Lady oder Kurtisane?

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Beim morgendlichen Ausritt scheut Dianas Pferd! Doch ein Gentleman eilt ihr zur Hilfe. Vom Charme ihres Retters fasziniert, lässt Diana sich zu einem gewagten Versprechen hinreißen: Gleich morgen wird sie Lord Garthdale wieder im Hyde Park erwarten! Doch wie heute wird sie ihr Gesicht hinter einem Schleier verbergen ?


  • Erscheinungstag 01.04.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733764685
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL
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„Oh Diana, bist du nicht aufgeregt, wieder in London zu sein?“, fragte Miss Phoebe Lowden, und ihre grünen Augen strahlten vor Begeisterung, während sie durch das Kutschfenster auf die rege Betriebsamkeit auf der Straße hinausblickte. „Ich habe nur zwei Monate auf Narbeth Hall verbracht, aber es waren die längsten zwei Monate meines Lebens. Wie hältst du es dort nur aus?“

Miss Diana Hepworth, die junge Dame, an die die Frage gerichtet wurde, lächelte gelassen. „Liebe Phoebe, nicht jeder Tag auf dem Lande ist langweilig, weißt du? Und Narbeth Hall ist, falls du es vergessen haben solltest, mein Zuhause.“

„Ja, aber Tante Isabel meinte auch, es wird Zeit, dass du einen Teil des Jahres in London verbringst. Immerhin hast du schon eine Saison hier mitgemacht, und dennoch ziehst du es vor, dich auf dem Land zu vergraben, wo es keinen Gentleman gibt, der dir gefällt. Warum nur? Findest du das Stadtleben wirklich so abscheulich?“

Diana ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Tatsächlich war sie nicht sehr erfreut über ihre Rückkehr nach London. Je näher sie ihrem Ziel kam und je deutlicher sie sich wieder an die Gründe für ihre Abreise von dort erinnerte, desto schwerer fiel es ihr, Phoebe zuliebe Freude zu heucheln.

„Nein, nicht alles an London missfällt mir“, sagte sie, nachdem sie beschlossen hatte, so ehrlich wie möglich zu sein. „Es hat viele wundervolle Dinge zu bieten. Die Theatervorstellungen in der Drury Lane sind vorzüglich und die Geschäfte großartig und ganz und gar nicht mit unseren kleinen Läden zu vergleichen. Aber ansonsten bin ich mit meinem Leben auf dem Land zufrieden. Die vielen Menschen fehlen mir jedenfalls nicht, und die Gespräche in den feinen Salons hier sind nicht unbedingt geistreicher als die in meinem Dorf. Das wirst du bald herausfinden. Doch wir sind nicht hier, um über die Gründe zu sprechen, die mich aufs Land ziehen“, wechselte sie geschickt das Thema, „sondern um dich dabei zu beobachten, wie du London im Sturm eroberst und dich am Ende der Saison hoffentlich verlobst oder gar verheiratest.“

„Oh, das wäre so schön, Diana“, rief Phoebe und schlug die Hände zusammen. „Und zwar mit dem stattlichsten Mann in ganz London!“ Sie lachte. „Allerdings glaube ich nicht, dass ich großen Erfolg haben werde. Es gibt hier so viele schöne Damen. Und alle sind so kultiviert und geistreich und so geschickt im Flirten. Sollte mich wirklich ein interessanter Mann ansprechen, werde ich wahrscheinlich zu stottern anfangen.“

„Unsinn. Du wirst reden wie immer, klug und lustig. Außerdem denke ich, es wird keinem Gentleman so wichtig sein, was du sagst, solange du ihn nur mit deinen wunderschönen grünen Augen ansiehst.“ Diana zwinkerte ihr zu. „Gut, dass du nicht länger in Narbeth Hall geblieben bist. Thomas Stanhope schien recht angetan von dir gewesen zu sein, und an ihn wärst du gewiss vergeudet.“

„Aber du doch auch, liebe Diana!“, rief Phoebe eindringlich. „Du musst mit mir kommen, ich bitte dich! Ich weiß, mich wird alles sehr viel mehr erfreuen, wenn du bei mir bist.“

„Ich fühle mich geschmeichelt, meine Liebe, aber wir hatten abgemacht, dass ich nur die Rolle deiner Anstandsdame spielen würde.“

„So ein Humbug! Tante Isabel wird es nicht zulassen. Sie wird bestimmt darauf bestehen, dass wir beide nach einem Gatten suchen. Ich weiß“, fügte sie hinzu, als Dianas Miene ernst wurde, „du wirst dich wie immer weigern, aber Tante Isabel hat recht. Du bist viel zu hübsch, um zu Hause zu sitzen und zu versauern. Warum sollst du nicht auch genießen, was London zu bieten hat? Und hast du nicht von Freunden gesprochen, die du wiedersehen möchtest?“

Diana seufzte. Sie besaß wirklich Freunde in der Stadt. Doch woher soll ich wissen, ob diese ihrerseits den Wunsch verspüren, mich wiederzusehen? fragte sie sich. Und vor allem, wie sollte sie Phoebe erklären, was vor vier Jahren geschah, das dieses ungute Gefühl in ihr rechtfertigte?

