Königliche Verführungen - Machtkampf der Leidenschaft (8-teilige Serie)

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Zwei konkurrierende Inselkönigreiche streiten leidenschaftlich um die Vorherrschaft und Liebe.

FÜR IMMER IN DEINEN ARMEN?
In zwei Wochen soll Hannah den König von Morgan Isle heiraten! Aber eine arrangierte Ehe, kann das wirklich funktionieren? Als Phillip sie in den Schlossgarten führt und fest in seine starken Arme schließt, verblassen Hannahs Zweifel. Doch kurz vor der Hochzeit spürt sie die hasserfüllten Blicke einer Fremden. Phillip scheint die schöne Frau sehr gut zu kennen … Liebt er etwa eine andere?

EIN PRINZ FÜR GEWISSE STUNDEN?
Lizzy fühlt sich wie im Märchen. Ist das wirklich sie, die Frau, die mit dem faszinierendsten Mann in diesem Ballsaal tanzt? Prinz Ethan flirtet so heftig mit ihr ... als wäre sie die Königin seines Herzens! Sie kann das Lächeln nicht unterdrücken bis Ethan ihr gesteht, dass sie für ihn eigentlich tabu ist ...

TANZ MIT MIR, PRINZESSIN!
"Diesmal gewinne ich!" Genugtuung erfasst den Architekten Alexander Rutledge, als er den Auftrag über ein Luxushotel auf Morgan Isle erhält. Und keine andere als Prinzessin Sophie soll ihm die Insel zeigen - die Frau, die ihm vor zehn Jahren das Herz gebrochen hat! Jetzt will er es ihr heimzahlen, indem er sie verführt und dann abserviert. Er darf sich nur nicht von ihrem charmanten Lächeln ablenken lassen ...

TAGE DER VERSUCHUNG
Victoria kann es nicht fassen: Erst hat dieser arrogante Charles Mead die Dreistigkeit, ihr das Hotel zu nehmen, das seit Generationen in ihrem Familienbesitz ist - und dann macht er sie auch noch zu seiner persönlichen Assistentin! Bald muss Victoria jedoch einsehen, um wie viel stärker Charles' erotische Ausstrahlung ist …

EIN KÖNIGLICHER VERFÜHRER
Herzklopfen beim bloßen Anblick eines Mannes? So etwas passiert mir nie! Davon ist Prinzessin Melissa überzeugt. Aber als sie beim Staatsbesuch den Thronfolger von Thomas Island kennenlernt, kann sie sich kaum auf ihre Aufgabe konzentrieren. Denn Kronprinz Christian ist sogar im Nadelstreifenanzug noch viel zu sexy ... Hals über Kopf verliebt sie sich - bis sie erfährt, dass er nur eine standesgemäße Braut sucht, die seine Affären toleriert!

WARUM IST DER MANN BLOß SO SEXY?
Prinz Aaron ist der attraktivste Mann, dem Olivia je begegnet ist. Während sie auf Thomas Isle das Mittel gegen eine rätselhafte Pflanzenkrankheit sucht, muss sie immer wieder an die vielsagenden Blicke denken, die Prinz Aaron ihr zuwirft. Ob es auch ein Mittel gegen das aufregende Knistern zwischen ihnen gibt?

WOVON EINE PRINZESSIN TRÄUMT
Garret Sutherland ist der Richtige! Schon nach fünf Minuten auf dem königlichen Ball ist Prinzessin Louisa sich sicher. Auch wenn ihre Geschwister sie für hoffnungslos romantisch halten - sie und der Selfmade-Millionär, das wird für immer und ewig sein. Und Garretts Kuss unter dem hellen Inselmond besiegelt es: Königliche Verlobung aus Leidenschaft und Liebe! Doch auch eine Prinzessin kann sich gründlich täuschen ...

WAS NACH DEM KÖNIGLICHEN BALL GESCHAH
Prinzessin Anne ist kalt wie ein Eisblock, heißt es im Inselreich hinter vorgehaltener Hand. Darüber kann Samuel Baldwin, designierter Nachfolger des Premiers, nur lachen. Denn auf einem Ball hat er mit Anne getanzt und sie dann die ganze Nacht lang geliebt! Als Anne ihn vier Monate später im Büro besucht und gesteht, dass sie schwanger ist, ist er jedoch sprachlos ...


  • Erscheinungstag 20.12.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733738938
  • Seitenanzahl 1184
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Michelle Celmer

Königliche Verführungen - Machtkampf der Leidenschaft (8-teilige Serie)

Michelle Celmer

Für immer in deinen Armen?

IMPRESSUM

BACCARA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2008 by Michelle Celmer
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1575 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Roswitha Enright

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 01/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-537-4

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL

Obwohl sie sich seit acht Jahren auf diesen Tag vorbereitet hatte, zitterten Hannah Renault die Knie, als die große Limousine vor dem Palast hielt. Denn seit zwei Jahren hatte sie den Prinzen, genauer gesagt, den König, nicht gesehen.

König Phillip Lindal Augustus Mead stand in seiner prächtigen Galauniform auf der obersten Treppenstufe, umgeben von den Palastangestellten, und sah seiner Braut entgegen. Draußen vor dem Tor drängten sich die Menschen, die einen ersten Blick auf die zukünftige Königin von Morgan Isle werfen wollten.

Und das war sie, Hannah Renault.

Die Wagentür wurde geöffnet, der Chauffeur reichte ihr die behandschuhte Hand, und Hannah stieg aus. Jetzt bloß nicht stolpern, ging ihr sofort durch den Kopf. Nervös strich sie den Rock ihres dunkelblauen Leinenkostüms glatt. Dieses war der Tag, von dem sie seit Langem geträumt hatte. Sie musste unbedingt einen guten Eindruck auf ihren zukünftigen Ehemann machen und, wie es aussah, auch auf die halbe Bevölkerung von Morgan Isle, die ihr bereits begeistert zujubelte.

Obgleich sie sich am liebsten schnell wieder in der Limousine verkrochen hätte, lächelte Hannah der Menge kurz zu und wandte sich dann zur Treppe um. Dabei hielt sie sich sehr gerade und sah dem König ernst entgegen, so wie es von ihr erwartet wurde. In dieser Haltung hatte sie auf die formelle Begrüßung des Königs zu warten. Als er die Stufen herunterkam, hielt sie den Atem an, während von der Menge nur noch ehrfurchtsvolles Geraune zu hören war.

Nur nicht nervös werden, versuchte sie sich Mut zu machen, aber das war leichter gesagt als getan. Ihr war fast schlecht vor Aufregung, und sie atmete tief durch.

In den zwei Jahren war ihr Verlobter irgendwie noch attraktiver geworden, als sie ihn in Erinnerung hatte. Jetzt war er auf der untersten Stufe angelangt, und, wie sie es gelernt hatte, trat Hannah einen Schritt vor und versank dann in einen tiefen Hofknicks. „Eure Hoheit“, sagte sie mit leicht zitternder Stimme und neigte den Kopf.

„My Lady.“ Er reichte ihr die Hand, die sie ergriff und ihn dann erst ansah. Während sie sich aufrichtete, zog er ihre Hand an die Lippen und küsste sie kurz. „Willkommen zu Hause.“

Hannah war vollkommen durcheinander. Hatte er immer schon diese tiefe sexy Stimme gehabt? Und hatte er sie jemals mit seinen rauchgrauen Augen so warm, beinahe zärtlich angesehen?

Mit Mühe konzentrierte sie sich auf das, was die Etikette-Expertin ihr immer und immer wieder gesagt hatte: Sie müssen den Eindruck erwecken, von königlicher Gelassenheit zu sein, dürfen aber keinesfalls kalt wirken. Doch Hannah war schon froh, dass sie sich einigermaßen gerade hielt und nicht ohnmächtig wurde.

Dies war kein Traum, es passierte wirklich. In zwei Wochen würde sie diesen attraktiven und mächtigen Mann heiraten. In zwei Wochen würde sie die Königin von Morgan Isle sein.

Immer bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie die ganze Situation erregte, ließ sie sich von Phillip die Stufen hinaufführen. Als spüre er, was in ihr vorging, legte er ihr den Arm um die Taille, was ganz sicher nicht der Etikette entsprach, und zog sie kurz fest an sich. „Immer mit der Ruhe. Das Schlimmste ist vorbei“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Über seine Rücksicht war sie so gerührt, dass sie fast in Tränen ausgebrochen wäre. Ihn an der Seite zu wissen, selbstbewusst und solide wie ein Fels in der Brandung, tat ihr ungeheuer gut. Wenn er ihr doch nur ein wenig von seinem Selbstvertrauen abgeben könnte.

Als sie die oberste Stufe erreicht hatten, war eigentlich vorgesehen, dass Hannah nun die Angestellten begrüßte und „ihrem“ Volk zuwinkte, aber wieder durchbrach Phillip das Protokoll. Er ging mit Hannah direkt auf die große vergoldete Tür zu, stieß sie auf und trat ein. Eine riesige Eingangshalle tat sich vor Hannah auf. Zwei der königlichen Adjutanten folgten ihnen dicht auf den Fersen. Ihre Schritte waren auf dem spiegelnden Marmor gut zu hören. Dann blieb Phillip vor einer schweren geschnitzten Flügeltür aus Mahagoni stehen und drehte sich zu den beiden Adjutanten um.

„Lassen Sie uns ein paar Minuten allein“, sagte er lediglich, öffnete einen Flügel, schob Hannah in den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Staunend schaute Hannah sich in dem großen Zimmer um, ganz offensichtlich eine Bibliothek. Auf drei Seiten reichten die Bücherregale bis an die bemalte Decke. Noch nie hatte sie so viele Bücher an einem Ort gesehen, nicht einmal in der Universitätsbibliothek zu Hause. In der Mitte des Raumes stand eine weich gepolsterte rote Ledergarnitur. Phillip führte sie zu einem der Sessel. „Setz dich“, bat er sie.

Erleichtert ließ sie sich in den Sessel fallen und schloss die Augen. Ganz sicher hätten ihre Beine sie keinen Meter weiter getragen.

„Soll ich das Riechsalz holen lassen?“

Erschreckt riss sie die Augen wieder auf. Ob er verärgert war? Hatte sie sich falsch benommen? Doch dann bemerkte sie ein kaum angedeutetes Lächeln. „Danke, nein. Ich glaube, ich habe mich wieder gefangen.“

Auf der anderen Seite des Zimmers befand sich eine kleine Bar, auf die Phillip jetzt zuging. Hannah beobachtete, wie er aus einer Karaffe eine bernsteinfarbene Flüssigkeit in zwei Gläser goss, wieder auf sie zukam und ihr eins der Gläser wortlos in die Hand drückte. „Trink“, sagte er leise, „aber langsam.“

Sie nahm einen kleinen Schluck und spürte, wie ihr die klare Flüssigkeit heiß die Kehle hinunterlief. Keuchend sah sie ihn an, Tränen traten ihr in die Augen. „Entschuldigung“, stieß sie leise hervor, sowie sie wieder Luft bekam.

Er hockte sich neben ihren Sessel, stützte sich auf der Armlehne ab und sah Hannah lächelnd an. „Warum entschuldigst du dich denn?“

„Weil ich einen Fehler gemacht habe.“

„Wieso das denn?“

„Ich hätte doch die Angestellten begrüßen sollen.“

„Das kannst du auch später noch tun.“

„Außerdem hätten wir uns umwenden und den Leuten draußen vor dem Tor zuwinken sollen.“

„Na und? Sie wissen ja nicht, dass das im Protokoll stand.“

„Aber ich will nicht, dass sie mich für snobistisch halten.“

„Und bist du es?“

Die Frage hatte sie nicht erwartet. „Nein … natürlich nicht. Aber …“

„Dann brauchst du dir auch keine Gedanken zu machen.“

„Aber ist es nicht wichtig, dass die Leute mich mögen?“

„Das werden sie ganz sicher“, erwiderte er mit so viel Überzeugung, dass ihr ganz warm ums Herz wurde.

„Und die Presse?“, fing sie wieder an. Die Presse in den Vereinigten Staaten war schon manchmal brutal, aber der hier in Europa sagte man nach, geradezu bösartig zu sein.

Aber auch davon ließ Phillip sich nicht beunruhigen, sondern klopfte nur lächelnd auf seine linke Jackentasche. „Genau da habe ich die. Nämlich in der Tasche. Also, keine Sorge.“

Das war gut zu wissen. Es sah so aus, als habe er alles im Griff. Aber warum auch nicht? Schließlich war er der reichste und mächtigste Mann im Land. Hannah nahm noch einen Schluck. Langsam löste sich der Knoten in ihrem Magen. „Meine Lehrerin bestand auf der Einhaltung des Protokolls. Ganz sicher wird ihr zu Ohren kommen, dass alles anders gelaufen ist.“

„Du hast alles wunderbar gemacht. Und keine Angst, du wirst dich schon daran gewöhnen.“

Das konnte sie nur hoffen.

Beide schwiegen, und Hannah zerbrach sich den Kopf auf der Suche nach einem Gesprächsthema. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr war sie auf diesen Tag vorbereitet worden. Und nun war sie hier, und ihr fiel nichts mehr ein. Wie peinlich.

Da half es auch nichts, dass sie sich sagte, die Situation sei ja auch eine andere als die, auf die sie sich eingestellt hatte. Sie war davon ausgegangen, einen Prinzen zu heiraten. Das bedeutete, dass sie in den Jahren als Frau des Thronfolgers Zeit gehabt hätte, sich an die Sitten und Gebräuche am Hofe zu gewöhnen. Da aber die Königin so plötzlich gestorben war und Phillip sofort die Thronfolge hatte antreten müssen, sah nun alles anders aus.

Als König brauchte er eine Frau, die an seiner Seite stand. Noch wichtiger, er brauchte einen Erben, damit die Thronfolge gesichert war. So hatten sich die sechs Monate, die üblicherweise als Vorbereitungszeit für die Hochzeit vorgesehen waren, auf zwei Wochen verkürzt. In zwei Wochen schon sollten sie sich das Jawort geben.

Zwei Wochen.

Schnell stürzte Hannah den Rest ihres Glases hinunter. Oh, das war vielleicht doch etwas zu viel gewesen. Die Tränen traten ihr erneut in die Augen, und sie bekam kaum Luft.

Amüsiert lächelnd nahm Phillip ihr das Glas aus der Hand. „Und, fühlst du dich jetzt besser?“

Sie nickte, aber er glaubte ihr nicht, das konnte sie an seiner Miene ablesen. Und als sie sich in dem Raum umsah, wurde ihr plötzlich klar, dass sie das erste Mal mit Phillip allein war.

Vollkommen allein.

Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie sich in der Vergangenheit gesehen hatten, war natürlich immer eine Anstandsperson dabei gewesen, wie es die Etikette vorschrieb. Und obgleich sie die Königin nur wenige Male und dann auch nur sehr kurz getroffen hatte, kannte sie die Gerüchte. Man sagte, sie sei kalt und herzlos.

Aber die Königin war tot, und hier in diesem Raum waren sie allein, und es gab niemanden, der sie daran hindern könnte … ja, was zu tun?

Sofort war sie sich der Gegenwart des Königs nur allzu deutlich bewusst. War es der frische herbe Duft seines Aftershaves? Oder sein Blick, der auf ihr ruhte? Phillip war einfach so … präsent.

Und so nah.

Nur eine kleine Bewegung, und sie könnte ihn am Ärmel berühren. Sie brauchte nur ihre Hand zu heben und könnte ihm über die Wange streichen. Bereits bei der Vorstellung, ihn zu berühren, zitterten ihr die Knie.

„Wenn du weiter so an deiner Unterlippe kaust, bleibt nichts mehr für mich übrig“, meinte er lächelnd, und die grauen Augen funkelten vergnügt.

Oh, mein Gott!

In all den Jahren, in denen sie sich darauf vorbereitet hatte, Kronprinzessin und später Königin dieser kleinen Monarchie zu werden, hatte niemand sie auf eine solche Situation vorbereitet. Sie hatte alles Mögliche gelernt über Blutlinien und Stammbäume und Etikette bei Hofe und königliche Gebräuche, aber nicht, wie sie mit dem König und ihrem künftigen Mann flirten sollte. Zwar war ihr sehr deutlich gemacht worden, dass man von ihr erwartete, einen Thronfolger zur Welt zu bringen. Aber all diese Verhaltensregeln endeten vor der Schlafzimmertür.

In diesem Punkt war sie sowieso vollkommen naiv. Obwohl die Mädchen in der Klasse und später auch die Freundinnen vom College sie für total verrückt erklärten, hatte Hannah sich vorgenommen, sich für ihren Ehemann aufzusparen. Und zwar schon, bevor sie Phillip versprochen worden war.

Deshalb hatten sie sich noch nie geküsst, sich bloß hin und wieder bei der Hand gehalten. Nicht dass sie nicht gewollt hätte. Aber es hätte sich nicht geschickt. Aber hier jetzt in diesem Raum könnte sie keiner davon abhalten.

Dieser Gedanke entsetzte und erregte sie zugleich. Tatsache war, dass sie Phillip kaum kannte. Bisher war ihr das nie so bewusst gewesen wie gerade in diesem Augenblick.

Als er sich leicht vorbeugte, wich sie erschrocken zurück. „Was ist denn, Hannah?“, fragte er leise. „Mache ich dich nervös?“

Sie versuchte, sich zu sammeln, und sah ihn ernst an. „Du bist der König. Das ist schon ziemlich einschüchternd.“

„Ich bin auch nur ein Mann.“

Ja, ja, so wie die Beatles auch nur irgendeine Rockband waren und die Mona Lisa nur irgendein Gemälde.

„Ich habe schon lange auf diesen Tag hingelebt“, sagte sie und hoffte, dass ihre Stimme einigermaßen gelassen klang.

„Gut. Dann werde ich mich bemühen, dich nicht zu enttäuschen.“ Er betrachtete sie eindringlich, und wieder fragte sich Hannah, was er denn zu finden hoffte. Was ging in ihm vor, wenn er sie ansah? War er wie sie tief in seinem Herzen sicher, dass sie sehr gut zusammenpassten? Freute er sich wie sie auf die gemeinsame Zukunft?

Zwar hatten ihre Eltern darauf bestanden, dass sie erst mit achtzehn die endgültige Entscheidung fällte. Aber als sie ihm das erste Mal begegnet war, da hatte sie sofort gewusst, dass sie eines Tages seine Frau sein würde. Hatte auch er das damals bereits gefühlt?

Bei all der sorgfältigen Planung und den vielen Vorbereitungen mussten sie doch geradezu eine Bilderbuchehe führen.

„Du bist schön.“ Zärtlich strich Phillip ihr über die Wange, und Hannah spürte die Berührung bis in die Zehenspitzen. „Findest du es nicht seltsam, dass wir in zwei Wochen heiraten und uns bisher noch nicht einmal geküsst haben?“

„Eigentlich schon.“ Sie lachte leise. „Aber bei den Anstandswauwaus war das ja kaum möglich.“

Wieder kam er näher, und ihr Puls raste wie verrückt. „Aber hier sind wir allein.“

„Hm“, machte sie und lächelte. „Dann ist das jetzt wohl deine Gelegenheit.“

„Allerdings.“ Er legte ihr die Hand in den Nacken und zog sie näher an sich heran. „Das vermute ich auch.“

Vielleicht schickte es sich nicht, aber als Hannah Phillips Hand im Nacken fühlte, kam sie ihm bereitwillig entgegen. Seit sie sechzehn gewesen war, hatte sie davon geträumt, ihn zu küssen, und nun war es endlich so weit! Kein Wunder, dass sie sofort nachgab.

Als sie die Augen schloss, spürte sie nur noch seinen Atem, und dann berührten sich ihre Lippen …

In diesem Augenblick flog die Tür auf, und Hannah fuhr erschreckt hoch.

Phillip seufzte leise. Natürlich, Sophie! Das musste ja kommen. Er stand auf und stellte sich neben seine Verlobte. Hannah war rot geworden, aus Verlegenheit, vielleicht auch aus Erregung. Ein bisschen war es wohl beides. „Hannah, du erinnerst dich doch sicher noch an meine Schwester, Prinzessin Sophie?“

„Ja, natürlich.“ Hannah machte einen makellosen Hofknicks. „Eure Hoheit, ich freue mich, Sie wiederzusehen.“

„Mein Bruder hat dir bestimmt schon gesagt, dass ich mir aus dem ganzen Titelklimbim nichts mache.“ Sophie schüttelte Hannah kräftig die Hand. „Ab jetzt bin ich nur ganz einfach Sophie für dich, einverstanden?“

Hannah nickte und biss sich wieder verlegen auf die Lippe. Irgendwie fand Phillip diese Geste sehr charmant, ja, sexy. Vor allem, wenn er sich vorstellte, dass er diese Lippen jetzt küssen würde, wäre Sophie nicht so höchst unpassend hereingeplatzt.

„Ich wollte euch nur mitteilen, dass das Empfangskomitee sich jetzt in der Halle aufgestellt hat.“ Dann lächelte sie. „Ich meine nur, falls ihr bereit seid, es zu begrüßen.“

Phillip schaute Hannah fragend an. „Wie ist es?“

„Kann ich mich irgendwo frisch machen? Ich glaube, ich muss meine Lippen nachziehen.“

„Natürlich.“ Er zeigte auf eine kleine Seitentür. „Hier entlang.“

„Bin gleich wieder zurück.“

„Du brauchst dich nicht zu beeilen.“

Als er ihr mit Blicken folgte, fiel ihm auf, wie sicher und graziös sie sich bewegte, obgleich die Situation sie ganz offensichtlich einschüchterte. Waren wirklich schon zwei Jahre vergangen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten? Wenn ja, hatte er das nur sich selbst zuzuschreiben. Seit dem Tod des Vaters hatte er einfach keine Zeit gehabt, um an die Heirat auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Außerdem hatte die Hochzeit eigentlich erst in frühestens einem Jahr stattfinden sollen. Aber auch in einem Jahr hätte er sicher genauso viel gegen diese Ehe einzuwenden wie jetzt.

Wenn es nach ihm ginge, würde er nie heiraten. Bei dem Gedanken, sein ganzes Leben an eine Frau gekettet zu sein, fühlte er sich eingeengt. Aber er hatte eine Pflicht seinem Land gegenüber. Seine Verantwortung als König nahm er ernst. Und anders als sein Vater, von dem Phillip seine rastlose Natur in Bezug auf Frauen geerbt hatte, hegte er die feste Absicht, seiner Frau, solange es ihm möglich war, treu zu sein.

„Du hast ja wirklich keine Zeit verschwendet“, meinte seine Schwester. „Allerdings würde ich dir raten, in Zukunft die Tür abzuschließen.“

Er sah sie warnend an.

„Bloß gut, dass das Bad nur von hier Zugang hat“, fuhr Sophie lächelnd fort. „Wer weiß, vielleicht würde deine Verlobte sonst ja noch das Weite suchen.“

Er zog verärgert die Augenbrauen zusammen. „Hast du nichts Besseres zu tun?“

Sophie zwinkerte ihm vergnügt zu. Seit sie sprechen konnte, hatte sie ihren großen Spaß daran, den älteren Bruder zu piesacken. „Deine Zukünftige ist ziemlich hübsch.“

„Ja, ziemlich.“ So hübsch, wie ein König es von seiner zukünftigen Frau erwarten konnte. Als seine Mutter das erste Mal von einer arrangierten Ehe gesprochen hatte, hatte er die Idee als vollkommen überholt zurückgewiesen. Da seine Mutter jedoch Nein nicht als Antwort gelten ließ, hatte er sich schließlich bereit erklärt, in die USA zu fliegen und sich das Mädchen einmal anzusehen, das sie für ihn ausgesucht hatte.

Dabei war ihm gleich aufgefallen, dass Hannah bereits mit sechzehn ein großes Potenzial erkennen ließ. Trotz der acht Jahre Altersunterschied fand er sie sehr attraktiv. Und er konnte sehen, dass auch sie von ihm beeindruckt war. Da ihm klar war, dass seine Mutter nicht nachgeben würde, erklärte er sich mit der arrangierten Ehe einverstanden. Verschiedene Treffen wurden vereinbart, und er warb offiziell um Hannah.

Mit achtzehn hatte sie sich zu einer bildhübschen jungen Frau entwickelt, die dazu noch sehr gescheit war. Und beide merkten, dass sie nicht mehr nur neugierig aufeinander waren, sondern körperlich stark voneinander angezogen wurden.

Sie verkörperte alles, was ein König sich in Bezug auf seine Königin wünschen konnte. Und noch entzückte ihn ihre Unschuld und ihr Bemühen, ihm zu gefallen. Leider aber langweilte er sich sehr schnell, und so würde er sicher auch ihrer sehr bald überdrüssig werden.

„Glaubst du, dass sie auch nur den leisesten Schimmer hat, was hier auf sie zukommt?“, riss Sophie ihn aus seinen Gedanken.

„Vielleicht den leisesten“, meinte er. Denn er wusste, theoretisch hatte sie sich nur begrenzt vorbereiten können. Das meiste musste Hannah in der Praxis lernen.

„Noch was anderes, Phillip. Da ich hier endlich mal allein mit dir allein bin, muss ich mit dir unbedingt etwas besprechen.“

Er ahnte, worauf sie anspielte, und schüttelte abwehrend den Kopf. „Wenn es das ist, was ich vermute, dann …“

„Aber er ist unser Bruder. Du solltest ihn wenigstens anhören.“

„Halbbruder“, widersprach er mit Nachdruck. Ein illegitimer Sohn des Vaters. „Ich bin ihm nichts schuldig.“

„Was er vorschlägt, könnte die Stabilität des Reiches für viele Generationen sichern.“

„Und ihm sehr nützen.“

Sie sah ihn an, als sei er nicht recht gescheit. „Du sagst das so, als sei es eine schlechte Sache.“

„Ich traue ihm nicht.“

„Wenn du Sorgen hast, dass er nach der Krone strebt, dann irrst du dich. Darum geht es ihm überhaupt nicht.“

Stimmt. In diesem Punkt war sein Halbbruder Ethan Rafferty wie Sophie. Auch sie hatte den größten Teil ihrer fünfundzwanzig Lebensjahre damit verbracht, sich über die starren Regeln der Monarchie lustig zu machen. Aber Ethan war ein Mann, und wenn Phillip etwas passierte, war er der Nächste in der Thronfolge.

Und das war für Phillip vollkommen inakzeptabel.

„Ich will darüber nicht sprechen“, sagte er energisch. „Schluss. Aus.“

Vor Frust war ihr die Röte in die Wangen gestiegen. „Verdammt noch mal, nun sei doch nicht immer so stur!“

Das musste ausgerechnet sie sagen! „Da bin ich wohl nicht der Einzige, liebe Sophie.“

Die Tür öffnete sich, und Hannah kam herein. Dankbar für die Unterbrechung ging Phillip auf sie zu. „Geht es dir besser?“

„Ja, danke. Ich glaube, ich bin jetzt in der Lage, das zu tun, was von mir erwartet wird. Tut mir leid, dass ich mich so habe gehen lassen.“

„Hast du das?“, fragte Sophie. „Ich bin sicher, keiner hat was gemerkt.“

Hannah blickte ihre zukünftige Schwägerin dankbar an.

„Das tut gut.“

Phillip trat neben sie und bot ihr den Arm. „Soll ich dich begleiten?“

Nach einem Blick auf die Tür schüttelte sie den Kopf. „Nett, dass du das anbietest, aber ich glaube, in diesem Fall ist es wichtig, dass ich das allein schaffe.“

„Wie du willst.“ Er öffnete die Tür für sie und beobachtete voller Stolz, wie sie gerade aufgerichtet und mit sicherem Schritt in die Halle trat.

Sophie stellte sich neben den Bruder und flüsterte: „Beeindruckend.“

„Allerdings.“

„Glaubst du, dass sie damit jetzt zurechtkommt?“

Er nickte. „Ja, davon bin ich überzeugt.“

„Ich auch. Nun stellt sich nur die entscheidende Frage, Eure Hoheit: Wirst auch du mit ihr zurechtkommen?“

2. KAPITEL

Es stellte sich heraus, dass dieser Tag der anstrengendste, schwierigste und gleichzeitig aufregendste in Hannahs bisherigem Leben sein sollte. Nachdem sie die Begrüßung der Palastangestellten und des engsten Stabes, was fast eine Stunde dauerte, hinter sich gebracht hatte, gingen Phillip und sie zu einem Essen, das ihr zu Ehren gegeben wurde. Nach dem Essen, bei dem sie vor Nervosität kaum etwas zu sich nehmen konnte, wurde sie verschiedenen Staatsbeamten und deren Frauen vorgestellt. Der Kopf schwirrte ihr, und schon jetzt wusste Hannah, dass sie sich die Namen nie würde merken können.

Dem folgten Fotoaufnahmen im Garten und eine kurze Pressekonferenz. Phillip und Hannah wurden mit Fragen bombardiert, die im Wesentlichen Hannahs Herkunft und ihre Erziehung betrafen. Wie sie sich fühle als kommende Königin, wollte man wissen, ob schon Pläne wegen der Hochzeit veröffentlicht werden dürften. Aber auch das Thema der Feierlichkeiten zum 500-jährigen Bestehen der Monarchie wurde angesprochen.

Neben dem König zu stehen und seine Aura von Selbstbewusstsein und Überlegenheit zu spüren war für Hannah ebenso faszinierend wie einschüchternd. Er war der mächtigste Mann im Staat, und er war sich seiner Bestimmung voll bewusst. Und nicht das erste Mal an diesem Tag musste sie sich fragen, ob sie denn hier wirklich am rechten Platz sei. Trotz der Jahre der Vorbereitung überwältigte sie die Situation. Allerdings war ihr zur selben Zeit bewusst, wie stolz ihr Vater auf sie gewesen wäre, wenn er sie hier hätte sehen können. Und nur das zählte.

Auch ein weiteres anstrengendes Essen ließ sie über sich ergehen. Wieder wurde sie mit einer Unzahl von Namen und Gesichtern konfrontiert, die sie nie wiedererkennen würde. Allerdings war eine Frau darunter, die ihr an diesem Tag schon einmal aufgefallen war, und zwar im Wesentlichen deshalb, weil sie sich von ihr beobachtet gefühlt hatte.

