Küsse, die nach Liebe schmecken

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Ein Verhältnis mit Ethan, dem Freund ihres Ex? Für die schöne Fotografin Crissanne undenkbar! Bis der sexy Anwalt sie zärtlich küsst und Crissanne sich nicht nur so begehrt fühlt wie nie zuvor - sie verliebt sich auch in ihn. Fatal, denn plötzlich geht Ethan auf Distanz.


  • Erscheinungstag 15.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506526
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Als Ethan Caruthers die Tür öffnete, stand Crissanne Moss vor ihm. Sie war blass und kaute auf ihrer Unterlippe, was bei ihr immer darauf hinwies, dass sie sich Sorgen machte. Was wollte sie hier? Sie trug eine Kameratasche über der Schulter, und hinter ihr auf der Treppe stand ein Reisekoffer. Ein Taxi fuhr gerade die Auffahrt hinunter. Sie schob sich die Sonnenbrille auf den Kopf, woraufhin sich eine lange blonde Strähne aus ihrer Frisur löste und im Sommerwind flatterte. Als sie das Haar zur Seite blies, hatte Ethan Mühe, seinen Blick von ihren Lippen zu lösen.

Bei den meisten Frauen, denen er begegnete, spielte die Tatsache, dass sie weiblich waren, keine große Rolle. Bei der Freundin seines besten Kumpels war das anders. Seit er ihr vorgestellt worden war, musste er sich mächtig anstrengen, um die Kontrolle über sich zu bewahren – so stark fühlte er sich zu ihr hingezogen.

Es fühlte sich an wie ein Treuebruch gegenüber Mason, und doch war er seinen Empfindungen für Crissanne machtlos ausgeliefert. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er sie leidenschaftlich begehrt.

„Nanu, was für eine Überraschung! Was treibt dich denn nach Cole’s Hill?“, sagte er und hielt ihr die Tür auf, um sie eintreten zu lassen. Seit Jahren lebte Crissanne mit seinem besten Freund Mason in L. A., da lag Texas nicht gerade um die Ecke.

„Wenn du das erfährst, könnte ich es dir nicht einmal übel nehmen, wenn du mich anschließend auffordern würdest, wieder zu verschwinden“, sagte sie.

Crissanne sprach mit einem leicht nasalen Westküstenakzent, den er schon immer besonders liebenswert gefunden hatte. In seinen Augen konnte sie überhaupt nichts anstellen, was ihn dazu bewegen würde, sie wieder fortzuschicken. „Ich bin Anwalt und habe schon ziemlich üble Dinge erlebt. Deshalb bezweifle ich, dass du in der Lage bist, mich zu schockieren.“

Sie schenkte ihm ein bittersüßes Lächeln und umarmte ihn zur Begrüßung. „Du warst schon immer der Beste, Ethan. Ich wüsste sonst ehrlich gesagt nicht, wo ich hingehen sollte …“

Wie in Trance stellte er ihren Koffer neben die Garderobe und schloss die Haustür hinter ihr. Er wollte sie nach Mason fragen, aber dann glaubte er, sich daran zu erinnern, dass sein Freund nach Peru gereist war, um dort eine TV-Serie zu drehen.

Und er fühlte sich schuldig, weil er sich so nach Crissanne sehnte. Er hatte immer versucht, seine Reaktion auf sie zu verstecken, und war in Gegenwart der beiden stets auf der Hut gewesen. Aber er hatte sie bisher noch niemals ansehen können, ohne sich vorzustellen, wie er sich mit ihr in einem großen Doppelbett vergnügte.

„Komm in die Küche. Meine Haushälterin hat Eistee und Schokoladenkekse gemacht, ehe sie gegangen ist. Während wir uns daran gütlich tun, kannst du mir ja erzählen, weshalb du hier bist.“

Er wies ihr mit ausgestreckter Hand den Weg und folgte ihr den Flur entlang, wie es sich für einen Gentleman gehörte. Doch als sein Blick auf ihre sich wiegenden Hüften fiel, wusste er, dass es ihm nicht um Höflichkeit ging, sondern dass lustvolle Sehnsucht ihn antrieb. Er schluckte, um seine Selbstbeherrschung wiederzuerlangen.

