte Lia in die Wirklichkeit zurück. Doch die raue Wand drückte schmerzhaft in ihren Rücken, und sie hatte kalte Füße. „Selbst in Paris, der Stadt der Liebe, könnte man uns dafür ins Gefängnis bringen“, keuchte sie immer noch atemlos.

„Dann lass uns nach drinnen gehen.“ Als wäre sie leicht wie eine Feder, trug er sie zurück. Wohlig barg Lia den Kopf an seiner Brust und genoss Seths Duft. Würde sie ihn je vergessen können? Dieser Mann hat wirklich dafür gesorgt, dass ich ihn immer im Gedächtnis behalten werde, erkannte sie entsetzt.

Er bettete sie so vorsichtig und behutsam in die Kissen, dass sie vor Rührung fast geweint hätte. Wäre sie ehrlich gewesen, hätte sie sein Verhalten als liebevoll bezeichnen müssen, doch das Wort Liebe mit Seth Talbot in Verbindung zu bringen, war ihr viel zu gefährlich.

„Halt mich fest“, bat sie.

Sofort legte er sich neben sie und zog sie zärtlich in die Arme. Wie ein kleines Kind kuschelte Lia sich an ihn, und so schnell wie ein kleines Kind schlief sie auch ein.

Mitten in der Nacht schlug Lia die Augen auf und war sofort hellwach. Die schweren Damastvorhänge waren zugezogen, und nur von der Notbeleuchtung auf dem Flur fiel ein schwaches Licht durch die Tür ins Zimmer.

Den Arm um ihre Taille gelegt, schien Seth fest zu schlafen, denn er atmete tief und gleichmäßig. Sacht und ohne ihn zu wecken, rückte sie von ihm ab. Ihre Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und sie nutzte die Gelegenheit, um Seth in Ruhe zu betrachten. Sein normalerweise kantig und energisch wirkendes Gesicht sah im Schlaf so verletzlich aus, dass es Lia zu Herzen ging.

Ich muss ihn verlassen, solange ich noch die Kraft dazu habe, dachte sie panisch.

Vorsichtig rutschte sie zur Bettkante und stand auf. Ihr Bodysuit hing ordentlich über einem Sessel, und ihre Sandaletten standen daneben. Also hatte Seth noch aufgeräumt und konnte daher nicht so schnell eingeschlafen sein wie sie. Ob auch er sie beobachtet hatte, während sie schlief?

Leise nahm Lia ihre Sachen und schlich sich ins Badezimmer. Dort zwängte sie sich in den Bodysuit und kämpfte mit dem Reißverschluss, den sie allein nur schlecht schließen konnte. Der Stoff der Flügel hing ihr schlaff von den Armen, und das kunstvolle Make-up war verschmiert – in diesem Moment wirkte das Kostüm nicht mehr fantasievoll, sondern einfach nur lächerlich.

Die Sandaletten in der Hand, erreichte sie auf Zehenspitzen die gepolsterte Doppeltür. Seths Cape lag immer noch da, wo er es am vergangenen Abend hingeworfen hatte, vorsichtig hob Lia es auf und legte es sich um die Schultern. Ihr Herz schlug bis zum Hals, als sie die Tür öffnete und möglichst geräuschlos wieder hinter sich zuzog.

Geschafft! Sie war in Sicherheit.

Erst jetzt schlüpfte sie in die Sandaletten, verzichtete auf den Fahrstuhl und lief zu Fuß nach unten. Der Empfangschef hatte ihr den Rücken zugedreht, als sie am Tresen vorbeihuschte, und der Türsteher verbeugte sich höflich und fragte, ob er ihr ein Taxi rufen solle. Doch Lia lehnte dankend ab und ging mit erhobenem Kopf an ihm vorbei, als wäre es für sie das Selbstverständlichste der Welt, in den frühen Morgenstunden ohne Begleitung und in einen bodenlangen Umhang gehüllt ein Luxushotel zu verlassen.

In den Anlagen blühten schon die ersten Rosen und verströmten einen zarten Duft, und der Mond stand als matte Sichel tief am Himmel. Als ihr ein Motorroller und ein Taxi entgegenkamen, zog Lia die Kapuze des Umhangs tief ins Gesicht und ging auf Umwegen zu Mathieus Wohnung.

Eine halbe Stunde später zog sie den Schlüssel aus der winzigen, in den Falten des Flügels versteckten Tasche und schloss die Tür auf. Sie blickte sich um, als hätte sie eine andere Welt betreten. Mathieu liebte die Einfachheit und beschränkte sich aufs Unerlässliche. Abgesehen von einigen Schwarz-Weiß-Fotografien waren die Wände seiner Wohnung weiß und kahl. Im Wohnzimmer standen lediglich eine hochklassige Stereoanlage und ein schlichtes Ledersofa. Der Unterschied zu Seths barocker Luxussuite hätte nicht größer sein können.