Zu ihrer großen Erleichterung erreichten sie in diesem Moment das Haus ihrer Tante in der George Street, und Diana brauchte sich nicht den Kopf zu zerbrechen wegen einer geschickten Antwort.

Nachdem sie ausgestiegen und die Stufen zum Portal hinaufgestiegen waren, öffnete ihnen Jiggins, der langjährige Butler ihrer Tante, die Tür und sorgte dafür, dass ihr Gepäck ins Haus gebracht wurde. Gleich darauf hörte Diana die Stimme ihrer Tante.

„Diana, Phoebe, seid ihr das? Du liebe Zeit, Mädchen, ich dachte, ihr würdet niemals ankommen!“

Diana stellte erfreut fest, wie gut sie aussah. Obwohl Mrs. Isabel Mitchell bereits ihren dreiundfünfzigsten Geburtstag gefeiert hatte, war sie immer noch eine bemerkenswert attraktive Frau. Ihr einst feuerrotes Haar hatte inzwischen einen warmen rotbraunen Ton angenommen, und die Augen, von einem etwas helleren Grün als Phoebes, strahlten die Leidenschaft und die Begeisterungsfähigkeit aus, die so sehr Teil ihrer Persönlichkeit waren. Vor sechs Jahren hatte sie ihren Mann verloren und trug seitdem selten helle Farben, sondern zog würdevolles Dunkelblau und Violett vor und gelegentlich ein dunkles Rotbraun. Es sei ihr Versuch, scherzte sie gelegentlich, sich gesetzt zu geben – eine Eigenschaft, die sie die meiste Zeit ihres Lebens schmerzlich habe vermissen lassen.

„Nun, meine Lieben, hattet ihr eine angenehme Reise?“, fragte sie und umarmte ihre Nichten herzlich.

„Es war sehr schön, Tante“, rief Phoebe, „aber ich bin so froh, hier zu sein.“

„Gut. Und jetzt, da ihr hier seid, müssen wir es uns gemütlich machen. Kommt mit.“

Diana hakte sich bei ihrer Tante ein, und Phoebe folgte einige Schritte hinter ihnen. „Wie geht es Chaucer, Tante Isabel?“, fragte sie, als sie zum Salon gingen. „Ist er bei dir, oder hast du ihn auf dem Land gelassen?“

„Oh ja, hier ist er schon, aber das unmögliche Geschöpf schläft fast den ganzen Tag. Allerdings bin ich sicher, er wird sich freuen, dich wiederzusehen. Tatsächlich glaube ich, ich höre ihn an der Tür kratzen. Hör auf damit, Chaucer, sonst zieht Jiggins dir das Fell über die Ohren und benutzt es als Kaminvorleger!“

Diana lachte. Chaucer, ein wahrer Riese von einem Hund und wahrlich kein Schoßhündchen, war, trotz allem, was ihr tadelnder Ton vermuten ließ, der Liebling ihrer Tante.

„Sitz, Chaucer!“, schimpfte sie jetzt, als sie die Tür öffnete, und das große Tier vorwärtssprang. „Hast du denn keine Manieren? Begib dich sofort an deinen Platz und warte, bis du gerufen wirst.“

Der Hund brachte ein leises Jaulen hervor, tat aber wohlweislich, was ihm befohlen wurde.

„So ist es schon besser. Und jetzt“, wandte Mrs. Mitchell sich an ihre Nichten, „lasst mich euch ein wenig betrachten. Auf mein Wort, was für elegante junge Damen ihr doch geworden seid.“

Phoebe verdrehte die Augen. „Ich bin vielleicht elegant geworden, Tante Isabel. Diana war es schon das letzte Mal, als du sie sahst.“

„Das stimmt, Phoebe. Und du bist jetzt ein ganzes Stück größer und so viel hübscher.“ Mrs. Mitchell schloss die Tür hinter ihnen. „Zeig mir doch mal, was du gelernt hast. Geh ein wenig auf und ab, mein Kind, sei so lieb.“

Phoebe kam ihrem Wunsch nach und wurde mit einem anerkennenden Nicken belohnt. „Vorzüglich. Ich denke, dein Aufenthalt in Mrs. Harrison-Whytes Schule für junge Damen war genau, was du brauchtest. Hat dir der Unterricht dort gefallen?“

„Schon, aber ich bin froh, dass ich ihn hinter mir habe“, sagte Phoebe und ließ sich recht undamenhaft in einen rosafarbenen Sessel fallen. „Die meisten Lehrerinnen waren ausnehmend mürrisch, und der Stundenplan war sehr streng.“

„Das gehört nun mal dazu, meine Liebe. Die Frage ist, hast du etwas gelernt? Immerhin der Grund, weswegen man dich überhaupt dort hingeschickt hat.“

Mais oui. Fait-il toujours aussi chaud?“, sagte Phoebe in akzentfreiem Französisch. „Das heißt, ist es immer so warm. Außerdem sind mir die Lehren der griechischen Philosophen geläufig, und ich kann dir ohne das geringste Zögern aufzählen, wo sich Konstantinopel, das Kap der guten Hoffnung und viele weitere, ebenso exotische und faszinierende Orte befinden.“