Von der Frau in Midland, mit der er ein immer wieder aufflackerndes Techtelmechtel gehabt hatte, war er seit einiger Zeit getrennt. Deswegen lebte er schon länger abstinent, als ihm lieb war. „Ich hole noch eben mein Telefon aus dem Arbeitszimmer. Mach es dir hier in der Zwischenzeit schon mal gemütlich.“

Er lief in sein Büro und blieb dort einen Moment stehen, um sich zu sammeln. Sie ist die Freundin deines besten Freundes, ermahnte er sich und atmete ein paarmal tief durch. Dann nahm er sein Smartphone vom Schreibtisch und ging in die Küche. Abrupt blieb er stehen. Crissanne stand in der Flügeltür, die hinaus auf die Veranda führte. Den Kopf an die Glasscheibe gelehnt, blickte sie in den Garten. Sie sah verlassen aus. Als bräuchte sie dringend einen Freund.

Plötzlich fiel es ihm leicht, seine unpassenden Gedanken wegzuschieben. Sie brauchte ihn.

„Crissanne?“

Sie drehte sich um und nahm ihre Sonnenbrille ab, um sie auf den Küchentisch zu legen. Als sie ihre Hände in die hinteren Hosentaschen steckte, schoben sich ihre Brüste vor und zeichnete sich durch den Stoff ihrer Bluse hindurch ab.

Verdammt.

„Zwischen mir und Mason ist es aus“, sagte sie. „Wir hatten einen wirklich schlimmen Streit. Er hat mir zwar angeboten, in seiner Wohnung zu bleiben, während er in Peru arbeitet. Aber ich konnte das nicht, ich musste unbedingt weg von dort. Und weil ich keine Familie habe, wusste ich nicht, wo ich hinsollte, und da kamst du mir in den Sinn.“

In seinen Ohren hallte bloß ein Satz nach – dass es aus war mit ihnen.

Sie war wieder Single.

Sie war verletzt und einsam. Er wusste, dass sie keine Verwandten hatte. Sie war als Pflegekind aufgewachsen und hatte nur wenige Freunde. Und die meisten davon waren auch Masons Freunde, denn sie waren seit der Collegezeit ein Paar gewesen. Kein Wunder, dass sie Ethans Unterstützung suchte. Er war immer schon für sie da gewesen – als guter Freund. Und wie jedes Mal würde er auch jetzt sein Verlangen tief in seinem Inneren vergraben.

„Selbstverständlich kannst du so lange hierbleiben, bis es dir besser geht“, sagte Ethan spontan, um sie zu beruhigen.

„Danke schön. Ich weiß, dass ich dich damit in eine schwierige Situation bringe, aber ich wüsste sonst wirklich nicht, wohin.“

Er schüttelte den Kopf. Sicher würde es unangenehm werden, wenn Mason anrief. Aber sie wegzuschicken ging ihm noch mehr gegen den Strich. Nicht umsonst hatte sein Vater ihm beigebracht, wie ein Gentleman sich benahm. Crissanne war in einer Notlage und auf die Hilfe eines Freundes angewiesen. Außerdem – wenn er ehrlich war, wollte er, dass sie bei ihm blieb. Dafür würde er jede Unannehmlichkeit ertragen.

„Darüber mach dir mal keine Sorgen. Bist du sicher, dass eure Trennung von Dauer ist? Ich kenne Mason. Er ist oft schlecht gelaunt, ehe er zu einem Filmdreh aufbricht.“

Bisher hatte er Mason und Crissanne für das ideale Paar gehalten. Und wie sehr er sie auch selbst begehrte – er wollte, dass sie glücklich war, das stand für ihn an erster Stelle. Was Frauen anging, konnte Mason zwar ein Idiot sein, aber im Lauf der Jahre hatte Ethan den Eindruck gewonnen, dass die beiden zueinanderpassten. Mason hatte Crissanne ermutigt, ihren Videoblog zu starten, und sie hatte damit einen finanziellen Coup gelandet und ihre berufliche Zukunft gesichert.

