Love & Hope Edition Band 2

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DREI ROMANE von LINDA GOODNIGHT

DIESER EINE FUNKEN HOFFNUNG

Entsetzt erkennt Harlow Matheson, wer der Fremde ist, den sie im Sturm gerettet hat: Nash Corbin, ihre große Liebe! Natürlich wird sie ihm nicht verraten, dass er der Vater ihres Kindes ist, dafür hat er sie einst zu tief verletzt. Ihm vergeben? Undenkbar! Oder hat Nash sich geändert?

UND IMMER WIEDER SIEGT DIE LIEBE

Nach einer Tragödie geht die einstige Schönheitskönigin Monroe Menschen aus dem Weg. Erst als sie dem attraktiven Nathan hilft, seine Ranch in ein Kinderheim umzubauen, ahnt sie, auf was sie in ihrem Leben verzichtet. Lernt sie an seiner Seite, wieder an die Kraft der Liebe zu glauben?

NUR DU BIST MEINE RETTUNG

Noch nie fühlte Taylor Matheson sich so erleichtert: Sie darf auf der Ranch von Rodeo-Reiter Wilder bleiben. Wo sollte sie auch sonst hin – schwanger und mittellos? Schon bald ist der smarte Cowboy mehr als nur ihr Rettungsanker. Aber dann unterstellt er ihr etwas Unglaubliches …


  • Erscheinungstag 17.02.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751524094
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

LINDA GOODNIGHT

LOVE & HOPE EDITION BAND 2

1. KAPITEL

Eisiger Regen peitschte über das Land. Harlow Matheson beugte sich tief über den Sattel. Ihr war kalt, und sie war völlig durchnässt. Müde überließ sie es ihrem Hengst Burr, sich den Weg über die Südweide der Matheson-Ranch zu suchen. An Tagen wie diesen fragte Harlow sich, wieso sie so sehr dafür kämpfte, die achtzig Hektar Sand und Gras zu erhalten.

Irgendwo kalbte die Kuh Nummer achtundzwanzig. Harlow musste sie und das Jungtier unbedingt finden. Sie konnte es sich nicht leisten, zwei Tiere zu verlieren.

Wäre ihre Schwester Monroe nicht gerade durch ein gebrochenes Bein gehandicapt, hätte sie geholfen, das Unterholz abzusuchen. Poppy konnte es nicht mehr. Nicht bei diesem Wetter. Die Matheson-Ranch war jetzt alleine Harlows Verantwortung, so wie sie für die ganze Familie verantwortlich war. Auch für die Schwester, die davongelaufen war. Für sie vielleicht sogar noch mehr als für die anderen.

Harlow seufzte tief.

Konnte man bei einer Vierundzwanzigjährigen noch von Davonlaufen sprechen?

Sicher nicht, aber Taylors Weggang fühlte sich für die beiden verbliebenen Schwestern so an, als hätte sie wie ein Teenager die Flucht ergriffen.

Harlow war die Älteste. Sie hatte Taylor praktisch aufgezogen. Wie konnte das Mädchen einfach so gehen?

Der Schmerz über das Verhalten der kleinen Schwester war immer präsent, auch wenn Harlow sich im Moment ganz auf das Wetter und die kalbende Kuh in Not konzentrieren musste.

Sie lenkte Burr Richtung Osten in den Bereich der Ranch, der mit dichtem Gestrüpp überwuchert war. Vor lauter Regen konnte sie die Bäume nicht ausmachen, aber sie wusste, wo sie waren. Es war unangenehm, hier zu suchen, aber es war der wahrscheinlichste Ort, an dem eine Kuh Zuflucht suchen würde. War nur zu hoffen, dass der Bach nicht über die Ufer trat und Kuh und Kalb ertränkte.

„Kühe warten mit dem Kalben immer bis zum schlimmsten Wetter. Und dann verstecken sie sich.“ Das war eine Maxime ihres Großvaters. Poppy hatte recht – wie immer, wenn es um Tiere ging. Nur Menschen konnten ihn täuschen.

Harlow konnte sich nicht erinnern, dass ihr je so kalt gewesen war. Der Regen klatschte ihr ins Gesicht. Sie hatte sich das hüftlange Haar zu zwei Zöpfen geflochten. Der Stetson über dem Hoodie bot nur wenig Schutz. Die breite Krempe ließ einen Wasserfall entstehen, der ihr die Sicht nahm.

Dadurch hätte sie ihn fast verpasst – den einsamen Reiter, der hundert Meter entfernt den Abhang herunterkam. Er beugte sich tief über den Sattel.

Harlow fuhr sich mit der Hand über die Augen und versuchte, den Mann zu erkennen, aber bei dem Regen hatte sie keine Chance. Irgendetwas an der Haltung des Mannes machte sie stutzig. Etwas stimmte nicht mit ihm.

Nash Corbin sah sein Ende bereits vor sich. Er konnte sich nicht mehr viel länger im Sattel halten. Es wäre so verlockend, einfach das Sattelhorn loszulassen und auf den dunklen, feuchten Boden zu sinken. Vielleicht war es am besten so. Die Schmerzen wurden stärker, seine Kräfte ließen nach.

In ein oder zwei Tagen, wenn der Regen aufgehört hatte, würde irgendjemand ihn finden – mit dem Gesicht im Matsch. Endeten nicht die meisten Legenden so?

Nicht, dass er schon den Status einer Legende erreicht hätte, aber die Nachricht seines Todes würde mit Sicherheit in allen Zeitungen und in allen Talkshows breitgetreten werden.

Er hätte jemandem sagen sollen, wohin er wollte, aber in seiner Wut hatte er einfach sein Handy in eine Schublade geworfen, war in seinen Wagen gesprungen und zur Ranch nach Oklahoma gefahren, von der niemand in seinem gegenwärtigen Umfeld wusste. Nicht einmal sein Agent. Besonders der nicht.

Der Schmerz wurde stärker, entlockte ihm ein lautes Stöhnen, das zu einem Schmerzensschrei wurde. Hier würde ihn ohnehin niemand hören.

Wo mochte er sein? Er konnte nicht weit vom Haus seiner Ranch entfernt sein – wenn er nicht die falsche Richtung eingeschlagen hatte. Das würde ihn nicht überraschen.

In letzter Zeit hatte er in mehr als einer Hinsicht oft die falsche Richtung eingeschlagen.

Auch Drifter schien die Orientierung verloren zu haben. Der zuverlässige schwarze Hengst wirkte ebenso müde und deprimiert wie sein Reiter.

Keiner von ihnen konnte bei dem Regen etwas erkennen.

Wie weit war er in seinem Frust geritten? Er wusste es nicht. Hatte die ganze Zeit nur darüber gegrübelt, wie es dazu gekommen sein konnte, dass er so die Kontrolle über sein Leben verloren hatte.

Es kam ihm vor, als wollte Gott ihn strafen. Während er in Gedanken versunken im Regen blind durch die Gegend ritt, verspürte Nash plötzlich einen intensiven Schmerz in der Magengegend. Einen Schmerz, wie er ihn noch nie erlebt hatte.

Sein Football-Trainer hätte einen Anfall, wenn er wüsste, dass einer seiner Stars im Begriff stand, vom Pferd zu fallen, sich noch die andere Schulter zu verletzen und im Matsch zu sterben. Der Spieler, der das meiste Geld brachte, war ohnehin schon in schlechter Verfassung.

Nash schlug mit der Stirn gegen das Sattelhorn. Einmal. Zweimal. Er versuchte, sich aufzurichten, aber erneut durchzuckte ihn der Schmerz. Schlimm genug, um einem Mann die Tränen in die Augen zu treiben. Profis weinten eigentlich nicht. Sie spielten, auch wenn sie verletzt waren. Oder krank. Sie spielten weiter, ganz gleich, was auch immer passierte.

Nash Corbin hatte gespielt, bis sein Körper einfach nicht mehr mitmachte.

Er liebte das Schreien des Sonntagspublikums. Liebte die Verlockungen des Geldes, das mit dem Ruhm einherging. Liebte den Kick des Sieges.

Seine Mutter hatte ihn ermahnt, vor jedem Spiel in die Kirche zu gehen. Das hatte er nicht getan. Er war zu sehr damit beschäftigt gewesen, reich und berühmt zu werden.

„Tut mir leid, Mom“, stöhnte er.

Im Geiste sah er ihr Gesicht vor sich. Das Grübchen oben an ihrem linken Wangenknochen. Den besorgten Blick ihrer grünen Augen.

Nein, das konnte nicht Mom sein. Mom war im Ausland. Dad war tot. Nur er und Drifter waren noch da und ein paar sogenannte Freunde, die sofort verschwinden würden, sobald sie erfuhren, dass er pleite war. Die sozialen Netzwerke würden heißlaufen. Wahrscheinlich taten sie das jetzt schon, nachdem er einfach so verschwunden war. Er wusste es nicht.