„Du liebe Güte!“ Mrs. Mitchell machte einen leicht erschrockenen Eindruck. „Sie haben dich in einen Blaustrumpf verwandelt!“

„Aber nein, Tante“, lenkte Phoebe lachend ein. „Weil ich auch gelernt habe, zu malen und Blumen zu arrangieren, einen Haushalt zu führen und höfliche Konversation mit gut aussehenden jungen Männern zu treiben, von denen sich einer hoffentlich bereit zeigen wird, mich zu heiraten.“

„Nun, ich bin erleichtert zu hören, dass du nicht beabsichtigst, dein Leben dem Studium der Philosophie zu widmen“, sagte Mrs. Mitchell amüsiert. „Deine erste Saison solltest du jedoch in vollen Zügen genießen, mein Kind. Wenn du erst einmal verheiratet bist, warten ganz andere Pflichten auf dich.“

„Von denen ich jede einzelne gern erfüllen werde, denn sie bedeuten, dass ich einen Gatten habe. Und darauf freue ich mich jetzt schon mehr als auf irgendetwas anderes!“

Diana setzte sich in einen Sessel neben dem Kamin und lächelte verhalten. Nur wenige Jahre trennten sie von Phoebe, und doch kam es ihr manchmal vor, es wäre ein ganzes Jahrzehnt. Auch sie war einmal in der Hoffnung nach London gekommen, den Mann ihrer Träume zu finden und ein wundervolles Leben zu beginnen. Die Wahrheit hatte allerdings ganz anders ausgesehen, und nur drei Monate später war sie wieder aufs Land zurückgekehrt – und nicht nur um ihre Kindheitsträume ärmer.

Sie sah auf und bemerkte den nachdenklichen Blick ihrer Tante auf sich.

„Phoebe, warum gehst du nicht schon auf dein Zimmer?“, sagte Mrs. Mitchell leise. „Ich habe es von Grund auf umgestalten lassen für dich.“

Phoebe strahlte. „Wirklich?“

„Natürlich. Du bist jetzt eine junge Dame und musst auch wie eine behandelt werden. Mrs. Grimshaw wird dich nach oben bringen.“ Sie wies auf die Haushälterin, die in diesem Moment die Tür öffnete, um den Tee zu servieren.

„Danke, Tante Isabel“, rief Phoebe und umarmte sie überschwänglich. „Oh, ich bin so glücklich, wieder in London zu sein! Ich weiß, wir werden uns köstlich amüsieren, obwohl Diana nur widerwillig gekommen ist.“

Und nachdem sie das geäußert hatte, folgte sie der Haushälterin. Mrs. Mitchell sah ihr kopfschüttelnd nach und lächelte über das unaufhörliche Geplapper, mit dem Phoebe jetzt Mrs. Grimshaw beglückte. „Du liebe Güte, ich hatte fast vergessen, was es heißt, so jung zu sein. Das Kind hat so viel Energie!“

„In der Tat“, stimmte Diana trocken zu. „Ich kam mir in den letzten zwei Monaten oft sehr alt und gesetzt vor.“

Isabel Mitchell betrachtete ihre Lieblingsnichte, und ihr Blick wurde sanft. „Nichts an dir ist gesetzt, Diana, und mit einundzwanzig Jahren bist du wohl kaum alt. Doch du siehst nicht so glücklich aus, wie ich mir gewünscht hätte. Vielleicht können wir etwas tun, um deine Augen wieder zum Strahlen zu bringen.“

„Schon die Zeit, die ich mit dir verbringen darf, wird das zuwege bringen“, sagte Diana lächelnd und sah sich zufrieden um. „Es scheint ewig her zu sein.“

„Vier Jahre sind eine lange Zeit, wenn man jung ist“, stimmte ihre Tante zu. „In meinem Alter ist es lediglich ein Wimpernschlag. Schon gut, Chaucer, du darfst Diana begrüßen. Aber höflich, wenn ich bitten darf.“

Der Wolfshund, der die ganze Zeit ein leises Jaulen von sich gegeben hatte, sprang sofort auf und kam langsam auf Diana zu. Mit einem zufriedenen Seufzer legte er seinen großen Kopf auf ihre Knie und sah treuherzig zu ihr auf.

„Wird er immer noch so schändlich von dir verwöhnt?“, fragte Diana amüsiert und strich ihm über das zottige Fell.

