Liebe nur auf dem Papier? - 5 "Marriage of Convenience"-Romances

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HEIßE RACHE AUS LEIDENSCHAFT von MELANIE MILBURNE
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  • Erscheinungstag 02.05.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529440
  • Seitenanzahl 591
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Melanie Milburne

Heiße Rache aus Leidenschaft

IMPRESSUM

JULIA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

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Brieffach 8500, 20350 Hamburg
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Geschäftsführung: Thomas Beckmann
Redaktionsleitung: Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)
Cheflektorat: Ilse Bröhl
Produktion: Christel Borges, Bettina Schult
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)
Vertrieb: asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg
Telefon 040/347-27013

© 2008 by Melanie Milburne
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 1898 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Irmgard Sander

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 12 / 2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 978-3-86295-437-7

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

1. KAPITEL

Emma sah die italienische Notarin fassungslos an. „Das muss ein Irrtum sein“, sagte sie ungläubig. „Wieso sollte Signore Fiorenza mich in seinem Testament bedacht haben? Ich war doch nur seine Pflegerin.“

„Es ist kein Irrtum.“ Francesca Rossi klopfte bezeichnend auf das umfangreiche Dokument vor ihr auf dem Schreibtisch. „Hier steht es schwarz auf weiß. Valentino Fiorenza hat wenige Wochen vor seinem Tod sein Testament geändert.“

Emma schwieg verblüfft. Achtzehn Monate lang hatte sie im Haus des Multimillionärs gewohnt und ihn gepflegt, aber nie an eine derartige Möglichkeit gedacht. „Ich begreife das nicht“, wandte sie ein. „Warum sollte er mir die Hälfte seines Besitzes hinterlassen?“

„Genau diese Frage hat auch sein Sohn gestellt“, erwiderte Francesca Rossi vielsagend. „Ich glaube, er befindet sich gegenwärtig auf dem Weg von London hierher. Da er der einzige lebende Nachkomme seines Vaters ist, hat er sicher erwartet, dass die Villa Fiorenza und der größte Teil des Vermögens seines Vaters direkt in seinen Besitz übergehen.“

„Und Sie sagten, das Erbe sei an etwas seltsame Bedingungen geknüpft?“, fragte Emma zögernd.

„Allerdings, ziemlich ungewöhnliche Bedingungen“, bestätigte die Notarin. „Wenn Sie Ihr Erbe erhalten wollen, müssen Sie innerhalb eines Monats rechtskräftig mit Rafaele Fiorenza verheiratet sein und ein Jahr mit ihm verheiratet bleiben.“

„In … einem Monat … verheiratet sein?“, wiederholte Emma stammelnd. „Für ein ganzes Jahr?“

„Ja, andernfalls fällt der gesamte Nachlass an eine ehemalige Geliebte Valentinos namens Sondra Henning. Hat er sie vielleicht Ihnen gegenüber erwähnt?“

Emma überlegte angestrengt. „Nein, ich glaube nicht. Aber er war ein sehr verschlossener Mensch und hat nur wenig von sich preisgegeben.“

Die Notarin blätterte kurz in dem Dokument, bevor sie Emma wieder ansah. „Signore Fiorenza hat verfügt, dass Sie bei der Heirat mit seinem Sohn eine Einmalzahlung von fünfzigtausend Euro erhalten und für jedes Jahr, das Sie mit Rafaele verheiratet bleiben, eine sehr großzügige, zusätzliche Summe.“

Emma schluckte. „Wie … großzügig?“

Die Notarin nannte einen unvorstellbar hohen Betrag. „Ein zu gewaltiger Batzen, um ihn einfach zu ignorieren“, meinte Emma nachdenklich, wobei ihr der letzte Anruf ihrer Schwester in den Sinn kam. Fünfzigtausend Euro zum gegenwärtigen Wechselkurs hätten Simones finanzielle Probleme zwar nicht komplett bereinigt, aber ihr dennoch wieder auf die Füße geholfen.

Francesca Rossi nickte. „Selbst wenn man die zusätzliche Zahlung außer Acht lässt, gilt die Villa als eines der schönsten Anwesen am Comer See … was ich Ihnen nicht erklären muss, denn Sie haben ja darin gewohnt. Sie wären wirklich dumm, einen derartigen Besitz auszuschlagen oder auch nur den halben Anteil daran.“

„Wie ist Rafaele Fiorenza denn? Ich meine, als Mensch?“, fragte Emma unsicher. „Ich kenne nur Fotos von ihm aus der Presse, aber sein Vater hat kaum von ihm gesprochen. Und soweit ich weiß, war er auch nicht auf der Beerdigung. Die beiden haben sich wohl nicht sehr gut verstanden.“

„Ich bin ihm noch nicht persönlich begegnet“, antwortete Francesca. „Offensichtlich ist er schon als junger Mann zum Studium ins Ausland gegangen. Inzwischen ist er ein höchst erfolgreicher Geschäftsmann, der vor allem an der Börse sein Geld macht. Tatsächlich ist er wirklich ein beliebtes Objekt der internationalen Klatschmagazine und steht in dem Ruf, ein überaus wohlhabender Playboy zu sein.“

„Ja, den Eindruck hatte ich auch.“ Emma machte ein nachdenkliches Gesicht. „Was, wenn er in die Bedingungen des Testaments nicht einwilligt? Wenn er so reich ist, warum sollte er eine ihm völlig fremde Frau heiraten wollen?“

„Zum einen geht es bei dem Gesamtnachlass um sehr viel Geld, auch für einen reichen Mann“, erläuterte Francesca. „Zum anderen hat Rafaele in der Villa einen Großteil seiner frühen Kindheit verbracht, bis er ein Internat im Ausland besuchte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er eine solche Goldmine zurückweist, ohne sich nicht wenigstens die Kandidatin angesehen zu haben, die sein Vater ihm als Braut ausgesucht hat.“

Emma sträubten sich unwillkürlich die feinen Härchen im Nacken. „Ich habe nicht gesagt, dass ich einwilligen werde, irgendjemand zu heiraten“, sagte sie sofort. „Schon gar nicht einen Mann, der nicht einmal den Anstand besessen hat, seinen sterbenden Vater zu besuchen oder sich wenigstens bei ihm zu melden.“

„In Anbetracht der Tatsache, dass er während der letzten zehn Jahre kaum oder gar keinen Kontakt mit seinem Vater hatte, könnte es für Sie schwierig werden, Ihre Beziehung zu Valentino Fiorenza zu erklären“, gab die Notarin zu bedenken. „Ich weiß, dass er Sie als Krankenpflegerin eingestellt hat, aber die Presse hat Ihre Rolle oft ganz anders gesehen, sodass Sie auch bei Rafaele damit rechnen müssen.“

Eine Anspielung, die in Emma unliebsame Erinnerungen weckte. Als sie die Stelle als Valentino Fiorenzas Krankenpflegerin angetreten hatte, war sie nicht darauf vorbereitet gewesen, in welchem Ausmaß die Presse ihre Beziehung zu dem Millionär durch den Schmutz ziehen würde. Jedes Mal, wenn sie ihn in der Öffentlichkeit begleitete, standen Paparazzi bereit, um Fotos zu schießen und Emma als Goldgräberin darzustellen, die um des Geldes willen bereit war, sich einen Mann zu angeln, der dreimal so alt war wie sie. Schaudernd dachte sie an das letzte Foto in der Presse. Schon sehr geschwächt von seinem fortschreitenden Knochenkrebs, aber zu eitel und stolz, um einen Stock zu benutzen, war Valentino zunehmend auf Emmas Stütze angewiesen gewesen. Der Fotograf hatte genau den Moment abgepasst, als Emma den Arm um die Taille des alten Mannes legte, um ihn am Sturz zu hindern … was auf dem Foto wie eine sehr vertrauliche Geste wirkte. Sogar ihre Schwester hatte aus Australien angerufen, um nachzufragen, ob die Gerüchte nicht doch zuträfen.

