Lust der Verführung - 4 erotische Geschichten

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NIE VERGAß ICH DEINE ZÄRTLICHKEITEN

Hannah ist fassungslos. Acht Jahre nachdem sie eine stürmische Nacht mit Jordan McClennon verbracht hat, macht er ihr erneut Avancen. Und das, obwohl der Playboy damals einfach ohne ein Wort verschwunden ist! Soll sie ihm glauben, dass er es diesmal ernst mit ihr meint?

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  • Erscheinungstag 12.05.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733768737
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Kelly Jamison, Katherine Garbera, Ann Major, Patricia Thayer

Lust der Verführung - 4 erotische Geschichten

IMPRESSUM

Nie vergaß ich deine Zärtlichkeiten erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 1997 by Linda Buechting
Originaltitel: „Unexpected Father“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 981 - 1998 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Elke Iheukumere

Abbildungen: conrado / Shutterstock

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733787332

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Hannah Brewster saß im Gras und betrachtete mit gerunzelter Stirn die beiden Pick-ups, die gerade in die Einfahrt einbogen. Unwillkürlich umfasste sie das Holzbrett fester, das in ihrem Schoß lag. Allein der Name McClennon genügte, um sie aufzubringen, und jetzt erschienen gleich zwei von ihnen.

Doch dies waren die beiden älteren Brüder, John und Jake, und nicht Jordan McClennon. Die Erinnerung an ihn war noch immer schmerzlich. Zu sehr war damals ihr Stolz verletzt gewesen.

Hannah wäre heute nicht den ganzen Weg aus St. Louis hergekommen, wenn sie gewusst hätte, dass die McClennons hier sein würden. Doch Ronnie Wardlow hatte ihr diese kleine Einzelheit vorenthalten, bis vor einigen Minuten. Absichtlich, nahm sie an.

Ronnie hatte sie gebeten, ihm und ein paar Freunden zu helfen, ein neues Haus für seine Mutter Esther zu bauen. Hannah mochte Ronnie und seine Mutter, und sie hatte die Gelegenheit wahrgenommen, um einmal aus St. Louis herauszukommen und die Landluft in Sandford zu genießen, an diesem sonnigen Wochenende Anfang Mai. Der ganze Plan hatte ihr gefallen, bis jetzt.

Die Pick-ups hielten neben Ronnies zerbeultem Wagen, und aus dem einen stiegen zwei große, dunkelhaarige Männer aus. McClennons, da war Hannah ganz sicher. Alle aus dieser Familie sahen außerordentlich gut aus.

Der zweite Pick-up hatte einen Wohnwagen angehängt, und der Fahrer stand einige Minuten dahinter und zurrte etwas fest. Als er nun um den Pick-up herumkam und Hannah ihn erkannte, schlug ihr das Herz bis zum Hals.

Jordan McClennon.

Sie wollte aufspringen. Verzweifelt sah sie sich um und blickte schließlich zu Ronnie. Er zuckte hilflos mit den Schultern.

Ronnie wusste, dass sie Jordan nicht ausstehen konnte, doch er kannte nicht die ganze Geschichte.

Einer anderen Frau hätte es wahrscheinlich nichts ausgemacht, wenn ein Mann sie nach zwei Verabredungen wieder fallen ließ. Aber sie war damals noch sehr jung gewesen und sehr verliebt. Monatelang hatte sie diese Liebe verborgen gehalten, doch dann hatte der Mann, von dem sie träumte, Jordan McClennon, Gründer und Eigentümer der Firma McClennon Industries in St. Louis und außerdem ihr Arbeitgeber, sie im Aufenthaltsraum angesprochen und zum Essen eingeladen.

Bei ihrer zweiten Verabredung hatte sie ihr Selbstbewusstsein mit Wein zu stärken gesucht, und als Jordan ihr vorschlug, einen Abstecher zu seiner Wohnung zu machen, weil er dort einige Papiere holen wolle, hatte sie zugestimmt.

Er hatte ihr sein Apartment gezeigt, und im Schlafzimmer hatte sie ihm impulsiv die Arme um den Nacken gelegt und ihn angelächelt. Von da an hatte er die Führung übernommen. Jordan hatte sie verführt, doch war sie dabei mehr als willig gewesen, wenn sie ihn nicht sogar noch angetrieben hatte. Aber das milderte nicht ihren Zorn auf ihn.

Er sah gut aus, war wortgewandt und intelligent und die Verkörperung eines Charmeurs. Und er hatte sie nie wieder angerufen, nachdem sie miteinander geschlafen hatten.

Grandma hatte recht, dachte sie. Männer wollen alle nur das eine. Und wenn sie es bekommen haben, erobern sie die nächste.

Ihr Stolz war verletzt gewesen, besonders, nachdem sie zwei Tage später an Jordans Büro vorbeigekommen war und ihn dort mit einer vollbusigen Blondine gesehen hatte. Die Frau in dem tief dekolletierten Kleid hatte ihm praktisch ihre Brüste entgegengestreckt, während sie sich neben ihm über den Schreibtisch beugte, und ihre Hand mit feuerrot lackierten Nägeln hatte sie über seine gelegt.

Hannah hätte weiter ihre Arbeit bei McClennon Industries erledigt, hätte ihr ereignisloses Leben ohne jede Verabredung weitergelebt, weil sie eine Brewster war und weil es das war, was man ihr beigebracht hatte. Doch dann war alles anders gekommen.

Ihre Schwester Marybeth, das schwarze Schaf der Familie, war schwanger geworden, ohne verheiratet zu sein. Hannah hatte ihren Job aufgegeben, um ihr beizustehen, und als sie schließlich nach St. Louis zurückkehrte, hatte sie das Kind ihrer Schwester bei sich, und sie hatte einen neuen Job gefunden.

Bis zum heutigen Tag hatte sie Jordan McClennon nicht wiedergesehen.

Hannah hätte jetzt beinahe aufgestöhnt. Zwar liebte sie ihn nicht mehr, aber ihr Körper hatte ihn nicht vergessen.

Jordan hatte ebenso schwarzes Haar wie seine zwei Brüder. Doch seine Augen waren blau, hellblau und dabei so eindringlich, wie das Herz einer Flamme.

Und jetzt sah er zu ihr hinüber. Interessiert.

Ihre anfängliche Überraschung schlug rasch in Wut um. Jordan hatte sich nicht verändert. Noch immer war er auf eine schnelle Eroberung aus. Offensichtlich hatte er sie nicht erkannt, denn sonst hätte er gewusst, dass er sie bereits vor sieben Jahren gehabt hatte.

Hannah bemühte sich um ein ausdrucksloses Gesicht, während Ronnie mit den McClennons zu ihr hinüberkam. Doch ärgerlicherweise ging ihr Blick immer wieder zu Jordan.

Sein dichtes schwarzes Haar glänzte wie Ebenholz in der Sonne und bildete den perfekten Rahmen für sein gut geschnittenes, männliches Gesicht. Er hatte ein kantiges Kinn und hohe Wangenknochen, eine gerade, aristokratische Nase und volle, feste Lippen, die sich zu einem sarkastischen Lächeln verzogen …

Hör auf, befahl sie sich selbst, konnte aber dennoch den Blick nicht von ihm losreißen. Von seiner breiten, muskulösen Brust, den schlanken Schenkeln und den engen Jeans, die allerlei Verheißungen bot.

Und noch immer trug Jordan keinen Ehering.

Hannah zwang sich zu einem Lächeln, während Ronnie ihr die Brüder vorstellte.

„Hannah Brewster?“, wiederholte Jordan, als wäre das Wiedersehen eine totale Überraschung für ihn. „Etwa die Hannah Brewster, die einmal in meiner Firma gearbeitet hat?“

Sie ärgerte sich über seine Wortwahl, zwang sich aber trotzdem, zustimmend zu nicken.

„Du hast dein Haar abgeschnitten“, bemerkte Jordan. „Und du trägst keine Brille mehr.“

Ihr Ärger wuchs. Er sah sie an, als sei sie ein neuer Gartenstuhl, den er für seine Terrasse kaufen wollte.

„Eigentlich mochte ich die Brille“, meinte er und lächelte.

Nein, sagte sie sich fest. Ich werde mich nicht noch einmal von diesem charmanten Lächeln einwickeln lassen. „Ich habe die Brille einem Wohltätigkeitsverein geschenkt, als ich meine Kontaktlinsen bekam“, erklärte sie spöttisch. „Das Haar habe ich leider auch nicht behalten, sonst würde ich es dir gern schenken.“

Jordan lachte, und sie spürte ein schmerzliches Ziehen in der Brust. Wie sehr hatte sie dieses Lachen einmal geliebt hatte. Es war wie das dunkle Raunen eines Flusses, der über sonnenwarme Steine fließt. Es war ein Klang, den eine Frau hören wollte, wenn ihr Geliebter sie bei sanfter Musik langsam entkleidete. Es waren ein Lachen und eine Stimme, die einen auch in der kältesten Winternacht wärmen konnten.

Noch immer betrachtete er sie. „Nein“, sagte er dann leise, „das mit der Brille nehme ich zurück. Deine Augen sind viel zu schön, um sie hinter Brillengläsern zu verstecken.“

Seine Brüder warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Offensichtlich kannten sie sein Benehmen nur zu gut.

„Du hast sicher die Zeitschrift ‚Leitfaden für den alleinstehenden Mann‘ abonniert“, entgegnete sie in ungewohnt scharfem Ton. „Denn diese Worte habe ich jetzt etwa schon zum zehnten Mal gehört.“

Jordans Lächeln vertiefte sich, und seine Brüder hoben überrascht die Augenbrauen.

„Entschuldigung“, meinte Jake. „Aber darf ich davon vielleicht ein Foto machen? Der große Jordan McClennon im Clinch mit einer Frau.“

Er und John lachten und stießen Jordan gegen die Schulter. Als sie sich dann zum Gehen wandten, grinsten sie sie an.

„Nett, dich kennenzulernen, Hannah“, sagte John, der mittlere der McClennon Brüder. „Sehr nett sogar. Komm schon, Ronnie, wir sollten zu arbeiten anfangen.“

Hannah stand auf und klemmte sich das Brett unter den Arm. Als sie spürte, dass Jordan ihr viel zu dicht folgte, fuhr sie herum und hätte ihm dabei beinahe mit dem hinteren Brettende in den Magen geschlagen.

„Hannah, ich …“, begann er. Jetzt lachte er nicht mehr.

„Entschuldige, Jordan“, unterbrach sie ihn schnippisch. „Doch ich bin hier, um Ronnie zu helfen, ein Haus zu bauen. Das ist alles. Verschwende deine Energie also nicht an mich.“ Mit diesen Worten wandte sie sich um und marschierte mit dem Brett zum Fundament des Hauses.

Ein langer Streifen Metall lag halb aufgerollt zu ihren Füßen auf dem Boden. Sie blickte hinunter und entdeckte ihr Spiegelbild darin.

Wahrscheinlich sah sie heute ganz anders aus, als Jordan sie in Erinnerung hatte. Sie trug ihre braunen Locken in einem etwas zerzausten Kurzhaarschnitt, was ihrem Haar mehr Fülle gab und ihr sehr gut stand. Jetzt, wo ihre braunen Augen nicht mehr hinter den Brillengläsern versteckt waren, benutzte sie Mascara und hatte auch einen zartrosa Lippenstift aufgelegt.

Sie war schon immer eher dünn als schlank gewesen, doch in den letzten Jahren hatte sie etwas zugenommen, und ihre Figur wirkte nun weiblicher. Sie trug alte Jeans, die fest um ihre sanft gerundeten Hüften lagen, und dazu ein pinkfarbenes T-Shirt, das sich hauteng um ihre Brüste schloss.

Wenn sie jetzt zurückdachte, hatte sie keine Ahnung, warum Jordan sie damals eigentlich eingeladen hatte. Es war ihr wie ein Wunder erschienen, dass ein Mann wie Jordan McClennon eine kleine graue Maus wie sie überhaupt bemerkte, ganz zu schweigen davon, dass er sie zum Essen einlud.

Ihr kurzes Abenteuer mit Jordan war das einzige in ihrem bisherigen Leben gewesen, und sie hatte eine wertvolle Lektion daraus gelernt. Sie war kein Typ, der mit einem Mann schnell ins Bett ging, und so etwas sollte ihr auch nie wieder passieren. Ihre Schwester hatte viele Verhältnisse gehabt, doch für sie war das nichts. Sie zog es vor, lieber ganz ohne Mann zu leben als noch einmal die Erniedrigung zu ertragen, mit einem Mann zu schlafen, den sie liebte und der danach, ohne einen Blick zurück, einfach verschwand.

Jake erklärte nun, wie das Gebälk für das Haus aufgebaut werden sollte. John stellte unterdessen die Motorsäge auf. Sie hatte das Gefühl, nicht hierher zu gehören. Sie konnte zwar einen Nagel einschlagen und auch mit einer Säge umgehen, doch eigentlich war sie nur hier, weil Ronnie ihr Freund war. Sonst wäre sie sicher schon längst wieder verschwunden.

Ronnie hatte als Teenager einen Sommer über bei McClennon Industries gearbeitet. Sie war zwar ein paar Jahre älter als er, aber sie hatten sich damals angefreundet. Als sie die Firma dann verließ, war auch ihr Kontakt zu Ronnie abgebrochen. Doch nachdem sie nach St. Louis zurückgekehrt war, war sie ihm zufällig in der Bücherei begegnet, in der sie jetzt arbeitete. Danach hatte sie ihn ein paarmal in Sandford besucht; seine Mutter Esther und sie mochten sich sehr gern.

Jake und John legten das Metallband über die Kante des Fundamentes, und Jake rief Jordan zu, die Schwellenbretter bereitzuhalten. Für einen kurzen Moment traf sich ihr Blick mit Jordans, dann ging sie zu dem Bretterstapel hinüber, der mit einer Zeltbahn abgedeckt war. Ihr Herz schlug verräterisch schnell.

„Es tut mir leid“, hörte sie Ronnies Stimme neben sich, „aber ich wusste ja nicht, dass Jake Jordan mitbringen würde.“

Sie legte Ronnie die Hand auf den Arm. „Ist schon in Ordnung“, beruhigte sie ihn. „Die Geschichte ist schon sehr lange her, und glaub mir, es ist kein Funke übrig geblieben.“

Das stimmte zwar nicht ganz, doch Ronnie schien mit dieser Antwort zufrieden zu sein.