„Aber natürlich.“ Mrs. Mitchell schenkte Tee ein. „Wir alle verdienen es, an unserem Lebensabend verwöhnt zu werden. Tee?“

„Danke, gern.“

Mrs. Mitchell stellte die Tasse vor Diana auf den Tisch. „Erzähl mir bitte, was du wirklich darüber empfindest, wieder in London zu sein. Phoebe scheint zu glauben, dass es dir nicht so recht ist.“

Diana wich ihrem Blick aus. „Um dir die Wahrheit zu sagen, weiß ich nicht genau, was ich empfinde. Am liebsten wäre ich, glaube ich, zu Hause geblieben.“

„Doch du bist gekommen.“

Lächelnd sah sie auf. „Weil Phoebe mir so lange keine Ruhe ließ, bis ich einwilligte.“

Mrs. Mitchell lachte. „Nun, wenn es dich tröstet, sollst du wissen, wie viele sich darüber freuen, dich wiederzusehen. Erst letzte Woche begegnete ich Mrs. Townley und ihrer Tochter, und du hättest die Freude auf Amandas Gesicht sehen sollen, als ich ihr sagte, dass du kommen würdest.“

Bei dem Gedanken an Amanda, die einst ihre beste Freundin gewesen war, sah Diana angenehm überrascht auf. „Geht es ihr gut?“

„Sehr gut. Amanda hat sich sehr verändert, seit du sie das letzte Mal sahst. Du wirst dich wundern. Jedenfalls war ich hoch erfreut, als sie mir ihre Begeisterung über dein Kommen ausdrückte. Habt ihr euch zwischenzeitlich geschrieben?“

Diana griff nach ihrer Teetasse und schüttelte den Kopf. Amanda gehörte zu den wenigen, die sie nicht schnitten, nachdem sie die Verbindung zu Lord Durling gelöst hatte. In den ersten Monaten danach hatte Amanda ihr sogar geschrieben. Doch plötzlich hatte sie keinen Brief mehr erhalten und war zu dem Schluss gekommen, dass man ihre Freundin gezwungen hatte, die Verbindung mit ihr zu beenden.

„Wie ich hörte, hat sich Amanda kürzlich verlobt“, sagte sie. „Ist der Hochzeitstermin bereits festgesetzt?“

„Ja. Mrs. Townley muss ihn mir auch genannt haben, aber ich kann mich um nichts auf der Welt daran erinnern, fürchte ich. Allerdings wird Amanda es dir selbst sagen können.“

„Ich werde sie sehen?“

„In der Tat, mein Kind. Mrs. Townley gibt in dieser Woche eine Soirée und bat mich, dich und Phoebe mitzubringen.“ Mrs. Mitchell legte die Hand auf Dianas und lächelte liebevoll. „Ich hoffe, du wirst dich wieder an die Geselligkeit hier gewöhnen, meine Liebe. Denkst du denn noch immer an das, was damals geschah? Es sind immerhin vier Jahre vergangen.“

„Ja, und ich glaubte auch, ich hätte es überwunden. Aber jetzt, da ich wieder hier bin …“ Diana hielt inne und schüttelte den Kopf. „Es ist seltsam, weißt du. In gewisser Weise fühlt es sich so an, als wäre eine Ewigkeit vergangen. Doch dann wieder kommt es mir so vor, als wäre es erst gestern geschehen. Kannst du das verstehen?“

Mrs. Mitchell seufzte. „Widrigkeiten wie jene beeinflussen einen Menschen sehr, Diana. So sehr, dass sie einen verändern können.“

„Haben sie mich verändert?“

„Oh ja, sehr sogar. Sie haben dich stärker gemacht.“

„Da bin ich mir nicht so sicher“, erwiderte Diana leise. „Manchmal denke ich, ich hätte die Dinge einfach so lassen sollen. Schließlich findet niemand in der Ehe den Himmel auf Erden, obwohl ich in meiner Unerfahrenheit glaubte, es könne den vollkommenen Mann für mich geben.“

„Glaubst du wirklich, dass niemand in der Ehe sein Glück findet?“

Diana erwiderte offen den Blick ihrer Tante und wusste, sie konnte nicht lügen. „Nein.“

„Gut, weil ich sehr enttäuscht gewesen wäre, wenn du Ja gesagt hättest. Eine Ehe kann sehr wohl der Himmel auf Erden sein, Diana. Es kommt darauf an, was die beiden Menschen, die sie eingehen, füreinander empfinden. Keiner von uns ist vollkommen, aber wir geben unser Bestes. Und genau das hättest auch du getan, weil du das Beispiel deiner Eltern vor Augen hattest.“

Diana lächelte wehmütig. „Sie fehlen mir so sehr, Tante Isabel. Manchmal so sehr, dass es schmerzt, doch dann wieder bin ich froh, dass sie nicht miterleben mussten, was geschehen ist.“

„Ja, sie hätten mit dir gelitten für alles, was du durchmachen musstest, mein Liebes. Aber du hast Würde und Stolz gezeigt wie eine wahre Dame.“

Diana seufzte. „Das mag ja sein, Tante Isabel, was hilft es mir jedoch, wenn mein Ruf einen solchen Schaden genommen hat?“

„Was es dir hilft? Ich bitte dich, mein Kind, ein angeschlagener Ruf kann gerettet werden, doch wer seine Würde verliert, verliert sie für immer.“ Mrs. Mitchell tätschelte Diana die Hand. „Warum gehst du jetzt nicht nach oben und ruhst dich noch ein wenig vor dem Dinner aus? Wir essen erst in zwei Stunden, also bleibt dir genügend Zeit. Ich möchte wieder Farbe auf deinen hübschen Wangen sehen.“

Diana lächelte. „Eine kleine Ruhepause ist mir sehr recht. Ich liebe Phoebe von Herzen, aber ihr Geplapper kann manchmal anstrengend sein. So, Chaucer, Zeit für dich, ins Körbchen zu springen“, sagte sie, gab dem Hund einen sanften Schubs und stand auf.