„Soll er denken, was er will, aber an meiner Beziehung zu seinem Vater war absolut nichts Verwerfliches“, meinte Emma jetzt. „Du liebe Güte, Valentino war sterbenskrank. Er hat mich eingestellt, damit ich mich um seine alltäglichen Bedürfnisse kümmere. Natürlich ist er mir mit der Zeit ans Herz gewachsen, aber das trifft auf jeden Patienten zu, den ich bisher zu Hause betreut habe. Einen Menschen in seinen letzten Tagen intensiv zu betreuen fordert einem immer sehr viel ab. Natürlich sollte man gefühlsmäßig so viel Abstand wie möglich halten, aber Valentino Fiorenza kam mir gleich vom ersten Tag an so besonders einsam vor. Bei all seinem Reichtum war er weder gesund noch glücklich.“

„Nun, hoffen wir, dass Rafaele Fiorenza Verständnis dafür aufbringt“, bemerkte Francesca. „Ich gehe davon aus, dass Sie vorläufig weiter in der Villa wohnen?“

„Ja, ich hielt es für das Beste. Ein Teil der Bediensteten hat wohlverdienten Urlaub genommen, und ich wollte die Villa nicht unbeaufsichtigt lassen, bis ich etwas von Valentinos Sohn gehört haben würde. Bisher habe ich auch leider noch keine andere Unterkunft gefunden.“

„Ihnen ist aber bewusst, dass Rafaele Fiorenza sehr viel zu verlieren hat, sollten Sie nicht in die Bedingungen des Testaments einwilligen“, erinnerte die Notarin sie nachdrücklich. „Auch wenn er auf das Geld vielleicht nicht angewiesen ist, wäre es doch klug, wenn Sie sich etwas Zeit zum Nachdenken ließen, bevor Sie eine endgültige Entscheidung treffen … um seinet- wie um Ihretwillen.“

Emma richtete sich unbehaglich auf. „Mir ist natürlich klar, dass es auch für ihn eine schwierige Situation ist. Aber ich weiß wirklich nicht, ob ich in etwas Derartiges einwilligen kann. Es scheint mir irgendwie nicht richtig …“

„Viele Leute würden das sicher ganz anders sehen“, entgegnete die Notarin. „Die würden nicht davor zurückschrecken, im Austausch gegen ein Vermögen eine zeitlich begrenzte Zweck-ehe einzugehen.“

„Sie sagten, mindestens ein Jahr?“, vergewisserte sich Emma nachdenklich. „Ist der Zeitraum noch verhandelbar?“

„Nein, leider nicht. Aber, wie ich bereits sagte, bekommen Sie für jedes weitere Jahr, das Sie mit Rafaele verheiratet bleiben, eine zusätzliche Summe ausgezahlt.“ Francesca Rossi erhob sich und reichte Emma über den Schreibtisch hinweg die Hand. „Ich wünsche Ihnen alles Gute, wie immer Sie sich auch entscheiden, Miss March. Signore Fiorenza senior hat Sie offensichtlich sehr gemocht, und ich kann mir vorstellen, dass er kein einfacher Patient war. Die Fiorenzas haben ihre ganz persönlichen Familientragödien durchlitten. Valentinos Frau starb, als die beiden Söhne noch sehr klein waren, und als wäre das noch nicht schlimm genug, kam der jüngere Sohn Giovanni mit nur acht Jahren bei einem tragischen Unfall ums Leben. Signore Fiorenza wurde im Lauf der Jahre zunehmend verbittert und verschlossen, einmal abgesehen von seiner Dickköpfigkeit.“

„Ja, dickköpfig war er wirklich“, bestätigte Emma. „Allerdings kam mir das alles immer wie eine schützende Fassade vor. So sehr er auch schimpfte und wetterte, er besaß einen weichen Kern. Ich habe ihn wirklich gemocht und werde ihn vermissen.“

„Wer weiß, Miss March, vielleicht entpuppt sich ja der Sohn als der perfekte Ehemann?“, meinte die Notarin lächelnd. „Es wäre nicht das erste Mal, dass sich aus einer Zweckehe etwas ganz anderes entwickeln würde.“

Emma verließ die Kanzlei mit einem etwas gezwungenen Lächeln und ging zu den Aufzügen. Auf der Fahrt nach unten verspürte sie ein beunruhigendes Kribbeln im Bauch.

Jedes Mal, wenn Emma durch die kunstvollen, schmiedeeisernen Tore das Anwesen der Villa Fiorenza betrat, verharrte sie einen Moment lang ehrfürchtig. Der parkähnliche, in vier Terrassen angelegte Garten war wirklich atemberaubend. Üppig grüne Eibenhecken, Ulmen, Buchen und Zypressen bildeten den perfekten Hintergrund für purpurn, pink und rot blühende Azaleen, Rosen und all die anderen duftenden Frühlingsstauden. Die Villa selbst war nicht minder imposant: Oberhalb des in kristallblauer Schönheit schimmernden Comer Sees erbaut, erhob sich der vierstöckige, neoklassizistische Bau in einer altertümlichen Pracht, die Emma immer wieder den Atem verschlug.

Die meisten Räume der riesigen Villa wurden nicht mehr genutzt, weiße Schutzüberzüge bedeckten die antiken Möbelstücke, und die Fensterläden waren fest geschlossen, was dem prächtigen alten Bau ein spukhaftes Aussehen verlieh. Und die Abwesenheit der Bediensteten, die gewöhnlich in der Villa und im Garten emsig beschäftigt waren, verstärkte den Eindruck von Einsamkeit und Abgeschiedenheit.

Nachdem Emma Valentino Fiorenza über ein Jahr in seinem Palazzo in Mailand gepflegt hatte, verkündete er ihr vor sechs Wochen, er wolle in die Villa zurückkehren, um dort zu sterben. Nun kam es ihr so vor, als beklagte jeder Windhauch, der durch die Blätter der Bäume strich, sein Hinscheiden. Wie gern hatte sie Valentino in seinem Rollstuhl durch den Garten geschoben, denn obwohl ihm am Ende das Sprechen schwergefallen war, spürte sie, wie sehr er die friedliche Atmosphäre hier im Park genoss.

Die warme Frühlingsluft trug den schweren Duft von Glyzinien und Jasmin, als Emma den Laubengang auf der zweiten Terrasse betrat. Gerade hielt sie inne, um einige welke Blüten der cremeweißen Kletterrosen auszupflücken, als ein schnittiger schwarzer Sportwagen in die Auffahrt auf der Rückseite der Villa einbog. Emma strich sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht und beobachtete aufmerksam, wie ein großer Mann aus dem Wagen stieg. Selbst aus der Entfernung war die Ähnlichkeit mit seinem Vater nicht zu verleugnen: Die hoch gewachsene, schlaksige Gestalt, die grüblerische Miene, das markante Kinn und der arrogante Zug um den Mund verrieten einen Mann, der es gewohnt war, einzufordern und zu bekommen, was er wollte. Aber anders als sein Vater war Rafaele Fiorenza an die ein Meter neunzig groß, und sein durchtrainierter Körper war nicht gebeugt und von Krankheit verwüstet. Sein dichtes schwarzes Haar wies noch keine Spuren von Grau auf und wirkte etwas zerzaust, als sei es Rafaeles Gewohnheit, mit den Fingern hindurchzufahren.

Obwohl Emma immer mal wieder ein Foto von ihm in der Presse gesehen hatte, wurde ihr schlagartig bewusst, dass ihm keines davon gerecht geworden war. Rafaele Fiorenza war schlicht und einfach der attraktivste Mann, dem sie je begegnet war.

Seine Kleidung betonte seine lässige Eleganz: eine zwanglose Hose kombiniert mit einem hellblauen Hemd mit offenem Kragen, die Ärmel über seinen muskulösen, gebräunten Unterarmen hochgekrempelt. Am Handgelenk blitzte eine teure Silberuhr, und die Augen waren hinter einer Designer-Sonnenbrille verborgen. Nachdem er die Autotür hinter sich zugeschlagen hatte, ging er mit langen Schritten zielstrebig auf die zweite Gartenterrasse zu, sodass er im nächsten Moment vor Emma stand, die immer noch die welken Rosenblüten in der Hand hielt. „Miss March, wie ich annehme?“, erkundigte er sich kurz angebunden.

Nur ungern unterhielt sich Emma mit Leuten, die eine Sonnenbrille trugen, vor allem von der verspiegelten Sorte, zu der Rafaeles zählte. Sie empfand es stets als Nachteil und auch als unhöflich, ihrem Gegenüber nicht direkt in die Augen sehen zu können. Unerschrocken blickte sie jedoch auf und ließ die Rosenblätter zu Boden fallen. „Ja, das ist richtig. Ich vermute, Sie sind Rafaele Fiorenza.“

Er zog die Sonnenbrille aus. Seine dunkelbraunen Augen blitzten verächtlich. „Und ich vermute, Sie sind das letzte Flittchen meines Vaters.“

Sie erstarrte unwillkürlich. „Wahrscheinlich hat man Sie falsch informiert, Signore Fiorenza“, erwiderte sie frostig. „Ihr Vater hat mich als Krankenpflegerin eingestellt.“

Sein zynisches Lächeln fand keinen Widerschein in seinen dunklen Augen. „Dann haben Sie sich also um all seine körperlichen Bedürfnisse gekümmert, richtig, Miss March? Eine pikante Vorstellung, wie ich finde.“

„Dann würde ich Ihnen raten, Ihre Fantasie aus der Gosse zu ziehen, Signore Fiorenza“, entgegnete sie stolz.