Die Frau war höchstens ein oder zwei Jahre älter als Hannah, hatte dunkles Haar, sah sehr gut aus und hatte die üppige kurvenreiche Figur, auf die Männer normalerweise fliegen. Hannah hatte bereits daran gedacht, auf sie zuzugehen und sie anzusprechen. Aber das hätte bedeutet, Phillips Seite zu verlassen, und dazu fühlte sie sich noch nicht stark genug. Immer, wenn Hannah sich nach ihr umsah, war der Blick der Dunkelhaarigen auf sie gerichtet, direkt und ohne Scham. Dann war sie plötzlich verschwunden, und so sehr Hannah auch nach ihr suchte, sie war wie vom Erdboden verschluckt.

Seltsam. Sollte sie sich das Ganze nur eingebildet haben?

Nach einer weiteren Stunde Small Talk hob Phillip schließlich die Gesellschaft auf. Er sagte den Gästen Gute Nacht und bot Hannah an, sie zu ihrer Suite zu bringen.

Hannah wären vor Erleichterung fast die Tränen gekommen. Sie war völlig erschöpft, und der Gedanke, endlich in ihr Bett sinken zu können, war einfach wunderbar.

Höflich bot er ihr den Arm und führte sie zu den Privatgemächern der Familie, die am Nordende des Palastes lagen. Auch diese Räume waren äußerst luxuriös, wenn auch insgesamt etwas moderner ausgestattet. Das Anwesen von Hannahs Eltern in Seattle in den USA konnte man zwar nicht gerade als klein bezeichnen, aber verglichen mit dieser Eleganz und Extravaganz war es geradezu bescheiden.

Sie würde wohl einige Zeit brauchen, um sich daran zu gewöhnen.

Sowie sie innerhalb der Privaträume waren, öffnete Phillip den obersten Hemdknopf und zog das Jackett aus. Sofort wurde er wieder zu dem Mann, der sie in die Bibliothek gezogen und beinahe geküsst hatte. Bei dem Gedanken daran stieg Hannah die Röte in die Wangen, und sie musste den Blick abwenden. Wenn sie doch bloß die Schuhe ausziehen könnte. Die Verkäuferin hatte ihr versichert, dass sie super bequem seien und sie trotz der hohen Absätze darauf wie auf Wolken gehen könne. Von wegen!

„Du hast dich sehr gut gehalten“, sagte er leise.

„Ehrlich gesagt ist alles wie im Traum an mir vorbeigerauscht. Meinst du, ich könnte eine Liste mit Fotos und kurzer Biografie der Leute bekommen, die mir heute vorgestellt worden sind?“

Er blickte sie überrascht an. „Warum?“

„Dann kann ich mir ihre Namen und Gesichter einprägen. Ich fürchte, ich kann mich kaum an etwas erinnern, und ich möchte auf keinen Fall unhöflich erscheinen, wenn ich ihnen das nächste Mal begegne. Gut wäre, wenn ich auch etwas über ihre Familien erfahren könnte.“

Phillip war beeindruckt. „Ja, natürlich kannst du eine Übersicht bekommen. Gleich morgen früh.“

Vor einer Tür blieben sie stehen. Wahrscheinlich ist das meine Suite, dachte Hannah. „Ich muss mich für die Unbequemlichkeit entschuldigen“, sagte Phillip. „Die Suite ist ziemlich klein, aber du wirst sie auch nur vorübergehend bewohnen.“

Die Größe der Suite war Hannah vollkommen egal, solange sie eine Badewanne und ein weiches Bett hatte. „Ich bin sicher, alles ist vollkommen ausreichend.“

Er öffnete die Tür. „Die eigentliche Suite wird nämlich gerade renoviert. Wenn ich mich richtig erinnere, dann hast du morgen Nachmittag einen Termin mit dem Innenausstatter.“

Auch das war ihr im Augenblick absolut gleichgültig, sie sehnte sich nur nach einem heißen Bad und einem bequemen Bett. Aber als Phillip die Tür öffnete, sah Hannah sich wieder drei fremden Gesichtern gegenüber. Zwei der drei Frauen waren schwarzweiß wie Kammermädchen gekleidet, die dritte trug ein fein gestreiftes dunkelblaues Kostüm.

„Hannah, ich möchte dir deinen persönlichen Stab vorstellen, Miss Cross und Miss Swan, deine beiden Zofen, und Miss Pryce, deine persönliche Assistentin.“

„My Lady“, sagten alle drei wie aus einem Mund und knicksten.

„Sehr angenehm“, antwortete Hannah lächelnd.

Miss Pryce, die eine Ledermappe unter dem Arm trug, trat einen Schritt vor. „Ich habe hier Ihre Termine, My Lady, und das Programm für morgen.“

„Sehr gut“, bremste Phillip ihren Tatendrang. „Aber ich fürchte, meine Verlobte ist reichlich angestrengt nach diesem Tag. Das muss bis morgen warten.“

„Selbstverständlich, Sir.“ Miss Pryce machte wieder einen Schritt zurück.

Mit einer kleinen Handbewegung entließ Phillip die drei. Dann wandte er sich zu Hannah um. „Deine Suite besteht aus einem Schlafraum, einem Wohnraum und einem Büro.“

„Und hoffentlich einem Bad.“

„Selbstverständlich. Mit allem, was dazugehört. Dein Büro wurde mit all dem ausgestattet, was du haben wolltest. Computermäßig, meine ich.“

„Danke.“ Sie sah sich in dem Raum um. Sehr hübsch. Sofort musste sie daran denken, wie es sich wohl anfühlte, sich an Phillips Schultern zu schmiegen. Und wenn er dann die Arme um sie legte …

Bei der Vorstellung, er würde sie berühren, erbebte Hannah innerlich, und ihr wurde ganz warm. Immerhin hatten sie sich schon fast geküsst. Auch jetzt waren sie wieder allein, nebenan war gleich das Schlafzimmer. Und diesmal würde Sophie sie sicher nicht stören.

Hatte er deshalb die drei weggeschickt? Hatte er irgendetwas vor?

Er ging quer durch den Raum zu dem kleinen geschnitzten Wandschrank, öffnete ihn, wählte aus dem reichlichen Angebot eine Flasche aus und goss jedem einen Drink ein. Dann wandte er sich wieder um und schien erstaunt zu sein, dass Hannah immer noch wie angewurzelt an derselben Stelle stand.

„Das war ein langer Tag“, sagte er freundlich und trat auf sie zu. „Setz dich doch. Und entspann dich.“

Die engen Schuhe peinigten sie, aber sie dachte nicht daran, sie in seiner Gegenwart auszuziehen. Irgendwie würde sie sich dann halb entblößt fühlen. „Bleibst du hier?“

„Soll ich lieber gehen?“

„Nein, natürlich nicht. Nur … ist das in Ordnung?“

„Warum denn nicht?“

„Ich meine, dass du hier in meiner Suite bist. Vor der Hochzeit.“

„Ja und?“

„Verstößt das nicht gegen die Etikette?“

„Warum?“

Allmählich wurde sie wütend. Wollte er sie nicht verstehen? „Als Nächstes behauptest du noch, es sei vollkommen korrekt, wenn du mich ins Bett bringst.“

Er verzog die Mundwinkel zu einem kurzen gefährlichen Lächeln. „Wenn du das möchtest. Denn wie du schon gesagt hast, ich bin der König. Ich stelle hier die Regeln auf.“ Er wies auf die Couch. „Willst du dich nicht zu mir setzen?“

Diese Schuhe brachten sie noch um! Was für ein köstlicher Gedanke, sich endlich hinsetzen zu können. Dennoch zögerte sie.

„Keine Angst. Ich beiße nicht.“ Er ließ sich auf das Sofa sinken. „Es sei denn, du bittest mich darum.“

Immer noch war sie unschlüssig.

„Du kannst mir vertrauen“, versicherte er ihr.

Vielleicht war das nicht das Problem. Vielleicht hatte sie keine Bedenken wegen Phillips Verhalten.

Vielleicht war sie es selbst, der sie nicht traute.

Phillip seufzte leise. Für heute hatte er sich noch etwas ganz Bestimmtes vorgenommen, aber Hannah machte es ihm nicht gerade leicht. Vielleicht war er auch nicht ganz unschuldig daran. Aber es bereitete ihm so viel Vergnügen, sie ein bisschen aufzuziehen. „Ich verspreche, mich von meiner besten Seite zu zeigen.“

Doch sie verschränkte nur die Arme vor der Brust, sah ihn ernst an und meinte: „Und woher soll ich wissen, was deine beste Seite ist?“

Gut gekontert. Unwillkürlich musste er lächeln. Hannah gefiel ihm, und schon jetzt wurde er traurig bei dem Gedanken, dass das nicht von Dauer sein würde. Irgendwann würde er auch von ihr gelangweilt sein. Aber bis dahin wollte er ihr Beisammensein wenigstens genießen. „Und wenn ich dir nun verspreche, dich nicht zu berühren? Würdest du dich dann zu mir setzen?“

Stirnrunzelnd sah sie ihn an, und er wusste nicht, ob sie über diesen Vorschlag erleichtert oder enttäuscht war.

Schließlich nickte sie. „Einverstanden.“

Vorsichtig setzte sie sich an das andere Ende des Sofas, ganz aufrecht, die Knie fest zusammengepresst, und strich sich den Rock glatt.

„Du kannst ruhig die Folterinstrumente ausziehen“, sagte er lächelnd. Und als sie ihn verwirrt ansah, fügte er hinzu: „Die Schuhe. Sie sehen sehr unbequem aus.“

Sie blickte auf die Schuhe, als bemerke sie sie zum ersten Mal. Dann hob sie den Kopf und log: „Nicht nötig. Sie sind okay.“

Warum war sie nur so … schwierig? Was vor ihm lag, fiel ihm schwer genug. Und er würde es sehr viel leichter hinter sich bringen, wenn sie sich etwas entspannen könnte.

Er reichte ihr den Drink, beobachtete, wie sie daran nippte, und nahm dann selbst einen kräftigen Schluck. Hoffentlich lockerte der Alkohol sie ein wenig. Damit das, was jetzt folgen musste, leichter durchzuziehen war. Für beide. Obgleich er nicht damit rechnete, dass sie etwas dagegen einzuwenden hatte.

Eigentlich hätte er das Ganze lieber in den Garten verlegt, in eine romantischere Umgebung. Aber da bestand die Gefahr, dass jemand sie beobachtete. Da sein Leben sich sowieso fast nur in der Öffentlichkeit abspielte, wollte er in diesem Fall sicher sein, dass dieser Augenblick nur ihnen gehörte. Schließlich ging das, was er vorhatte, nur sie beide etwas an.

Warum fiel es ihm dennoch so schwer? Er hatte sich doch eigentlich schon längst damit abgefunden und sollte es schnell hinter sich bringen. Vielleicht war es wie mit einem Pflaster. Je schneller man es abriss, desto weniger tat es weh.

Hastig stürzte er den Rest des Brandys hinunter, dann nahm er Hannah das Glas aus der Hand, von dem sie noch kaum getrunken hatte, und stellte es zu seinem auf den Tisch.

Also, los …

Während Hannah ihn neugierig musterte, ließ er sich auf ein Knie nieder und zog eine kleine Samtschachtel aus der Hosentasche. Er klappte sie auf und zeigte seiner Verlobten den Diamantring von vierzehn Karat, der seit zwölf Generationen in seiner Familie weitergegeben wurde. Sie stöhnte leise auf.

Obgleich er damit sein Versprechen brach, sie nicht zu berühren, nahm er ihre kleine Hand in die seine. „Hannah Renault, willst du mir die Ehre erweisen und meine Frau werden?“

„Natürlich will ich das“, stieß sie kaum hörbar hervor.

Vorsichtig nahm er den Ring von dem kleinen Seidenkissen und steckte ihn ihr an den Finger. Gleichzeitig empfand er überdeutlich, dass eine glückliche Phase seines Lebens endgültig beendet und er nun an diese eine Frau gefesselt war.

Schnell ließ er ihre Hand los, und Hannah starrte auf den großen Stein an ihrem Finger. Als sie den Blick hob und Phillip ansah, füllten sich ihre Augen mit Tränen.

Auch das noch, dachte er. Als ob die Situation nicht schon unangenehm genug wäre. Aber er verbarg seinen Missmut. Denn welche Frau würde bei einem solchen Geschenk nicht bewegt und den Tränen nahe sein?

„Ich habe noch nie etwas so Wunderschönes gesehen“, sagte sie leise.

Oder etwas so Großes, dachte er bei sich. Denn eins war doch wohl allen Frauen gemeinsam. Sie liebten die funkelnden Steine. „Der Ring ist seit Generationen in unserer Familie.“

„Er ist fantastisch.“

Phillip bemerkte, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Nur das nicht. Er verlagerte sein Gewicht, um aufspringen zu können. Doch in diesem Augenblick stand Hannah auf, legte ihm die Arme um den Hals und drückte sich fest an ihn.

Dass er tatsächlich um ihre Hand anhielt und alles so ablief inklusive Kniefall und Verlobungsring, wie Hannah es sich immer erträumt hatte, verblüffte sie sehr. Denn in all den schriftlichen und mündlichen Anweisungen, die sie in Vorbereitung auf die Hochzeit erhalten hatte, war dieser formelle Akt nie erwähnt worden.

Dass Phillip es dennoch tat, konnte doch eigentlich nur eins bedeuten. Nicht weil er es musste, sondern weil er es wollte, war er vor ihr auf die Knie gefallen.

Das war die romantischste Geste, die sie sich vorstellen konnte. Damit war ihr Jungmädchentraum in Erfüllung gegangen, und das allein war der Grund, dass sie ihm so spontan um den Hals gefallen war.

Jetzt spürte sie, wie auch er sie umarmte. Wie gut er roch, und wie perfekt ihre Körper zueinander passten. Bei ihm fühlte sie sich irgendwie sicher.

Aber war sie das wirklich? Seine Hände waren schließlich nur wenige Zentimeter von Körperpartien entfernt, die bisher kein Mann berührt hatte und die auch noch in den nächsten zwei Wochen für Männerhände tabu waren. Beinahe unmerklich wurde sein Griff fester.

Doch anstatt ihn zurückzustoßen, nahm sie beglückt wahr, wie ihr Körper auf ihn reagierte. Ihr Atem ging schneller. Ihre Brüste schienen weich und schwer zu werden, als Hannah sich an ihn schmiegte. Die Hitze seiner Haut war selbst durch mehrere Stofflagen hindurch spürbar.

Verlangen stieg in ihr auf, heiß und drängend. Dieses Gefühl war neu für sie, und trotz ihrer Verwirrung bemerkte sie, dass Phillip Ähnliches empfand. Denn sie hörte, dass auch er schneller atmete, und sie spürte, wie sein Puls sich beschleunigte und sich bald dem Tempo ihres schnell schlagenden Herzens anpasste.

Das war beängstigend und herrlich und erregend zugleich. Und obgleich sie wusste, dass sie noch nicht so empfinden durfte, fühlte es sich zu gut an, als dass sie sich aus der Umarmung befreien wollte.

Als Phillip den Kopf bewegte, spürte sie seine Bartstoppeln wie eine raue Liebkosung. Sein warmer Atem streifte ihr Ohr. Hör auf, warnte ihr Gewissen. Du willst das doch gar nicht.

Oh, doch, ich will, machte sich etwas in ihr bemerkbar, das offenbar schon seit acht Jahren auf diesen Augenblick gewartet hatte.

Seine Lippen waren jetzt so nah, dass sie sie beinahe berühren konnte. Und als er ihr sanft über die Wange strich, durchfuhr es sie heiß, und sie presste sich an ihn, unfähig, sich zu lösen.

Sie sahen sich an, und beide spürten, dass etwas geschehen könnte, geschehen würde … Mit den Lippen liebkoste er ihre Wangen, die Mundwinkel … Dann spürte sie sie auf dem Mund, und obgleich sie darauf gewartet, sich danach gesehnt hatte, überraschte sie das Gefühl, das sie dabei empfand. Es erschreckte sie zu Tode, denn es war mächtig und unglaublich schön. Aber hatte sie sich deshalb die ganzen Jahre zurückgehalten, hatte sich aufgespart für die Hochzeitsnacht, um jetzt zwei Wochen vorher doch nachzugeben?

So nahm sie alle Kraft zusammen, löste sich leicht von ihm und legte ihm den Kopf auf die Schulter. „Du hast mir versprochen, mich nicht anzurühren“, flüsterte sie.

„Das ist nicht gerade fair. Schließlich hast du ja angefangen.“

Dagegen konnte sie nichts sagen. Denn sie hatte sich ihm buchstäblich an den Hals geworfen. Nur sich selbst konnte sie einen Vorwurf machen. „Du hast recht. Aber wir müssen aufhören.“

„Warum denn?“ Er legte ihr die Hände um die Taille und kitzelte sie mit der Zunge hinter dem Ohr. „Du kannst mir nicht weismachen, dass du es nicht genauso willst wie ich.“

Natürlich wollte sie es genauso wie er, vielleicht noch dringender, aber darum ging es nicht. Sie legte ihm die Handflächen gegen die Brust. „Wenn du mich besser kennst, wirst du feststellen, dass ich leider ein Mensch bin, der will, dass alles korrekt abläuft. Und wir sind noch nicht verheiratet.“

„Aber niemand wird davon erfahren.“

„Das ist egal. Ich weiß es.“

Tief stöhnte er auf, dann schüttelte er frustriert den Kopf, hob sie hoch und setzte sie wieder auf das Sofa.

Da sie sich selbst nicht traute und von ihm nicht erwarten konnte, dass er rechtzeitig die Bremse zog, musste sie in Zukunft verführerischen Situationen generell aus dem Weg gehen. Das bedeutete, dass bis zur Hochzeit jegliche Art von Berührungen verboten war, von Küssen ganz zu schweigen. „Wir haben doch schon so lange gewartet. Da werden uns zwei weitere Wochen auch nicht umbringen.“

Er stand auf. „Wenn du meinst.“

Es war nicht zu übersehen, dass er stark erregt war. Errötend blickte sie zur Seite. Einerseits war sie verlegen, andererseits machte es sie stolz, dass ihre Berührungen eine solche Wirkung auf ihn hatten. Vorsichtig warf sie ihm einen Blick zu. „Bist du böse auf mich?“

Seine Miene entspannte sich. „Natürlich nicht. Würden alle Leute ihre Prinzipien so hochhalten wie du, dann wäre es um die Welt besser bestellt.“

Erleichtert strahlte sie ihn an. Das war wirklich nett gesagt. Und er klang so ernst, als meine er wirklich, was er sagte. Vielleicht war er doch nicht so emotionslos und unbeugsam, wie er alle Welt glauben machen wollte.

„Ich sollte jetzt gehen. Es war ein langer Tag für dich.“

„Ja, ich bin auch ziemlich erschöpft“, gab sie zu. Wenn sie die Zeitdifferenz dazurechnete, war sie jetzt mehr als vierundzwanzig Stunden auf den Beinen.

„Neben dem Telefon liegt eine Telefonliste“, erklärte er und griff nach seinem Jackett. „Nur für den Fall, dass du noch irgendetwas brauchst.“

Er ging zur Tür, und sie folgte ihm. „Vielen Dank“, sagte sie leise.

Die Hand bereits auf dem Türgriff, drehte er sich zu ihr um. „Wofür?“

Verlegen zuckte sie mit den Schultern. Plötzlich war ihr bewusst, wie wenig sie mit ihren vierundzwanzig Jahren doch vom Leben wusste. Aber sie war bereit zu lernen. „Ich weiß nicht. Für alles wahrscheinlich.“

„Gern geschehen.“ Er öffnete die Tür, wandte sich dann aber noch einmal um. „Übrigens, wo bewahrst du deinen Lippenstift auf?“

„Meinen Lippenstift?“

„Ja. Du hast keine Handtasche bei dir, aber im Laufe des Tages immer mal wieder die Lippen nachgezogen. Ich bin lediglich neugierig, wo du ihn verborgen hast.“

Seltsam, dass er das bemerkt hatte. Aber vielleicht durfte ihm als König nichts entgehen. Sie lächelte ihn an. „Eine echte Lady plaudert solche Geheimnisse nicht aus, Eure Hoheit.“

„Ich habe schon befürchtet, dass du das sagen wirst.“ Kopfschüttelnd trat er in den Flur, drehte sich dann aber noch ein letztes Mal um. „My Lady, ich muss Sie warnen. Ich bin daran gewöhnt, das zu bekommen, was ich haben will und wann ich es haben will.“ Er lächelte. „Auch wenn wir offiziell erst nach der Trauung die Ehe vollziehen, so kann ich Ihnen nicht versprechen, bis dahin die Finger von Ihnen zu lassen.“

Erst dachte sie, er mache Spaß. Aber dann blickte sie ihm in die Augen und sah, dass es ihm bitterernst mit dem war, was er sagte. Und er wusste, dass auch ihr das klar war.

Nun setzte er wieder sein charmantes Lächeln auf. „Gute Nacht, Hannah. Schlaf gut.“

Er zog die Tür leise ins Schloss, und Hannah blieb wie betäubt stehen. Seine Drohung hatte sie wohl verstanden, aber merkwürdigerweise war sie alles andere als beunruhigt.

Im Gegenteil. Vor Erregung konnte sie kaum Schlaf finden.

3. KAPITEL

Hannah war bereits geduscht und angezogen, als Miss Pryce am nächsten Morgen pünktlich um neun Uhr an ihre Tür klopfte. Immer noch ganz benommen vom Jetlag, öffnete sie die Tür und ließ Miss Pryce ein.

„Guten Morgen, My Lady.“ Miss Pryce, einen beeindruckenden Stapel von Akten unter dem Arm, deutete einen Hofknicks an. „Ich bringe Ihnen die Unterlagen, die Sie angefordert haben.“

„Du liebe Zeit! Da muss ja jemand die ganze Nacht gesessen haben, um das alles zusammenzutragen“, rief Hannah aus. Das sollte sie alles lesen? Aber vielleicht waren auch Informationen über diese Frau darunter, die sie gestern so auffällig gemustert hatte. Und vielleicht konnte sie herausfinden, weshalb die Frau so an ihr interessiert zu sein schien.

„Kann ich Ihnen die Unterlagen ins Büro bringen?“, fragte Miss Pryce.

„Nein.“ Hannah hasste es, im Büro eingesperrt zu sein. „Bitte, legen Sie die Sachen dort auf den Couchtisch.“

Beflissen tat Miss Pryce, wie ihr gesagt worden war. Dann stand sie hoch aufgerichtet da, die Ledermappe, die sie gestern bereits bei sich gehabt hatte, unter den Arm geklemmt. „Die heutigen Termine …“

„Möchten Sie eine Tasse Kaffee, Miss Pryce?“

„Nein, danke.“

„Ich kann Ihnen auch einen Tee bringen lassen.“

Sie verzog keine Miene. „Nein, danke. Ich brauche nichts.“

Wie wäre es mit einem Glas Champagner oder einem Schluck Whiskey zur Aufmunterung, dachte Hannah. Ob man hier immer so formell miteinander umging? Wenn das der Fall war, würden sie sich an Änderungen gewöhnen müssen. Denn das Hauspersonal bei den Renaults wurde eher wie ein Teil der Familie behandelt und nicht wie Dienstboten.

Auch als Mitglied des Könighauses konnte man Mensch bleiben.

„Haben Sie einen Vornamen, Miss Pryce?“

Miss Pryce war verwirrt. „Ja … natürlich.“

„Und wie ist der?“

„Äh …“ Miss Pryce zerbrach sich offenbar den Kopf, warum Hannah das wissen wollte. „Ich heiße Elizabeth.“

„Darf ich Sie bei Ihrem Vornamen nennen?“

Dieses Ansinnen verschlug Miss Pryce die Sprache. Sie starrte Hannah ratlos an.

Was war denn daran so kompliziert? Hannah unterdrückte einen ungeduldigen Seufzer. „Miss Pryce, ich weiß zwar nicht, wie die Dinge hier im Palast gehandhabt werden. Aber da Sie meine persönliche Assistentin sind, gehe ich davon aus, dass wir ziemlich viel Zeit miteinander verbringen werden.“

Miss Pryce nickte.

„In diesem Fall würde ich Sie gern bei Ihrem Vornamen nennen.“

„Aber mit dem größten Vergnügen, My Lady. Ist mir eine Ehre.“

Dieses „My-Lady-Getue“ ging Hannah auch schon auf die Nerven. „Und meinen Sie, dass Sie im Gegenzug Hannah zu mir sagen könnten?“

„Oh, nein, My Lady!“ Miss Price senkte den Blick und schüttelte den Kopf. „Das wäre keinesfalls angemessen. Ich würde meinen Job verlieren.“

Darüber würde noch zu reden sein, aber momentan ließ Hannah das Thema fallen. Denn sie bemerkte, dass Miss Pryce äußerst unbehaglich zumute war. „Gut, lassen wir das. Aber bevor wir beginnen, Elizabeth, würde ich gern noch ein Wort mit meinem Verlobten sprechen.“ Fast die ganze Nacht hatte sie wach gelegen. Es gab so vieles, was sie ihn fragen wollte, sie unbedingt wissen musste.

„Er ist nicht da.“

„So? Und wissen Sie, wann er zurückkommt?“

„Ich glaube, am Freitag.“

„Am Freitag?“ In fünf Tagen?

„Wenn das Wetter so bleibt.“

„Wetter? Was hat das mit dem Wetter zu tun?“

„Seine Hoheit und sein Cousin Sir Charles würden bei Regen die Jagd abbrechen.“

Jagd? Phillip war auf der Jagd?

Mit Mühe schaffte Hannah es, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie diese Nachricht kränkte. Sie war kaum vierundzwanzig Stunden hier, und ihr Verlobter musste sie bereits wegen eines mehrtägigen Jagdausflugs verlassen? Das bedeutete, dass ihnen bis zur Hochzeit nur noch eine Woche blieb, um sich etwas näher kennenlernen zu können. War sie ihm denn vollkommen gleichgültig?

Nein, natürlich nicht, versuchte sie sich zu beruhigen. Sein Verhalten gestern hatte bewiesen, dass er durchaus etwas für sie empfand. Wahrscheinlich gab es irgendeinen anderen Grund dafür, dass er sie allein ließ. Vielleicht diente der sogenannte Jagdausflug irgendwelchen geheimen Geschäften? Vielleicht hatte Phillip etwas zu erledigen, wovon niemand etwas wissen durfte?

Dass er lediglich mit ihr nichts zu tun haben wollte, konnte sie sich nicht vorstellen.

Offensichtlich war ihr anzumerken, was sie empfand, denn Miss Pryce blickte sie besorgt an. „Wenn es etwas sehr Dringendes ist …“

„Nein, nein. So wichtig ist es nicht.“ Hannah setzte ein beruhigendes Lächeln auf. Auf keinen Fall sollte ihre Assistentin ahnen, wie sehr Hannah dieses Verhalten ihres Verlobten verletzte. „Das hat Zeit, bis er wieder zurück ist.“ Sie wies auf das Sofa. „Wollen wir anfangen?“

Hannah setzte sich, und erst dann ließ Miss Pryce sich mit steifem Rücken vorsichtig neben ihr nieder. Bis sie sich in Hannahs Gegenwart entspannen konnte, würde wohl noch einige Zeit vergehen. Hannah unterdrückte ein kleines Lächeln. Sie musste Geduld haben.

„Und was liegt nun heute an?“

„Um elf haben Sie einen Termin mit dem Innenausstatter. Um eins dann Lunch mit den Ehefrauen der obersten Regierungsbeamten.“

„Gut.“ Auf alle Fälle musste sie vorher noch die Unterlagen zumindest flüchtig durchsehen, um sich wenigstens an einige Namen zu erinnern. „Was kommt dann?“

„Als Nächstes …“ Miss Pryce spulte das ganze Programm ab, aber Hannah hörte nur mit halbem Ohr zu. Dass Phillip sie so plötzlich für mehrere Tage verlassen hatte, ohne sich von ihr zu verabschieden, beschäftigte sie doch sehr. Vielleicht war er gar nicht auf der Jagd. Vielleicht war er mit einer anderen Frau zusammen. Möglicherweise mit dieser dunkelhaarigen Frau, die sie gestern nicht aus den Augen gelassen hatte.

Doch dann verdrängte sie diesen Gedanken schnell wieder. So etwas anzunehmen war albern und grenzte bereits an Verfolgungswahn.

Selbst sie war nicht so naiv zu glauben, dass Phillip sich für sie „aufgespart“ hatte. Aber er hatte nie über seine Erfahrungen auf diesem Gebiet gesprochen, und das empfand sie als diskret und ausgesprochen angenehm. Denn es zeigte, dass er Anstand hatte, und solche Männer waren normalerweise ihren Frauen auch treu.

Es hatte keinen Sinn, generell misstrauisch bei jeder seiner Handlungen zu sein, die sie nicht gleich verstand. Damit würde sie sich das Leben nur schwer machen.

Wenn er weg musste, so hatte er sicher einen guten Grund dafür. Zwar war er ihr Verlobter und in Kürze ihr Ehemann, aber seine Verpflichtungen als König hatten Priorität. Er war der erste Diener seines Landes. Das war eine Tatsache, die sie akzeptieren musste.

Nach seiner kurzen Abwesenheit würden sie ihr Wiedersehen nur umso mehr genießen, sagte sie sich. Und im Übrigen würde alles so kommen, wie sie es sich vorgestellt hatte.

Phillip stand auf der obersten Stufe der Treppe, die in den Garten führte. Eine warme Brise hob den Kragen seines Hemds an, während er reglos dastand und seine zukünftige Frau betrachtete.

Hannah saß auf einer Decke im Schatten eines Baumes, dessen Blätter sich gerade zu färben begannen. Sie hatte die Beine untergeschlagen, und das kastanienbraune Haar fiel ihr in sanften Wellen über den Rücken. Ihr schlichtes Kleid hatte genau die Farbe des Herbstlaubs.

Langsam ging er die Treppe hinunter und auf Hannah zu, wie verzaubert von ihrer Schönheit. Zu seiner eigenen Überraschung spürte er ein starkes Verlangen, ihr nahe zu sein, sie zu berühren. Ihr klares Profil war von feiner Eleganz, die gerade kleine Nase, die hohen Wangenknochen, der üppige und doch klar gezeichnete Mund.

