Julia Saison Band 69

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  • Erscheinungstag 26.08.2022
  • Bandnummer 69
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508100
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Ally Blake, Rebecca Winters, Cathy Williams

JULIA SAISON BAND 69

1. KAPITEL

„Ich werde heiraten!“ verkündete Holly. Sie war an diesem Morgen fünfzehn Minuten zu spät dran und knallte ihre Aktenmappe auf den Schreibtisch ihres Büros in der Event-Agentur „Wolke Sieben“.

„Du machst was?“ ertönte Beth’ Stimme entgeistert aus dem Lautsprecher der Telefonanlage.

Holly setzte sich an ihren Schreibtisch, schlug die Beine übereinander und entdeckte die Laufmasche in ihrer Strumpfhose. Ihre Stimmung erreichte einen erneuten Tiefpunkt. Sie nahm sich ein Paket mit einer neuen Strumpfhose von dem Vorratsstapel in der untersten Schublade des Schreibtisches und ging in das zu ihrem Büro gehörige Bad, um sich umzuziehen. Zwar musste sie laut werden, um von dort aus über die Telefonanlage von Beth verstanden zu werden, was bei ihrer gegenwärtigen Laune jedoch kein Problem war. „Ich sagte, ich werde heiraten!“

„Aber ich kann mich nicht erinnern, dass du dich in den vergangenen sechs Monaten mehr als einmal mit demselben Mann verabredet hättest“, wandte ihre Freundin am anderen Ende der Leitung verblüfft ein, „geschweige denn, dass du einem davon so nahe gekommen wärst, um ihn heiraten zu wollen!“

Hollys Assistentin Lydia wählte genau diesen Moment, um das Büro zu betreten. Sie blieb wie angewurzelt stehen, so dass aus dem Becher, den sie in der Hand hielt, der Kaffee beinahe überschwappte, und starrte fast beleidigt auf die Telefonanlage. Holly kam aus dem Bad, wieder makellos bekleidet, winkte Lydia ungeduldig zu, und diese stellte den Kaffeebecher sogleich in Reichweite für Holly auf den Schreibtisch.

Ohne um Erlaubnis zu bitten, mischte sich Lydia ganz selbstverständlich in das Privatgespräch ein. „Habe ich euch richtig verstanden? In der kurzen Zeit, die ich gebraucht habe, um Holly einen Kaffee zu machen, hat sie sich einen Bräutigam an Land gezogen?“

„Bist du das, Lydia?“ fragte Beth am anderen Ende der Leitung.

Lydia beugte sich über die Telefonanlage. „Wie geht es dir, Beth? Wann kommt das Baby?“

„Oh, es geht mir bestens, und das Baby soll ungefähr in einem Monat kommen …“

„Bitte, Mädels“, unterbrach Holly die beiden. „Hier werden gerade ganz wesentliche Entscheidungen für mein Leben getroffen.“

Lydia machte sofort eine Geste, als würde sie sich die Lippen verschließen.

„Tut mir Leid, Darling“, meldete sich Beth vergnügt. „Aber Lydia ist schuld. Du weißt genau, dass ich mich nicht zurückhalten kann, wenn mich jemand nach dem Baby fragt. Bitte, rede jetzt weiter.“

„Danke.“ Holly atmete tief ein. „Heute Morgen, als ich gerade am letzen Block in der Lonsdale Street entlangging, hat mich dieser … Mann praktisch platt gewalzt. Mein Aktenkoffer landete in der Gosse, die Kulis rollten über die Straße, und meine wichtigen Unterlagen flatterten über den Gehweg. Und als ich dann auf Händen und Knien meine Sachen wieder einsammelte, besaß dieser Typ auch noch die Frechheit, mir zu sagen, ich solle besser aufpassen!“

„War er süß?“ erkundigte sich Lydia sofort.

Nein, süß war nicht der treffende Ausdruck. Holly rief sich seine braunen Augen in Erinnerung. Die dunklen Schatten der Erschöpfung darunter hatten unwillkürlich ihr Mitgefühl geweckt. Aber sein finsterer Blick, als er erkannte, dass sie alles fallen gelassen hatte, hatte derartige Gefühle rasch wieder erstickt. Trotz seines gereizten Tons hatte seine Stimme einen tiefen, warmen Klang gehabt … mit einem Anflug von amerikanischem Akzent. Nein, süß traf es wirklich nicht.

„Groß“, antwortete Holly zögernd. „Dunkles, zerzaustes Haar. Grübchen in beiden Wangen. Hat angenehm geduftet. Aber das tut nichts zur Sache.“

„Tut nichts zur Sache?“ widersprach Beth über das Telefon. „Er klingt perfekt!“

„Das meine ich auch“, pflichtete Lydia ihr bei.

Und Beth, die einen starken Hang zum Esoterischen hatte, fügte schwärmerisch hinzu: „Gerade wenn man aufhört zu suchen, findet er dich. Es ist Kismet.“

Holly verdrehte die Augen. „Er hat mich nicht gefunden, Beth, sondern mich ausgeschimpft und verletzt. Sieh her!“ Sie zeigte Lydia eine kleine Schürfwunde an ihrem Knie, und ihre Assistentin machte ein mitfühlendes Gesicht.

„Und den Burschen willst du heiraten?“ fragte sie dann etwas verwirrt.

„Nein! Ihr habt beide nicht verstanden, worum es geht. Diese schreckliche Episode hat mir die Augen geöffnet. Mein geselliges Leben beschränkt sich ausschließlich auf den Besuch von Partys, die wir organisieren. Anstatt Männer kennen zu lernen, lerne ich nur männliche Partylöwen kennen. Die führen mich mit ihrem attraktiven, charmanten und selbstbewussten Auftreten in die Irre, aber sie sind nichts als Blender. Der ‚Gentleman‘ von vorhin war sehr attraktiv, kompromisslos und rücksichtslos und somit die Verkörperung all dessen, was den Männern, die ich kennen lerne, fehlt. Das ist eine narrensichere Theorie.“

„Ich muss zugeben, ich bin verwirrt“, sagte Lydia. „Wenn es nicht der Typ ist, wen, in aller Welt, willst du dann heiraten?“

„Das ist ja der Punkt … Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Ben ihn für mich finden wird.“

„Mein Ben?“ fragte Beth übers Telefon.

„Natürlich. Siehst du denn nicht, dass das der einzige Weg ist? Ben arbeitet für eine große Firma und hat viele Angestellte unter sich, zumeist junge Männer, die er selbst ausgesucht hat und somit besser kennt als jeder andere. Er kann mir jemanden aussuchen, den er selber gut leiden mag, und dann werden wir vier auf immer die besten Freunde sein. Du weißt schon … man lebt Tür an Tür, lädt sich gegenseitig zum Grillen ein, geht gemeinsam auf Campingtour …“

„Aber du hasst Camping!“

„He, Beth, ich scherze nicht. Du musst doch zugeben, der Plan ist perfekt.“

„Und das alles, weil du auf der Straße mit einem sehr attraktiven, gut riechenden Burschen mit Grübchen zusammengeprallt bist?“ fragte Beth, immer noch ungläubig.

„Es war, als hätte er mir bei unserem Zusammenprall etwas Vernunft eingebläut.“

„Er hat dir wohl eher eine Gehirnerschütterung verpasst“, meinte Lydia respektlos, was Holly mit einem ungnädigen Blick quittierte.

„Der Typ muss ja ein toller Hecht gewesen sein, um ausgerechnet dich zu veranlassen, vom Heiraten zu reden“, meldete sich Beth über die Telefonanlage.

„Was soll das heißen … ausgerechnet mich?“

„Komm schon, Holly. Ich kenne keine Frau, die so beherrscht und unabhängig ist wie du. Du meine Güte, du hast in deinem Schreibtisch im Büro sogar einen Stapel Ersatzstrumpfhosen in verschiedenen Farben!“

Hollys Blick schweifte unwillkürlich zu besagtem Stapel. Sie stieß die Schublade mit dem Fuß zu.

„Und plötzlich willst du dein zukünftiges Glück in die Hände eines anderen Menschen legen“, fuhr Beth fort.

„Ben ist nicht irgendjemand, das weißt du genau. Ich traue ihm zu, dass er eine gute Wahl treffen wird.“

„Ich kann nicht glauben, dass du es wirklich ernst meinst“, gestand Beth. „Aber gut, komm heute Abend zum Essen zu uns, damit wir meinen armen, ahnungslosen Mann überfallen können.“

„Danke, Beth. Du bist die beste Freundin auf der Welt.“

„Dass du mir es bloß nicht vergisst!“

Nachdem Beth das Gespräch beendet hatte, ging auch Lydia zur Tür. Auf der Schwelle drehte sie sich aber noch einmal um und fragte: „Hat er dir geholfen, deine Sachen wieder aufzuheben?“

Holly, die sich bereits den Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zugewandt hatte, blickte auf. „Wie? Ja, er hat praktisch sofort sein Gepäck abgestellt und sich gebückt, um mir zu helfen. Aber dabei hat er mich ausgeschimpft, weshalb das auch ohne Bedeutung ist.“

„Und du bist mit gesenktem Kopf und in Gedanken schon ganz bei deinen heutigen Projekten vor dich hin gegangen, ohne auf irgendetwas zu achten, stimmt’s?“

„Sicher …“

„Aber das ist auch ohne Bedeutung, richtig?“

Holly warf Lydia einen giftigen Blick zu, was diese jedoch nicht abschreckte.

„Ein großer dunkelhaariger, gut aussehender Fremder rennt dich um und geht dann in die Knie, um dir zu helfen. Und du hältst das für schlecht. Ich dagegen würde den Rest des Tages verträumt aus dem Fenster sehen, wenn mir so etwas passieren würde. Leider habe ich nicht so viel Glück. Ich musste mich auf dem Weg hierher mit einer Horde Schüler in die U-Bahn quetschen.“ Lydia seufzte dramatisch, und Holly lächelte wider Willen.