Schon an der Tür angekommen, wurde sie noch von einer letzten Frage ihrer Tante aufgehalten. „Hast du Phoebe erzählt, was vor vier Jahren geschehen ist?“

Diana schüttelte den Kopf. „Ich brachte es nicht übers Herz. Sie sehnt sich so sehr danach, sich zu verlieben und zu heiraten, dass ich ihr die Freude nicht nehmen wollte. Andererseits mache ich mir Sorgen, was wäre, wenn sie es von jemand anders erfahren würde.“

„Sicher, die Möglichkeit besteht“, überlegte Mrs. Mitchell. „Da du nicht bereit warst, den Menschen zu verraten, was wirklich zwischen dir und Lord Durling vorgefallen ist, blieb ihnen nichts anderes übrig, als seinen Worten zu glauben – dass du ihm auf die hartherzigste Art den Laufpass gegeben hast. Natürlich heißt das nicht zwangsläufig, die Leute werden wieder zu reden anfangen. Und da Phoebe ständig in unserer Nähe sein wird, wenn wir ausgehen, sollten wir es eigentlich zu verhindern wissen. Trotzdem können wir nicht vollkommen sicher sein.“

„Meinst du also, ich sollte es ihr sagen?“

„Ich meine, wir sollten erst einmal abwarten. Die meisten werden gewiss glauben, dass Phoebe es bereits weiß, und sich somit nicht die Mühe machen. In jedem Fall wird Phoebe sofort zu dir eilen, um die Wahrheit zu hören, sollte ihr etwas zu Ohren kommen. Dann kannst du dir immer noch überlegen, was du tun willst.“

Diana nickte und fragte leise: „Glaubst du, Lord Durling hat von meiner Ankunft erfahren?“

„Oh Diana“, meinte ihre Tante seufzend. „Ganz bestimmt sogar. Er ist mit allen und jedem bekannt, also kann ihm diese Neuigkeit nicht entgehen.“

Diana straffte unwillkürlich die Schultern. Natürlich würde er es wissen. Sie musste herausfinden, ob die gute Gesellschaft von London immer noch die Geschichte glaubte, die er damals in die Welt gesetzt hatte. Irgendwie musste sie in Erfahrung bringen, ob man sie immer noch für die herzlose Intrigantin hielt, die ihren Verlobten aus den eigennützigsten Gründen verlassen hatte – noch dazu am Abend vor ihrer Hochzeit.

2. KAPITEL
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Im Großen und Ganzen betrachtet war Edward Thurlow, Earl of Garthdale, nicht unzufrieden mit seinem Leben. Seine gesellschaftliche Stellung rief bei den meisten Menschen Neid hervor. Er hatte beim Tod seines Vaters nicht nur den Titel geerbt, sondern auch das beträchtliche Vermögen und die Länder, die damit einhergingen. Seine Gesundheit war vorzüglich, er nannte einen großen Freundeskreis sein eigen, und seine familiären Umstände waren meistenteils annehmbar.

Er hatte zwei Schwestern: Barbara, die Ältere, war glücklich verheiratet und würde in Bälde ihr zweites Kind bekommen, und Ellen, die Jüngere, war mit einem adligen Gentleman bekannt, der allem Anschein nach kurz davor stand, um ihre Hand zu bitten. Der einzige Mensch, der mir in meinem sonst so glücklichen Leben Sorge bereitet, dachte Edward, ist meine Mutter.

Sein Vater, Gott habe ihn selig, starb vor viereinhalb Jahren, doch seine Mutter kam noch immer nicht über seinen Tod hinweg. Je mehr Zeit verging, desto verdrießlicher und verbitterter wurde sie. Irgendwann hatte sie begonnen, sich über diverse körperliche Wehwehchen zu beschweren, die plötzlich wie aus dem Nichts erschienen, und befand sich seitdem immer öfter im Bett und jammerte, niemand könne verstehen, wie sehr sie leide.

Es erstaunte ihn nicht, dass viele ihrer Freunde die Besuche bei ihr einstellten. Folglich wuchs ihre Abhängigkeit von ihrer Familie im selben Maße wie auch ihre, wie er fest glaubte, eingebildeten Leiden.

Leider konnte er nicht viel tun, ebenso wenig wie Barbara, die sich um ihre eigene Familie kümmern musste. Und so wurde die Hauptlast Ellen aufgebürdet. Dass ihre jüngste Tochter bald verlobt sein könnte, hielt Lady Garthdale nicht davon ab, sie zu bemuttern, als wäre sie noch ein Kind.

Oft hatte Edward den Eindruck, dass Ellen tatsächlich nicht viel mehr Vernunft besaß als ein Kind, aber sie war ein liebes Mädchen und verdiente es, glücklich zu werden. Glücklicherweise schien ein Mann von Stand und großem Vermögen ihre inneren Werte erkannt zu haben. Sobald seine jüngere Schwester verheiratet war, konnte er selbst sich auch Plänen für seine eigene Verehelichung zuwenden.