Gutes Erbmaterial, hatte seine Mutter gesagt, als sie ihm Hannah Renault als Ehefrau vorschlug. Zu der Zeit hatte er noch nicht einmal ein Foto von Hannah gesehen, und schon damals hatte ihn gestört, dass die Wortwahl seiner Mutter ihn eher an eine Rinderauktion denken ließ als an die Beschreibung seiner zukünftigen Frau.

Neben ihr auf der Decke lag ein Stapel Aktenordner. In eine Akte schien Hannah so vertieft zu sein, dass sie Phillips Schritte nicht hörte.

„Guten Tag.“

Mit einem Ausruf des Erstaunens wandte sie sich um. Dabei rutschte ihr die Akte vom Schoß. Als sie sah, wer vor ihr stand, erhob sie sich hastig und deutete einen Hofknicks an, was bei ihren nackten Füßen besonders charmant aussah. „Entschuldige, aber du hast mich erschreckt.“

Bei der Begrüßung waren einige der glänzenden Locken über die Schultern nach vorn gerutscht und lagen jetzt auf ihrem Brustansatz. Phillip konnte den Blick nicht davon lösen. Wie sehr sehnte er sich danach, sie dort zu berühren, die seidige Haarflut zu liebkosen. In Zukunft würde er darauf bestehen, dass sie das Haar immer offen trug.

„Ich sollte mich entschuldigen, wenn ich dich erschreckt habe“, meinte er mit einer leichten Verbeugung.

Sie lächelte kurz und legte die Hände zusammen. „Du bist früher zurück, als ich erwartet habe.“

Zu seiner Überraschung war sie nicht böse, dass er sie so plötzlich und ohne Verabschiedung verlassen hatte. Damit hatte er eigentlich gerechnet. Stattdessen schien sie sich aufrichtig zu freuen, dass er wieder da war.

So einfach zu verschwinden war nicht gerade nett von ihm gewesen. Aber er hatte ihr möglichst bald zeigen wollen, dass er nicht gewillt war, sein früheres Leben aufzugeben oder auch nur zu ändern, wenn er verheiratet war. Denn ihre Ehe war ein Arrangement, das einem Zweck diente. Je eher sie das begriff, desto besser würden sie beide damit umgehen können und miteinander auskommen.

Allerdings erklärte das nicht, warum er drei Tage früher zurückgekehrt war, und das hatte sie eigentlich wissen wollen.

„Ich musste meinen Trip abkürzen.“

„Wegen schlechten Wetters?“ Und als er sie fragend ansah, fügte sie schnell hinzu: „Miss Pryce hat gemeint, dass ihr nicht gerne bei schlechtem Wetter jagt.“

Auf der anderen Seite der Insel, wo das Jagdhaus stand, war das Wetter genauso schön gewesen wie hier. Strahlend blauer Himmel und wärmer als normalerweise Ende September. Und obgleich er sonst diese freien Tage mit seinem Cousin sehr genoss, weil er dann nicht mehr der König sein musste, sondern einfach nur Phillip sein konnte, war er diesmal rastlos und gelangweilt gewesen.

Das hatte Charles schnell gemerkt und ihm nach zwei Tagen deutlich die Meinung gesagt. „Was ist mit dir los? Du bist ja unleidlich. Ich glaube, es ist besser, wenn du möglichst bald zu deiner Verlobten zurückkehrst.“

Erst war Phillip etwas beleidigt gewesen, dass er so leicht zu durchschauen war, aber dann war er Charles für die klaren Worte dankbar. Außerdem, wer weiß, wie lange sein Interesse an seiner jungen Braut vorhielt. Da war es besser, die Zeit mit ihr zu genießen, solange alles noch neu für ihn war. Mal sehen, ob sie auch weiterhin an ihren Prinzipien festhalten würde, wenn er sich als Verführer ordentlich ins Zeug legte.

„Wenn du möchtest, kann ich auch wieder gehen“, sagte er.

„Nein, nein, natürlich nicht“, erwiderte sie schnell. Und als sie sah, dass er sich über ihre Verlegenheit amüsierte, zog sie die feinen Brauen unwillig zusammen. „Du machst dich über mich lustig.“

Er nickte.

„Ich freue mich, dass du wieder da bist.“

Erstaunlicherweise empfand er das Gleiche.

„Tut mir leid, dass ich dich gestört habe“, meinte er und zeigte auf die Aktenordner.

„Das macht gar nichts. Ich hatte etwas freie Zeit und wollte mich mit den verschiedenen Staatsbeamten näher vertraut machen. Und da es so mild und schön ist, habe ich mich nach draußen verzogen.“

„Du hast ein volles Programm?“

„Das kann man so sagen. Ich habe den Eindruck, in den letzten drei Tagen mehr Menschen getroffen zu haben als in den letzten drei Jahren. Und dauernd sind es neue Leute, und natürlich bringe ich alle und alles durcheinander. Deshalb muss ich jede freie Minute nutzen und versuchen, mir Namen und Gesichter einzuprägen.“

„Und ich hatte gehofft, dass du an diesem wunderschönen Tag mit mir einen Spaziergang durch die Gärten machst.“

„Nichts lieber als das, aber …“ Sie warf einen Blick auf den Palast und deutete dann auf ihre kleine goldene Armbanduhr.

„Warum denn nicht?“

„In einer Viertelstunde kommt der Innenausstatter, und danach habe ich einen Termin mit dem Hochzeitsplaner.“

„Nicht mehr.“

„Was?“ Sie starrte ihn verblüfft an.

„Ich habe Miss Pryce angewiesen, deine Termine für heute Nachmittag zu streichen.“

„Das geht?“

„Ja. Du hast den Rest des Tages frei.“

„Einfach so?“ Aber dann entspannten sich ihre Gesichtszüge. „Natürlich geht das. Du bist schließlich der König.“

Er lächelte und streckte die Hand aus, auch weil er sich danach sehnte, sie zu berühren. „Wollen wir?“

Als sie zögerte, war ihm klar, dass sie an ihre Prinzipien dachte, sich vor der Hochzeitsnacht auf nichts einzulassen. Doch er war entschlossen, diese Prinzipien zu durchbrechen. Denn er hatte nicht die Absicht, so lange zu warten. Er wollte mit ihr schlafen, und zwar möglichst bald. Dabei würde er so geschickt vorgehen, dass sie das Gefühl hatte, sie selbst habe ihn dazu gebracht.

„Ist irgendetwas?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf, schaute aber so misstrauisch auf seine Hand, als verberge sich dahinter der Kopf einer Giftschlange.

„Bist du etwa der Meinung, dass es sich nicht schickt, als Verlobte Hand in Hand zu gehen?“

„Nein, nein …“

„Hast du Angst vor mir?“

„Nicht so, wie du vielleicht glaubst. Es ist mehr eine Sache des Vertrauens.“

„Du hast kein Vertrauen zu mir?“

Sie wurde rot. „Es ist eher so, dass ich kein Vertrauen zu mir habe. Auch Frauen haben ihre Bedürfnisse, Eure Hoheit.“

Dass sie den Mut hatte, zu ihren Gefühlen zu stehen und sie auch zuzugeben, überraschte und beeindruckte ihn. Andererseits zeigte es, dass auch sie wie die anderen Frauen vor ihr seinem Charme wohl kaum widerstehen würde.

Als sie schließlich ihre Hand in die seine legte, hätte er schwören können, dass sie zitterte.

Schade. Das Ganze würde etwas zu einfach sein.

4. KAPITEL

Als sich seine Finger um die ihren schlossen, hatte Hannah schnell die trüben Gedanken vergessen, die ihr bei seiner plötzlichen Abwesenheit durch den Kopf gegangen waren. Alles war wieder so, wie es sein sollte.

Obgleich Phillip leger gekleidet war mit weißem Sporthemd und einem ockerfarbenen Kaschmirjackett, umgab ihn eine Aura der Überlegenheit und Autorität, die hautnah spürbar war und auch Hannah nicht unbeeindruckt ließ.

Sie machten einen langen Spaziergang durch die Schlossgärten, und das erste Mal seit ihrer Ankunft konnte Hannah sich endlich ein bisschen entspannen. Bisher hatte sie das Gefühl gehabt, dass von allen Seiten an ihr gezerrt wurde und sie vielen Forderungen gleichzeitig gerecht werden musste. Dann kam Phillip, schnippte einmal mit dem Finger, und wie durch ein Wunder fielen alle Lasten von ihr ab, zumindest vorübergehend. Irgendwie wusste sie seitdem tief in ihrem Herzen, dass er immer für sie da sein würde, was auch immer geschah.

Die perfekt gepflegten Rasenflächen sahen besser aus als die meisten Golfplätze, die Hannah bisher gesehen hatte. Während sie auf die hohen Bäume zugingen, die das königliche Anwesen begrenzten, fragte Hannah: „War dein Jagdausflug erfolgreich?“

„Du meinst, ob ich was geschossen habe?“

„Ja.“

„Nein, diesmal nicht.“

„Was darf man denn zu dieser Jahreszeit jagen? Nein, warte … Du bist der König, du machst die Gesetze, also kannst du auch töten, was du willst.“

Er lachte, und bei diesem Lachen durchfuhr es sie heiß. „So einfach ist es auch wieder nicht. Ich muss die Jagdgesetze befolgen wie jeder andere auch. Im Augenblick ist die Jagd auf Vögel und Niederwild erlaubt.“

„Kann ich mal mitkommen?“

„Auf die Jagd?“ Er blickte sie überrascht an.

„Ja. Bis zu seinem Tod gingen Daddy und ich jedes Jahr auf die Jagd.“ Wieder krampfte sich ihr Herz zusammen, wie immer, wenn sie von ihrem Vater sprach. Sein plötzlicher und sinnloser Tod schmerzte immer noch so sehr wie am Anfang. Obgleich alle ihr sagten, dass der Schmerz mit der Zeit nachlassen würde, hatte sie den Eindruck, dass sie den Vater jeden Tag mehr vermisste. Ihre Mutter dagegen schien sich ziemlich schnell mit dem Tod ihres Mannes abgefunden zu haben.

„Du hast wohl sehr an deinem Vater gehangen“, sagte Phillip vorsichtig.

Sie nickte, und er drückte ihr die Hand. „Ich habe ihn in jeder Beziehung bewundert.“

„Er ist bei einem Autounfall umgekommen?“

„Ja. Sein Wagen wurde von einem betrunkenen Fahrer gerammt. Daddy war sofort tot, der andere hatte kaum eine Schramme. Weißt du, es ist immer schlimm, jemanden zu verlieren, den man liebt. Aber auf diese Weise … so sinnlos. Das ist einfach nicht fair.“

„Nein, das ist es nicht“, stimmte er ihr zu.

Auch er hatte erst kürzlich ein Elternteil verloren, diese Erfahrung zumindest teilten sie. „In der Zeitung stand, dass deine Mutter krank gewesen sei“, fing sie leise wieder an. „Aber nicht, an welcher Krankheit sie schließlich gestorben ist.“

„Sie hatte Leberkrebs.“

„Das muss schnell gegangen sein.“

„Ja. Man hat ihr nach der Diagnose noch sechs Monate gegeben. Aber sie hat nur noch drei gelebt.“

„Hat man gar nichts mehr für sie tun können?“

„Nein, der Krebs war bereits zu weit fortgeschritten.“

Schnell warf sie ihm einen kurzen Blick von der Seite her zu. Er wirkte sehr gefasst, beinahe unbeteiligt. Wenn er von seiner Mutter sprach, klang seine Stimme kalt. „Fehlt sie dir?“

„Ich kannte sie kaum.“ Und als sie ihn erstaunt ansah, lächelte er verbittert. „Sie war kalt, herrisch und herzlos. Ich bin im Wesentlichen von Gouvernanten erzogen worden.“

Hannahs Eltern waren sicher nicht fehlerlos gewesen, aber sie hatte doch nie an ihrer Liebe gezweifelt. „Wie traurig.“

Doch er zuckte nur kurz mit den Schultern, als gehe ihn das alles nichts an. Am Waldrand blieben sie stehen, und Phillip wies auf einen schmalen Pfad, der in das dichte Unterholz führte. „Ich möchte dir etwas zeigen.“

„Gern.“

„Der Weg ist nicht befestigt, also sei vorsichtig.“

Sowie sie in den Wald eintauchten, umgab sie eine andere Welt. Während Phillip Hannah hinter sich herzog, richtete sie den Blick staunend auf die hohen Baumkronen, die die Sonne kaum hindurchließen. Es war still, nur wenige Vögel waren zu hören, und es duftete nach Erde und Pflanzen.

„Ich vermute mal, dass es hier keine gefährlichen Tiere gibt“, sagte Hannah und duckte sich unter einem tief hängenden Zweig hindurch.

„Keine Angst, wir sind vollkommen sicher.“

Nach einigen hundert Metern meinte sie Wasser rauschen zu hören. Je tiefer sie in den Wald eindrangen, desto lauter wurde das Rauschen. Schließlich erreichten sie eine Lichtung, durch die ein plätschernder Bach floss.

„Wie wunderschön“, staunte Hannah. „Eine Landschaft wie aus dem Märchenbuch.“

„Als Kinder haben meine Schwester und ich hier oft gespielt.“ Er ließ ihre Hand los, und sie trat an den Rand des Bachs. „Es war verboten, hatte aber gerade deshalb für uns einen besonderen Reiz. Wann immer wir es schafften, unserer Nanny zu entkommen, kamen wir hierher und haben die Gegend erkundet.“

Das würden ihre und Phillips Kinder sicher auch tun.

Obgleich es sich bestimmt nicht schickte, bückte sie sich und zog die Sandalen aus. Zu sehr reizte es sie, die nackten Füße in das kühle Wasser zu tauchen. „Ihr habt euch immer sehr gut verstanden? Du und Sophie?“

„Früher als Kinder schon. Aber jetzt sind wir sehr verschieden.“

„Inwiefern?“

„Du wirst auch noch feststellen, dass meine Schwester ihren eigenen Kopf hat.“

„Sie ist ein unabhängiger Geist?“

„Vorsichtig ausgedrückt.“

Bildete sie sich das nur ein, oder klang seine Stimme tatsächlich traurig? Vielleicht fehlte ihm die frühere enge Bindung an die Schwester. Wenn seine Mutter wirklich so kalt und abweisend gewesen war, wie er sie geschildert hatte, dann hatten die beiden nur einander.

„Ich hätte immer gern Geschwister gehabt“, sagte sie.

„Seltsam. Und ich habe mir immer gewünscht, Einzelkind zu sein. Mit Geschwistern aufzuwachsen wird meines Wissens vollkommen überbewertet.“

Irgendwie nahm sie ihm das nicht ganz ab. „Du hast doch auch noch einen Bruder, oder?“

„Einen Halbbruder“, stieß er böse hervor, und sein Blick war so finster, dass es ihr kalt den Rücken herunterlief. Vielleicht sollte sie dieses Thema erst einmal ruhen lassen. Wenn sie sich etwas besser kannten, war er sicher auch in diesem Punkt offener. Sie durfte nicht gleich zu viel verlangen.

Sie schlüpfte wieder in ihre Sandalen und rieb sich dann fröstelnd die Arme.

„Dir ist kalt.“ Sofort zog er das Jackett aus und hängte es ihr über die Schultern. Behaglich kuschelte sie sich hinein. Es war warm und weich und roch nach ihm.

„Moment noch.“ Er trat vor sie hin und zog ihr Haar unter dem Jackett hervor. Dabei berührt er sie am Nacken, und wieder fuhr Hannah zusammen, was diesmal aber nichts mit der Temperatur zu tun hatte.

Es war der Blick, mit dem er sie ansah. So, als wolle er sie mit den Augen verschlingen. „Ich mag es, wenn du das Haar offen trägst“, sagte er dann und strich ihr ein paar lose Strähnen aus dem Gesicht. „Ich möchte, dass du es immer so trägst. Versprich mir das.“

„Aber ich habe so kräftige Naturlocken, dass es zu wild und zumindest ungekämmt aussieht, wenn ich es nicht wenigstens zusammenbinde.“

„Ich weiß. Und genau das gefällt mir.“

Da war es wieder, dieses verdammt sexy Lächeln. Wie sollte sie dem widerstehen?

„Aber das wäre ziemlich unpassend und gegen die Etikette.“

„Auch die Etikette wird vollkommen überbewertet. Außerdem stelle ich hier die Regeln auf. Und ich habe beschlossen, dass du von heute an dein Haar offen tragen musst.“

Eigentlich hätte sie beleidigt sein sollen, dass er so einfach über sie bestimmte. Aber einerseits nahm sie das nicht ganz ernst, und andererseits stand er so dicht vor ihr, dass sie Schwierigkeiten hatte, überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen.

Und als er dann noch mit den Händen ihr Gesicht umschloss und mit den Daumen ihre Gesichtszüge erforschte, war es völlig um sie geschehen. Während er ihr über die Wangen, die Brauen, die Nasenflügel und die Mundwinkel strich, hatte Hannah größte Mühe, aufrecht stehen zu bleiben. Sie wusste, sie sollte ihn daran hindern, doch da sie sich heute gefühlsmäßig geöffnet hatten, schien es nur normal zu sein, sich auch körperlich anzunähern.

Er sah sie ernst an. „Du bist so schön.“

„Eure Hoheit, haben Sie etwa die Absicht, mich zu verführen?“

„Vielleicht.“ Er liebkoste ihr sanft die Wangen. „Und wenn, scheint es zu klappen. Zumindest bist du rot geworden.“

Ihr Kopf war leer, ihr fiel nichts ein, was sie schlagfertig darauf hätte erwidern können. Aber darum ging es auch gar nicht. Sie wollte ihn berühren, wollte ihm die Hände auf die Brust legen und seinen Herzschlag spüren, wollte ihm die Finger ins Haar schieben und ihm über das Gesicht streichen, bis die dunklen Bartstoppel ihre Handflächen kitzelten.

„Du hast ja ganz heiße Wangen“, stellte er lächelnd fest.

Kein Wunder. Sie hatte das Gefühl, das Blut kochte ihr in den Adern. Und als er ihr mit der Hand sanft über Kinn und Hals strich und sie dann auf dem Ansatz der Brüste liegen ließ, stürmten Verlangen, Furcht und Neugier auf sie ein. Hannahs Knie drohten nachzugeben. Sie musste sich an seinen Oberarmen festhalten, um nicht vor ihm zu Boden zu sinken.

Er hob den Blick und sah sie ernst an. „Dein Herz schlägt so schnell.“

„Phillip, ich …“

„Ich weiß, es ist gegen die Absprache. Ich sollte dich nicht berühren.“ Mit beiden Händen umschloss er ihre Brüste, und Hannah stöhnte leise auf. „Aber ich bin der König, und ich mache meine eigenen Regeln.“ Er neigte den Kopf und kam näher. „Und nichts und niemand kann mich jetzt davon abhalten, dich zu küssen.“

Wenn er es so sah, was sollte sie dagegen tun? Selbst wenn es diesmal ein richtiger Kuss war. Aber hier im Wald würde Phillip sicher nicht weiter gehen.

„Gut, aber nur ein Kuss“, sagte sie, als hätte er nach ihrer Zustimmung gefragt. Und als er ihr die Hände ins Haar schob und ihren Hinterkopf umfasste, fügte sie noch schnell hinzu: „Danach hören wir auf.“

Er reagierte nicht darauf, sondern kam näher. Bereitwillig hob sie ihm das Gesicht entgegen und schloss die Augen. Dann spürte sie seine Lippen auf dem Mund, leicht und flüchtig, und dennoch hatte sie den Eindruck, die Zeit bliebe stehen und die Welt höre auf, sich zu drehen.

Es war unglaublich schön. Er küsste sie so süß und sanft, als wäre sie ein kostbares Stück Porzellan, das zu zerbrechen drohte. Sosehr sie es genoss und so deutlich ihr klar war, dass sie es dabei belassen sollte, sie konnte es nicht. Süß und sanft war nicht genug, sie sehnte sich nach mehr.

Glücklicherweise ging es ihm genauso. Sein Kuss wurde fordernder, er öffnete die Lippen, drang mit der Zunge vor, und Hannah tat nichts, um ihn daran zu hindern. Im Gegenteil, sie kam ihm entgegen und gab sich diesem wundervollen Kuss hin, den sie voll Leidenschaft erwiderte.

Als sie sich an ihn schmiegte, stöhnte er leise auf und zog sie fest an sich. Ohne zu zögern, legte sie ihm die Arme um den Nacken und genoss es, seinen schlanken muskulösen Körper zu spüren. Noch nie hatte sie so etwas empfunden. Ihr ganzer Körper schien in Flammen zu stehen, und ein tiefes drängendes Verlangen stieg in ihr auf. Sie wollte berührt werden, wie sie noch kein Mann berührt hatte. Und dieses Gefühl war aufregend und furchterregend zugleich … und dabei so überwältigend schön, wie sie es sich nie hatte vorstellen können.

Als könnte er ihre Gedanken lesen, strich Phillip ihr mit einer Hand über den Rücken und drückte ihren Po fest an sich, sodass sie deutlich spürte, er war genauso erregt wie sie. Zu ihrer Überraschung erschreckte diese Tatsache sie jedoch nicht, sondern steigerte nur ihre Sehnsucht. Sie wollte ihn so gern ganz spüren, sich ihm hingeben …

Aber noch waren sie nicht verheiratet.

Widerstrebend löste sie die Lippen von seinem Mund und lehnte sich mit der Stirn gegen Phillips Brust. Sie spürte, wie stark sein Herz schlug. „Das war Wahnsinn“, stieß sie schwer atmend hervor.

Phillip lachte leise. „Danke.“

Sie hob den Kopf und sah ihn unsicher an. „Also ist dir nicht gleich peinlich aufgefallen, dass ich in diesem Punkt null Erfahrung habe?“

„Vielleicht nur ein bisschen. Aber das gefällt mir gerade.“

„Dass ich keine Erfahrungen habe?“ Sie dachte immer, Männer bevorzugten Frauen, die wussten, was sie taten.

„Dass du keine Angst hast, es zuzugeben. Dass du deine Prinzipien ernst nimmst und nicht nur vorschiebst. Wahrscheinlich hast du keine Ahnung, wie selten so etwas ist.“ Zärtlich strich er ihr über die Wange. „Allerdings befürchte ich, dass deine Offenheit dich noch mal in Schwierigkeiten bringen könnte.“

„Mein Vater hat immer gesagt, dass mir nichts passieren kann, solange ich die Wahrheit sage.“

„In diesem Fall wäre er jetzt sehr stolz auf dich.“

Bei dem Gedanken an den Vater kamen ihr die Tränen. Um sie zu verbergen, lehnte Hannah den Kopf wieder gegen Phillips Brust. „Meinst du?“

„Ja.“ Wenn er wollte, konnte er wirklich nett sein. „Wahrscheinlich wundert man sich schon, wo wir sind. Wir sollten zurückgehen, bevor man einen Suchtrupp losschickt.“

Zwar hätte Hannah nichts dagegen gehabt, hier ewig stehen zu bleiben, fest umschlossen von seinen starken Armen. Aber sie wusste, dass er recht hatte, und trat ein paar Schritte zurück. Dennoch war sie fest davon überzeugt, dass der heutige Tag sie der glücklichen Zukunft, die sie sich mit Phillip ausmalte, einen Schritt näher gebracht hatte. Bisher war alles so abgelaufen, wie sie es sich erhofft hatte.

„Lass uns gehen“, sagte sie.

„Ja, es wird Zeit.“ Zärtlich umfasste er ihre Hand und führte Hannah aus dem Wald.

„Übrigens, ich wollte dich noch nach der dunkelhaarigen schönen Frau fragen, die mich am Montag so intensiv gemustert hat. Ich habe über sie nichts in den Unterlagen finden können. Weißt du vielleicht, wer das ist?“

„Keine Ahnung. Es waren so viele Leute da.“

„Aber sie ist dir sicher aufgefallen. Sie hat langes dunkles Haar und eine fantastische Figur. Und sie hat uns ständig beobachtet.“

„Tut mir leid, ich kann mich nicht erinnern.“

Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er nicht ganz ehrlich war. Die ganze Zeit hatte er neben ihr gestanden. Da musste er doch gemerkt haben, dass die Frau sie nicht aus den Augen ließ. Aber vielleicht war er auch daran gewöhnt, ständig angestarrt zu werden.

Außerdem, warum sollte er sie anlügen? Wahrscheinlich war sie einfach zu misstrauisch und empfindlich.

Der Weg zurück zum Palast erschien Hannah viel zu kurz. Unten an der Treppe wartete bereits Phillips Butler.

„Der Premierminister möchte Sie dringend sprechen, Sir“, sagte er.

„Legen Sie mir das Gespräch ins Büro“, wies Phillip ihn an. Dann wandte er sich an Hannah. „Danke für den Spaziergang. Hat mir viel Freude gemacht.“ Dabei schenkte er ihr ein vertrauliches Lächeln.

Ihr wurde ganz warm ums Herz. „Mir auch.“

„Das sollten wir bald wiederholen.“

Sie hatte das eindeutige Gefühl, dass er damit nicht nur den Spaziergang meinte. „Von mir aus gern.“

Als er sich umwandte und die Treppe hinaufstieg, rief sie hinter ihm her: „Phillip …“

Er blieb stehen. „Ja?“

„Willst du nicht heute mit mir zu Abend essen?“

Kurz zögerte er, bevor er sagte: „Ich kann nicht.“

Einfach so. Keine Erklärungen. Keine Ausflüchte. Keine Entschuldigung.

Sie war enttäuscht. Konnte er nicht, oder wollte er nicht? Aber warum sollte er nicht mit ihr zusammen sein wollen, wo sie sich heute Nachmittag doch so gut verstanden hatten. Das ergab irgendwie keinen Sinn.

Ich will mich darüber nicht ärgern, redete sie sich gut zu. Als er hinter dem großen Portal verschwunden war, ging sie über die weite Rasenfläche zurück zu dem Baum, unter dem sie auf der Decke ihre Sachen zurückgelassen hatte. Jetzt erst fiel ihr auf, dass sie noch sein Jackett über den Schultern trug. Trotz des warmen Stoffs fröstelte sie plötzlich.

Heute waren sie ein gutes Stück in ihrer Beziehung vorangekommen, da war sie sicher. Aber warum hatte sie dann trotzdem den Eindruck, dass sie für jeden Schritt, den sie nach vorn machten, wieder zwei zurückfielen?

5. KAPITEL

Phillip hatte gerade den Hörer aufgelegt, als die Tür aufgerissen wurde und seine Schwester hereinplatzte. Hinter ihr stand mit rotem Gesicht seine Sekretärin und sagte gequält: „Prinzessin Sophie möchte Sie sprechen, Sir.“

Selbst die gewissenhaftesten Angestellten waren Sophie nicht gewachsen. „Schon gut“, meinte Phillip, und die Sekretärin zog sich zurück, wobei sie die Tür fest schloss.

„Guten Tag, liebe Schwester.“

„Du bist nicht ganz gescheit“, stieß Sophie verächtlich hervor und schenkte sich eine freundliche Begrüßung.

Offenbar hatte sie sich mal wieder über irgendetwas aufgeregt. Seufzend lehnte Phillip sich zurück und blickte die Schwester ruhig an. Worüber, das würde er sicher gleich erfahren.

„Deine Verlobte war kaum einen Tag hier, und schon musstest du unbedingt auf die Jagd gehen? Warum das denn? Das war brutal. So etwas hätte ich dir nicht zugetraut.“

Was ging sie das an? Ihr war er nun wirklich keine Erklärung schuldig, und so schwieg er.

„Sie muss dich ja sehr verunsichern“, bohrte Sophie weiter. „Hör sofort auf!“, fuhr er sie an. Leider wusste Sophie genau, wie sie ihn auf die Palme bringen konnte. Bereits als Kind hatte sie den großen Bruder geärgert, wo es nur ging.

„Hannah ist ein besonderer Mensch. Und sie lässt dich nicht kalt, was? Deshalb versuchst du auch immer, sie auf Abstand zu halten.“

Unsinn, das sah sie vollkommen falsch. Er nahm auf Hannah Rücksicht. Aber das würde Sophie nie verstehen. „Von dir lasse ich mir nun wirklich nichts sagen, wenn es um Beziehungen geht. Mit wem bist du denn neulich Abend verschwunden? War das ein neues Opfer?“

Sophie lächelte nur vielsagend, ging aber nicht auf die Frage ein. „Ich erwarte euch morgen zum Abendessen bei mir. Dich und Hannah.“

„Tatsächlich?“

„Ja.“

Nur weil sie so einfach über ihn bestimmte, hätte er am liebsten abgelehnt. Aber dann fiel ihm ein, dass es vielleicht gar keine so schlechte Idee war. Wenn sie sich mit Sophie befreundete, würde Hannah über seine häufige Abwesenheit besser hinwegkommen. Als er es abgelehnt hatte, heute mit ihr zu Abend zu essen, war sie sichtlich enttäuscht gewesen. Und da sie ihm sympathisch war, wollte er sie nicht traurig machen. Aber er war nun einmal so, wie er war, und würde sich nicht ändern.

„Einverstanden.“

Damit hatte Sophie nicht gerechnet. „Ihr kommt? Das ist ja toll. Und ich hatte mich schon darauf vorbereitet, alle Register ziehen zu müssen, um dich zu überreden.“

Das hatte er sich gedacht. Und nach dem unerfreulichen Gespräch eben mit dem Premierminister hatte er keine Lust, noch einen Kampf auszutragen. „Wann sollen wir kommen?“

„Um sieben. Und bring eine Flasche Wein mit, vielleicht auch zwei. Ich mache Lammkeule.“

„Du kochst? Da bringe ich auf alle Fälle Alka Seltzer mit. Und sage vielleicht auch dem Arzt Bescheid, dass er sich unbedingt bereithalten muss.“

Sophie lachte. Denn ihr Bruder wusste genau, dass seine Vorbehalte unbegründet waren. Schließlich hatte sie eine erstklassige Ausbildung an einem der besten Institute Europas absolviert und war eine ausgezeichnete Köchin. Ihre Eltern waren mit ihrer Berufswahl überhaupt nicht einverstanden gewesen, aber wie so üblich hatte Sophie wieder mal ihren Willen durchgesetzt.