„Dir ist doch klar, dass ich dein Boss bin und es deshalb dein Job ist, mich gebührend zu bedauern, oder?“

„Und ich dachte, es sei mein Job, dir Kaffee zu bringen, auf Stühlen zu stehen, so dass du mich mit Stoffen behängen kannst, und alle Anrufe von irgendwelchen Männern abzuwimmeln, mit denen du am Abend zuvor ein langweiliges Date verbracht hast.“

„Natürlich“, antwortete Holly nach kurzem Überlegen, „das auch.“

Lydia verließ den Raum und ging zurück an ihren Schreibtisch, um zumindest eine Weile verträumt aus dem Fenster zu sehen und sich vorzustellen, sie würde die Lonsdale Street entlanggehen und mit großen dunkelhaarigen, gut aussehenden Fremden zusammenprallen.

Jake half dem Fahrer, die letzten Gepäckstücke in den Kofferraum des Taxis zu laden. Als sie dann losfuhren, strich er sich durch das zerzauste Haar, lehnte sich zurück und ließ den Blick einen Moment auf dem erschöpften Ausdruck seines Spiegelbildes im Seitenfenster verweilen.

Dann wandte er den Blick nach draußen, wo die ihm vertrauten Häuserfluchten seiner Heimatstadt vorbeizogen. Er war sich noch nicht sicher, was er davon halten sollte, wieder zu Hause zu sein. So weit, so gut. Und eine heiße Dusche und ein erholsamer Schlaf in seinem eigenen Bett würden es noch besser machen. Aber wie lang würde es diesmal dauern, bis in ihm der Wunsch erwachte weiterzuziehen?

So oder so, Melbourne war eine großartige Stadt. Wenn er allein an die bezaubernde Frau dachte, mit der er gerade auf der Straße den kurzen Austausch gehabt hatte. Eine typische Frau aus Melbourne … heller, seidiger Teint, elegant bis ins kleinste Detail, ein hinreißendes Gesicht und eine natürlich selbstbewusste Haltung. So eine Frau fand man sonst nirgendwo auf der Welt. Jedenfalls er hatte bislang keine solche gefunden. Während der Fahrt nach Hause schweiften seine Gedanken immer wieder zu der Brünetten mit den blitzenden blauen Augen, die es irgendwie geschafft hatte, ihn aus seiner sonst für ihn typischen Gemütsruhe zu reißen.

Jetlag. Es musste am Jetlag liegen.

„Schatz?“ Bens Stimme schallte aus der Eingangsdiele.

Holly schluckte. Sie hatte nicht gehört, dass er die Haustür aufgeschlossen hatte.

„Wir sind hier, Darling!“ rief Beth, die in einem Sessel saß, den sie ihrem schmerzenden Rücken zuliebe in die Küche geschleppt hatten. Holly begegnete dem bezeichnenden Blick ihrer Freundin. Das ist deine letzte Chance, es dir noch anders zu überlegen, besagte er. Aber Holly war fest entschlossen. „Folge einfach dem köstlichen Duft von Brathähnchen à la Holly in die Küche.“

Ben kam herein, beugte sich herab und küsste seine Frau, ohne auch nur zu fragen, warum der Wohnzimmersessel in der Küche stand. Holly hielt ihm ebenfalls ihre Wange zum Kuss hin und wurde nicht enttäuscht.

„Was verschafft uns das Vergnügen deiner Gesellschaft, Prinzessin?“ Ben spähte über ihre Schulter auf das so verlockend duftende Abendessen. Holly gab ihm einen Klaps auf die Finger, als er versuchte, sich ein Stück Tomate zu stibitzen.

Nach einem prüfenden Blick auf Beth, die ihr hinter Ben aufmunternd den hochgereckten Daumen zeigte, antwortete Holly: „Ich möchte, dass du mir zu einem Date mit einem deiner Angestellten verhilfst.“ Mit angehaltenem Atem wartete sie auf das unvermeidliche Nein.

„Kein Problem“, erwiderte Ben, und Holly war zu verblüfft, um ihn daran zu hindern, eine Kirschtomate zu naschen.

„Wirklich?“

„Natürlich. Es geht um Derek aus der Lohnbuchhaltung, stimmt’s? Der hat schon seit langem ein Auge auf dich geworfen.“

„Also zuerst einmal … es geht nicht um Derek. Ich meine … igitt!“

„Komm schon, Ben“, kam Beth ihr zu Hilfe. „Du weißt doch, dass sie auf große dunkelhaarige, attraktive Männer steht. Derek ist ein Langeweiler.“

„Um wen geht es dann?“

Holly räusperte sich umständlich und erklärte Ben dann mit wachsender Begeisterung ihre geniale Theorie und ihren Plan, bis Ben nicht mehr daran zweifeln konnte, dass sie es ernst meinte.

„Ihr beide meint es ernst, richtig?“ fragte er unnötigerweise.

„Todernst“, bekräftigte seine Frau. „Ich habe ihr Horoskop erstellt … Holly ist scharf.“ Sie bemerkte Bens entsetzten Blick und stieß ihn lachend in die Rippen. „Scharf auf die ganz große Chance natürlich, du Dummkopf. Nein, es ist wirklich ernst, Ben. Sie kommt allmählich in die Jahre.“

„Sie ist siebenundzwanzig, du meine Güte!“

„Und ich möchte ihre Ehrendame sein, solange ich noch jung und hübsch genug bin, wenigstens eine kleine Chance zu haben, die Braut auszustechen.“

„Ihr beide seid komplett verrückt, und ich sollte euch nicht mehr in einem Raum miteinander allein lassen!“ meinte Ben kopfschüttelnd.

„Aber du wirst es tun, nicht wahr, Darling?“

Ben begegnete den erwartungsvollen Blicken der beiden Frauen und brachte es nicht übers Herz, abzulehnen.

2. KAPITEL

Am nächsten Abend flanierte Holly also am Arm des Ehemannes ihrer besten Freundin durch die vordere Bar des Sport- und Nachtclubs „Fun and Games“. Sie hatte sich schwer in Schale geworfen und trug ein hautenges, schulterfreies schwarzes Seidenkleid, dessen Rock bis zum Oberschenkel geschlitzt war.

„Hattest du für heute Abend an irgendjemand Bestimmten für mich gedacht?“ brüllte sie Ben ins Ohr, damit er sie über die dröhnende Musik hinweg verstehen konnte.

„Also, ehrlich gesagt, habe ich dein Foto an die Wand in der Männertoilette in der Firma gepinnt zusammen mit einem Hinweis, dass du heute Abend hier sein würdest“, antwortete er ungerührt. „Auf diese Weise können sie dich ganz zwanglos ansprechen.“

„Das ist nicht komisch!“ Holly kniff ihn ziemlich unelegant in den Arm. „Was ist das überhaupt für eine Veranstaltung hier?“

„Von unserer eigenen Firma. Das ist Lincolns Idee. Wir veranstalten all unsere Feiern in den verschiedenen Clubs, die uns gehören, so dass wir praktisch ständig in uns selber investieren.“

Holly nickte. „Genial. Nur schade, dass ‚Lincoln Holdings‘ all seine Veranstaltungen intern managt. Ich hätte viel Spaß mit einem Budget dieser Größenordnung.“ Sie schmiegte sich enger an Ben. „Ist der große Boss heute auch hier?“

„Lincoln? Tut mir Leid, Holly, aber den kannst du von deiner Liste streichen. Er hat in den letzten Jahren unsere internationalen Geschäfte von New Orleans aus geleitet.“

„Ich wette, er ist groß und dunkelhaarig und unwerfend attraktiv“, meinte Holly schmollend, und Ben lächelte nur. Holly wertete diese Reaktion als einen Hinweis, dass sein Boss ein verheirateter Workaholic war mit drei nervenden Kindern, einem Bierbauch und zu hohem Blutdruck.

Ben nahm ihre Hand und zog Holly hinter sich her durch die Menschenmenge in einen privaten Veranstaltungsraum, der zu einer Art Theater umgestaltet worden war. Deckenscheinwerfer tauchten den Raum in blendendes Licht, schalldichte Wände schlossen die dröhnende Popmusik von nebenan aus, so dass man nur das Klingen von Gläsern und ein fröhliches Stimmengewirr hörte.

Sie folgte Ben zu ihrem Platz vorbei an mehreren attraktiven Männern in Abendanzügen, deren Anblick ihr Herz höher schlagen ließ. Nachdem sie dann Platz genommen hatten, wandte sie sich an Ben, um ihn zu fragen, was sich hinter dem Samtvorhang verbarg, der in der Mitte des Raumes von der Decke bis zum Boden reichte. Doch genau in diesem Moment wurde er langsam hochgezogen und enthüllte … einen Boxring!

Ben unterhielt sich mit zwei Kollegen in der Reihe davor. Begeistert fachsimpelten sie über die beiden Boxer, die gleich vor ihnen zur Sache gehen würden.

Holly zupfte Ben am Ärmel. „Da vorn ist ein Boxring.“

Er lächelte nachsichtig. „Damit die Boxer für sich bleiben und sich nicht durch die Menge prügeln.“

„Aber … ich dachte, dies sei eine Geschäftsfeier und wir würden bei Tisch sitzen und gepflegt zu Abend essen und du würdest mich lauter eleganten, distinguierten Herren vorstellen.“

„Wir sitzen. Wir essen.“ Ben warf sich eine Hand voll Nüsse in den Mund, die er von einem vorbeikommenden Ober aufgegriffen hatte. „Und dies hier sind Mark und Jeremy.“ Die beiden unscheinbaren Herren mittleren Altes aus der Reihe vor ihnen lächelten höflich.

Holly packte Ben bei den Satinaufschlägen seines Smokings und sorgte so dafür, dass das übermütige Funkeln in seinen Augen rasch erstarb. „Aber so habe ich es mir ganz und gar nicht vorgestellt!“

„He, entspann dich, Holly. Es wird dir gefallen.“

Holly verschränkte mit skeptischer Miene die Arme. „Es überrascht mich, dass sich ‚Lincoln Holdings‘ mit einer derart primitiven und zweifelhaften Unternehmung in Verbindung bringen lässt.“

„Sämtliche Angestellte von ‚Lincoln Holdings‘, vom Geschäftsführer bis hin zum Wachpersonal, treffen sich zu diesen Abenden. Bürointerne Probleme wirken plötzlich klein und nichtig, wenn man sie damit vergleicht, wie schwer sich diese Burschen im Ring ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Und du solltest doch am besten wissen, dass man bei einem erfolgreichen Gag bleiben sollte.“

„Aber dies ist nicht bloß ein Gag, Ben. Hier werden die Leute ermutigt, ihre Probleme mit den Fäusten auszutragen. Wessen Idee war das überhaupt?“

„Lincolns natürlich“, antwortete Ben lächelnd. „Der Gute ist eine Quelle der Inspiration.“

Holly dachte jetzt eher an einen Schlägertyp und war plötzlich froh, dass Bens Boss die Veranstaltung nicht besuchen würde. Sie hätte ihm nämlich unmissverständlich klar gemacht, was sie von seiner kleinen Soiree hielt … ohne Rücksicht auf seinen Blutdruck. Es frustrierte sie maßlos, dass sich zu Hause in ihrem „magischen“ Aktenkoffer, wie Lydia ihn immer bewundernd nannte, allein ein Dutzend besser geeignete und fantasievollere Ideen für derartige Veranstaltungen befanden.