Nicht, dass er irgendwelche Pläne in dieser Hinsicht hegte. In Gedanken versunken, ritt er an diesem frühen Morgen auf seinem großen kastanienbraunen Jagdpferd Titan im morgendlichen Sonnenschein durch den ruhigen Hyde Park. Er hatte das reife Alter von sechsunddreißig Jahren erreicht, ohne in die Ehefalle gelockt worden zu sein, allerdings wusste er, dass er diesen Zustand ändern musste. Es lag schließlich an ihm, den Fortbestand des Titels zu sichern, und bis jetzt hatte er nicht allzu viel über diese Verpflichtung nachgedacht. Dabei blieb ihm keine Wahl – er musste in nicht allzu ferner Zukunft für einen Erben sorgen.

Die Frage stellte sich allerdings, welche Frau er zu seiner Gattin machen sollte? Es gab eine lange Liste passender Damen, die seine Mutter ihm regelmäßig aufzählte. In letzter Zeit brachte selbst Barbara immer häufiger das Thema auf, welche junge Dame am besten geeignet wäre, die künftige Countess of Garthdale zu werden.

Das Problem war allerdings, dass er kein unschuldiges junges Ding zur Frau haben wollte, sondern eine Frau von Charakter, mit der er sich vernünftig unterhalten konnte, weil sie über genügend Verstand verfügte, um eine eigene Meinung zu haben.

War das denn so unerhört von ihm?

Seine Freunde schienen das zu denken, besonders jene, die damit zufrieden wären, ein hübsches, hohlköpfiges Mädchen zu heiraten, das ihnen einen Erben schenken und sie von da an nicht weiter behelligen würde. Im Gegensatz zu ihnen konnte Edward sich kein trostloseres Schicksal vorstellen. Er wollte nicht den Rest seines Lebens mit einer Frau verbringen, mit der ihn kaum etwas verband.

Seine hohe Stellung brachte viele Pflichten mit sich, und über eben diese wollte er auch mit seiner Frau sprechen können. Abgesehen von Barbara schien es aber kaum ein weibliches Geschöpf zu geben, das sich für etwas anderes begeistern konnte als den Inhalt der letzten Ausgabe der „Belle Assemblée“ und anderer Modemagazine.

Edward war tief in Gedanken versunken, und so vergingen einige Momente, bevor ihm bewusst wurde, dass sich ihm ein Reiter näherte. Er sah auf, und zu seiner Überraschung bemerkte er eine elegante Dame, die ihm auf einer sehr hübschen Apfelschimmelstute in Begleitung eines Reitknechts entgegenkam. Da es noch sehr früh war, erregte sie unwillkürlich seine Neugier. Die meisten Damen aus seinem Bekanntenkreis erhoben sich vor Mittag nicht aus dem Bett, doch diese junge Frau ritt schon um halb acht aus. Allein das reichte, um sie in seinen Augen zu etwas Außergewöhnlichem zu machen.

Sein Blick glitt aufmerksam über ihre Gestalt – über den schmeichelnden Schnitt ihres eleganten brombeerfarbenen Reitkostüms und die hohe Qualität der Spitzeneinfassung. Ihr Hut war sehr modisch, doch der ungewöhnlich dichte Schleier verbarg völlig ihre Gesichtszüge, sodass es Edward nicht möglich war, ihr Alter zu schätzen. Ihr schlanker Körper ließ auf eine junge Frau schließen, und ihre Haltung auf die einer sehr geschickten Reiterin. Sie hielt die Zügel sehr fest in den Händen und machte nicht den Eindruck, unruhig zu sein, obwohl die Stute die Ohren gespitzt hatte und schreckhaft zu sein schien.

Die geheimnisvolle Dame wäre sicher ohne ein Wort an ihm vorbeigeritten, wenn nicht eine dürre Katze eben diesen Moment gewählt hätte, um aus dem Gebüsch zu stürzen und direkt zwischen den Vorderbeinen der Stute hindurchzusausen.

Erschrocken bäumte der Schimmel sich auf.

Der Dame entfuhr in ihrer Überraschung ein leichtes Keuchen, und da Edward fürchtete, sie könne fallen, drängte er Titan vorwärts.

Die Katze, immer noch im Besitz ihrer neun Leben, flüchtete unverletzt zurück ins Gebüsch.

„Brauchen Sie Hilfe?“, rief Edward und spielte mit dem Gedanken, nach den Zügeln der Stute zu greifen, obwohl diese wieder auf allen Vieren stand.

„Nein, danke, Sir. Aber es scheint, als wäre Juliet nicht meiner Meinung.“ Der Stimme der Dame, für eine Frau ungewöhnlich tief, merkte man keine Spur von Angst an. „Ich hoffe, sie hat die arme Katze nicht getreten.“

„Seien Sie ganz ruhig. Es ist ihr kein Haar gekrümmt worden. Und selbst wenn dem nicht so wäre, galt meine Sorge eher Ihrer Sicherheit“, erwiderte Edward.