Jetzt wurde sein Lächeln noch breiter. „Und was halten Sie davon, meine Braut zu werden, Miss March?“

Emma presste die Lippen zusammen. „Überhaupt nichts.“

Einen Moment lang betrachtete er sie schweigend. Emma gab sich alle Mühe, seinem forschenden Blick scheinbar gelassen standzuhalten, doch schließlich war sie es, die dann als Erste von beiden wegschaute.

„Sie haben ihn dazu angestiftet, stimmt’s?“, fragte er unvermittelt. „In einem Moment der Schwäche haben Sie ihn dazu überredet, ein Vermögen abzuschreiben.“

„Wie können Sie so etwas Abscheuliches sagen!“, fuhr sie empört auf. „Ich hatte keine Ahnung von seinen Plänen. Erst als die Kanzlei sich nach seinem Tod mit mir in Verbindung gesetzt hat, habe ich von seinem Testament erfahren.“

„Verkaufen Sie mich nicht für dumm. Sie haben eineinhalb Jahre mit meinem Vater gelebt. Das war seine längste Beziehung seit dem Tod meiner Mutter. Jeder weiß, dass Sie mit ihm geschlafen haben. Die Klatschspalten waren voll davon.“

Obwohl Emma fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, zwang sie sich, seinem Blick nicht wieder auszuweichen. „Ich hatte keine derartige Beziehung mit Ihrem Vater. Die Zeitungen haben das erfunden, wie sie das oft mit reichen oder prominenten Personen machen, um ihre Auflage zu steigern.“

Er winkte verächtlich ab. „Kommen Sie, Miss March, Sie erwarten doch nicht im Ernst, dass ich glaube, mein Vater habe Sie noch im letzten Moment in seinem Testament bedacht, weil Sie ihm auf dem Totenbett die Hand gehalten haben, oder? Er war als Frauenheld bekannt, und Sie haben bereits gut ein Jahr mit ihm unter einem Dach gelebt, bevor er öffentlich erklärt hat, er sei krank. Da ist es nicht weit hergeholt, zu vermuten, dass Sie über sein Bett den Weg gefunden haben, sich sein Vermögen unter den Nagel zu reißen.“

„Nichts dergleichen habe ich getan!“, protestierte sie heftig. „Es war der Wunsch Ihres Vaters, dass ich so frühzeitig in sein Haus ziehe, weil er sich eine endlose Reihe verschiedener Krankenpflegerinnen ersparen wollte. Und er wollte seine Krankheit auch so lange wie möglich aus der Öffentlichkeit heraushalten, um seine Anlageklienten nicht auf einen Schlag zu verschrecken. Vor einigen Monaten ließ es sich dann aber nicht mehr verleugnen, und ihm war klar, dass er bald sterben würde. Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, um ihm die letzte Phase seines Lebens zu erleichtern.“

„Das kann ich mir gut vorstellen“, erwiderte Rafaele spöttisch. „Obwohl Sie zugegebenermaßen nicht sein Typ sind. Normalerweise stand er auf vollbusige, eher vulgäre Blondinen. Die Vorliebe für winzige Brünette muss er erst in jüngster Zeit entwickelt haben.“

In Emma brodelte es, als er sie erneut von Kopf bis Fuß begutachtete. „Jetzt verstehe ich, warum Ihr Vater nicht wollte, dass auch nur Ihr Name in seiner Gegenwart erwähnt wurde! Sie haben wirklich erschreckend schlechte Manieren.“

Rafaele besaß die Dreistigkeit, sie auszulachen. „Was für eine prüde, kleine Gouvernante! Ich wette, mein Vater hat sich gern von Ihnen ins Bett bringen lassen.“

Zu ihrem Leidwesen spürte Emma, wie sie errötete. „Sie haben kein Recht, so mit mir zu sprechen!“, entrüstete sie sich.

„O doch, Miss March“, fiel er ihr unhöflich ins Wort. „Mein Vater wollte Sie nicht heiraten, richtig? Denn nach dem Tod meiner Mutter hatte er geschworen, nie wieder zu heiraten. Aber Sie haben raffinierterweise einen anderen Weg gefunden, an das Fiorenza-Vermögen zu gelangen, indem Sie ihm vorschlugen, dass stattdessen ich Sie heiraten sollte.“

Es kostete Emma alle Mühe, ihren Zorn zu beherrschen. „Sie wären der Letzte, den ich heiraten wollte!“

Sein Blick durchbohrte sie. „Wollen Sie etwa noch mehr Geld herausschlagen, Miss March? Kein Problem, ich bin sicher, dass ich Sie mir leisten kann. Nennen Sie mir eine Summe, und ich schreibe Ihnen auf der Stelle einen Scheck aus.“

„Bilden Sie sich wirklich ein, Sie brauchen nur mit Ihrer Brieftasche zu wedeln und mich zu bezahlen?“

„Für eine wie Sie war mein Vater doch eine leichte Beute! Allerdings müssen Sie ihm ganz schön Honig um den Bart geschmiert haben, damit er für Sie sein Testament ändert. Da frage ich mich, was für Tricks Sie im Ärmel haben … oder sollte ich besser sagen, unter dem Rock?“

Emma kribbelte es in den Fingern, ihn zu ohrfeigen. „Wie können Sie es wagen!“

„Hinter Ihrer spröden Fassade verbirgt sich ein kleiner Hitzkopf, hab ich recht, Miss March?“, entgegnete er ungerührt. „Kein Wunder, dass mein Vater Gefallen an Ihnen gefunden hat. Wer weiß? Womöglich werden wir noch ein richtig gutes Paar? Ich mag es, wenn Frauen heiß und temperamentvoll sind. Ja, Sie könnten sich ganz gut als meine Braut machen.“

„Sie sind der abscheulichste Mensch, der mir je begegnet ist!“, stieß sie wegwerfend aus. „Denken Sie wirklich, ich könnte einwilligen, mich mit jemand wie Ihnen einzulassen?“

Seine Mundwinkel zuckten spöttisch. „Ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen verraten sollte, was ich gerade jetzt denke. Sie könnten Ihrem gegenwärtigen Wunsch nachgeben und mich ohrfeigen.“

War sie wirklich so leicht zu durchschauen? Ein Gedanke, der sie erschreckte. Was sonst verriet ihre Körpersprache Rafaele Fiorenzas Scharfblick? Dass seine umwerfende Männlichkeit sie empfindlich nervös machte? Oder dass der Anblick seines sinnlichen Mundes erregende Bilder in ihr beschwor, wie es wohl sein würde, wenn er sie küsste? Es verwirrte sie zutiefst, dass sie, die normalerweise ein so vernünftiger, besonnener Mensch war, so ungewohnt heftig auf ihn reagierte. Nein, bisher hatte sie sich nicht für besonders sinnlich gehalten, allerdings war ihre Erfahrung in Bezug auf Männer auch sehr begrenzt.

Rafaele Fiorenza dagegen wirkte wie ein Mann, der reichlich Erfahrung mit Frauen besaß. Groß und athletisch, mit markanten, attraktiven Zügen und samtbraunen Augen war er genau der Typ Mann, dem kaum eine Frau widerstehen konnte. Emma konnte sich lebhaft vorstellen, was für ein anspruchsvoller und aufregender Liebhaber er sein würde. Seine männlich erotische Ausstrahlung war so stark, das sie förmlich greifbar schien. Sie schuf eine knisternde Atmosphäre und verunsicherte Emma nur noch mehr. Allein die Vorstellung, für eine gewisse Zeit rechtmäßig mit ihm verheiratet zu sein, war höchst beunruhigend. Zwar hatte die Anwältin von einer Zweckehe gesprochen, aber was, wenn Rafaele auf einer echten Ehe bestand?