Mit der nächsten Schmerzwelle wuchs die Verzweiflung. Sogar wenn er es gewollt hätte, könnte er sich nicht mehr halten.

Nash Corbin ließ sich in die Dunkelheit sinken …

Harlow drängte Burr mit einem Schenkeldruck zur Eile. Die Hufe des kräftigen Cow-Ponys kämpften sich durch den feuchten Boden.

Als sie an den Reiter herangekommen war – sie schloss aus dessen Größe, dass es ein Mann war –, rutschte er gerade seitwärts aus dem Sattel. Wenn er zu Boden ging, würde sie ihn ohne Hilfe nicht wieder nach oben bekommen. Er sah nicht so aus, als könnte er selbst dabei noch irgendwie helfen.

Rasch lenkte sie Burr neben den großen schwarzen Hengst. Sie reckte sich und packte den Reiter bei der Schulter, um ihn nach oben zu schieben.

Er stöhnte auf. Harlow schob weiter. Sie hatte Mühe, den Mann zu halten, obwohl sie kräftig war für ihre Größe. Sie musste stark sein, weil sie oft mit widerspenstigen Kälbern und gelegentlich auch mit Kühen zu ringen hatte. Der Mann war groß. Wesentlich größer als sie.

„Hey“, schrie sie. „Alles in Ordnung?“ Eine überflüssige Frage. Er hing vollkommen kraftlos im Sattel, und der Schmerzensschrei hatte sicher seinen Grund gehabt. „Können Sie sprechen?“

Schweigen.

Harlow schloss für einen Moment die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Sie musste den Mann irgendwie nach Hause bringen. Dazu musste sie ihn an den Sattel binden. War nur zu hoffen, dass er sich nicht wehrte.

Als ob er das könnte!

Ihr erfahrenes Pony wusste genau, wann es still zu stehen hatte. Mit geschicktem Griff löste Harlow das Lasso von ihrem Sattelhorn und warf es um den Mann, bevor sie aus dem Sattel sprang. Ihre Stiefel versanken bis zu den Knöcheln im Boden. Sie hatte oft genug mit Kälbern gerungen, um schnell zu sein. Rasch hatte sie den Mann an Pferd und Sattel gebunden. Sein Gesicht lag auf dem Sattelhorn.

Irgendetwas an ihm kam ihr vertraut vor. Zu vertraut. Ihr sträubten sich förmlich die Nackenhaare. Nein, es konnte nicht Nash sein! Falls er es war, sollte er zu Boden gehen und im Matsch ersticken!

Ihr Gewissen war jedoch stärker, das lästige Ding. Vor drei Jahren hatte sie den Weg zu Jesus gefunden. Seither hatte sie das Bedürfnis, immer das Richtige zu tun, auch wenn sie dabei draufzahlte.

Genau das würde sie wahrscheinlich tun, falls dieser Mann wirklich Nash Corbin war. Dabei hatte er sie schon genug gekostet.

„Tut mir leid“, flüsterte sie. Der Herr hatte ihr schon viele Fehler verziehen. Sie wollte ihn nicht noch einmal enttäuschen. Frustriert schlug sie sich das Wasser vom Stetson, bevor sie ihn wieder aufsetzte.

Der Reiter trug keine Kopfbedeckung. Sein Haar war so nass, dass sie die Farbe nicht erkennen konnte. Nash hatte kastanienbraunes Haar. Sein Aussehen zog die Frauen an wie das Licht die Motten. Damals – zu ‚ihrer‘ Zeit – war es ihm einerlei gewesen. Er hatte sich ganz auf den Football konzentriert. Das war seine Möglichkeit, um aus Sundown Valley fortzukommen. Fort von dem Leben auf der Ranch, das er hasste.

Damals war er ihr bester Freund gewesen.

Ein schöner Freund!

Bitte, Gott, lass es nicht Nash sein!

Sie erwog, ihre Regenjacke auszuziehen und sie ihm überzulegen. Der Idiot trug nur eine Windjacke, und die war natürlich vollkommen durchnässt. Die Jacke hatte allerdings eine Kapuze. Sie zog sie ihm über den Kopf und versuchte, sie unter dem Kinn zu befestigen.

Plötzlich erstarrte sie. An seinem Hals hatte sie eine runde Narbe ertastet. Eine Narbe, wie Nash sie ebenfalls hatte.

Sie zog die Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt.

Er war es: Nash Corbin! Der Mann, den sie nie wiedersehen wollte.

Was machte er hier? Als er ging, hatte er geschworen, nie wieder einen Fuß auf dieses Land und in diese Stadt zu setzen.

Dieses Versprechen hatte er gehalten. Bis jetzt.

Der Mann stöhnte erneut auf. Harlow gab sich einen Ruck. Ob es nun Nash war oder nicht – er brauchte Hilfe. Und zwar schnell.

Sie nahm die Zügel des schwarzen Hengstes, schwang sich wieder in Burrs Sattel und begann den langen Ritt zurück nach Hause.

Was würde ihre Familie sagen, wenn sie sah, dass sie den Feind höchstpersönlich mitbrachte?

Zumindest bei ihrem Großvater hatte sie keine Bedenken. Poppy tat immer das Richtige – so wie sein Glaube es ihm befahl. Nash war es, der nicht wusste, was Recht oder Anstand war. Er hatte unbedingt reich werden wollen, und es war ihm einerlei gewesen, auf welche Weise. Andere Menschen zählten für ihn nicht. Skrupellos bis auf die Knochen, das war er.

Harlow quälte sich wider Willen mit Fragen und Sorgen, an die sie eigentlich gar nicht mehr hatte denken wollen.

Wieso jetzt? Fast vier Jahre waren vergangen, und Nash war kein einziges Mal zurückgekehrt. Die einstmals blühende Corbin-Ranch lag verlassen da. Niemand kümmerte sich mehr um das Land, die Gebäude verfielen.

Harlow ritt in ein Tal hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf, während sie die ganze Zeit ein achtsames Auge auf den Reiter hatte, der stumm im Sattel hing.

Harlow hasste Nash Corbin nicht. Wünschte ihm nicht den Tod. Sie wünschte ihn allerdings weit fort.

2. KAPITEL

Vom Westen her grollte der Donner, und ein Blitz zuckte über den dunklen Himmel. Das Unwetter tobte immer schlimmer – so wie das Chaos der Gefühle in Harlow.

Das kurze Licht des Blitzes zeigte ein altes Farmhaus mit umliegenden Stallungen. Endlich zu Hause! Zu Hause und im Warmen.

Mit einem Schock für die Familie.

Sie warf einen Blick über die Schulter. Nash und sein Pferd waren bei dem strömenden Regen kaum auszumachen, obwohl sie die Zügel des Hengstes in der Hand hielt und er dicht hinter ihrem Pony lief. Sie zog ihn an ihre Seite, während sie Burr zum Tor lenkte.

Es ließ sich glücklicherweise leicht vom Sattel aus öffnen, sodass sie über den Hof zur überdachten Veranda reiten konnte. Das Prasseln der harten Tropfen auf dem Blechdach ließ Harlow besorgt an die Tiere denken, die sie nicht gefunden hatte.

Bei dieser Sintflut konnte sie das Kalb wahrscheinlich abschreiben. Blieb zu hoffen, dass wenigstens die Kuh durchkam. Sie hatte Nash Corbin gerettet – konnte der Himmel nicht zum Ausgleich dafür die Tiere überleben lassen? Die Tiere waren für die Mathesons weit wertvoller als dieser Mensch, der sie alle ins Unglück gestürzt hatte.

Harlow sprang aus dem Sattel und riss sich den nassen Stetson vom Kopf, um ihn auf einen der Stühle fallen zu lassen. Das Wasser fiel wie ein Vorhang vor der Veranda herunter. Der Wind drückte es herein, sodass es in Strömen durch die Bodendielen lief.

Ihr kranker Nachbar – Harlow weigerte sich, ihn als Freund zu bezeichnen – blieb stumm und rührte sich nicht. Wahrscheinlich hatte er das Bewusstsein verloren. Wer konnte wissen, an was für einer Krankheit er litt?

Wie kam er dazu, bei diesem Wetter über ihr Land zu reiten? Hatte er Hilfe gesucht?

Harlow versuchte, sich auf das Hauptproblem zu konzentrieren. Wieso Nash etwas tat, ging sie nichts an. Im Moment war nur wichtig, ihn wieder auf die Beine und nach Hause zu bringen, ehe er noch mehr Unheil über ihre Familie brachte.

Sie zog die Haustür auf.

Ollie, die Colliehündin, begrüßte sie stürmisch.