„Es ist sehr freundlich von Ihnen, sich besorgt zu zeigen, aber wie Sie sehen, geht es mir gut. Ich vermute, das unerwartete Erscheinen der Katze und gleichzeitig das Ihres Jagdpferdes erwiesen sich als zu viel für die arme Juliet.“ Sie bekam das ängstlich tänzelnde Tier geschickt wieder in den Griff.

„Glücklicherweise war es nicht zu viel für Sie“, bemerkte Edward und ließ Titan wohlweislich wieder von der Stute abrücken. „Ist Ihr Pferd immer so übermütig?“

„Ich weiß es nicht.“ Die Dame tätschelte den Hals des Apfelschimmels voller Zuneigung. „Es ist unser erster gemeinsamer Ausritt, aber so wie ich ihre Besitzerin kenne, vermute ich, dass sie einfach zu wenig bewegt wird. Ich dachte, einige Runden durch den Park würden ein guter Anfang sein.“

Edward hatte noch nie eine Stimme mit einem solchen Timbre gehört und musste zugeben, dass er sie ausgesprochen angenehm fand und ihr gern länger gelauscht hätte. Außerdem überlegte er, wie er die geheimnisvolle Frau bitten könnte, ihren Schleier zu heben. Plötzlich wollte er unbedingt ihr Gesicht sehen. „Reiten Sie oft so früh aus, Madam? Ich glaube nicht, Sie vorher schon mal im Park gesehen zu haben.“

„Ich bin erst kürzlich in London angekommen, reite jedoch aus, wann immer ich kann. Am liebsten früh am Morgen, wenn nur wenige Menschen unterwegs sind.“

„Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Nichts ist so anstrengend wie ein Ausritt, bei dem man nur im Schritt vorwärtskommt, weil die Wege überfüllt sind. Vielleicht könnten wir ja gemeinsam ausreiten.“

Es war ein leichthin geäußerter Vorschlag, doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen, fragte Edward sich, was ihn dazu gebracht hatte, denn er machte es sich nicht zur Regel, Einladungen an Damen zu richten, die er nicht kannte. Und die Dame schien es nicht gewohnt zu sein, von fremden Männern welche anzunehmen. „Vielen Dank, Sir, aber ich halte das nicht für sehr klug.“

„Natürlich nicht.“ Edward bedauerte bereits, seinem Impuls gefolgt zu sein. „Es war ungehörig von mir. Gewiss haben Sie einen Gatten oder Bruder, der dagegen seine Einwände hätte.“

„Im Gegenteil, ich habe weder einen Gatten noch einen Bruder. Doch mein Aufenthalt in der Stadt wird von sehr kurzer Dauer sein. Danach kehre ich wieder aufs Land zurück.“

Es war nicht die Antwort, die Edward erwartet hatte. „Das sollte uns allerdings nicht davon abhalten, gemeinsam auszureiten, solange Sie noch hier sind“, wandte er ein und wunderte sich über seine ungewohnte Beharrlichkeit. „Sie sagten doch, Sie wollten Ihr Pferd bewegen, und da wir beide den frühen Morgen vorziehen, gibt es eigentlich keinen Grund, nicht zusammen auszureiten, oder?“

Sie zögerte kaum merklich, bevor sie antwortete. „Es wäre allerdings schwierig, solche Ausritte zu planen, da ich nicht jeden Tag um dieselbe Zeit herkommen kann. Ich ziehe den Morgen vor, doch nur, wenn meine Tante oder Cousine nicht meine Dienste benötigen.“

Dienste? War sie als Gesellschafterin oder Ähnliches hier in London? Einer armen Verwandten würde man allerdings keine so elegante Kleidung und erst recht kein so gutes Pferd zur Verfügung stellen. „Vergeben Sie mir, doch da uns leider im Moment niemand einander vorstellen kann, darf ich Sie vielleicht nach Ihrem Namen fragen?“

„Sie dürfen fragen, Sir, aber selbst auf die Gefahr hin, unhöflich zu erscheinen, werde ich Ihnen eine Antwort schuldig bleiben.“

„Selbst auf eine so harmlose Frage?“

„Ja, weil Sie unter anderen Umständen gar nicht erst gefragt hätten. Ich glaube, es ist besser, wenn wir es dabei bewenden lassen. Guten Tag, Sir.“

Und mit diesen Worten ritt sie weiter.

Edward sah ihr nach und hatte das unangenehme Gefühl, von einer Dame – wenn auch auf die höflichste Weise – vor den Kopf gestoßen worden zu sein. Sie wollte offensichtlich nichts mit ihm zu tun haben. Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wann sich eine Frau ihm gegenüber so verhalten hätte, ganz besonders wenn es sich um eine unverheiratete Dame handelte. Sie hatte ihm weder ihren Namen genannt noch ihn nach seinem gefragt, also wünschte sie wohl auch nicht, seine Bekanntschaft zu machen. Edward, der es gewohnt war, von weiblicher Seite nichts als Bewunderung zu empfangen, fand diese neue Erfahrung seltsam anregend.

Wie sollte eine so geheimnisvolle Frau auch nicht sein Interesse wecken – ganz besonders eine Frau mit einer so aufregenden Stimme. Edward war entschlossen, ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen.