Um dem Gespräch eine etwas andere Wendung zu geben, bemerkte sie: „Sie sind nicht zur Beerdigung Ihres Vaters gekommen.“

„Ich halte nichts von Heuchelei.“ Er ließ den Blick über das Anwesen schweifen. „Außerdem hätte mein Vater es sowieso nicht gewollt. Er hat mich gehasst.“

Sein verbitterter Ton machte Emma nachdenklich. „Das glaube ich nicht. Nur sehr wenige Eltern hassen ihre Kinder.“

Erneut wandte er sich ihr mit zynischem Ausdruck zu. „Ich kann nur vermuten, dass er dachte, es könnte eine reformierende Wirkung auf mich haben, wenn er mich zwingt, seine kleine Krankenschwester zu heiraten. Was meinen Sie, Miss March? Taugen Ihre Talente auch dazu, einen dekadenten Playboy zu zähmen?“

Errötend war Emma bemüht, erneut das Thema zu wechseln. „Wie lange ist es her, seit Sie zuletzt hier waren?“

Für einen Moment betrachtete er schweigend die herrschaftliche Villa. „Fünfzehn Jahre“, antwortete er schließlich.

„Und Sie haben all die Zeit im Ausland gelebt?“

„Ja. Hauptsächlich in London, aber ich besitze auch mehrere Immobilien in Frankreich und Spanien.“ Er sah sie wieder an. „Jetzt, da mein Vater tot ist, beabsichtige ich jedoch, hierher zurückzukehren.“

Er sprach Englisch wie ein Engländer, sogar mit einem leichten Londoner Akzent, der ihm ein sündhaft attraktives, weltmännisches Flair verlieh. Emma konnte sich leicht vorstellen, wie er die Welt bereiste, in jeder Stadt eine schöne Geliebte. Ja, er war ein Playboy, wie er im Buche stand. Sogar der Duft seines Aftershaves war aufregend exotisch und weckte in Emma verbotene Wünsche.

Langsam ging sie voraus zum Haus. „Es liegt ein Satz Schlüssel für Sie bereit und eine Fernbedienung für die Alarmanlage. Ich werde Ihnen den Code und das Passwort aufschreiben, denn die könnten sich seit Ihrem letzten Besuch geändert haben.“

„Ich habe vorhin gesehen, wie Sie die welken Blüten aus den Rosen gepflückt haben“, sagte Rafaele. „Wo sind die Gärtner? Erzählen Sie mir nicht, mein sparsamer Vater wollte sie nicht mehr bezahlen.“

Emma schüttelte unwillig den Kopf. „Ihr Vater war seinen Angestellten gegenüber sehr großzügig. Wie Sie sicher wissen, wurden sie alle in seinem Testament bedacht. In der momentanen Übergangszeit haben sie die Gelegenheit genutzt, ihren Jahresurlaub zu nehmen, und ich habe mich bereit erklärt, mich bis zu Ihrer Ankunft um das Anwesen zu kümmern.“

„Was für eine vielseitig talentierte, kleine Krankenschwester!“, spottete er. „Ich frage mich, wo Sie sonst noch alles Hand anlegen können …“

Nervös fummelte sie mit dem Schlüsselbund und zuckte heftig zusammen, als Rafaele plötzlich seine Hand auf ihre legte und ihr die Schlüssel wegnahm.

„Erlauben Sie?“

Errötend wich sie zur Seite, bemüht, ihre Fassung wiederzufinden, während Rafaele die schwere Eingangstür öffnete. „Nach Ihnen, Miss March“, erklärte er dann mit einer übertriebenen Verbeugung.

Obwohl sie sich sehr beeilte, an ihm vorbeizukommen, konnte sie nicht verhindern, dass der Duft seines Aftershaves erneut ihre Sinne reizte. Rafaele folgte ihr langsam und blickte sich scheinbar gleichmütig in der mit schwarzem und weißem Marmor gestalteten Eingangshalle um, die einen imposanten Rahmen für einige kostbare Skulpturen und Gemälde bildete.

„Es ist ein sehr schönes Haus“, bemerkte Emma, als ihr das Schweigen zu lang wurde. „Bei all dem Platz müssen Sie die Ferien hier genossen haben.“

Er sah sie unergründlich an. „Ein Domizil kann auch zu groß und zu prächtig sein, Miss March.“

Trotz der milden Frühlingsluft fröstelte ihr, denn mit Betreten des Hauses schien Rafaele noch abweisender geworden zu sein. Kalten Blickes betrachtete er die verschiedenen Familienporträts an den Wänden.

„Sie ähneln Ihrem Vater sehr, als er noch jünger war“, meinte Emma unwillkürlich und deutete auf das Porträt von Valentino Fiorenza, das einen Ehrenplatz innehatte.

Rafaele wandte sich zu ihr um. „Ich bin nicht sicher, ob mein Vater das gern gehört hätte. Hat er es Ihnen nicht erzählt? Ich war doch der Sohn, der ihn tief enttäuscht hat. Das schwarze Schaf, das dem Namen Fiorenza Schande gebracht hat.“

Sie schluckte befangen. „Nein, das hat er mir nicht erzählt.“ Er ging weiter durch die Eingangshalle und verharrte einen Moment vor dem Porträt einer jungen Frau mit schwarzem Haar und ausdrucksvollen tiefbraunen Augen. Emma wusste von der Haushälterin Lucia, dass es seine Mutter Gabriela Fiorenza darstellte, die mit nur siebenundzwanzig Jahren an einem

Infekt gestorben war, als Rafaele sechs und sein jüngerer Bruder erst vier Jahre alt gewesen waren. Wieder hielt Emma die bedrückende Stille nicht aus. „Sie war eine sehr schöne Frau.“

„Ja.“ Rafaele blickte sie erneut unbewegt an. „Das war sie.“

Emma räusperte sich befangen. „Soll ich Ihnen noch einen Kaffee oder einen Tee machen, bevor … ich gehe? Die Haushälterin hat, wie gesagt, Urlaub, aber ich kenne mich in der Küche aus.“

„Sie sind ein richtiges Organisationstalent, nicht wahr, Miss March?“, meinte er stichelnd. „Anscheinend nehmen sogar die Angestellten von Ihnen Anordnungen entgegen und gehen in Urlaub, wann Sie es für gut halten.“

Sie presste die Lippen zusammen. „Der Urlaub der Bediensteten war seit langem fällig. Abgesehen davon, musste sich irgendjemand um alles hier kümmern … in Abwesenheit von Signore Fiorenzas einzigem Sohn, von dem man wenigstens hätte erwarten können, dass er kurz vor dem Tod seines Vaters hier aufgetaucht wäre.“

Rafaele betrachtete sie mit versteinerter Miene. „Glauben Sie, ich sehe nicht, was Sie im Schilde geführt haben, Miss March? Sie dachten, Sie könnten sich ein Vermögen angeln, indem Sie mich bei meinem Vater schlechtgemacht haben. Aber es hat nicht ganz funktioniert, oder? Sie kommen an das Erbe nicht heran, ohne mich zu heiraten.“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, ich hatte keine Ahnung von den Plänen Ihres Vaters“, protestierte sie erneut empört. „Ich war und bin genauso geschockt wie Sie!“

Er lachte ungläubig. „Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Sie sich bei dem alten Mann eingeschmeichelt und ihn darin bestärkt haben, wie schändlich es doch sei, dass sein Sohn jeden Kontakt zu ihm abgebrochen habe. Hat er Ihnen eigentlich erzählt, warum? Hat er die sorgsam versteckten Leichen aus dem Keller der Fiorenzas herausgelassen? Ich vermute, nicht. Denn es war stets die Philosophie meines Vaters, Dinge zu ignorieren, denen er sich nicht stellen wollte, in der Hoffnung, sie würden irgendwann von selbst verschwinden.“

„Und warum sind Sie tatsächlich fortgegangen?“

„Miss March“, erwiderte er geradezu herablassend, „ich bin nicht bereit, derart persönliche Details mit einer bezahlten Angestellten zu diskutieren, auch wenn Sie zur Geliebten meines Vaters aufgestiegen sind.“

„Ich war nicht die Geliebte Ihres Vaters“, widersprach sie sofort.

„Das fällt mir schwer zu glauben. Sie müssen nämlich wissen, dass ich vor meiner Ankunft hier einige Nachforschungen über Sie angestellt habe, Emma Annabelle March.“

„Wie bitte?“ Sie machte große Augen.

„Ich kenne da einen guten Privatermittler.“ Rafaele blickte sie durchdringend an. „Es ist nicht das erste Mal, dass einer Ihrer Patienten Sie in seinem Testament bedacht hat, richtig?“

Nervös fuhr sich Emma mit der Zungenspitze über die Lippen. „Richtig, aber ich habe nie um irgendetwas gebeten. Ein oder zwei Patienten haben mir kleinere Geschenke hinterlassen, um ihre Anerkennung auszudrücken. Wenn man einen Patienten in den letzten Wochen oder Monaten seines Lebens pflegt, verwischen sich für ihn manchmal die Grenzen, und er beginnt, seine Pflegerin als Vertraute und Freundin zu betrachten.“

„Wie auch immer, derartige Geschenke müssen für ein Mädchen aus bescheidenen Verhältnissen doch wie ein warmer Regen sein“, entgegnete er ungerührt.