Seth. Sie durfte jetzt nicht an ihn denken, sie konnte es sich einfach nicht leisten. Nachmittags um vier stand eine Probe in Stockholm in ihrem Terminkalender, bevor abends das Konzert folgte. In wenigen Stunden musste sie in Orly auf dem Flughafen sein.

Die Maske war so gut mit Mastix an Stirn und Wangen befestigt, dass es zehn Minuten dauerte, bis Lia sie endlich in den Händen hielt. Anschließend schminkte sie sich sorgfältig ab und entfernte das Haarnetz.

Bodysuit und Maske packte sie wieder in den Karton, in dem die Sachen auch geliefert worden waren. Glücklicherweise hatte sie das Paket schon am vergangen Abend adressiert und frankiert, jetzt brauchte sie es auf ihrem Weg zum Flugplatz nur noch bei einer Poststelle abzugeben.

Von Anfang an um Anonymität bemüht, hatte sie sich das Kostüm unter falschem Namen geliehen. Auf die Kaution, die sie hinterlegt hatte, würde sie verzichten müssen, doch was bedeutete das schon. Viel wichtiger war es, keine Spuren zu hinterlassen und ihr Geheimnis zu bewahren.

Ob Seth nach ihr suchen würde? Mit Sicherheit, denn er war bestimmt nicht Chef eines riesigen Konzerns geworden, weil er die Hände in den Schoß legte und den Dingen ihren Lauf ließ.

Schon wieder dachte sie an Seth! Lia biss sich auf die Lippe und ging zurück ins Badezimmer. Der Spiegel in dem nüchternen Chromrahmen warf ihr Bild unbarmherzig zurück. Eindringlich betrachtete sie ihre braunen Augen und das glänzende schwarze Haar – ihren italienischen Vater konnte sie nicht verleugnen. Von ihrer norwegischen Mutter dagegen hatte sie die große schlanke Gestalt, die breiten Wangenknochen und die hoch geschwungenen Brauen geerbt.

Sie sah aus wie immer und war doch eine andere geworden.

Obwohl sie es nicht wollte, ließ sie die Nase über die Innenseite ihres Unterarms gleiten. Seths Duft. Als würde er neben ihr stehen, sah sie ihn vor sich, sah seinen herrlichen Körper, sah den Ausdruck seiner wunderbaren grünen Augen, wenn er den Höhepunkt erreichte.

Seth hatte nicht nur ihren Körper besessen, er hatte auch ihre Seele gefangen genommen.

Hastig stellte sie sich unter die Dusche und drehte das Wasser auf, bevor sie großzügig Duschgel auf ihrem Körper verteilte. Wenn sie sich Seth erst von der Haut gewaschen hatte, würde es ihr bestimmt auch gelingen, ihn aus ihrem Herzen zu verbannen.

Außerdem war Seth nur ein Mann wie viele andere auch. Und sie würde sich nie wieder mit ihm auseinander setzen müssen, dafür hatte sie glücklicherweise Sorge getragen.

Im Halbschlaf streckte Seth die Hand nach seiner geheimnisvollen Schmetterlingsfrau aus. Beim Einschlafen hatte er sie in den Armen gehalten, und so wollte er auch aufwachen. Bei Tageslicht würde er schon herausfinden, wer sie wirklich war. Ihr musste doch auch klar sein, dass sie nach dieser Nacht nie wieder getrennter Wege gehen konnten …

Wo war sie?

Abrupt öffnete er die Augen und richtete sich auf. Durch einen Spalt im Vorhang fiel helles Sonnenlicht, und er war allein.

Ihr Kostüm hing nicht mehr über dem Sessel.

In einem Satz sprang er aus dem Bett. Auch die Sandaletten standen nicht mehr da.

Mit klopfendem Herzen und nackt, wie er war, ging er ins Badezimmer. Auch hier fand er sie nicht, lediglich sein eigenes Gesicht blickte ihm aus dem Spiegel entgegen. Auch im Wohnzimmer entdeckte er keine Spur, nicht einmal ein Blatt Papier mit einem Abschiedsgruß. Nur sein Umhang lag nicht mehr auf dem Boden.

Benommen wankte Seth zurück zum Bett und setzte sich. Er stöhnte und ließ den Kopf in die Hände sinken. Wie hatte er nur so dumm sein und einschlafen können? Warum hatte er nicht aufgepasst?

Er hatte nichts in der Hand. Weder kannte er ihren Namen noch ihren Beruf – er wusste noch nicht einmal, wie ihr Gesicht aussah. Trotzdem konnte er ihr keine Vorwürfe machen, denn sie hatte nur wahr gemacht, was sie angekündigt hatte. Eine Nacht hatte sie ihm gehört, dann war sie verschwunden.