Als ihr Reitknecht sich respektvoll an die Mütze tippte, während er an ihm vorbeiritt, nickte Edward ihm gedankenverloren zu. Erst nachdem der Junge schon zu weit entfernt war, fiel Edward ein, dass er ihn nach dem Namen seiner Herrin hätte fragen können.

Doch er gab die Hoffnung nicht auf. Da die Dame heute Morgen ausgeritten war, standen die Chancen gut, sie würde es wieder tun. Wenn nicht morgen, so sicherlich bis zum Ende der Woche. Und da er jeden Tag herkam, war es nur eine Frage der Zeit, bis ihre Wege sich wieder kreuzen würden.

Diana kehrte zur George Street zurück und tauschte ihr Reitkostüm gegen ein geblümtes Musselinkleid, legte sich eine Stola um und ging zum Frühstück hinunter.

Noch fühlte sie sich ein wenig verfroren von den Auswirkungen einer Erkältung. Obwohl die Halsschmerzen nachgelassen hatten, hörte sich ihre Stimme immer noch viel tiefer an als gewöhnlich. Trotzdem war sie froh, ausgeritten zu sein. An ihrem ersten Morgen in London hatte sie sich beim Aufwachen leicht zerschlagen und ängstlich gefühlt. Um sich von den unruhigen Gedanken abzulenken, was ihr in den nächsten Wochen bevorstehen mochte, hatte sie beschlossen, einen Ausritt zu machen. Daheim ritt sie jeden Tag aus, und die frische Luft schaffte es immer, ihre Stimmung zu heben.

Leider merkte Diana erst, als sie den Hyde Park erreichte, dass ihre Niedergeschlagenheit eher körperlicher als seelischer Natur war und dass ein Ausritt vielleicht ihre Laune bessern, aber nicht unbedingt viel zu ihrer Gesundheit beitragen würde. Ihr Hals fühlte sich an, als stünde er in Flammen. Jedes Mal, wenn sie schluckte, zuckte sie zusammen vor Schmerz. Auch das Reden fiel ihr schwer. Sie erkannte die tiefe, heisere Stimme kaum als ihre wieder und fragte sich, was Lord Garthdale wohl gedacht haben mochte.

Natürlich wusste sie, wer ihre Zufallsbekanntschaft war. Und dank des Reitknechts ihrer Tante wusste sie nicht nur, wer der Gentleman war, sondern auch, wo er wohnte und dass er unverheiratet war. Seltsamerweise konnte sie sich nicht daran erinnern, dass ihre Tante ihn je erwähnt hätte. Und das erstaunte sie deswegen so sehr, weil ihre Tante keine Mühe gescheut hatte, um ihr jeden Junggesellen vorzustellen, der für sie infrage kam, als sie das letzte Mal in London gewesen war – ganz besonders, wenn besagte Herren gut aussahen und einen Titel oder ein beachtliches Vermögen besaßen.

Bei Lord Garthdale trafen alle drei Punkte zu. Einer der Gründe, weswegen sie nicht so sehr auf ihre Stute geachtet hatte, war die Bewunderung gewesen, mit der sie den ungewöhnlich gut aussehenden Gentleman betrachtet hatte, der auf sie zugeritten kam. Selbst seine tiefe, wohlklingende Stimme war angenehm und wies weder die gedehnte Affektiertheit eines Dandys noch die kühle Arroganz der meisten Aristokraten auf.

Alles in allem ist es eine sehr interessante Begegnung gewesen, überlegte Diana, während sie zum Frühstückszimmer ging. Wenn er nur nicht nach ihrem Namen gefragt hätte und ob sie verheiratet wäre oder nicht …

„Guten Morgen, meine Liebe“, begrüßte Mrs. Mitchell sie. „Ich habe dich nicht so früh zurückerwartet. Hast du deinen Ausritt genossen?“

„Sehr, Tante Isabel. Juliet ist ein sehr gutes Pferd.“

„Ich dachte mir, dass ihr gut zusammenpassen würdet, und hatte nur ein bisschen gefürchtet, sie könnte am Anfang etwas zu wild sein, weil sie so lange nicht geritten worden ist. Aber für dich wäre das ja kein Problem gewesen. Du bist eine genauso gute Reiterin wie deine Mutter. Was ist aber mit deiner Stimme los, meine Arme?“

Diana verzog das Gesicht zu einer kläglichen Grimasse. „Ich wünschte, ich wüsste es. Mir war heute Morgen beim Aufwachen ein wenig kränklich zumute.“

„Und dennoch bist du ausgeritten?“

„Ich dachte, es würde mir helfen.“

„Hat es jedoch offensichtlich nicht.“

Diana nahm sich einen Teller. „Ich konnte ein wenig meine Gedanken ordnen, aber mein Hals beschwert sich, wie es scheint.“

Autor

Gail Whitiker
Gail Whitiker wurde in Pembrokeshire, einer Grafschaft im Südwesten von Wales, geboren, wuchs aber in Toronto, Kanada, auf. In ihrem Elternhaus waren Bücher und Musik stets ein wichtiger Bestandteil des Lebens. Mit jährlichen Besuchen bei den Großeltern hielten sie den engen Kontakt zur Familie in England aufrecht. So lernte Gail...
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