„Nicht alle Menschen werden mit einem silbernen Löffel im Mund geboren, Signore Fiorenza“, antwortete sie kühl. „Ich musste mir das, was ich habe, hart erarbeiten.“

„Laut meiner Quelle haben Sie das Haus Ihrer letzten Klientin in heftigem Streit verlassen“, sagte Rafaele, ohne den Blick von ihr zu wenden. „Wollen Sie es mir erzählen, oder soll ich Ihnen sagen, was ich herausgefunden habe?“

Sie presste die Lippen zusammen. „Man warf mir vor, ein Familienerbstück und eine große Summe Geldes gestohlen zu haben. Ich habe Grund zu der Annahme, von einer Angehörigen hereingelegt worden zu sein. Auch die Polizei kam schließlich zu diesem Schluss, weshalb alle Anklagen fallengelassen wurden. Aber obwohl ich rehabilitiert wurde, stürzte sich die Klatsch-presse noch wochenlang auf die Geschichte, angeheizt durch Mrs. Bennetts Familie, die wüste Gerüchte in die Welt setzte.“

„Sind Sie deshalb von Australien nach Italien gezogen?“ Rafaeles Miene verriet nicht, ob er ihrer Version glaubte oder nicht.

„Ja. Ich hatte sowieso immer vorgehabt, einmal im Ausland zu arbeiten, und da die Presse in Melbourne keine Ruhe gab, war es schwer für mich, dort eine neue Stelle zu finden. So blieb mir keine andere Wahl, als woanders neu anzufangen.“

„Wie sind Sie überhaupt zu diesem Beruf gekommen?“

„Ich bin ausgebildete Krankenschwester, aber die Arbeit im Krankenhaus war mir auf die Dauer zu frustrierend“, antwortete sie ehrlich um sein Verständnis bemüht. Er sollte begreifen, dass sie nicht nur aufs Geld aus war, wie er annahm. „Die Schwestern haben heutzutage einfach nicht mehr genug Zeit, um den Bedürfnissen des einzelnen Patienten gerecht zu werden. Also probierte ich es bei einem privaten, häuslichen Pflegedienst und fand genau das, was ich gesucht hatte. Man hat natürlich keinen geregelten Achtstundentag und muss unter Umständen auf ein Privatleben verzichten, wenn der Zustand des Patienten es erfordert, dass man zu ihm zieht, aber für mich überwiegen die guten Seiten bei weitem.“

„Davon bin ich überzeugt“, meinte Rafaele herausfordernd. „Man kann es wohl kaum als Nachteil dieses Jobs bezeichnen, wenn man die Hälfte einer Luxusvilla und eine erhebliche Summe Geldes erbt.“

Emma seufzte gereizt. „Hören Sie, Signore Fiorenza, Sie haben gerade Ihren Vater verloren, was im Leben eines jeden Menschen ein Ausnahmezustand ist, egal, was für ein Verhältnis Sie zu ihm hatten. In Anbetracht der Tatsache, dass Sie in den letzten Jahren keinerlei Kontakt zu Ihrem Vater unterhielten, bin ich durchaus bereit, Ihre unangemessenen Andeutungen zu entschuldigen, aber ich darf Ihnen versichern, dass ich nichts zu verbergen habe. Obwohl Ihr Vater ein schwieriger Mann war, habe ich ihn im Lauf der Zeit sehr gemocht. Er war einsam und furchtbar unglücklich. Und ich fände es schön, wenn es mir gelungen wäre, ihm in den letzten Monaten seines Lebens etwas Trost zu geben.“

Rafaele betrachtete sie einen Moment schweigend. „Gehen wir in die Bibliothek“, sagte er dann. „Ich möchte mit Ihnen besprechen, wie wir am besten mit der Situation umgehen, in die mein Vater uns gebracht hat.“

Unwillkürlich richtete sie sich kerzengerade auf. „Es gibt nichts zu besprechen. Ich werde jetzt einfach nach oben gehen und packen.“

Sein Blick bohrte sich in ihren. „Dann wollen Sie also nicht annehmen, was mein Vater Ihnen zugedacht hat?“

Nervös strich sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Es war sehr großzügig von ihm, aber ich bin nicht daran interessiert, Geld zu heiraten.“

„Glauben Sie wirklich, ich werde zulassen, dass Sie mein Erbe sabotieren?“, fragte er eisig. Sie schluckte. „Aber Sie erwarten doch nicht im Ernst, dass ich einwillige, Sie zu … heiraten?“

„Ich lasse Ihnen keine Wahl, Miss March. Wir heiraten innerhalb einer Woche. Die amtliche Erlaubnis habe ich bereits beantragt, sobald man mich über die testamentarischen Bedingungen informiert hatte.“

Emmas Augen funkelten trotzig, obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug. „Sie können mich nicht zwingen, Sie zu heiraten!“

„Glauben Sie nicht?“, entgegnete er herausfordernd.

Ich hoffe nicht, dachte sie voller Panik.

„Miss March“, fuhr Rafaele seelenruhig fort, ehe sie antworten konnte, „Sie werden die Bedingungen des Testaments erfüllen, oder ich werde persönlich dafür sorgen, dass Sie in diesem Land nie wieder als Pflegerin arbeiten.“

„Ich lasse mir nicht von Ihnen drohen! Und selbst wenn Sie es schaffen, meinen Ruf in Italien zu beschmutzen, finde ich eben in einem anderen Land Arbeit. Im Pflegeberuf herrscht überall auf der Welt Mangel.“

Seine Mundwinkel zuckten. „Mag sein, aber als Krankenschwester oder Pflegerin werden Sie nicht annähernd das Gehalt bekommen, das ich bereit bin, Ihnen zu zahlen, wenn Sie meine Frau werden.“

Ihre Entschlossenheit geriet ins Wanken. „Ein … Gehalt?“

„Ja, Miss March“, bekräftigte er schroff. „Ich werde Sie für das Privileg, meinen Namen zu tragen, stattlich entlohnen.“ Und er nannte eine Summe, die keine Krankenschwester je verdienen konnte, selbst wenn sie zwei Leben zur Verfügung gehabt hätte. „Selbstverständlich wird es keine richtige Ehe sein“, fügte er noch arrogant hinzu. „Ich habe bereits eine Geliebte.“

Obwohl Emma ihn überhaupt nicht leiden konnte, machte sie die Vorstellung wütend, dass er seine Affäre fortsetzen wollte, wenn er formell mit ihr verheiratet sein würde. „Ich gehe davon aus, dass ich die gleichen Freiheiten für mich in Anspruch nehmen kann“, erwiderte sie deshalb provokant.

„Nein, ich fürchte nicht, Miss March. Ich stehe im Blickpunkt der Öffentlichkeit und möchte keinesfalls durch die sexuellen Eskapaden meiner Ehefrau zum Gespött bei meinen Kollegen und Freunden werden.“

„Aber Sie wollen sich öffentlich mit Ihrer Geliebten vergnügen!“, empörte sich Emma. „Das ist doch höchst unfair!“

Er presste die Lippen zusammen. „Ich werde mich um äußerste Diskretion bemühen, was ich von Ihnen nicht erwarten kann, wenn ich mir allein ansehe, wie Sie die Affäre mit meinem Vater in die Öffentlichkeit getragen haben. Sie haben doch bei jeder Gelegenheit vor den Fotografen wie eine Klette an ihm gehangen, obwohl Sie in Wirklichkeit nur auf sein Geld aus waren.“

„Ich hatte keine Affäre mit Ihrem Vater“, widersprach sie erneut energisch. „Fragen Sie die Hausangestellten, die werde es Ihnen bestätigen.“

„Wie praktisch, dass Sie sie alle in Urlaub geschickt haben, nicht wahr?“, meinte er ironisch. „Aber ich bezweifle nicht, dass sie Ihre Unschuld bezeugen würden, wenn sie hier wären. Sie wissen, wie man Menschen manipuliert.“

Emma gab es auf. „Sie irren sich gründlich, was mich betrifft, Signore Fiorenza, aber ich werde meine Zeit nicht mit weiteren Gesprächen vergeuden. Ganz offensichtlich sind Sie zu zynisch, um Aufrichtigkeit zu erkennen. Ehrlich gesagt, tun Sie mir leid, denn Sie werden einmal genauso enden wie Ihr Vater: mit nur einer bezahlten Hilfe an Ihrer Seite, die Ihren Tod betrauert.“

Rafaele entschied sich, ihre Bemerkung zu ignorieren. „Ich erwarte, dass Sie die Rolle der liebenden Ehefrau spielen, wann immer wir uns in Hör-oder Sichtweite anderer Leute befinden … was die Hausangestellten einschließt.“

Panik stieg in ihr hoch. „Aber … ich habe noch gar nicht eingewilligt, Sie zu heiraten. Ich brauche etwas Zeit, darüber nachzudenken.“

Für einen Moment betrachtete er sie schweigend. „Also gut. Ich gebe Ihnen bis morgen. Je eher diese Ehe beginnt, desto eher ist sie zu Ende.“

„Besser hätte ich es nicht formulieren können“, murmelte Emma, als Rafaele Fiorenza auf dem Absatz kehrtmachte und davonging.