Ein Raunen lief durch die Menge, als in diesem Moment ein Ansager, bekleidet mit Abendanzug und schwarzer Fliege, in den Ring sprang und von den Deckenbalken ein Mikrofon herabgelassen wurde. Die Leute erhoben sich von ihren Plätzen. Holly tat es ihnen nach, aber nur, um sich einen Weg durch die Reihen zu bahnen und sich irgendwo eine Zuflucht zu suchen.

Im Waschraum sank sie auf eine große, mit pinkfarbenem Samt bezogene Ottomane, die mitten in dem Raum stand. Sie schloss die Augen und malte sich aus, wie sie sich an Ben rächen würde, als sie hörte, wie die Tür aufging. In der Erwartung, Trost bei einer mitfühlenden Seelenverwandten zu finden, öffnete Holly die Augen … und erblickte eine Person, die alles andere als feminin war!

Herein kam ein Mann, der gut einen Meter neunzig groß sein mochte, bekleidet mit einem Smoking, der maßgeschneidert auf den breiten Schultern saß und die athletische Statur betonte. Der Anblick allein raubte Holly den Atem. Vielleicht war dieser Abend ja doch kein Flop.

Im nächsten Moment jedoch machte es bei ihr klick … Tags zuvor war sein dunkles Haar noch länger und zerzaust gewesen. Jetzt war es frisch geschnitten und elegant frisiert. Aber die dichten Brauen und die dunkelbraunen Augen waren unverkennbar … Das war der Grobian, der sie gestern auf der Straße über den Haufen gerannt hatte!

Sofort war sie hellwach und auf der Hut. Der Typ strahlte Charisma und Selbstvertrauen aus. Jede andere Frau hätte dieser gefährlichen Kombination vermutlich nicht widerstehen können. Aber sie, Holly, war nicht irgendeine x-beliebige Frau. Sie hatte eine narrensichere Theorie, und sie hatte Ben, der sie genau gegen solche Kerle abschirmen sollte.

Nur, wo war Ben, wenn sie ihn wirklich brauchte? Schön, sie und ihre Theorie mussten sich selbst verteidigen. Und ihr wichtigstes Anliegen war, den Mann zu vertreiben, bevor er sie wieder erkennen würde!

Holly sprang auf. „Entschuldigen Sie, aber dies ist der Waschraum für Damen!“

Der Fremde nahm es gelassen. „Dem ist nicht so“, antwortete er mit leicht amerikanischem Akzent und deutete auf zwei Türen auf der anderen Seite des Raumes. „Dort geht es zu den getrennten Waschräumen. Dies ist eine gemeinschaftliche Ruhezone.“

„Oh.“ Holly sank zurück auf die Ottomane. Nun gut, er würde also jeden Moment im Waschraum für Herren verschwinden, so dass sie ihr Heil in der Flucht suchen konnte.

Aber den Gefallen tat er ihr nicht. Schließlich blickte Holly unbehaglich auf und musste feststellen, dass der Typ lässig an der Tür lehnte, ihr somit den Weg nach draußen versperrte, und sie beobachtete. Unübersehbar amüsiert ließ er den Blick über ihr dunkles Haar schweifen, das sie an diesem Abend zu kunstvollen Locken hochgesteckt hatte, weiter hinab über ihr zartes Gesicht, das unter seinem intensiven Blick errötete, und hinunter über ihren Hals und ihre Schultern, die ihr plötzlich ganz furchtbar entblößt vorkamen.

Holly folgte dem Blick des Fremden weiter hinab und stellte fest, dass der Schlitz im Rock ihres Kleides uneingeschränkt ihre langen, übereinander geschlagenen Beine enthüllte. Die schimmernden, hauchzarten Strümpfe ließen die leichte Schürfwunde am Knie erahnen, die sie sich bei dem kleinen Handgemenge mit ihm auf der Straße zugezogen hatte. Rasch stellte Holly die Beine nebeneinander und zog den Rock über die Knie, um die verräterische Wunde zu verbergen.

Eine Geste, die ihrem Gegenüber natürlich nicht entging. Ein kleines Lächeln, bei dem jeder Frau die Knie weich geworden wären, huschte über sein Gesicht, und geradezu unwiderstehliche Grübchen erschienen in beiden Wangen.

Bleib stark, Holly. Bleib stark.

Ihre einzige Hoffnung war, dass das belustigte Funkeln in seinen braunen Augen kein Hinweis darauf war, dass er sie erkannt hatte!

Sie war es. Sie musste es sein. Sie war die Frau mit dem Aktenkoffer und dem hitzigen Temperament.

Sie war ganz anders gekleidet und schrie ihn diesmal nicht an … also hätte er sie eigentlich gar nicht erkennen dürfen. Aber er hatte während des gestrigen und des heutigen Tages unaufhörlich an ihr seidiges dunkles Haar, die ausdrucksvollen Augen und ihre natürliche Eleganz denken müssen, dass er schon fast überzeugt gewesen war, sie sei lediglich eine durch das Jetlag hervorgerufene Einbildung gewesen.

Doch sie war Wirklichkeit. Kaum zu glauben … er ging durch diese Tür auf der Suche nach etwas Ruhe und Frieden … und da saß sie, auf einer pinkfarbenen Ottomane drapiert, wie ein hinreißendes Geschenk in einer zauberhaften Verpackung!

Jake setzte an, sich ihr vorzustellen. Immerhin waren sie einander ja schon begegnet … gewissermaßen. Und vor allem konnte sie sich während seines Aufenthaltes hier als eine nette Abwechslung für ihn erweisen.

Gerade noch rechtzeitig hielt er sich zurück. Sie hatte ihn auch erkannt, das war ihr anzusehen, aber sie schien ganz und gar nicht glücklich über das Wiedersehen. Gut, sie beide waren eher aufeinander geprallt, als sich zu „begegnen“, doch für ihn machte sie das nur noch denkwürdiger. Anstatt den Vorfall jedoch lachend abzutun oder ihn erneut mit Vorwürfen zu überhäufen, wirkte sie befangen und verlegen, als hätte sie sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen.

Vielleicht war es also nicht der richtige Zeitpunkt, sich vorzustellen. Vielleicht sollte er sich lieber noch eine Weile an ihrer Befangenheit und Verlegenheit ergötzen.

„Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor, aber ich weiß einfach nicht, woher“, sagte Jake, wobei er Holly betont forschend und nachdenklich ansah.

Hilfe!

„Arbeiten Sie für die Firma?“ fragte er.

Das fehlte noch! „Nein, glücklicherweise nicht“, antwortete sie ehrlich.

„Sie haben etwas gegen ‚Lincoln Holdings‘?“ fragte er interessiert.

Sie zuckte die Schultern. „Ich bin kein großer Fan von Bier und Boxen. Damit bin ich vermutlich auch kein großer Fan von ‚Lincoln Holdings‘.“

Jake erwiderte eine Weile gar nichts, was Holly nur noch nervöser machte. „Haben Sie vor, die ganze Nacht hier zu bleiben?“ erkundigte er sich dann.

„So weit hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich bin in Begleitung hergekommen, brauche also irgendeine Fahrgelegenheit nach Hause.“ Sie wich seinem Blick aus und hielt das Gesicht so weit abgewandt, wie es noch als höflich gelten konnte.

„Ich könnte Ihnen ein Taxi rufen lassen, wenn Sie möchten.“

„Nein, danke.“ Und nun verschwinden Sie endlich!

„Nun, wenigstens kann ich doch Ihrem Begleiter sagen, dass Sie sich hier befinden“, bot er an. „Ich bin sicher, er möchte Sie nur ungern lange aus den Augen verlieren.“ Und er lächelte erneut.

Holly verspürte ein heftiges Kribbeln im Bauch. Ein derartig entwaffnendes Lächeln war einfach nicht fair. Wenn dieser Mann noch einmal lächelte, würde sie auf dieser pinkfarbenen Ottomane dahinschmelzen! Es war völlig verrückt, aber sie fühlte sich wider Willen zu ihm hingezogen. Wenn er also nicht bald verschwand, würde sie gehen müssen. „Vielleicht … sollte ich mir wirklich ein Taxi nehmen. Soll sich Ben ruhig Sorgen machen. Geschieht ihm recht.“

„Ben?“

„Ja, ich bin mit Ben Jeffries hier … einem der Vize-Direktoren der Firma.“

Urplötzlich kühlte das Interesse des Mannes ihr gegenüber spürbar ab. Holly war im ersten Moment überrascht, bis ihr einfiel, warum sie sich überhaupt auf die Suche nach einem Ehemann gemacht hatte … ihre Theorie über die Männer, die sie anzog. Auf Partys.

Dieser Typ war für sie wie ein offenes Buch, wie er so scheinbar gelassen und elegant dastand. Er hatte ihr seine Party-Persönlichkeit vorgespielt, wie sie es alle taten. Und er war attraktiv genug, um eine Frau mit einem Lächeln aus der Fassung zu bringen. Sie wäre fast darauf reingefallen.

Der Klang einer Glocke drang gedämpft durch die Tür, gefolgt von lautem Jubel. Allein bei der Vorstellung, wie die beiden Boxer jetzt aufeinander losschlagen würden, zuckte Holly zusammen.