Er ging, um Jake und John zu helfen, und sie betrachtete verstohlen Jordan. Wie hatte sie jemals vergessen können, dass er so anziehend war? Vielleicht hatte sie sich nur nicht mehr erinnern wollen. Doch ein Mann wie Jordan McClennon wusste immer, welche Wirkung er auf Frauen hatte. Und sie befürchtete, dass er es wieder schaffen würde, wenn er es darauf anlegte, sie zu verführen – obwohl es für ihn wieder nur ein Spiel wäre.

„Hannah!“, rief er plötzlich, und sie zuckte zusammen, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Hilf mir doch bitte mit diesen Brettern.“

Sie wollte ihm sagen, er solle seine Arbeit allein machen, doch John und Jake beobachteten sie, und sie hatte nicht die Absicht, für deren Unterhaltung zu sorgen.

„Was ist?“, fragte sie und runzelte die Stirn, als Jordan sie einfach nur ansah.

„Du stehst auf dem Brett“, erklärte er. „Das macht es ein wenig schwierig für mich, das Brett aufzuheben. Schließlich habe ich heute meine Weizenflocken noch nicht gegessen.“

„Willst du damit sagen, dass es etwas gibt, was du nicht kannst?“, fuhr sie ihn an. Normalerweise war sie nicht so aufbrausend, doch dies war der Mann, der sie einmal nackt gesehen hatte, der sie geliebt und dann verlassen hatte.

Ihre Blicke trafen sich. „Soll ich kommen und dich wegtragen?“, murmelte er.

Seine Worte waren so leise gewesen, dass die anderen sie nicht hatten hören können, dennoch stieg ihr heiße Röte ins Gesicht. Dieser arrogante Kerl suchte ja nur nach einem Grund, sie zu berühren. Zweifellos glaubte er, dass sie dann sofort wieder dahinschmelzen würde.

Trotzig reckte sie das Kinn und trat von dem Brett hinunter, bückte sich und hob es an. Jordan ergriff das andere Ende.

„Ist es zu schwer für dich?“, fragte er, was sie ignorierte. Sie wollte nicht mehr als unbedingt nötig mit ihm sprechen.

Nachdem sie alle Bretter zum Fundament getragen hatten, legte sie beide Hände in den Rücken und reckte sich. Sie war etwas aus der Übung, denn Kevin war schon lange nicht mehr so klein, dass sie ihn auf den Arm nehmen konnte. Das war das Problem mit Babys, sie wurden immer größer. Jeden Tag stellten sie ihre Mutter vor neue Probleme und schenkten ihr neues Glück. Versonnen tastete sie nach dem Medaillon, das sie um den Hals trug. Noch immer wurde sie traurig, wenn sie daran dachte, dass Marybeth es nie erleben würde, war für ein wunderbares Kind ihr Sohn war.

„Alles in Ordnung?“, fragte Jordan, und sie merkte, dass sie blicklos vor sich hingestarrt hatte.

„Ja.“ Sie hatte gelernt, immer ein fröhliches Gesicht zu machen, gleichgültig, was auch geschah. Von ihrem Vater hatte sie die Fähigkeit geerbt, immer nach vorn zu blicken und weiterzumachen, wie schwierig es auch sein mochte. Eine Brewster stellte keine Fragen, wenn es Arbeit gab, die getan werden musste.

Jake hatte den Metallstreifen auf dem Fundament befestigt; jetzt wurden die ersten Schwellenbretter angebracht. Ronnie reichte Hannah mit einem aufmunternden Lächeln einen Hammer. Es entging Jordan nicht, dass er dabei sanft über ihre Finger strich.

Jordan beobachtete Hannah, während seine Brüder Löcher für die Verankerungen bohrten. Er erinnerte sich nur vage an das Restaurant, in das er sie vor so vielen Jahren geführt hatte. Doch woran er sich noch sehr gut erinnerte, waren die Gefühle, die sie in ihm geweckt hatte. Sie hatte eine Vitalität und Wärme ausgestrahlt, die einem Mann ein herrliches Gefühl gab, wenn er sie nur ansah oder ihr zuhörte.

Eigentlich erstaunlich, dass er einige Einzelheiten jenes Abends keineswegs vergessen hatte. Er hatte sie zu seinem Schlafzimmer gezogen, nachdem sie sein Apartment betreten hatten, und sie war willig mit ihm gekommen. Noch heute hatte er ihr Lächeln vor Augen, als sie die Arme um seinen Nacken legte. Er hatte ihr die Brille abgenommen und dann ihr Haar gelöst und es über das Kissen gebreitet. Sie war so nervös gewesen, dass er ihr schließlich dabei geholfen hatte, sein Hemd ausziehen. Doch in seinem Bett war sie einfach süß gewesen.

Er wusste zwar nicht, was genau für eine Beziehung sie zu Ronnie hatte, doch er konnte sich gut vorstellen, dass die beiden eine stetige, ruhige Liebesbeziehung verband, die es nicht erforderte, ihre Gefühle auch nach außen zu zeigen. Denn eine Beziehung hatten sie bestimmt. Warum sonst sollte Hannah wohl hier sein?

Ihm war klar, dass er daran dachte, noch einmal mit ihr ins Bett zu gehen. Seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte, hatte sie sich zu einer wunderschönen Frau gewandelt. Das sollte nicht heißen, dass sie nicht auch schon damals attraktiv gewesen wäre – damals war sie sich dessen nur noch nicht bewusst gewesen. Doch irgendetwas fehlte heute.

Ihr Lächeln – das war es. Es hatte ihn zu ihr hingezogen. Doch heute hatte er es noch nicht bei ihr gesehen.

Wahrscheinlich lächelte sie nur für Ronnie. Entschlossen versuchte er, sich abzulenken und nicht mehr an Hannah Brewster zu denken. Sie benahm sich ihm gegenüber wie eine kratzbürstige Katze. Es war offensichtlich, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollte.

Was sie nur noch verlockender machte.

„Ich brauche die Nägel“, erklärte sie mit ausdrucksloser Stimme.

Als er aufsah, hob sich ihre Gestalt als schlanke Silhouette vor der Sonne ab.

„Du sitzt drauf“, fügte sie hinzu.

Er blickte in das Gras, in dem er saß. „Ich denke, ich würde es merken, wenn ich auf Nägeln sitzen würde.“

„Vielleicht hat dir ja deine Jeans die Blutzirkulation zum Gehirn abgeschnürt“, erwiderte sie, zog ein wenig die Mundwinkel hoch und bedeutete ihm auf diese Weise, wo sich ihrer Meinung nach sein Gehirn befand.

„Hannah“, begann er ungeduldig, wusste dann aber nicht weiter.

„Schau an.“ Sie bückte sich und zog eine Papiertüte unter ihm hervor. „Ich habe es dir doch gesagt“, erklärte sie und holte einen Nagel aus der Tüte.

„Ich habe nicht darauf gesessen“, behauptete er noch einmal und wollte aufstehen. Doch ein heftiger Schmerz im Oberschenkel hinderte ihn daran. „Autsch“, murmelte er und zog einen Haken unter sich hervor. „Darauf habe ich gesessen.“

Beinahe hätte sie gelächelt, doch sie wandte sich schnell um und ging. Warum ist es ihm nur so wichtig, dass sie mich anlächelt? überlegte Jordan. Und warum stört es mich so sehr, dass sie es nicht tut?

2. KAPITEL

Hannah wusste, dass Jordan ihm auf die Nerven ging. Sie sah es an der Art, wie er die Stirn runzelte und den Mund verzog. Doch so seltsam es auch war, es machte ihr Spaß, ihm auf die Nerven zu gehen. Vor sieben Jahren hätte sie so etwas nie für möglich gehalten.

Sie knieten nebeneinander und hämmerten Nägel in die Bretter. Jordan war so nah, dass er dabei ab und zu mit dem Oberschenkel ihre Hüfte berührte. Jedes Mal begannen ihre Finger zu zittern, und jedes Mal musste sie daran denken, dass dieser Oberschenkel sich einmal nackt an ihren nackten Schenkel gepresst hatte. Sie starrte auf das Brett vor sich.

Jordan beobachtete sie, das spürte Hannah, und sie war sicher, dass er genau wusste, wie sehr er sie beunruhigte. Bestimmt berührte er sie mit voller Absicht, um sich dafür zu rächen, dass sie ihn so kühl behandelte. Oder er wollte sie noch einmal in sein Bett zu locken – doch das würde sie niemals zulassen.

„Woher hast du denn deine Erfahrungen?“, fragte er plötzlich.

„Wie bitte?“ Vor Verblüffung vergaß sie, dass sie ihn auf Distanz halten wollte, und sah ihm in die Augen. Das war ein Fehler. Schnell blickte sie wieder weg.

„Wo hast du die Arbeit eines Zimmermanns gelernt?“

„Mein Vater hat es mir beigebracht“, antwortete sie. „Ich habe ihm geholfen, als er vor zwölf Jahren unser Haus umbaute, und bin auch oft mit ihm gegangen, wenn er anderswo gearbeitet hat.“

„Haben wir uns darüber unterhalten, als wir miteinander ausgegangen sind?“, fragte Jordan überrascht.

Jetzt sah sie ganz bewusst ihn an, ihre Blicke begegneten sich, und sie war entschlossen, ihn ihre Ablehnung fühlen zu lassen.

„Um ganz ehrlich zu sein, Jordan, ich bezweifle, dass du dich überhaupt noch an etwas erinnerst, was ich dir damals erzählt habe. Ich glaube kaum, dass eine Unterhaltung das war, was dich damals interessiert hat.“

Er sollte glauben, dass sie in ihrer damaligen Begegnung nicht mehr gesehen hatte als er – ein kurzes Abenteuer, nichtssagend und bedeutungslos. Dabei war es für sie viel mehr gewesen, und sie hatte nicht ein Wort ihrer Unterhaltung vergessen.

Abrupt stand Hannah auf und arbeitete an einer anderen Stelle weiter. Jordan folgte ihr, und wieder war er ihr näher, als ihr lieb war.

„Lebt dein Vater noch in dem Haus, das ihr zusammen umgebaut habt?“

„Er ist vor ein paar Jahren gestorben“, erklärte sie mit ausdrucksloser Stimme und griff nach einem weiteren Nagel.

„Das tut mir leid.“

„Ach, wirklich?“, entgegnete sie scharf. „Oder willst du vielleicht nur höflich sein?“ Sie hatte offenbar ein wenig zu laut gesprochen, da die anderen ihre Arbeit und unterbrachen zu ihnen hinüberschauten.

„Ich weiß gar nicht, was du hast, Hannah“, meinte Jordan. „Was habe ich denn getan?“

„Nichts“, behauptete sie und hasste sich dafür. Denn wenn etwas nicht stimmte, sollte man darüber reden. Wenigstens hatte sie das bis jetzt geglaubt. Doch dies war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, um ihrem Ärger Luft zu machen, nicht, wenn Jordans Brüder voller Interesse zuhörten.

„Hey!“, rief plötzlich eine Frauenstimme, und man hörte das Geräusch eines Automotors. „Wer möchte etwas zu essen?“

Hannah drehte sich um und entdeckte einen zerbeulten grell orangenen VW-Käfer auf der Einfahrt. Der Käfer blieb nur Zentimeter vor einer großen Eiche stehen, die offenbar schon öfter in Kontakt mit dem Wagen gekommen, da die Rinde einige orangene Farbflecken aufwies.

Ronnie stieß einen hörbaren Seufzer aus. „Hi, Ma. Wieso kommst du schon so früh?“

„Du hast doch bestimmt nicht daran gedacht, für die Verpflegung deiner Freunde zu sorgen. Hab’ ich recht?“

„Ja, Ma, hast du“, brummte Ronnie.

Die untersetzte Frau in der grünen Kellnerinnenuniform brachte den Duft von Hamburgern mit sich. Sie lächelte Hannah an und stellte dann eine große weiße Tüte auf das Fundament.

„Haben dir die Jungs auch nicht zu viel Arbeit aufgebürdet?“, fragte sie Hannah.

„So schlimm war es nicht“, wehrte Hannah ab und lächelte Esther an.

Esther wandte sich zum Wagen. „Kevin, wenn du einen Hamburger haben willst, dann komm gefälligst her.“ Sie zwinkerte Hannah zu. „Er hat mir den ganzen Morgen geholfen, hat die Tische abgewischt und neu eingedeckt.“

„Hoffentlich war er dir nicht im Weg“, erwiderte Hannah. „Er kann auch hierbleiben, ich werde schon auf ihn aufpassen.“

„An dem Tag, an dem mir ein kleiner Junge im Weg ist, mein Schatz, werde ich mich pensionieren lassen“, erklärte Esther. „Er war wirklich ein Engel – die beste Hilfe, die wir je hatten“, fügte sie ein wenig lauter hinzu, damit Kevin es auch hören konnte, der aus dem Wagen geklettert war und jetzt zu ihnen hinüberkam.

„Sieh mal, Mom!“, rief er und hielt Hannah die geöffnete Hand hin, in der einige Münzen lagen. „Ich habe sogar Trinkgeld bekommen. Jetzt bin ich reich. Das hab’ ich doch gut gemacht, nicht wahr?“

Lächelnd drückte Hannah ihn an sich. Kevin war ein wunderbarer Junge, immer fröhlich und gut gelaunt. Er hatte ihr braunes Haar und ihre braunen Augen, doch die kleine Nase und den geschwungenen Mund hatte er von ihrer Schwester.

„Das hast du toll gemacht.“ Sie zerzauste ihm das Haar. „Bist du hungrig?“

Kevin schüttelte den Kopf. „Ich habe zum Frühstück Pfannkuchen gegessen und Toast und Speck und –“, er krauste die Nase und dachte nach, „– und Würstchen“, fügte er dann hinzu.

„Da musst du ja noch viele Tische abwischen, um für das ganze Essen zu bezahlen. Eines Tages wirst du mir noch die Haare vom Kopf fressen.“

Kevin, der wusste, dass seine Mutter ihn neckte, lachte und sprang vergnügt auf und ab.

Die Männer hatten sich um die Tüte mit den Hamburgern versammelt. Nur Jordan hockte noch immer an dem Platz, an dem er gearbeitet hatte, und blickte Hannah von dort aus nachdenklich an.

Gut, dachte sie. Wenn er erst einmal das Kind gesehen hat, wird er wahrscheinlich so schnell wie möglich einen Rückzug machen und mich in Ruhe lassen.

„Komm schon“, ermahnte Esther den Jungen. „Wir müssen zurück, ehe der Ansturm zum Mittagessen beginnt.“ Sie ging mit Kevin zu ihrem Käfer.