„Monroe! Poppy!“ Harlow versuchte, das Bellen des Hundes zu übertönen. „Ich brauche Hilfe!“

Die Hündin trottete hinaus auf die Veranda, um das fremde Pferd und die Beine des Mannes zu beschnüffeln. Ein lauter Donner ertönte krachend am Himmel. Mit langen Sätzen kam sie wieder herein. Ollie war gut zum Hüten der Kühe, aber Gewitter hasste sie.

Harlow konnte es ihr nicht verdenken.

Poppy kam aus der Küche. Er lehnte sich schwer auf seinen Stock. Er brauchte dringend neue Kniegelenke und wahrscheinlich auch eine neue Hüfte. Harlow wusste es, aber ihr fehlte das Geld für die Operation.

Der Herr wird es schon richten! Das sagte Poppy immer. Harlow wünschte, Er würde sich damit nicht allzu viel Zeit lassen.

„Was ist?“ Ihr Großvater musterte sie besorgt.

Harlow bat nur selten um Hilfe. Ihr aufgewühlter Zustand musste die ganze Familie alarmieren.

Monroe kam die Treppe heruntergehumpelt, auch sie an Krücken und auch sie sichtlich besorgt. Eine Seite ihres Gesichts war vernarbt. Sie versuchte immer, es hinter ihrem langen, blonden Haar zu verbergen.

„Bist du verletzt? Was ist passiert?“ Monroe kam wie üblich sofort zum Punkt.

Harlow war gerührt. Diese beiden, ihre verwundete Schwester und der verkrüppelte alte Großvater, würden alles für sie geben, das wusste sie. Ihr ging es umgekehrt genauso. Eben deswegen irritierte Nashs Auftauchen sie ja so.

Er hatte sie alle fast in den Ruin getrieben, hatte aber nie das Rückgrat gehabt, sich dafür zu entschuldigen oder das Problem zu beheben.

Jetzt wollte sie nichts mehr von ihm.

„Mit mir ist alles in Ordnung, ich bin nur total durchnässt“, sagte sie rasch. „Ich habe einen kranken Mann mitgebracht.“

„Einen Mann?“ Monroe verzog die Lippen, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Von Poppy und Davis abgesehen gehörten Männer nicht zu ihrer Lieblingsspezies.

„Er braucht Hilfe.“ Sie verschwieg, wer der Mann war. Sie würden es bald genug selbst sehen. „Ich habe ihn zufällig auf unserem Land gefunden, als er gerade dabei war, aus dem Sattel zu fallen. Es geht ihm sehr schlecht.“

Poppy sah hinaus auf die Veranda. „Wir müssen ihn hereinholen! Er holt sich ja Wer-weiß-was bei dem Regen.“

Wer-weiß-was war sein Ausdruck für alle Krankheiten, deren Namen er nicht kannte. Das waren die meisten.

„Wer ist er? Was hat er auf unserem Land gemacht?“ Das kam von Monroe, kritisch wie immer.

„Das klären wir später. Holt eine Decke, damit wir ihn hereinziehen können. Als ich ihn fand, hat er vor Schmerzen geschrien.“ Harlow eilte wieder hinaus.

Nash hing immer noch im Sattel, so wie sie ihn verlassen hatte.

„Das Pferd kenne ich.“ Poppy nickte nachdenklich. „Ja, das kenne ich.“

Natürlich kannte er den Hengst. Harlow hätte ihn auch sofort erkennen sollen. Jedes Mal, wenn sie an der Weide von Ike Crowder vorbeikam, weckte der Anblick des Pferdes unerwünschte Erinnerungen. Sie hatte sich immer gefragt, wieso Nash den Hengst nicht verkauft hatte, statt ihn auf der Nachbarranch in Pflege zu geben.

Harlow schwieg. Poppy und Monroe würden bald genug begreifen, dass sie ihren größten Feind ins Haus gebracht hatte. Poppy würde ihn leben lassen, bei Monroe war sie sich da nicht so sicher. Aber ihre Schwester wusste natürlich auch wesentlich mehr über Nash Corbin als Poppy – und Poppy wusste schon viel.

Während Harlow Nash losband, wuchsen ihre Beklemmungen. Er musste unbedingt so schnell wie möglich auf die Beine und vom Hof. Möglichst vorgestern.

Monroe stützte sich auf die Krücken, während sie die Decke auf dem Boden ausbreitete. Die war augenblicklich klatschnass, aber das war der Mann ja auch.

Während Monroe den Hengst ruhig hielt, ließen Harlow und Poppy den Kranken auf die Decke gleiten. Er klatschte auf den Rücken und murmelte etwas Unverständliches.

Monroe stieß einen unterdrückten Schrei aus. Die beiden Schwestern tauschten einen Blick. Harlow schüttelte leicht den Kopf – eine Warnung, nichts vor Poppy zu sagen.

„Das ist doch der Corbin-Junge“, sagte der Alte in diesem Moment. Er war etwas außer Atem von der Anstrengung.

„Ruf die Polizei!“ Das war Monroe, knapp und klar.

„Na, na, na! Das ist nicht sehr christlich. Er braucht Hilfe, und wir werden sie ihm geben. Gott verzeiht, also können wir es auch.“

Monroes Miene verschloss sich, aber sie wollte sich nicht mit dem Mann anlegen, der vor vielen Jahren drei kleine Mädchen bei sich aufgenommen hatte, obwohl er nicht dazu verpflichtet gewesen wäre.

Harlow wusste, dass es ein Spiel mit dem Feuer war, diesen Mann in ihr Haus zu lassen, aber Poppy hatte recht. Sie wollte sich ein Beispiel an Jesus nehmen. Er hatte Menschen in Not immer geholfen, auch wenn alle anderen dafür an seinem Verstand zweifelten.

So wie sie jetzt an ihrem.

Ihr flatterten die Nerven, als sie Nash Corbin mit vereinten Kräften ins Haus und in ihr Wohnzimmer zogen.

Endlich lag er auf dem Teppich neben dem Ofen. Zu dritt standen sie um ihn herum und betrachteten ihn.

Harlow hatte ganz vergessen, wie groß er war.

„Jemand muss ihm die nassen Sachen ausziehen“, bemerkte Poppy.

„Vergiss es“, erklärte Monroe. „Ich hole ein paar Decken und Handtücher. Er hätte es verdient, dass wir ihn draußen liegen lassen.“

Poppy schüttelte den Kopf. „Sieh dir den Jungen doch an. Er ist so hilflos wie ein verwaistes Kalb.“

Harlow kniete neben Nash und legte ihm die Hand auf die Stirn.

„Er hat Fieber. Wir sollten den Notarzt rufen.“

Sie kam nicht dazu, die Absicht in die Tat umzusetzen, als der Kranke sie plötzlich beim Handgelenk packte.

„Nein! Niemand weiß, dass ich hier bin. Keine Publicity!“

Harlow fasste es nicht. Nash war wach, und seine einzige Sorge galt der Publicity?

Sie rollte die Augen. Der große Superstar hatte Angst, seine Fans könnten ihn in einem schwachen Moment erleben? Oder war er auf der Flucht vor irgendeiner Frau, die er sitzen lassen hatte und die ihn jetzt suchte?

Die Gedanken schossen ihr unwillkürlich durch den Kopf. Er war attraktiv und erfolgreich. Soweit sie wusste, hatte er in den sozialen Netzwerken über eine Million Follower.

Ja, es war albern, aber sie hatte es sich angesehen, war ihm aber nicht gefolgt. Sie hatte ihn vor vier Jahren gehen lassen, und sie würde es wieder tun. Mit Freuden! Sie stand zu ihrer Entscheidung, keinen Kontakt zu ihm zu suchen und ihn um nichts zu bitten, obwohl er ihr viel schuldete.

Wäre sie ihm wichtig gewesen, hätte er sich bei ihr gemeldet. Doch mehr als zwei knappe Telefonate waren nicht von ihm gekommen, nachdem er in seine große Freiheit aufgebrochen war.

Später hatte er seinen schleimigen Agenten zu ihnen geschickt – was nicht sehr gut für sie ausgegangen war.

„Du bist krank, Nash. Du gehörst in die Notaufnahme.“

Er wollte sich aufsetzen, aber die Kraft reichte nicht dafür. Vor Schmerz verzog er das Gesicht und hielt sich den rechten Arm.

Zumindest war er jetzt wach und in der Lage, sich zu bewegen. Ihr lag nichts daran, dass er hier in ihrem Wohnzimmer seinen letzten Atemzug tat.

„Etwas, das ich gegessen habe …“ Er stöhnte. „Es geht mir gleich wieder besser.“ Er krümmte sich. „Es soll niemand wissen, dass ich hier bin.“

„Das sagtest du bereits.“ Harlow klang leicht genervt.

Ein Geräusch auf der Treppe ließ sie auffahren. Ihr stockte der Atem.

Nein. Nein. Nein!

„Mommy?“

Ihr Blick flog von dem kleinen Jungen, der durch das Geländer nach unten sah, zu ihrer Schwester, die ebenso entgeistert wirkte wie sie.