2. KAPITEL

Emma sah Rafaele erst später an diesem Tag wieder. Sie sammelte gerade in der Bibliothek heruntergefallene Blütenblätter um eine Vase voll duftender Rosen auf, als er hereinschlenderte. Er hatte sich umgezogen und trug jetzt Bluejeans und ein enges weißes T-Shirt, das seinen muskulösen Oberkörper und den flachen Bauch betonte. Frisch rasiert, das Haar noch feucht vom Duschen, wirkte er dennoch müde und abgespannt.

Zum ersten Mal begann Emma, die Dinge aus seiner Sicht zu betrachten. Diese prächtige Villa war sein Erbe, seit Generationen im Besitz der Fiorenzas. Kein Wunder, dass er so erzürnt darüber war, wie sein Vater die Dinge manipuliert hatte. Allein, dass er ihn zwang, eine ihm völlig fremde Frau zu heiraten, um zu bekommen, was rechtmäßig ihm gehören sollte, war Grund genug, jeden wütend zu machen.

Warum aber hatte Valentino ausgerechnet sie als Braut seines Sohnes ausgewählt? Bei der einen oder anderen Gelegenheit hatte Emma ihm von ihrer schwierigen Kindheit erzählt und, dass sie in naher Zukunft mit einem Mann, den sie liebte, eine Familien gründen wolle, um die Sicherheit und Geborgenheit zu finden, die sie als Kind vermisst hatte. Valentino hatte dann, im Spaß, wie sie annahm, vorgeschlagen, sie solle doch seinen wohlhabenden, erfolgreichen Sohn heiraten und die Villa mit Fiorenza-Babies füllen. Es war einer der seltenen Anlässe gewesen, bei denen er Rafaeles Namen erwähnte. Aber bald hatte Emma den Versuch aufgegeben, mit ihm über seinen Sohn zu sprechen, weil es offensichtlich zu schmerzhaft für ihn gewesen war.

„Ich habe etwas zum Abendessen vorbereitet … genug für zwei“, sagte sie nun versöhnlich.

Er betrachtete sie spöttisch. „Proben Sie schon die Rolle der ergebenen Ehefrau für unsere befristete Ehe?“

„Denken Sie, was Sie wollen. Eigentlich möchte ich nur hilfsbereit sein“, erwiderte sie gekränkt.

„Als ich mein Gepäck nach oben in das Hauptschlafzimmer gebracht habe, das auch mein Vater benutzt hat, sind mir Ihre Sachen in dem angrenzenden Schlafzimmer aufgefallen. Wenn Sie, wie Sie behaupten, nicht mit ihm ins Bett gegangen sind, warum haben Sie dann ausgerechnet dieses Zimmer mit der Verbindungstür gewählt, wo doch genügend andere Suiten zur Verfügung stehen?“

Emma wich seinem forschenden Blick nicht aus. „Ich wollte sowieso dort ausziehen. Aber ich war mir nicht sicher, ob Sie sich in dem Raum wohlfühlen würden, in dem Ihr Vater verstorben ist.“

Etwas blitzte kurz in seinen dunklen Augen auf. „Waren Sie bei ihm, als er starb?“

„Ja. Er bat mich, bei ihm zu bleiben, weil er nicht allein sterben wollte.“

Rafaele wandte sich ab, ging zu den großen Fenstern und blickte hinunter auf den See, der in der Sonne glitzerte. Im Zusammenhang mit ihrer Arbeit hatte Emma schon viel Schmerz erlebt und war immer wieder Zeuge geworden, wie unterschiedlich die Menschen trauerten. Rafaeles angespannte Haltung ließ sie jetzt ahnen, dass er bei allem offensichtlichen Zorn und Hass tief im Innern immer noch der kleine Junge war, der seinen Vater einmal sehr geliebt hatte.

„Signore Fiorenza?“, fragte sie zögernd, als er zu lange schwieg.

Mit unergründlicher Miene drehte er sich zu ihr um. „Rafaele genügt.“ Er lächelte pflichtschuldig. „In Anbetracht der besonderen Umstände sollten wir uns wohl nicht an Förmlichkeiten klammern.“

„Gut, dann gehe ich jetzt und räume meine Sachen in eines der anderen Zimmer.“ Emma wandte sich zur Tür.

„Die Rosa Suite ist wahrscheinlich am bequemsten“, meinte Rafaele unerwartet. „Es waren die Lieblingsräume meiner Mutter. Sie hat sie selbst dekoriert, kurz bevor sie starb. Ich kann mich noch erinnern, wie sie mich bei der Auswahl der Tapete hat helfen lassen.“

Emma blickte ihn an. In der Erinnerung an seine Mutter hatte sein Gesicht etwas von dem Zynismus verloren, hinter dem er sich sonst versteckte. „Die Haushälterin hat mir erzählt, dass Ihre Mutter gestorben ist, als Sie und Ihr Bruder noch sehr klein waren. Es muss sehr schwer für Sie gewesen sein.“

Er lächelte trocken. „Das Leben geht weiter, nicht wahr, Emma? Wir müssen alle von Zeit zu Zeit mit Tod, Chaos und Krankheit fertig werden. Der Trick besteht darin, so viel Spaß wie möglich in dein Leben zu packen, bevor dich eines davon oder alle drei in die Klauen bekommen.“

„Zweifellos trifft es manche Menschen härter als andere“, sagte sie ruhig.

Er ging zu ihr und hob sacht ihr Kinn an, ehe sie ihn daran hindern konnte. „Diese graublauen Augen blicken so voller Mitleid. Ich frage mich nur, ob es auch echt ist?“

Emma hielt unwillkürlich den Atem an, als er ihr mit dem Daumen zart über die Wage streichelte, während der Blick seiner dunklen Augen sie völlig in seinem Bann hielt. Der Duft seines teuren Aftershaves kitzelte ihre Nase und übte zusammen mit der Wärme seines Körpers eine betörende Wirkung aus. Wie magisch angezogen hing Emmas Blick an Rafaeles sinnlichem Mund, während sie sich erneut ausmalte, wie es sein würde, von ihm geküsst zu werden. Ohne sich dessen bewusst zu sein, strich sie sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen. Im nächsten Moment durchzuckte es sie heiß, als Rafaeles Hüften wie zufällig ihre berührten.

„Haben Sie ihn so bezirzt, süße, mitfühlende, kleine Emma?“, fragte er. „Bis er so verrückt nach Ihnen war, dass er Ihnen die Welt versprochen hat?“

Wütend wich sie zurück. „Ich würde es vorziehen, wenn Sie Ihre Hände bei sich behielten!“

„Aber gern, wenn Sie dann aufhören, mich so anzusehen“, erwiderte er spöttisch. „Das bringt mich auf unanständige Gedanken.“

„Sie sind wirklich unausstehlich!“

Sein aufreizend spöttisches Lächeln wurde breiter. „Hat Ihnen schon jemand gesagt, wie niedlich Sie aussehen, wenn Sie wütend sind?“

Die Wangen hoch gerötet, wandte sie sich ab. „Ich kümmere mich jetzt um das Abendessen.“ Ohne einen Blick zurück, ging sie hinaus und zog die Tür hinter sich ins Schloss.

Aufatmend strich Rafaele sich mit beiden Händen durchs Haar, bevor er sich langsam dem antiken, lederbezogenen Schreibtisch seines Vaters zuwandte. Sein Blick streifte einen vergoldeten Fotorahmen, aber er nahm ihn nicht zur Hand. Er musste sich das Foto seines kleinen Bruders nicht ansehen, um den Schmerz heraufzubeschwören, den er immer in sich trug.