Diese Charakterstärke ärgerte Phillip, und gleichzeitig bewunderte er die Schwester dafür.

„Dann sehe ich euch beide also morgen Abend“, meinte Sophie fröhlich.

Sein Gesicht blieb ausdruckslos. „Ich kann es kaum erwarten.“

Sie lächelte und schwieg.

„Ist sonst noch etwas?“, fragte er und sah sie misstrauisch an.

„Du hast sicher Madeline am Montag bemerkt?“

Das war die Frau, nach der Hannah ihn gefragt hatte. Natürlich war sie ihm aufgefallen. Jemand, der ihn und Hannah so nachdrücklich beobachtet hatte, war einfach nicht zu übersehen. „Ja, warum?“

„Ich glaube, sie hat etwas vor.“

„Das ist mir vollkommen gleichgültig.“ Madeline hatte für ihn oder Hannah keine Bedeutung. Sie war ein Niemand. Deshalb hatte er auch keine Veranlassung gesehen, sich Hannah gegenüber deutlicher zu erklären.

„Du weißt, wozu sie fähig ist. Sie tut alles, um Aufmerksamkeit zu erregen.“

„Hätte ich sie zur Rede gestellt, dann hätte sie genau das erreicht. Mit der Zeit sieht sie ein, dass sie nicht weiterkommt, und sucht sich ein anderes Opfer.“

„In der Zwischenzeit kann sie einiges Unheil anrichten.“

„Das bezweifle ich stark. Hast du sonst noch was auf dem Herzen?“

Sophie schüttelte frustriert den Kopf. „Ob deine Verlobte wohl die geringste Ahnung davon hat, wie schwierig du sein kannst?“

Er schwieg.

„Dann sehe ich euch beide morgen Abend?“

„Ja.“

Noch einmal warf sie ihm ein ironisches Lächeln zu, als wolle sie sagen: Ich weiß etwas, was du nicht weißt. Vorübergehend fühlte er sich etwas unbehaglich. Dann war sie verschwunden.

Er traute ihr nicht. Irgendetwas führte sie im Schilde. Diese ganze Dinnereinladung, so etwas Häuslich-Spießiges passte doch gar nicht zu ihr. Er wurde den Verdacht nicht los, dass da mehr dahintersteckte.

Ohne viel Appetit hatte Hannah gerade ihr Abendessen eingenommen, als jemand klopfte.

„Herein.“

Elizabeth trat ein.

„Was, Sie sind immer noch da?“ Hannah schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. Selbst wenn Elizabeth hier im Palast angestellt war, so musste sie doch auch ein Privatleben haben. Aber sie schien immer da zu sein.

„Ja, entschuldigen Sie, My Lady. Ich habe nur noch schnell etwas fertig gemacht und war schon auf dem Weg nach draußen, als das Telefon klingelte.“

„Wer ist es denn?“ Vielleicht rief ja eine ihrer Freundinnen aus Seattle an. Eine aufmunternde vertraute Stimme konnte sie jetzt gut gebrauchen.

„Ihre Mutter. Zum wiederholten Mal.“

Stimmt. Das war bereits der vierte Anruf, seit Hannah Seattle verlassen hatte. Hatte die Mutter denn immer noch nicht begriffen, dass Hannah nicht mit ihr sprechen wollte? Sie war einfach noch zu wütend auf sie und verbittert über ihr Verhalten. Wenn sie jetzt mit ihr sprach, würde sie eventuell etwas sagen, was sie später bereute. So wie das letzte Mal, als sie miteinander telefoniert hatten.

„Richten Sie ihr aus, ich rufe zurück.“

„Sie sagte, es sei dringend.“

Ach was, das war nur wieder einer der Tricks der Mutter, um die Tochter ans Telefon zu kriegen.

„Sie hörte sich nicht gut an“, fügte Elizabeth noch hinzu.

Und wenn nun doch etwas passiert war? Hannah musste an den letzten dringenden Anruf der Mutter denken. Sie selbst hatte damals in der Universitätsbibliothek gesessen und für das Examen gelernt. Dabei war sie so vertieft in ihre Bücher gewesen, dass sie das Gespräch beinahe nicht angenommen hätte. Und als sie die Mutter sagen hörte: „Liebling, du musst sofort nach Hause kommen. Daddy hatte einen Unfall …“, da war ihr schlecht vor lauter Entsetzen geworden.

Aber das lag jetzt alles hinter ihr, und sie konnte sich nicht vorstellen, was denn diesmal so wichtig sein sollte. „Ich rufe sie morgen an.“

Elizabeth sagte nichts, aber ihr Blick sprach Bände. Nicht, dass sie sich einem Mitglied der königlichen Familie gegenüber etwas Ungehöriges herausgenommen hätte. Nein, gerade der Blick völlig ohne Emotionen, den sie Hannah zuwarf, ließ die junge Frau aufmerken. Sie konnte sich schon vorstellen, was Elizabeth dachte.

Und natürlich hatte sie recht. „Ich weiß, das habe ich auch gestern gesagt. So gesehen, ist heute morgen. Richtig?“

„Ja.“

„Sie sind der Meinung, ich solle sie anrufen, ja?“

„Mir steht es nicht zu, Ihnen Ratschläge zu geben.“

Vielleicht nicht, aber Hannah war ziemlich sicher, dass Elizabeth genau dieser Meinung war. Andererseits würde ihre Mutter nicht aufhören zu versuchen, sie telefonisch zu erreichen. Denn ganz sicher wollte sie sich für ihr unpassendes Benehmen in den letzten Monaten entschuldigen.

Vielleicht war es also das Beste, der Mutter die Gelegenheit zu geben, ihr Gewissen zu erleichtern. Auch weil das sicher in Daddys Sinn war. Hannah war ihm immer ähnlicher gewesen als der Mutter. Wie oft hatte der Vater zu ihr gesagt: „Deine Mutter ist nicht wie wir, Hannah. Sie ist sehr empfindsam und kann nicht viel aushalten. Du musst Geduld mit ihr haben.“

Manchmal aber war die Mutter so unsicher und so leicht zu kränken, dass Hannah trotz bester Absichten große Schwierigkeiten mit ihr hatte. Nicht, dass die Mutter ein schlechter Mensch war. Man musste ihr nur ständig bestätigen, dass man sie liebte und schätzte. Und das konnte auf die Dauer sehr anstrengend sein.

„My Lady?“, brachte Elizabeth sich in Erinnerung.

Hannah seufzte. Sie wusste, sie musste es tun. „Okay, ich spreche mit ihr.“

„Sie ist auf Apparat zwei“, sagte Elizabeth und verließ geräuschlos den Raum.

Hannah ging mit schweren Schritten zum Telefon, nahm zögernd den Hörer ab und drückte auf den zweiten Knopf. „Hallo, Mutter.“

„Oh, Hannah, mein Liebes! Wie schön, deine Stimme zu hören.“

Hannah wünschte, sie könne das Gleiche sagen, aber die triefende Süße in der Stimme der Mutter reizte sie nur. „Wie geht es dir?“, fragte sie beinahe unfreundlich.

„Gut, danke. Aber du fehlst mir so! Ich hatte schon Angst, du würdest wieder nicht ans Telefon kommen.“

„Du hast gesagt, es sei dringend.“

„Wie geht es dir? Wie gefällt es dir?“, zwitscherte die Mutter, ohne auf Hannahs Fragen einzugehen.

„Gut, danke.“ Wenn sie davon absah, dass ihr Verlobter das Weite gesucht hatte, kaum dass sie angekommen war. Und er noch nicht einmal mit ihr zu Abend essen wollte. „Ich habe viel zu tun.“

„Ist der Palast beeindruckend? Und sieht Phillip immer noch so gut aus, wie ich ihn in Erinnerung habe?“

Sie versucht, Zeit zu gewinnen. Wenn sie doch nur sagen würde, was sie zu sagen hat, dachte Hannah, damit ich das Gespräch beenden kann. „Der Palast und Phillip haben sich nicht verändert, seit du beide das letzte Mal gesehen hast. Nun sag schon, weshalb du so dringend mit mir sprechen wolltest.“

„Kann ich nicht einfach nur mal mit meiner Tochter plaudern wollen?“

Tut mir leid, nein. Der Zug ist abgefahren Dazu bist du zu egoistisch, ging es Hannah durch den Kopf. „Es ist spät, und ich bin sehr müde.“

„Okay.“ Mrs. Renault stieß ein künstliches Lachen aus. „Dann will ich mal zum Grund meines Anrufs kommen.“

Endlich. Nun spuck schon deine Entschuldigung aus, dachte Hannah.

„Also, Hannah, ich möchte nicht, dass du dich aufregst …“

Kein gutes Zeichen. Das hörte sich nicht nach einer Entschuldigung an. „Und worüber sollte ich mich aufregen?“

„Ich rufe an, weil ich gute Nachrichten habe.“

„Okay.“ Nun mach schon.

„Bitte, halt dir den dreißigsten Dezember frei.“

Oh, nein.

„Warum?“, fragte sie noch, obgleich sie bereits ahnte, was dahintersteckte.

„Weil ich an dem Tag heirate.“

„Du willst wieder heiraten?“

„Liebes, ich weiß, was du jetzt denkst …“

„Daddy ist doch noch nicht mal ein Jahr tot!“

„Hannah, bitte, das ist unfair.“

„Unfair?“

„Ein Jahr ist eine lange Zeit, wenn man allein ist.“

Etwas Ähnliches hatte sie schon als Erklärung vorgebracht, als sie bereits drei Monate nach dem Tod ihres Mannes wieder ausging. „Ich bin so einsam“, hatte sie geklagt. Offenbar war ihr nie der Gedanke gekommen, dass das eine normale Empfindung war, wenn man gerade seinen Mann verloren hatte. Dass man sich in einem solchen Fall Zeit ließ zu trauern und nicht die erste Gelegenheit wahrnahm, Ersatz zu finden.

„Bitte, sei mir nicht böse, Hannah.“

„Wer ist denn der Glückliche?“

„Du kennst ihn nicht. Er hat ein kleines Anwaltsbüro außerhalb von Seattle. Aber du wirst ihn sicher lieb gewinnen wie einen Vater, mein Kind.“

Ganz sicher nicht. Ihr Vater ließ sich durch niemanden ersetzen. Und wenn ihre Mutter das immer noch nicht begriffen hatte, dann war ihr nicht mehr zu helfen.

„Ich habe gedacht, ihn zu deiner Hochzeit mitzubringen. Dann kannst du ihn kennenlernen.“

Hannah war überhaupt nicht an der neuesten Eroberung der Mutter interessiert. „Das wird aus Sicherheitsgründen nicht gehen.“

„Bitte, sei nicht so abweisend. Gib ihm eine Chance. Er ist ein so liebenswerter, großzügiger Mann. Und er liebt mich.“

Ganz sicher das Vermögen, das ihr Vater der Mutter hinterlassen hatte. „Du sagst das so, als hätte Daddy dich nicht geliebt. Aber vielleicht hast du ihn nicht geliebt.“

„Das ist nicht fair. Du weißt genau, dass ich deinen Vater sehr geliebt habe.“ Die Stimme zitterte ihr, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Das war für Hannah nichts Neues. Die Mutter versuchte es oft auf die Mitleidstour. Aber darauf fiel Hannah nicht mehr herein.

„Warum hast du es dann so eilig, ihn zu ersetzen?“

„Du hast ja auch dein Leben wieder aufgenommen nach dem Verlust. Warum steht mir nicht das Gleiche zu?“

Es war eben nicht das Gleiche, und die Mutter wusste es ganz genau. Außerdem suchte Hannah nicht nach einem neuen Vater, oder? „Okay. Aber dazu brauchst du nicht meine Genehmigung.“

„Nein. Aber ich möchte gern, dass du dich mit mir freust.“

„Ich muss jetzt wirklich aufhören.“

„Hannah, bitte …“

„Wir sprechen darüber, wenn du in der nächsten Woche kommst.“

„Ich liebe dich, mein Kind.“

„Bis dann, Mom.“ Während sie den Hörer wieder auflegte, hörte sie die Mutter immer noch sprechen. Aber Hannah konnte nicht mehr. Hätte sie jetzt nicht aufgelegt, dann hätte sie etwas gesagt, was sie später sicher bereut hätte.

Sie konnte die Mutter sowieso nicht von ihrem Plan abbringen. Ganz offensichtlich hatte sie eine Entscheidung gefällt. Und da Hannah nichts daran ändern konnte, hatte es auch keinen Sinn, sich darüber Gedanken zu machen.

Sie hatte sich um genug anderes zu kümmern. Die Vorbereitungen für die Hochzeit, die Gespräche mit dem Innenausstatter, die Unterlagen, die sie durcharbeiten wollte, es gab jede Menge zu tun.

Missmutig ließ sie sich auf das Sofa fallen und nahm sich den Ordner mit den Tapetenmustern vor, legte ihn aber schnell wieder zur Seite. Auch die Mappe mit den letzten Informationen über die Hochzeit warf sie unlustig wieder auf den Tisch.

Sie wusste selbst nicht, was mit ihr los war, sie war unruhig und nervös.

Vielleicht sollte sie ein heißes Bad nehmen, um die Nerven zu beruhigen. Ja, das tat gut. Nach dem Bad frottierte sie sich das Haar trocken und zog sich ihren gemütlichsten Baumwollpyjama an. Schnell kroch sie unter die Bettdecke und stellte den Fernseher an. Aber nachdem sie sämtliche Kanäle angeklickt und trotzdem nichts Passendes gefunden hatte, warf sie die Fernbedienung frustriert auf den Boden. Obwohl sie sich schrecklich langweilte, konnte sie sich nicht aufraffen, etwas zu tun.

Da fiel ihr Blick auf den Schrank, an dem Phillips Jackett hing. Eigentlich hatte sie es ihm morgen zurückgeben wollen. Aber vielleicht hatte er vergessen, dass er es ihr geliehen hatte, und vermisste es?

Lächerlich, sie suchte ja nur nach einem Grund, ihn aufzusuchen. Was an sich schon albern war, denn sie war ja mit ihm verlobt. Und wenn man verlobt war, brauchte man doch keinen Grund, sich zu besuchen, oder?

Warum also nicht?

Bevor sie es sich anders überlegen konnte, rollte sie sich aus dem Bett, zog sich ihren Bademantel über, schlüpfte in ihre Hausschuhe, nahm das Jackett und öffnete die Tür zum Flur.

Seine Suite lag am anderen Ende des Hauptflurs im Ostflügel. Bisher war sie dort noch nicht gewesen, aber Elizabeth hatte ihr auf dem Rundgang durch den ganzen Palast auch gezeigt, wo Phillips Gemächer lagen.

Schon stand sie vor seiner Tür und hob die Hand, um anzuklopfen, zögerte dann aber doch.

Was hatte sie vor? Wollte sie um seine Aufmerksamkeit buhlen? War sie wirklich so verzweifelt? Hatte sie so wenig Stolz?

Sie wandte sich um, um zurückzugehen, hielt dann aber wieder inne. Wenn sie es sich recht überlegte, warum sollte sie nicht bei ihm vorbeigehen und ihm das Jackett zurückbringen? Er war doch schließlich ihr Verlobter. Und sie hatte sich jahrelang auf die Rolle als seine Ehefrau vorbereitet. Konnte er ihr da nicht auch ein bisschen Zeit widmen? Das war doch nicht zu viel verlangt.

Nein, das war es nicht.

Schnell drehte sie sich um, und bevor ihr wieder Zweifel kamen, klopfte sie kräftig an die Tür.

6. KAPITEL

Nimm dich zusammen, Hannah, machte sie sich Mut, denn ihr Herz schlug wie verrückt. Schließlich ist der Mann da drinnen ja nicht nackt.

Aber es fehlte nicht viel.

Denn die Pyjamahose saß Phillip gefährlich tief auf den Hüften, als er die Tür öffnete. Und als Hannah mit Mühe den Blick davon löste, wurde sie überwältigt von dem Anblick des prachtvollen Körpers, der sich ihr bot.

Breite Schultern und kräftige Arme. Eine muskulöse Brust und schmale Hüften. Sofort malte Hannah sich aus, was wohl die Pyjamahose verbarg.

All das verwirrte sie so sehr, dass sie erst nach ein paar Sekunden begriff, dass er mit ihr sprach. Widerstrebend hob sie den Blick. „Bitte?“

„Ich fragte, was los ist.“

„Los?“

„Ja. Warum bist du gekommen?“

Ja, weshalb war sie eigentlich gekommen …? Ach so, das Jackett, sie wollte es ihm zurückgeben. „Nichts ist los. Ich wollte dir das nur zurückbringen.“ Sie hielt ihm das Jackett hin, und er nahm es.

„Noch was?“

„Ja.“ Sie schüttelte den Kopf. „Äh … nein.“

Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er sich gegen den Türrahmen, sah sie schweigend an und wartete geduldig, was sie ihm zu sagen hatte.

In dieser Haltung wirkten seine Bizeps noch mal so mächtig! Wahrscheinlich konnte er ein Auto hochstemmen und würde noch nicht einmal in Schweiß geraten. Ohne dass es ihr bewusst war, fächelte sie sich Luft zu. Irgendwie war es plötzlich wärmer geworden. Ihre Wangen brannten, und sie hätte am liebsten den Bademantel ausgezogen.

Was war denn nur mit ihr los? Sie hatte doch vorher schon einmal einen halb nackten Mann gesehen. Doch dann wusste sie, was los war. Ihr Problem war nicht, dass der Mann da vor ihr sie beunruhigte oder einschüchterte. Das Gegenteil war der Fall. Sie wäre am liebsten auf ihn zugegangen und hätte ihn umarmt, gestreichelt, überall berührt … So sehr verlangte sie nach ihm, begehrte ihn körperlich. Schnell versteckte sie die Hände hinter dem Rücken, um nicht in Versuchung zu kommen.

„Was ist mit dir? Alles in Ordnung?“ Seine Augen funkelten amüsiert.

„Ja. Ich wollte nur …“ Doch dann ließ sie den Kopf sinken. „Nein, ich weiß auch nicht …“

„Willst du nicht hereinkommen?“ Er machte die Tür weiter auf und trat zur Seite.

Das sollte ich nun wirklich nicht tun, sagte sie sich. In einer Woche war die Hochzeit. Es war eine Sache, zu flirten und sich vielleicht auch mal zu küssen. Aber nachts in seine Suite zu gehen und dann auch noch im Pyjama, während er halb nackt war, das war doch etwas anderes. Das ging nun wirklich zu weit.

Dann werde ich eben dafür sorgen, dass nichts passiert, nahm sie sich vor. Schließlich war sie keine Sklavin ihrer Libido.

Und sie hatte schon lange gewartet. Da kam es auf diese Woche auch nicht mehr an, das würde sie schaffen.

Sie trat ein. Sein Wohnraum war sehr viel größer als ihrer, ungefähr so groß wie der in ihrem gemeinsamen Apartment, in das sie nach der Hochzeit ziehen würden. Es war sehr offensichtlich, dass hier ein Mann wohnte. Die Möbel waren aus dunklem, poliertem Holz, die Stoffe auch dunkel, wenn auch in warmen Farben, sodass eine behagliche Atmosphäre herrschte.

„Sehr hübsch“, sagte sie und nickte anerkennend. Sie sah sich aufmerksam um. Irgendwie musste es doch möglich sein, ihren beiden individuellen Stilen in dem gemeinsamen Apartment gerecht zu werden. Ihr würde schon etwas einfallen. Auf alle Fälle war es eine gute Idee gewesen herzukommen. So hatte sie einen Eindruck, was ihm gefiel.

„Also, was ist los?“, fragte er erneut.

Sie drehte sich zu ihm um, aber anstatt ihm in die Augen zu sehen, glitt ihr Blick tiefer.

„Hannah?“

Wie ertappt sah sie hoch. Phillip lächelte.

„Ich kann auch ein Hemd anziehen, wenn dir dadurch leichter fällt, das zu sagen, was du auf dem Herzen hast.“

Sie wurde feuerrot. „Nein, nein, natürlich nicht. Entschuldige.“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich fühle mich geschmeichelt. Aber vielleicht kannst du mir nun endlich sagen, was dich bedrückt.“

„Mich bedrückt?“

„Ich habe dich gefragt, ob mit dir alles in Ordnung sei. Und du sagtest, nein.“

Hatte sie? Daran konnte sie sich überhaupt nicht mehr erinnern. Was sollte sie nur sagen? Hastig platzte sie mit dem heraus, was ihr gerade in den Sinn kam. „Meine Mutter hat angerufen.“

Das schien ihn nicht besonders zu beeindrucken. „Ja, und? Alles in Ordnung mit ihr?“

„Ja, das schon, aber …“ Sie hielt inne und bemerkte mit Entsetzen, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Was war denn bloß los mit ihr? Sonst hatte sie doch nicht so nahe am Wasser gebaut. Außerdem war sie nicht eigentlich unglücklich, eher wütend als traurig.

„Aber …?“

„Sie …“ Sie schluchzte kurz und schluckte. „Sie will wieder heiraten.“

Als hätte dieses Wort eine Schleuse geöffnet, füllten sich ihre Augen mit Tränen und liefen ihr über die Wangen. Beschämt darüber, dass sie sich nicht zusammennehmen konnte, presste sie die Hände auf das Gesicht. Sie verstand selbst nicht, was mit ihr los war. Eigentlich sollte sie sprühen vor Zorn und nicht heulen wie ein Baby.

Im nächsten Moment spürte sie, wie Phillip sie in die Arme nahm und fest an sich zog. Und in diesem Augenblick fielen jegliche Wut und Anspannung von ihr ab. Ihr Körper kam ihr plötzlich weich und nachgiebig vor, und sie lehnte sich aufatmend gegen Phillip.

„Und du glaubst, es ist zu früh?“, fragte er leise und küsste sie sanft auf die Stirn. „Wieder zu heiraten, meine ich?“

Sie nickte schluchzend.

„Möchtest du darüber sprechen?“

Langsam schüttelte sie den Kopf. Im Augenblick genügte es ihr vollkommen zu wissen, dass er für sie da war, wenn sie ihn brauchte.

Danach schwieg er lange. Fest hielt er sie in den Armen und strich ihr tröstend über den Kopf. Und sie drückte sich an seine nackte Brust, spürte seine Wärme und nahm seinen nun schon vertrauten Geruch wahr. Langsam beruhigte sie sich. Und als sie wieder regelmäßig durchatmen konnte, wusste sie, dass sie genau das jetzt gebraucht hatte. Erstaunlich, wie Phillip immer zu ahnen schien, womit er sie trösten konnte.

„Geht’s besser?“, fragte er schließlich.

„Ja. Entschuldige, bitte.“

„Wofür entschuldigst du dich jetzt schon wieder?“, fragte er mit einem kleinen Lächeln.

„Dass ich dich so überfallen habe und mich nicht zusammennehmen konnte.“

„Macht nichts.“

„Schon, denn normalerweise bin ich nicht so emotional. Und ich fange auch nicht so leicht an zu weinen. Die letzten Tage waren vielleicht etwas viel für mich.“

„Kann ich mir vorstellen.“

„Dass ich dir das Jackett zurückgeben wollte, war nur ein vorgeschobener Grund.“

„Ich weiß.“ Langsam hob sie den Blick und sah ihn an. Wieder fragte sie sich, warum er gerade sie ausgewählt hatte unter all den Frauen, die er hätte haben können. „Ich glaube, ich war einfach nur … einsam.“

Zärtlich wischte er ihr die letzte Träne von der Wange.

„Weißt du …“ Sie schmiegte sich wieder fester an ihn. „… mein ganzer Tag ist verplant, und ich sehne mich danach, allein zu sein, endlich auch Zeit für mich zu haben. Aber wenn ich dann allein bin, fühle ich mich so isoliert, so einsam. Kannst du das verstehen?“

„Ja, ich weiß genau, was du meinst. Aber glaube mir, du gewöhnst dich daran, ganz bestimmt.“

Vielleicht wollte sie sich gar nicht daran gewöhnen. Sie wollte mit ihm ein richtiges Eheleben und später, wenn Kinder da waren, ein harmonisches Familienleben führen. Das Herz schmerzte ihr, so sehr sehnte sie sich danach.

„Eigentlich wollte ich es dir erst morgen sagen“, fing er wieder an. „Meine Schwester war da und hat uns zum Essen eingeladen.“

„Tatsächlich?“

„Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich schon zugesagt habe, ohne dich zu fragen.“

Etwas dagegen? Im Gegenteil, sie freute sich riesig über die Einladung. Endlich würden sie zusammen essen, wie eine richtige Familie. Außerdem hatte sie ihre Schwägerin sowieso näher kennenlernen wollen. „Nein, es ist eine wunderbare Idee.“

Vor lauter Glück wäre sie beinahe wieder in Tränen ausgebrochen. Aber sie beherrschte sich noch rechtzeitig, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Phillip auf die Wange. „Danke.“

Wie glatt und warm sich seine Haut anfühlte. Schnell küsste sie ihn wieder. Und noch einmal, diesmal etwas länger als die ersten beiden Male. Da spürte sie, wie er die Arme fest um sie schloss, und jetzt küsste er sie. Aber nicht auf die Wange.

Phillip hatte Hannah genau da, wo er sie haben wollte. Fest schmiegte sich ihr Körper an den seinen, sie hatte ihm die Arme um den Hals gelegt und die Finger in das Haar geschoben. Dabei küsste sie ihn hingebungsvoll und mit einer Leidenschaft, wie er es bisher selten bei einer Frau erlebt hatte.

Er konnte mit ihr machen, was er wollte, und das noch vor der Hochzeit, genauso, wie er es geplant hatte. Warum zögerte er dann? Warum hatte er das Gefühl, ihr Vertrauen zu missbrauchen, sie zu betrügen?

Seit wann war ihm in diesen Situationen wichtig, was in der Frau vorging?

Diese Frage konnte er sich leicht selbst beantworten. Ganz sicher hätte er diese Skrupel, dieses verdammte schlechte Gewissen nicht, wäre Hannah selbst nicht so offen und ehrlich.

Heute Nachmittag hatte er ihr zwar gesagt, dass ihre Offenheit sie noch einmal in Schwierigkeiten bringen würde. Aber sie hatte nur gelacht und gemeint, ihr könne nichts passieren, wenn sie aufrichtig blieb. Und nun sah es beinahe so aus, als würde sie recht behalten.

Denn er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sie jetzt hier in den Armen hielt und küsste, obwohl er die Situation nicht ausnutzen sollte. Aber sie fühlte sich so gut an …

Vielleicht hatte sie keine Ahnung, was passieren könnte? Wenn er etwas weiter ging, würde sie dann merken, in welcher Gefahr sie sich befand, und ihn zurückstoßen?

Vielleicht konnte er sie dazu bringen, genau das zu tun.

Langsam strich er ihr über den Rücken, spürte ihre Taille und die sanfte Wölbung der Hüfte. Fordernd legte er ihr die Hand auf den Po, aber wieder kam nicht die Reaktion, die er erwartete. Hannah stöhnte nur leise auf, machte aber keinerlei Anstalten, sich ihm zu entziehen. Daraufhin presste er sie gegen sich, sodass sie sehr genau spüren konnte, was ihre Nähe bei ihm auslöste. Sie fühlte sich auch einfach zu gut an, so warm und weich und willig. Und anstatt sich von ihm zu lösen, drückte sie sich nur noch fester an ihn.

Hatte sie nicht angedeutet, dass sie noch Jungfrau war? Die Art und Weise, wie sie sich jetzt an ihm rieb und ihm mit den Nägeln über den nackten Rücken strich, ließ ihn daran zweifeln. Eigentlich schade, denn die Vorstellung, dass sie nur ihm gehören würde, gefiel ihm durchaus.

Sanft umfasste sie seine Schultern, strich ihm über die Brust, den flachen harten Bauch und war kurz davor, die Finger unter das Taillengummi zu schieben. Das ging zu weit. Phillip wusste, dass er sich sonst nicht mehr zurückhalten könnte, und hielt schnell ihre Hand fest.

Jungfrau oder nicht, er wusste genau, was Hannah sich wünschte. Nämlich erst in der Hochzeitsnacht mit ihm zu schlafen. Wie konnte er da guten Gewissens ihre Schwäche ausnutzen? Sosehr er sich auch danach sehnte, so gut sie sich auch anfühlte, er durfte es einfach nicht tun.

Schnell beendete er den Kuss und trat einen Schritt zurück. Hannah, mit rosigen Wangen und schwer atmend, sah ihn verwirrt an.

„Wir müssen aufhören.“

„Warum denn?“, flüsterte sie.

„Weil du es eigentlich nicht willst.“

„Doch. Ich will jetzt mit dir schlafen.“

Sie versuchte, ihn wieder an sich zu ziehen und ihn zu küssen, aber er hielt sie an den Handgelenken fest. „Nein, das willst du nicht. Du weißt nicht, was du tust, weil du wütend und traurig bist.“

„Ich bin nicht mehr wütend und traurig.“

„Hannah, wenn wir es jetzt zulassen, bereust du es später.“

„Nein.“

„Nur noch eine Woche.“ Was war mit ihm los? War er es wirklich, der diese Worte aussprach? Der versuchte, sie davon abzuhalten, mit ihm Sex zu haben? Er war anscheinend vollkommen verrückt geworden.

In ihrem Blick glaubte er zu lesen, dass sie dasselbe dachte. „Heute. Nächste Woche. Was macht das schon für einen Unterschied?“

„Das ist nicht dein Ernst.“

„Phillip, ich will dich. Heute Nacht. Jetzt.“

Energisch versuchte sie, ihre Handgelenke zu befreien, aber er hielt sie mit eisernem Griff fest. Und wenn sie noch so flehte und schimpfte, er würde nicht nachgeben. Denn im Grunde musste er sich den Vorwurf machen, schuld daran zu sein, dass es mit ihr so weit gekommen war. Er hatte versucht, sie aus seinem Leben herauszuhalten.