„Sei fleißig“, rief Hannah ihm nach. „Und denk daran, was ich dir gesagt habe.“

„Ein Brewster gibt immer sein Bestes“, erwiderte Kevin, als hätte er diese Worte schon hundertmal ausgesprochen. Als er dann im Wagen saß und Esther losfuhr, winkte er Hannah fröhlich zu.

Hannah spürte, dass Jordan sie immer noch beobachtete, doch sie achtete nicht darauf. Sie holte sich einen Hamburger und setzte sich ein Stück weiter ins Gras. Es fiel ihr jedoch schwer zu essen, als Jordan sich neben sie setzte. Die anderen saßen nicht weit weg, offensichtlich neugierig, was zwischen ihnen vorging.

Interessant, dachte Jordan. Ronnie sitzt also nicht neben ihr. Vielleicht habe ich die Situation völlig falsch eingeschätzt.

„Netter Junge“, meinte er und räusperte sich. Da der Junge mit Nachnamen Brewster hieß, hatte Hannah den Vater des Kindes offenbar nicht geheiratet.

„Einen besseren könnte ich gar nicht haben“, erwiderte sie und blickte angelegentlich auf ihr Essen. „Für Kevin würde ich durchs Feuer gehen.“

Er hatte das Gefühl, dass ihre Worte gleichzeitig eine Warnung an ihn waren, wusste aber nicht, was er davon halten sollte. Er lehnte sich gegen einen Stapel Bretter. „Kommst du oft nach Sandford?“

Hannah blickte kurz auf. „Ich bin ein paarmal hier gewesen. Im letzten Winter hat Ronnie mich gebeten, die Geburtstagsfeier für seine Mutter auszurichten. Und Esther, die unverbesserliche Kupplerin, hat mich schon öfter unter einem Vorwand eingeladen, um mir dann den einen oder anderen begehrenswerten Junggesellen vorzustellen.“

„Sie versucht es immer wieder, wie?“ Jordans Laune besserte sich.

„Sie versucht es“, entgegnete Hannah und fügte knapp hinzu: „Und wenn sie nicht gerade mit mir beschäftigt ist, versucht sie, ein Mädchen für Ronnie zu finden.“

Auch für den Rest des Tages gelang es Hannah nicht, Jordan aus dem Weg zu gehen. Doch am Abend war sie von der Arbeit am Bau dann viel zu erschöpft, um sich in Gedanken mit dem dunkelhaarigen Mann zu beschäftigen, der ihr den ganzen Tag wie ein Schatten gefolgt war.

Es war schon spät, als Esther Spaghetti servierte und nach dem Essen darauf bestand, das Geschirr allein abzuwaschen. Hannah hörte die McClennons und Ronnie wieder losfahren, das Motorengeräusch der Pick-ups verschwand in der Ferne, und sie brachte Kevin in das Gästezimmer von Esthers Mobilheim, wo sie ihm aus einem seiner Lieblingsbücher eine Geschichte vorlas. Dann gab sie ihm einen Gutenachtkuss.

„Mach die Augen zu“, sagte sie und begann so ihr Ritual, das jeden ihrer Tage beendete.

„Schlaf süß“, antwortete Kevin.

„Träum einen Traum …“

„Den ich behalten darf.“

Kevin war müde von seinem Tag in Esthers Restaurant, und Hannah lächelte, als ihm nun die Augen zufielen und er in der nächsten Sekunde eingeschlafen war.

Träum einen Traum, den du behalten darfst, wiederholte sie in Gedanken und trat in den dunklen Flur. Ihr Traum war jetzt Kevin, auch wenn er ihr praktisch zugeschoben worden war, bevor sie überhaupt wusste, wie ihr geschah.

„Marybeth“, flüsterte sie leise. „Du weißt gar nicht, wie sehr ich ihn liebe.“

Sie hatte ihrer Schwester finanziell geholfen und ihr auch während der Schwangerschaft beigestanden. Doch Marybeth war an nicht daran interessiert gewesen, Mutter zu werden. Sie hatte mit einer Rockband zusammengelebt und das unstete Leben eines Groupies geführt. Die Rockmusiker, von denen einer Kevins Vater war – wer genau, hatte Marybeth nicht gewusst – hatten sich ebenso wenig für den Jungen interessiert.

Sie hatte das Baby dann zu sich genommen, wenn Marybeth wieder einmal mit einer der Heavy Metal-Bands unterwegs war. Obwohl sie wusste, dass ihre Schwester auf diesen Reisen nicht wie eine Heilige lebte, so war es doch ein Schock für sie gewesen, als eines Tages ein junger Polizist vor ihrer Tür stand und erklärte, dass ihre Schwester an einer Überdosis Drogen gestorben sei, in einem Motelzimmer, dreihundert Meilen entfernt.

Sie hatte vor Gericht das Sorgerecht für Kevin erstritten und das Haus, das sie von ihren Eltern geerbt hatte, verkauft. Das Geld hatte sie angelegt, um mit den Zinsen die Kosten für Kevins Erziehung zumindest etwas zu mildern. Wieder in St. Louis hatte sie einen Job in einer Bücherei gefunden, der Kevin und ihr finanziell zwar keine großen Sprünge erlaubte, mit dem sie jedoch ausreichend ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte.

Nachdem Kevin dann in der Schule gekommen war, hatte sie ihre Arbeitszeit so gelegt, dass sie an den meisten Tagen vor ihm zu Hause war. Und wenn sie an den Wochenenden oder am Abend arbeiten musste, bezahlte sie ein Mädchen aus der Nachbarschaft dafür, dass es auf Kevin aufpasste.

Sie hatte alles sorgfältig geplant, um Kevin ein glückliches Leben zu ermöglichen. Doch womit sie nicht gerechnet hatte, war ihre starke Liebe für den Jungen, der für sie wie ihr leiblicher Sohn war. Versonnen glitt sie mit der Hand zu dem Medaillon an ihrem Hals, in dem ein Bild von ihr und Marybeth und Kevin als Baby steckte – und stellte erschrocken fest, dass es nicht mehr da war.

Sie ging ins Bad, knipste das Licht an und schaute in den Spiegel. Aufgeregt schüttelte sie das T-Shirt aus, doch das Medaillon war nicht da.

„Oh, verdammt!“ Sie musste es draußen bei der Arbeit verloren haben. Es lag sicher irgendwo im Gras.

Am klügsten wäre es wohl, wenn sie jetzt ins Bett gehen würde und das Medaillon am nächsten Morgen bei Tageslicht wiederzufinden versuchte. Doch dieses Bild war alles, was ihr von ihrer Schwester geblieben war, alles, was Kevin von seiner Mutter geblieben war.

Hannah suchte nach einer Taschenlampe und entdeckte eine im Schrank unter der Spüle. Sie lief nach draußen und schloss leise die Tür hinter sich.

Die Kräuter, die Esther angepflanzt hatte, verströmten einen würzigen Duft. Einen Moment blieb Hannah stehen, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Die Sterne erschienen ihr glitzernd hell – nach all den Jahren in der Stadt, wo die Straßenlampen es unmöglich machten, den Himmel deutlich zu sehen.

Doch sie war nicht hier, um sich die Sterne anzuschauen. Sicher lag das Medaillon irgendwo am Fundament. Das Gerüst des Hauses wirkte solide und fest, und es gab ihr ein Gefühl der Zufriedenheit, dass auch sie daran gearbeitet hatte.

Einen Augenblick später kroch Hannah am Fundament entlang und strich dabei mit den Händen suchend durchs Gras.

„Ist es nicht ein wenig zu dunkel, um Pilze zu sammeln?“

Sie war so erschrocken, dass sie aufsprang und sich dabei den Kopf an einem der Bretter anstieß. „Au!“, rief sie, verlor das Gleichgewicht und landete auf dem Po im Gras. Ärgerlich rieb sie sich den Kopf und blickte dann zu Jordan hoch, dessen Gestalt sich wie eine riesige Silhouette vor dem Nachthimmel abhob.

„Was tust du hier draußen?“, fuhr sie ihn an.

„Das gleiche habe ich dich gerade auch gefragt.“

„Nein, hast du nicht. Du hast nur eine blöde Bemerkung über Pilze gemacht.“

„Da wir gerade von blöde sprechen“, gab er zurück, „immerhin krieche ich hier nicht mitten in der Nacht im Gras herum.“

„Und wie würdest du es nennen, was du tust?“

„Ich habe geschlafen – wenigstens so lange, bis du mit dieser Taschenlampe überall herumgeleuchtet hast.“

„Du hast geschlafen?“, rief sie ungläubig. „Wo?“

„In meinem Wohnwagen“, erklärte er und deutete Richtung Einfahrt.

Sie leuchtete ihm mit der Taschenlampe ins Gesicht.

„Mach das aus. Sonst werde ich noch blind.“ Er legte ihr eine Hand auf die Schulter.

„Lass mich los!“ Sie versuchte aufzustehen und blendete ihn dabei noch einmal.

Da wollte er ihr die Taschenlampe aus der Hand nehmen, doch sie hielt sie eisern fest.

„Hannah!“, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Würdest du bitte diese Lampe loslassen?“

Doch sie hatte nicht die Absicht, ihm diesen Wunsch zu erfüllen, auch nicht, wenn er sie freundlicher darum gebeten hätte. Sie riss den Arm mit der Taschenlampe zurück und geriet dabei auf dem nassen Gras ins Rutschen.

Im nächsten Augenblick lag sie auf dem Rücken, und Jordan war über ihr. Eine Hand hatte er neben ihrem Kopf aufgestützt, mit der anderen hielt er noch immer die Taschenlampe fest. Wütend wollte sie ihn von sich stoßen. Doch sobald sie seine Brust berührte, spürte sie die harten Muskeln und die Wärme seines Körpers, und sie erstarrte.

Auch Jordans Gesichtsausdruck hatte sich geändert. Er war verärgert gewesen, doch jetzt sah er eher verwirrt aus. Unverwandt starrte er sie an und umklammerte die Taschenlampe so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Sein Gesicht war nur einen Hauch von ihrem entfernt, und sie dachte erneut daran, dass ihr dieses Gesicht schon einmal so nah gewesen war, als sie sich geliebt hatten. Er war der Mann, der sie in die Kunst der Liebe eingeführt hatte, und obwohl es nur ein einziges Mal gewesen war, so hatte sie es doch nie vergessen.

Sie unterdrückte ein Stöhnen, als ihre Finger sich wie von selbst um den Griff der Taschenlampe lösten und sie nun leicht über seinen Oberkörper strich. Wie gebannt blickte sie dabei in sein Gesicht. Es war noch männlicher, noch bezwingender als vor sieben Jahren.

Ganz langsam beugte Jordan den Kopf zu ihr, als wollte er sich zurückhalten und konnte es nicht. Ihr Atem flog, ein Seufzer entrang sich ihr, als ihre Lippen sich endlich trafen, und sie krallte die Hand in sein dünnes Baumwollhemd.

Sie spürte, dass er sich von ihr zurückziehen wollte. Doch dann gab er der Sehnsucht nach, die sie beide fühlten, und küsste sie. Selbstvergessen schlang sie die Arme um ihn und strich mit den Fingern durch das seidige Haar in seinem Nacken, und sie erwiderte seinen Kuss mit der ganzen Sehnsucht einer Frau, die schon viel zu lange keinen Mann mehr berührt hat.

Als er den Kopf hob, entdeckte sie einen neuen Ausdruck in seinen Augen, einen, der sie vorsichtig machte.

„Das habe ich mir schon den ganzen Tag gewünscht“, flüsterte er, und sein Atem ging stoßweise. „Und es gibt noch ganz viel andere Dinge, die ich mir auch wünsche.“

Heiße Röte stieg ihr ins Gesicht, als ihr nun klar wurde, was sie gerade getan hatte. Er hatte nur mit ihr gespielt und glaubte jetzt sicher, eine weitere Eroberung gemacht zu haben. Sie war so erschrocken über sich, dass sie ihn sofort losließ und sich zur Seite wandte.

„Die anderen Dinge kannst du alle vergessen“, sagte sie so kühl wie möglich. „Ich bin nicht interessiert.“

„Nicht?“ Seine Stimme klang skeptisch und belustigt zugleich. Er griff nach ihrem Arm, drehte sie wieder zu sich, und einen atemlosen Augenblick glaubte sie, er würde sie noch einmal küssen. Doch er bewegte sich nicht. „Es ist keine Schande, sich nach jemandem zu sehnen, Hannah. Und Fremde sind wir ja wohl auch nicht.“

„Soweit es mich betrifft, sind wir Fremde“, erklärte sie. „Ich habe vor langer Zeit einen Fehler gemacht, und ich habe nicht die Absicht, ihn zu wiederholen.“

Abrupt ließ er sie los, und sie stand auf und lief zu Esthers Mobilheim zurück. Sie glaubte, ihn noch etwas sagen zu hören; es klang wie „Das werden wir ja sehen“, doch sie ging zügig weiter.

Als sie dann die Tür hinter sich geschlossen hatte, fuhr sie sich mit zitternder Hand durchs Haar. Die Taschenlampe hatte sie vergessen und somit ihm überlassen, und nach dem Medaillon hatte sie auch nicht gesucht. Doch im Augenblick war sie froh, ihm entkommen zu sein und sich nicht noch mehr erniedrigt zu haben. Sie trat ans Fenster, sah hinaus und wartete, bis ihr Herz wieder gleichmäßig schlug.

Jordan war viel zu attraktiv, und er war sich seiner viel zu sicher. Und sie war …

Was bin ich? fragte sie sich. Einsam. Trotz ihres Sohnes und trotz ihrer Arbeit war sie einsam, und das machte sie sehr verletzlich.

„Ich dachte, ich hätte etwas gehört“, ertönte plötzlich Esthers Stimme hinter ihr, und sie wirbelte erschrocken herum.

„Dein Rücken ist ja ganz nass“, fuhr Esther fort, während im gleichen Augenblick draußen eine Tür zugeschlagen wurde. Es konnte nur die von Jordans Wohnwagen sein.

„Jordan und ich haben miteinander geredet“, erwiderte sie ausweichend.

„Liebling …“, Esther blickte bedeutungsvoll zum Fenster, „ihr habt wohl noch einiges mehr getan als nur geredet, sonst wäre dein Rücken nicht so nass. Und mehr werde ich zu der Sache nicht sagen.“ Sie wandte sich um und ging in ihr Schlafzimmer zurück.

Hannah unterdrückte ein Stöhnen. Sie wusste, dass sie heute Nacht nicht gut schlafen würde.

3. KAPITEL

Hannah erwachte, weil irgendwo jemand gekichert hatte und ihr der Duft von gebratenem Speck in die Nase stieg. Die Gardinen waren noch zugezogen, und im ersten Augenblick wusste sie nicht, wo sie war. Wieder hörte sie jemanden kichern und erkannte nun Kevins Stimme, die aus der Küche kam.