Nachdem Emma ihre Sachen in die Rosa Suite umgeräumt hatte, ging sie hinunter in die große Küche. Durch eines der Fenster sah sie Rafaele im unteren Teil des Gartens. Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, stand er da und blickte unbewegt über den üppig grünen Rasen, den schlanke Birken säumten. Ihr silbriges Laub zitterte in der sanften Brise, die auch die spiegelnde Wasseroberfläche des großen Pools kräuselte. Ganz in der Nähe stolzierte ein Pfauenpaar, doch Rafaele schien ihre Anwesenheit nicht einmal zu bemerken.

Wie eine Marmorstatue stand er da, reglos und still, eingetaucht in das rotgoldene Licht der untergehenden Sonne. Obwohl die Villa Fiorenza nach Emmas Empfinden vielleicht der friedvollste Ort war, an dem sie sich jemals befunden hatte, hegte sie das unbestimmte Gefühl, dass Rafaele es ganz anders empfand.

Als sie durch die Terrassentüren hinaustrat und er ihre Schritte auf den Sandsteinstufen hörte, blickte er sich zu ihr um.

„Ich habe überlegt, ob Sie vielleicht draußen essen möchten“, sagte sie. „Der Abend ist mild, und nach einem so langen Flug …“

„Ich werde doch nicht zum Essen da sein“, erwiderte er abweisend.

Emma gab sich alle Mühe, ihre törichte Enttäuschung zu verbergen. „Kein Problem. Es war sowieso nichts Besonderes.“

„Ich habe mir die Ersatzschlüssel vom Haken genommen. Bleiben Sie also nicht auf. Vielleicht verbringe ich auch die Nacht in Mailand.“

„Hat Ihre Geliebte Sie von London hierher begleitet?“

„Nein, aber was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.“

Emma war sich darüber im Klaren, dass ihr die Missbilligung ins Gesicht geschrieben stand. „Treue zählt also nicht zu Ihren Prioritäten in einer Beziehung?“

„Ich bin vermutlich nicht der Typ für eine feste Bindung. Dafür genieße ich meine Freiheit zu sehr.“ „Und ich dachte, für die meisten Italiener wäre es sehr wichtig, zu heiraten und eine Familie zu gründen.“

„Das mag für frühere Generationen gelten“, meinte Rafaele. „Ich jedenfalls finde das Leben zu kurz, um mich im Alltagstrott zu erschöpfen. Oh, ich habe nichts gegen Kinder, aber ich ziehe die Sorte vor, die man nach einer halben Stunde wieder abgeben kann. Für etwas anderes ist in meinem Leben kein Platz.“

„Das klingt für mich nach einer ziemlich oberflächlichen und sinnlosen Existenz“, sagte Emma. „Fühlen Sie sich denn nie einsam?“

„Nein. Ich nehme das Leben, wie es ist, und will es nicht unnötig dadurch komplizieren, dass ich für das emotionale Wohlbefinden eines anderen Menschen verantwortlich bin. Die Frauen, mit denen ich eine Beziehung eingehe, kennen die Regeln und halten sich normalerweise sehr bereitwillig daran.“

„Und wenn nicht, werden Sie sie schnell wieder los, richtig?“

Ein arrogantes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. „Richtig.“

Ihr Missfallen wuchs. „Mir tut jede Frau leid, die den Fehler machen sollte, sich in Sie zu verlieben.“

„Nun, die meisten Frauen, die ich kenne, verlieben sich in meine Brieftasche. Ihre Gefühle haben wenig mit mir als Person zu tun, denn wie Sie sicher schon bemerkt haben, trage ich mein Herz nicht auf der Zunge.“ Mit einem schiefen Lächeln fügte er hinzu: „Vielleicht bin ich ja doch meines Vaters Sohn.“

„Ihr Vater hat nach außen gern den Eindruck vermittelt, hart zu sein, aber im Innern war er ein gebrochener, einsamer Mann. Ich habe schnell erkannt, dass ihn hinsichtlich seines Lebens und seiner Beziehungen ernsthafte Reue plagte.“

„Zu schade, dass er das nicht auch dem Überbleibsel seiner Familie mitgeteilt hat, solange er es noch gekonnt hätte“, meinte Rafaele verbittert.

„Ich bin sicher, das hätte er getan, wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, ihn zu besuchen. Gegen Ende hatte ich das Gefühl, dass es nur noch diese geringe Chance war, dass Sie ihn besuchen könnten, die ihn wider alle ärztlichen Prophezeiungen am Leben hielt.“

„Warum hat er nicht den ersten Schritt getan?“, fuhr Rafaele auf.

„Er lag im Sterben“, entgegnete sie nachdrücklich. „Was meiner Ansicht nach die Verantwortung denjenigen zuschiebt, denen es gut geht. Er konnte nicht mehr reisen und zum Schluss kaum noch sprechen. Was hätte es Sie gekostet, ihn anzurufen? Mickrige fünf Minuten Ihrer Zeit zu opfern, um einem sterbenden Mann seinen Seelenfrieden zu geben?“

Rafaele deutete so aggressiv mit dem Finger auf sie, dass sie unwillkürlich zurückwich. „Sie haben überhaupt keine Ahnung, wie es gewesen ist, der Sohn meines Vaters zu sein! Als Quereinsteiger in das Leben meines Vaters wissen Sie nichts von dem, was vorher passiert ist. Du liebe Güte, Sie waren seine Krankenpflegerin! Man hat Sie bezahlt, ihm den Sabber vom Kinn zu wischen und seine schmutzigen Laken zu wechseln, aber nicht, um die traurige Historie seiner gescheiterten Beziehungen zu analysieren!“

Emma holte bebend Luft. „Mir ist ja klar, dass dies eine ziemlich emotionale Zeit für Sie ist, aber ich denke …“

„Es interessiert mich nicht die Bohne, was Sie denken“, fiel er ihr zornig ins Wort. „So wie ich es sehe, haben Sie einen sterbenden Mann schamlos ausgenutzt, um Ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Deshalb widerstrebt es mir besonders, von Ihnen darüber belehrt zu werden, welches Verhalten für mich als Sohn angemessen gewesen wäre, wo Sie so offensichtlich keine Ahnung haben, wie sich unsere Beziehung gestaltete.“

„Es tut mir leid … Ich wollte nicht … Verzeihen Sie …“

Seufzend strich er sich mit beiden Händen durchs Haar. „Vergessen Sie es einfach. Ich hätte Sie nicht anschreien sollen. Tut mir leid. Schreiben Sie es der Überarbeitung und dem Jetlag zu.“

„Schon gut. Ich verstehe ja, dass dies eine schwierige Zeit für Sie ist.“

Einen Moment schwiegen sie beide.

„Ich bin froh, dass Sie für ihn da waren, als er starb“, sagte Rafaele dann schroff. „Trotz allem bin ich froh, dass jemand da war.“

„Er war ein guter Mensch, Signore … Rafaele. Ich denke, tief im Herzen war er ein guter Mensch, der nur vom Weg abgekommen war.“

„Allmählich bekomme ich den Eindruck, dass Sie in jedem Menschen unbedingt etwas Gutes sehen wollen, Emma March“, meinte Rafaele kopfschüttelnd.

„Niemand ist durch und durch schlecht, Rafaele. Wir haben alle unsere ganz persönliche Geschichte, die uns zu dem Menschen macht, der wir sind. Nur leider hat Ihr Vater seine Geschichte nicht mit Ihnen geteilt, sodass Sie hätten verstehen könne, mit welchen Dämonen er ringen musste.“

„Es war nicht die Art meines Vaters, irgendetwas mit seiner Familie zu teilen. Sosehr, wie er jegliche Schwäche bei anderen verabscheute, kann ich mir nicht vorstellen, dass er je an einen Punkt gelangt wäre, eine eigene Schwäche einzugestehen.“

„Standen Sie ihm je nahe?“, fragte sie.

Sofort nahm sein Gesicht wieder einen verschlossenen Ausdruck an. „Er hatte keinen guten Draht zu kleinen Kindern … oder zu Kindern überhaupt.“

„Und was war mit Ihrem jüngeren Bruder?“

Er blickte sie durchdringend an. „Hat Ihnen schon jemand gesagt, dass Sie zu viele Fragen stellen?“

„Es tut mir leid … Ich dachte nur, es könnte vielleicht helfen, darüber zu reden …“

„Es hilft nicht, Miss March“, unterbrach er sie brüsk. „Und für die Zukunft wäre es mir lieb, wenn Sie Ihre Nase nicht in Dinge stecken würden, die Sie nichts angehen. Mein Vater ist tot, und auch wenn es Ihr Feingefühl verletzen mag, ich bin nicht traurig darüber.“

Schweigend blickte Emma ihm nach, als er das Haus verließ.