„Das stimmt, aber wir haben uns schon seit einiger Zeit auseinandergelebt. Ich weiß, dass ihr befreundet seid, deswegen werde ich dir gegenüber nicht schlecht über ihn reden. Nur so viel: Unsere Erwartungen an das Leben sind mittlerweile sehr unterschiedlich.“

Diese Neuigkeit überraschte ihn. Wusste er so wenig über die beiden? Zugegeben, er hatte es in letzter Zeit tunlichst vermieden, sich mit ihnen zu treffen. In Crissannes Nähe zu sein und seine Gefühle für sie unterdrücken zu müssen hatte ihn irgendwann zu sehr belastet. Früher war er jobbedingt regelmäßig an die Westküste gefahren, aber da Mason aufgrund seiner Dreheinsätze häufig absagen musste, war er mit Crissanne oft allein essen gegangen. Und das hatte ihn irgendwann überfordert.

„Möchtest du darüber reden?“

Als sie den Kopf schüttelte, fielen Strähnen ihres blonden Haars über ihre Schultern auf ihre üppigen Brüste. „Im Moment nicht.“

„Was hältst du davon, wenn ich dir jetzt dein Zimmer zeige, du dich frisch machst und ich dich dann zum Abendessen ausführe?“

„Das hört sich großartig an. Bist du sicher, dass es dir nichts ausmacht?“

„Sehr sicher.“

„So bald wie möglich werde ich mich nach einer neuen Bleibe umsehen“, sagte sie. „L. A. war immer Masons Stadt, und ich überlege schon eine Weile, von der Westküste wegzugehen und mehr ins Inland zu ziehen. Nach Chicago vielleicht oder eben hierher, hier kenne ich immerhin schon mal jemanden. Aber ich kann auch in einem Hotel unterkommen. Das hätte ich eigentlich gleich machen sollen.“

„Warte. Du bleibst erst einmal hier und brauchst auch nichts zu überstürzen, um eine eigene Wohnung zu finden. Dieses Haus ist groß genug für uns beide“, sagte er. Und Mason war einige Wochen im Ausland, da blieb genug Zeit für Ethan, um darüber nachzudenken, was er ihm bei seiner Heimkehr erzählen würde.

„Du bist wirklich der beste Freund, den eine Frau sich nur wünschen kann.“

Er lächelte. Sicher, Freundschaft würde ihm reichen. Das versuchte er schon seit Langem, sich einzureden. Doch ungefähr genauso lang hatte sich das als Selbstbetrug erwiesen. Und sie unter seinem Dach zu wissen würde alles nur noch schlimmer machen.

Crissanne hatte gehofft, dass Ethan so reagieren würde. Ihr war nicht entgangen, dass er immer schon ein wenig verrückt nach ihr gewesen war, deswegen hatte sie darauf spekuliert, dass er sie aufnehmen würde. Sie gehörte nicht zu den Menschen, denen es leichtfiel, Freundschaften zu schließen. Das lag teilweise an ihrem Ehrgeiz, aber auch daran, dass sie nie gelernt hatte, zu anderen Menschen Vertrauen zu fassen. Schon der Psychologe, zu dem sie mit achtzehn geschickt worden war, hatte ihr prophezeit, dass dieses Misstrauen ihrem Glück im Weg stehen könnte.

Vielleicht lag darin auch der Grund für die Entfremdung zwischen ihr und Mason. Und die traurige Wahrheit war, dass sie keinen anderen Ort kannte, wo sie hätte hingehen können. Sie hatte ihre Freundin Abby in San Francisco angerufen, aber die war gerade frisch verliebt und hätte es sonderbar gefunden, wenn Crissanne bei ihr eingezogen wäre.

Mit ihrer Markenmanagerin, deren Firma Crissannes Videoblog sponserte, verstand sie sich ebenfalls gut. Aber ihr Verhältnis war eher geschäftlicher Natur, und Crissanne hatte keine Lust, sie zu fragen, ob sie ihre Mitbewohnerin werden konnte. Sie brauchte einen Freund – jemanden, der sie nicht verurteilte. Und Ethan gehörte eindeutig in diese Kategorie.

Außerdem war er viel beschäftigt. Als Anwalt war er die meiste Zeit über im Gerichtssaal, wodurch sie mehr Zeit hatte, um über ihr weiteres Vorgehen nachzudenken. Sie würde schon eine Lösung finden. Nach ihrem furchtbaren Streit war sie einfach nicht in der Lage gewesen, in dem Apartment zu bleiben, das sie mit Mason bewohnt hatte. Sie hatten sich Dinge an den Kopf geworfen, die keiner von ihnen jemals zurücknehmen konnte.