Hatte er ihr denn gar nichts bedeutet?

Seth schloss die Augen und presste die Hände an die Schläfen. Aus übersteigertem Selbstbewusstsein hatte er einen entscheidenden Fehler begangen. Bis zum Schluss hatte er darauf vertraut, sie dazu bewegen zu können, dass sie die Maske abnahm und ihm ihren Namen verriet.

Aber das war eine Illusion gewesen. Statt ihr Geheimnis zu lüften, hatte sie gewartet, bis er eingeschlafen war, und sich dann davongestohlen.

Warum hatte sie ihn sitzen lassen, als hätten sie lediglich an der Bar einen Cocktail getrunken oder zusammen Karten gespielt?

Er stand auf und zog die Vorhänge zurück. Ganz Paris lag im Sonnenschein, und der Eiffelturm ragte wie eine Nadel glänzend in den Himmel. Warum regnete es nicht? Ein Gewittersturm, peitschender Regen und nasse Straßen hätten weitaus besser zu seiner Stimmung gepasst.

Ich benehme mich einfach lächerlich, dachte er mit dem letzten Rest des ihm verbliebenen Humors. Die geheimnisvolle Fremde hatte ihn abserviert, doch was war schon dabei? Sie war nur eine Frau, wie viele andere auch, und er hatte noch nie Probleme gehabt, eine Partnerin fürs Bett zu finden.

Und keine hatte dabei je sein Herz berührt, denn das hatte er stets zu verhindern gewusst. Bei dem flüchtigen Schmetterling dagegen hatten seine Methoden versagt, wie er schon beim ersten Blickkontakt befürchtet hatte.

Doch diese Erkenntnis erleichterte ihm seine Situation auch nicht – noch nie in seinem Leben hatte er sich so einsam und verloren gefühlt.

4. KAPITEL

Hart schlug Seth mit der Handkante gegen den Fensterrahmen, was ihn endlich wieder zur Besinnung brachte. Er würde jetzt duschen, sich anziehen und dann seinem flüchtigen Schmetterling nachstellen. Nach einigen Telefonaten sollte er die geheimnisvolle Unbekannte ausfindig gemacht haben, denn kein Mensch konnte spurlos verschwinden.

Früher oder später würde er sie finden – mit seinem Geld und seiner Macht eher früher. Und dann würde er ihr schon sagen, was er davon hielt, sich wie ein gemeiner Dieb im Schutz der Nacht davonzuschleichen.

Plötzlich jedoch fiel ihm etwas ein, das ihn aller Kräfte beraubte. Er stöhnte leise und legte die Stirn gegen das kühle Glas. Der Himmel steh mir bei, dachte er verzweifelt, ich habe nichts für die Verhütung getan – der Gedanke ist mir überhaupt nicht gekommen!

Ohne es zu merken, war er von einem seiner wichtigsten Grundsätze abgewichen.

Wie oft hatten sie sich geliebt? Drei Mal? Doch die Idee, eines der kleinen Päckchen aus dem Koffer zu holen, war ihm nicht eine Sekunde gekommen.

Auch sie hatte nicht über Verhütung gesprochen. Wahrscheinlich nahm sie die Pille. Welche moderne und verantwortungsbewusste Frau tat das nicht? Erleichtert atmete er auf.

Aber … Hatte sie ihm nicht gesagt, dass ihre letzte und einzige Affäre drei Jahre zurücklag? Weshalb sollte sie also die Pille nehmen? Aber sein Schmetterling war eine intelligente Frau, viel zu klug, um bei einer heißen Liebesnacht mit einem Fremden das Risiko einer Schwangerschaft einzugehen.

Doch auch sich selbst hielt er für intelligent und verantwortungsbewusst, und trotzdem waren gestern Nacht die Hormone stärker als sein Verstand gewesen. Warum sollte das bei ihr anders gewesen sein?

Wieder schlug er mit der Faust so hart gegen den Rahmen, dass es schmerzte. Ihm blieb nur die Hoffnung, dass ihre Nacht ohne Folgen geblieben war. Seit er alt genug war, sich über diese Dinge Gedanken zu machen, war ihm eins klar: Nie und unter keinen Umständen wollte er ein Kind in die Welt setzen. Die Erfahrungen, die er selbst als Kind gemacht hatte, ließen den Wunsch nach einer eigenen Familie gar nicht erst aufkommen.

Doch er wollte jetzt nicht an seine Eltern denken. Nicht – er blickte auf die Uhr – um sieben Uhr morgens, nachdem er keine vier Stunden geschlafen hatte. Er gab sich einen Ruck, stellte sich unter die Dusche und wusch sich die letzten Spuren der Nacht vom Körper.