Irrtümlich hatte er geglaubt, ihr einen Gefallen zu tun, wenn er sie auf Abstand hielt. Auf diese Weise würde sie sich nicht zu eng an ihn binden und später enttäuscht werden. Aber jetzt war klar geworden, dass das die falsche Strategie war. Denn dadurch hatte er sie nur unglücklich gemacht. Schließlich hatte sie ihre Heimat, ihre Familie und Freunde verlassen und war in ein fremdes Land gekommen, in dem sie niemanden kannte. Und er, der Einzige, den sie zumindest schon ein paar Mal gesehen hatte, hatte sie zurückgestoßen. Eigentlich war es ein Wunder, dass sie nicht schon längst ihre Sachen gepackt und nach Hause zurückgekehrt war.

Sophie hatte recht. Er hatte sich idiotisch benommen.

Und dennoch durfte er Hannah ihren Willen jetzt nicht lassen. Denn sie wusste nicht, was sie tat. Auch auf die Gefahr hin, sie zu kränken, erklärte er mit klarer Stimme: „Vielleicht willst du es. Aber ich nicht.“

Phillips Worte hatten auf Hannah dieselbe Wirkung wie ein Eimer eiskalten Wassers. Er wollte nicht mit ihr schlafen? Er war doch ein Mann, und hatten nicht alle Männer genau das im Sinn? Hannah war doch absolut sicher gewesen, dass er die Gelegenheit sofort nutzen würde.

Erst jetzt ließ er ihre Handgelenke los, und sie taumelte einen Schritt rückwärts. „Ist das dein Ernst?“ „Ja. Und du musst mir glauben, dass ich davon genauso überrascht bin wie du.“

Wie meinte er das? Er war doch ganz offensichtlich auch erregt und begehrte sie. Sie brauchte ja nur einen Blick auf seine Pyjamahose zu werfen. Warum wollte er dann nicht mit ihr schlafen? „Habe ich irgendetwas falsch gemacht?“

„Oh, nein. Du hast alles richtig gemacht.“

„Aber warum willst du dann nicht?“

Langsam und beinahe traurig lächelnd, schüttelte er den Kopf. „Weil ich zu viel Respekt vor dir habe und nicht möchte, dass du dich so vom Augenblick hinreißen lässt und etwas tust, das dir später leidtut.“

Verblüfft blickte sie ihm in die Augen, und erst allmählich dämmerte ihr, was er damit meinte. Wahrscheinlich war es das romantischste und ehrlichste Kompliment, das ihr je gemacht worden war.

Wie recht er hatte. Hätten sie heute miteinander geschlafen, hätte sie es später bereut. Denn sie war gefühlsmäßig so durcheinander, dass sie nicht klar entscheiden konnte, was sie wollte und was nicht.

Im Wesentlichen sehnte sie sich danach, sich jemandem nahe zu fühlen. Und ohne weiter darüber nachzudenken, hatte sie angenommen, dass Phillip und sie dadurch, dass sie miteinander schliefen, enger zusammenwachsen würden. Doch so wichtig Sex in einer Beziehung auch war, es war eben doch nur Sex. Und es gab anderes, auf das es mehr ankam.

Wie zum Beispiel die Tatsache, dass er sie davon abgehalten hatte, einen großen Fehler zu machen. Hatte er damit nicht bewiesen, wie wichtig sie ihm war? Mehr konnte sie im Augenblick nicht erwarten.

„Noch eine Woche länger zu warten wird uns schon nicht umbringen, oder?“, sagte er leise und strich ihr zärtlich das Haar aus der Stirn.

„Nein, natürlich nicht.“ Nicht, wenn sie schon vierundzwanzig Jahre gewartet hatte. „Entschuldige. Ich weiß auch nicht, was mit mir los war.“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich sollte mich mehr um dich kümmern. Es ist sehr verständlich, dass du dich einsam fühlst.“

„Aber du hast so viel zu tun. Das weiß ich.“

„Dennoch kann ich hin und wieder mit meiner Verlobten zu Abend essen. Nein, ich muss mich entschuldigen, Hannah. Dir wird so viel abverlangt, und du bekommst so wenig dafür zurück.“

„Bitte, glaub nicht, dass ich undankbar bin. Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich für meine Position gewisse Opfer bringen muss.“

„Und ich bin es nicht gewohnt, meine freie Zeit mit jemandem zu teilen“, gab er zu.

Und deine Gefühle, dachte sie bei sich. Sie wunderte es nicht, wenn sie sich vorstellte, unter welchen Bedingungen und in welcher Umgebung er aufgewachsen war. Seine Mutter war als kalt und gefühllos bekannt gewesen, der Vater hatte aus seinen zahlreichen Verhältnissen kein Hehl gemacht. Da hatte der junge Phillip schon früh lernen müssen, seine Gefühle zu unterdrücken.

Aber mit der Zeit würde sie ihn aus seinem Schneckenhaus herausholen. Sie würde ihm zeigen, dass es gut war, Emotionen zu zeigen und ihnen zu vertrauen. Und dass man nicht immer vor allem und allen auf der Hut sein musste. Aber das würde Zeit brauchen.

„Ich will mich wirklich bemühen, nicht zu viele Forderungen zu stellen“, sagte sie weich. „Ich gebe dir die Freiheit und lasse dir den Raum, den du brauchst.“

„Gut.“ Phillip nickte, machte aber selbst keine Versprechungen.

Und Hannah ahnte, dass diese Ehe komplizierter sein würde, als sie gedacht hatte.

7. KAPITEL

Wie er am Abend zuvor versprochen hatte, klopfte Phillip genau um 18 Uhr 45 an Hannahs Tür.

Als sie öffnete und er eintrat, betrachtete sie ihn anerkennend. Wie immer war er tadellos und mit sicherem Geschmack gekleidet. Diesmal trug er eine schwarze Hose und dazu einen grauen Kaschmirpullover in dem Ton seiner Augen, darüber einen klassischen schwarzen Blazer.

„Ich bin so gut wie fertig“, sagte sie.

Er schaute sie lächelnd von oben bis unten an. „Du siehst sehr gut aus.“

Unter seinem Blick wurde ihr warm. Für den heutigen Abend hatte sie sich auch besondere Mühe gegeben, hatte das Haar locker geföhnt und besondere Sorgfalt auf das Make-up verwandt. Das rote schmal geschnittene Kleid stand ihr gut, das wusste sie. Es sah sexy, aber nicht billig aus.

„Ich wäre schon früher fertig gewesen, wenn die Besprechung mit dem Hochzeitsplaner nicht länger gedauert hätte, als ich dachte.“

„Kein Problem“, sagte er. „Wir haben es nicht eilig. Sophie fängt bestimmt nicht ohne uns an.“

Dennoch, Hannah hasste es, unpünktlich zu sein. „Ich hole nur noch meine Schuhe und eine Jacke.“

Schnell ging sie ins Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank. Auf dem obersten Bord standen die roten Slingpumps, die sie eigentlich nur zu diesem Kleid trug. Sie schlüpfte hinein und nahm die Jacke vom Kleiderbügel.

„Wie kommen denn die Hochzeitsvorbereitungen voran?“, rief Phillip ihr aus dem Nebenraum zu.

„Sehr gut“, rief sie zurück, hängte sich die Jacke über die Schultern und schloss die Schranktür. „Hattest du einen erfolgreichen Tag?“

„Eigentlich nicht.“

Sie fuhr herum und sah, wie er im Türrahmen lehnte und sie beobachtete.

„Habe ich dir schon gesagt, wie hübsch du aussiehst?“, fragte er mit leiser, dunkler Stimme.

„Ich glaube, ja.“

Wie gestern Abend hatte er wieder diesen hungrigen Ausdruck in den Augen, als wolle er sie gleich hier und jetzt vernaschen. Und wenn sie sich daran erinnerte, was für ein Wahnsinnsgefühl es gewesen war, seine nackte heiße Haut zu liebkosen, dann wurden ihr schon wieder die Knie weich.

Noch genau eine Woche bis zu ihrer Hochzeit. Nächsten Freitag um diese Zeit waren sie bereits Mann und Frau und mussten wahrscheinlich gerade den Empfang über sich ergehen lassen. Und danach, entweder in ihrem oder in seinem Schlafzimmer …

Hoffentlich ging die Woche schnell vorüber.

„Ich bin fertig“, sagte sie.

„Unten wartet ein Wagen auf uns.“ Er machte einen Schritt zur Seite, damit sie das Schlafzimmer verlassen konnte. Aber als sie an ihm vorbeiging, hielt er sie am Arm fest, drehte sie zu sich um und küsste sie. Was für ein Kuss! Tief und fordernd, leidenschaftlich … und leider viel zu schnell vorbei.

„Warum denn das?“, fragte sie atemlos.

Er lächelte. „Wieso? Brauche ich denn immer einen Grund?“

Nein, natürlich nicht. Aber wenn er so weitermachte und sie weiterhin wie ein hungriger Wolf ansah, dann würde die kommende Woche die längste ihres Lebens sein.

Der Wagen hielt direkt vor Sophies Haus. Kaum hatten sie geklopft, da öffnete der Butler auch schon die Tür. Mit einer Verbeugung hieß er sie willkommen und führte sie in die Halle, in der Sophie sie bereits ungeduldig erwartete. In dem fließenden Gewand aus dünnem Stoff, das ihre große schlanke Figur umspielte, und dem hochgesteckten schwarzen Haar sah sie sehr elegant aus, wenn man davon absah, dass sie barfuß war.

„Wunderbar! Ihr seid ja fast pünktlich!“, rief sie und umarmte Hannah stürmisch, wobei sie ihr einen Kuss auf die Wange drückte. Dann machte sie ein paar Schritte zurück und musterte ihre Gäste langsam von oben bis unten. „Donnerwetter, was für ein attraktives Paar!“

Phillip lachte und reichte ihr zwei Flaschen Wein. „Ich hoffe, er passt zum Essen.“

Sophie warf einen Blick auf die Etiketten, dann strahlte sie den Bruder an. „Perfekt.“ Sie drückte dem Butler die Flaschen in die Hand. „Möchtet ihr noch einen Drink vor dem Essen?“

„Nein, danke“, sagte Hannah.

„Ich auch nicht“, lehnte Phillip ab. „Es sei denn, du meinst, ich sollte lieber was trinken.“

Sie lächelte zuckersüß. „Warum sollte ich das denn wohl meinen?“, flötete sie.

Hannah sah erstaunt zwischen den beiden hin und her. Was ging da zwischen ihnen vor? Was vermutete Phillip?

„Das Essen ist in wenigen Minuten fertig. Lasst uns doch solange in mein Studio gehen.“

Sophies Haus war genauso edel eingerichtet wie der Palast, wenn auch mit eher modernen Möbeln. Von der Küche her roch es sehr appetitanregend.

„Du hast ein wunderschönes Haus“, meinte Hannah bewundernd.

„Danke. Nach dem Essen zeige ich dir auch die anderen Räume, falls du daran Interesse hast.“

„Ja, gern.“

Auch in dem Studio sah Hannah sich aufmerksam um. Und erst, als Phillip an ihrer Seite erstarrte, fiel ihr auf, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte.

Als sie seinem Blick folgte, bemerkte sie einen Mann, der auf einem schwingenden Ledersessel auf der anderen Seite des Raumes saß.

Die Familienähnlichkeit war nicht zu übersehen.

„Was soll das?“, fragte Phillip barsch. „Du hast nicht gesagt, dass er ebenfalls da sein würde.“

Sophie hob nur kurz die Schultern. „Du hast auch nicht gefragt.“

Phillips Halbbruder erhob sich langsam und warf Sophie einen forschenden Blick zu. „Ehrlich gesagt, bin auch ich einigermaßen überrascht.“

„Ich wusste, dass du irgendetwas im Schilde führst!“ Phillip konnte seinen Zorn nur schwer verbergen. „Aber dass du dazu in der Lage bist, damit habe ich wirklich nicht gerechnet.“ Er sah aus, als würde er gleich in die Luft gehen.

Noch nie hatte Hannah Phillip so wütend gesehen. Es schüchterte sie ein, aber faszinierte sie auch. Also konnte er sehr wohl Emotionen zeigen, wenn sie auch in diesem Fall froh war, dass sich dieser Gefühlsausbruch nicht gegen sie richtete.

Sophie dagegen war die Ruhe selbst. Phillips wütende Blicke beeindruckten sie nicht im Geringsten. Wahrscheinlich war sie bereits dagegen immun. „Ich habe euch zu einem Familienessen eingeladen. Und schließlich gehören wir alle zu einer Familie, oder etwa nicht?“ Dann drehte sie sich zu Hannah um. „Du kennst unseren Bruder wahrscheinlich noch nicht?“

Hannah fiel gleich auf, dass Sophie Bruder und nicht Halbbruder sagte. „Nein, wir sind uns noch nicht begegnet.“

„Hannah, das ist Ethan Rafferty. Ethan, und das ist Hannah Renault, Phillips Verlobte.“

Hannah trat einen Schritt vor und reichte Ethan die Hand. Sein Handschlag war fest und ohne Scheu.

„Sehr angenehm, Hannah“, sagte er. Er hatte einen starken amerikanischen Akzent, aber nicht nur deshalb war Ethan ihr gleich sympathisch.

Schon häufiger hatte sie Bilder von ihm in der Zeitung gesehen, und ihr war aufgefallen, dass die beiden Brüder sich durchaus ähnlich sahen. Aber jetzt, da sie beide Männer vor sich hatte, war die Ähnlichkeit geradezu verblüffend. Sie hatten einen ähnlichen Körperbau, auch wenn Ethan nicht so groß wie Phillip war, hatten die gleichen rauchgrauen Augen und dunkles Haar. Allerdings trug Ethan es lang bis auf die Schultern und glatt, während Phillip eher kurze Locken hatte.

Und sie machten beide ein wütendes Gesicht.

Das würde wohl nicht das gemütliche Essen im Kreise der Familie sein, das Hannah sich erhofft hatte.

„Wir gehen“, sagte Phillip.

„Blendende Idee“, meinte Ethan.

Aber jetzt griff Sophie ein. „Um Himmels willen, nun benehmt euch nicht wie kleine verwöhnte Kinder! Werdet endlich erwachsen!“

Beide Männer starrten die Schwester an. Sie sahen einander tatsächlich so ähnlich, dass es Hannah kalt über den Rücken lief. Wenn sie sich jetzt nur selbst in dieser Situation sehen könnten. Aber sie war sicher, dass dennoch keiner von beiden von seiner vorgefassten Meinung über den anderen abgehen würde.

Sosehr Hannah auch mit Sophie übereinstimmte, in diesem Fall fühlte sie sich nicht berufen, etwas zu sagen. Denn sie war immer noch so etwas wie eine Außenseiterin. Das hier ging nur die unmittelbare Familie etwas an. Hinzu kam, dass sie selbst keine Geschwister hatte und schon gar keine außerehelichen. Wie könnte sie sich da anmaßen, eine so komplizierte Beziehung zu verstehen, wie sie hier offenbar vorhanden war?

„Ihr braucht mich gar nicht so empört anzustarren“, meinte Sophie lächelnd. „Ob es euch nun passt oder nicht, ihr seid verwandt. Und es wird Zeit, dass ihr euch damit abfindet.“

Jemand klopfte an die Tür. Sophie drehte sich um. „Was gibt es, Wilson?“

„Es ist angerichtet, Miss.“

Sophie wandte sich wieder zu ihren Brüdern um. „Ist es wirklich zu viel verlangt, dass wir vier jetzt wie zivilisierte Menschen zu Abend essen? Könntet ihr eure Streitigkeiten nicht mal für einen Abend vergessen und euch wie erwachsene Menschen benehmen?“

Offenbar hatte sie bei beiden Männern einen Nerv getroffen, denn beide nickten schließlich.

„Ich danke euch.“ Sophie führte ihre Gäste in den Speisesaal, war aber klug genug, die beiden Brüder einander gegenüberzusetzen.

Das Essen war ausgezeichnet. Ein Gang besser als der andere. Die Unterhaltung jedoch schleppte sich dahin. Obgleich Sophie immer wieder verschiedene Themen ansprach, die Antworten der Brüder waren selten mehr als einsilbig. Es war offensichtlich, dass Sophie an beiden Brüdern sehr hing und sich nichts sehnlicher wünschte, als dass die beiden miteinander in ein freundliches Gespräch kämen. Und das, obwohl sie von Phillip doch als jemand bezeichnet worden war, der „seinen eigenen Kopf“ hatte.

„Alles war sehr gut“, sagte Hannah zu Sophie, als die Dessertschalen abgeräumt wurden.

„Danke, Hannah. Ich habe in der letzten Zeit viel zu selten gekocht. Aber es ist gut herauszufinden, dass ich es immer noch kann.“

Was? Sophie hatte gekocht? „Ich wusste gar nicht, dass du so fantastisch kochen kannst.“

„Ja, Sophie kann es mit den besten Köchen aufnehmen“, meinte Ethan voller Stolz. „Ihre Ausbildung hat sie in Frankreich gemacht. Ich habe ihr auch die Position des Chefkochs in einem meiner Hotels ihrer Wahl angeboten, aber sie lässt sich nicht erweichen.“

„So?“ Phillip warf Ethan einen wütenden Blick von der Seite zu. „Davon weiß ich ja gar nichts. Selbstverständlich hat sie abgelehnt, denn ihr Platz ist hier bei der Familie.“

Hannah musterte ihn überrascht. War das nur reine Sturheit? Oder war er vielleicht eifersüchtig? Schließlich war ihm von seiner Familie lediglich noch Sophie geblieben. Und wenn sie wegzog …

Doch wenn ihm die Schwester so wichtig war, warum konnte er dann nicht auch freundliche Gefühle für den Halbbruder entwickeln? War es für ihn wirklich so entscheidend, dass Ethan und er nur denselben Vater hatten?

„Und leider ist er auf meinen Kompromissvorschlag noch nicht eingegangen, hier in Morgan Isle ein Hotel aufzumachen“, erklärte Sophie lächelnd. „Dabei fällt mir ein, Phillip, hast du dir schon den Vorschlag angesehen, den ich auf deinem Schreibtisch habe liegen lassen?“

„Bisher habe ich ihn nur kurz überflogen.“

Überrascht blickte Hannah Phillip an. Von einem Vorschlag von Sophie hatte er nichts gesagt. Aber er war sowieso nicht besonders offen, wenn es um seine Angelegenheiten ging.

Sophie, der Hannahs fragender Blick nicht entgangen war, hakte hier ein. „Ich habe eine Geschäftspartnerschaft zwischen Ethan und dem Rest der Familie vorgeschlagen“, erläuterte sie.

„Warum braucht er denn einen neuen Geschäftspartner?“, fragte Phillip unwirsch. Da Ethan ihn wütend ansah, vermutete Hannah, dass er die Gründe lieber verschweigen würde.

Aber Sophie lächelte nur. „Wenn du mir so kommst, könnte ich ja auch mal auflisten, welche Fehler du bisher gemacht hast und wann dir irgendwelche geschäftlichen Transaktionen nicht gelungen sind.“

Jetzt lächelte Ethan, und Phillip warf Sophie einen zornigen Blick zu, schwieg aber. Offenbar hatte Sophie in dieser Familie die Hosen an und sagte, wo es langging.

„Also, Phillip“, Sophie wandte sich mit ernster Miene an den Bruder, „ich will diese Partnerschaft. Kann das aber nicht ohne dich tun.“

„Und was habe ich davon?“

„Du meinst, von dem Geld abgesehen? Das kann ich dir sagen. Du hast dich immer beschwert und gemeint, ich solle mich endlich mit meinem Platz und meiner Aufgabe in der Familie abfinden. Dieses Problem wäre mit der Partnerschaft gelöst. Ich würde mich nie mehr beklagen.“

„Und woher weiß ich, dass du auch wirklich dazu stehst?“

„Habe ich dich schon jemals belogen?“

„Nein.“

„Also, wie ist es? Machst du mit?“

„Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken.“

„Du hast genug Zeit gehabt. Die ganzen letzten Monate stand diese Frage im Raum. Noch heute Abend will ich eine Antwort.“ Sie drehte sich lächelnd zu Hannah um. „Ich glaube, die beiden Jungs müssen sich mal in Ruhe unterhalten. Wenn du willst, zeige ich dir jetzt das Haus, wie ich es versprochen habe.“

Sophie ging mit Hannah in ihr Studio und goss sich erst einmal einen Scotch ein. „Möchtest du auch einen?“

„Nein, danke.“

Sophie nahm einen ordentlichen Schluck und ließ sich dann aufatmend in einen Sessel sinken. „Na, wie habe ich das gemacht?“

Obgleich sie ruhig und überlegen gewirkt hatte, hatte das Gespräch sie offensichtlich mehr Nerven gekostet, als es den Anschein gehabt hatte. „Du warst toll“, sagte Hannah bewundernd. „Sehr beeindruckend, wie du die beiden Männer in Schach gehalten hast.“

„Jahrelange Praxis, glaub mir. Die beiden sind die stursten Kerle, die ich kenne. Und obwohl sie es nie zugeben würden, sind sie sich geradezu lächerlich ähnlich.“

„Ist mir auch aufgefallen.“

„Und ich hänge wahnsinnig an beiden, obwohl sie es mir wirklich nicht leichtmachen.“

„Das glaube ich. Aber was hat Phillip gemeint, als er fragte, warum Ethan einen neuen Partner brauche? Entschuldige, wenn ich damit zu sehr in Familiengeheimnisse eindringe. Natürlich musst du mir nicht antworten.“

„Aber ich will. Ethans bisheriger Geschäftspartner hat kürzlich einige Millionen unterschlagen und ist verschwunden. Und deshalb braucht Ethan einen neuen, oder er verliert alles. Das wäre besonders bitter, weil er mit nichts angefangen und sein Unternehmen ganz allein aus eigener Kraft aufgebaut hat.“

„Schrecklich.“

„So habe ich ihm vorgeschlagen, ob wir als Familie nicht in die Firma eintreten könnten. Zuerst hat er diesen Vorschlag weit von sich gewiesen. Er ist zu stolz und will auf keinen Fall auf Almosen angewiesen sein. Aber die Situation hat sich verschlimmert, und er hat keine andere Chance. Und als unsere Anwälte ihm einen Vorschlag in Bezug auf eine echte Partnerschaft machten, hat er eingesehen, dass es hier nicht um Wohltätigkeit geht. Und konnte akzeptieren.“ Sie nahm noch einen Schluck. „Jetzt ist es Phillip, der Probleme macht. Schon seit Monaten reden wir darüber.“

„Ich könnte mir vorstellen, dass er jetzt einverstanden ist.“

„Weißt du, Hannah, ich mag dich. Wirklich. Ich glaube, dass du einen guten Einfluss auf Phillip hast. Hoffentlich weißt du, worauf du dich einlässt, wenn du meinen Bruder heiratest.“

Hannah lächelte leicht. „Seit acht Jahren bereite ich mich darauf vor.“

„Ernsthaft?“

„Ja. Ich hatte alle möglichen Lehrer und Anstandsdamen und Ratgeber.“ Ungläubig schüttelte Sophie den Kopf. „Donnerwetter! Und du glaubst, dass du jetzt alles weißt?“

„Keine Ahnung. Das werden wir ja sehen.“

„Auch für mich hatten die Eltern jemanden ausgesucht. Einen Herzog oder so. Er sah gar nicht mal schlecht aus, war aber hölzern wie ein Stock.“

„Das wäre sicher nicht gut gegangen.“

Sophie lachte. „Garantiert nicht. Wenn ich mal heirate, muss es aus Liebe sein. Nicht, dass ich ablehne, was ihr beiden tut, Phillip und du“, fügte sie schnell hinzu.

„Da wärst du nicht die Erste. Meine Freundinnen hielten die ganze Sache anfangs für ziemlich cool. Ich meine, wer möchte nicht einen Prinzen heiraten und in einem Palast wohnen? Jedes Mädchen träumt davon. Aber dann bekamen sie mit, dass ich meine Wochenenden auf dem Zimmer verbrachte und lernte, während sie ausgingen und sich amüsierten. Alle hatten sie natürlich einen Freund, und ich saß immer allein da. Und als sie dann noch erfuhren, wie viel Arbeit in der Vorbereitung steckt, hielten sie mich für verrückt.“

„Irgendwie ist es ja die reine Ironie. Du hast viele Jahre damit verbracht, dich auf ein Leben vorzubereiten, dem ich nicht schnell genug entfliehen kann.“

„Stimmt. Aber ich war auch nicht zu diesem Leben gezwungen. Es war meine freie Entscheidung.“

„Tatsächlich?“

„Ja.“ Hannah war zwar in den USA aufgewachsen, aber ihr Vater war in Morgan Isle geboren. Er war auch weitläufig mit dem Königshaus verwandt. Lediglich aus diesem Grund hatte man sie ausgewählt, Phillips zukünftige Frau zu sein. „Aber es gibt eine Sache, die ich nie gelernt habe“, musste sie jetzt Sophie gestehen. „Und das ist Kochen.“

„Du kannst überhaupt nicht kochen?“

„Nein, ich kann höchstens ein Tiefkühlgericht in die Mikrowelle schieben.“

„Das ist ja schrecklich.“

„Aber ich wollte es immer gern lernen.“

„Dann kann ich dir ja Kochen beibringen!“, meinte Sophie eifrig.

„Würdest du das wirklich tun?“

„Ja, klar. Sehr gern sogar.“

„Das ist toll.“ Hannah strahlte Sophie an. Es war das erste Mal, dass sie hier in diesem fremden Land wirklich glücklich war. Ihr wurde nicht nur eine Schwester geschenkt, nach der sie sich immer gesehnt hatte, sie hatte auch eine Freundin gewonnen.

„Soll ich dir jetzt das Haus zeigen?“

„Sehr gern.“ Auch wenn die erste Zeit in Morgan Isle etwas schwierig gewesen war, jetzt schien sich alles zum Besseren zu wenden.

8. KAPITEL

Erst nach elf Uhr abends kehrten Hannah und Phillip wieder in den Palast zurück. Die meiste Zeit des Abends hatten er und Ethan im Gespräch über die mögliche Partnerschaft verbracht. Auf der Fahrt zurück hatte Hannah ihn gefragt, wie er denn nun zu der Sache stehe, und hatte als Antwort nur ein unbestimmtes Achselzucken erhalten. Aber irgendwie mussten die beiden sich doch geeinigt haben, denn es war klar, dass Phillip letzten Endes zugestimmt hatte. Er hatte sogar bereits geplant, in den nächsten Tagen einige der Hotelanlagen zu besuchen.

Und so kam es auch. Er schlug vor, Sonntagmorgen zu fliegen und am Donnerstagabend zurückzukommen, weniger als vierundzwanzig Stunden vor ihrer Hochzeit.

„Findest du das ungünstig?“, fragte er Hannah, als er sie zu ihrer Suite begleitete.

„Nein, warum?“ Hier ging es um das Geschäft, und es war wichtig, dass Phillip wusste, worauf er sich einließ. Außerdem brachte es Unglück, wenn sich Braut und Bräutigam so unmittelbar vor der Hochzeit sahen. Und, noch entscheidender, sie würden nicht in die Versuchung geraten, vielleicht doch nicht bis zur Hochzeitsnacht zu warten …

„Umso mehr werden wir uns freuen, uns an unserem Hochzeitstag wiederzusehen“, fügte sie lächelnd hinzu.

Er nickte nur. Und als sie vor ihrer Tür standen, fragte er: „Darf ich noch auf einen Schluck mit hereinkommen?“

Eigentlich hatte sie sich fest vorgenommen, ihm vor der Tür Gute Nacht zu sagen, aber der ganze Abend war so gut verlaufen, dass auch sie ihn nicht so abrupt beenden wollte. „Kannst du mir versprechen, dich gut zu benehmen?“

Er lächelte. „Kannst du es?“

Lachend öffnete sie die Tür. „Möchtest du noch auf einen Schluck mit hereinkommen, Phillip?“

„Ja, sehr gern.“ Er trat hinter ihr ein und schloss die Tür.

Wieder waren sie allein. Vor fünf Tagen hätte sie in dieser Situation vor Nervosität gezittert. Jetzt nahm sie alles schon ziemlich gelassen und freute sich, wenn sie zu zweit Zeit füreinander hatten.

Da nur eine kleine Lampe in einer Ecke des Raumes an war, wollte Hannah die Deckenlampe anschalten, aber Phillip hielt ihre Hand fest. „Lass nur, ich finde es schön, so etwas abgedunkelt.“ Und als sie ihn misstrauisch ansah, lächelte er wieder. „Habe ich dir nicht erzählt, dass in mir auch Vampirblut fließt? Wir Vampire scheuen das Licht.“

„So, so.“ Wenn das der Fall war, war sie ein leichtes Opfer.

Er ging zu der kleinen Bar hinüber. „Brandy?“

„Ja, gern.“

Während er den Brandy einschenkte, ließ sie sich auf die Couch fallen, streifte die Schuhe von den Füßen und zog die Jacke aus. Phillip setzte sich neben sie, legte ihr den Arm um die Schultern und zog Hannah fest an sich. Ein paar Minuten lang saßen sie einfach so nebeneinander, nippten an ihrem Drink und genossen den Augenblick. Ihn so dicht neben sich zu wissen, diesen großen attraktiven Mann, tat Hannah ausgesprochen gut. Ihr war, als ginge einiges von seiner Kraft und Zuversicht auf sie über. Das raue Kinn drückte er leicht gegen ihre Stirn, und Hannah atmete tief ein. Er roch so gut, so vertraut.

Aber im Grunde war er ihr immer noch ein ziemliches Rätsel. Auch wenn sie ihn jetzt vielleicht schon besser verstand, war ihr vieles noch sehr fremd. Doch das beunruhigte sie nicht weiter. Zwar hatte sie anfangs geglaubt, sie müsse den Mann, den sie heiratete, genau kennen. Aber jetzt gefiel ihr der Gedanke, dass sie sich im Laufe ihres Zusammenlebens immer näher kommen würden.

Sie stellte das Glas auf den Couchtisch und kuschelte sich dichter an Phillip, indem sie die Beine hochzog und sie auf seine Oberschenkel legte. Dabei schloss sie die Augen und schmiegte den Kopf an seine Brust. Wie wunderbar war es, seine Wärme zu spüren, seinen Duft wahrzunehmen und sich in seinen Armen sicher zu fühlen. Hannah wusste nicht, woher ihre felsenfeste Überzeugung kam, aber sie glaubte, dass ihr an seiner Seite nichts passieren könnte.