Wieso musste Davis ausgerechnet jetzt aufwachen?

Blieb nur zu hoffen, dass Nash zu krank war, um das kleine Kind zu bemerken.

Monroe erholte sich als Erste von dem Schock. Sie humpelte mit ihren Krücken zur Treppe und sah nach oben. „Möchtest du etwas zu essen?“

Der Dreijährige rieb sich die Augen und nickte.

„Sollte er nicht schlafen?“ Harlow warf einen Blick auf ihren ungebetenen Gast. Er hatte die Augen geschlossen. Mit etwas Glück hatte er wieder das Bewusstsein verloren.

Monroe nahm das Stichwort auf. „Geh wieder ins Bett, Darling. Ich bringe dir etwas. Okay?“

„Ja, Kekse.“ Ihn interessierte etwas Süßes offenbar wesentlich mehr als der Fremde, der da auf dem Wohnzimmerteppich lag und stöhnte.

Ein Kalb im Wohnzimmer war bei ihnen nichts Ungewöhnliches. Für einen Dreijährigen sah der Mann wahrscheinlich nicht viel anders aus.

„Mach ich, aber nun geh wieder ins Bett.“ Monroe unterstrich die Aufforderung mit einer Bewegung ihrer Krücke.

Mit einem glucksenden Lachen, das Harlow jedes Mal mit tiefer Freude erfüllte, verschwand der Kleine in sein Zimmer.

Monroe schwang sich auf ihren Krücken Richtung Küche, um die versprochenen Kekse zu holen.

Harlow wagte endlich wieder durchzuatmen. Nash hatte den Jungen offensichtlich nicht bemerkt. Er hatte nicht einmal die Augen geöffnet.

Der Mann musste verschwinden. Jetzt!

„Nash.“ Sie schüttelte ihn leicht bei der Schulter. „Nash!“

Er verzog das Gesicht und entwand sich ihrer Hand.

„Du kannst hier nicht bleiben, Nash. Du brauchst einen Arzt.“

Plötzlich fuhr er hoch und beugte sich keuchend vor. „Mir wird schlecht.“

„Er ist grün wie Froschsuppe“, brüllte Poppy. „Hilf ihm auf.“

Mit Harlows Hilfe kam Nash auf die Beine. Er stolperte in Richtung Bad.

Sie war erstaunt, dass er sich noch daran erinnerte, wo es war.

„Ich hole den Truck.“ Poppy stülpte sich seinen Filzhut auf. „Der Junge braucht einen Arzt, ob es ihm passt oder nicht.“ Er schnaubte verächtlich: „Publicity!“

Ich hole den Truck, Poppy“, sagte Harlow. „Ich bin sowieso schon nass.“

„Ich hole ihn, basta. Der Regen lässt schon nach.“ Er warf ihr einen empörten Blick zu. „Ich bin alt, aber nicht hilflos. Zieh dir etwas Trockenes an, bevor du dir den Tod holst.“

Wenn er diesen Ton anschlug, wusste sie, dass Widerstand zwecklos war. In letzter Zeit war es oft ein Drahtseilakt zwischen der Rücksicht auf Poppys Stolz und seinen Zustand. Etwas Regen würde ihm nicht schaden. Hoffentlich.

Unter gar keinen Umständen wollte sie, dass er sich Wer-weiß-was holte.

Monroe kam zurück aus der Küche. Bevor sie sich die Treppe hinaufquälte, zischte sie Harlow an: „Was willst du tun? Du kannst diesen Kerl nicht in Davis’ Nähe lassen.“

„Ich weiß“, flüsterte Harlow zurück. „Ich mag ihn genauso wenig wie du, aber was soll ich tun? Er ist hier. Er ist krank. Ganz egal, was er angerichtet hat – ich habe nicht die Absicht, Poppy mit der ganzen unleidigen Geschichte zu belasten. Das würde ihn umbringen.“

„Er würde Nash mit dem Gewehr in der Hand zwingen, dich zu heiraten.“

„Glaub mir, ich erinnere mich noch zu gut daran, wie er auf meine Schwangerschaft reagiert hat. Er wollte unbedingt wissen, wer der Vater ist.“

„Du hast dich damals geweigert, es ihm zu sagen.“

„Du weißt, wieso. Nash und ich sind nie ein Paar gewesen. Ich habe ihn schon immer geliebt, aber für ihn war ich nur eine gute Freundin. Er konnte schließlich seinen Lebenstraum verwirklichen. Er hätte es mir ewig vorgeworfen, wenn ich ihm das verdorben hätte.“

„Vielleicht. Aber vielleicht hätte er auch Rückgrat gezeigt und für dich und Davis gesorgt.“

„Ich wollte nicht, dass er ‚Rückgrat zeigt‘. Ich wollte …“

Monroe legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Du wolltest Liebe und Romantik und diesen ganzen Unsinn.“

„Es ist kein Unsinn – das finde ich immer noch, obwohl ich für mich die Hoffnung aufgegeben habe, die wahre Liebe jemals zu finden.“

Monroe schüttelte den Kopf. „Liebe bringt mehr Schmerz als sonst was. Ich will das alles nicht noch einmal durchmachen, und du solltest es auch nicht.“

Harlow umarmte ihre Schwester. Monroe hatte sich vor Jahren in einen Soldaten verliebt und war ihm in die Navy gefolgt. Ihr Prince Charming hatte sich leider als Frosch erwiesen.

Das ließ sich auch von Nash sagen. Er hatte allerdings nie erfahren, dass Harlow ihn liebte. Monroes Soldat hatte es gewusst, und er hatte alles zerstört – ihr Herz, ihr Vertrauen und ihre Karriere.

Monroe deutete mit einer ihrer Krücken zum Bad. „Was willst du mit ihm machen?“

„Ich weiß es noch nicht.“

„Wenn du nicht willst, dass er die Wahrheit über Davis herausfindet und Forderungen stellt, die er mit seinem Geld durchsetzen kann, dann solltest du dir schnell etwas einfallen lassen.“

„Er würde mir Davis nicht nehmen. Er hat ihn nie gewollt.“

„Das kannst du nicht wissen.“

Das war leider wahr. Aber er hatte sie nicht gewollt. Wieso sollte er dann ihr Kind wollen?

Zum ersten Mal seit Langem regte sich ihr Gewissen. Der alte Nash, der Junge, in den sie sich in der Highschool verliebt hatte, war ein guter Kerl gewesen. Er war ihr gegenüber ehrlich gewesen, was seine Absichten betraf. Er hatte sogar angerufen und gefragt, ob alles mit ihr in Ordnung sei. Dabei hatte er sich für das, was zwischen ihnen passiert war, entschuldigt.

Zu dem Zeitpunkt hatte sie noch nicht gewusst, dass sie schwanger war, aber Nashs Entschuldigung war ihr immer noch bittersüß in Erinnerung.

Es hatte ihm leidgetan. Er hatte große Pläne. In diese Pläne passten weder sie noch ein Baby.

Das hätte sie ihm verzeihen können.

Aber dieser Mensch hier war nicht mehr der gute alte Nash. Dies war der Betrüger, der sie alle skrupellos ausgenommen hatte. Er war Mr. Superstar mit einer Million Fans und noch mehr Geld. Ein Superstar, der keine schlechte Publicity wollte.

Einfach nur abstoßend.

Harlow drückte sich eine Hand auf die Stirn. Ihr schmerzte der Kopf. Nash Corbin hatte ihr das Herz gebrochen und ihre Familie an den Rand des Ruins gebracht.

Gleichzeitig hatte er ihr aber auch das Kostbarste geschenkt, das sie sich vorstellen konnte: Davis.

3. KAPITEL

Nash lehnte den Kopf gegen die kühle Scheibe von Gus Mathesons Truck. Das Fieber brannte, und sein Körper fühlte sich an, als wäre ein ganzes Football-Team darüber hinweggetrampelt.

„Bring mich nach Hause, Gus“, brachte er mit Mühe hervor. „Es geht mir schon besser.“

Gus warf einen kurzen Blick zu ihm hinüber. „Du siehst nicht so aus.“

Nash hätte gegrinst, wäre er dazu in der Lage gewesen. Der alte Rancher, den er schon sein ganzes Leben lang kannte, hatte sich kein bisschen geändert. Er war grundehrlich und ein herzensguter Kerl. Ein Mann, der tat, was er predigte. Und er ließ sich nicht beirren.

Gus hatte recht. Er fühlte sich so schrecklich, wie er aussah. Zumindest war er im Moment aufrecht. Mehr oder weniger. Die Tür war ihm dabei eine wesentliche Hilfe.

„Es muss irgendetwas gewesen sein, das ich gegessen habe.“ Er wusste nicht, ob das stimmte oder nicht.