Kurz darauf stand er im Nadelstreifenanzug im Wohnzimmer. Sein Oberhemd war maßgeschneidert, die Seidenkrawatte korrekt gebunden, und die handgenähten italienischen Schuhe hatte der Page über Nacht so blank poliert, dass man sich darin spiegeln konnte. Unverzüglich ging Seth zum Telefon und machte sich ans Werk.

Zwanzig Minuten später hatte er alle Punkte seiner Liste abgearbeitet. Er hatte mit dem Empfangschef und dem Türsteher gesprochen, jedoch ohne Erfolg. Außerdem hatte er einen Privatdetektiv beauftragt, Erkundigungen bei Metropersonal und Taxifahrern einzuholen und sämtliche Pariser Kostümverleihe zu befragen. Des Weiteren sollte er eine Anzeige in allen wichtigen Tageszeitungen aufgeben und – mit dem diskreten Hinweis auf eine Belohnung – nach einer Frau fahnden, die gegen drei Uhr morgens in einem Schmetterlingskostüm und einem schwarzen Cape durch Paris gelaufen war.

All das hätte Seth auch persönlich erledigen können, doch er war zu bekannt und wollte jedes Aufsehen vermeiden. Seine aufregende Liebesnacht, entstellt und reißerisch aufgemacht, als heiße Story in der Boulevardpresse wiederzufinden wäre ihm unerträglich gewesen.

Nach dem Gespräch legte er langsam den Hörer zurück auf die Gabel und sah zu der antiken Kaminuhr auf dem Marmorsims. Alles, was ihm jetzt noch blieb, war, zu hoffen und abzuwarten.

Doch selbst das konnte er nicht in Ruhe tun, denn am Hotelparkplatz wartete bereits die schwarze Limousine auf ihn. Der Alltag hatte ihn wieder, und er musste sich auf die Sitzung konzentrieren, die für diesen Morgen anberaumt war.

Erst abends um acht hatte er wieder Zeit für sich. Durch den lauen Frühsommerabend schlenderte er über die Champs-Élysées zu seinem Lieblingsbistro und setzte sich an einen Tisch unter der Markise. Nachdem er sich etwas zu essen bestellt hatte, zog er sein Handy hervor und rief den Privatdetektiv an.

Fünf Minuten später klappte er es wieder zu und trank einen kräftigen Schluck des vorzüglichen Merlots.

Zwar hatte der Detektiv den Kostümverleih ausfindig machen können, das war jedoch auch der einzige Erfolg seiner Ermittlungen. Die Dame, an die das Schmetterlingskostüm ausgeliehen worden war, hatte bei ihrem Besuch eine dunkle Sonnenbrille und einen großen breitkrempigen Hut getragen – eine genaue Personenbeschreibung war nicht möglich. Außerdem stimmten weder der angegebene Name noch die Adresse. Ebenso ergebnislos waren die Umfragen bei Passanten, Taxifahrern und Metropersonal verlaufen.

Seth war am Abend nicht weiter als am Morgen. Sein Schmetterling schien wie vom Erdboden verschluckt, und er wusste keinen Deut mehr über sie.

Nein, dachte er, ganz stimmt das nicht. Zumindest einen Anhaltspunkt hatte er. Sie musste berühmt und von vornherein auf Anonymität bedacht gewesen sein, andernfalls hätte sie ihre Spuren nicht schon verwischt, bevor sie ihn überhaupt getroffen hatte.

Das engte den Personenkreis natürlich gewaltig ein! Seth lächelte zynisch. Jetzt brauchte er nur noch nach einer jungen Frau zu suchen, die um Mitternacht gern Sahneschwäne aß und deren Körper er bis in die intimsten Einzelheiten beschreiben konnte.

Super! Wieder griff Seth zum Glas.

Und noch etwas wusste er: Diese Frau war nicht auf sein Geld aus, was sie wohltuend von den meisten ihrer Mitmenschen unterschied.

Ein Ober servierte die kunstvoll garnierte Vorspeise und schenkte ihm Wein nach. Ohne es wirklich wahrzunehmen, starrte Seth auf das Essen. Der Appetit war ihm vergangen.

Was, wenn er diese Frau niemals wiedersah?

Drei Wochen später war Seth auf dem Weg zu einem Termin an der New Yorker Börse, als er unvermittelt wie angewurzelt stehen blieb. Prompt trat ihm ein anderer Passant, der nicht schnell genug reagieren konnte, in die Fersen. Seth entschuldigte sich und stellte sich an den Rand des Fußwegs.

Das musste sie sein!

Eine langbeinige Brünette in einem schokoladenfarbenen Chanelkostüm stand neben einer der Säulen vor dem Börsengebäude. Die selbstbewusste Art, in der sie ihren Kopf hielt, kam Seth bekannt vor. Als sie merkte, dass sie beobachtet wurde, drehte sie sich zu ihm um und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Dann lächelte sie verführerisch.