Sie setzte sich auf und suchte nach ihren Schuhen. Die Couch, auf der sie geschlafen hatte, stand an der dünnen Wand, die das Wohnzimmer von der Küche trennte. Sie blickte auf ihre Uhr, es war schon sieben. Sicher war Esther bereits zur Arbeit gegangen. Rasch stand sie auf, ging um die Trennwand herum in die Küche – und blieb dort wie angewurzelt stehen, weil Jordan bei Kevin in der Küche war. Und Jordan bereitete das Frühstück.

Er lachte, als er ihr ungläubiges Gesicht sah, und betrachtete sie von Kopf bis Fuß.

„Komm her, Mom“, rief Kevin aufgeregt. „Schau mal, was wir machen!“

Sie trat zum Herd und blickte den beiden über die Schulter. Kevin und Jordan machten Pfannkuchen. Oder wenigstens sah es so aus. Vier Pfannkuchen lagen auf dem Rost neben der Pfanne, und alle hatten eigenartige Zeichen. Als sie sie nun näher betrachtete, entdeckte sie, dass es Gesichter waren. Mit einem kleinen Pinsel malte Kevin ihnen Gesichter mit Schokoladensirup.

„Ich kann es nicht glauben“, murmelte sie. Sie sah auf und bemerkte, dass Jordan sie mit einem Ausdruck anschaute, den man wohl als interessiert beschreiben konnte.

„Tust du denn nie etwas, nur weil es Spaß macht?“, fragte er.

„Das kann ich mir nicht leisten“, antwortete sie.

„Bist du finanziell bankrott oder gefühlsmäßig?“, flüsterte er kaum hörbar und holte dann einen weiteren Pfannkuchen aus der Pfanne.

Eigentlich sollte seine Bemerkung sie ärgern, denn was den gefühlsmäßigen Punkt betraf, hatte er leider nicht ganz unrecht. Und dass es da nicht gut um sie stand, dafür war er verantwortlich.

„Findest du nicht, ich sollte hier ein wenig sauber machen?“, schlug sie vor und sah sich um.

„Glaubst du nicht, du solltest einen Morgenmantel anziehen?“, gab er zurück und sah sie erneut von oben bis unten an, um seinen Blick dann auf ihren Brüsten ruhen zu lassen.

Ers da bemerkte sie, dass sie vor dem Fenster stand und ihr Körper durch das dünne Baumwollnachthemd deutlich zu erkennen sein musste. Mit hochrotem Kopf floh sie aus der Küche.

Sie holte frische Sachen aus ihrem Koffer und nahm sie mit ins Bad. Ein Blick in den Spiegel verriet ihr, dass sie reichlich unausgeschlafen aussah, was sie auch war, und das nur wegen des Mannes in Esthers Küche. Sie seufzte. Auf keinen Fall durfte sie sich etwas anmerken lassen, wenn Ronnie und Jordans Brüder kamen. Die drei waren bereits neugierig genug, was zwischen Jordan und ihr vorging.

In Jeans und einem sauberen T-Shirt ging sie schließlich in die Küche zurück. Jordan und Kevin saßen am Tisch und aßen. Jordan grinste sie an.

Da bemerkte sie, was ihr Sohn auf dem Teller hatte. „Kartoffelchips zum Frühstück?“, fragte sie entsetzt.

„Aber Esther hat doch keine Kartoffelplätzchen, Mom“, verteidigte sich Kevin.

Eine Lektion über fetthaltiges und zu gesalzenes Essen wäre jetzt angebracht, doch als sie ihn Jordans Gesicht sah, blieben ihr die Worte weg. Die Situation war ihr außer Kontrolle geraten – und das bereits gestern Abend.

„Setz dich.“ Jordan zog ihr einen Stuhl heran. „Ich habe auch für dich Frühstück gemacht.“

„Aber keine Pfannkuchen und auch keine Kartoffelchips“, warnte sie ihn und seufzte.

„Wie wäre es mit einem Schinkensandwich?“ Jordan legte zwei Scheiben Brot in den Toaster. „Und Kaffee.“

Danach beobachtete er lächelnd, wie Hannah sich mit Kevin unterhielt und ihm riet, den Männern heute nicht im Weg zu stehen. „Wir haben deine Bücher mitgebracht, und Esther hat auch einen Fernseher.“

„Darf ich denn wenigstens einen Nagel einschlagen, Mom?“

„Nein. Ich möchte nicht, dass du jemandem auf den Daumen schlägst.“ Hannah fuhr ihm durchs Haar, und Kevin lachte.

Jordan wusste nicht genau, wie alt der Junge war, doch Kevin hatte ihm heute Morgen etwas von einem bevorstehenden Picknick erzählt, mit dem der Abschluss seines ersten Schuljahres gefeiert werden sollte. Das war ein großer Meilenstein im Leben eines Kindes.

Er brachte Hannah eine Tasse Kaffee, und als sie ihn daraufhin anlächelte, warf es ihn fast um. Dieses Lächeln war einfach hinreißend, und er konnte sich gut vorstellen, was ein Mann alles tat, nur um sich dieses Lächeln zu verdienen. Erneut blickte er zu Kevin und fragte sich, warum der Vater des Jungen nicht geblieben war.

Doch jetzt hatte er keine Zeit, solchen Gedanken nachzuhängen. Von draußen hörte man Motorengeräusch, und er trug schnell das schmutzige Geschirr zur Spüle. Er würde noch genügend Zeit haben, sich über das Leben von Hannah Brewster Gedanken zu machen, während er heute Nägel in die Bretter schlug.

Kurz vor Mittag kam Esther mit den Hamburgern. Während Hannah arbeitete, hatte sie immer wieder im Gras nach ihrem Medaillon gesucht, es jedoch nicht gefunden. Jetzt saßen sie alle im Gras und aßen. Esther saß auf den Stufen, die zur Tür ihres Mobilheims führten, und hielt Ronnie einen Vortrag über den Mangel an Liebe in seinem Leben. Kevin lauschte mit offensichtlichem Interesse.

„Es ist Zeit, dass du endlich eine Familie gründest“, ermahnte Esther ihren Sohn. „Und der Himmel weiß, dass ich mein möglichstes dafür getan habe. Du brauchst gar nicht so zu grinsen, Jake McClennon. Immerhin habe ich dich doch gut unter die Haube gebracht, nicht wahr?“

„Jawohl, Esther“, stimmte Jake ihr pflichtschuldig zu. „Obwohl es mir schleierhaft ist, wie du es geschafft haben sollst, Laura und mich miteinander bekannt zu machen.“

Esther triumphierte. „Natürlich bin ich diskret, wenn es um Herzensangelegenheiten geht. Ich habe dein Problem St. Jude erzählt, und er hat sich um die Einzelheiten gekümmert.“

„St. Jude?“, fragte Hannah ahnungslos, und als die Männer um sie herum daraufhin laut aufstöhnten, wurde ihr klar, dass sie sich mit ihrer Frage in die Nesseln gesetzt hatte.

„Der Heilige für die hoffnungslosen Fälle“, erklärte Esther ihr und warf den Männern einen bösen Blick zu. „Und glaub mir, diese McClennons waren wirklich hoffnungslose Fälle, wenn es um Heirat ging.“ Sie wischte sich einige Krümel von ihrem Rock. „Aber ich habe meine Heiligenfigur, St. Jude, und sie hat mir schon viele Male gute Dienste erwiesen.“

„Die Figur sieht aus wie eine Elfe aus Beton, und sie hat sie hinter dem Restaurant aufgestellt“, klärte Jordan Hannah leise auf.

„Das habe ich gehört!“, rief Esther aufgebracht. „Und es ist mir ganz gleich, wie er aussieht, er ist mein St. Jude, und er kennt mich!“

„Ich ergebe mich“, sagte Jordan rasch und hob beide Arme, während seine Brüder und Ronnie lachten. „Wann wird St. Jude denn das nächste Wunder bewirken?“

Esther zog die Augenbrauen zusammen und blickte zwischen Jordan und Hannah hin und her. Hannah wurde rot.

„Vielleicht viel eher, als du glaubst“, erwiderte Esther voller Zufriedenheit. „Es könnte gut sein, dass du der nächste bist, Jordan. Vielleicht solltest du dir schon mal einen Anzug für deine Hochzeit besorgen.“

„Aber doch nicht Jordan!“, rief John. „An dem Tag, an dem Jordan heiratet, werde ich nackt um die Statue des St. Jude tanzen.“

Nachdem das allgemeine Lachen verklungen war, meinte Jake: „Und ich werde dazu fideln.“

Esther zog die Augenbrauen hoch. „Dann solltest du vielleicht schon jetzt damit beginnen, Unterricht im Arthur Murray Tanzstudio zu nehmen“, riet sie ihm.

Die anderen gingen an die Arbeit zurück, und Jordan wollte ihnen folgen, da hörte er Kevin Esther fragen: „Glaubst du, St. Jude könnte dafür sorgen, dass ich etwas ganz Besonderes zu meinem Geburtstag bekomme? Ich werde sieben. Mein Geburtstag ist zwar erst im Oktober, aber ich möchte, dass er meinen Wunsch jetzt schon weiß.“

„Ob er dir deinen Wunsch erfüllen kann“, antwortete Esther vorsichtig, „kommt wahrscheinlich darauf an, was du dir wünschst.“

„Na ja.“ Kevin grub seinen Schuhabsatz in den Boden und zögerte. „Es ist etwas, was jedes Kind sich wünscht.“

„Kannst du nicht ein wenig deutlicher werden?“, drängte Esther ihn sanft. „Ist es vielleicht ein Pony?“

„Nein, nein“, wehrte Kevin ab. „Ich wünsche mir einen Dad, einen, mit dem man was zusammen unternehmen kann. Er braucht auch nicht bei meiner Mom zu leben. Viele Kinder in meiner Schule haben einen Dad, der nicht bei ihnen wohnt.“

Seine Stimme klang so ernst, dass Jordan Mitleid für den Jungen fühlte. Warum hatte Hannah keinen Kontakt mehr zu Kevins Vater?

„Nun“, erwiderte Esther. „Dann werden wir mal mit St. Jude darüber reden. Ich weiß nicht, ob er dir helfen kann, aber das werden wir ja sehen.“

„Kann ich mit dir zur Arbeit fahren, dann können wir gleich mit ihm reden.“

„Warum nicht.“ Esther nickte. „Komm, wir sagen deiner Mom Bescheid.“

Jordan warf einen Blick über die Schulter. Hannah arbeitete außer Hörweite. Das ist wohl auch besser so, dachte er. Das Gespräch hätte sie womöglich sehr beunruhigt.

Er begann zu arbeiten. Im Oktober würde Kevin also sieben werden. Das bedeutete, er wurde geboren im Jahr … Während er mit dem Hammer Nägel einschlug, fing er an zu rechnen. Auf einmal runzelte er die Stirn. Irgendetwas an seiner Berechnung ließ ihn innehalten. Irgendetwas war im Januar des Jahres geschehen, in dem Kevin geboren war.

Sein Kredit. Genau das war es. Er hatte in jenem Monat den Kredit bekommen, der es ihm ermöglicht hatte, sein Geschäft auszubauen. Und gefeiert hatte er mit …

Hannah.

Er hatte sie zum Essen eingeladen, und sie waren schließlich in seinem Apartment gelandet. Dort hatten sie sich dann geliebt – ungefähr neun Monate bevor Kevin Brewster geboren worden war …

Jordan schlug mit dem Hammer weiter, ohne darauf zu achten, ob er überhaupt einen Nagel traf. Er fühlte sich wie unter Schock.

Hannah ließ ihren Hammer fallen, als sie plötzlich einen Schmerzensschrei hörte. John, Jake und Ronnie rannten bereits zu Jordan hinüber, und Esther, die gerade in ihren Wagen steigen wollte, lief ebenfalls los. Kaum hatte Hannah die anderen erreicht, stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um den McClennon Brüdern über die Schulter zu sehen, doch die beiden waren zu groß.

„Er wird es überleben“, hörte sie Esther sagen.

„Du wirst wohl mit zunehmendem Alter ein wenig unbeholfen“, meinte John.

„Eine Biene ist um mich herumgeflogen und hat mich abgelenkt“, versuchte Jordan sich zu verteidigen, doch in Hannahs Ohren klang seine Entschuldigung schwach.

„Hannah!“, wies Esther sie an. „Geh mit Jordan rein und tu etwas Salbe auf seinen Daumen.“

„Ich? Ich weiß ja gar nicht, wo die Salbe ist.“

„Über der Spüle, im linken Schrank. Ich würde es ja selbst tun, aber ich komme sowieso schon zu spät. Ich muss mich beeilen.“

Die Männer machten sich wieder an die Arbeit, und Hannah konnte Jordan nun sehen. Er stand gegen einen Balken gelehnt und blickte benommen auf seinen Daumen.

„Darf ich mal gucken?“, fragte Kevin, und Jordan streckte ihm den Daumen entgegen.

„Es blutet ja gar nicht“, meinte Kevin enttäuscht. „Ich habe mir mal das Knie aufgeschlagen. Mann, da sind bestimmt ein paar Liter Blut rausgekommen.“

„Sieh mal.“ Jordan zog sein Hemd hoch und zeigte ihm eine Narbe. „Ich bin mal von meinem Rad gefallen.“

„Ach, ich falle ständig von meinem Rad.“ Kevin winkte ab. „Das ist nichts Besonderes.“

„Das ist aber ein großes Rad“, erklärte Jordan. „Ein Motorrad.“

„Du hast ein Motorrad? Toll!“

Esther hupte, und Hannah fand, dass die beiden sich ausreichend beeindruckt hatten. „Esther wartet“, sagte sie zu Kevin, und er lief zu Esthers Wagen.

Eben, als Jordan sein Hemd hochzog, hatte sie rasch weggeschaut. Dennoch hatte sie einen Anflug von dunklem Brusthaar und festen Muskeln erspäht, und sofort hatte ihr Herz schneller geschlagen.

„Schwester Hannah“, neckte er sie lächelnd. „Ich bin bereit für die Erste Hilfe.“

Sie wagte es nicht, ihn anzusehen, als sie mit ihm in Esthers Mobilheim ging. Nachdem sie die Salbe dann gefunden hatte und sich zu ihm umwandte, stand er viel zu dicht vor ihr.

„Komm ins Licht, da kann ich besser sehen.“ Schnell trat sie ein paar Schritte von ihm weg. „So schlimm sieht es gar nicht aus“, meinte sie dann, als er ihr den Daumen hinhielt.