Seine verbitterten Worte klangen ihr noch in den Ohren, als das Motorengeräusch seines Sportwagens längst in der Ferne verhallt war.

Kaum war Emma an diesem Abend zu Bett gegangen, als ihre Schwester Simone aus Australien anrief. In die Kissen gelehnt lauschte sie Simones tränenreichem Bericht, wie sie vergeblich versucht hatte, einen Bankkredit zu bekommen, nur um zu erfahren, dass ihr Ex-Lebensgefährte Brendan offenbar zur Finanzierung seiner Kokainsucht wahllos Kredite aufgenommen und sie als Bürgen benannt hatte, sodass sie hoffnungslos überschuldet war. Entsetzt musste Emma hören, dass spätabends sogar ein Kredithai bei Simone aufgetaucht war, dem Brendan ebenfalls Geld schuldete und der Simone und ihre Tochter bedroht hatte, sollte er sein Geld nicht innerhalb einer Woche erhalten.

„Ich weiß nicht, was ich machen soll, Emma“, schluchzte Simone. „Als ich Chelsea von der Schule abgeholt habe, hatte ich schon das Gefühl, dass mir jemand folgt.“

„Bist du nicht zur Polizei gegangen?“, fragte Emma besorgt.

„Ach, du weißt doch, wie die mich behandelt haben, als sie das letzte Mal kamen, um Brendan zu verhaften. Sie haben mir nicht geglaubt, dass ich nichts von seiner Drogensucht wusste und keine Ahnung hatte, wo er ist, und haben mich wie eine Kriminelle behandelt.“

Emma schwieg betroffen. Simone hatte es immer schwer gehabt. Ungezählte Male hatte sie Emma in ihrer Kindheit vor den irrationalen Wutausbrüchen ihrer drogensüchtigen Eltern beschützt, bis endlich das Jugendamt eingeschritten war und beide Mädchen bei Pflegeeltern unterbrachte. Mit neunzehn hatte Simone dann ein kurzes Glück an der Seite von David Harrison gefunden, aber nur sechs Wochen nach Chelseas Geburt war ihr Mann bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen.

„Hör zu, Simone, ich habe einen Plan.“ Emma holte tief Luft. „Wie es sich herausgestellt hat, habe ich von meinem letzten Patienten eine größere Summe geerbt. Es dauert natürlich ein paar Tage, bis ich es dir überweisen kann, aber wenn du diesem Kredithai sagst, dass er sein Geld auf jeden Fall bekommt, beruhigt er sich vielleicht, bis du dir juristischen Rat holen kannst.“

„Es ist so viel Geld!“, jammerte Simone. „Ich werde es dir nie zurückzahlen können, selbst wenn die Polizei Brendan findet und verhaftet und ich ihn verklagen könnte.“

„Ich will das Geld gar nicht von dir zurück, Simone. Mir ist nur wichtig, dass du und Chelsea sicher seid. Wenn alles nach Plan verläuft, wirst du genug Geld haben, um in einen anderen Vorort oder vielleicht sogar in einen anderen Bundesstaat umzuziehen und ganz neu anzufangen.“

„Ach Emma, das wäre mein Traum! Ich hasse diesen Ort, weil er mich so sehr an unsere Kindheit mit Mum und Dad erinnert, die durch die Drogen ständig neben sich standen. Ich begreife immer noch nicht, wie ich mich so in Brendan irren konnte … er war immer so liebenswert und charmant!“

„Mach dir keine Vorwürfe, Simone“, tröstete Emma. „Du weißt doch, wie Drogen die Menschen verändern. Schon allein um Chelseas willen musst du umziehen. Sie ist in so einer Umgebung nicht sicher.“

„Du hast recht. Wenn Dave noch leben würde, wäre er entsetzt, dass ich unserer Tochter das alles zugemutet habe.“

„Sei nicht so hart mit dir, Darling. Ich weiß, wie schwer du es hattest. Sei dieses eine Mal noch stark, dann wird alles gut, und du wirst dir nie wieder Sorgen machen müssen.“

„Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll, Emma“, sagte Simone hörbar erleichtert. „Was sollten Chelsea und ich nur ohne dich tun?“

Ein wenig Gewissensbisse hatte Emma schon, dass sie ihrer Schwester nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte, wie sie an das Geld herankommen wollte. Aber hatte Simone nicht schon genug Probleme? Wenn sie erführe, dass Emma einen Mann heiraten wollte, den sie erst an diesem Morgen kennengelernt hatte, würde Simone sie sowieso für verrückt halten.

Vielleicht bin ich ja verrückt, dachte Emma. Im Geiste tauchte Rafaeles markantes Gesicht vor ihr auf. Seufzend klopfte sie sich das Kissen zurecht und streckte sich aus, doch es dauerte noch eine Ewigkeit, bis sie endlich einschlief.

Sie erwachte schlagartig, als die Haustür krachend zuschlug. Offenbar war Rafaele zurückgekommen und gab sich keine Mühe, leise zu sein. Kein Wunder, dachte Emma, ich bin für ihn ja sowieso nur ein unerwünschter Eindringling! Aus dem Wohnzimmer hörte sie das Klirren eines zersplitternden Glases gefolgt von deftigem Fluchen. Angespannt lauschte sie in die Dunkelheit. Im großen Badezimmer unten wurden Schränke und Schubladen geöffnet und wieder zugeschlagen.

„Wo, zum Teufel, ist der Verbandskasten?“, brüllte Rafaele dann vom Fuß der Treppe.

Emma sprang aus dem Bett, zog sich ihren Bademantel an, eilte zum Treppenabsatz und blickte aus dem dritten Stock hinunter. „Was ist passiert? Haben Sie sich geschnitten?“

Leicht schwankend hielt Rafaele seine in ein Handtuch gewickelte rechte Hand hoch. „Ja, allerdings. Möchten Sie pusten kommen, schöne Emma?“

„Haben Sie getrunken?“, fragte sie tadelnd, als sie die Treppe herunterkam.

Er lächelte ungeniert. „Und wenn?“

Drei Stufen vor ihm blieb sie auf Augenhöhe mit ihm stehen. „Sind Sie in dem Zustand etwa noch Auto gefahren?“

„Nein, ich habe mir ein Taxi gerufen“, antwortete er triumphierend. „War das nicht vernünftig?“

„Es ist nie vernünftig, zu viel zu trinken. Und jetzt zeigen Sie mir Ihre Hand.“

Folgsam hielt er ihr die Hand hin, und Emma löste vorsichtig das Handtuch, um den immer noch blutenden Schnitt am Daumen zu inspizieren.

„Werde ich die Nacht überstehen?“, erkundigte Rafaele sich spöttisch lächelnd.

Ohne darauf einzugehen, führte sie ihn ins nächste Bad. „Setzen Sie sich auf den Hocker“, wies sie ihn an und wusch sich die Hände, bevor sie den Verbandskasten aus dem Schrank nahm. „Sie haben Glück, es muss wohl nicht genäht werden. Ein Nahtpflaster wird die Wundränder zusammenhalten.“ Als sie sich jedoch daranmachte, die Wunde zu versorgen, stellte sie zu ihrem Leidwesen fest, dass ihr die Hände zitterten. Die Nähe zu Rafaele und seine ungemein männliche Ausstrahlung machten sie einfach schrecklich nervös. Außerdem kribbelte es ihr in den Fingerspitzen, über die dunklen Bartstoppeln an seinem mar

kanten Kinn zu streichen. Ihr Herz pochte schneller, als sie dem Blick seiner samtbraunen Augen begegnete.

„Sie haben sehr sanfte Hände“, stellte Rafaele fest. „Ich frage mich, ob sich Ihr hübscher, kleiner Mund genauso weich anfühlt.“

„Da werden Sie sich wohl weiter fragen müssen.“ Sie versuchte, ihm auszuweichen, aber er stand auf und versperrte ihr mit ausgestrecktem Arm den Weg.

„Wie wär’s, wenn ich Sie küsse und es herausfinde, Emma?“

„Das wäre, glaube ich, keine gute Idee“, flüsterte sie, wie gebannt von seinem glühenden Blick. Er lächelte sündhaft sexy. „Und warum nicht?“ Unwillkürlich strich sie nervös mit der Zungenspitze über ihre Lip...

Autor

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Sie ist seit fast 30 Jahren glücklich mit ihrem Mann John verheiratet. Kennengelernt hatten die beiden sich in Afrika, wo sie beide eine Zeitlang arbeiteten. Sie bekamen zwei Kinder, die...

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