Manhattan Millionaires - Skandale aus der Park Avenue (6-teilige Serie)

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NÄCHTE WIE FEUER, TAGE WIE EIS

Julia ist schockiert! Schlimm genug, dass ihre einzige Liebesnacht mit Max Rolland Folgen hatte - schließlich sind in ihren High-Society-Kreisen ledige Mütter noch ein Skandal. Viel schlimmer ist allerdings, dass der millionenschwere Unternehmer behauptet, er könne unmöglich der Vater sein. Trotzdem schlägt er eine Zweckehe vor. Sobald Julia einwilligt, explodiert die fast unerträgliche erotische Spannung zwischen ihnen in einem Rausch der Leidenschaft. Doch im kalten Licht des Tages bezichtigt Max seine frischgebackene Ehefrau immer noch der Lüge …

MEIN SEXY NACHBAR

Tausendmal hat Mauerblümchen Carrie von ihrem sexy Nachbarn Trent Tanford geträumt. Unerreichbar schien der attraktive Millionär zu sein - doch auf einmal wird ihr größter Traum wahr. Als sie sich im Fahrstuhl des Apartmenthauses in der Park Avenue begegnen, halten sie nicht etwa in ihrem Stockwerk, sondern fahren weiter - und schweben zusammen in den Himmel der Lust. Schließlich deutet Trent sogar an, dass er mehr als nur eine heiße Nacht will. Carrie wagt kaum, an das unverhoffte Glück zu glauben. Wird Mr. Alle-Frauen-lieben-mich tatsächlich bei ihr bleiben?

WIE VERFÜHRT MAN SEINEN CHEF?

"Er sieht mich einfach nicht!" Seit Jahren arbeitet Tessa als persönliche Assistentin von Prinz Sebastian de la Tour, organisiert, telefoniert … und ist seit dem ersten Tag in ihren charmanten Chef verliebt. Aber so kann es nicht weitergehen! Tessa kündigt - und kann kaum glauben, dass Sebastian sie zu einer Reise in sein Heimatland überredet. Der sexy Prinz beginnt sogar, mit ihr zu flirten! Sehnsüchtig seufzt Tessa, als Sebastian sie bei Sonnenuntergang zu einem romantischen Rendezvous entführt, sie sinnlich küsst und berührt … Doch die Affäre bleibt nicht unbemerkt!

VERHEIRATET MIT EINEM MILLIONÄR

Kribbeln im Bauch wie beim ersten Date! Elizabeth schwebt im siebten Ehehimmel, als ihr Mann sie mit einer Reise nach Frankreich überrascht. Das kleine Schwarze muss mit, das rote Negligé auch ... Reed soll seine Millionen, die Firmen und Sorgen vergessen und sich stattdessen endlich auf seine Frau und die gemeinsame Zukunft konzentrieren! Elizabeth ist voller Hoffnung. Aber nach der ersten heißen Nacht in Biarritz wird sie unsanft aus ihren Liebesträumen gerissen. Sie findet seltsame E-Mails, die ihr Mann von einer fremden Frau erhalten hat ... Was verschweigt Reed?

SO SEXY UND SO VERFÜHRERISCH

"Reiner Zufall, dass wir uns immer über den Weg laufen, ja?", fragt Amanda und wirft Alex einen strafenden Blick zu. Okay, als Anwalt ist er unverschämt erfolgreich und außerdem verboten attraktiv. Aber er bekommt immer, was er will, und mich bekommt er nicht, denkt sie und geht entschlossen weiter. Sie hat ohnehin keine Zeit für einen Mann, weil sie ihre Eventagentur vor dem Aus retten muss. Doch schon nach drei Schritten hat Alex sie eingeholt und macht ihr ein verlockendes Angebot - dem sie plötzlich genauso wenig widerstehen kann wie seinem charmanten Lächeln …

DAS GEHEIMNIS DES MILLIARDÄRS

Gage Lattimer, ich komme dir noch auf die Schliche, denkt Jacinda, während sie das Staubtuch schwingt. Eigentlich ist sie PR-Beraterin, aber jetzt arbeitet sie als Haushälterin in einkalkuliert: die unwiderstehliche Anziehungskraft, die der Milliardär auf sie ausübt! Wenn er sie nur flüchtig berührt oder so geheimnisvoll anlächelt … Nach einer Cocktailparty erkennt Jacinda, dass er unschuldig sein muss. Und seine Küsse machen süchtig! Aber was, wenn Gage entdeckt, wer sie wirklich ist?