Nein! Sie war zu groß und zu dünn, und das Kinn passte nicht, das Lächeln schon gar nicht.

Nach einer knappen Verbeugung ging Seth schnell weiter. Wie konnte er sich nur so zum Narren machen! Wie oft in den vergangenen einundzwanzig Tagen hatte der Anblick einer unbekannten Frau sein Herz zum Rasen gebracht und neue Hoffnung in ihm aufflammen lassen.

Lediglich während seines Besuchs in Rio de Janeiro war er von diesen Attacken verschont geblieben. Dort hatte er einige Tage in seiner Funktion als Vorsitzender einer Stiftung verbracht, die er gegründet hatte, um mit einem Teil seines Geldes den Ärmsten der Armen zu helfen. Was er während dieser Zeit an Elend gesehen hatte, ließ ihn seinen persönlichen Kummer vergessen.

Zurück in Manhattan, dachte er jedoch wieder nur an eines: die Nacht in Paris.

War er etwa verliebt? Mit Sicherheit nicht. Schon als junger Mann hatte er sich geschworen, keiner Frau in die Falle zu gehen und niemals eine Familie zu gründen. Liebe war etwas für Teenager und nichts für einen ehrgeizigen Mann wie ihn, der den festen Vorsatz hatte, sein ererbtes Vermögen zu vervielfachen.

Krampfhaft wollte er seinen Eltern beweisen, dass er nicht auf ihr Geld angewiesen war – und auf ihre Liebe schon gar nicht.

Schon sehr lange pflegte er ein äußerst distanziertes Verhältnis zu ihnen – dem ungleichen Paar. Während sein Vater Allan ein sehr unsicherer und unglücklicher Mensch war, besaß seine beherrschte kühle Mutter einen Willen aus Stahl.

Eleonore erwartete, dass er eine Frau nach ihrem Geschmack heiratete, eine Frau also, die nicht auf die Idee kam, die Autorität ihrer Schwiegermutter infrage zu stellen. Sein Schmetterling jedoch war viel zu schön, zu sexy und zu intelligent, um Eleonores Billigung zu finden.

Doch was spielte das für eine Rolle? Er wollte nicht heiraten, er war auch nicht verliebt, er brauchte ganz einfach eine Geliebte. Eine Frau wie die, die ihm gerade durch ihr Lächeln Bereitschaft signalisiert hatte?

Nein, sie war die Letzte, die ihn hätte reizen können.

Wütend über sich selbst, stieg er die Granitstufen zur Börse empor und konzentrierte sich in den nächsten anderthalb Stunden ausschließlich auf das, was sein Makler ihm über die gegenwärtigen Trends und Risiken des internationalen Aktienmarkts berichtete.

Anschließend ging er zurück in sein Haus am Central Park und tauschte den dunklen Anzug gegen Sportkleidung. Mit verbissener Miene band er seine Joggingschuhe zu. Er würde sich sein Leben nicht von einer dahergelaufenen Abenteurerin ruinieren lassen! Sollte sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Schon eine Nacht mit ihr hatte gereicht, um ihn völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen. Unvorstellbar, was aus ihm geworden wäre, wenn sie länger bei ihm geblieben wäre. Er konnte dem Schicksal danken, sie so einfach und elegant losgeworden zu sein.

Bald würde er sich wieder fest im Griff haben, und sollte er ihr je wieder begegnen, würde er schnellstens das Weite suchen.

Wahrscheinlich jedoch sah er sie niemals wieder, denn raffiniert, wie sie war, hatte sie ihre Spuren perfekt verwischt.

Fassungslos starrte Lia auf die feine blaue Linie. Dies war der zweite Schwangerschaftstest innerhalb von zwei Tagen, und wieder war er positiv.

Dem ersten Ergebnis hatte sie nicht geglaubt, die Vorstellung, schwanger zu sein, war einfach zu ungeheuerlich.

Jetzt jedoch, nach dem zweiten Ergebnis, musste sie den Tatsachen ins Auge sehen. Sie erwartete ein Baby – von Seth!

Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte sie. Sie trug das Kind des Mannes unter dem Herzen, der ihr mehr bedeutete als jeder andere Mensch auf der Welt. Schützend legte sie die Hand auf den Bauch und lächelte ihrem Spiegelbild zu. Sie wurde Mutter!

Doch die Ernüchterung folgte schnell. Nach jener Nacht in Paris hatte sie sich geschworen, Seth ein für alle Mal aus ihrem Gedächtnis zu streichen, und jetzt war sie von ihm schwanger!