„Was soll das gewesen sein? Ein verdorbener Alligator?“

„Ein lebendiger, der mich jetzt von innen her auffrisst.“

Gus lachte leise, wie Nash es erhofft hatte. „Ich fahre dich gern in die Notaufnahme. Bist du sicher, dass du auf der Ranch alleine zurechtkommst?“

Nein. „Ja.“

Der Regen wurde wieder stärker und klatschte gegen die Scheiben.

„Gibt es bei euch keinen Team-Arzt?“, fragte der Alte, bevor er sich wieder auf die mit Schlaglöchern übersäte Straße konzentrierte.

„Ja, natürlich.“ Nash öffnete das Fenster. Vielleicht vertrieb die frische Luft seine Übelkeit. Da er sowieso schon nass war, machte der Regen ihm nichts aus. „Ich rufe ihn an.“

Nicht heute. Auch morgen nicht. Irgendwann.

„Also gut. Wenn du dir sicher bist.“ Gus bog in den noch schlechteren Sandweg ein, der zu Nashs Ranch führte. Unter dem windschiefen Carport wirkte Nashs roter Sportwagen total fehl am Platze. Wenn ihm keine Lösung einfiel, war er bald auch den Wagen los.

Im Moment fühlte er sich jedoch zu elend, um sich darüber Gedanken zu machen.

Gus fuhr so dicht wie möglich an die Haustür heran und stoppte. Er musterte Nash durchdringend.

Nash hoffte, dass der alte Mann mit seinem erfahrenen Blick nicht zu viel wahrnahm. Es war ihm zu peinlich, irgendjemanden wissen zu lassen, was er für Fehler gemacht hatte.

„Es war wirklich ein Segen, dass Harlow dich gefunden hat“, sagte der Alte ruhig. „Gott hat seine Hand über dich gehalten, Junge. Ganz gleich, was du getan hast: Er sorgt für dich.“

Nash hatte nicht die Kraft, nachzufragen, was Gus damit meinte. Er hatte während der vergangenen vier Jahre kein Leben als Heiliger geführt, aber er hatte sich auch nichts zuschulden kommen lassen. Er hatte sich ganz auf das Spiel konzentriert und darauf, Geld zu verdienen.

Geld, das er nicht länger hatte. Dank eines skrupellosen Agenten. Er hatte dem Kerl blind vertraut. Hatte ihm alles anvertraut, was er besaß. Geblieben war ihm nur diese heruntergekommene Ranch.

Nash stöhnte auf, und sein Stöhnen hatte diesmal nichts mit seinen Magenkrämpfen zu tun.

Er war ein Narr gewesen. Ein grüner Junge, der nach den Sternen gegriffen hatte. Gierig danach, in einem Jahr so viel Geld zu verdienen, wie sein Vater nicht im ganzen Leben auf der Ranch erwirtschaftet hatte. Sein Agent hatte große Versprechen gemacht, und Nash hatte ihm geglaubt.

Der Schmerz darüber war jetzt genauso stark wie der Alligator in seinem Innern.

„Danke, Gus.“

Er wollte die Tür des Trucks öffnen, aber der simple Vorgang fiel ihm schwerer als erwartet.

„Ich kümmere mich um dein Pferd, bis du wieder fit bist. Ruf an, falls du etwas brauchst.“

„Ja, danke.“ Er konnte nicht anrufen, er hatte kein Telefon.

Sein spontaner Entschluss, das Handy zurückzulassen, könnte sich sehr wohl als eine weitere unverzeihliche Dummheit erweisen, falls hinter seinen Schmerzen etwas Ernstes steckte.

Er tastete mit der linken Hand nach dem Türgriff und drückte. Die rechte Schulter hatte einfach nicht die nötige Kraft.

Langsam ließ er sich aus dem Wagen gleiten. Er musste sich anlehnen, als eine neue Schmerzattacke kam. Mit Mühe gelang es ihm, ein Stöhnen zu unterdrücken. Wohl gute fünf Sekunden lang verharrte er einfach regungslos und hoffte, dass die Welle vorüberging.

Gus sah, was los war. „Brauchst du Hilfe, Junge? Ich kann dir ins Haus helfen.“

Nein, das konnte er nicht. Mit seinen gut einhundert Kilo war Nash zu schwer für ihn. Gus war ein schmächtiger, drahtiger Mann – und achtzig Jahre alt.

„Alles gut.“ Irgendwie würde er aufrecht in dieses Haus gelangen, das plötzlich unendlich weit weg zu sein schien.

Gus sah ihn einen Moment lang schweigend an, bevor er nickte.

Nash wollte eine Hand heben und winken, aber er brauchte all seine Kraft, um einen Fuß vor den anderen zu setzen. Gebogen wie ein Bumerang schleppte er sich die Stufen hinauf und ins Haus.

Sobald er im Wohnzimmer war, ließ er sich auf die Couch fallen. Durch die plötzliche Bewegung wurden wahre Staubwolken aufgewirbelt. Es war ihm einerlei. Noch nie war er so froh darüber gewesen, sich hinlegen zu können.

Wäre Harlow nicht im richtigen Moment aufgetaucht … Er versuchte sich zu erinnern, wie es zu der Begegnung mit ihr gekommen war. Harlow …

Das war der letzte Gedanke, den er für eine Weile hatte.

Als Nash die Augen aufschlug, galt sein erster Gedanke wieder dem Mädchen von nebenan.

Wahrscheinlich, weil sie einmal seine beste Freundin gewesen war und er sie lange nicht gesehen hatte.

Sie hatte ihm heute das Leben gerettet.

Er warf einen Blick zum Fenster. War heute noch derselbe Tag? Oder hatte er länger geschlafen als gedacht? Es spielte keine Rolle.

Sein Kopf schmerzte noch, aber sein Magen schien sich ein wenig beruhigt zu haben. Hatte er das Schlimmste überstanden?

Die feuchte Jeans und das Hemd klebten ihm an der Haut, aber er konnte sich nicht dazu bringen aufzustehen. Noch nicht.

Ein Arm hing von der Couch herunter. Unter seinen Fingern spürte er einen Läufer. Es gelang ihm, das Ding hochzuziehen und es sich über Brust und Arme zu legen.

Besser. Nicht viel, aber doch.

Hinter seinen Schläfen klopfte der Schmerz. Zog sich seinen Hals hinunter, bis zu seiner verletzten Schulter.

Er schloss die Augen. Dachte an Harlow.

Sie waren früher gute Freunde gewesen. Waren zusammen ausgeritten und hatten sich gegenseitig unterstützt. Sie hatte sich mit ihm gefreut, als er in das Football-Team aufgenommen worden war.

Sie hatten sich beide gefreut.

Ihre gemeinsame Feier an dem Abend hatte zu einem der dümmsten Fehler geführt, die er je gemacht hatte. Das war einer der Gründe, wieso er seither keinen Alkohol mehr anrührte.

Später hatte er sich vergewissert, dass mit Harlow alles in Ordnung war. So wie sie heute aussah, war alles bestens.

Irgendetwas blitzte im Nebel seiner Gedanken auf, aber er konnte es nicht richtig packen. Eine Anspannung, die er bei den Mathesons bemerkt hatte. Keiner war übermäßig freundlich zu ihm gewesen. Besonders Harlow nicht.

Wahrscheinlich, weil sie sich Sorgen um ihn machte. Harlow gehörte zu den Frauen, die sich zuerst um alle anderen kümmerten, bevor sie sich erlaubten, das Leben zu genießen.

Tat sie das? Genoss sie das Leben?

Sein Agent hatte es behauptet. Sagte, sie sei mit einem netten Mann zusammen und der Ranch der Familie gehe es gut.

Er hatte sich für sie gefreut und für ihre ganze Familie, die er schon sein Leben lang kannte. Sie hatten nur das Beste verdient.

Aber das war vor mehreren Jahren gewesen. Nash hatte den Kontakt nicht gepflegt.

Er wusste, wieso.

Als er die Ranch vor vier Jahren verlassen hatte, hatte er sich geschworen, nie wieder einer Kuh nachzulaufen oder Heu in einer stickigen Scheune zu stapeln. Die Arbeit auf der Ranch war nichts für ihn. Sie hatte seine Eltern fast ruiniert und seinem Vater den frühen Tod gebracht. Er wollte dieses Elend hinter sich lassen.

Als er feststellte, dass er ein Talent zum Footballspielen hatte, beschloss er, alles mitzunehmen, was der Sport zu bieten hatte. Besonders das Geld.

Zuerst war da der Druck gewesen, es ins Team zu schaffen. Er musste hart trainieren. Musste sich nebenher in der Welt der Sportagenten und der Medien zurechtfinden. Bei alledem hatte er Harlow und die Mathesons nicht vollkommen vergessen, aber er hatte sie in den Hintergrund driften lassen.