Diese kostbaren Minuten wollte sie sich ganz fest einprägen, sodass sie sich immer daran erinnern konnte, wenn er nicht bei ihr war. So würde er ihr nicht zu sehr fehlen … oder sie würde ihn umso schmerzlicher vermissen.

Nach einer Weile küsste er sie leicht auf die Stirn. „Schläfst du hier auf meinem Schoß ein?“

„Nein, ich denke nach.“

„Worüber?“

„Darüber, wie oft ich mir diese Situation vorgestellt habe. Wie es sich wohl anfühlen würde.“

„Und? Wie fühlt es sich an?“

Sie schlang beide Arme um ihn und drückte ihn schläfrig und zufrieden an sich. „Wunderbar. Absolut perfekt.“

Auch er stellte jetzt sein Glas ab. „War das alles, was du dir ausgemalt hast?“

Lächelnd sah sie zu ihm hoch. Sie wusste genau, worauf er anspielte. „Meistens haben wir uns dann auch noch geküsst.“

Sofort senkte er den Kopf und strich ihr leicht mit den Lippen über den Mund, sodass sie leise aufstöhnte. „So etwa?“

„Ja, genau so.“

Wieder beugte er sich vor und küsste sie, diesmal jedoch nicht sanft und zärtlich, sondern leidenschaftlich. Und obwohl Hannah den Kuss sofort voller Verlangen erwiderte und merkte, wie ihr Herz schneller zu schlagen anfing und eine verführerische Wärme in ihr aufstieg, war diesmal alles anders. Sosehr sie sich wünschte, ihm nahe zu sein, so empfand sie diesmal nicht diese kaum zu bezwingende Begierde, die sie alles um sich her vergessen ließ.

Phillip musste Ähnliches empfunden haben, denn auch er ließ sich Zeit, während er sie küsste und streichelte. Und erneut war sie überwältigt von der Erkenntnis, wie gut ihre Körper und Wünsche zusammenpassten. Nie hätte Hannah das für möglich gehalten.

Als Phillip ihr schließlich ins Ohr flüsterte: „Ich sollte jetzt gehen. Es ist schon spät“, hatte sie keine Ahnung, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Hannah presste die Wange gegen seine Brust und kuschelte sich fester in seine Arme. „Ich wünschte, du könntest bleiben.“

„Es dauert ja nicht mehr lange, und ich kann die ganze Nacht bei dir sein.“

Zögernd löste sie sich von ihm und rutschte von seinem Schoß. Phillip stand auf und reichte ihr die Hand, um sie hochzuziehen. An der Tür blieben beide stehen und gaben sich einen Gutenachtkuss, der sehr viel länger ausfiel, als Hannah beabsichtigt hatte. Ihr fiel es schwer, sich zu trennen. Und als sie sich schließlich voneinander lösten, waren beide ein bisschen außer Atem.

„Ich muss jetzt wirklich gehen“, sagte er leise. „Morgen habe ich einen anstrengenden Tag vor mir. Und du hast sicher auch einiges zu tun.“

„Ja, das stimmt.“ Sie ließ die Arme sinken und trat ein paar Schritte zurück. „Meinst du, dass du morgen Nachmittag ein paar Minuten erübrigen könntest? Der Innenausstatter kommt, und ich würde dir gern die neuesten Pläne zeigen, um zu wissen, was du davon hältst.“

„Da vertraue ich dir vollkommen.“

Das war ja schön und gut, aber ihr wäre es doch lieber, wenn auch er seine Meinung äußern würde. „Ich möchte ganz sicher sein, dass du auch damit einverstanden bist.“

Er zuckte kurz mit den Schultern. „Na gut, wenn es für dich wichtig ist.“

„Ja, das ist es.“

„In Ordnung. Dann kann ich gleich mal sehen, ob mir gefällt, was der Designer vorschlägt. Wenn ja, kann er auch meine Suite neu ausstatten.“

Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie seine Worte verstand, und noch ein paar Sekunden länger, bis sie begriff, was er damit meinte. Auf einmal wurde ihr sonnenklar, warum ihm relativ gleichgültig war, wie sie die Suite dekorierte.

Nicht, weil er auf ihren Geschmack vertraute. Sondern, weil er nicht vorhatte, mit ihr gemeinsam in dieser Suite zu leben.

Irgendetwas war schiefgelaufen.

Phillip spürte es genau. Und das stand Hannah deutlich ins Gesicht geschrieben. Aber was nur? Er hatte keine Ahnung, was sie so entsetzte.

Hatte er sich heute Abend nicht genau richtig verhalten? Und von Sophies „Falle“ einmal abgesehen, war doch alles absolut glattgelaufen, nachdem er sich einmal mit Ethans Anwesenheit abgefunden hatte. Mit Hannah zusammen zu sein bereitete ihm keine Mühe. Im Gegenteil, er freute sich, wenn sie bei ihm war. Und das hatte er ihr auch gezeigt.

Warum wirkte sie dann trotzdem todunglücklich?

„Hannah, was ist los? Was habe ich getan?“

Sie senkte den Blick und tat überrascht. „Wieso? Was sollst du getan haben?“

Hielt sie ihn wirklich für so blöd oder egoistisch, dass er nicht bemerkte, was mit ihr los war? „Du siehst aus, als hätte ich etwas gesagt oder getan, was dir Kummer macht.“

Heftig schüttelte sie den Kopf, zu heftig, und zwang sich zu einem Lächeln. „Nein, wieso denn?“ Und sie sah ihn immer noch nicht an.

Er stöhnte leise. „Du bist eine schlechte Lügnerin.“ Offenbar würde sie es ihm nicht leichtmachen. Er musste sie zwingen, die Wahrheit zu sagen. Frauen! Nie würde er verstehen, wie ein weibliches Gehirn arbeitete. Aber so schnell gab er nicht auf. „Okay, dann erzähl mir einfach, weshalb du verärgert bist.“

„Ich bin nicht verärgert, nur müde. Es ist schon spät, und ich bin erschöpft.“

„Das ist nicht alles.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich gehe nicht, bevor du mir nicht gesagt hast, was mit dir los ist.“

Nach einem kurzen Blick auf seine entschlossene Miene wusste sie, dass es ihm ernst war mit dem, was er sagte. „Es ist … albern.“

„Was ist albern?“

„Ich dachte … ich ging immer davon aus …“

Geduldig wartete er.

Sie blickte wieder zu Boden. „Ich ging immer davon aus, dass wir nach der Hochzeit zusammen in einer Suite wohnen.“

Jetzt war es an ihm, überrascht zu sein. Erstaunlich, dass sie wirklich mit ihm zusammenleben wollte. Und noch erstaunlicher, dass es sie so bekümmerte, weil das nicht der Fall war. Auf die Idee wäre er nie gekommen. Seine Eltern hatten nie eine Suite geteilt. Aber in der Welt, in der Hannah aufgewachsen war, zog man wohl nach der Hochzeit zusammen.

Doch ihre Ehe entsprach nicht dem typischen Muster. Das hatte sie vorher gewusst, und er würde auch nichts daran ändern. „Hannah, ich …“

„Lass nur. Ist schon okay.“

Aber es war nicht in Ordnung, das war ihr an der Nasenspitze anzusehen. Sosehr sie sich auch bemühte, sich zu beherrschen, sie war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Das tat ihm zwar leid, aber in diesem Punkt konnte er keine Kompromisse machen. „So war es immer und wird es immer sein. Meine Eltern haben so gelebt, und ich habe nicht vor, es anders zu machen.“

„Verstehe.“

Aber es war deutlich zu sehen, dass sie eben nicht verstand. Sie wirkte gekränkt und verwirrt.

„Ich war davon ausgegangen, dass du wusstest, es handelt sich hier um eine arrangierte Ehe. Und es tut mir leid, wenn du jetzt über diese Tatsache traurig bist oder vielleicht mein Verhalten missdeutet hast.“ Darüber, dass er der König war und die Regeln aufstellte, hatten sie doch oft genug gesprochen. Allerdings war das mehr oder weniger im Scherz geschehen, und diese Situation jetzt war alles andere als komisch.

Sie schniefte leise und wischte sich über die Wange. „Ich weiß sehr wohl, dass dies eine arrangierte Ehe ist mit anderen Gesetzen. Also vergiss bitte, was ich gesagt habe.“

Ihm tat es leid, dass sie so traurig war, und zu sehen, wie sehr sie sich bemühte, das zu verbergen. Gern hätte er etwas gesagt, um sie zu trösten, aber ihm fiel überhaupt nichts ein. Er war hilflos, und dieses Gefühl war absolut neu für ihn und verunsicherte ihn.

Jetzt atmete sie tief durch und sah ihn dann mit ihren großen Augen ernst an. „Entschuldige. Ich bin einfach müde und erschöpft.“ Dann gelang ihr ein Lächeln, das beinahe echt wirkte. „Ich müsste schon längst im Bett sein. Vor allem nach dieser verrückten Woche.“

Ja, es war eine verrückte Woche gewesen, auch für ihn. Denn vieles hatte sich vollkommen verändert, wobei Hannah allerdings die größere Veränderung auszuhalten hatte. An dieses neue Leben mussten sie sich beide erst gewöhnen. Vielleicht konnte er ihr entgegenkommen und ihr die Eingewöhnung erleichtern, indem er etwas mehr Zeit mit ihr verbrachte? „Hast du morgen zur Lunchzeit schon etwas vor?“

„Nein, nichts, was ich nicht auch verschieben könnte.“

Er wusste zwar nicht, wo er die Zeit hernehmen sollte, aber er würde es schon irgendwie einrichten, wenn es Hannah guttat. „Wir könnten zusammen essen und dann noch ein bisschen im Garten spazieren gehen.“

„Sehr gern.“ Sie strahlte ihn an.

Zu seiner eigenen Überraschung wurde ihm ganz warm ums Herz, als er sah, wie glücklich sie über diesen Vorschlag war. „Ein Uhr?“

Sie nickte heftig.

„Abgemacht.“ Er drückte ihr noch einen kurzen Kuss auf die Lippen und öffnete dann die Tür. „Bis morgen.“

„Bis morgen.“ Langsam schloss sie die Tür hinter ihm.

Während er zu seiner Suite ging, dachte er an all das, was in der letzten Woche passiert war, von dem Augenblick an, als sie aus dem Auto gestiegen und in sein Leben getreten war. Dass sie sich auf ihre Rolle als seine Frau vorbereitet hatte, wusste er. Und ihm war auch klar, dass sie diese Aufgabe sehr ernst nahm. Aber warum? Bevor sie nach Morgan Isle kam, war er immer davon ausgegangen, dass sie im Wesentlichen der Titel reizte. Dass sie es für ihre Familie tat und es als ihre Pflicht ansah. Aber jetzt sah es beinahe so aus, als wolle sie mit ihm eine richtige Ehe führen. Als erwarte sie, dass sie zusammenlebten in Liebe und Treue und nur füreinander da waren.

Das war bei Weitem mehr, als er bereit oder in der Lage war zu geben.

Der Freitag kam schneller heran, als Hannah sich hatte vorstellen können. Obgleich sie sich die letzten acht Jahre auf diesen Tag vorbereitet hatte, ging jetzt doch alles zu schnell, und sie hatte das Gefühl, noch gar nicht bereit zu sein. Und so sehr sie sich auch vorgenommen hatte, sich wegen der Frage des Zusammenwohnens nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, sie konnte sich gedanklich einfach nicht davon lösen.

So ganz allmählich wurde ihr klar, dass ihre Vorstellungen von einer Ehe mit Phillip vollkommen an der Wirklichkeit vorbeigingen, albern und naiv waren. Und gerade sie hätte es doch besser wissen sollen, hätte vorhersehen können, dass im Leben eben nicht immer alles nach ihren Wünschen ging. Sonst wäre ihr Vater nicht so plötzlich gestorben, und ihre Mutter hätte nicht alle Anstrengungen darauf verwendet, ihn möglichst bald zu ersetzen.

Sie konnte nicht erwarten, dass Phillip plötzlich sein altes Leben aufgab, von dem sie nach wie vor viel zu wenig wusste, und sich nach dem richtete, was sie sich unter einer Ehe vorstellte.

Und dennoch konnten Phillip und sie glücklich werden, sie musste nur Geduld haben. Mit der Zeit würde sie schon herausfinden, wie sie mit ihm umgehen musste, wann sie kompromissbereit zu sein hatte und wie sie sich in sein Leben einfügen konnte.

Was für eine Kindheit musste er gehabt haben, wenn ihm nie in den Sinn gekommen war, dass Mann und Frau auch zusammenwohnen konnten? Wahrscheinlich hatte er allerlei aushalten müssen und hatte eigene Wünsche schließlich so tief in sich verborgen, dass er sie selbst nicht mehr kannte. Sie musste darauf Rücksicht nehmen und durfte nicht zu viel verlangen.

Je mehr sie darüber in der vergangenen Woche nachgedacht hatte, als sie versuchte, sich über seine Gefühle klar zu werden, desto trauriger wurde sie. Ihr tat es so leid, dass er offenbar nicht in einer herzlichen Umgebung aufgewachsen war, die er genauso wie jedes andere Kind verdient hätte. Sie würde ihm zeigen, was bedingungslose Liebe war und wie viel Glück man in einer echten Beziehung finden konnte. Eine schwere Aufgabe, aber sie würde sie meistern.

Alles würde gut werden.

Wie ein Mantra sagte sie sich diese Worte immer wieder vor, auch noch, als ihre Mutter und die Brautjungfern sie am Donnerstagnachmittag zu dem Essen vor dem großen Tag abgeholt hatten.

Auch während der letzten Anprobe ging ihr dieser Satz nicht aus dem Kopf, und bei dem spontanen Essen, das Sophie für die Braut gab, konnte sie sich nicht davon lösen. Alles würde gut werden. Alles musste gut werden.

Während alle Anwesenden in bester Laune Champagner tranken und sich Geschichten aus ihrem Leben erzählten, hatte Hannah ein starres Lächeln aufgesetzt, um zu verbergen, was in ihr vorging. Dass sie nämlich zum ersten Mal, seit sie beschlossen hatte, Phillip zu heiraten, ihre Entscheidung anzweifelte.

Doch immer wieder verdrängte sie diesen Gedanken, äußerte sich sogar erfreut über die Hochzeitspläne der Mutter und sagte strahlend „Ja“, als man sie fragte, ob dieses Leben nun das war, was sie sich immer erträumt hatte.

Denn es war so, oder es würde so sein. Zumindest hoffte sie das.

Es war bereits nach Mitternacht, als sich die Gesellschaft auflöste und Hannah endlich in ihrer Suite allein war. Nun lenkte sie nichts und niemand mehr von dem Gedanken ab, ob es denn richtig war, was sie vorhatte. Nicht, dass ihr in den Sinn kam, einen Rückzieher zu machen oder sie diese Lösung überhaupt erwog. Nein, sie wollte Phillip heiraten. Sie war lediglich schrecklich verwirrt und verängstigt.

Wenn sie nun einen großen Fehler machte? Wie sehr wünschte sie sich, dass von irgendwoher ein Zeichen käme, das ihr sagte, alles würde gut und ihre Entscheidung sei richtig.

In diesem Augenblick klopfte es. Dann hörte sie Phillips Stimme.

„Hannah, ich bin’s! Mach auf!“

Sie lief zur Tür, öffnete sie aber nur einen Spalt. Sosehr sie sich danach sehnte, ihn zu sehen, die Hochzeit stand kurz bevor, und es war unmöglich, ihren Verlobten jetzt noch einzulassen. Das verhieß Unglück, und sie war bereits deprimiert genug und voll böser Ahnungen.

Ohne Phillip anzusehen, sagte sie: „Du darfst nicht hereinkommen.“

„Ich weiß“, flüsterte er. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich aus den USA zurück bin und du dir keine Sorgen machen musst, ich könne vielleicht zu spät zur Hochzeit erscheinen.“

„Wie war deine Reise?“

„Anstrengend. Zehn Hotels in fünf Tagen. Ich bin froh, wieder zu Hause zu sein.“

Sie auch.

„Unten habe ich noch Sophie getroffen. Sie erzählte mir, sie habe für dich eine Party gegeben.“

„Ja, das war sehr nett. Alle haben sich gut amüsiert. Und ich habe mich gefreut, meine Freunde wiederzusehen. Du lernst sie morgen kennen.“

„Sophie meinte allerdings, du seiest über irgendetwas traurig gewesen.“

Wie hatte Sophie das gemerkt? Hannah hatte sich doch große Mühe gegeben, nicht zu zeigen, wie ihr zumute war. „Wie kam sie denn auf die Idee?“

„Keine Ahnung. Aber deshalb wollte ich mich nur schnell vergewissern, dass alles in Ordnung ist.“

Er machte sich Sorgen um sie! Das war nicht viel, aber es freute sie sehr. „Ja, alles ist in Ordnung.“

„Gott sei Dank!“ Er schien wirklich erleichtert zu sein. „Ich dachte schon, du hättest es dir noch mal überlegt.“

Hatte er ernsthaft befürchtet, sie würde ihn nicht heiraten? Das Wissen, dass er ein bisschen verunsichert war, tat ihr unendlich gut. Nicht nur sie hatte ihre Zweifel. „Und du? Hast du es dir noch mal überlegt?“

Kurz schwieg er. Dann erklärte er mit Nachdruck: „Nein. Ich will dich heiraten.“

Sie lächelte. „Ich dich auch.“

„Du hast mir gefehlt“, sagte er leise und beinahe erstaunt. So, als habe er nicht damit gerechnet und müsse es sich jetzt eingestehen. Das war es, das Zeichen. „Du mir auch“, flüsterte sie überwältigt. „Ich gehe jetzt ins Bett. Wir sehen uns dann morgen. Schlaf gut.“

„Du auch.“

Langsam entfernten sich seine festen Schritte. Hannah schloss die Tür und lehnte sich aufatmend dagegen.

Die schwarze Wolke, unter der sie die ganze Woche gelebt hatte, hatte sich plötzlich verzogen. Sie war so erleichtert und gleichzeitig so glücklich, dass ihr die Knie weich wurden.

Morgen würde sie Königin Hannah Augustus Mead sein.

9. KAPITEL

Der nächste Tag ging wie im Rausch vorbei und war vorüber, ehe Hannah noch recht bewusst war, was geschah. So hatte sie auch gar keine Zeit, nervös zu sein. Lediglich, als sie durch die Kirche auf den Altar zuging, fühlte sie so etwas wie Traurigkeit. Wie sehr wünschte sie, dass jetzt ihr Vater bei ihr sein könnte, um sie ihrem Mann zuzuführen. Doch da sie wusste, dass niemand ihn je würde ersetzen können, machte sie diesen Gang allein.

Als sie Phillip am Ende des weißen langen Teppichs stehen sah, prächtig anzuschauen in seiner Galauniform, dabei ernst und gefasst, war sie aufgeregt und nervös zugleich und musste sich sehr auf ihre Schritte konzentrieren. Doch als sie auf ihn zuging und sah, wie sich seine Mundwinkel zu einem kleinen beruhigenden Lächeln hoben und er ihr kurz zuzwinkerte, wurde sie auf einmal ganz ruhig.

Die Zeremonie war dann sehr schnell vorbei, und als der Priester sie zu Mann und Frau erklärte, brachen alle in Jubel aus.

Dann wurden endlose Fotoaufnahmen gemacht, und als sie schließlich zum Ballsaal eskortiert wurden, war der Empfang bereits in vollem Gange. Kurz danach wurde das Essen serviert, und auch all die Bräuche wie den Hochzeitskuchen anschneiden und den Tanz eröffnen, brachten Phillip und Hannah gut hinter sich.

Leider war Hannahs Mutter nervig wie immer und wich der Tochter nur selten von der Seite. Dann allerdings erschien Sophie zur Rettung und überredete Mrs. Renault, mit ihr zu kommen. Sie müsse sie unbedingt einigen hohen Würdenträgern vorstellen.

So gelungen die Party auch war und so sehr Hannah es auch genoss, ihre alten Freunde wiederzusehen, sie musste immer daran denken, was wohl nach der Party passieren würde. Wenn Phillip und sie endlich allein waren und tun konnten, was sie wollten.

Etwas Ähnliches schien auch ihm durch den Kopf zu gehen, denn er wandte sich plötzlich zu ihr um und fragte: „Wann können wir denn eigentlich verschwinden?“

„Um elf dürfen wir uns verabschieden. Und dann können wir uns auf den Abflug in die Flitterwochen vorbereiten.“ Viel war allerdings nicht mehr zu tun. Ihre Mädchen hatten bereits alles gepackt, und sie war sicher, dass Phillips Butler auch mit allem fertig war.

Doch irgendwie fühlte sie sich unbehaglich. Wahrscheinlich war ihr die Vorstellung peinlich, dass jeder Gast sofort wusste, was sie vorhatten, wenn sie so eilig verschwanden.

Phillip zog seine Taschenuhr aus der Westentasche. „Viertel nach zehn.“

„Dann haben wir gerade noch Zeit zu einer letzten Runde, um uns von allen zu verabschieden und uns zu bedanken.“

Er nahm sie beim Arm. „Großartige Idee.“

Langsam schlenderten sie von Grüppchen zu Grüppchen, bedankten sich bei allen, dass sie an diesem Tag gekommen waren, und nahmen wieder unzählige gute Wünsche entgegen. Auf die Frage, wie sie sich denn nun als Königin fühle, antwortete Hannah stereotyp „sehr geehrt“, obgleich ihr gar nicht wohl bei dem Gedanken war, jetzt weibliches Oberhaupt des Staates zu sein. Aber das behielt sie für sich.

Es war fünf Minuten vor elf, sie verabschiedeten sich gerade vom Premierminister und seiner Frau, als Hannah das unbehagliche und gleichzeitig vertraute Gefühl hatte, jemand beobachte sie. Möglichst unauffällig schaute sie sich im Raum um, und da war sie auch wieder.

Die dunkelhaarige Schöne, die sie bereits am ersten Abend so auffällig gemustert hatte.

Diesmal starrte sie Hannah offen und feindselig an. Aber warum? Hannah kannte die Frau nicht und konnte sich nicht erklären, wodurch sie ihren Hass auf sich gezogen hatte.

Schnell wandte sie sich zu Phillip um, um ihn zu fragen. Aber er war gerade in ein Gespräch vertieft, und so wagte sie es nicht, ihn zu stören. Und als sie sich wenige Minuten später wieder nach der geheimnisvollen Schönen umsah, konnte sie sie nirgends mehr entdecken, obgleich sie mit Blicken den ganzen Raum absuchte.

„Was ist los?“, fragte Phillip, der ihre Unruhe bemerkt hatte.

Sollte sie ihm von der mysteriösen Erscheinung erzählen? Wahrscheinlich hatte das nicht viel Sinn, jetzt, da die Frau nicht mehr zu sehen war. So lächelte Hannah lediglich und meinte: „Nichts. Ich suche nur nach meiner Mutter, um mich von ihr zu verabschieden.“

„Dann wollen wir mal zusehen, dass wir sie möglichst bald finden, damit wir hier wegkommen.“

Eigentlich war Hannah davon überzeugt, dass die Frau nicht von Bedeutung war und sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Alles hatte an diesem Hochzeitstag wunderbar geklappt, und sie würde sich ihre gute Laune nicht durch eine Albernheit verderben lassen.

Dennoch, tief in ihrem Inneren hatte sie das Gefühl, dass irgendetwas passieren könnte, etwas Unangenehmes, ja, Bedrohliches …

Um Viertel nach elf lieferte Phillip Hannah an der Tür zu ihrer Suite ab. Er selbst wollte sich umziehen. Hannah wurde von ihren Zofen in Empfang genommen, die ihr halfen, ihr Hochzeitskleid abzulegen, eine Hilfe, die wegen der vielen kleinen Knöpfe auf dem Rücken auch sehr willkommen war.

Endlich war sie ausgekleidet und konnte die Mädchen entlassen. Jetzt schnell, Phillip konnte jeden Augenblick kommen. Aus der hintersten Ecke des Kleiderschrankes holte sie eine Schachtel hervor, die sie für diesen Tag aufgehoben hatte, und holte vorsichtig das weißseidene, fast durchsichtige Nachthemd heraus. Sie streifte es über, es lag an wie eine zweite, kühlende Haut.

Da Phillip es liebte, wenn sie ihr Haar offen trug, nahm sie alle Spangen und Klammern heraus und bürstete es so lange, bis es ihr in weichen Wellen glänzend auf den Schultern lag. Ein Tupfer Parfüm hinter die Ohren, und fertig.

Wie Hannah angeordnet hatte, hatte Elizabeth im Schlafzimmer überall weiße Kerzen verteilt, die bereits mit ruhiger Flamme brannten. Als sie die Deckenlampe ausschaltete, war genau der Effekt da, den Hannah sich erhofft hatte. Der Raum war von einem sanften schimmernden Licht erfüllt.

Die Zofen hatten das Bett bereits aufgeschlagen und eine Rose auf jedes Kopfkissen gelegt. Neben dem Bett stand ein Kühler mit einer Flasche Champagner.

Perfekt.

„Das sieht ja richtig nach Arbeit aus“, sagte eine tiefe Stimme, und Hannah wirbelte erschreckt herum.

Phillip stand an der Schlafzimmertür. Zu der schwarzen Hose trug er ein weißes Seidenhemd, das er nicht zugeknöpft hatte, sodass seine nackte Brust im Kerzenlicht aufregend schimmerte.

Unter seinem forschenden Blick fühlte sie sich völlig nackt, was auch kein Wunder war, da das Nachthemd kaum etwas verbarg. Instinktiv wollte Hannah die Brüste mit den Händen bedecken, aber sie unterdrückte diesen Drang. Phillip sollte auf keinen Fall glauben, dass sie nervös war. „Ich habe dich nicht klopfen hören.“

„Kein Wunder, denn ich habe nicht geklopft. Ich dachte, das sei nicht mehr nötig, da wir doch jetzt verheiratet sind.“ Er kam auf sie zu, und wieder glänzte dieser hungrige Blick in seinen Augen. „Sieht so aus, als hätte ich viel zu viel an“, meinte er lächelnd und ließ sein Hemd von den Schultern auf den Boden gleiten.

Ihr stockte der Atem, als sie ihn so halb nackt vor sich stehen sah. Im Kerzenlicht wirkte seine Haut bronzefarben und warm, und mit den ebenmäßigen Gesichtszügen und dem kurz geschnittenen welligen Haar sah er aus wie ein griechischer Gott.

Jetzt stand er vor ihr, und sie hoffte, dass er nicht merkte, wie nervös sie war. Ihr Herz schlug wie verrückt, ihr zitterten die Hände. Doch sie hielt sich aufrecht und sah Phillip direkt in die Augen.

Langsam hob er eine Hand und legte sie auf ihre Brust. „Sehr schön“, sagte er leise.

Sie schluckte und versuchte, sich zu entspannen.

„Nervös?“

„Nein“, stieß sie leise und nicht sehr überzeugend hervor. „Vielleicht ein bisschen. Und du?“

Er lächelte und schüttelte den Kopf.

Natürlich war er nicht nervös. Anders als sie hatte er in diesem Punkt sicher reichlich Erfahrung.

Er beugte sich vor und küsste sie auf die nackte Schulter. Seine Lippen fühlten sich warm und weich an. Hannah erschauerte, als sie seinen Atem auf der Haut spürte. „Du duftest so gut“, sagte er leise.

Und er erst! Sie liebte seinen Geruch und seine Berührungen, und dennoch stand sie immer noch regungslos da.

Wovor hatte sie nur Angst? Sie hatte ihn doch schon früher berührt. Aber diesmal war es anders, diesmal würde er sich nicht mit einem Kuss begnügen, und das wusste sie. Und sosehr sie sich auch danach sehnte, sosehr beunruhigte es sie auch.

Als er ihr die Hand auf die Hüfte legte, zuckte Hannah zusammen und verkrampfte sich.

„Entspann dich, Hannah.“

Sie atmete tief durch. „Es ist nur, weil … weil ich nicht weiß, was ich tun soll. Es ist mein erstes Mal.“

Das schien ihn nicht zu enttäuschen, im Gegenteil. Er lächelte sie liebevoll an. „Verhalt dich einfach so, wie es dir in den Sinn kommt. Vertrau einfach deinem Instinkt.“

Genau das war das Problem. Ihr Instinkt schien sie verlassen zu haben. „Vielleicht möchtest du mich berühren?“, fragte er sanft, nahm ihre Hand und legte sie sich auf die Brust.

Wie gut sich das anfühlt, dachte Hannah.

Vorsichtig zog er sie näher an sich heran und küsste sie mit der Zunge hinter dem Ohr. Oh, das war gut, sogar mehr als gut. Dann strich er ihr mit den Lippen über den Hals und küsste sie wieder auf die Schulter. Was für ein erregendes Gefühl. Hannah schloss kurz die Augen.

„Ehrlich gesagt, war ich nicht ganz sicher, ob du wirklich noch mit keinem Mann geschlafen hast“, flüsterte er. „Nein?“, erwiderte sie ebenso leise. Das hätte er doch merken müssen.

„Nein, nicht nach dem Abend in meiner Suite. Du schienst sehr genau zu wissen, was du wolltest.“ Er küsste sie wieder auf den Hals, bevor er sanft ihre Wangen streichelte. „Die Situation ist jetzt nicht anders.“

Mit beiden Händen strich er ihr über die Seiten und hielt inne, als er ihre Brüste streifte. „Dann hat dich noch kein Mann so berührt?“

Ihr Atem kam schneller, und sie spürte, wie die Brustspitzen hart wurden. „Nein“, stieß sie hervor.

„Noch nie?“

Heftig schüttelte sie den Kopf. Offenbar gefiel ihm die Antwort, denn er lächelte. Und auch ihr war der Gedanke alles andere als unangenehm, dass sie nur ihm gehören würde.

„So etwas hat noch nie jemand mit dir gemacht?“ Mit beiden Händen bedeckte er ihre Brüste und reizte die harten Spitzen mit den Daumen.

Hannah stöhnte leise auf. Und mehr brauchte sie nicht zu tun. Mit einer einzigen Bewegung hob er sie hoch und legte sie auf das Bett. Genauso schnell hatte er sich die Hose ausgezogen und über den nächsten Stuhl geworfen.