Ethan hatte ihr immer das Gefühl vermittelt, dass sie etwas Besonderes war. Nicht das Mädchen, das von seiner drogensüchtigen Mutter verlassen worden war, um anschließend von einer Pflegefamilie in die nächste zu wechseln.

„Das ist dein Zimmer.“ Sie waren die Stufen zur ersten Etage hinaufgestiegen. Ethan öffnete eine Tür auf der rechten Seite.

Staunend stand sie an der Türschwelle zu einem luxuriösen Schlafzimmer. Bisher war sie noch nie bei Ethan gewesen; stets hatte er sie an der Westküste besucht. Sein Haus war geprägt von spanischen Stilelementen, von den maurischen Fliesen im Eingangsbereich bis hin zu dem schwungvollen Türbogen zum Wohnzimmer. Aber dieser Raum war im rustikalen Westernstil eingerichtet und mit dickem Teppichboden ausgelegt. Beinahe wünschte sie sich, barfuß zu sein, um den weichen Flor unter den Fußsohlen spüren zu können. Ein großes Himmelbett mit Baldachin stand mitten im Raum; an der Seite befanden sich zwei gepolsterte Ledersessel mit einem Cocktailtisch dazwischen. An der Wand hing ein großes Gemälde, das die Landschaft rund um Texas Hill darstellte.

„Ein traumhaftes Zimmer!“, rief Crissanne hingerissen.

„Freut mich, dass es dir gefällt. Vom Alkoven aus, in dem ein Sekretär steht, gelangst du in den begehbaren Kleiderschrank und in das angrenzende Bad. Lass es mich wissen, wenn du irgendetwas brauchst.“

„Ich bin ziemlich anspruchslos. Ich denke, ich komme zurecht“, sagte sie.

Er nickte. „Weißt du, ich glaube, dass Mason gleich nach seiner Ankunft in Lima anrufen wird, um sich bei dir zu entschuldigen.“

Diese Einschätzung teilte sie nicht. Als sie Mason vorgeschlagen hatte, zu heiraten und eine Familie zu gründen, hatte er nicht schnell genug vor ihr Reißaus nehmen können. Dass er sich sträuben würde, hatte sie erwartet. Schließlich war ihr Leben bisher gänzlich anders verlaufen: Meist trafen sie sich irgendwo auf einem Flughafen, um dann die Nacht gemeinsam in einem seiner vielen Apartments rund um den Globus zu verbringen. Eine Diskussion hatte sie daher erwartet, aber von ihm so hart abgewiesen zu werden, das hatte sie verletzt.

Klipp und klar hatte er gesagt, dass er keine Familie wollte, wohingegen sie schon immer davon geträumt hatte. Vor allem, weil sie selbst eine so unglückliche Kindheit gehabt hatte.

„Darauf würde ich mich nicht verlassen“, sagte sie daher nach kurzem Schweigen.

„Na gut, wie gesagt, du kannst so lange bleiben wie nötig. Nimm dir Zeit, um dich einzugewöhnen. Ich werde mich jetzt in mein Arbeitszimmer zurückziehen, um die Unterlagen für den morgigen Prozesstag zu sichten.“

„Wenn es dir lieber ist, können wir das Abendessen auch ausfallen lassen“, sagte sie.

„Nein, ich hatte ohnehin vor, heute auswärts zu essen. Und mein Vater würde mir den Hintern versohlen, wenn er wüsste, dass ich dir Müsli serviere, nachdem du eine so lange Reise hinter dich gebracht hast“, sagte Ethan und schenkte ihr dabei sein herzliches Lächeln.

„Wie läuft es eigentlich auf Rockin’C?“, fragte sie.

„Nicht schlecht. Dad ist im Ruhestand, aber das hat nicht viel zu bedeuten“, antwortete Ethan. „Er steckt seine Nase noch immer überall hinein, was Nate fast in den Wahnsinn treibt.“

Ethan war einer von vier Brüdern. Nate, der Älteste, hatte die Familienranch Rockin’C übernommen und war Geschäftsführer einer Gesellschaft, die alle Rechte an Öl und Mineralstoffen auf seinem Grund und Boden beanspruchte. Ein weiterer Bruder, Hunter, war früher Quarterback in der nationalen Football-Liga gewesen und war der Wildeste von allen. Erst vor Kurzem war er von einer Anklage freigesprochen worden, die sich auf ein Ereignis in seiner Collegezeit bezogen hatte. Und dann gab es da noch Derek, der als Chirurg in Cole’s Hill praktizierte.