Sterling Dorsey, sein Agent, betonte immer wieder, der Weg zum Erfolg sei die totale Fokussierung auf das Spiel. Alles andere sollte er in die Hände erfahrenerer Leute legen und sich nicht mit der Vergangenheit belasten.

Nash hatte seine Freunde nie als Belastung empfunden. Nach der ausgelassenen Nacht des Feierns mit Harlow hatte er zweimal angerufen, um sich zu vergewissern, dass mit ihr alles in Ordnung war. Sie hatte ihn beruhigt. Nichts in ihrem munteren Ton hatte irgendwelche Zweifel in ihm geweckt. Dennoch hatte er seinen Agenten noch einmal gebeten, sich nach ihr zu erkundigen.

Sterling verstand sein Geschäft. Zumindest hatte Nash das damals gedacht. Er war noch zu jung und unerfahren gewesen, um zu erkennen, wie gefährlich es war, sämtliche Entscheidungen einem anderen Menschen zu überlassen, besonders, was das Finanzielle anging.

Seine harte Arbeit hatte sich ausbezahlt.

Bis jetzt.

Nun steckte er bis zum Hals in finanziellen Schwierigkeiten, hatte eine verletzte Schulter und zusätzlich noch dieses Magenproblem.

Dazu kamen die Menschen, die er auf dem Weg nach oben vernachlässigt hatte und denen er Dank schuldete.

Sobald er sich wieder besser fühlte, wollte er zu den Mathesons gehen.

Es waren gute Leute. Freunde. Es konnte nicht schaden, die alten Beziehungen wiederzubeleben, bis er wusste, wie es weitergehen sollte.

„Wir können ihn auf keinen Fall noch einmal in die Nähe unserer Ranch lassen.“ Monroes Ton war unerbittlich. „Ich will nicht, dass er dich oder Davis oder Poppy in irgendeiner Weise aufregt.“

Harlow legte ihrer Schwester die Hand auf die Schulter und setzte sich neben sie auf das Bett, in dem sie geschlafen hatte, seit sie als Kind zu Poppy gekommen war.

Alles im Zimmer war schlicht und einfach. Weiße Wände, ein schmaler Schrank, ein kleiner Nachttisch mit einer Nachttischlampe und ein grüner Läufer auf dem Holzfußboden. Abgesehen von einem Foto ihrer verstorbenen Eltern hatte sie nie etwas hinzugefügt, sah man einmal von der Wiege ab, die sie dazugestellt hatte, als Davis geboren wurde.

Als er dafür zu groß wurde, hatte sie sich lange dagegen gesträubt, ihn allein in einem anderen Zimmer schlafen zu lassen. Er hatte sich letztlich schneller daran gewöhnt als sie.

„Natürlich hast du recht“, sagte sie jetzt, „aber Nash ist krank. Er wird eine Weile nirgendwohin fahren. Irgendwie werden wir mit der Situation umgehen.“

„Hast du keine Angst vor dem, was passieren könnte?“

„Natürlich habe ich Angst, aber mit etwas Glück verschwindet er bald wieder.“

„Vielleicht kommt jemand aus seinem Team oder dieser schreckliche Agent, um ihn abzuholen.“ Monroe zog die Mundwinkel nach unten. „Oder eine Freundin taucht hier auf.“

Harlow wollte diesen Gedanken nicht weiter verfolgen. „Solange sie uns nicht belästigen, ist es doch in Ordnung.“

„Und was ist, wenn er nicht dort bleibt? Was ist, wenn es ihm wieder besser geht und er hierherkommt, einen Blick auf Davis wirft und das Sorgerecht verlangt? Was ist, wenn er ihn mit nach Florida nimmt?“

Die Vorstellung brachte Harlow fast um den Verstand. „Das würde Nash nicht tun“, behauptete sie.

„Woher willst du das wissen?“

„Er muss an seine Karriere denken und an das neue Leben, von dem er immer geträumt hat. Außerdem sehen sich die beiden überhaupt nicht ähnlich. Ich bezweifle, dass er auf die Idee kommt, der Junge könnte sein Sohn sein.“

„Hoffentlich hast du recht. Und was, wenn nicht?“

Harlow stand auf und ging zur Tür. Das Problem Nash ließ sich nicht lösen. Sie wollte nicht länger darüber reden. Am liebsten überhaupt nie wieder, aber sie wusste, Monroe würde das Thema nicht ruhen lassen.

„Ich mache mich jetzt auf die Suche nach der Kuh.“

Monroe kniff die Augen zusammen. „Es wird bald dunkel.“

„Ich nehme eine Laterne mit. Burr ist Dunkelheit und schlechtes Wetter gewohnt. Wir kommen schon zurecht. Machst du das Abendessen und badest Davis anschließend, falls es bei mir später wird?“

„Du weißt, dass ich das mache, aber es hat wirklich keinen Sinn, dass du losgehst, bevor es nicht aufgehört hat zu regnen. Du wirst nicht über den Lost Creek kommen, und wahrscheinlich ist die Kuh genau dort.“

Harlow ließ einen Moment resigniert die Schultern hängen, gab sich aber gleich einen Ruck. „Ich muss es versuchen. Wir können es uns nicht leisten, die Tiere zu verlieren.“

„Es gibt Dinge, die stehen nicht in unserer Macht, Harlow.“

Redete sie jetzt von Nash oder von den Tieren?

„Ich suche diese Seite des Baches ab und die Ufer des kleinen Sees. Dort gibt es genügend Ecken, wo sie sich versteckt haben könnte.“

„Es regnet wieder. Und es ist kalt.“ Monroe griff nach ihren Krücken. „Außerdem bist du aufgewühlt wegen Nash. Du kannst nicht mehr klar denken. In diesem Zustand solltest du nicht allein losreiten.“

Harlow stand nicht der Sinn nach langen Diskussionen. Sie wollte ja gerade allein sein, um ungestört nachdenken zu können. „Wie wäre es, wenn du uns einen Eintopf machst? Der kann mich dann später wieder aufwärmen.“

Monroe rollte die Augen. „Wie kann man nur so halsstarrig sein?“

Harlow verkniff sich eine Antwort. Alle drei Schwestern waren dafür bekannt, dass sie immer mit dem Kopf durch die Wand gingen.

Unten im Haus wurde eine Tür zugeschlagen.

Monroe warf einen Blick die Treppe hinunter. „Poppy ist zurück.“

„Wie konnte er so schnell in die Notaufnahme kommen?“

„Vielleicht hat er den Kerl einfach in den nächsten Straßengraben geworfen.“

Die Tür des Kinderzimmers ging auf, und der dreijährige Davis erschien, in der Hand sein Feuerwehrauto. Der Wirbel, den er hinten am Kopf hatte, ließ sein Haar hochstehen. „Wer, Mommy? Wen hat Poppy in den Graben geworfen?“

„Niemanden, Süßer. Deine Tante hat nur einen Witz gemacht.“

„Hat sie nicht“, zischte Monroe ihr leise zu.

Kopfschüttelnd eilte Harlow nach unten in die Küche. Sie hätte lachen mögen, wäre die Situation nicht so ernst gewesen.

„Du bist schon zurück?“ Harlow sah ihren Großvater fragend an, der gerade seinen Filzhut an den Haken neben der Tür gehängt hatte.

„Nash hat darauf bestanden, dass ich ihn nach Hause bringe.“

„Ging es ihm besser?“

„Ich glaube nicht, aber er ist wirklich hart im Nehmen.“

Wie die meisten Profisportler hatte Nash die Schmerztoleranz eines Felsbrockens. Er machte einfach weiter. Dass er so offen seinen Schmerz gezeigt hatte, bewies nur, dass es ihm wirklich schlecht ging.

Harlow verdrängte das aufsteigende Mitgefühl und reichte ihrem Großvater ein Handtuch.

Poppy wischte sich das Gesicht trocken, bevor er die Regenjacke auszog. Zu seinen Füßen hatte sich schon eine Pfütze gebildet. Harlow holte einen Lappen.

„Ich glaube, jemand von uns sollte später hinüberfahren und nach dem Jungen sehen“, bemerkte der Alte.

Harlow schluckte. Der Junge war ein erwachsener Mann. Ein Mann, der sich um sich selbst kümmern konnte oder notfalls seine berühmten Freunde zur Hilfe holen. Die Mathesons hatten mehr als genug für ihn getan.

„Wieso sollten wir das tun?“

Poppy kniff die Augen zusammen. „Falls ihm dort drüben etwas passiert, solange er dort allein ist – wie würdest du dich dann fühlen?“

Seit sie sich zu Jesus bekannte, versuchte sie, sich wie ihr Großvater an die christlichen Grundwerte zu halten. Aber Nash Corbin überforderte sie. Harlow schwang den Feudel mit mehr Nachdruck als nötig. „Er kann selbst für sich sorgen.“

„Sagt die Frau, die ihn heute Nachmittag bewusstlos nach Hause gebracht hat.“

Wieso musste er immer recht haben? Aber einerlei – Harlow hatte nicht die Absicht, die Krankenschwester für Nash Corbin zu spielen. „Du weißt, wie ich zu ihm stehe. Wie wir alle zu ihm stehen.“ Aus noch mehr Gründen als denen, die du kennst.