  • Erscheinungstag 16.04.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716677
  • Seitenanzahl 928
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Maureen Child, Laura Wright, Jennifer Lewis, Barbara Dunlop, Emilie Rose, Anna Depalo

Manhattan Millionaires - Skandale aus der Park Avenue (6-teilige Serie)

Maureen Child

Nächte wie Feuer, Tage wie Eis

IMPRESSUM

BACCARA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2008 by Harlequin Books S.A.
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1561 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Gabriele Ramm

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 01/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-580-0

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL

„Verdammt, Julia, geh ans Telefon!“, erklang die tiefe Stimme drohend auf dem Anrufbeantworter, und Julia Prentice zuckte zusammen, als der Anrufer kurz darauf offenbar wutentbrannt auflegte.

Seit zwei Monaten wich sie Max Rollands Anrufen jetzt schon aus, aber er hatte noch immer nicht aufgegeben. Er war kein Stalker oder so etwas. Nein, er war ein wütender Mann, der eine Erklärung dafür verlangte, warum sie seit ihrer gemeinsam verbrachten sehr erotischen Nacht nicht mehr mit ihm sprechen wollte.

Julias Antwort darauf war simpel. Sie wusste einfach nicht, wie sie Max sagen sollte, dass sie schwanger war.

„Oh, oh“, meinte Julias Untermieterin, als sie aus ihrem Schlafzimmer kam. Amanda Crawford war Julias beste Freundin und von Beruf Eventmanagerin. „Er klingt ja ziemlich sauer.“

„Ich weiß.“ Julia seufzte. Es war in ihren Augen sogar verständlich, dass Max wütend war. An seiner Stelle hätte sie genauso reagiert.

Amanda kam zu ihr, umarmte sie und meinte dann: „Du musst ihm von dem Baby erzählen.“

Klingt theoretisch nicht schlecht, dachte Julia. Sie sah ihrer Freundin ins Gesicht und begegnete deren mitfühlendem Blick. „Und wie soll ich das tun?“

„Sag es ihm einfach.“ Amanda setzte sich zu Julia, um nicht auf sie hinunterschauen zu müssen. Das musste sie ohnehin meist tun, denn Julia war klein und zierlich, während Amanda die Größe und Figur eines Models besaß. Abgesehen von kurzen blonden Haaren und hübschen grauen Augen, besaß Amanda auch ein gutes Herz.

„Leichter gesagt als getan“, erwiderte Julia und strich ihre hellgrüne Hose glatt.

„Du kannst nicht ewig warten, Kleines. Früher oder später sieht man es dir sowieso an.“

„Ich weiß. Aber diese Nacht, die ich mit ihm verbracht habe, war eine Ausnahmesituation. Ich meine, wir waren so heiß aufeinander, es ging alles so schnell, und dann war es passiert. Anschließend hat Max mir erklärt, er wäre lediglich an einem flüchtigen sexuellen Abenteuer interessiert.“

„Idiot.“

„Danke.“ Julia lächelte. „Auf jeden Fall dachte ich, die Sache wäre damit zu Ende. Max wollte unkomplizierten Sex, aber auf einen One-Night-Stand oder so etwas wollte ich mich nicht einlassen.“

„Klar.“

Julia legte den Kopf gegen die Stuhllehne und starrte an die Decke. „Das Baby verändert jetzt die Situation vollkommen, und ich weiß nicht, was ich tun soll.“

„Doch, das weißt du. Du willst es nur nicht tun.“

„Stimmt.“ Tief durchatmend fuhr Julia fort: „Er hat ein Recht darauf, von dem Baby zu erfahren.“

„Ja“, erklärte Amanda bestimmt.

„Okay. Ich sage es ihm morgen.“ Nachdem die Entscheidung getroffen war, fühlte Julia sich schon ein wenig besser. Schließlich hatte sie nicht vor, von Max zu verlangen, dass er Anteil am Leben des Kindes nahm oder Unterhalt zahlte. Sie konnte es sich leisten, das Baby allein großzuziehen. Alles, was sie zu tun hatte, war, ihn über die bevorstehende Vaterschaft zu unterrichten und ihn dann vom sprichwörtlichen Haken zu lassen.