Crissanne lächelte, als sie an Ethans Familie dachte. Sie musterte ihn. Für einen Anwalt war Ethan eigentlich viel zu sexy. Er hatte blondes Haar, das ihm lockig in die Stirn fiel – trotz seiner Versuche, es mit Gel zu bändigen. Sein Hemd betonte seine sportliche Figur, die muskulösen Arme und seinen flachen Bauch.

„Geht er dir etwa auch auf die Nerven?“ Erst jetzt bemerkte sie, dass sie Ethan schon viel zu lang angestarrt hatte.

„Manchmal schon. Aber zum Glück wird er meist von Nates Tochter Penny abgelenkt. Eine Enkelin zu haben scheint Dad ganz gut zu beschäftigen. Ach ja, übrigens, ich wohne nicht allein hier im Haus. Ich habe noch einen … Butler, auch wenn mich die Bezeichnung ein wenig an ‚Downton Abbey‘ erinnert. Wie auch immer, sein Name ist Bart, er wohnt hier und kümmert sich um das Haus, den Pool und das Gelände.“

„Du hast Bedienstete?“, fragte sie verwundert.

„Das wäre wahrscheinlich nicht notwendig, aber ich bin viel unterwegs. Außerdem hat Bart einen Job gesucht, und niemand wollte ihn anstellen, weil er vorbestraft ist. Und Mrs. Yarnall hat schon für meine Eltern gearbeitet. Aber seit die beiden in das kleinere Nebengebäude gezogen sind, wird sie dort nicht mehr gebraucht. Sie hat nur noch fünf Jahre bis zur Rente und ist die Perle in meinem Haushalt.“

„Und Bart? Hast du dir keine Sorgen gemacht, als du ihn eingestellt hast?“

Ethan schüttelte den Kopf. „Er ist ein guter Kerl, der in seiner Jugend leider schlechten Einflüssen ausgesetzt war. Und ich finde, er hat sich wirklich zu seinem Vorteil verändert, seit er auf Bewährung entlassen wurde.“

Bewundernd schüttelte sie den Kopf. Einmal mehr zeigte sich ihr, was für ein Mann Ethan war. Er kümmerte sich um andere und sah zuallererst den Menschen, nicht die Umstände wie Erziehung, Vorstrafen oder Alter. Ethan gab wirklich jedem eine Chance.

Allerdings hatte das auch Nachteile: Wenngleich sie schnell gemerkt hatte, dass Ethan sie gernhatte, machte sie sich keine Hoffnung, dass mehr im Spiel sein könnte als reine Neugier. Mason war Ethans Freund, und Ethan war loyal, das gehörte zu seinem Ehrenkodex.

Wahrscheinlich hatte er nur deshalb Interesse an ihr, weil sie für ihn tabu war. Früher war ihr das egal gewesen, jetzt machte es sie traurig. Sie hatte sich Ethan immer als perfekten Mann ohne Schwächen vorgestellt.

Er schlenderte zur Tür, wo er innehielt. „Alle Räume gehen auf den Balkon hinaus. Von dort aus kannst du auf den Pool und den Garten schauen“, erklärte er.

„Wo ist dein Zimmer?“

„Zwei Türen weiter“, sagte er, ehe er hinausging und die Tür hinter sich zuzog.

Da stand sie nun und musste sich anstrengen, um sich nicht verloren zu fühlen. Dieses Gefühl hatte sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr verspürt. Es war wie damals, wenn sie wieder einmal in eine neue Pflegefamilie weitergereicht worden war. Nie hatte sie gewusst, wo sie als Nächstes hingeschickt werden würde. Wieder war sie auf sich allein gestellt. Sie hatte sich daran gewöhnt, mit Mason eine Art Familienleben zu führen, aber das war offenbar trügerisch gewesen. Für ihn war es eine lockere Beziehung gewesen, nicht mehr. Und sie hatte sich eingeredet, es wäre etwas Ernstes. Sie schwor sich, diesen Fehler nicht noch einmal zu begehen.