Sie drehte den Wasserhahn auf, griff nach seinem Handgelenk und hielt seinen Daumen unter das laufende Wasser. Er beobachtete sie, das spürte sie genau, doch sie hielt den Blick gesenkt, rieb etwas Seife an ihre Finger und wusch seinen Daumen.

„Autsch“, sagte er leise.

„Tut mir leid“, murmelte sie und blickte zu ihm hoch. „Aber ich muss die Wunde säubern.“

„Es hat gar nicht wehgetan. Ich wollte nur deine Augen sehen.“

Errötend senkte sie den Blick wieder, drehte den Wasserhahn zu und trocknete seine Hand ab.

Jordan musste plötzlich daran denken, dass Jake ihm erzählt hatte, er habe sich beim ersten Blick in seine Frau verliebt, als sie ihm damals einen Splitter aus dem Daumen zog. Doch er habe nicht gleich erkannt, dass es Liebe war, was er für sie fühlte.

Aber er, Jordan McClennon, wollte mit Liebe nichts zu tun haben. Er hielt seine Gefühle stets sorgfältig unter Kontrolle. Es war eine Sache, eine gefühlsmäßige Bindung zu seinem Sohn aufzubauen, doch eine völlig andere, sich zu verlieben.

Sein Sohn. Nein, das konnte einfach nicht wahr sein. Er hatte sich nie vorstellen können, Vater zu sein. Das bedeutete viel zu viel Verantwortung.

„Du hast Glück gehabt“, sagte Hannah. „Es ist nicht so schlimm, und dein Daumennagel wird dir wohl auch erhalten bleiben.“ Sie schloss die Tube mit der Salbe und legte sie in den Schrank zurück.

Als sie sich wieder umdrehte, stand Jordan erneut dicht vor, und sie trat rasch zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Spüle stieß.

„Hannah, du brauchst dich in meiner Nähe nicht wie ein verängstigtes Reh zu benehmen“, neckte Jordan sie und sah ihr tief in die Augen. „Ich habe nicht die Absicht, dich aufzufressen.“

„Oh, doch, das hast du“, erwiderte sie ernst.

„Wieso glaubst du das?“

„Weil du das schon einmal getan hast. Oh, ja, der große Jordan McClennon wollte ein wenig Spaß haben. Hat mich ausgeführt, mich bewirtet und mir süße Worte ins Ohr geflüstert, bis ich nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand.“ Sie hielt inne und holte tief Luft. „Und nachdem du dann deinen Spaß mit mir gehabt hast, kam eine andere, vollbusig und mit langen Beinen, hat mit den Hüften gewackelt, und du bist ihr gefolgt.“

Als Jordan etwas sagen wollte, hob sie abwehrend die Hand und sprach weiter. „Aber das ist schon in Ordnung. Ich habe meine Lektion gelernt, sie war hart, doch ich habe sie begriffen, Jordan McClennon. Und jetzt will ich weder mit dir noch mit einem anderen Mann deiner Sorte etwas zu tun haben. Du bildest dir wohl ein, du seist ein Gottesgeschenk für die Frauen, doch sei versichert, ich betrachte dich nicht so.“

Jordan sah, dass trotz ihrer abweisenden Worte, ihre Unterlippe verräterisch zitterte. Er wollte Hannah in die Arme nehmen und ihr sagen, dass ihm das, was geschehen war, leidtat. Er erinnerte nicht mehr, dass es damals noch eine andere Frau gegeben hatte, aber auf keinen Fall hatte er ihr, Hannah, wehtun wollen.

Die Gewährung des Kredits hatte für ihn viel Arbeit nach sich gezogen, und die nächsten beiden Wochen waren entsetzlich hektisch gewesen. Er hatte sich hauptsächlich in den Büros von Banken, Entwicklungsgesellschaften, Anwälten und Verwaltungen aufgehalten. Als er dann vierzehn Tage später seinen Namen endlich auch unter die letzten Dokumente gesetzt hatte, hatte er zwei Aspirin gegen seine dröhnenden Kopfschmerzen genommen und versucht, Hannah anzurufen.

Doch ihr Telefon war abgemeldet gewesen.

Daraufhin hatte er eine seiner eisernen Regel gebrochen und den Personalchef zu Hause angerufen. Von ihm hatte er erfahren, dass Hannah Brewster gekündigt und die Stadt verlassen habe. Sie hatte weder in der Firma noch bei ihrer Vermieterin eine Adresse hinterlassen.

War sie damals abgereist, weil sie schwanger war?

Einen anderen Grund konnte er sich nicht denken, und sie direkt danach fragen erschien ihm nicht klug. Sie war so entschlossen, ihn von sich fernzuhalten, dass sie bestimmt alles leugnen würde.

Doch selbst wenn er es gewagt hätte, er bekam die Möglichkeit gar nicht mehr, denn in diesem Augenblick flog die Tür auf und Ronnie kam herein. Er hielt sich die Nase.

„Was ist los, Ronnie?“, fragte Hannah erschrocken.

„Eine Biene hat mich gestochen“, murmelte Ronnie. „Meine Nase fühlt sich an wie eine Glühbirne.“

„Komm her, ich schau’ es mir mal an“, sagte Hannah ruhig, obwohl sie innerlich noch ganz aufgeregt war von ihrer Auseinandersetzung mit Jordan.

Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Jordan zur Tür ging. Sie hatte ihm gesagt, was sie zu sagen hatte, und war sicher, dass er es auch verstanden hatte. Er wäre ein Dummkopf, wenn er jetzt noch immer versuchen würde, sich an sie heranzumachen.

„Macht Jordan dir Schwierigkeiten?“ Ronnie blickte sie aufmerksam an.

Sie schüttelte den Kopf. „Wir haben uns nur über etwas gestritten, das lange zurückliegt. Das war alles.“

Ronnie schien nicht überzeugt zu sein, doch sie war entschlossen, allen Spekulationen über sie und Jordan ein Ende zu setzen.

„Zwischen mir und Jordan ist nichts“, erklärte sie. „Und das kannst du auch deiner Mom sagen. St. Jude wird sich ein anderes Opfer suchen müssen.“

Und das, so hoffte sie, war’s dann.

4. KAPITEL

Jordan saß im Sessel hinter seinem Schreibtisch und starrte auf seinen leeren Computerbildschirm, nachdem er eben eine bestimmte Datei geschlossen hatte.

Er hatte nachgeschaut, an welchem Tag Hannah damals gekündigt und die Firma verlassen hatte. Es war kurz nach dem Tag gewesen, an dem sie zusammen geschlafen hatten. Für ihn stand nun so gut wie fest, dass sie deshalb weggezogen war, weil sie in jener Nacht mit ihm schwanger geworden war.

Du sitzt ganz schön in der Tinte, Jordan McClennon, sagte er sich.

Vier Tage waren vergangen, seit ihm bei Esther der Gedanke gekommen war, dass er Kevins Vater sein könnte. Und diese vier Tage hatte er gebraucht, um all seinen Mut zusammenzunehmen, sich Hannahs Personalakte anzusehen.

Nervös fuhr er mit dem Finger unter seinen Hemdkragen. Was sollte er jetzt tun? Hannah wollte nicht einmal mehr mit ihm reden, und ihr Sohn wünschte sich einen Vater. Dagegen wusste er schon seit Langem, dass eine traute Familie nicht das war, was er vom Leben wollte. Er brauchte seine Freiheit, und wie ein Vater fühlte er sich absolut nicht. Sein ganzes Leben hatte er sich etwas gewünscht, das ihm allein gehörte, und seine Firma befriedigte dieses Bedürfnis, wie es kein Mensch tun konnte.

Aber nur ein elender Schuft würde feststellen, dass er einen Sohn hatte und dann nichts unternehmen.

Jordan rückte den Sessel zurück und stand auf. Sein Büro erschien ihm plötzlich zu eng. Doch es war erst fünf Uhr, und vor Sieben verließ er sonst nie sein Büro nie.

Vielleicht war es an der Zeit, seine Gewohnheiten zu ändern.

Jordan parkte seinen Wagen ein Stück von Hannahs Wohnung entfernt. Sobald er ausgestiegen war, entdeckte er Hannah. Sie kniete neben einem Blumenkasten vor der Tür des Hauses und pflanzte Ringelblumen. Einen Moment war er so benommen von ihrem Anblick in den abgeschnittenen Jeans und den langen nackten Beinen, dass er fast das Geschenk vergessen hätte, das er mitgebracht hatte. Rasch holte er es aus dem Wangen.

Hannah bemerkte ihn, als er auf sie zukam, stand langsam auf und stützte die Hände in die Hüften.

„Wie hast du mich gefunden?“, wollte sie wissen.

„Ich … ich habe Ronnie gefragt“, gestand er. „Er wollte es mir zuerst nicht sagen, weil er glaubte, wir hätten uns gestritten.“

„Das haben wir ja auch.“

Er wusste nicht weiter und fingerte an seinem Schlips herum.

„Soll das ein Friedensangebot sein?“ Sie deutete auf das Paket in seiner Hand.

„Ja.“ Er hielt es ihr hin und überlegte dabei, was er tun sollte, damit sie ihn anlächelte.

Hannah starrte auf die kleine Werkzeugkiste mit dem Spielzeughammer, dem Schraubenzieher und der Säge. „Ein Gummihammer? Damit werden wir Esthers Haus im Handumdrehen gebaut haben. Gibt es dazu auch Gumminägel?“

„Nein, das ist für Kevin“, antwortete er und sah dann an ihrem Blick, dass sie ihn geneckt hatte. Beinahe hätte sie gelächelt, und sein Herz schlug schneller.

„Ich werde es ihm geben, wenn er zurück ist“, sagte sie. „Er ist gerade beim Gitarrenunterricht.“

Als sie sich abwenden wollte, trat er einen Schritt näher. „Darf ich … darf ich nicht hereinkommen?“

Hannah war eigentlich eine sehr gastfreundliche Frau. Andererseits hatte sie jedoch nicht die Absicht, Jordan noch einmal in ihr Leben eindringen zu lassen.

„Hannah …“, begann er. „Was immer ich damals auch getan habe – ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, dass ich gleichzeitig einer anderen Frau nachgelaufen bin –, ich entschuldige mich dafür.“

„Also gut“, murmelte sie und seufzte. „Die Brewster-Schwestern hatten schon immer Pech mit Männern.“ Sie nahm ihre kleine Schaufel und die leeren Blumentöpfe und öffnete die Haustür.

Jordan folgte Hannah, obwohl er sich nicht ganz sicher war, ob sie ihn nun eingeladen hatte oder nicht.

„Du hast eine Schwester?“, fragte er, als sie ihre Wohnung aufschloss, die im ersten Stock lag.

„Ich hatte“, korrigierte sie ihn. „Marybeth hatte sich die falschen Freunde ausgesucht. Sie ist an einer Überdosis Drogen gestorben.“

„Das tut mir leid.“ Er konnte sich nicht erinnern, dass sie ihm damals von ihrer Schwester erzählt hatte, doch sie hatten ohnehin nicht viel miteinander gesprochen. Dafür hatte die Leidenschaft sie zu schnell und heftig überwältigt.

Hannahs Wohnung war klein, aber hell. Küche und Wohnzimmer bildeten einen Raum, der durch einen Tresen unterteilt war. Das rotblaue Blumenmuster der Tapete passte gut zu dem großen flauschigen Teppich. Gegenüber der blauen Couch stand ein Regal, dessen Bretter sich unter der Last der Bücher bogen. Daneben lagen noch einige Bücherstapel auf dem Boden. Sie liest also viel, dachte er, und obwohl sie so geschickt mit Hammer und Nägel umzugehen weiß, ist sie noch nicht dazu gekommen, sich ein größeres Bücherregal zu bauen.

Hannah, die kurz im Schlafzimmer verschwunden war, kam nun zurück. Sie fuhr sich mit einem Kamm durchs Haar.

„Hör zu“, begann er. „Offensichtlich bist du nicht sehr gut auf mich zu sprechen. Aber ich habe nicht die Absicht, aufzugeben.“

„Warum nicht?“

Sie war ganz offen, und er nahm sich vor, das auch zu sein. „Weil ich glaube, dass du in Wirklichkeit gar nicht so entschlossen bist, mich nicht wiederzusehen. Ich glaube, du willst mich nur hinhalten, damit ich begreife, dass es dir ernst ist.“ Er versuchte, in ihr Gesicht zu sehen, doch sie hatte sich gebückt und nahm ihre Tasche auf. „Habe ich recht?“

Sie ging zur Tür.

„Hannah?“, fragte er noch einmal und trat dann vor sie, als sie die Tür hinter sich zuzog.

„Wo willst du hin?“, fragte er und folgte ihr die Treppe hinunter.

„Ich gehe jetzt einkaufen“, antwortete sie und blieb unten so plötzlich stehen, dass er gegen sie stieß. „Und ich würde vorschlagen, dass du jetzt nach Hause gehst.“

„Was für ein Zufall!“, rief er und holte sie mit wenigen Schritten ein, als sie weiterging. „Ich wollte auch gerade einkaufen.“ Nach einem Augenblick des Schweigens fügte er hinzu: „Du muss echt aufpassen, Hannah, du hättest eben fast gelächelt.“

Hannah konnte nicht anders. Sie wollte wirklich böse auf Jordan sein und ihn auf Abstand halten. Aber wie sollte ihr das möglich sein, wenn er ihrem Sohn ein Geschenk brachte und so eifrig versuchte, mit ihr zusammen zu sein?

„Also gut“, meinte sie und wusste, dass sie die Schlacht verloren hatte. „Ich werde mich normal benehmen, aber dafür stelle ich dir zwei Bedingungen.“

„Und die wären?“, fragte er mit einem selbstzufriedenen Lächeln.