Staunend beobachtete sie ihn und konnte nichts dagegen tun, dass ihr Blick auf den Boxershorts hängen blieb, die sehr deutlich zeigten, wie erregt er war. Sie war zwar keine Expertin, aber auch sie stellte fest, dass er da wohl … großzügig ausgestattet war.

Dann war er neben ihr, stützte sich auf einen Ellbogen und bedachte sie mit einem schläfrigen Raubtierlächeln. „So weit wären wir also.“

„Ja, so weit wären wir.“ Sie hatte schon beinahe geglaubt, dass dieser Augenblick nie kommen würde.

Seine Augen glänzten dunkel, als er sich vorbeugte und mit den Lippen über ihre Brüste glitt. Ein warmer Schauer durchrieselte ihren Körper. Und trotz des seidenen Stoffs fühlte sie sich, als wäre sie bereits nackt. Leise keuchend kam sie ihm entgegen.

Wie zufällig schob er den Zeigefinger unter einen Träger und streifte ihn ihr über die Schulter, sodass ihre Brüste seinen Blicken nicht länger verborgen blieben. Sofort war er über ihr und nahm eine der harten Spitzen in den Mund. Jetzt erst merkte Hannah den Unterschied, als er die Brustwarze diesmal mit Lippen und Zunge reizte.

Es war ein unglaubliches Gefühl.

Wie von Weitem nahm sie das eigene Stöhnen wahr und wurde sich bewusst, dass sie die Hände in sein dichtes Haar geschoben hatte und seinen Kopf fest an sich presste. Mehr, sie sehnte sich nach mehr …

Er erfüllte ihr die stumme Bitte, drängte sich an sie und küsste sie leidenschaftlich, bevor er eine warme Spur aus Küssen über ihre Brüste und den flachen Bauch zog. Hannah spürte seine Hände auf sich und merkte, wie heiß ihr war. Er berührte, verwöhnte und streichelte sie, wie sie es sich nur in ihren kühnsten Träumen hatte vorstellen können.

„Du hast zu viel an“, stieß er dann rau hervor und zog ihr mit einer schnellen Bewegung das Nachthemd über den Kopf. Jetzt lag sie fast nackt vor ihm, nur noch mit einem Spitzenslip bekleidet. Sein intensiver Blick ruhte auf ihrem Körper. „Du bist so schön.“

Plötzlich hatte sie keine Angst mehr und konnte sich auch kaum mehr vorstellen, warum sie nervös gewesen war. Alles war so, wie es sein sollte, absolut richtig. Noch nie hatte sie sich ihm so nahe gefühlt. Noch nie hatte sie sich irgendjemandem so nahe gefühlt.

Ihr stockte der Atem, als sie seine Hand zwischen den Oberschenkeln spürte. Eine Welle glutvollen Verlangens durchflutete ihren Körper. Und auch der Slip war ihr jetzt noch zu viel. Bereitwillig hob Hannah die Hüften, damit er ihn ihr abstreifen konnte.

Und er sollte auch endlich nackt sein. Ungeduldig griff sie nach seinen Shorts. Er lachte und entledigte sich hastig des störenden Stoffs. Sekunden danach war er wieder über ihr und küsste sie, bis sie glaubte, den letzten Rest ihres Verstandes zu verlieren. Seine Hände schienen überall zu sein, er streichelte und erregte sie, sodass sie es kaum noch aushielt und unwillkürlich die Beine spreizte. „Oh, Phillip …“

Endlich, endlich schob er sich zwischen ihre Oberschenkel. „Ich lasse es langsam angehen …“, murmelte er undeutlich zwischen schnellen Atemzügen.

Aber sie wollte es nicht langsam. Sie musste ihn ganz spüren, in sich, jetzt. Fordernd legte sie die Hände auf seine Hüften und hob sich ihm ungeduldig entgegen.

Dann drang er in sie ein. Sie erbebte, ein kurzer Schmerz, und sie nahm sie ihn in sich auf. Was sie dabei empfand, lag jenseits jeder Vorstellungskraft. Von ihren Gefühlen überwältigt, rang sie nach Atem und schloss die Augen. Es war so … wunderbar.

Er zog sich zurück, um dann wieder sanft in sie einzudringen. Mit einem zunächst langsamen und dann immer entfesselteren Rhythmus fachte er ihre Lust an. Und ohne dass es ihr bewusst war, schlang sie ihm die Beine um die Hüften und drängte sich fest an ihn. „Phillip, ja, bitte …“, bat sie keuchend, obgleich sie nicht wusste, worum sie ihn bat.

Wieder drang er in sie, diesmal schneller und härter. Überrascht schrie sie auf und sah ihn aus großen Augen an, ohne ihn zu sehen.

Noch nie hatte er etwas so Erregendes erlebt. Noch nie hatte er eine Frau so schnell zum Gipfel der Lust bringen können. Und dennoch wollte er sich Zeit lassen, wollte es genießen zu sehen, wie ihr Körper auf seine Berührungen reagierte. Und jetzt spürte er, wie sie erschauerte. Sie riss die Augen auf, ein überrascht klingendes Stöhnen entfuhr ihr, dann schrie sie ihre Lust laut heraus, drängte sich noch einmal an ihn und sank dann schwer atmend zurück.

Er konnte sich nicht mehr zurückhalten. Ein letztes Mal drang er in sie ein und ließ sich fallen … Zumindest hatte er den Eindruck, in einem heißen Wirbel ins Bodenlose zu fallen. Es war unglaublich.

Als Phillip die Augen wieder öffnete, begegnete er Hannahs wachem Blick. Allerdings wirkte sie genauso erschöpft, wie er sich fühlte. Ihre Wangen waren rot, und ihr Atem kam in schnellen kurzen Stößen.

„Wie geht es dir?“, fragte er leise.

„Gut.“ Doch als er sein Gewicht ein wenig verlagerte, verzog sie schmerzlich das Gesicht.

„Tut es weh?“

„Ein bisschen“, gab sie zu.

Vorsichtig löste er sich von ihr, drehte sich auf den Rücken und zog sie an sich. Zufrieden schmiegte sie sich an ihn und legte ihm den Kopf in die Armbeuge. Das Bettlaken war um ihre Beine gewickelt, aber davon nahmen sie beide keine Notiz. Noch nie war er so entspannt gewesen. Ihm war, als würde er in die Matratze einsinken, so gelockert und gelöst fühlte sich sein Körper an.

So seltsam es auch war, er hatte sich noch nie so gut gefühlt.

Zu heiraten und das Eheversprechen zu geben war nicht so lästig gewesen, wie er befürchtet hatte. Als Sophie in der Nacht vor der Hochzeit zu ihm gekommen war und ihm erzählt hatte, dass Hannah unglücklich sei, war er selbst über seine Reaktion überrascht gewesen. Denn die Vorstellung, sie könne ihre Sachen packen und wieder in die USA zurückkehren, gefiel ihm ganz und gar nicht. Offenbar hatte er sich bereits an sie gewöhnt, ja, er musste zugeben, dass sie ihm durchaus sympathisch war.

Er konnte nur hoffen, dass ihr das genügte.

Einige Minuten lang lagen sie schweigend nebeneinander. Als sich ihr Atem und Puls wieder beruhigt hatten, fragte Hannah leise: „Ist es immer so?“

„Was meinst du mit so?“

„Es fühlte sich so gut an … so befriedigend. Ich hätte nicht gedacht, dass es so sein würde, nicht bei meinem ersten Mal.“

„Vielleicht bist du ein Naturtalent.“

Sie lächelte ihn an. „Müssen wir lange warten?“

„Warten? Worauf?“

„Bevor wir es noch mal machen.“

Schon? „Ich dachte, du müsstest dich ein bisschen erholen?“

„Nicht mehr.“ Sie legte ihm die Hand auf den Bauch, scheu, aber auch neugierig, und sofort war Phillip wieder bereit.

Er drehte sie auf den Rücken und blickte lächelnd auf sie herunter. „Wer sagt, dass wir überhaupt warten müssen?“

Ihre Unschuld und ihre Offenheit waren einfach entwaffnend und zusammen mit ihrem absoluten Vertrauen zu ihm ein starker Reiz. Er war sofort wieder erregt. Aber wie lange würde das vorhalten?

Ihre Unschuld würde sich bald verbraucht haben. Und dann?

Das, was an ihr neu und überraschend war, würde bald vertraut sein. Und mit ihr zu schlafen war dann mehr Pflicht als Vergnügen. Eines Tages würden sie überhaupt kein körperliches Interesse mehr aneinander haben.

Doch so weit war es noch nicht. Als Hannah ihm die Arme um den Hals legte und ihn zu einem Kuss zu sich herunterzog, nahm Phillip sich vor, sich um die Zukunft noch keine Gedanken zu machen.

Erst einmal wollte er genießen, was die Gegenwart ihm bot.

10. KAPITEL

Früh am nächsten Morgen flogen sie nach Monaco, wo die königliche Jacht vor Anker lag. Dort wollten sie ihre Flitterwochen verbringen. Irgendwie hatte Phillip ein bisschen Angst davor. Denn die Vorstellung, zwei Wochen lang mit ein und derselben Frau auf engem Raum verbringen zu müssen, stimmte ihn nicht gerade fröhlich. Sicher würde er sich zu Tode langweilen.

Schon während des Fluges überlegte er, wie er Hannah dazu bringen könnte, die Flitterwochen zu verkürzen. Auf keinen Fall wollte er sie kränken, also musste er es wohl sicher eine Woche mit ihr aushalten. Doch länger? Er würde verrückt werden.

Da sie in der letzten Nacht nur wenig Schlaf bekommen hatten, verbrachten sie den ersten Tag im Wesentlichen damit, auf Deck im Liegestuhl zu dösen. Hin und wieder sprangen sie ins Wasser, um sich abzukühlen, und stillten Hunger und Durst mit Champagner und Kaviar. Und wann immer Hannah ihn auf eine ganz bestimmte Art und Weise ansah, fanden sie sich nach wenigen Minuten im Bett wieder.

Der zweite Tag verlief nicht sehr viel anders. Da Phillip sehr selten richtig Urlaub machen konnte, erlaubte er sich, diese Stunden zu genießen.

Am Montag gingen Hannah und Phillip an Land. Den ganzen Tag verbrachten sie mit Besichtigungen und Einkäufen. Das heißt, Phillip war bereit, ordentlich Geld auszugeben, doch zu seiner Überraschung hatte Hannah wenig Lust dazu.

Sie kaufte lediglich ein paar kleine Souvenirs für Familie und Freunde und bezahlte diese aus eigener Tasche.

Als er mitbekam, wie sehr sie eine Kette aus Saphiren in einem der teuren Juwelierläden bewunderte, war er beinahe erleichtert. „Komm, lass uns reingehen und sie kaufen.“

Doch sie wehrte ab. „Nein, die ist viel zu teuer.“

„Aber sie gefällt dir?“

Sie hob kurz die Schultern.

Gefällt sie dir?“

Schließlich nickte sie.

„Dann kaufen wir sie.“ Er nahm sie bei der Hand und ging auf die Ladentür zu, doch Hannah sträubte sich.

„Ich brauche sie nicht, Phillip.“

„Natürlich brauchst du sie nicht. Betrachte sie als Hochzeitsgeschenk.“

„Aber …“

„Lass sie uns wenigstens ansehen.“

Immer noch leistete sie Widerstand, und so musste Phillip sie schließlich buchstäblich in den Laden zerren. Doch als der Verkäufer die Kette aus dem Fenster nahm und sie Hannah reichte, wusste Phillip, dass sie nachgeben würde. Nach einigem Hin und Her ließ sie zu, dass er die Kette für sie kaufte, und strahlte ihn an, als er ihr die längliche Samtschachtel in die Hand drückte. Bei ihrer Freude wurde ihm warm ums Herz.

So stimmte er auch zu, als sie darauf bestand, die Kette noch im Laden umzulegen, anstatt sie ihrem Bodyguard zu übergeben. Dann schlenderten sie Hand in Hand weiter, aber immer wieder musste sie die Kette befühlen, als sei sie das Kostbarste, was sie je besessen hatte.

Als sie sich bei ihm zum zehnten Mal bedankte, sah er sie leicht irritiert an. „Du tust gerade so, als hättest du nie ein Geschenk erhalten. Ich dachte, dein Vater war sehr wohlhabend.“

„Das war er auch. Aber er hielt es für sehr wichtig, dass ich ein Gefühl für den Wert von Geld bekomme. Deshalb hat er mich nicht verwöhnt. Natürlich bekam ich zum Geburtstag und zu Weihnachten Geschenke. Aber nicht zwischendurch. Wenn ich etwas haben wollte, musste ich es mir verdienen.“

„Was denn, zum Beispiel?“

„Mein erstes Auto. Daddy meinte, ein Auto sei etwas Besonderes, das muss man sich verdienen. Also habe ich bei ihm im Büro gearbeitet, allerdings nur am Wochenende und in den Ferien, denn ich ging ja noch zur Schule. Als ich mir dann das Auto kaufen konnte, habe ich es ganz anders schätzen können. Ich habe es gut gepflegt und es auch viele Jahre gehabt.“

„Obwohl du dir ein neues Auto hättest leisten können?“

„Der alte Wagen hat noch fabelhaft funktioniert.“

Hannah war wirklich eine ungewöhnliche Frau. Immer, wenn er glaubte, sie durchschaut zu haben, überraschte sie ihn mit einem Charakterzug, den er bisher noch nicht entdeckt hatte.

„Stört es dich eigentlich, dass dir immer jemand auf Schritt und Tritt folgt?“, fragte sie jetzt und wies auf den Mann hinter ihnen, der ihnen wie ein Schatten folgte.

„Ich bin es nicht anders gewöhnt.“

„Aber hast du nicht manchmal genug davon? Möchtest du nicht mal ganz allein durch eine Stadt bummeln?“

„Das schon. Aber ich habe die Verpflichtung meinem Land gegenüber, am Leben zu bleiben“, antwortete er lächelnd, und sie lachte.

Offenbar fand sie ihn wirklich komisch, denn er konnte echtes und unechtes Lachen sehr gut unterscheiden. Als sehr angenehm empfand er, dass sie so leicht glücklich zu machen war. Viele der Frauen, mit denen er früher zusammen gewesen war, forderten seine ständige Aufmerksamkeit und erwarteten, dass er sie dauernd bewunderte. Augenscheinlich gehörte Hannah zu den seltenen Frauen, die schnell zufriedenzustellen waren.

Und was er noch mehr bewunderte, war die Tatsache, dass sie durchaus ihren eigenen Kopf hatte. Normalerweise richtete sich alles nach ihm, und es wurde getan und gesagt, was er erwartete. Besonders Frauen schienen in seiner Gegenwart keine eigene Meinung zu haben. Aber Hannah hatte keine Hemmungen, das, was er sagte, infrage zu stellen. Zuerst hatte er geglaubt, dass sie ihn manipulieren wollte. Aber dann stellte er fest, dass sie grundehrlich war und nie etwas Böses beabsichtigte. Und dennoch hatte sie eine starke Persönlichkeit.

Er mochte sie. Vielleicht sogar mehr, als für sie beide gut war.

Am Dienstagmorgen legten sie in Port De Fontvieille an, wo sie den Tag mit den Grimaldis verbrachten. Schon seit seiner Kindheit war Phillip mit der monegassischen Fürstenfamilie befreundet. Und dennoch konnte er es nicht erwarten, bis endlich Abend war, sie zu dem Schiff zurückkehren konnten und er wieder mit Hannah allein war.

Noch nie war er mit einer Frau zusammen gewesen, die so neugierig und willig im Bett war. Sie reagierte auf jede seiner Berührungen und war zu jedem Experiment bereit. Außerdem lernte sie sehr schnell und überraschte ihn jeden Tag aufs Neue.

Eigentlich wartete er schon lange darauf, dass er ruhelos wurde, immer ein Zeichen dafür, dass er sich langweilte und möglichst bald nach Morgan Isle zurückkehren sollte.

Denn war dies nicht eine arrangierte Ehe, und er erfüllte nur mehr oder weniger seine Pflicht? Aber auch mitten in der zweiten Woche musste er feststellen, dass er sich immer noch ausgesprochen wohlfühlte. Mit Hannah Zeit zu verbringen war keine Last, sondern ein einziges Vergnügen. Sie gefiel ihm gut. Sie war intelligent und schlagfertig, konnte sehr witzig sein.

Er konnte sich mit ihr richtig unterhalten und stellte plötzlich fest, dass er ihr Dinge erzählte, über die er noch nie gesprochen hatte. Persönliches. Denn zu seiner eigenen Überraschung hatte er das sichere Gefühl, dass er ihr trauen konnte, eine ganz neue Erfahrung für ihn.

Als der letzte Tag ihrer Flitterwochen herankam, musste er sich eingestehen, dass er sich wünschte, sie hätten noch mehr Zeit. Zwei Wochen waren einfach zu kurz. Das bedeutete natürlich nicht, so beruhigte er sich gleich selbst, dass etwas passiert war, was ihn zwinge, sein Leben zu ändern. Es bedeutete lediglich, dass Hannah ihn nicht so schnell langweilte, wie er erwartet hatte und es eigentlich immer bei anderen Frauen der Fall gewesen war. Sowie sie zurück in Morgan Isle, genauer, im Palast waren, würden sie das normale Leben wieder aufnehmen. Er würde seine Sachen machen und sie die ihren. Und hin und wieder würden sie sich begegnen, und wenn es nur deshalb war, weil er sie besänftigen musste. Denn sie würde wieder viel allein sein.

Auch wenn er versucht war, das lockere gemeinsame Leben noch eine Weile fortzusetzen, so musste er sich davor hüten. Das konnte gefährlich für ihn werden, er könnte sich daran gewöhnen. Deshalb war es besser, jetzt gleich einen Schlussstrich zu ziehen. Um ihr ein für alle Mal klarzumachen, wo sie stand.

Darüber würde sie nicht besonders glücklich sein, das war ihm klar. Zumindest nicht zu Anfang, aber allmählich würde sie sich an die Situation gewöhnen und begreifen, dass daran nichts zu ändern war. Sie würde sich anpassen. Ganz sicher würde sie eine Aufgabe finden, sich für etwas einsetzen, sodass sie das Gefühl hatte, etwas Sinnvolles im Leben zu tun. Und wenn dann erst die Kinder kamen, dann war das Beschäftigungsproblem sowieso gelöst. Als Mutter hatte sie genug um die Ohren.

Außerdem war sie bestimmt eine fantastische Mutter. Im Gegensatz zu ihm würden die Kinder erfahren, was es bedeutete, von der Mutter geliebt zu werden. Und selbst wenn er zu dieser Liebe den Kindern gegenüber nicht fähig war, Hannah hatte ein großes Herz und würde sie für die fehlende Liebe des Vaters entschädigen.

Dennoch wurde er einen Gedanken nicht los. Verdiente Hannah nicht ein besseres Leben als das, was er sich jetzt für sie ausmalte?

Spät am Sonnabend trafen sie wieder im Palast ein. Während ihrer Abwesenheit war die neue Suite endgültig fertig geworden. Auch Hannahs Sachen waren bereits in den neuen Räumen untergebracht. Ob wirklich nichts fehlte, würde sie erst morgen feststellen. Jetzt war sie einfach zu müde, um das zu überprüfen.

Während ihre Mädchen am Sonntagmorgen die Koffer auspackten, stand Hannah mitten in dem geräumigen Wohnzimmer und sah sich langsam und prüfend um. Alles war tatsächlich genauso geworden, wie sie es sich vorgestellt und mit dem Innenarchitekten geplant hatte, jedes Detail stimmte.

Und dennoch konnte sie sich nicht freuen. Da Phillip und sie sich während der Flitterwochen doch erstaunlich nahe gekommen waren, hatte sie auf ein Wunder gehofft. Sie hatte ein bisschen damit gerechnet, dass er verkünden würde, er habe seine Meinung geändert. Ab sofort wolle er mit ihr in der neu hergerichteten Suite wohnen.

Doch das Wunder geschah nicht. Er hatte sich in seine eigene Suite zurückgezogen und dort auch die Nacht verbracht – allein. Tief enttäuscht hatte sie sich in dem neuen Bett zusammengerollt und lange nicht einschlafen können. Offenbar hatte er fest vor, dass alles so weiterlief wie vor der Hochzeit.

Aber was hatte sie erwartet? Dass sich in zwei Wochen alles ändern würde? Dass er nach den Flitterwochen als neuer Mann nach Morgan Isle zurückkehrte, der eine ganz andere Ehe als seine Eltern führen wollte?

Das wäre sehr naiv gewesen, aber vielleicht hatte sie so etwas Ähnliches erwartet oder zumindest erhofft und sich gewünscht. Aber so eine Änderung brauchte Zeit. Die Folgen einer lieblosen kalten Kindheit ließen sich nicht in zwei Wochen aus der Welt schaffen, auch wenn es sich um Flitterwochen handelte. Als Kind hatte Phillip viel ertragen müssen, und da war es verständlich, dass er jede Möglichkeit, Gefühle zu empfinden und auszudrücken, tief in sich verschlossen hatte. Das Verhalten seiner Eltern war unverantwortlich gewesen, aber wahrscheinlich hatten sie es nicht besser gewusst, weil sie in einer ebenso freudlosen Umgebung aufgewachsen waren.

Würde das jetzt immer so weitergehen? Würde auch er seine Kinder kalt und herzlos behandeln wie sein Vater ihn? Das würde sie niemals zulassen. Sie war anders als seine Mutter, sie hatte eine glückliche Kindheit gehabt und würde dafür sorgen, dass ihre Kinder in einer liebevollen Umgebung groß wurden.

„Herzlich willkommen wieder zu Hause.“

Leise seufzend wandte Hannah sich um. Elizabeth stand in der Tür und lächelte freundlich. „Sie hatten mich angewiesen, Sie an die Geschenke zu erinnern. Die Hochzeitsgeschenke, die im Büro aufgebaut sind.“

„Ja, Elizabeth, danke.“ Seit dem Montag vor der Hochzeit waren Geschenke aus aller Welt eingetroffen, die auszupacken Hannah noch keine Zeit gehabt hatte. Doch da sie erst morgen wieder mit ihren üblichen Pflichten anfangen musste, sollte sie den heutigen Tag nutzen, um sich anzusehen, was gekommen war und wofür man sich bedanken musste. „Lassen Sie uns gleich ins Büro gehen.“

„Ja, gern.“

Beide Frauen traten auf den Flur hinaus und gingen in Richtung Treppe.

„Hatten Sie eine schöne und erholsame Zeit?“, fragte Elizabeth. „Ich habe gehört, dass Monaco zu dieser Jahreszeit besonders zu empfehlen ist.“

„Ja, das Wetter war sehr schön. Sonnig und nicht zu warm. Wir hatten eine herrliche Zeit. Aber wie ist es Ihnen ergangen? Haben Sie ein paar Tag freinehmen können, als ich nicht da war?“

Vielleicht sollte sie als Königin derart private Fragen nicht stellen. Aber Hannah machte sich Sorgen um Elizabeth, die nach ihrer Meinung viel zu viel arbeitete. Sie hatte noch nicht einmal einen Freund und war noch viel zu jung, als dass ihr Leben nur aus Arbeit bestehen durfte. Eine junge Frau wie sie musste auch ein Privatleben haben und sollte nicht allein sein. Doch Hannah konnte an Elizabeths Gesicht ablesen, dass sie ihren Rat nicht beherzigt hatte.

„Ich hatte so viel wegen der Gala zu tun, da konnte ich nicht freinehmen.“

„Vielleicht kann ich Ihnen bei den Vorbereitungen helfen“, meinte Hannah. „Ich habe zwar nicht viel Erfahrung, was die Planung von Partys betrifft, aber ich würde gern mehr darüber wissen. Da ich ja nun hier zu Hause bin, sollte ich mich auf jeden Fall mehr um das kümmern, was so abläuft.“

„Aber gern. Ist mir eine Ehre“, sagte Elizabeth mit einer leichten Verbeugung. Inzwischen hatten sie das Büro erreicht, und sie wandte sich zu Hannah um. „Sind Sie bereit?“

Bereit? Um Himmels willen, war es so schrecklich, was sie hier erwartete?

Elizabeth öffnete die Tür und ließ Hannah vorgehen. Aber die blieb entsetzt auf der Türschwelle stehen und starrte in den Raum. War das eine optische Täuschung, oder war gut die Hälfte des Zimmers wirklich vollgestopft mit Geschenken aller Art? Das durfte doch nicht wahr sein!

Elizabeth trat neben sie. „Das meiste kam erst in den zwei Wochen, als Sie auf Hochzeitsreise waren.“

Als sie abflogen, waren erst wenige Dutzend Pakete eingetroffen, jetzt waren es Hunderte, wenn nicht gar Tausende. Sie waren alle noch eingepackt, in allen Größen und Formen, und teilweise bis unter die Decke gestapelt. Hannah wandte sich fassungslos an Elizabeth. „Woher kommt das alles? Wer hat das geschickt?“

„Regierungsvertreter, Freunde, Familie, Bekannte, Geschäftsleute. Aus allen Teilen der Welt.“

Kein Gedanke, dass sie das alles an einem Nachmittag würde öffnen können. Das würde Wochen dauern, bis alles ausgepackt, registriert und sortiert war. Und wenn Hannah an die Danksagungen dachte, wurde ihr ganz elend.

„Nicht schlecht, was?“

Sie drehte sich um. Sophie stand hinter ihr und lächelte.

Mit einer hilflosen Geste wies Hannah auf die Päckchen und Pakete. „Ist das normal?“

„Keine Ahnung“, meinte Sophie fröhlich. „Die letzte Hochzeit, die hier gefeiert wurde, war die meiner Eltern. Und da war ich noch nicht anwesend.“

„Das alles auszupacken wird ja ewig dauern.“ Hannah stand immer noch unter Schock.

„Nicht, wenn du Hilfe hast. Ich habe heute nichts anderes vor.“

„Ich auch nicht“, sagte Elizabeth eifrig. „Ich helfe gern, und ich bin sicher, dass die beiden Mädchen uns auch zur Hand gehen. Und wenn Sie möchten, kann ich noch mehr Leute beschaffen.“

„Und was ist mit Phillip?“, fragte Sophie spitz.

Natürlich könnte Hannah ihn fragen. Vielleicht könnte sie auch darauf bestehen, dass er zu Hilfe kam, denn schließlich waren es auch seine Geschenke. Aber sie hatte das untrügliche Gefühl, dass er momentan allein gelassen werden wollte, er Zeit für sich brauchte. Zwar war er in den zwei Wochen, die sie zusammen auf der Jacht verbracht hatten, nie ruhelos oder gereizt gewesen. Zumindest war ihr nichts aufgefallen. Im Gegenteil, er schien die Zeit mit ihr durchaus genossen zu haben.

Umso erstaunter und auch gekränkter war sie, dass er sich dann unmittelbar nach der Rückkehr in seine Suite zurückgezogen hatte. Also mussten ihn die zwei Wochen doch irgendwie angestrengt haben, und er war ihrer überdrüssig. Denn warum hätte er ihr sonst noch schnell zugerufen, dass er heute mit seinem Cousin Golf spielen wollte? Offenbar sollte sie sich keine Illusionen machen, dass er Zeit für sie hätte.

„Er ist heute mit Charles zusammen“, erklärte Hannah gefasst. Sophie zog die Augenbrauen zusammen, als habe sie dafür überhaupt kein Verständnis. Aber was meinte sie damit? Nahm sie ihrem Bruder übel, dass er so einfach verschwand? Oder verachtete sie Hannah, dass sie sich so etwas von ihrem Ehemann bieten ließ?

So genau wollte Hannah es lieber nicht wissen. Denn sie konnte den Gedanken nur schwer ertragen, dass Sophie von ihr enttäuscht war, wenn sie auch nicht genau wusste, warum. Vielleicht, weil Sophie eine so starke Persönlichkeit war, die immer genau zu wissen schien, was sie wollte, und auch bereit war, dafür zu kämpfen. Eine solche Frau war Hannah noch nicht begegnet, und sie bewunderte die Schwägerin sehr. Und wie sehr wünschte sie sich, auch eines Tages unbeirrt zu dem zu stehen, was sie für richtig hielt.

„Am günstigsten wäre es, wenn immer zwei Leute zusammenarbeiten“, meinte Hannah und wies auf den Pakethaufen. „Der eine öffnet das Paket, und der andere schreibt auf, was darin ist und von wem es kommt.“

„Hört sich gut an“, stimmte Sophie ihr zu. „Wie wäre es, Elizabeth, wenn Sie Papier und Bleistifte organisieren und versuchen, so viele Helfer wie möglich zusammenzutrommeln. Ich rufe drüben bei mir an, ob meine Haushälterin nicht kommen kann.“

„Und ich fange schon mal zu sortieren an“, verkündete Hannah.

Sowie Elizabeth den Raum verlassen hatte, wandte sich Sophie zu Hannah um. „Nun sag schon, wie waren die Flitterwochen?“

„Ganz wunderbar. Hätten nicht schöner sein können.“

„Und nun spielt er wieder den Unnahbaren und verschwindet so einfach?“

„Nein, ich glaube, das siehst du falsch“, sagte Hannah, obgleich sie eigentlich auch befürchtete, Sophie könnte recht haben. „Wir haben zwei Wochen sozusagen aufeinandergehockt. Wer braucht da nicht mal Zeit für sich?“

„Ich vermute, du“, meinte Sophie trocken.

Hannah passte es gar nicht, dass sie so leicht zu durchschauen war.

„Ihr habt letzte Nacht noch nicht einmal in derselben Suite, geschweige denn in demselben Bett geschlafen“, bohrte Sophie weiter in der Wunde.

Woher wusste sie das? „Wieso? Hast du etwa Spione auf uns angesetzt?“

„Ich brauche keine Spione, um zu wissen, was bei euch los ist. Die Räume eurer Gemächer liegen meinem Haus gegenüber. Und ich kenne jedes Fenster genau. Weiß also, dass in beiden Suiten die Schlafzimmerfenster erleuchtet waren.“

Darauf konnte Hannah nichts erwidern, denn was Sophie beobachtet hatte, entsprach den Tatsachen. Aber wie könnte sie die Schwägerin überzeugen, dass trotzdem zwischen ihr und Phillip alles ziemlich in Ordnung war, sie zumindest verstand, warum ihr Mann jetzt so reagierte, auch wenn es sie kränkte? „Es braucht einfach nur Zeit“, sagte sie schließlich leise.