Ethan rieb sich den Nacken, während er die Tür seines Arbeitszimmers schloss und sich dagegenlehnte. Seine Brüder waren mittlerweile alle zur Ruhe gekommen und hatten ihr Leben in den Griff gekriegt. Aber welche wichtigen Dinge gab es eigentlich in seinem eigenen Leben? Da waren einerseits sein Job und die Karriere, die er liebte und niemals aufgeben wollte. Und andererseits eine Frau, die ihn lediglich als guten Freund betrachtete.

Verdammter Mist!

Er trat an seinen Schreibtisch, setzte sich in den großen Lederdrehstuhl und betrachtete das gerahmte Foto auf dem Tisch, das ihn und seine Brüder bei Nates Hochzeit zeigte. Sein Leben sah von außen perfekt aus, auch wenn es in Wirklichkeit ganz anders war.

Er kannte seine Schwächen und war es gewohnt, sich ihnen zu stellen. Deshalb wusste er, dass es sinnlos war, seine Gefühle für Crissanne zu ignorieren. Er musste sich mit ihnen auseinandersetzen – und das Ganze endlich abhaken.

Er hatte Bart per SMS mitgeteilt, dass sie im Haus war. Vielleicht hatten die beiden sich mittlerweile getroffen und einander vorgestellt.

Er verließ sein Büro und ging hinüber zur Küche, aus der Musik zu hören war. Das sah Bart eigentlich nicht ähnlich, aber vielleicht hatte Crissanne ihn ja auch schon mit ihrem Charme um den Finger gewickelt.

Aber Bart war nicht da, nur Crissanne. Sie sang zu einem Lied im Radio mit, während sie an der Kücheninsel vor ihrem Laptop saß und tippte. Sie hatte Ethan den Rücken zugewandt, und er blieb stehen, um sie zu betrachten.

Nein, sie war nicht im Geringsten sexy, während sie an ihrem Rechner arbeitete. Das zumindest versuchte er sich einzureden. Er beschloss, sie wie eine seiner Schwägerinnen zu behandeln. Das schien ihm die einzige Lösung zu sein.

Als sie ihn bemerkte, drehte sie sich zu ihm um und hörte auf zu singen.

„Entschuldige“, sagte sie. „Offenbar habe ich mich selbst vergessen und laut mitgesungen.“

„Ja, das hast du“, antwortete er. „Und ich fand es gut.“

„Wirklich?“

„Hunter singt auch immer vor sich hin. Allerdings hört sich sein Gesang wirklich anders an. Der Junge hat viele Talente, aber Singen gehört definitiv nicht dazu“, sagte Ethan, während er an seinen Bruder dachte.

„Ich finde, deine Familie ist so …“

„Zahlreich und anstrengend?“, ergänzte er ihren Satz.

„Nein, nett“, sagte sie schließlich. „Ich habe ja leider keine Geschwister.“

Ethan lehnte sich an die Küchenzeile. „Sie können einen wirklich in den Wahnsinn treiben. Du glaubst nicht, wie oft ich mir gewünscht habe, ein Einzelkind zu sein.“

„Aber heute denkst du nicht mehr so, oder?“

Er schüttelte den Kopf. Mittlerweile war er froh darüber, Geschwister zu haben und eine Familie, mit der er sich verbunden fühlte.

„Ich habe darüber nachgedacht, ob du nicht einen Videoclip über Cole’s Hill machen könntest, um ihn in deinem Reiseblog zu veröffentlichen. Wir haben hier jetzt ein Raumfahrtmuseum und ein NASA-Trainingscamp. Hier, ich habe sie für dich auf dem Stadtplan markiert.“ Er überreichte ihr die Karte.