„Zunächst einmal wirst du Esther und Ronnie sagen, dass du an mir nicht interessiert bist und ich auch nicht an dir.“

Jordan zog die Augenbrauen hoch. „Glaubst du nicht, das wird ihre Bemühungen, uns miteinander zu verkuppeln, nur noch verstärken?“

Hannah schüttelte den Kopf. „Nicht, wenn du selbst es ihnen unmissverständlich sagst, wie zwecklos das wäre.“

Er zuckte mit den Schultern. „Und was ist die zweite Bedingung?“

Sie blieb stehen und wandte sich zu ihm. „Dass du es nicht einmal wagst, mich auch nur mit dem Finger zu berühren.“

Er holte tief Luft und rückte seinen Schlips gerade. „Niemals? Soll das heißen, bis zum Ende der Welt?“

„Richtig.“

„Ich weiß nicht“, erwiderte er vorsichtig. „Das sollten wir vielleicht noch mal überdenken.“

Sie schwieg einen Moment. „Also gut“, meinte sie dann. „Die einzige Ausnahme wird sein, wenn ich dich ausdrücklich dazu auffordere.“

„Muss das eine schriftliche Aufforderung sein?“

Jetzt lächelte sie endlich. „Ich denke, mein Wort sollte genügen.“

Er grinste sie an. „In diesem Fall bin ich einverstanden. Wenn ich erst mal mit Esther und Ronnie fertig bin, werden sie davon überzeugt sein, dass du die am wenigsten begehrenswerte Frau auf der ganzen Welt bist.“

„Danke“, erwiderte sie trocken. „Und bitte mach mir keine weiteren Komplimente.“

Er grinste noch breiter. „Und ich verspreche dir, ich werde dich nicht anrühren. Übrigens, gehört es auch zum Berühren, wenn ich in dein Ohr blase?“

Sie rollte mit den Augen und ging weiter, und er pfiff leise vor sich hin. Großartig, dachte er. Auf diese Weise konnte er Zeit mit Kevin verbringen, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich gefühlsmäßig an Hannah zu binden. Mit der Zeit würde er es sicher schaffen, dass sie ihre Vorsicht so weit außer Acht ließ, um ihm zu sagen, dass Kevin sein Sohn war. Trotzdem würde er noch frei sein und kommen und gehen können, wie er es wollte. Sein Leben würde keinerlei Beschränkungen unterworfen sein.

Perfekt.

Er pfiff vergnügt weiter vor sich hin, als Hannah die Straße überquerte und vor einem kleinen Lebensmittelgeschäft stehen blieb. Es war eins dieser altmodischen Läden, wo der Eigentümer die Kunden noch selbst bediente. Hannah blickte bewundernd auf den Kasten mit Stiefmütterchen und strich dann lächelnd mit dem Finger über die samtenen Blütenblätter.

„Möchtest du die auch pflanzen?“, fragte er und folgte ihr in das Geschäft.

„Du liebe Güte, nein“, antwortete sie. „Die kosten zehn Dollar je Kiste. Mein Budget erlaubt mir nur Ringelblumen und Petunien.“

Sie ging die Regale entlang, legte verschiedene Sachen in den Einkaufskorb und trat dann zur Fleischtheke.

Er deutete auf das Beefsteak. „Das sieht gut aus. Wir nehmen ein Pfund davon, und drehen Sie es bitte durch den Fleischwolf.“

Die Frau hinter der Theke blickte fragend zu Hannah, und Hannah blickte irritiert zu ihm.

„Ich mache eine großartige Lasagne“, erklärte er ihr, da ihm klar geworden war, dass die einzige Möglichkeit, zum Essen zu bleiben, die war, das Essen selbst zu kochen.

„Ich möchte nicht, dass du für mich kochst“, wehrte Hannah ab.

Einem plötzlichen Einfall folgend, antwortete er: „Wenn ich Esther davon überzeugen will, dass wir beide absolut nicht zueinanderpassen, muss ich ihr schließlich sagen können, dass wir es zumindest versucht haben. Sonst glaubt sie mir nie.

Hannah seufzte. Jordan hatte leider recht. Esther würde nicht eher Ruhe geben, bis Jordan und sie einige Zeit miteinander verbracht hatten, bevor sie dann feststellten, dass sie nicht miteinander auskamen.

„Also gut“, gab sie nach. „Du kannst kochen – aber nur einmal.“

„Donnerwetter!“, rief die Frau hinter der Fleischtheke. „Ich weiß zwar nicht, wie Sie das geschafft haben, Hannah, aber eine Frau, die einen so gut aussehenden Mann dazu bringt, für sie zu kochen, muss schon etwas Besonderes sein. Was für ein Parfüm benutzen Sie? Das muss ich mir unbedingt auch kaufen.“

„Es heißt ‚Kein Interesse‘“, erklärte Jordan. „Und es ist für Frauen, die wissen, was sie nicht wollen. Wie Hannah zum Beispiel.“

Hannah boxte ihn in die Seite, und er grinste. „Komm, Hannah. Ich brauche noch mehr Lebensmittel.“

Jordan kaufte ein wie ein General, der einen Feldzug plant, und genau das hatte er auch vor. Er wollte einen Platz in Hannahs Leben einnehmen, etwas, das sie nicht wollte. Doch irgendwie würde es ihm trotzdem gelingen.

An der Kasse nahm Hannah ihre Orangen, das Brot und die Milch aus dem Korb, um die Sachen selbst zu bezahlen. Dabei fiel ihr auf, mit was für einem interessierten Blick Leslie, die Kassiererin, Jordan bedachte.

„Sie ist ja so unabhängig“, vertraute Jordan der Kassiererin an, und Hannah wurde über und über rot.

Als Leslie dann begann, seine Waren aufzulisten, meinte er: „Und rechen Sie bitte auch noch eine Kiste Stiefmütterchen dazu.“

„Du wirst mir keine Stiefmütterchen kaufen“, protestierte Hannah.

„Was habe ich gesagt?“, beklagte Jordan sich bei Leslie, die ihrer Unterhaltung mit großen Augen gefolgt war. „Aber wenn es dir hilft, das sind meine Stiefmütterchen.“

„Sie werden in deinem Büro sicher wunderschön aussehen“, gab Hannah zurück und hatte nicht die Absicht, nachzugeben.

Jordan zuckte nur die Schultern und half dann Leslie, die Lebensmittel einzupacken.

Als sie das Geschäft verließen, folgten ihnen viele neugierige Blicke. Hannah war wütend und befürchtete in Zukunft in einem der großen Lebensmittelmärkte einkaufen zu müssen, da man ihr hier wahrscheinlich beständig Fragen nach Jordan stellte.

„Würdest du bitte meine Stiefmütterchen tragen.“ Jordan deutete mit dem Kopf auf die Blumenkiste vor dem Laden.

Sie war wütend genug, um sich zu weigern. Doch dann dachte sie an die neugierigen Menschen im Laden und gab nach.

„Es macht Spaß, mit dir einkaufen zu gehen“, meinte er, als sie wieder in ihrer Wohnung waren. „Wirklich“, beteuerte er, als sie ihn zweifelnd anschaute.

„Aber nur, weil es etwas Neues für dich ist“, wehrte sie ab. „Wenn du es immer tun müsstest, würde es dir schnell langweilig werden.“

„Oh, nein! Mit meiner Mutter bin ich früher auch immer einkaufen gegangen“, erzählte er und machte sich an die Essensvorbereitungen.

Als Jordan die Lasagne in den Ofen schob, warf Hannah einen Blick auf die Uhr. „Ich muss Kevin abholen“, sagte sie, griff nach ihrem Schlüssel und ging zur Tür. „Bin gleich wieder da.“

„Wie möchtest du deinen Salat?“, rief Jordan ihr nach.

„Ich lasse mich überraschen“, antwortete sie. Dabei war alles, was er bis jetzt getan hatte, eine Überraschung für sie gewesen.

Hannah erzählte Kevin, dass Jordan zu Besuch gekommen sei, und Kevin wollte sofort wissen, ob er auch sein Motorrad mitgebracht habe.

„Nein“, antwortete Hannah. „Und ich möchte auch nicht, dass du ihn danach fragst.“

„Aber warum denn nicht?“

„Ist schon gut“, wehrte sie ab. Denn wenn sie versuchte, Kevin von etwas abzuhalten, erreichte sie damit nur das Gegenteil.

Als sie dann zu Hause ankamen, hatte Jordan gerade das letzte Stiefmütterchen in den Blumenkasten gepflanzt.

„Was tun denn deine Stiefmütterchen in meinem Blumenkasten?“

„Sie besuchen die Ringelblumen“, erwiderte er, stand auf und klopfte seine Hose ab.

„Hol sie da sofort wieder raus!“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Mom?“, fragte Kevin. „Sind sie vielleicht giftig?“

Der Ton seiner Stimme verriet, dass er ahnte, dass etwas nicht stimmte. Doch sie wollte es einfach nicht, dass Jordan McClennon ihr Blumen kaufte oder das Essen für sie kochte oder … oder dass er sie berührte.

„Nein, sie sind nicht giftig“, versicherte sie ihrem Sohn schnell, warf Jordan dabei aber einen bösen Blick zu.

„Hey, Jordan“, sagte Kevin. „Darf ich deinen Daumen noch mal sehen?“

Jordan hielt ihm den Daumen hin, der in allen Farben schillerte.

„Echt cool!“, rief Kevin. „Aber schau dir erst mal meinen Zahn an.“ Er riss den Mund auf und steckte einen Finger hinein. „Guck mal, wie der wackelt.“

Jordan beugte sich vor und sah ziemlich beeindruckt aus. „Wie viel Geld bekommt man heutzutage für so einen Zahn?“

„Fünfzig Cent“, antwortete Kevin.

„Früher, als ich noch ein Kind war, bekam man nur zehn Cent. Magst du Lasagne?“

„Was ist das?“, fragte Kevin.

„So ein Zwischending zwischen Spaghetti und Pizza“, erklärte Jordan.

„Er wird das sowieso nicht essen“, flüsterte Hannah. Als sie dann in die Wohnung traten, stieg ihr ein köstlicher Duft in die Nase, doch sie verbot es sich, etwas dazu zu sagen. „Und Salat rührt er auch nicht an“, fügte sie hinzu.

Ihr fiel Jordans Geschenk ein, und sie holte es aus dem Schlafzimmer und gab es Kevin. „Mr McClennon hat dir das mitgebracht.“

„Hey, toll!“, rief Kevin begeistert. „Hast du was zu reparieren, Mom?“, fragte er dann hoffnungsvoll, nachdem er den kleinen Werkzeugkasten geöffnet hatte.

„Vielleicht können wir nach dem Essen zusammen die Dusche reparieren“, erwiderte sie und dachte daran, dass sie sich das schon seit zwei Wochen vorgenommen hatte. „Und was sagst du zu Mr McClennon?“

„Danke.“ Kevin strahlte Jordan an.

Jordan lächelte, doch als er sie dann anschaute, wandte sie schnell den Kopf zur Seite. Dabei fiel ihr Blick auf den Tresen.

„Du hast ja schon gedeckt“, sagte sie überrascht. „Das macht Kevin sonst immer.“

„Kevin hat heute frei. Aber er kann uns gern etwas auf seiner Gitarre vorspielen.“

Daraufhin öffnete Kevin natürlich sofort seinen Gitarrenkasten. Ihr Sohn liebte es sehr, kleine Konzerte auf seiner Gitarre zu geben. Und auch wenn er noch nicht sehr gut spielte, hörte sie ihm gern zu. Sie liebte alles, was er tat.

Kevin setzte sich auf den Boden und zupfte eine Melodie. Sie lächelte ihn an, holte dann Gläser aus dem Schrank und goss Jordan und sich Eistee und Kevin Milch ein. Als Kevin zu Ende gespielt hatte, applaudierten sie.

„Weißt du, was das war?“, fragte Kevin.

Jetzt kommt der schwierige Teil, dachte sie. Doch noch bevor sie etwas sagen konnte, hatte Jordan schon geantwortet.

„Gut war es“, erwiderte er.

Kevin grinste. „Das war Camptown Races“, erklärte er. „Ich singe es für euch.“

Voller Begeisterung sang er das Lied, während Jordan die Lasagne auf die Teller verteilte. Nachdem er zu Ende gesungen hatte, verbeugte sich Kevin, und sie klatschten erneut.

„Er wird das nicht essen“, flüsterte sie Jordan noch einmal zu.

„Wollen wir wetten?“

„Worum denn?“, gab sie zurück und war ziemlich sicher, die Wette zu gewinnen.

„Wenn er das isst, kommt ihr übers Wochenende mit nach Sandford.“

„Auf dem Motorrad?“, fragte sie alarmiert.

„Nein, Hannah, in meinem Pick-up.“

Er sah so fröhlich und selbstsicher aus, dass sie nicht widerstehen konnte. „Einverstanden. Und wenn er es nicht isst, musst du all die Töpfe und Pfannen spülen, die du schmutzig gemacht hast.“

„Hey, warum kommt ihr denn nicht?“, rief Kevin, der schon auf seinem Stuhl saß und an dem Essen auf seinem Teller roch.

Sie setzten sich, wobei Jordan mit der Schulter leicht gegen sie stieß. Angesichts der Bedingung, die sie ihm gestellt hatte, nahm sie an, dass es eine versehentliche Berührung war. Dennoch lief ihr dabei ein kleiner Schauer über den Rücken. Jordan lächelte sie an und griff dann nach seiner Gabel.

Unwillkürlich hielt sie die Luft an, als Kevin den ersten Bissen in den Mund steckte. Er trank einen Schluck Milch hinterher, merkte dann offenbar, dass sie ihn beobachteten, und legte den Kopf schief.

„Soll ich dir ein Sandwich machen?“, fragte sie

„Warum?“, fragte Kevin zurück und schob sich einen weiteren Bissen in den Mund. Dann sah er von einem zum anderen. „Warum esst ihr denn nicht?“

„Sprich nicht mit vollem Mund“, ermahnte sie ihn und nahm von ihrem Salat. „Ich verstehe das nicht“, verriet sie dem Salat. „Er isst kein Kotelette, er isst keinen Thunfischauflauf, doch er isst Lasagne.“

„Unsinn, Mom“, stellte Kevin klar, „ich mag Spaghetti und Pizza.“

Sie widerstand dem Wunsch, ihm zu erklären, dass Lasagne weder Spaghetti noch Pizza war, gleichgültig, was Jordan behauptet hatte. Aber eine Brewster verlor mit Würde, deshalb schwieg sie.

Und Jordan musste sie zugutehalten, dass er über seinen Sieg nicht triumphierte.

Er half ihr sogar, nach dem Essen den Tisch abzuräumen. Dann ließ er Wasser in die Spüle laufen.

„Was tust du da?“, fragte sie.

„Ich helfe dir beim Spülen.“ Er lächelte sie an, und beinahe hätte sie zurückgelächelt.

„Kevin, mach deine Hausaufgaben“, rief sie ihrem Sohn nach, als dieser in seinem Zimmer verschwand. „Ich brauche deine Hilfe nicht“, wandte sie sich wieder an Jordan.

„Vielleicht nicht, aber ich übernehme immer die Verantwortung – für alles, was ich getan habe.“

Offenbar wartete er auf eine Antwort auf seine eigenartige Bemerkung. Doch sie hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte. Ein paar schmutzige Pfannen und Töpfe erschienen ihr nicht der Rede wert.