Ihr Gegenüber betrachtete sie einen Moment lang nachdenklich, dann nickte er und verschwand durch die Tür nach draußen. Holly blieb mit widerstreitenden Gedanken zurück. Der gedämpfte Jubel der begeisterten Zuschauer des Boxkampfes mischte sich störend in ihre Überlegungen. Und plötzlich kam ihr in den Sinn, dass allein das unfreundliche Verhalten des Fremden bei ihrem ersten Zusammentreffen der Grund dafür war, dass sie hier in einem Waschraum saß … aufgebrezelt, hungrig und allein. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Es tat gut, wieder nur schlecht von ihm zu denken.

3. KAPITEL

Am Montagmorgen suchte Jake Lincoln als Erstes seinen Stellvertreter in dessen Büro auf. Schon am Samstagabend hatte er ihn kurz begrüßt und einige Worte mit ihm wechseln können, aber eine ganz bestimmte Sache hatte ihm seitdem keine Ruhe gelassen.

Ben kam um seinen Schreibtisch herum, umarmte seinen alten Freund und klopfte ihm auf die Schultern. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du wieder da bist. Und was für ein Auftritt! Stolzierst einfach vorgestern Abend mitten in den Kampf … seelenruhig und selbstverständlich, als wärst du nie fort gewesen! Hast du den Jetlag schon überstanden?“

„Einigermaßen. Ich hatte ganz vergessen, wie kühl und trocken die Luft in Melbourne ist. Das trifft einen wie ein Schock, wenn man aus dem Flugzeug steigt. Ich bin aber ganz froh drum, denn an die drückende Schwüle in New Orleans habe ich mich nie gewöhnen können.“

„Gut so! Das bedeutet, dass du im Herzen ein Melbournian bist.“

Jake zuckte die Schultern. „Vielleicht bedeutet es auch nur, dass ich es das nächste Mal mit San Francisco versuchen sollte.“ Er setzte sich in den Ledersessel neben Bens Schreibtisch und räusperte sich, bevor er ansprach, was ihm auf der Seele lag. „Gestern bei dem Boxkampf habe ich deine … Begleiterin kennen gelernt.“

Ben grinste breit. „Dann kennst du jetzt also die andere Frau in meinem Leben.“

Jake sah ihn argwöhnisch an. Wie konnte sein Freund so liebevoll von einer anderen Frau sprechen als seiner hochschwangeren Ehefrau? Aber Ben prustete los.

„He, sieh mich nicht so böse an, Jake. Sie ist Beth’ beste Freundin. Meine arme Frau kann kaum noch eine Treppe hochgehen, geschweige denn, mich zu einer Veranstaltung in einem Nachclub begleiten, deshalb hat sie mich gebeten, Holly mitzunehmen. Die beiden kennen sich einer Ewigkeit, und als ich mich unsterblich in meine Frau verliebt habe, war Holly sozusagen mit im Paket.“

Jake lehnte sich sichtlich erleichtert zurück. „Wie ist sie denn?“

„He, du kennst sie doch. Klein, blond und hochschwanger.“ Ben langte nach seiner Brieftasche. „Soll ich dir ein neueres Foto von ihr zeigen?“

„Ich habe Holly gemeint, wie du ganz genau weißt.“

„Ach so, Holly.“ Ben steckte die Brieftasche wieder weg.

„Kommt ihr gut miteinander klar?“ fragte Jake.

„Das kann man wohl sagen. So gut, dass sie mich überrumpelt hat, ihr einen Mann zu suchen.“

„Wirklich?“ Erstaunlich, denn sie wirkte gar nicht wie der Typ, der ein Blind Date nötig gehabt hätte. Andererseits, solange er in der Stadt sein würde …

„Ja, und nicht nur einfach einen Mann …“, Ben schüttelte lächelnd den Kopf, „… sondern einen Ehemann!“

Achtung! Ein Blind Date war eine Sache, aber … Er war erst wenige Tage wieder im Land und bereits zweimal auf dieselbe Frau gestoßen, und beide Male hatte er zugelassen, dass sie ihm tüchtig unter die Haut gegangen war. Er hätte eigentlich klüger sein müssen. Also griff er nach dem besten Heilmittel für diese Fälle: Sie war auf der Jagd nach einem Ehemann. Plötzlich schien ihm San Francisco immer verlockender.

„Sie ist niedlich, nicht?“ fragte Ben augenzwinkernd.

„Sicher …“ Wenn man eine Frau mit stürmisch funkelnden blauen Augen und endlos langen Beinen als „niedlich“ bezeichnen wollte.

„Hat sie zufällig etwas darüber gesagt, wie ihr der Boxkampf gefallen hat?“

„Nun, genau genommen haben wir uns kurz vor Beginn des Kampfes getroffen … was sie jedoch nicht daran gehindert hat, ihre unschmeichelhafte Meinung über die Veranstaltung im Besonderen und meine Firma im Allgemeinen kundzutun.“

„Das klingt ganz nach Holly. Hast du dich ihr vorgestellt?“ fragte Ben vorsichtig. „Ich meine, wusste sie, wer du bist?“

„Das muss sie wohl.“ Jake rief sich ihr ausdrucksvolles Gesicht ins Gedächtnis. Mit jedem Blick hatte sie verraten, dass sie ihn wieder erkannt hatte. „Was tut das zur Sache?“ Er stand auf.

„Vermutlich nichts.“ Ben begleitete Jake zur Tür. „Was hast du heute Abend vor?“ fragte er betont beiläufig. „Könnte ein Lammbraten dich verlocken? Beth hat dich schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen und würde sich sicher freuen, wenn du zum Abendessen kommen würdest.“

Jake ließ sich nicht zweimal bitten. Ein Abend in der unkomplizierten Gesellschaft von Ben und Beth würde ihm gut tun „Gern. Um wie viel Uhr?“

„Gegen sieben?“

Jake nickte und wollte Bens Büro verlassen. Auf der Schwelle drehte er sich jedoch noch einmal um. „Übrigens, ich bin noch nie in meinem Leben stolziert!“

„Es war schrecklich!“ Holly stand weit nach vorn gebückt, den Po in die Luft, den Kopf zwischen den Beinen.

„Ben hat sich bestens amüsiert.“ Die hochschwangere Beth vollführte eine wesentlich behutsamere Dehnübung, wobei der Yogalehrer sie aufmerksam beobachtete.

„Natürlich! Er ist ja auch ein Mann und in diesem Punkt ein Neandertaler, wie ich soeben feststellen musste.“

„Glaub mir, wenn er mir vorher gesagt hätte, dass es sich um eine solche Veranstaltung handeln würde, hätte ich ihm nie vorgeschlagen, dich mitzunehmen. Ich habe ihm ein wenig von deinem Vater erzählt, aber anscheinend nicht genug.“

Beth drückte mitfühlend den Arm der Freundin. Holly schüttelte ihre Hand jedoch ab und bedauerte im nächsten Moment ihre schroffe Reaktion. Sie hatte diese Erinnerungen längst hinter sich gelassen. Es gab keinen Grund, überempfindlich zu reagieren. „Er hält diesen Lincoln für genial!“ sagte sie betont locker. „Dabei könnte ich die Partys seiner Firma im Schlaf oder mit einer Hand auf den Rücken gefesselt besser hinkriegen!“

„Oder mit dem Kopf zwischen den Beinen, wie es aussieht“, warf Beth ein, wofür sie ein Lächeln von Holly erntete. „Also, hast du irgendwelche Schätzchen kennen gelernt?“

„Nein“, antwortete Holly prompt, wobei sie energisch das Bild der samtbraunen Augen zu ignorieren versuchte, das sich ihr ungebeten aufdrängen wollte. Außerdem war der Typ kein „Schätzchen“. Er war der Feind.

„Das wundert mich nicht. Kannst du mir verraten, wieso du in der ‚gemeinschaftlichen Ruhezone‘ einen Ehemann zu finden gehofft hast?“

„Zu dem Zeitpunkt hoffte ich nur noch, eine Zuflucht vor dem lärmenden Haufen draußen zu finden.“

„Aber du würdest doch wohl nicht gern deinen Enkelkindern erzählen: ‚Euer Großvater und ich haben uns auf der Toilette kennen gelernt …‘!“

„Was soll’s?“ Holly seufzte und streckte die Arme, um ihre Zehenspitzen zu berühren. „Ich werde sowieso keinen Ehemann finden und damit auch keine Enkel haben!“

„Nun, wenn das deine Einstellung ist, sage ich deine Verabredung für heute Abend besser ab.“

„Verabredung? Heute Abend?“ Holly richtete sich so schnell auf, dass ihr schwindelig wurde.

„Als Wiedergutmachung für den Boxkampfabend hat Ben für heute Abend einen Arbeitskollegen zum Essen zu uns eingeladen … in der Hoffnung, dass ihr beiden euch kennen lernen, euch unsterblich ineinander verlieben und heiraten würdet. Aber wenn du nicht interessiert bist …“

„Natürlich bin ich das! Kennst du ihn? Ist er nett? Intelligent? Süß?“

„Sei einfach um halb sieben bei uns.“

„Ja, ja. Okay!“ Holly umarmte Beth. „Ben und du, ihr seid so gut zu mir!“

„Vor einer Minute war Ben für dich noch ein Neandertaler.“

„Ben? Niemals! Er ist der wundervollste Mann auf der Welt!“

Beth nickte und stimmte ihr in diesem Punkt aus ganzem Herzen zu.

Als es auf sieben Uhr ging, beschwor Beth ihren Mann, Holly ins Wohnzimmer zu bringen und dort zu beschäftigen. „Wenn sie mich noch einmal fragt, wie er ist, begieße ich euch beide mit Sauce!“

Holly setzte sich also im Wohnzimmer in einen Sessel, schlug die Beine übereinander und wippte ungeduldig mit dem Fuß. Die Anspannung war kaum zu ertragen. „Ben?“

„Ja, Holly.“ Es klang genervt.

„Was weiß er von mir?“

„Willst du das wirklich wissen? Oder unterbrichst du mich wieder sofort, wenn ich anfange, es dir zu erzählen?“

„Ich will es wissen. Sag es mir. Ich kann es ertragen. Ich muss doch irgendetwas wissen!“ Ihr Fuß wippte heftiger.

„Also gut, ich habe ihm gesagt, dass du niedlich bist“, sagte Ben.