Unruhig ging sie zum Fenster ihres Apartments und blickte hinaus. Draußen herrschte eine brütende Nachmittagshitze, und die schmiedeeisernen Balkone des Nachbarhauses lagen leer und verlassen in der sengenden Sonne. Sie, die talentierte junge Geigerin Lia d’Angeli, erwartete ein Kind von dem führenden Kopf eines riesigen Ölmultis, dessen Hauptverwaltung nur wenige Häuserblocks von ihrer kleinen Wohnung entfernt lag. Ein Kind von Seth Talbot, der laut führender Wirtschaftsmagazine zu den reichsten Männern Amerikas gehörte.

Gut gemacht, Lia, dachte sie ironisch.

Übermorgen wollte sie zu einem Jugendmusikfestival nach Neuseeland fliegen, danach begann eine neue Tournee. Plötzlich verschwamm das Nachbarhaus vor ihren tränenverschleierten Augen. Wie sollte sie bei diesem Lebensstil einem Kind gerecht werden? Es war unmöglich.

Ihre Konzerttermine für die nächsten drei Jahre standen bereits fest, ihre überwältigenden Erfolge machten sie glücklich und stolz, und sie war hoch motiviert, eine der besten Geigerinnen der Welt zu werden. Niemals konnte sie eine solche Karriere für ein Baby aufgeben, das brachte sie einfach nicht über sich!

Abtreibung?

Alles in ihr sträubte sich dagegen. Damit könnte sie nicht weiterleben.

Sie allein trug die Verantwortung für die Schwangerschaft, denn Seth hatte sich ihr nicht aufgedrängt. Freiwillig war sie ihm in sein Bett gefolgt, und jetzt hatte sie die Konsequenzen zu tragen. Gleichzeitig war es eine Sache, die auch Seth etwas anging.

Was sollte sie nur tun? Ihn in seinem Büro anrufen?

Hallo, Seth, ich bin es, die Frau, mit der du in Paris eine heiße Nacht verbracht hast. Soll ich dir ein süßes Geheimnis verraten? Ich bin schwanger!

Ausgeschlossen, so etwas würde sie nie tun. Außerdem dächte er dann nur, sie würde den ältesten Trick der Welt anwenden, um ihn sich als Ehemann zu schnappen.

Was konnte sie tun?

Zum Arzt gehen, mir die Schwangerschaft bestätigen lassen, das Konzert in Auckland geben und mir auf dem langen Flug in Ruhe überlegen, wie ich meine Zukunft gestalten möchte, dachte sie nüchtern.

Was sie von Anfang an geahnt wie befürchtet hatte, war tatsächlich eingetreten: Seth hatte sich in ihr Leben eingemischt.

Zwei Wochen später klebte Lia Marken auf zwei identische Briefe. Der eine war an Seths Zentrale in Manhattan gerichtet, der andere an eine Privatadresse in den Hamptons, wo die Superreichen, die nicht direkt in der Millionenstadt leben wollten, ihre Häuser hatten. Beide Anschriften hatte sie im Internet gefunden. Obwohl Lia sicher war, dass Seth auch in New York ein Haus besaß, hatte sie keine entsprechende Adresse gefunden. Vermutlich hielt er sie streng geheim.

Vor einigen Tagen hatte sie sich entschieden, ihm zu schreiben. Ihm die Schwangerschaft zu verheimlichen, hatte sie nach längerem Überlegen unfair gefunden.

Trotzdem hatte sie Angst vor seiner Reaktion. Sie könnte es nicht ertragen, wenn er den Zauber jener traumhaften Nacht zerstören und ihr Vorwürfe machen würde, weil sie ihn nicht auf Verhütung angesprochen hatte. Viel schlimmer jedoch wäre die Beschuldigung, sie hätte ihn mit Absicht in die Falle gelockt.

Als sie aus dem Haus trat und unvermittelt der ganzen Kraft der Julisonne ausgesetzt war, taumelte sie und musste sich kurz gegen die Hauswand lehnen. Glücklicherweise waren Schwindelanfälle das Einzige, worunter sie in ihrer Schwangerschaft litt. Von morgendlicher Übelkeit war sie bislang verschont geblieben.

Lia schloss kurz die Augen und stieß sich dann energisch von der Wand ab, ging zum Briefkasten zwei Straßen weiter und warf die beiden Briefe ein.

Es war geschafft. Nun hatte sie ihre Karten offen gelegt, alles andere hing von Seth ab.

5. KAPITEL

Wohlig räkelte sich Lia auf der komfortablen Liege. Über ihrem Kopf raschelten die Palmblätter im warmen Wind der Karibik, und die Bougainvillea, in deren Schatten sie es sich bequem gemacht hatte, duftete süß.

An dem blendend weißen Strand, der zu der exklusiven Ferienanlage auf einer kleinen karibischen Insel gehörte, brachen sich leise die Wellen. Was für eine schöne Musik, stellte Lia fest, und noch dazu eine, die ich geschenkt bekomme, anstatt sie mir selbst erarbeiten zu müssen.