Sie zuckte mit den Schultern. „Normalerweise trocknet Kevin ab. Ich denke, heute ist sein Glückstag.“

„Jeder hat ab und zu eine Pause verdient“, erwiderte er.

Jordan bemühte sich, Abstand zwischen ihnen zu halten, während Hannah und er abwuschen, konnte es aber nicht vermeiden, dass sich ab und zu ihre Hände berührten. Hannah befürchtete dann jedes Mal, einen Teller fallen lassen. Doch es gelang ihr, zu Ende zu spülen, ohne dass etwas zu Bruch ging.

„Darf ich jetzt fernsehen?“ Kevin war wieder hereingekommen. „Ich habe meine Hausaufgaben gemacht.“

„Ich habe eine viel bessere Idee“, sagte Jordan. „Wir beide werden jetzt die Dusche reparieren. Hol dein Werkzeug. Wir treffen uns im Bad.“

Kevin lief sofort los.

„Wir haben dich schon lange genug aufgehalten“, erklärte Hannah. „Die Dusche kann ich auch allein reparieren.“

„Es wird nicht lange dauern“, entgegnete Jordan. „Wo kann man das Wasser abstellen?“

Also gut, dachte sie. Wir wollen doch mal sehen, wie lange es dauert, bis du all die kleinen Hausarbeiten leid bist, Jordan McClennon.

„Dort drüben.“ Sie zeigte ihm den Hahn, und er verschwand zu Kevin ins Bad.

Nach einer Weile hielt sie es vor Neugier nicht mehr aus, schlich auf Zehenspitzen zur Badezimmertür und beobachtete die zwei.

Sie waren ganz in ihre Arbeit versunken und bemerkten sie gar nicht. Jordan hatte seine Krawatte ausgezogen und die Ärmel seines Hemdes aufgerollt. Seine teuren Schuhe standen auf der Badematte, und er stand in Strümpfen in der Wanne.

„Okay, mal schauen, ob es jetzt in Ordnung ist“, meinte er nun und trat aus der Wanne.

Als er sich umwandte, entdeckte er sie an der Tür. Ihre Blicke trafen sich.

Sie wollte wegsehen, doch wie magisch angezogen blickte sie in seine blauen Augen. Sie waren wie Feuer und Wasser zugleich – das blaue Herz einer züngelnden Flamme und die dunkle Tiefe des weiten Ozeans. Verheißung und Erinnerung lagen in ihnen.

Es schmerzte sie fast körperlich, den Blick von ihm loszureißen. Doch es würde nicht gut für sie sein, wenn sie Jordan McClennon ansah wie eine Frau, die sich nach einem Mann verzehrte.

Langsam ging Jordan an ihr vorbei, bis sie nicht anders konnte, als wieder in seine Augen zu sehen, und hielt sie dann mit seinem Blick gefangen, obwohl er auf diese Weise die letzten Schritte zum Hauptwasserhahn rückwärtsgehen musste.

„Stell die Dusche an“, rief er Kevin zu, und seine Stimme klang eigenartig rau.

Das Wasser der Dusche rauschte.

„Hey, es geht wieder!“, rief Kevin ihm aufgeregt zu, während Jordan unverwandt immer noch sie anschaute.

Was tust du mit mir? hätte sie am liebsten gerufen. Was willst du von mir?

Doch sie wusste es ja schon. Es lag in seinen Augen, wann immer er sie ansah. Und zu ihrer Verzweiflung hatte er es jetzt sicher auch in ihren Augen gelesen.

„Gut gemacht, Kevin“, lobte er den Jungen, doch sein Blick lag weiterhin auf ihr.

Als er dann vor ihr stehen blieb, begann ihr Herz wie wild zu schlagen.

„Habe ich jetzt deine Erlaubnis, dich zu berühren, Hannah Brewster?“, flüsterte er, und es klang keineswegs neckend. Er stellte ihr diese Frage, als sei es das natürlichste auf der Welt.

„Nein, Jordan.“ Sie schluckte. Mit ihrer Antwort hatte sie den Bann zwischen ihnen gebrochen, diesen erregend prickelnden Moment, und sie wandte schnell den Kopf.

Sie starrte auf den Boden, während Jordan wieder ins Bad ging, wo er Kevin erneut für seine gute Arbeit lobte. Wie auf der Flucht lief sie in die Küche.

Sekunden später hörte sie ihn zu Kevin sagen, dass er sie am Samstagmorgen um sieben Uhr abholen würde. Dann schloss sich die Wohnungstür hinter ihm, und er war weg.

Ihr Körper und ihre Gefühle waren in einem solchen Aufruhr, dass sie beinahe geweint hätte.

5. KAPITEL

Hannah war fertig angezogen und trank gerade ihre zweite Tasse Kaffee. Kevin stand am Fenster und hielt nach Jordan Ausschau. Es war ein frischer, sonniger Tag; ein leichter Wind wehte.

Sie hatte Kevin schon ein paarmal ermahnt, vom Fenster zu kommen und sich zu ihr zu setzen. Dabei hätte sie, wenn sie jünger gewesen wäre, sicher zusammen mit ihrem Sohn am Fenster gestanden. Denn sie freute sich ebenso sehr wie er auf Jordan.

Doch gleichzeitig fürchtete sie sich vor diesem Wiedersehen. Die sexuelle Spannung, die sich vor zwei Tagen zwischen ihnen aufgebaut hatte, war zu stark gewesen, um sie einfach zu verleugnen. Und sie hatte die letzten beiden Nächte davon geträumt, was wohl geschehen wäre, wenn sie ja gesagt hätte, als er sie bat, sie zu berühren.

„Er ist da!“, rief Kevin. „Hey, Mr McClennon!“, rief er aus dem Fenster. „Kommen Sie rein! Ich mache die Türe auf!“

Sie hörte ihn im Flur mit Jordan sprechen, während sie vom Tisch aufstand und ihre Tasse in die Spüle stellte. Als sie sich umwandte, stand Jordan an der Tür und beobachtete sie. Schnell richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Kevin, doch sie hatte seinen Blick gesehen, hatte es förmlich gespürt, wie intensiv er sie anschaute.

Während Kevin ihn in eine Ecke des Zimmers zog und ihm seine Sammlung von Actionfiguren zeigte, hatte nun sie Gelegenheit, Jordan genauer zu betrachten.

Schließlich gab sie sich einen Ruck und ging zum Fenster, um es zu schließen. Dabei musste sie über Kevin steigen, der mit Jordan auf dem Boden lag und seine Plastikkrieger aus der Schachtel holte. Sie fühlte Jordans Blick auf sich, und ihre Brustspitzen unter dem engen T-Shirt zogen sich zusammen. Rasch eilte sie zur Küche, um mehr Abstand zwischen Jordan und sie zu bringen.

„Können wir fahren?“, fragte sie einen Moment später und griff nach ihrer Tasche.

Jordan räusperte sich und stand auf. „Seid ihr hungrig?“

„Nein, wir haben gerade erst gefrühstückt“, antwortete sie.

„Ich nicht“, sagte er. „Ich habe Hunger.“

„Ich auch, Mom“, meldete sich Kevin, und sie seufzte leise.

Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass die beiden sich gegen sie verschworen hatten.

„Ich könnte Pfannkuchen machen“, schlug Jordan vor.

Sie hob abwehrend die Hand. „Ich werde euch Rühreier und Toast machen.“ Ihre Stimme bedeutete ihnen, dass es besser für sie wäre, sich einverstanden zu erklären.

„Oh, ja, fein“, stimmte Jordan mit unschuldigem Blick zu, und sie sah schnell woanders hin, bevor der Ausdruck in seinen bezwingend blauen Augen, sie noch mehr durcheinanderbrachte.

„Komm, Kevin, mal schauen, was es im Fernsehen gibt“, meinte Jordan.

Sie widerstand dem Wunsch, ihm zu sagen, dass Kevins Stunden vor dem Fernseher sich auf fünf in der Woche beschränkten. Denn Jordan würde sicher einen Grund finden, diese Regel zu umgehen. Deshalb erschien es ihr weiser, sich nicht um die beiden zu kümmern.

Doch das war gar nicht so einfach. Seite an Seite saßen die zwei auf der Couch und schauten sich „Die drei Stooges“ an. Jordan hatte die Beine übereinandergeschlagen, und Kevin imitierte ihn.

Kevin fand, dass dies ein sehr lustiger Film sei, und bei seinem fröhlichen Lachen musste sie lächeln. Als sie zu ihnen hinübersah bemerkte sie, dass auch Jordan Kevin beobachtete und dass dabei ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht lag.

„Was ist das?“, fragte Kevin, als jemand einem der drei Stooges seine Visitenkarte gab, und Jordan erklärte ihm, was eine Visitenkarte war.

„Hey, toll.“ Kevin war beeindruckt. „Hast du auch so etwas?“

Jordan holte seine Brieftasche heraus und reichte ihm eine seiner Visitenkarten.

Kevin studierte sie sorgfältig. „Was steht da drauf?“, fragte er und versuchte, es zu lesen.

„Das ist der Name meiner Firma“, erklärte Jordan. „Und das hier ist meine Berufsbezeichnung.“

„Das Frühstück ist fertig“, rief sie.

Sie vermied es, Jordan anzusehen, als er sich mit Kevin nun an den Tresen setzte. Er war viel zu gefährlich mit seinem fröhlichen Geplauder, seinen intensiven Augen und seiner Aufmerksamkeit für ihren Sohn. Ganz zu schweigen von der Art, wie sich die enge Jeans um seine Schenkel schmiegten.

Bis jetzt hatte er sich nicht davon abschrecken lassen, an ihrem alltäglichen Leben teilzuhaben. Doch wenn man diesem eingefleischten Junggesellen noch mehr Häuslichkeit vorführte, würde er sicher schnell nach einem anderen Zeitvertreib Ausschau halten.

Nachdem die beiden ihr Frühstück verzehrt hatten, entschied Jordan, dass sie jetzt losfahren sollten. Die zwei lachten, als sie meinten, dass sie unterwegs bestimmt mehrmals anhalten müssten, weil sie soviel Orangensaft getrunken hatten.

Jordan führte sie zu seinem Pick-up und öffnete ihnen die Beifahrertür. Hinten hatte er einige Sachen liegen, die offenbar aus dem Wohnwagen stammten, sodass nur die Vordersitze frei waren.

„Ich will am Fenster sitzen, Mom“, rief Kevin. „Du weißt, dass mir sonst schlecht wird.“

Fast wäre sie dieses Risiko eingegangen, nur um nicht neben Jordan sitzen zu müssen, doch sie würde sich noch viel schrecklicher fühlen, wenn sie dann mit ansehen müsste, wie schlecht es Kevin ging.

Seufzend kletterte sie in den Wagen und saß dann stocksteif neben Jordan. Seine breiten Schultern berührten sie; und jedes Mal, wenn er das Lenkrad bewegte, stieß er mit dem Arm an ihren. Wenn er Gas gab, streifte sein Bein sie, und selbst durch ihre Jeans spürte sie die Wärme und Kraft seines Schenkels.

Sie waren erst fünfundvierzig Minuten gefahren, als Kevin ganz dringend um einen kurzen Stop bat.

„Wie weit ist es noch bis zum nächsten Parkplatz?“, fragte sie.

„Dreißig Sekunden“, neckte Jordan sie lenkte den Wagen an den Straßenrand.

Sie dachte schon an Kletten, an wilde Tiere oder giftigen Efeu, bis jedoch die Zähne zusammen und sagte nichts. Jordan ging mit Kevin ein Stück von der Straße weg, dorthin, wo einige Bäume und Büsche sie vor neugierigen Blicken schützten.

„Hey, Mom“, rief Kevin, als er ein paar Momente später zum Wagen zurückgelaufen kam. „Jordan hat mir gezeigt, wie man an einen Baum pinkelt!“

„Na, großartig“, murmelte sie und ließ sich von Jordans Grinsen nicht beeindrucken. „Das wird dir in der Stadt sehr hilfreich sein.“

„Was ist denn los, Hannah?“

Sie seufzte. „Ich bin nur froh, dass kein Schnee liegt, sonst hättest du ihm noch viel mehr zeigen können.“

Jordan lachte ungezwungen, und der Ausdruck seiner Augen war so warm und einladend, wie das Meer vor einer karibischen Insel oder wie der Himmel an einem Sommertag. Sie könnte sich in diesen Augen verlieren – und hatte es bereits einmal getan. Seit jener Nacht war nichts mehr wie früher gewesen. Ein wichtiger Teil von ihr war damals zurückgeblieben – im Bett von Jordan McClennon.

„Es ist offensichtlich, Hannah Brewster“, sagte er nun und lächelte sie an. „Bei euch im Haus fehlt ein Mann.“ Er zwinkerte Kevin zu.

„Das ist nicht wahr“, wehrte sie schnell ab. „Mir genügt einer von der Sorte.“ Sie fuhr Kevin durchs Haar, damit er wusste, dass sie Spaß machte.

„Aber noch ein Mann würde dafür sorgen, dass soviel mehr …“

„Durcheinander herrscht“, beendete sie eilig den Satz.

Jordan beugte sich vor und blickte an ihr vorbei zu Kevin. „Weißt du, was ich an deiner Mom so mag? Ihr Humor.“

„Ja?“, fragte Kevin zweifelnd.

„Wie bitte?“ Sie tat empört. „Findest du etwa nicht, dass ich Sinn für Humor habe?“

„Na ja, also, herrje, Mom …“ Kevin wusste nicht, was er darauf antworten sollte. „Du bist … ganz in Ordnung“, meinte er schließlich.

„In Ordnung, wie? So wie … die drei Stooges?“ Mit beiden Händen zerzauste sie ihm das Haar, bis er laut lachte und sich aus ihrem Griff zu befreien versuchte.

„Mom, du bist so … verrückt.“ Kichernd glättete Kevin sein Haar. Doch es war offensichtlich, dass es ihm Spaß gemacht hatte.

John, Jake und Ronnie waren schon bei der Arbeit, als sie vor Esthers Mobilheim anhielten. Kevin sprang aus dem Auto und lief zu ihnen hinüber, um ihnen seinen neuen Werkzeugkasten zu zeigen. Nachdem Hannah ausgestiegen war, sah sie Jordan fest an.

„Du wirst mit Esther reden, nicht wahr?“, erinnerte sie ihn an sein Versprechen.

„Sie wird aber sehr enttäuscht sein“, erwiderte Jordan.

„Sie wird es schon überleben“, versicherte sie ihm. „Ich bin sicher, sie wird bald eine passendere Frau für den letzten noch unverheirateten McClennon finden.“

Jordan wirkte alarmiert. „Eine Frau? Für mich?“

„Du glaubst doch nicht etwa, dass du so einfach davonkommst?“ Sie bemühte sich, beim Anblick seines Gesichts nicht in lautes Lachen auszubrechen.