Das Wippen hörte auf. „Du bist so lieb!“

Ben sah, dass sie sich endlich etwas entspannte, und wurde mutiger. „Ich habe ihm auch gesagt, dass du mit Beth eine Ewigkeit befreundet bist …“

„Er kennt Beth gut genug, dass du das erwähnt hast?“ rief Holly aus und war erneut nicht zu stoppen. Ben gab es auf. „Kenne ich ihn etwa? Nein, ich habe keine Ahnung. Mag Beth ihn? Was hast du ihm sonst noch erzählt?“

In diesem Moment fuhr ein Auto vor dem Haus vor. Holly schluckte, als das Motorgeräusch erstarb. Ihr Blind Date war eingetroffen. „Ich … kann das nicht“, flüsterte sie. „Hilfe!“

Ben ging entschlossen zu ihr, nahm sie bei der Hand und zog sie auf die Füße. „Du möchtest also wissen, was ich ihm sonst noch erzählt habe?“

Er zog sie hinter sich her zur Haustür, und Holly war klar, dass sie seine Geduld überstrapaziert hatte. „Ich glaube nicht“, sagte sie und lächelte entschuldigend.

Doch es war zu spät. Es läutete, und bevor Ben die Haustür aufriss, flüsterte er Holly noch ins Ohr: „Ich habe ihm gesagt, du seist auf der Jagd nach einem Ehemann und er sei der Kandidat Nummer eins.“

Die Tür schwang auf, und Jake sah sich Holly gegenüber, die wie vom Donner gerührt dastand, die blauen Augen weit, den schönen Mund halb geöffnet. Wie jedes Mal, wenn er sie bisher gesehen hatte, stieg ein wundervoll warmes Gefühl in ihm hoch, und er lächelte spontan.

Im nächsten Moment aber fiel ihm ein, was Ben über sie erzählt hatte. Er ließ die Hand, die die Blumen für Beth hielt, sinken, blickte zwischen Hollys seltsam bleichem und Bens reumütigem Gesicht hin und her und wusste Bescheid. Er war gerade zu einem Blind Date mit einer Frau erschienen, die darauf aus war, sich einen Ehemann zu angeln.

„Sieh nur, Holly, Blumen.“ Ben nahm Jake den Strauß ab und drückte ihn Holly in die Hand. „Geh, und stell sie in eine Vase.“ Er drehte Holly um und schob sie in Richtung Küche.

Jake zog seinen Mantel aus und schüttelte sich einige Regentropfen aus dem Haar, dann legte er seinem Freund freundlich, aber bestimmt einen Arm um die Schultern. „Ist das hier das, was ich denke?“

„He, Junge, es tut mir Leid. Ich hatte das Gefühl, keiner von euch beiden hätte meine Einladung angenommen, wenn ich verraten hätte, dass der andere da sein würde.“

„Da hattest du verdammt Recht!“

„Wenn du eine Weile in Melbourne bleibst, werdet ihr in denselben Kreisen verkehren, und es ist nur sinnvoll, dass ihr euch kennen lernt.“

„Klingt vernünftig. Aber wenn es nur darum geht, warum benimmt sie sich dann so seltsam?“

Ben blickte verstohlen zur geschlossenen Küchentür. „Weißt du, Holly kann mich manchmal bis zum Wahnsinn treiben, und heute Abend war es wieder so. Kurz bevor ich die Tür geöffnet habe, hatte ich dann die Nase voll und habe ihr erzählt …“ Ben verstummte und schluckte. Jake drückte ihm aufmunternd die Schulter. „Ich … habe ihr praktisch gesagt, du wüsstest, dass sie auf der Jagd nach einem Ehemann sei, und wärst aus diesem Grund gekommen.“

„Du hast ihr was gesagt?“ Jake ließ die Hand von der Schulter seines Freundes sinken und wich entsetzt zurück.

„Hör zu, Beth kommt jeden Moment aus der Küche, und sie kann im Moment keine Aufregung vertragen. Bleib also einfach, und genieße ein köstliches Essen. In wenigen Stunden ist alles vorbei.“

„Ich werde bleiben“, willigte Jake widerstrebend ein. „Beth zuliebe!“

„Und noch eins“, fuhr Ben fort, und Jake horchte argwöhnisch auf. „Wie es aussieht, weiß Holly nicht, dass du der Jacob Lincoln von ‚Lincoln Holdings‘ bist, was ganz gut ist, weil ihr diese Boxkampfgeschichte absolut nicht gefallen hat und sie von ihm … das heißt, von dir … nicht sehr viel hält.“

Jakes dunkle Augen blitzten auf. Ihm war ein Gedanke gekommen. Nichts war so erfrischend wie eine gute Herausforderung … „So, deine Holly hält also nicht viel von mir? Andererseits glaubt sie aber, ich hätte mich ihr auf dem silbernen Tablett präsentiert, ja?“

„Ja, ja. Und?“

Voller Genugtuung spürte Jake Bens Besorgnis. „Oh, ich glaube nicht, dass du gegenwärtig das Recht hast, mir irgendwelche Fragen zu stellen, mein Freund. Ich erspare deiner Frau jegliche Aufregung, solange du heute Abend allem zustimmst, was ich sage, einverstanden?“

Ben blickte besorgt zur Küche, wo in diesem Moment die Tür geöffnet wurde. „Okay, einverstanden!“

Zufrieden lächelnd schlug Jake ihm auf den Rücken.

Nachdem Ben ihr seinen anderen Gast recht beiläufig als „Jake“ vorgestellt hatte, ließ Holly sich viel Zeit damit, das Essen aufzutragen. Sie hatte es nicht eilig, sich zu den anderen zu gesellen. Schließlich aber nahmen alle bei Tisch Platz, und Jake verkündete in die Runde, dass seine jüngere Schwester sich verlobt habe.

„Deshalb bist du also zurück“, meinte Beth. „Ich habe doch geahnt, dass mein Lammbraten nicht der einzige Grund ist. Hast du ihren Verlobten schon kennen gelernt?“

„Ja, am Sonntag. Ein netter Kerl“, sagte Jake. „Es wird seine zweite Ehe sein. Er ist Witwer.“

„Oh, dann ist er also älter als Ana?“ fragte Beth interessiert.

„Um einiges.“

„Das überrascht mich eigentlich nicht. Und wie ich Ana kenne, arbeitet er in irgendeinem Sozialberuf. Ist er vielleicht Tierarzt?“

„Krankenpfleger.“

Beth lächelte. „Scheint mir ideal.“

„Ja, es braucht schon jemand mit einer entsprechenden Geduld, um in der Lage zu sein, sich um Ana zu kümmern. Sie kann einen ganz schön auf Trab halten.“

„Du solltest es wissen.“

„Kein Kommentar.“

Holly hatte den kleinen Austausch zwischen Beth und Jake aufmerksam verfolgt. Beth’ Bemerkungen hatten unwillkürlich ihre Neugier geweckt, aber der Wunsch überwog, sich möglichst im Hintergrund zu halten.

„Auf jeden Fall ist es prima, dass er sich ihrer angenommen hat“, fuhr Jake nun fort. „Ich nehme an, dass manche Menschen einfach unbedingt heiraten möchten.“

Holly hätte sich fast an dem Bissen in ihrem Mund verschluckt. Hatte dieser Typ wirklich gesagt, was sie meinte gehört zu haben?

Ben hüstelte, und sie hoffte, er würde an seinem Bissen ersticken. Beth dagegen blickte völlig arglos und unschuldig in die Runde. Vielleicht hatte sie, Holly, Jakes Bemerkung ja auch missverstanden, und er hatte gar nicht sie gemeint, sondern nur über seine Schwester gesprochen.

„Würden Sie mir bitten den Broccoli reichen, Holly“, wandte Jake sich nun direkt an sie.

Sie zuckte zusammen. Angespannt reichte sie Jake die Schüssel über den Tisch und zwang sich, seinem Blick standzuhalten. Er lächelte und brachte damit seine unwiderstehlichen Grübchen ins Spiel.

Er ist der Anti-Ehemann! rief Holly sich energisch ins Gedächtnis, kühl und gefühllos. Und seine zugegebenermaßen hinreißenden Grübchen sind … völlig unwichtig.

„Holly hat das Gemüse zubereitet“, warf Beth eifrig ein. „Sie ist eine tolle Köchin.“

Holly sah sie an und rang sich ein genervtes Lächeln ab.

„Wie auch immer“, nahm Jake den Faden wieder auf, „Ana und Michael kennen sich erst seit sechs Monaten, sind seit einer Woche verlobt und sprechen schon von Kindern.“

„Wie wundervoll!“ meinte Beth.

„Ja, ich halte auch viel von sehr kurzen Verlobungszeiten“, bekräftigte Jake. „Sie hat einen Gleichgesinnten gefunden, wobei der Zeitpunkt für beide offensichtlich passte, und hat ihn sich geschnappt. Das Klügste, was sie tun konnte.“

Sprach er im Ernst? Holly selber wusste ja, warum sie sich auf die Jagd nach einem Ehemann begab, aber was wollte Mr. Cool mit einem Blind Date mit einer Frau anfangen, von der er wusste, dass sie auf die Ehe aus war? Das ergab einfach keinen Sinn … und schlimmer noch, es führte ihre Theorie ad absurdum.

Wer, in aller Welt, war dieser Kerl überhaupt? Ben hatte merkwürdigerweise keinen Hinweis darauf gegeben, welche Aufgabe Jake in der Firma wahrnahm. Ihre größte Sorge aber war, dass er sie schließlich doch noch erkennen und den anderen verraten würde, dass er der Typ auf der Straße gewesen sei, von dem Beth wusste, dass er sie, Holly, zu diesem Kreuzzug veranlasst hatte. Wenn Beth das erfuhr, würde sie sicher in ihrem astrologischen Hobby schwelgen und einen Vortrag über Vorzeichen, Zufall und Schicksal halten. Das hätte diesem entsetzlichen Abend die Krone aufgesetzt.

„Ich jedenfalls will Kinder“, fuhr Jake nun sachlich fort. „Mindestens acht … nein, elf – eine ganze Fußballmannschaft. Also sollte ich wahrscheinlich am besten so bald wie möglich damit anfangen.“

Holly legte ihr Besteck beiseite. Sie brachte keinen Bissen mehr herunter.

Nach einem peinlich offensichtlichen Blick auf Holly fragte Beth: „Hast du schon eine bestimmte Frau im Auge, die diese Fußballmannschaft für dich auf die Welt bringen soll?“

Holly sah die Freundin wütend an, aber Beth wich ihrem Blick standhaft aus.