Verwundert zog Crissanne die Brauen hoch. „Du hast dir ja richtig Arbeit gemacht.“

„Das hat nicht lang gedauert“, antwortete er. „Ich dachte, du willst bestimmt etwas zu tun haben. So ist es mir jedenfalls immer ergangen, wenn eine Beziehung in die Brüche gegangen ist.“

„Ich dachte immer, du suchst nur das schnelle Abenteuer.“

Er wusste, dass Mason dieses Gerücht verbreitet hatte. „Es gab durchaus ein paar längere Beziehungen in meinem Leben.“

„Mich würde ja schon interessieren, weshalb du dich nie fest gebunden hast. Aber die Frage wäre wohl zu intim.“

„Ja, das stimmt“, bestätigte er. Er hätte sich eine Lüge ausdenken müssen, denn in Wahrheit war sie der Grund dafür, dass er nie eine dauerhafte Beziehung eingegangen war. Wie hätte er eine feste Freundin haben können, während sein Herz für Crissanne schlug?

Sie lächelte ihn an, ehe sie die Kücheninsel umrundete, zu ihm trat und ihn in die Arme schloss. Zuerst ließ er die Berührung stocksteif über sich ergehen, doch dann legte er ebenfalls die Arme um sie und zog sie an sich, auch wenn er wusste, dass das ein Fehler war. Mit geschlossenen Augen sog er den blumigen Duft ein, der ihrem Haar entströmte. Dann riss er sich zusammen und trat einen Schritt zurück.

„Ich lasse dir vorerst dein kleines Geheimnis“, sagte sie.

„Vielen Dank auch. Bist du bereit, jetzt essen zu gehen?“

„Ja, ich hole nur schnell meine Handtasche.“

Sie verließ den Raum, und er blickte ihr nach, wohl wissend, dass er sich selbst belog, wenn er vorgab, mit ihr nur befreundet sein zu wollen. Er hatte sich selbst noch nie hinters Licht führen können. Er war sich seiner Schwächen immer bewusst gewesen, und sein Faible für Crissanne konnte ihm wirklich gefährlich werden. Nie im Leben würde er in der Lage sein, sie anzusehen, ohne sich mehr zu wünschen. Zum Beispiel, sie zu küssen oder eng aneinandergeschmiegt heiße Nächte mit ihr zu verbringen.

2. KAPITEL

Das Peace Creek Steakhouse lag verkehrsgünstig in der Innenstadt von Cole’s Hill. In Ethans Kindheit hatte seine Familie oft den Nebenraum der Gaststätte für größere Feierlichkeiten gemietet. Während er im Foyer mit Crissanne auf einen freien Tisch wartete, erinnerte er sich daran, wie ihre Haushälterin ihm und seinen Brüdern immer Geld zugesteckt hatte, damit sie sich Bonbons am Automaten ziehen konnten. Dabei hatten sie sich meist gestritten, wer als Erster seine Münze hineinstecken durfte.

Schon damals hatte Ethan gelernt, mit Worten statt mit Fäusten zu argumentieren. Gegen Nate, der zwei Köpfe größer war als er, hätte er sonst keine Chance gehabt. Durch ein Wortgefecht ließ sich Nate aber meist provozieren, und auch wenn Ethan oft Blessuren von ihrem Streit davongetragen hatte, war es ihm das wert gewesen, um als Erster am Süßigkeitenautomat zu sein.

„Worüber denkst du nach?“, wollte Crissanne wissen.

„Wie ich mit meinen Brüdern gekämpft habe, um als Erster ein Bonbon aus diesem Automaten zu ziehen.“

„Es kommt mir so exotisch vor, dass du die meiste Zeit deines Lebens an einem Ort verbracht hast. Ich wette, für dich steckt hier jede Ecke voller Erinnerungen.“

„Das stimmt. Gibt es für dich keinen Platz, an den du zurückkehren kannst?“

„Wohl kaum. Das Heim, in dem ich als Kind gelebt habe, wurde vor einigen Jahren abgerissen, und meine Teenagerjahre habe ich in wechselnden Pflegefamilien verbracht. Ich glaube, die Zukunft ist für mich rosiger als die Vergangenheit“, sagte sie nüchtern.

Autor

Katherine Garbera

Katherine kann sich nichts Schöneres vorstellen, als zu schreiben. Jedes Buch gibt ihr die Gelegenheit, die unterschiedlichen Verhaltensmuster der Menschen hervorzuheben. Leidenschaftliche Liebesromane zu verfassen, bedeutet für sie die Verwirklichung eines Traumes.

Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann, den sie in "Fantasyland" kennenlernte, und den beiden gemeinsamen Kindern in Florida.

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