Es war einfach himmlisch, träge und entspannt in der Sonne liegen zu dürfen. Wann war sie vom Schicksal das letzte Mal derart verwöhnt worden?

Nach dem Sonnenbad würde sie aufstehen, duschen, ihr schickes neues Strandkleid anziehen und im Tradewind Room essen gehen, denn es war das zwangloseste der drei Restaurants in der Anlage. Morgen wollte sie vormittags am Riff schnorcheln und nachmittags in die Sauna und zur Massage.

Lia hatte kein schlechtes Gewissen, obwohl die knappe Woche Urlaub ihr Konto bis an die Grenzen strapazierte. Da Nachsaison war, hatte sie den Aufenthalt zu einem Sonderpreis bekommen, und einmal im Jahr gönnte sie sich den Luxus, ihre Zeit ganz für sich allein zu haben.

Sie war gerade erst sieben Stunden hier und fühlte sich schon wie neu geboren. Wie würde es ihr dann erst morgen nach dem Besuch in der Wellness-Oase gehen?

Gemächlich stand sie auf und ging in ihren klimatisierten Bungalow. Er war von exotischen Pflanzen umgeben, die man sonst höchstens in Botanischen Gärten fand. Tropische Falter in den herrlichsten Farben flatterten über den Blüten und tranken Nektar. Verzückt blieb Lia stehen und genoss das paradiesische Bild. Wie zutraulich, wie sorglos und lebenshungrig diese schönen Schmetterlinge wirkten!

Vor acht Jahren war auch sie einmal so gewesen, doch das hatte sich grundlegend geändert.

War das ein Wunder?

Versonnen betrachtete sie die türkisfarbene Zeichnung eines besonders prächtigen Falters und lächelte. Nach jener Nacht in Paris hatte es Jahre gedauert, bis sie sich wieder dazu durchringen konnte, Türkis zu tragen. Doch die Zeiten waren vorbei, und ihr neuer hautenger Badeanzug besaß genau diese Farbe.

Ich sehe blendend darin aus, dachte sie zufrieden, und ich werde mich hier ausgiebig amüsieren, ich ganz allein.

Als er sich im Spiegel seines Bungalows betrachtete, verzog Seth das Gesicht zu einem grimmigen Lächeln. Er hatte den Urlaub wirklich bitter nötig. Und wo konnte er sich besser erholen als hier?

Er setzte den Rasierapparat ans Kinn. Die Narbe, die sich quer über seinen Rippenbogen zog, schmerzte kaum noch, doch das Pflaster juckte unangenehm. Ohne die furchtbaren Albträume, die ihn Nacht für Nacht quälten, könnte er mit seinem Zustand ganz zufrieden sein.

In jedem Fall wollte er im Tradewind Room zu Abend essen, weil er dort in legerer Kleidung erscheinen konnte. Sich in einen Anzug zu zwängen, hatte er keine Lust, und auf Unterhaltung legte er ohnehin keinen Wert. Er wollte einige Tage ganz für sich allein sein und sich endgültig auskurieren.

Flüchtig fuhr er sich mit dem Kamm durch das dichte blonde Haar, dann war er fertig. Als er durch den weißen Sand zum Restaurant ging, atmete er tief durch und erfreute sich an dem herrlichen Strand und dem unbeschreiblich blauen und kristallklaren Wasser der Karibik.

Doch seine Ferienlaune erhielt einen jähen Dämpfer, als er im Foyer des Restaurants überschwänglich begrüßt wurde.

„Seth! Du bist wirklich der Letzte, mit dem ich hier gerechnet hätte! Dieser Ort ist doch viel zu ruhig für dich.“ Conway Fleming lachte. „Darf ich dir meine Freunde vorstellen? Dies sind Pete Sonyard – du weißt doch, Sonyards Yachten – und seine Frau Jeannie.“

Natürlich hatte Seth schon von den beiden gehört, Pete gehörte die Werft, auf der die schnellsten Yachten der Welt gebaut wurden, und Jeannie war Geschichtsprofessorin mit dem Fachgebiet Karibische Inseln.

Conway selbst war ein geachteter Broker an der Wall Street und bekannt als Förderer junger Künstler, Seth kannte ihn seit Jahren. Obwohl sich schnell eine angeregte Unterhaltung entwickelte, suchte er fieberhaft nach einer Ausrede, um sich zu entschuldigen. Ohne die Regeln der Höflichkeit zu verletzen, wollte er sich nämlich lieber allein an einen Tisch setzen.

Da sah er sie.