„Nicht direkt.“ Jake spießte ein Broccoli-Röschen mit der Gabel auf und betrachtete es vielsagend. „Aber sie muss eine gute Köchin sein. Allerdings sollte sie die Produkte ihrer Kochkunst wiederum nicht so sehr lieben, dass sie nach der Geburt der Kinder ihre gute Figur einbüßt.“

Wie bitte? War das ein Witz?

Jake hatte Mühe, ernst zu bleiben. Ben hatte das Gesicht in den Händen vergraben, Beth blickte ihn bei jeder seiner absurden Behauptungen mit zunehmendem Entsetzen an, und die schöne Holly sank immer tiefer in ihren Stuhl.

„Ben und ich haben heute im Büro schon darüber gesprochen. Nicht wahr, Ben?“ Jake sah seinen Freund bedeutsam an, und Ben lächelte zerknirscht und nickte.

„Ja … natürlich, Junge, unaufhörlich. Ich habe kaum etwas geschafft, weil wir nur über Kinder gesprochen haben.“

Aber Jake war noch nicht fertig. „Und ich liebe Blondinen“, fuhr er ungerührt fort. „Sollte ich also eine Brünette heiraten, müsste sie sich für mich die Haare färben. Ich meine, wenn sie mich wirklich liebt, wird sie das tun, oder nicht?“

Verblüfftes Schweigen. Jake blickte triumphierend in die Runde. „Und, Holly? Wie steht’s mit Ihnen?“ fragte er angelegentlich.

Sie räusperte sich. „Wie bitte?“ fragte sie heiser.

„Ich meine, wie viele Kinder wollen Sie haben?“ fragte Jake.

Holly warf ihren Freunden einen flehentlichen Blick zu, fand aber dort keine Hilfe. Ben studierte mit allerhöchstem Interesse sein Besteck, Beth blickte immer noch verwundert und wie gebannt auf Jake. „Kinder? Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.“

„Tatsächlich? Das überrascht mich“, erwiderte Jake nachdrücklich.

„Überrascht?“ Ihre Stimme klang immer noch heiser. Holly räusperte sich erneut.

„Denken nicht alle Frauen über diese Dinge nach? Wie viele Kinder sie haben wollen und welche Namen sie ihnen geben würden?“

„Ja, vermutlich“, räumte Holly ein und hätte sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen.

„Und haben Sie sich noch gar keine Vorstellung von dem Mann gemacht, den Sie heiraten möchten?“

Er sah sie erwartungsvoll an und lächelte … strahlend, gewinnend. Seine Grübchen und sein Charisma warfen sie um. Deutlicher hätte er nicht auf sich als möglichen Kandidaten verweisen können. Er war anscheinend so reif für die Ehe, dass er wahrscheinlich ständig den Verlobungsring seiner Großmutter bei sich trug … für den Fall. Holly schluckte. Ihr war klar, dass man ihr ansah, unter welchem Stress sie stand, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie diesem Albtraum hätte entfliehen können.

Plötzlich aber wurde Jakes Blick eindringlich und forschend, und im nächsten Moment bemerkte Holly in seinen samtbraunen Augen einen freundlichen, mitfühlenden Ausdruck. Sie nahm die Entschuldigung wahr, als hätte er sie laut ausgesprochen. Und obwohl sie es für unmöglich gehalten hatte, wurde sie jetzt erst richtig schwach.

Es war genug. Er hatte bewiesen, worauf es ihm ankam. Nach dieser Vorstellung würden Beth und Ben es nicht noch einmal wagen, ihn zu einem derartigen Date zu bitten. Mehr wollte er gar nicht, deshalb schlug Jake nun eine andere Richtung ein.

„Was ist mit dir, Beth? Hättest du von Anfang an gedacht, dass du bei unserem Benny-Boy landen würdest?“

Und während Beth nun die Runde mit Anekdoten über die zahlreichen Traumprinzen ihrer Mädchenjahre unterhielt, beobachtete Jake zufrieden, wie Holly sich allmählich entspannte und ihre natürlich rosige Gesichtfarbe zurückkehrte. Jake stellte wieder einmal fest, was für eine ungemein attraktive Frau sie war … und genau sein Typ. Nicht zu groß, anmutig, wohl gerundet, temperamentvoll. Er hatte sie natürlich aufgezogen … er stand keineswegs auf Blondinen. Im Gegenteil, ihr glänzendes dunkles Haar faszinierte ihn. Es kribbelte ihm in den Fingerspitzen, die Haarnadeln herauszuziehen und die seidigen Strähnen durch die Finger gleiten zu lassen …

„Erinnerst du dich noch an Gary Phelbs, Holly?“ fragte Beth und lenkte damit Jakes Aufmerksamkeit zurück auf das Gespräch. Holly lachte leise. Es klang hübsch … leicht und unbefangen.

„Der war doch schrecklich, Beth!“ sagte sie und verzog das Gesicht. „Klein und ungepflegt. Ich habe nie verstanden, was du an ihm gefunden hast.“

„He, nur weil er nicht groß, dunkelhaarig und gut aussehend war wie alle Jungs, für die du je geschwärmt hast, heißt das nicht, dass eine andere ihn nicht attraktiv finden konnte! Ich zum Beispiel. Keiner konnte so küssen wie Gary!“

Holly warf Jake einen verstohlenen Blick zu, den er zufällig auffing. Der Blick verriet unmissverständlich, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Eigentlich hätte er, Jake, sofort aufspringen und um sein Leben rennen sollen. Aber er tat es nicht. Mit ihrer Abkanzlung seiner Geschäftspraktiken hatte diese Frau sein Ego genug angekratzt. Zum Ausgleich würde er jetzt jede positive Aufmerksamkeit, die sie ihm schenkte, mitnehmen. Das war nur fair.

„Sag mal, ist dir eigentlich klar, dass hier dein Ehemann und der Vater deines noch ungeborenen Kindes sitzt und sich die Geschichten deiner Jugendlieben anhören muss?“ beschwerte sich Ben scherzhaft.

„Ja, Darling, aber du darfst nicht vergessen, dass ich aus dieser Reihe von Traumprinzen dich ausgewählt habe.“

„Stimmt.“ Ben strahlte seine Frau liebevoll an.

Und während Jake in das allgemeine Lachen einstimmte, blickte er verstohlen zu Holly. Sie saß lächelnd da, das Kinn in die Hände gestützt, und beobachtete Ben und Beth mit einem Ausdruck reiner, ungetrübter Freude auf dem schönen Gesicht. In diesem Moment glaubte er, sie zu verstehen. Es war verständlich, sich zu wünschen, was Beth und Ben miteinander teilten.

Jake spürte, wie sich sein Herz zusammenkrampfte. Nicht gut. Er brauchte eine Auszeit. Entschlossen schob er den Stuhl zurück und stand auf. „Entschuldigt mich, Leute, aber ich muss mir mal die Nase pudern.“

Sobald Jake den Raum verlassen hatte, beugte sich Beth verschwörerisch vor. „Was, in aller Welt, ist heute nur mit ihm los, Ben? All das Gerede von Babys und Blondinen, das ist nicht der alte Jacob Lincoln, wie ich ihn kenne!“

„Lincoln?“ wiederholte Holly fassungslos. „Er ist Jacob Lincoln? Ich meine, dein Boss Lincoln, Ben? Der von ‚Lincoln Holdings‘?“

Ben zuckte sichtlich zusammen. „Äh … ja. Genau der ist er.“

„Und wieso ist er hier? Du hast mir doch gesagt, er würde in … New Orleans oder sonst wo leben!“ Und wieso war er nicht untersetzt, hatte einen Bierbauch und zu hohen Blutdruck, sondern stellte äußerlich so ziemlich genau das Gegenteil von dem dar, was sie sich vorgestellt hatte?

„Das war ja auch so“, verteidigte sich Ben. „Ohne einem Menschen etwas davon zu sagen, ist er von wenigen Tagen nach Melbourne zurückgekehrt.“

Besagter Morgen, als er voll bepackt an der Straßenecke gestanden hatte … der leichte amerikanische Akzent … Holly barg das Gesicht in den Händen. „Mit anderen Worten, ich habe ihm gesagt, wie wenig ich von seiner Idee mit den Boxkämpfen halte, ohne zu wissen, dass es seine war. Dann habe ich ihm vorgeworfen, den falschen Waschraum betreten zu haben, ohne zu wissen, dass der ganze Club ihm gehört! Ist er wirklich Jacob Lincoln?“ flüsterte sie.

Ben zuckte reumütig lächelnd die Schultern.

Holly wandte sich ihm zu und machte ihrem Zorn Luft. „Und obwohl du das alles wusstest, hast du dieses Abendessen arrangiert und ihm gesagt, dass ich mich auf der Jagd nach einem Ehemann befinde und er die Nummer eins auf meiner Kandidatenliste sei?“

Beth sah ihren Mann entgeistert an. „Hast du das wirklich getan?“

Ben hob abwehrend die Hände. „He, ihr Mädels habt mich in diesen lächerlichen Plan hineingezogen. Also habe ich dich auf eine Veranstaltung mitgenommen, auf der du zahllose heißblütige Junggesellen hättest kennen lernen können, aber du hast dich den ganzen Abend im Waschraum versteckt. Dann habe ich für dich den begehrtesten aller heißblütigen Junggesellen, den ich kenne, zum Essen eingeladen, und du gehst auf mich los!“

„Aber du hast ihm gesagt …“

„Die Wahrheit, Holly. Aber ehrlich gesagt, habe ich mir wirklich überlegt, ob meine beiden besten Freunde nicht gut zueinander passen würden.“

Beth war sofort wieder milde gestimmt. „Das war so lieb von dir, Ben! Holly, du solltest ihm verzeihen.“

Holly lehnte sich zurück. Ihre Wut war verpufft. Was für ein Chaos hatten sie angerichtet!