„Und das glaubst du tatsächlich?“

„Ja. Ehrlich gesagt, bin ich davon fest überzeugt. Ich habe mir ernsthaft vorgenommen, dass unsere Beziehung funktioniert, wir eine richtige Ehe führen. Und ich setze meine ganze Kraft dafür ein.“

„Dann schaffst du es auch“, meinte Sophie lächelnd.

Hannah wusste nicht, was sie davon halten sollte, und sah die Schwägerin verwirrt an. Sophie lachte leise. „Ich mag dich, Hannah. Und ich glaube, dass du die richtige Frau für meinen Bruder bist. Er braucht jemanden, der ihm hin und wieder mal einen sanften Fußtritt versetzt. Und ihn dadurch daran erinnert, dass er es wert ist.“

„Wert ist?“

„Ja, wert ist, dass man sich mit ihm Mühe gibt, er es verdient, geliebt zu werden und glücklich zu sein.“

„Und wenn er daran gar nicht interessiert ist? Ich weiß, dass deine Eltern sehr kalt waren und ihr keine schöne Kindheit hattet. Aber das war nicht eure Schuld. Nur scheint Phillip offensichtlich in die Fußstapfen der Eltern treten zu wollen.“

„Weil er als Kind verängstigt war und alle Gefühle unterdrückte. Denn natürlich gab er sich die Schuld an dem Verhalten der Eltern. Wenn Vater und Mutter sich einem Kind gegenüber kalt und abweisend verhalten, dann denkt das Kind automatisch, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Dass es, aus welchen Gründen auch immer, nicht liebenswert ist.“

Hannah konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wie man sich in dieser Situation als Kind fühlte. Eltern, die ihre Kinder nicht liebten? Gab es so etwas überhaupt? Sie hatte ihre Kindheit immer als vollkommen normal hingenommen. Und dass ihre Eltern sie liebten? Obgleich ihre Mutter ihr manchmal auf die Nerven gegangen war, hatte sie nie daran gezweifelt.

„Hinzu kommt, dass die Frauen, mit denen er sich bisher umgeben hat, ihm immer etwas vorgemacht haben. Sie haben ihm Liebe vorgespielt, weil es ihnen schmeichelte, dass der König sich mit ihnen abgab. Oder weil sie über ihn etwas erreichen wollten. Das hat er natürlich sehr schnell durchschaut, aber das hat bei ihm das Vertrauen auf die Liebe nicht gerade gefördert. Besonders Frauen gegenüber empfindet er tiefes Misstrauen.“

„Aber du bist anders, Sophie. Du scheinst ein anderes Verhältnis zu Menschen zu haben.“

„Meinst du?“ Sophies Lachen klang hohl. „Dass ich die Zusammenhänge einigermaßen durchschaue, bedeutet gar nichts. Meine Beziehungen haben bisher nie länger als vier Monate gehalten. Warum, glaubst du, ist das so? Es ist so, als sagt man einem Alkoholiker, er müsse zu trinken aufhören, und erwartet, dass er sofort nüchtern wird. Die Einsicht allein schafft noch keine Veränderung.“

Das war alles so traurig. Hannah ließ den Kopf hängen.

Sophie hatte gemerkt, was in ihr vorging. „Ich erzähle dir das nicht, damit du mich bedauerst oder Mitleid mit mir hast. Ich sage dir das nur, damit du weißt, worauf du dich eingelassen hast und was dir bevorsteht. Phillip mag dich sehr, das weiß ich ganz bestimmt. Selbst wenn er nicht fähig ist, es so zu zeigen, wie du es dir wünschst. Er braucht Zeit.“

„Ich habe es nicht eilig. Und eins steht fest, ich bin fest entschlossen, alles daran zu setzen, damit unsere Ehe funktioniert. Und wenn es noch so lange dauert. In diesem Punkt habe ich viel Geduld.“

Sophie legte ihr kurz den Arm um die Schultern und zog sie an sich. „Darüber bin ich sehr froh, Hannah. Du wirst sehen, mein Bruder hat es verdient. Aber nun genug davon. Ich rufe eben mal bei mir zu Hause an und versuche, ein paar zusätzliche Helfer zu finden.“

„Okay, und ich fange dann hier schon mal an.“

„Bin gleich wieder da.“

Bis zu diesem Gespräch mit Sophie war Hannah eigentlich nie bewusst gewesen, wie viel Glück sie mit ihren Eltern gehabt hatte. Dass Vater und Mutter sie liebten, hatte sie immer für selbstverständlich gehalten, denn dazu waren Eltern ja schließlich da. Dass es aber auch ganz anders ablaufen konnte, zeigte ihr das Beispiel von Sophie und Phillip. Sofort lastete es ihr schwer auf der Seele, dass sie ihre Mutter wohl doch oft ungerecht behandelt hatte. Sie war ungeduldig mit ihr und warf der Mutter den Wunsch nach einem eigenen Leben und einem neuen Glück vor.

Hatte die Mutter nicht recht, wenn sie Hannah den Vorwurf machte, nicht fair zu sein? Vielleicht mochte die Tochter sich nicht damit abfinden, nicht mehr im Mittelpunkt des Lebens der Mutter zu stehen. Vor allem deshalb nicht, weil sie selbst in ihrem neuen Leben noch nicht richtig Fuß gefasst hatte, das alte Leben aber abgeschlossen war.

Wer war sie? Sie war nicht mehr die behütete Tochter der Eltern und noch nicht die anerkannte Ehefrau des Königs von Morgan Isle. Früher hatte sie immer den Vater um Rat gefragt. Wie oft hatte er ihr geholfen herauszufinden, was sie wirklich wollte, denn er kannte sie besser als jeder andere auf der Welt. Er hatte tiefes Verständnis für sie gehabt.

Aber der Vater war tot, und zum ersten Mal in ihrem Leben war Hannah ganz auf sich gestellt.

Es war bereits nach zehn Uhr abends, als Phillip in den Palast zurückkehrte. Da er noch Licht in Hannahs Büro sah, ging er hinüber, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung war. Dort fand er Hannah, die auf dem Boden saß und Hochzeitsgeschenke auspackte.

Bei ihrem Anblick stellte er fest, dass er sich aufrichtig freute, sie wiederzusehen. Den ganzen Tag hatte er an sie denken müssen, immer hatte er ihr Lächeln vor sich gesehen. Und genau aus diesem Grund war er mit dem Cousin Golf spielen gegangen. Er wollte nicht, dass Hannah sich falsche Vorstellungen, vielleicht sogar Hoffnungen machte. Auf keinen Fall sollte sie glauben, er würde sein Leben ihretwegen ändern.

Als er sich gestern Abend ein Buch aus dem Büro geholt hatte, war selbst er von der Menge der Geschenke überwältigt gewesen. Heute hatte sich der Stapel immerhin schon auf die Hälfte reduziert. Die noch eingewickelten Pakete und Päckchen lagen auf einer Seite des Raumes, immerhin schon nach Größe sortiert, und die ausgepackten Geschenke standen auf der anderen Seite.

„Hast du das alles allein geschafft?“, fragte er überrascht.

Sie hob den Kopf und lächelte ihn müde und auch ein bisschen kühl an. „Nein, ich hatte Hilfe. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass wir schon ohne dich angefangen haben.“

Er trat näher. „Nein, natürlich nicht. Im Gegenteil, ich bin froh, dass der Hauptteil bereits erledigt ist.“

„Das habe ich mir gedacht.“

Immer noch trug sie die Kette, die er ihr in Monaco gekauft hatte. Soviel er wusste, hatte sie diese bisher noch kein einziges Mal abgelegt. Das rührte ihn. „Ist irgendetwas besonders Schönes darunter?“

„Ich weiß nicht. Wie immer bei solchen Gelegenheiten ist viel Kristall und Silber dabei, Leuchter und Schalen und Vasen und Gläser. Außerdem kostbares Porzellan und teure Stoffe. Keine Ahnung, wo wir das alles unterbringen können. Davon abgesehen, dass wir eigentlich nichts brauchen, da alle Räume komplett eingerichtet sind.“

„Vielleicht sollten wir die Sachen ins Lager stellen?“, schlug er vor.

„Aber wäre das nicht verkehrt? Schließlich haben sich die Leute etwas dabei gedacht. Ich bin auch sehr dankbar, dass sie alle so großzügig waren, aber es ist einfach zu viel. Ich kann damit nur schlecht umgehen.“

Erst jetzt fiel ihm auf, dass Hannah gereizt und genervt war. Also hatte ihre kühle Begrüßung nichts mit ihm zu tun, sondern eher mit der Flut der Geschenke, der sie nicht gewachsen war. Sie war verärgert über diese Verschwendung und hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie wusste, wie viele Menschen auf der Welt nicht das Nötigste zu essen hatten. Phillip war erleichtert, dass ihre schlechte Laune nichts mit ihm zu tun hatte. Vielleicht war es an der Zeit, dass er nicht jede ihrer Gefühlsregungen auf sich bezog. Aber wenn sie unglücklich war, fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut. Glücklicherweise war er diesmal nicht der Auslöser.

Er war der König, der Herrscher seines Landes und es nicht gewohnt, sich unterlegen zu fühlen, und dennoch schaffte Hannah es irgendwie, dass er ein schlechtes Gewissen hatte und seine eigenen Handlungen infrage stellte. Dabei legte sie es nicht darauf an, ihn zu verunsichern, das wusste er genau. Denn sie war ein geradliniger, offener Mensch, und so etwas wie Schadenfreude oder Rechthaberei lag ihr vollkommen fern.

Er setzte sich auf den Boden neben sie, und seufzend legte sie ihm den Kopf auf die Schulter. „Ach, Phillip, ich weiß einfach nicht, was wir damit machen sollen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass wir all diese üppigen, um nicht zu sagen übertrieben kostbaren Geschenke bekommen, während andererseits auf der Welt so viele Menschen hungern müssen und noch nicht einmal ein Dach über dem Kopf haben.“

„Aber was können wir tun? Was schlägst du vor?“

„Hm … mal sehen.“ Plötzlich hob sie den Kopf und blickte ihn strahlend an. „Ich weiß was. Vielleicht können wir eine Versteigerung initiieren und die Erlöse dann an verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen weitergeben?“

„Was meinst du damit? Wir versteigern unsere Hochzeitsgeschenke? Glaubst du nicht, dass wir damit eine Menge Leute vor den Kopf stoßen? Dass sie beleidigt sind, wenn wir ihre Geschenke weggeben?“

„Das kommt darauf an, wie wir das Ganze vorbereiten. Wir können doch vorher eine Erklärung abgeben. Etwa in dem Sinne, dass wir zwar allen ausgesprochen dankbar für ihre großzügigen Gaben seien, wir uns aber entschlossen hätten, diese Geschenke mit dem Rest der Welt zu teilen. Ich bin sicher, deiner Presseabteilung fallen da die richtigen Formulierungen ein, sodass sich niemand auf den Schlips getreten fühlt, sondern eher stolz darauf ist, an dieser noblen Geste teilzuhaben.“

Wenn die Reaktion wirklich so ausfiel, würde dies das Ansehen des Königshauses steigern. Phillip sah Hannah bewundernd an. An ihrem klaren Blick konnte er erkennen, dass sie allerdings nicht an den Prestigegewinn gedacht hatte. Sie war einfach von Natur aus ein mitfühlender und großzügiger Mensch.

„Und weil da so viel ist“, fuhr sie eifrig fort, „müssen wir vielleicht sogar zwei Auktionen veranstalten. Eine normale Versteigerung für die wertvollen Sachen und eine stille Auktion für die kleineren Geschenke.“

„Ich glaube, das ist eine fantastische Idee.“

Sie strahlte über das ganze Gesicht. „Wirklich?“

„Ja. Ich werde mich gleich morgen darum kümmern und auch mit der PR-Abteilung sprechen.“

„Oh, Phillip, ich danke dir!“ Sie schlang ihm die Arme um den Hals und drückte ihn, woraufhin er sie hochhob und sich auf den Schoß setzte. Glücklich schmiegte sie sich an ihn.

Und er spürte, dass er genau das jetzt gebraucht hatte. Seit er letzte Nacht allein ins Bett gegangen war, hatte er sich danach gesehnt. Er war schwer eingeschlafen und immer wieder aufgewacht. In den zwei Wochen während ihrer Hochzeitsreise hatte er sich sehr daran gewöhnt, sein Bett mit ihr zu teilen. Und dennoch war er auch jetzt noch davon überzeugt, dass der Reiz des Neuen sich auch in diesem Punkt irgendwann abnutzen würde. Also sollte er ihn genießen, solange er andauerte.

„Wollen wir nicht ins Bett gehen?“, fragte er leise.

„Wie meinst du das? Wir? Zusammen in dasselbe Bett?“

„Ja. So habe ich mir das eigentlich vorgestellt.“ Nach gestern Nacht konnte er ihr nicht übel nehmen, dass sie verunsichert war und lieber noch einmal nachfragte. „Wenn du nichts dagegen hast.“

„Oh, nein!“ Sie lächelte glücklich. „Mein Bett oder vielleicht deins?“

„Deins.“

„Gut. Aber vorher muss ich noch duschen.“

Er stand auf, dann reichte er ihr die Hand und zog sie hoch. „Nichts dagegen. Wahrscheinlich sollte ich das auch tun.“

Sie lächelte ihn übermütig an. „Meine Duschkabine ist groß genug. Und du weißt doch, wie sehr ich es liebe, wenn du ganz seifig und glatt bist.“

Und dieses Gefühl, so stellte er für sich fest, konnte er ganz ohne Einschränkungen teilen.

11. KAPITEL

Die Wochen nach der Hochzeitsreise vergingen wie im Fluge, zumindest hatte Hannah diesen Eindruck. Sie war allerdings auch voll beschäftigt. Nicht nur die Versteigerungen waren zu organisieren, die noch vor den Weihnachtstagen stattfinden sollten, auch die Gala zum 500-jährigen Bestehen der Monarchie, die für das Frühjahr geplant war, musste vorbereitet werden. Hinzu kamen die üblichen Verpflichtungen, denen sie als Frau des Königs nachzukommen hatte. Außerdem hatte sie angefangen, bei Sophie Kochunterricht zu nehmen. Vielleicht sollte sie darauf verzichten, aber das Zusammensein mit ihrer Schwägerin war immer lustig und entspannend und tat ihr wohl. Aber tagsüber hatte sie buchstäblich kaum eine freie Minute.

Phillips Programm war nicht weniger gedrängt. Nur selten hatten sie Zeit, gemeinsam zu Abend zu essen, aber sie hatten sich angewöhnt, die Nächte zusammen zu verbringen, sofern Phillip nicht auf Reisen war. Mal übernachteten sie in ihrer, mal in seiner Suite.

Obgleich sie sich oft liebten, gab es auch Zeiten, in denen sie einfach zu müde und erschöpft waren. An diesen Abenden genossen sie es, einfach nebeneinander im Bett zu liegen und die Spätnachrichten anzusehen, bis ihnen die Augen zufielen.

Also waren sie doch in diesen Wochen, seit sie verheiratet waren, zu einem richtigen Paar geworden, das immerhin seine freie Zeit miteinander verbrachte. Auch wenn ihre Beziehung sich nicht ganz so entwickelte, wie Hannah es sich erträumt hatte, so war sie mit dem, was sie erreicht hatte, schon einigermaßen zufrieden. Dass sie sich einander nicht vollkommen öffneten und in vieler Beziehung ihr eigenes Leben führten, ließ die Ehe immerhin nicht langweilig werden. Sie musste mehr in diese Ehe investieren, als sie gedacht hatte, aber sie war zufrieden, wenn nicht gar glücklich. Und Phillip auch.

Zumindest ging sie davon aus.

Am Nachmittag der großen Versteigerung war Hannah unheimlich nervös. Wenn nur alles gut ging! Wenn nun keiner an dieser Auktion interessiert war und der Saal leer blieb. Ein Albtraum. Vielleicht war man doch ganz allgemein empört, dass sie ihre Hochzeitsgeschenke einfach weggaben und versteigern ließen, und boykottierte die Veranstaltung.

„Du machst dir viel zu viele Gedanken“, versuchte Phillip sie zu beruhigen. „Die Sache wird ein Riesenerfolg, glaub mir.“

Und wie immer in ähnlichen Situationen hatte er auch diesmal recht. Als zwei Stunden vor Beginn der Auktion die Türen geöffnet wurden, kamen die Leute nur so hereingeströmt. Und als zwei Stunden später die Türen geschlossen wurden, waren nur noch Stehplätze zu haben.

Hannah und Phillip schlenderten durch die Menge, begrüßten Bekannte und Freunde, nickten nach allen Seiten und machten Small Talk, wie es von ihnen erwartet wurde. Plötzlich hatte Hannah das eindeutige Gefühl, dass sie scharf beobachtet wurde. Dieses Gefühl war ihr vertraut, und tatsächlich, als sie sich umsah, entdeckte sie nicht weit von sich entfernt die geheimnisvolle Frau, die sie kalt musterte.

Sie stieß Phillip kurz in die Seite, der sich zu ihr umdrehte und, als er ihr düsteres Gesicht bemerkte, erstaunt fragte: „Was ist denn los?“

„Dahinten! Diese Frau ist wieder da!“

„Was für eine Frau?“

„Die Frau, die mich schon am Nachmittag nach meiner Ankunft so angestarrt hat. Und die auch an unserem Hochzeitsempfang da war und uns nicht aus den Augen ließ.“

„Wo denn?“, fragte er.

Sie wies mit dem Kopf in die Richtung der Frau, die immer noch unbeweglich dastand und zu ihnen herübersah. „Dahinten, die mit dem dunklen Haar. Sieht sehr gut aus.“

Phillip blickte in die Richtung, in die sie zeigte, und Hannah war sofort klar, dass er die Frau kannte. Er hob die Augenbrauen und nickte kaum merklich. Und anstatt sich abzuwenden, erwiderte die Frau lebhaft den angedeuteten Gruß, indem sie lächelte und ihm zuwinkte. Und nicht nur das, sie kam auf sie zu! Hannah stockte der Atem.

Aber vielleicht war das gar nicht so schlecht. Endlich würde sie die Frau kennenlernen, die sie bisher so feindselig betrachtet hatte. Obgleich sie froh war, hier endlich einer Sache auf den Grund gehen zu können, die sie doch unterschwellig immer beschäftigt hatte, zitterten ihr die Hände vor Nervosität. Die Dunkelhaarige sah einfach zu gut aus. Sie umgab eine Aura von erregender Sinnlichkeit, und in ihrer Gegenwart kam Hannah sich blass und langweilig vor.

„Phillip …“, sagte die Schöne gedehnt, und ihre Stimme klang dunkel und sexy, „wie gut, dich endlich wiederzusehen.“

Phillip wirkte eher unwirsch und sah nicht so aus, als wäre er froh über diese Begegnung. Doch er blieb höflich und reichte ihr die Hand. „Hallo, Madeline.“

Lächelnd nahm sie die Hand in die ihre, dann kam sie näher heran und küsste ihn auf die Wange. Hannah konnte es nicht fassen. Keine Frau würde es wagen, den König so zu begrüßen, es sei denn, zwischen beiden herrschte eine intime Vertrautheit. Und es war mehr als offensichtlich, dass Phillip und diese Madeline sich sehr gut kannten. Aber dass sie die Frechheit besaß, das direkt vor Hannah zu demonstrieren, war dann doch allerhand. Kein Zweifel, die Frau hatte etwas vor. Sie würde sich mit der jetzigen Situation nicht abfinden. Sie war nicht der Typ, der sich so einfach zur Seite schieben ließ.

„Hannah, dies ist Madeline Grenaugh“, stellte Phillip sie schließlich vor. „Madeline, dies ist meine Frau.“

„Eure Hoheit …“, sagte Madeline und verzog die Lippen in kaum verhüllter Verachtung, bevor sie in einen übertrieben tiefen Hofknicks versank. Hannah war empört. Was bildete diese Frau sich ein? Die Spannung war so intensiv und deutlich spürbar, dass Hannah vor Zorn kaum Luft bekam.

„Ich will nicht drängen“, meinte Phillip jetzt, „aber ich glaube, die Versteigerung beginnt gleich.“ Offenbar hatte er es eilig, diese unerfreuliche Begegnung hinter sich zu bringen.

„Sieht so aus.“ Madeline strahlte ihn an. „Und ich muss auch noch entscheiden, auf welche Stücke ich mein Gebot abgeben will.“ Sie wandte sich mit einem falschen Lächeln an Hannah. „Ich habe mich sehr gefreut, Sie endlich kennengelernt zu haben, Hannah. Ich war schon sehr gespannt.“

Hannah nicht mit ihrem Titel anzusprechen war ein weiterer Affront. Und auch, dass Madeline zum Abschied einen Hofknicks noch nicht einmal andeutete, konnte als grobe Beleidigung aufgefasst werden. Aber zu Hannahs Überraschung schien Phillip dieses unverschämte Benehmen nicht zu bemerken, oder es war ihm gleichgültig.

„Wir werden uns sehr bald wiedersehen“, verabschiedete Madeline sich jetzt von Phillip und bedachte ihn dabei mit einem derart vertraulichen Lächeln, dass jedem Beobachtenden klar sein musste, die beiden teilten ein Geheimnis. Und bevor sie sich langsam entfernte, trat sie dicht vor Hannah hin und flüsterte ihr zu: „Auch wenn Sie seine Frau sind, mir gehört sein Herz. Für immer.“

Hannah starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an. Ihr fiel keine Erwiderung ein, so entsetzt war sie über diese Behauptung und die unverschämte Sicherheit, mit der sie vorgebracht wurde.

„Was hat sie gesagt?“, erkundigte sich Phillip sofort, dem Hannahs Fassungslosigkeit nicht entgangen war.

„Ach, nichts …“Hannah hatte sich mühsam zusammengenommen. Aber Phillip schien sich mit dieser Antwort nicht zufriedengeben zu wollen. Doch bevor er weiter nachhaken konnte, wurde er von anderer Seite angesprochen. Und danach schien er die Sache vergessen zu haben.

Hannah dagegen ging diese unerfreuliche Begegnung nicht aus dem Sinn. Natürlich war sie nicht so naiv zu glauben, dass Phillip vor ihr noch nie mit anderen Frauen im Bett gewesen war. Aber so direkt damit konfrontiert zu werden war für sie schwerer erträglich, als sie gedacht hatte. Vor allem, da Madeline auch noch so gut aussah. Und wenn sie nun die Wahrheit gesagt hatte? Wenn die beiden nicht nur ein Verhältnis gehabt hatten, sondern Phillip sie geliebt hatte und immer noch liebte?

Nein, das war einfach lächerlich.

Er liebte sie, Hannah. Vielleicht hatte er seine Gefühle bisher noch nicht in Worte fassen können. Aber er zeigte sie ihr auf seine Weise doch so häufig, dass sie fest davon überzeugt war. Und selbst wenn er nie diese drei Worte aussprechen würde, solange er ihr mit seinem Verhalten bewies, dass er sie liebte, würde sie auf dieses Bekenntnis verzichten können.

Tatsächlich?

Erst spät am Abend konnten sie sich zurückziehen. Den ganzen Nachmittag und Abend hatte Hannah einen Kampf mit sich selbst ausgefochten. Die Bemerkungen von Madeline setzten ihr doch mehr zu, als sie anfangs hatte zugeben wollen. Ihre Unsicherheit nahm zu, als sie sich wieder und wieder die Frage stellte, ob Phillips liebevolles Benehmen wirklich ein Beweis dafür war, dass er sie liebte. Die alten Ängste wurden erneut in ihr wach und schienen von ihr Besitz zu ergreifen.

Sie folgte Phillip in seine Suite und setzte sich auf die Bettkante, während er sich auszog.

„Das war ein langer Tag“, sagte er.

„Ja, das kann man sagen.“

Er legte seine Krawatte ab und hängte sie über einen Stuhl. „Ich bin vollkommen erledigt.“

„Ich auch.“

Dann schlüpfte er aus dem Jackett und warf es über den Stuhl, über dessen Lehne bereits die Krawatte hing. Und während er die Manschettenknöpfe löste, wandte er sich zu Hannah um und schaute sie ernst an. „Willst du es mir nun endlich sagen?“

„Sagen? Was soll ich dir sagen?“

Er ließ die Manschettenknöpfe auf die Kommode fallen.

„Was los ist, was dich bedrückt.“

Sekundenlang suchte sie nach einer Ausrede. Sollte sie einfach Müdigkeit vorschieben? Sie mochte nicht zugeben, dass diese Frau sie beunruhigte, deren Andeutungen sie verunsicherten. Doch den ganzen Abend hatte sie darüber nachgegrübelt, ob Madelines Behauptungen der Wahrheit entsprachen. Nun konnte sie es nicht mehr aushalten. Sie musste es wissen. „Madeline Grenaugh“, stieß sie leise hervor und sah Phillip dabei nicht an.

„Warum das denn?“

„Wer ist sie? Welche Bedeutung hat sie für dich?“

„Sie ist eine Freundin der Familie.“

„Ich hatte den Eindruck, dass sie sehr viel mehr als nur eine Freundin der Familie ist. Zumindest für dich.“ Vorsichtig hob sie den Blick.

Er seufzte leise und machte eine resignierte Handbewegung, als habe er so etwas erwartet. „Sie hat dir etwas zugeflüstert, das habe ich gesehen. Was hat sie gesagt?“

„Sie hat sehr deutlich gemacht, dass ihr beide eng befreundet wart.“ „Ja. Wir haben uns in der Vergangenheit hin und wieder getroffen, sind zusammen ausgegangen und so weiter.“

„War es etwas Ernstes?“

„Madeline ist wohl davon ausgegangen. Aus irgendeinem Grund hat sie sich eingebildet, ich würde sie heiraten. Und das, obgleich ich in dieser Beziehung nie etwas gesagt habe, was sie auf diesen Gedanken hätte bringen können. Und mir selbst wurde das auch erst durch ihre Reaktion auf unsere Verlobung bewusst. Sie war sehr wütend, als der Hof die offizielle Verlautbarung herausgab.“

„Hast du mit ihr geschlafen?“, platzte Hannah heraus, noch bevor ihr bewusst war, dass sie diese Frage ganz dringend stellen wollte.

„Lass das doch, Hannah …“, wehrte er ab.

„Ich muss es wissen.“

„Bist du da ganz sicher?“

Dass er ihr auswich, nahm sie als sicheres Zeichen, dass es so war, wie sie vermutete. Doch damit konnte sie sich nicht zufriedengeben. Aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht verstand, wollte sie, dass er es zugab. Dass er es aussprach. „Hast du mit ihr geschlafen, Phillip?“

Schweigend musterte er minutenlang ihr Gesicht, was ihr wie eine kleine Ewigkeit vorkam. Dann sah er ihr direkt in die Augen und sagte: „Ja, ich habe mit ihr geschlafen.“

Sie hatte es gewusst, und dennoch schmerzte die Wahrheit.

„Das ist schon lange her. Und ich weigere mich, mich für etwas zu entschuldigen, was ich vor unserer Ehe getan habe. Das hat nichts mit dir zu tun und geht dich im Grunde auch nichts an.“

Recht hatte er. Was sie interessierte, war auch etwas ganz anderes. „Liebst du sie?“

Er fluchte leise. „Nein, Hannah. Ich liebe sie nicht und habe sie nie geliebt. Das gilt auch für alle anderen Frauen in meinem Leben.“

„Also auch für mich. Wolltest du das damit sagen?“

Er starrte sie nur an und schwieg.

Später konnte sie nicht mehr sagen, warum, aber sie konnte sich nicht länger beherrschen. „Ich liebe dich, Phillip“, stieß sie hervor.

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, blieb weiterhin starr und kalt, ungerührt von ihrem Geständnis. Noch nicht einmal traurig wirkte er oder mitfühlend … nur abweisend. „Deine Liebe ist an mich verschwendet“, sagte er schließlich.

Das tat weh, mehr, als sie sich hatte vorstellen können. Sie hatte ihm ihr Herz geöffnet und ihm ihre Liebe gestanden, und er wies sie lediglich brüsk zurück. „Wie kannst du so etwas sagen?“

„Weil ich deine Liebe nicht erwidern kann. Ich bin unfähig zu lieben.“

„Das glaube ich nicht. Ich weiß genau, dass du Gefühle für mich hast, Phillip. Ich spüre es. Du hast es mir auf die unterschiedlichste Art und Weise gezeigt, in vielen kleinen Gesten. Warum kannst du es dir nicht eingestehen? Warum vertraust du nicht auf dein Gefühl?“

Er schüttelte nur abwehrend den Kopf. „Ich wusste ja, ich hätte es nicht tun sollen. Es war keine gute Idee.“

„Was war keine gute Idee?“, hakte sie nach.

Er wies auf das Bett und dann auf den Raum um sich herum. „Dass wir so dicht beieinander wohnen und häufig die Nacht miteinander verbringen. Dadurch hast du eine falsche Vorstellung bekommen und schätzt das Ganze anders ein, als es ist.“

„Was meinst du mit das Ganze?“

„Unsere Ehe. Ich habe dir doch gleich gesagt, dass wir nicht eine übliche Ehe führen, sie anders ablaufen wird, als du es dir erhofft hast.“

Aber das stimmte doch gar nicht. Sie schliefen oft miteinander, und sie fühlte sich ihm nah und vertraute ihm. War das nicht das Wesen der Ehe? Warum konnte er das nicht sehen? „Und warum hast du dich dann so verhalten? Wie ein richtiger Ehemann?“

Er stutzte und wusste nicht gleich, was er darauf antworten sollte. Dann seufzte er leise. „Es ist wichtig, dass man von außen den Eindruck bekommt, wir führten eine gute Ehe.“

Autor

Michelle Celmer

Michelle Celmer wurde in Metro, Detroit geboren. Schon als junges Mädchen entdeckte sie ihre Liebe zum Lesen und Schreiben. Sie schrieb Gedichte, Geschichten und machte selbst dramatische Musik mit ihren Freunden. In der Junior High veröffentlichten sie eine Daily Soap Opera. Ungeachtet all dessen, war ihr Wunsch immer Kosmetikerin zu...

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