Poppy hob die weißen Brauen. „Nachbarn kümmern sich umeinander.“

„Wirklich? So wie er sich um uns gekümmert hat?“

Der alte Mann wurde blass. Er schwieg.

Harlow bedauerte, was sie gesagt hatte. Sie sprachen nie über die schreckliche Zeit, und ihr Großvater ließ es nicht zu, dass irgendjemand etwas Schlechtes über Nash Corbin sagte.

Jetzt hatte sie ihn verletzt.

Ehe sie sich entschuldigen konnte, war Poppy wortlos hinausgegangen.

Harlow drückte sich Daumen und Zeigefinger gegen die Schläfen. Sie war heute einfach nicht sie selbst. Es war alles zu viel für sie: die verlorene Kuh, die bevorstehende Hypothekentilgung – es waren sogar zwei Raten fällig! – und das unerwartete Auftauchen von Nash Corbin.

Dennoch war der Stress kein Grund, um Poppy wehzutun. Er hatte an Nash geglaubt und war überzeugt davon gewesen, er täte ihnen einen Gefallen und brächte seiner Familie Wohlstand. Ihr Großvater hatte im Vertrauen auf Nash eine Summe investiert, die ihnen finanziell fast das Genick gebrochen hätte. Er litt darunter, weil sein blindes Vertrauen die Zukunft der Ranch und damit der ganzen Familie gefährdet hatte.

Auch danach blieb Poppy dabei, zuerst einmal in jedem Menschen nur das Gute zu sehen. Da er fest in seinem Glauben verankert und zu allen fair war, erwartete er dieselbe faire Behandlung auch umgekehrt.

Manche dieser Erwartungen wurden enttäuscht.

Dennoch war er bereit, dem Mann zu helfen, der sie so hintergangen hatte.

„Liebt eure Feinde und tut Gutes denen, die euch hassen“, pflegte er mit einem Bibelzitat zu sagen.

Harlow wollte sich ein Beispiel an ihm nehmen. Schuldbewusst rief sie nach oben: „Monroe, Davis, ich bin bald zurück!“

Ihre Schwester erschien an der Treppe. „Immer noch entschlossen, das Kalb zu finden?“

„Nein. Ich muss etwas bei Poppy wiedergutmachen.“

4. KAPITEL

Träumte er? Klopfte da wirklich jemand an seine Tür?

Nash öffnete mühsam die Augen und versuchte aufzustehen. Es ging nicht.

Das Klopfen wiederholte sich.

Super! Sie hatten schon herausgefunden, wo er steckte!

Hoffentlich nicht die Presse. Oder sein Agent.

Aber wer sonst?

Seine Lider sanken wieder herab. Wenn er sich nicht rührte, verschwand der Mensch vielleicht wieder.

„Nash!“ Das war eine Frauenstimme. „Alles in Ordnung?“

Harlow?

Sie wusste, dass er hier war. Er musste sie hereinlassen und dazu bringen, niemandem ein Wort zu sagen.

Hatte er das etwa schon getan? Er konnte sich nicht erinnern.

Unter Aufbietung all seiner verbliebenen Kräfte rief er: „Die Tür ist offen!“

Er hörte, wie sie hereinkam. Sein Kopf schmerzte so sehr, dass er sie nicht ansehen konnte.

Wenn es einen Menschen gab, der kein Foto von ihm halb tot auf seinem staubigen Sofa, bedeckt von einem alten Läufer, fiebrig und gleichzeitig fröstelnd in den sozialen Netzwerken verbreiten würde, dann war es Harlow. Aber er musste sie fragen. Er musste sicher sein.

Eine kühle Hand legte sich auf seine Stirn.

„Du hast Fieber. Wieso bist du nicht in die Notaufnahme gegangen?“ Sie schalt ihn wie einen Erstklässler. Wieso war sie böse mit ihm? Lag es daran, dass er sich so lange nicht bei ihr gemeldet hatte?

„Geht nicht“, murmelte er.

Sie nahm die Hand fort. Es hatte sich gut angefühlt. Eigentlich merkwürdig, wo ihm doch so kalt war.

„Schaffst du es zum Bett?“

„Nein.“ Wahrscheinlich konnte er es, aber er wollte nicht.

Harlow sagte etwas, das er nicht verstand. Er öffnete mühsam ein Auge und sah, dass sie das Wohnzimmer verließ. Das schwache Licht schmerzte.

Sie kehrte mit einer Jogginghose und einem Stapel alter Wolldecken zurück. Wahrscheinlich rochen sie muffig, aber er konnte nicht wählerisch sein.

Sie legte alles auf den Tisch. „Du musst aus den nassen Sachen heraus. Kannst du etwas essen oder trinken?“

„Nein.“

„Kann ich jemanden für dich anrufen?“

„Nein.“ Aber du könntest eine Weile bleiben und etwas netter zu mir sein.

„Gut. Ich muss noch arbeiten.“

Nash riss die Augen auf. Ein stechender Schmerz fuhr ihm durch den Kopf, aber er konnte sie noch nicht gehen lassen. „Tu mir einen Gefallen …“

Sie hatte eine Hand in die Seite gestemmt. „Und das wäre?“

„Sag niemandem, dass ich hier bin.“

Sie zog die kleine Nase kraus. „Das hast du schon gesagt. Mehrfach.“

Hatte er das? „Ich kann nicht in die Stadt gehen.“

„Dann bleib auf der Ranch. Hier findet dich niemand.“

Sie machte es ihm nicht leicht.

„Ich habe nichts im Haus“, murmelte er. „Kein Essen. Keine Medikamente.“

Als er angekommen war, war er zu aufgebracht gewesen, um an Vorräte zu denken. Er wollte einfach nur abtauchen und nachdenken.

Ihre Brauen schossen in die Höhe. „Soll ich etwa für dich einkaufen gehen?“

Er konnte die Augen nicht mehr offen halten. „Würdest du das tun?“

„Natürlich. Mit Vergnügen!“

Hörte er da Sarkasmus in ihrem Ton? Ehe er die Kraft aufbringen konnte, sie zu fragen, was er ihr getan hatte – sah man davon ab, dass er ihr zu Last fiel –, hörte er schon, wie die Haustür aufgezogen und vernehmlich wieder geschlossen wurde.

Am nächsten Morgen hatte der Regen aufgehört. Harlow wusste, es war nur eine kurze Verschnaufpause. Denn weitere Niederschläge waren vorhergesagt.

Die Begegnung mit dem kranken Nash am Vorabend hatte sie so aufgewühlt, dass sie ganz schlecht geschlafen hatte. Er wagte es, einfach so über sie zu verfügen, als wäre sie eines seiner Groupies!

In aller Herrgottsfrühe war sie schließlich aufgestanden, um noch einmal die Finanzen der Ranch durchzukalkulieren. Sie musste sich überlegen, wo sie das Geld für die zwei Hypothekenraten hernehmen sollte. Monroe und Poppy wussten, dass es eng war, aber sie ersparte ihnen die trüben Details. Beide hätten ohnehin nichts tun können, um daran etwas zu ändern.

Die Verantwortung lag allein bei ihr.

Wohl eine Stunde lang starrte sie verbissen auf die Zahlen, ohne dass ihr eine Lösung eingefallen wäre. Schließlich verlegte sie sich aufs Beten. Dabei erwartete sie nicht viel. Der Herr half denen, die sich selbst halfen, oder?

Welche Gegenstände von Wert besaß sie noch? Ihr Pferd und der Schmuck ihrer Mutter. Sie warf einen Blick in die kleine Schatulle. Der Verlobungsring und der Ehering hatten einmal der Großmutter ihrer Mutter gehört, die in eine reiche Familie eingeheiratet hatte. Der Ölreichtum war längst verflossen, aber die kostbaren Ringe waren geblieben. Nach dem Tod der Eltern hatte jede der Schwestern einen Anteil am Schmuck der Mutter bekommen. Harlow hatte die Ringe erhalten. Sie liebte sie sehr und hatte immer davon geträumt, sie eines Tages selbst zu tragen.

Der Gedanke, sich von diesen Ringen zu trennen, schmerzte, aber vielleicht waren sie die Antwort auf ihre Gebete.

Nach langem Grübeln ließ sie die Schatulle wieder in der Schublade verschwinden.

Noch nicht. Vielleicht gab es noch einen anderen Weg.

Vieh zu verkaufen war ausgeschlossen. Sie hatten schon genug Tiere verkauft. Wenn sie auch die letzten Kühe und Kälber hergaben, würde es das Ende der Ranch bedeuten.