„Könnten wir nicht einfach alles so lassen, wie es ist?“, bat er. „Wenigstens so lange, bis das Haus fertig ist? Der Gedanke, dass Esther sich in mein Liebesleben einzumischen versucht, gefällt mir gar nicht.“

„Du brauchst nur eine deiner neuesten Eroberungen mitzubringen, dann wird Esther schon begreifen. Deine Freundin kann dann ihre Nägel lackieren, während sie deine Muskeln bewundert, und alle werden glücklich sein.“

„Hannah …“, begann Jordan, doch sie hatte sich bereits umgewandt und ging zu den anderen.

Jordan sah Hannah nach, und was er sah, gefiel ihm. Ihre Hüften schwangen sanft hin und her, und ihr süßer kleiner Po zeichnete sich deutlich in der Jeans ab. Er war ein Dummkopf, sich damit einverstanden zu erklären, sie nicht zu berühren. Doch wahrscheinlich hätte sie ihn aus ihrer Wohnung geworfen, wenn er nicht zugestimmt hätte. Und das wäre doch sehr schade gewesen, denn dann wäre ihm ihr Lächeln entgangen. Versonnen dachte er daran, dass sie auf der Fahrt hierher sogar ein paarmal gelächelt hatte. Es war ein zauberhaftes Lächeln gewesen.

„Willst du hier rumstehen und grinsen oder hast du die Absicht, zu arbeiten?“, fragte eine Stimme, und Jordan kehrte abrupt in die Wirklichkeit zurück, als er in Johns belustigtes Gesicht blickte.

„Obwohl man bei ihrem Anblick schon ins Träumen geraten kann“, fügte John hinzu. „Was ist los mit dir? Ist sie dir etwa noch nicht auf den Leim gegangen?“

„Wir kommen nicht miteinander aus“, erwiderte Jordan. Wenn er Esther davon überzeugen sollte, dass Hannah und er nicht aneinander interessiert seien, sollte er es vielleicht vorher bei jemand anderem ausprobieren.

„Ach, wirklich?“ John grinste. „Wie Hund und Katze, nicht wahr?“

„Genau.“ Er ging zu dem Bretterstapel.

„Dann sei lieber vorsichtig, sonst zerkratzt sie dir noch die Nase“, rief John ihm nach und lachte laut.

Doch um seine Nase machte er sich keine Sorgen, während er Hannah den ganzen Tag über beobachtete. In einem hatte John allerdings recht: er war Frauen gewöhnt, die wesentlich williger waren als Hannah. Dabei war es doch eigentlich ihr Sohn – sein Sohn –, für den er sich interessierte. Er mochte den Jungen und war entschlossen, soviel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen, gleichgültig, was Hannah auch denken mochte. Er befürchtete jedoch, wenn er sie auf seine Rechte als Vater ansprach, würde sie nur noch unzugänglicher werden.

Um die Mittagszeit machten sie alle eine kurze Pause. Es gab Sandwiches, weil Esther heute keine Zeit für eine Mittagspause im Restaurant hatte. Am Nachmittag, Jordan hatte wegen der Hitze sein Hemd ausgezogen, begann er die Arbeit des Tages langsam in Schultern und Armen zu spüren.

Hannah blickte immer wieder zu ihm hin. Obwohl sie es sich nur ungern eingestand, doch sie hatte die Herfahrt, bei der sie so dicht neben ihm gesessen hatte, genossen. Es war schon lange her, dass sie mit einem Mann so unbeschwert hatte lachen können.

Und da sie schon so ehrlich mit sich selbst war, gab sie es insgeheim zu, dass es ihr sehr gefallen hatte, wenn seine Schultern und Beine sie berührten. Es war … erregend gewesen. Jetzt war sie deswegen ruhelos und bestrebt, Jordan aus dem Weg zu gehen, damit er nicht merkte, dass er der Grund für ihre Ruhelosigkeit war.

Sie würde sich bestimmt viel besser fühlen, wenn er es Esther endlich gesagt hatte, dass es keine Hoffnung für sie und ihn gab.

Kurz nach drei Uhr an diesem Nachmittag war das Dröhnen von Esthers VW zu hören. Alle zuckten zusammen, als Esther den Motor ausstellte, sich aber nicht die Mühe machte zu bremsen und der Wagen sanft gegen den Baum am Ende der Einfahrt stieß.

„Eines Tages wirst du den Baum noch umfahren oder deine Stoßstange verlieren“, rief Ronnie seiner Mutter zu.

„Ach was.“ Esther winkte ab. „Wo ist der Grill, Ronnie? Wir machen jetzt ein Barbecue.“

„Im Schuppen. Ich hole ihn schon.“

„Hannah!“, rief Esther. „Komm und hilf mir beim Kartoffelsalat. Jordan, komm du auch. Ich brauche jemanden, der mir tragen hilft.“

Hannah sah Jordan mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Schon gut“, murmelte er leise. „Ich werde mit ihr reden.“

„Jetzt sofort!“

„Hannah!“ Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. „Ich weiß ja nicht mal, ob Esther mir überhaupt glauben wird.“

„Dann musst du dich eben bemühen, sie zu überzeugen.“

„Nun, ich habe ja auch die Absicht, das zu tun. Aber es wäre einfacher, wenn du mir dabei hilfst.“

„Willst du dich etwa drücken, John McClennon?“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Ich könnte deine Hilfe brauchen, Hannah. Ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll, Hannah. Ich könnte …“

„Schon gut, ich mach’ es ja schon. Und danach rechne ich mit dir ab.“

Seine letzten Worte gefielen Hannah ganz und gar nicht. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen, als Jordan hinter Esther in deren Mobilheim verschwand.

„Warum habt ihr euch gestritten?“, fragte Kevin ängstlich.

„Mr McClennon soll mit Esther über etwas reden, mein Schatz, und er wollte, dass ich ihm dabei helfe.“

„Und warum tust du das nicht, Mom?“

Darauf hatte Hannah keine Antwort, und plötzlich erschien es ihr dumm, Jordan nicht beizustehen. Ihn dafür zu bestrafen, dass sie sich von ihm angezogen fühlte, war nicht gerade fair. Außerdem gab sie mit ihrem Verhalten ein schlechtes Beispiel für Kevin.

„Weil ich manchmal ziemlich stur sein kann“, erklärte sie Kevin wahrheitsgemäß und lächelte ihn beruhigend an. „Wart hier. Mal schauen, ob ich noch etwas machen kann.“

„Das …“, Jordan deutete mit dem Finger auf Hannah, als sie wenig später zu ihm und Esther in die Küche trat, „das ist die schlimmste Frau, die mir je in meinem Leben begegnet ist. Sie ist störrisch und streitsüchtig, und wenn du versuchen solltest, uns zusammenzubringen, wirst du dich wahrscheinlich eines Mordes mitschuldig machen. Ich würde mich lieber mit Klapperschlangen umgeben, als in ihrer Nähe zu sein, und solltest du je einen Mann finden, der sich für sie interessiert, würde mich das sehr überraschen. Also, das war’s!“

Jordan ging zur Haustür, warf Hannah dabei einen bösen Blick zu, schob sich an ihr vorbei und warf die Tür mit einem lauten Knall hinter sich ins Schloss.

„Du liebe Güte“, sagte Esther überraschend gelassen. „Da sind aber die Funken geflogen.“ Sie legte den Kochlöffel beiseite und tätschelte Hannah die Schulter. „Er hat sich nur ein wenig aufgeregt. Männer sind manchmal so, und schon im nächsten Moment bringen sie dir Blumen und Konfekt.“

„Ich will weder Blumen noch Konfekt“, stellte Hannah klar. „Ich will einfach nur, dass Jordan mich in Ruhe lässt.“

„Aber, mein Schatz, das ist doch bestimmt nicht dein Ernst. Sieh doch nur, was für ein prächtiger Mann er ist. Er arbeitet hart, ist sehr verlässlich, und dann ist er auch noch wahnsinnig attraktiv.“ Esther nickte anerkennend. „Dein Jordan würde ein wundervoller Vater für Kevin sein.“

„Er ist nicht mein Jordan“, protestierte Hannah, „und er wäre ein lausiger Vater! Er hat meinen Sohn mit Schokoladenpfannkuchen gefüttert und ihm Kartoffelchips zum Frühstück serviert. Und dann hat er ihm auch noch beigebracht, wie man an einem Baum pinkelt.“

Esther zuckte mit den Schultern. „Mein Schatz, eine Menge Männer würden sich gar nicht erst die Mühe machen, einem Kind überhaupt Essen zu bereiten oder ihm etwas beizubringen.“ Sie holte eine Schüssel mit Kartoffeln aus dem Kühlschrank und reichte sie Hannah. „Hier, du kannst die Kartoffeln schälen und sie dann schneiden. Ich mache die Soße.“ Sie öffnete die Tür. „Ronnie! Hast du den Grill aufgestellt?“

Es war wie immer: Esther hatte wieder einmal die Führung übernommen. Jordans Erklärung schien sie nicht sehr beeindruckt zu haben. Dagegen ist Jordan jetzt bestimmt wahnsinnig wütend auf mich, sagte sich Hannah. Na ja, wenigstens wird er mich dann in Ruhe lassen.

Als Hannah die Schüssel mit dem Kartoffelsalat nach draußen trug und sie auf den Picknicktisch stellte, wurde ihr augenblicklich klar, dass sie sich geirrt hatte. Jordan hatte offenbar keineswegs die Absicht, sie in Ruhe zu lassen. Er saß am Picknicktisch, sein Hemd hatte er in der Hand, und auch wenn er sich nicht direkt zu ihr wandte, so spürte sie es doch genau, dass er sie beobachtete.

„Soll ich dir beim Auftragen helfen?“, fragte er und fügte hinzu, noch bevor sie überhaupt antworten konnte: „Ich biete meine Hilfe nämlich auch dann an, wenn ich nicht darum gebeten werde.“

Sie verstand sofort, worauf er hinauswollte. „Es hat doch sowieso nicht geklappt“, entgegnete sie. „Esther ist absolut nicht davon überzeugt, dass wir nicht zueinanderpassen.“

„Und was hast du ihr gesagt?“, wollte er sofort wissen.

„Ich habe ihr nur erklärt, dass ich überhaupt nicht an dir interessiert bin und dass du ein egoistischer, aufbrausender Idiot bist.“

„Ein Idiot?“, wiederholte er. „Du hast Esther gesagt, ich sei ein Idiot?“

„Na ja, nicht direkt. Aber ich wollte es sagen.“

„Und weißt du, was ich am liebsten tun würde?“ Er stand plötzlich auf, und sie hastete einen Schritt zurück, obwohl der Tisch zwischen ihnen war.

„Ich muss wieder rein“, murmelte sie und wandte sich eilig um.

Doch Jordan war schneller. Er trat vor sie und versperrte ihr den Weg. Sie wich nach rechts aus und strebt auf den kleinen Schuppen zu. Erst als sie ihn erreicht hatte, wurde ihr klar, dass niemand sie hier sehen konnte, es sei denn, jemand wäre im Hinterzimmer des Mobilheims und sähe dort aus dem Fenster.

„Was suchst du denn hier?“, fragte Jordan unschuldig, der ihr gefolgt war.

Sie öffnete die Tür des kleinen Schuppens und hoffte, dort etwas zu finden, was sie zum Grillen brauchen könnten. Ihr Blick fiel auf eine lange Grillzange, und sie nahm sie erleichtert auf. Als sie wieder aus dem Schuppen trat, stand Jordan so dicht vor ihr, dass sie schnell einen Schritt zur Seite machte. Dabei stolperte sie und ließ die Grillzange fallen.

Jordan griff nach ihr und legte den Arm um ihre Taille. Sie legte die Hände auf seine Brust, um ihn von sich zu schieben. Doch als sie seine nackte Haut berührte, erschauerte sie und sah dann wie magisch angezogen in seine Augen. Sie glitzerten, und er wirkte zornig.

„Du wolltest mich doch nicht berühren“, murmelte er. „Sag mir, dass ich weggehen soll, Hannah. Ich möchte es aus deinem Mund hören.“

Sie wusste, dass er sie absichtlich provozierte, weil er wütend auf sie war. Dennoch brachte sie die Worte nicht heraus. Weil sie es wollte, dass er sie in den Armen hielt. Weil sie es genoss, seinen starken, männlichen Körper zu spüren.

Langsam schüttelte sie den Kopf.

„Dann sag mir, dass ich dich küssen soll“, flüsterte er, und sie sah es an seinem Blick, dass sein Ärger verflogen war.

Doch noch immer brachte sie kein Wort heraus. Ruhelos strich sie mit den Fingern über seine muskulöse Brust, und er stöhnte leise auf.

„Du machst mich verrückt, Hannah.“

„Ja“, hauchte sie.

Er lächelte, und dann lag sein Mund auf ihrem, und er küsste sie. Sie versuchte erst gar nicht, ihr Verlangen zu verbergen, sondern erwiderte seinen Kuss mit all der Hingabe einer Frau, die schon lange auf diesen Moment gewartet hatte.

Sie hatte damit gerechnet, dass er sie ebenso herausfordernd küssen würde wie in der vergangenen Woche. Doch nach dem ersten Augenblick wurde sein Kuss sanft und zärtlich. Vorsichtig schob er seine Zunge zwischen ihre Lippen und ließ sie liebkosend durch ihren Mund gleiten.

Sie seufzte auf und fuhr mit den Fingerspitzen über seine Brustwarzen, streichelte sie, bis sie unter ihren Berührungen hart wurden.

Erst einen langen, köstlichen Moment später löste er sich von ihrem Mund. Atemlos legte er die Stirn an ihre und strich mit den Händen über ihre Schultern.

„Ich könnte dich jetzt gleich hier lieben“, sagte er mit rauer Stimme. „Macht dir das Angst, Hannah?“

Bebend vor Verlangen schaute sie ihn an. „Nein“, erwiderte sie und erstarrte, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Alarmiert wandte sie den Kopf und sah gerade noch, wie eine Gestalt in einer grünen Kellnerinnenuniform vom hinteren Fenster des Mobilheims verschwand.

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Patricia Thayer
Als zweites von acht Kindern wurde Patricia Thayer in Muncie, Indiana geboren. Sie besuchte die Ball State University und wenig später ging sie in den Westen. Orange County in Kalifornien wurde für viele Jahre ihre Heimat. Sie genoss dort nicht nur das warme Klima, sondern auch die Gesellschaft und Unterstützung...
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