Beth kicherte. „Und jetzt glaubt der arme Jake, Holly sei scharf auf ihn. Kein Wunder, dass er sich so seltsam benommen hat!“

„Nun ja“, wandte Ben zögernd ein, „tatsächlich weiß er alles und hat dich den ganzen Abend nur aufgezogen, Holly.“

„Ha!“ Beth klatschte in die Hände. „Das klingt schon mehr nach dem Jacob Lincoln, den ich von früher kenne!“

Holly aber war überhaupt nicht amüsiert. Sie dachte nach, schmiedete Pläne. „Er weiß alles und glaubt, ich würde nun schmoren?“

„Nun ja, Prinzessin, du hast während des gesamten Abends ziemlich geschmort“, meinte Ben.

„Aber jetzt nicht mehr.“ Denn jetzt wusste sie, dass das Leuchten in Jakes Augen lediglich ein Zeichen dafür gewesen war, wie sehr er seinen Spaß genoss, und keineswegs ein Hinweis darauf, dass er sie sich bereits im Brautkleid vorgestellt hatte. Schön, er sollte seinen Spaß bekommen …

4. KAPITEL

Als Jake ins Esszimmer zurückkam, stand Holly neben ihrem Stuhl, die Augen geschlossen, und neigte behutsam den Kopf von rechts nach links, wie, um eine Nackenverspannung zu lösen. Jake unterdrückte ein Lächeln und setzte sich wieder an seinen Platz. Seine Sorge war unnötig gewesen … er besaß immer noch die Oberhand. Die Ärmste war das reinste Nervenbündel!

Während er nun zusah, ließ sie langsam eine Hand seitlich an ihrem Körper hinaufgleiten und begann, sich sanft die Schultern zu massieren, die Augen immer noch geschlossen, den Kopf leicht zurückgelehnt. Sie seufzte genussvoll.

Wow! Jake rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. Energisch riss er den Blick von diesem betörenden Anblick los, bevor er erneut nach draußen flüchten musste, um sich wieder in den Griff zu bekommen.

„Habe ich etwas verpasst?“ wandte er sich ganz bewusst an Ben und Beth.

Holly war inzwischen mit ihrer Massage fertig, und Jakes Blick wurde wie gebannt davon angezogen, als sie nun die Hand wieder an ihrem Körper hinabgleiten ließ, wobei sie jede reizvolle Rundung auszukosten schien, bevor sie die Hand provokant auf die Hüfte stützte.

„Nichts Besonderes“, hauchte Holly dann in aufreizendem Ton. „Ich habe gerade nur bemerkt, wie sehr es mich nach … etwas Süßem gelüstet.“ Dabei blickte sie kokett auf und ließ den Blick vielsagend auf seinem Mund verweilen.

Hol es dir doch! lag es Jake auf der Zunge zu sagen. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich sofort, du bist einfach nur müde und hast Halluzinationen. Konnte es immer noch der Jetlag sein?

„Dann ist es wohl höchste Zeit für das Dessert“, meinte Beth fröhlich.

Jake hatte fast vergessen, dass noch zwei andere Leute bei Tisch saßen. Entschlossen konzentrierte er sich auf Beth und deren Pläne für die Einrichtung des Kinderzimmers und ignorierte Holly, die um den Tisch ging und die Teller einsammelte. Sein Entschluss geriet jedoch mächtig ins Wanken, als er sie in seinem Rücken spürte, und brach vollends zusammen, als sie sich vorbeugte, um seinen Teller zu nehmen, und dabei ihr Atem sein Ohr streichelte. Er erschauerte unwillkürlich.

Und bevor Holly mit den Tellern in die Küche verschwand, drehte sie sich noch einmal zu ihm um und zwinkerte ihm kokett zu.

Jake blickte ihr entgeistert nach, als sich die Küchentür hinter ihr schloss. Ganz offenbar hatte Holly geschwindelt, als sie ihm versichert hatte, während seiner Abwesenheit sei nichts Wichtiges passiert. Innerhalb weniger Minuten hatte sie sich von einer sprachlos verblüfften jungen Frau in einen wilden Vamp verwandelt. Und er, Jake, war gegen seinen Willen von ihr bezaubert. Hinter ihrer eher abweisend kühlen Fassade lauerte offenbar eine Wildkatze, die nur darauf wartete, freigelassen zu werden. Es war eine verlockende Vorstellung, die Tür zu diesem Käfig zu öffnen.

Ben und Beth’ übermütiges Lachen riss Jake aus seiner Versunkenheit. Er sah seine Freunde an, und es dämmerte ihm. „Sie weiß Bescheid!“ Geschlagen warf er seine Serviette auf den Tisch.

„Sie weiß Bescheid“, bestätigte Ben reumütig. „Ich bin den beiden Damen in geballter Macht einfach nicht gewachsen, Jake.“

„Also …“, fragte Beth scherzhaft, „wirst du ihr vor oder nach dem Dessert den Heiratsantrag machen?“

Holly war froh, als sie in der Küche das fröhliche Lachen hörte. Gerade wollte sie ins Esszimmer zurückkehren, um das Besteck zu holen, als die Küchentür aufging und Jake hereinkam, das Besteck in den Händen.

„Oh.“ Holly wich zurück. Die Küche schien plötzlich viel zu klein für sie und diesen Mann. Als er sich vorbeugte, um das Besteck in die Spüle zu legen, streifte er mit dem Ärmel seines dunkelgrauen Anzugs ihren nackten Arm. Es war ein elektrisierendes Gefühl. „Ich räume schon ab … Setzen Sie sich ruhig wieder an den Tisch“, sagte sie und wich weiter zurück, bis sie die Küchenschränke im Rücken spürte.

Doch Jake tat ihr nicht den Gefallen zu verschwinden. „Ehrlich gesagt, bin ich hier, um mit Ihnen zu reden. Das Besteck war nur ein Vorwand.“

„Oh“, flüsterte sie.

„Das war eine beachtliche Vorstellung von Ihnen da drinnen.“

Sie errötete. „Ihre schauspielerische Leistung war auch nicht schlecht.“

„Man könnte sagen, wir sind damit quitt.“ Er streckte die Hand aus. „Waffenstillstand?“

Holly zögerte einen Moment, bevor sie die dargebotene Rechte ergriff. Jakes Händedruck war angenehm warm und fest. Als er ihre Hand wieder freigab, ließ Holly nervös die Fingerspitzen über den Ausschnitt ihres Kleides gleiten.

„Und ich möchte mich auch für mein Benehmen letzthin morgens auf der Straße entschuldigen.“

Sie erstarrte mitten in der Bewegung.

„Das war ganz untypisch für mich“, fuhr Jake fort. „Und obwohl ich unter den Folgen des Jetlags litt, gibt es keine Entschuldigung für meine schlechten Manieren.“

Sie hatte ihre Sprache wieder gefunden. „Sie haben es Ben doch nicht erzählt?“ platzte sie heraus. Denn Ben würde es Beth erzählen, und die würde ihr keine Ruhe mehr lassen! „Ich meine, dass wir uns ursprünglich so das erste Mal begegnet sind?“

„Nein, soweit ich mich erinnere.“

„Dann tun Sie es bitte auch nicht. Aus bestimmten Gründen, die für Sie völlig uninteressant sind, wäre es mir lieber, wenn unser erstes Zusammentreffen ein Geheimnis bliebe.“

„Natürlich.“

Sie blinzelte verblüfft, denn sie hatte nicht erwartete, dass er so leicht einwilligen würde. Ihrer Theorie nach war er eigentlich starrsinnig und unnachgiebig.

„Nur noch eins, um letzte Unklarheiten auszuräumen“, sagte Jake.

„Legen Sie los!“ Holly war so froh, dass ihr Beth’ Lektion über Karma und Kismet erspart bleiben würde, dass sie bereit war, ihm alles zu sagen.

„Würden Sie mir verraten, warum Sie Bens Hilfe brauchen, um einen Ehemann zu finden?“ Er lehnte sich entspannt gegen die Küchenschränke.

„Oh.“ Holly errötete tief. „Ist das nicht etwas zu persönlich?“

„Zu persönlich?“ Jake lachte. „Vor sieben Uhr heute Abend waren Sie noch bereit, mich zu heiraten!“

Holly presste sich beide Hände an die glühenden Wangen. „Erinnern Sie mich bitte nicht daran.“ Langsam ließ sie die Hände sinken. Anscheinend war es in der kleinen Küche ziemlich warm, denn Jakes Wangen wirkten genauso erhitzt wie ihre. Das bildete sie sich nicht ein.

Ohne Vorwarnung streckte Jake die Hand aus und ließ eine Locke durch die Finger gleiten, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte. Dann strich er sie ihr sacht hinters Ohr und ließ die Hand einen Moment an ihrer Wange ruhen. Holly blickte ihm wie gebannt in die samtbraunen Augen.

Das Geräusch von Stühlerücken aus dem Esszimmer brach den Bann. Holly wandte sich hastig zur Anrichte um, wo die Teller mit dem Dessert schon bereitstanden. Jake räusperte sich und verließ die Küche.

Holly griff nach zwei der Schälchen, merkte, dass ihre Hände zitterten, und atmete tief durch. „Vergiss nicht, er ist der Feind“, sagte sie laut. „Der Anti-Ehemann. Er ist nur da, um dich auf die Probe zu stellen. Wenn du ihm widerstehen kannst, kannst du allen Männern seiner Art widerstehen.“ Ein energischer Blick auf ihre Hände machte dem Zittern ein Ende, und sie trug den Nachtisch ins Esszimmer.

Einige Stunden später half Holly Beth die Treppe hinauf ins Schlafzimmer, während sich die Männer unten voneinander verabschiedeten.

„Er ist ein Süßer, Holly“, sagte Beth, als sie sich erleichtert im Bett ausstreckte.

„Natürlich, sonst hättest du ihn ja nicht geheiratet.“

„Ich meine Jake, du Dummchen.“

Süß wäre das letzte Wort, das mir bei ihm einfiele, dachte Holly. Laut aber sagte sie: „Nun ja, die Geschworenen haben sich in diesem Punkt noch nicht entschieden.“

„Versprich mir, dass du ihm eine Chance gibst.“

Höchst unwahrscheinlich. „Aber natürlich, Schätzchen. Für dich tue ich alles.“

„Gut. Gute Nacht …“

Holly küsste ihre Freundin liebevoll auf die Wange, schlich sich aus dem Zimmer und ging leise wieder nach unten. Die Stimmen der Männer drangen von unten herauf. Holly blieb auf der halben Treppe stehen und lauschte mit klopfendem Herzen.