Das konnte sie Poppy nicht antun. Die Ranch war sein Leben.

Apropos Leben. Sie machte sich auf, noch einmal nach der Kuh und ihrem Kalb zu suchen. Diesmal nahm sie auch Ollie mit. Die gut trainierte Colliehündin konnte bei der Suche eine große Hilfe sein und anschließend helfen, die Tiere nach Hause zu treiben, falls sie sie noch lebend fanden.

Während Harlow über das Land ritt, schweiften ihre Gedanken immer wieder zur Nachbarranch. Das war noch ein Problem, das sie nicht so schnell lösen konnte.

Eine Stunde mochte vergangen sein, und ihre Stimmung hatte einen Tiefpunkt erreicht, als Ollie plötzlich im Gestrüpp verschwand und aufgeregt zu bellen begann – ein Zeichen, dass sie etwas gefunden hatte.

Das neugeborene Kalb war unterkühlt, lebte aber. Mit einiger Mühe gelang es Harlow, es über den Sattel zu legen. Sie wusste, die Kuh würde ihnen in den Stall folgen. Sollte sie es nicht tun, würde Ollie ihr auf die Sprünge helfen. Harlow schickte ein stummes Dankgebet zum Himmel.

Wärme und der Duft gebratenen Schinkens empfingen sie, als sie ins Haus kam.

Das Wohnhaus der Ranch war alt und schlicht, aber es strahlte Behaglichkeit aus und war mit Liebe gefüllt. Es fehlte nur Taylor, die ihrer letzten Nachricht zufolge mit Freunden in den Bergen Montanas war. Freunde, die Harlow nicht kannte. Taylor wusste, dass ihre Neigung, sich mit allen und jedem anzufreunden, ihre Schwester auf die Palme trieb.

„Du kommst gerade richtig.“ Poppy stand am Herd und machte das Frühstück. „Bin gleich fertig. Setz dich schon.“

Harlow wusch sich die Hände, schenkte sich einen Becher Kaffee ein und setzte sich zu Monroe und Davis an den alten Küchentisch. Generationen von Mathesons hatten hier gegessen und sprichwörtlich ihre Spuren im Holz hinterlassen.

„Die Kuh und ein gesundes Kalb sind im Stall.“

Poppy ließ das letzte Spiegelei auf einen Teller gleiten. „Gott sei Dank.“ Er stellte den Teller neben den mit Monroes Keksen. Monroe war keine begnadete Köchin, aber ihre Kekse waren heiß begehrt.

Sie sprachen ein Tischgebet und aßen schweigend.

„Ich finde, du solltest heute Morgen noch einmal nach dem Corbin-Jungen sehen“, bemerkte Poppy schließlich.

Harlows Gedanken rasten. Falls Nash sich besser fühlte, hatte er wahrscheinlich Hunger. Falls es ihm nicht besser ging, brauchte er Medizin. Es sollte ihr einerlei sein, wie es ihm ging, aber das war es nicht.

Ihr Großvater schien die plötzliche Spannung im Raum bemerkt zu haben, denn sein Blick wanderte zwischen den beiden Schwestern hin und her. Schließlich holte er wie jeden Morgen nach dem Frühstück seine Bibel hervor.

„In der heutigen Andacht geht es um einen interessanten Text“, sagte er. „Die Bergpredigt. Ich finde, es ist die beste Predigt.“ Er tätschelte Davis’ kleine Hand und begann, dem Jungen von Jesus zu erzählen, der oben auf dem Berg saß, umgeben von Menschen, die den ganzen Tag in seiner Nähe waren und ihm zuhörten, ohne etwas zu essen.

„Das ist wahre Liebe, Davis. Sie wussten, dass er ihnen mehr gab als reines Essen. Er gab ihnen Nahrung für die Seele.“ Poppy tippte auf sein Herz.

„Ich mag Jesus“, sagte der Junge und brachte die Erwachsenen damit zum Lächeln.

„Er mag dich auch.“ Monroe wischte dem Kleinen einen Rest Marmelade aus dem Mundwinkel.

Poppy fuhr fort: „An diesem Tag hatte Jesus es mit einem Haufen Dickköpfe zu tun, die noch viel lernen mussten. Er machte ihnen etwas so Wichtiges klar, dass ihnen vor Staunen fast die Mützen in den Dreck gefallen wären.“

Er fuhr liebevoll mit der Hand über das vergilbte Papier und las: „Ihr habt gehört, daß da gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel; sondern, so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar. Und so jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem laß auch den Mantel. Und so dich jemand nötigt eine Meile, so gehe mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht von dem, der dir abborgen will. Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.“

Poppy sah auf. „Der nächste Teil ist noch wichtiger. Denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und so ihr euch nur zu euren Brüdern freundlich tut, was tut ihr Sonderliches? Tun nicht die Zöllner auch also? Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“

Poppy klopfte auf die Seite. „Verstehst du, Junge? Sogar wenn jemand einem etwas antut, muss man gut zu ihm sein. Das macht uns in den Augen des Herrn gut. Gut sein heißt nicht, dass wir nicht auch Fehler machen dürfen. Es heißt einfach nur reif. Erwachsen. Wir benehmen uns wie Erwachsene, weil es das ist, was Jesus tun würde. Wir tun das Richtige, auch wenn andere es nicht tun. Die Wege des Herrn sind immer richtig, auch wenn sie uns nicht gefallen.“

Er schloss die Bibel, griff sich seinen Stock und humpelte hinaus.

Davis mochte das Ganze noch nicht verstanden haben, aber Harlow und Monroe begriffen, was ihr Großvater gemeint hatte: Nash hatte ihnen allen Unrecht getan, aber Jesus wollte, dass jeder Matheson sich über seine persönlichen Gefühle erhob und anderen verzieh.

Das bedeutete: einkaufen fahren für den Feind von nebenan.

Eine Stunde später lief Harlow durch die Gänge des Supermarkts und suchte zusammen, was Nash vielleicht gebrauchen konnte. Suppe. Cracker. Rezeptfreie Medikamente. Mac and Käse für die Zeit, wenn es ihm wieder besser ging. Nash liebte Burger. Er hatte sie zumindest vor Jahren geliebt. Für ihn waren Poppys Burger die besten der Welt – was absurd war, weil er sie nur heiß machte.

Damals aß Nash ebenso oft bei ihnen wie zu Hause. Er aß alles und das in Mengen.

Harlow warf noch ein paar Dosen Spaghetti und Ravioli in den Wagen. War das nicht ungesund für einen Profi-Sportler? Nach kurzem Überlegen entschied sie: Nein, es musste gehen. Nash musste essen, was da war.

Wenn ihm ihre Auswahl nicht schmecken würde, müsste er eben selbst einkaufen. Doch sie verdrängte schnell den unchristlichen Gedanken. Poppy würde es nicht gut finden, wenn sie nicht ihr Bestes gab für den Mann, der sie fast in den Ruin getrieben hätte.

Dieser Mann, der sich ja so wichtig vorkam und angeblich verstecken musste, bescherte ihr noch ein Magengeschwür. Wieso musste er ausgerechnet hierherkommen, um seinem Ruhm zu entfliehen? Wieso ging er nicht in die Antarktis oder in den Regenwald?

Widerwillig schob sie den Wagen zur Kasse. Die Kassiererin Ashley Renner kannte sie schon, solange sie denken konnte. Wie immer kam sofort ein Gespräch in Gang, während sie die Ware in die Kasse tippte.

„Wie geht’s, Harlow?“

„Muss ja, muss ja.“

„Das Wetter ist wirklich grauenhaft. Hoffentlich ist es beim Erdbeer-Festival besser. Die ganze Stadt wäre enttäuscht, wenn wir es absagen müssten.“

Harlow legte ein Glas Erdnussbutter und ein Weizenbrot auf das Band. „Vor allem die Kinder. Die Gruppe aus der Kirche baut schon an ihrem Wagen, um beim Umzug mitzumachen.“

„Meine Kinder sind beim Gartenwagen dabei. Gracie ist ein Marienkäfer und Matthew eine Sonnenblume. Sie sind ganz aufgeregt.“ Ashley strich rasch fünf Dosen Suppe über den Scanner. „Reitet Davis in diesem Jahr bei der Parade mit?“

„Ich weiß nicht. Er ist ja noch sehr klein.“

„Du könntest doch mitreiten und lässt ihn vor dir sitzen.“

„Ja, vielleicht.“ Mit etwas Glück war Nash zu dem Zeitpunkt schon wieder bei seinen Fans. Bis dahin musste sie ihn von Davis fernhalten.

„Ist Preach Beckham immer noch so scharf auf dein Pferd?“

Harlow lachte. „Ja, er fragt mich wenigstens einmal im Monat.“

„Das muss ja wirklich ein ganz besonderes Tier sein....

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