Sie betrat gerade das Foyer, trug ein kurzes rotes Kleid und hatte glänzendes rabenschwarzes Haar, das ihr offen auf die Schultern fiel. Die Beine waren lang und schlank, und die Füße steckten in roten Sandaletten mit gewagt hohen Absätzen. In den rötlichen Strahlen der Abendsonne schimmerte ihre Haut golden.

Die Frau war so schön, dass es ihm den Atem verschlug.

Jetzt drehte sie sich um und hielt die Tür für eine Mutter mit zwei kleinen Kindern auf, die ihr unmittelbar gefolgt waren. Sie nahm die Sonnenbrille ab und bückte sich, um mit dem Jungen zu reden. Spielerisch zog er an ihrem Haar, und sie machte einen Scherz, der ihn zum Lachen brachte.

Seths Herz klopfte unregelmäßig. Wann hatte ihn eine Frau das letzte Mal derart unvermittelt und stark angezogen?

Es schien Ewigkeiten her zu sein.

Die schwarzhaarige Schöne und die beiden Kinder gaben ein hübsches Bild ab. Nun lachte sie. Rauchig. Unbeschreiblich sexy. Als sie sich aufrichtete und ihr Kleid glatt strich, ging sein Puls noch schneller, denn auch ihr Kleid war ausgesprochen sexy. Ärmellos und mit eckigen Ausschnitten für Hals und Arme, zeigte es viel braune Haut. Eine Hand breit über dem Saum verlief ein ebenfalls eckiger Hohlsaum, der noch mehr Haut durchschimmern ließ.

Strahlend verabschiedete sich die Fremde von Mutter und Kindern und ging in Richtung Tradewind Room. Ärgerlich registrierte Seth, dass sie kein einziges Mal zu ihm hingesehen hatte.

„Eine wirklich bezaubernde Frau“, bemerkte Conway, der seinem Blick gefolgt war.

„Du kennst sie?“ Seth war überrascht.

„Du etwa nicht?“

„Nein.“ Seth schüttelte den Kopf. Er wusste nur, dass er dieser Frau unbedingt vorgestellt werden wollte. Für ihn war das ein gutes Zeichen, denn vielleicht hatte er jetzt endlich die Folgen des Pariser Fiaskos überwunden, das nun immerhin schon acht Jahre zurücklag.

„Das erstaunt mich wirklich, Seth! Wenn mich nicht alles täuscht, interessierst du dich doch für klassische Musik, oder?“

„Ja, aber was hat das damit zu tun?“ Irritiert runzelte Seth die Stirn. Erst vor zwei Jahren hatte ihn sein Freund Julian in Berlin mit Klassik in Berührung gebracht – er war also noch ein ziemlicher Neuling auf diesem Gebiet.

„Die Frau ist Lia d’Angeli, die bekannte Stargeigerin, die vom Publikum und den Medien gleichermaßen geliebt wird. Ich mache euch miteinander bekannt. – Lia!“, rief er durchs Foyer.

Überrascht hob sie den Kopf und lächelte Conway zu. Ihre Augen waren fast so dunkel wie ihr Haar, und ihre Fingernägel waren rot lackiert, rot wie ihr Kleid und ihre vollen, sinnlichen Lippen.

„Conway! Was für eine Überraschung!“ Lia kannte und verehrte Conway seit sechs Jahren. Vor vier Jahren hatte seine Stiftung ihr ermöglicht, die Geige ihrer Träume zu kaufen, eine echte Stradivari, die wie für ihr Spiel gemacht zu sein schien. Für Conway würde Lia an diesem Abend sogar auf das ersehnte Alleinsein verzichten.

„Darf ich vorstellen, Lia? Pete und Jeannie Sonyard aus Maine und Seth Talbot, der hauptsächlich in New York lebt. Lia d’Angeli, die berühmte Geigenvirtuosin.“

Wie aus dem Nichts stand plötzlich Seth vor ihr – die Abendsonne malte goldene Reflexe auf sein blondes Haar, und seine grünen Augen waren noch faszinierender, als sie sie in Erinnerung hatte. Vor Schock war Lia wie gelähmt und befürchtete, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Seth! Das konnte, das durfte nicht sein! Wie sollte sie das überstehen?

Sie schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, ihr Gleichgewicht zu halten. Vielleicht hatte sie ja nur einen Albtraum.

„Ist dir nicht gut?“ Besorgt legte Conway ihr die Hand auf den Arm.

„Danke, es geht mir schon wieder besser.“ Mit Mühe brachte sie ein freundliches Lächeln für die Sonyards zustande. „Gestern war ich noch bei Minustemperaturen in Helsinki, anscheinend habe ich Schwierigkeiten mit dem Klimawechsel und dem strahlenden Sonnenschein.“

Jeannie lachte und machte eine Bemerkung über das Wetter und die Folgen des Jetlags.

Autor

Sandra Field

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