„Gib ihr eine Chance“, hörte sie Ben sagen. Unwillkürlich huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Wie ähnlich sich Beth und Ben doch waren! Aber ihr Lächeln verschwand, sobald sie Jakes Antwort hörte.

„Bedräng mich nicht, Ben. Ich bin erst wenige Tage wieder im Lande und habe noch nicht einmal die Zeit gefunden, mir eine Haushälterin zu suchen. Außerdem weiß ich gar nicht, wie lang ich diesmal bleibe, und du kennst meine Ansichten über die Ehe. Was hast du dir nur dabei gedacht?“

Sie hatte es gewusst! In dem Moment, als sie auf der Straße mit ihm zusammengeprallt war, hatte sie gespürt, dass er der Inbegriff eines unzugänglichen Mannes war. Er war das Gegenteil des liebevollen Familienmenschen Ben. Ihre Theorie hatte sich als richtig erwiesen.

Holly lauschte angestrengt und hörte, wie Jake nach kurzer Pause hinzufügte: „Es sei denn, sie kann geschickt mit einem Staubwedel umgehen … dann wären unser beider Probleme auf einen Streich gelöst.“

Wie reizend! Holly wartete, dass Ben protestieren würde … vergeblich.

„Das ist leider unwahrscheinlich“, antwortete der nette Ehemann ihrer besten Freundin stattdessen. „Unsere Holly hat eher etwas von einer Prinzessin.“

Ben! Er hatte ihr schon oft im Spaß vorgeworfen, dass sie bei einem Besen ein Ende nicht vom anderen unterscheiden könne, aber musste er sie vor einem Fremden so beschreiben? Wie würde er sie erst einem ernsthaften Bewerber empfehlen? Nun, sie musste das später mit ihm klären, damit ihr Projekt nicht scheitern würde.

Bewusst laut ging sie nun die restlichen Stufen hinunter.

„Schläft Beth nicht schon?“ erkundigte sich Ben besorgt.

Holly atmete tief ein. „Vielen Dank für einen super Abend, Benny“, sagte sie honigsüß.

Jake half ihr in den Mantel. Sie warf Ben wütende Blicke zu, die nichts Gutes verhießen, als er ihnen nachwinkte und die Haustür hinter ihnen schloss. Da es einen Großteil des Abends geregnet hatte, waren die Eingangsstufen und die Auffahrt nass und rutschig, deshalb blieb Holly nichts anderes übrig, als den Arm zu nehmen, den Jake ihr anbot, wenn sie sicheren Fußes zu ihrem Auto gelangen wollte.

„Danke.“ Sobald sie ihren Wagen erreicht hatten, zog sie ihre Hand zurück. In der kalten Nachtluft stieg ihr Atem als weiße Wölkchen auf.

„Es war mir ein Vergnügen.“ Jake schob die Hände tief in seine Manteltaschen.

„Hören Sie …“

Sie hatten gleichzeitig gesprochen, so dass Jake Holly höflich das Wort überließ.

„Es ist unwahrscheinlich, dass wir uns häufig begegnen werden. Ich denke, es ist deshalb das Beste, wenn wir einfach so tun, als wären wir uns nie begegnet.“

„Natürlich“, antwortete Jake. „Kein Problem.“

Hm. Kein Problem? Die Antwort passte ihr wiederum gar nicht. War sie so leicht zu vergessen? Wider alle Vernunft nahm sie ihre überheblichste Haltung an. „Übrigens, egal, was Ben Ihnen erzählt hat … und nicht, dass es mir irgendetwas ausmacht, was Sie von mir halten … ich bin keineswegs eine ‚Prinzessin‘.“

Jake lachte herzlich, was Holly momentan die Sprache verschlug. „Sie haben das gehört?“ fragte er amüsiert.

„Laut und deutlich. Und ich denke, es war sehr falsch von Ben und höchst unhöflich von Ihnen, darüber auch noch Witze zu machen.“

„Sind Sie fertig?“

Überrascht von seinem schroffen Ton, blickte sie auf. „Nun ja, ich denke schon …“

Jake beugte sich vor und küsste sie zart auf den offenen Mund, womit er sie effektvoll zum Schweigen brachte. Er machte keinen Versuch, sie in die Arme zu nehmen, so dass ihre warmen Lippen der einzige Berührungspunkt blieb. Aber es war ein so unerwartet zärtlicher Kuss, dass Holly sich seinem Zauber nicht entziehen konnte. Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf kaum merklich zurück. Diese kleine Geste genügte als Ermutigung. Jake beugte sich etwas näher zu ihr, und eine ungeahnte Sehnsucht entflammte zwischen ihnen. Was als ein vielleicht übertrieben freundlicher Gutenachtkuss begonnen hatte, entwickelte sich zu etwas ganz anderem. Es war zart und verlockend und wunderschön.

Nachdem sie es einige Momente ausgekostet hatten, lösten sie sich voneinander. Holly wankte und war froh, sich gegen ihr Auto lehnen zu können. Seufzend schlug sie die Augen auf.

Jake lächelte und zeigte wieder einmal seine unwiderstehlichen Grübchen. „Ich glaube, jetzt sollten wir getrennte Wege gehen. Für einen Abend haben wir beide schon viel zu viele widersprüchliche Erinnerungen geschaffen.“

„Gute Nacht, Jake“, flüsterte Holly.

„Gute Nacht, Holly“, antwortete er, aber sein Blick verriet, dass er am liebsten etwas anderes gesagt hätte. Er atmete tief ein und wandte sich kopfschüttelnd ab.

Holly wollte sich schon in ihren Wagen setzen, als Jake sich besann und noch einmal zurückkam.

„Das muss ich noch loswerden“, sagte er, wobei sie sein Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen konnte. „Sie sind eine faszinierende, temperamentvolle und wunderschöne Frau, Holly. Verkennen Sie Ihren eigenen Wert nicht!“

Ohne ein weiteres Wort ging er dann davon und verschwand in der nebligen Nacht.

5. KAPITEL

Holly wartete bis zur Pause zwischen den Rennen, ehe sie aus dem großen weißen Festzelt auf das grüne Oval in der Mitte der Rennbahn trat, wo die Benefizveranstaltung für den „Hidden Valley Greyhound Course“ stattfand. Sie hob die Füße vorsichtig hoch, weil der Boden vom Regen aufgeweicht und lehmig war. Colonel Charles Lyneham, ehemals Verwalter der Rennbahn und nun schon lange im Ruhestand und ihr Ehrengast, hatte sich vor einer Stunde auf einen Rundgang begeben und war noch nicht zurückgekehrt. Holly musste ihn suchen.

Sie duckte sich durch ein Loch im Zaun, wo der Maschendraht schon seit Jahren kaputt war, und stieg die alten Holzstufen zur Haupttribüne hinauf. Sie sah in den Angestelltenbüros, in den Wettzonen und sogar auf dem Parkplatz nach. Der Colonel war nirgends zu finden. Also blieb nur noch die Kneipe. Holly wandte sich in die Richtung in der Hoffnung, den Colonel dort zu finden.

Als sie um die Ecke bog, traf sie die Szene vor ihr wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Der Geruch von Bier, Rauch, Lehm und Schweiß. Sie, wie sie draußen vor der Kneipe stand und hineinblickte, um jemanden zu suchen. Nur dass sie damals vor vielen Jahren viel kleiner gewesen war. Diesmal hatte sie wenigstens die richtige Größe, um den gesuchten silberfarbenen Haarschopf entdecken zu können.

Holly stellte sich auf die Zehenspitzen. Aber anstelle des besagten Haarschopfes entdeckte sie lediglich zwei faszinierende, fröhlich blitzende samtbraune Augen, die in ihre Richtung blickten. Sofort machte sie sich so klein wie möglich und dachte an das letzte Mal zurück, als sie diese Augen gesehen hatte: Es war um Mitternacht auf einer nebligen Straße gewesen, nach einem hinreißenden Kuss, der sie außerordentlich verwirrt hatte.

Plötzlich wurde sie gepackt, in die Menge gezogen, und jemand drückte ihr einen brüderlichen Kuss auf die Wange.

„Ben! Was machst du denn hier?“ Holly spähte über seine Schulter, weil sie schon befürchtete, Jake würde ihm auf dem Fuß folgen.

„Unsere Firma hat hier eine Loge und Jake heute die ganze Führungsmannschaft zu einem Willkommensumtrunk eingeladen. Gesell dich doch zu uns.“

„Danke, aber es geht leider nicht, Ben. Ich bin hier nicht zum Spaß, sondern sozusagen im Einsatz. Hast du zufällig Charles Lyneham gesehen? Er gehört zu meiner Gesellschaft und scheint sich irgendwie verirrt zuhaben.“

„Der Colonel? Er ist bei uns.“

Ben packte sie fest beim Arm und zog sie hinter sich her durch die dicht gedrängte Menge in der Kneipe. Von allen Seiten wurde geschubst und gedrängelt, so dass Holly gar nichts anderes übrig blieb, als sich an Ben festzuhalten und sich so eng wie möglich an ihn zu schmiegen.

„Jake hat ihn nach dem ersten Rennen draußen getroffen“, erzählte Ben, „und ihn zu einem kleinen Drink eingeladen. Seitdem ist er bei uns. Jetzt bleibt dir nichts anderes übrig, als wenigstens Hallo zu sagen.“

„Na toll! Der Colonel soll in einer knappen halben Stunde auf unserer Spendenparty die Dankesrede halten, und Charlie belässt es normalerweise nicht bei einem ‚kleinen Drink‘. Dank deines Freundes pichelt er jetzt schon eine geschlagene Stunde und wird vermutlich auch den Rest des Tages an der Bar hängen bleiben.“

Ben machte ein zerknirschtes Gesicht. „Tut mir Leid, Prinzessin.“

Jakes herzliches Lachen lenkte ihre Aufmerksamkeit in eine andere Richtung. Wider Willen huschte ein Lächeln über Hollys Gesicht. Es war schon ein unwiderstehlicher Anblick, wie er, die meisten der Umstehenden überragend, dastand, bekleidet mit einem eleganten Maßanzug, ein kühles Glas Bier in der Hand, einen Fuß lässig auf den unteren Holm eines Barhockers gestützt.

Autor

Cathy Williams

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