„Warum mache ich mir überhaupt so viele Gedanken darüber?“

„Weil das in deiner Natur liegt“, antwortete Amanda lächelnd. Sie tätschelte ihrer Freundin das Knie. „Du denkst zu viel. Das hast du schon immer getan.“

„Wunderbar“, meinte Julia trocken. „Klinge ich nicht aufregend?“

Amanda lachte. „Mach dir nichts draus. Du denkst zu viel, und ich handele zu impulsiv. Wir alle haben unser Kreuz zu tragen.“

„Richtig. Und es wird Zeit, das nächste Kreuz zu schultern.“ Julia stand auf und zupfte ihre weiße Bluse zurecht. „Ich muss zur Eigentümerversammlung.“

„Viel Spaß.“

„Ich wünschte wirklich, du würdest mitkommen.“

„Nein, danke“, erwiderte Amanda. „Ich treffe mich mit einer Freundin zum Essen und werde sicherlich sehr viel mehr Spaß haben als du. In diesem Fall bin ich sehr froh, nur Untermieterin zu sein, die auf diesen Versammlungen nichts zu suchen hat. Ich wäre schon nach zehn Minuten gelangweilt.“

Resigniert gab Julia zurück: „Nach fünf.“

Verstohlen blicke Julia auf die schmale, goldene Uhr an ihrem Handgelenk und konnte gerade noch ein Seufzen unterdrücken. Die Eigentümerversammlung in Vivian Vannick-Smythes Apartment hatte noch nicht einmal richtig begonnen, und schon wünschte sie, verschwinden zu können.

Das Gespräch mit Amanda hatte an ihrer inneren Anspannung nichts geändert. Diese ganze Sache mit Max dauerte schon viel zu lange an. Sie musste ihn einfach treffen und ihm die Wahrheit sagen. Morgen, versprach sie sich. Sie würde ihn anrufen, sich mit ihm verabreden und die Bombe platzen lassen. Wenn sie dann ihre Pflicht erfüllt hatte, konnte sie normal weiterleben. Denn bestimmt würde ein Mann, der so erpicht darauf war, jede wirkliche Nähe zu meiden, sie nicht weiter belästigen.

„Du siehst gelangweilt aus“, ertönte eine sanfte Stimme neben ihr.

Julia lächelte trotz ihrer düsteren Gedanken und schaute Carrie Gray an. Deren grüne Augen waren hinter einer allzu praktischen Brille versteckt, und ihr langes, rotbraunes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie trug Jeans, ein T-Shirt und Sandalen, die rot lackierte Nägel enthüllten. Carrie hütete offiziell die Wohnung 12B für Prinz Sebastian von Caspia, war jedoch auch eine talentierte Grafikdesignerin – leider zurzeit ohne Anstellung – und eine gute Freundin von Julia.

„Nicht gelangweilt“, flüsterte Julia und beugte sich zu ihr, „nur gedankenverloren.“

Wie sollte man sich auch auf das konzentrieren, was hier im Haus passierte, wenn man mit sehr viel wichtigeren, sehr viel privateren Dingen beschäftigt war?

„Kann ich irgendwie helfen?“, fragte Carrie.

„Nein“, erwiderte Julia, die wusste, dass nur sie selbst sich aus ihrem derzeitigen Dilemma befreien konnte. „Aber vielen Dank für dein Angebot. Gibt es bei dir etwas Neues?“

„Nein, ich arbeite beziehungsweise versuche es“, erklärte Carrie missgestimmt.

Julia lächelte verständnisvoll. „Wirst du immer noch von Trents Besucherinnen belästigt?“

Carrie verdrehte die Augen. „Es ist ein Albtraum, Julia. Trent Tanford scheint jede freie Minute damit zu verbringen, Frauen aufzureißen, denn sie laufen mir Tag und Nacht die Bude ein.“

Trent war ein notorischer Playboy. Man munkelte, er hätte jeden Tag eine andere Frau. Und diese Frauen machten sich fortwährend auf den Weg in die Park Avenue 721.

„Ich sage dir“, flüsterte Carrie bissig, „diese Frauen sehen zwar gut aus, haben aber keinen Funken Verstand im Kopf. Sie klingeln ständig bei mir, weil sie glauben, es wäre Trents Wohnung. Die können anscheinend nicht mal den Unterschied zwischen 12B und 12C erkennen. Verabredet Tanford sich mit Frauen, die nicht lesen können?“

Lachend berührte Julia die Hand der Freundin und konzentrierte sich wieder auf die Versammlung. Zumindest versuchte sie es, doch ihre Gedanken drehten sich immer wieder im Kreis.

Julia schaute sich im Apartment der Vannick-Smythes um und stellte einmal mehr fest, dass es absolut geschmacklos eingerichtet war. Die Sachen waren so kitschig, dass einem die Augen wehtaten. Niemand konnte sich hier wohlfühlen. Was vermutlich ganz gut war, denn so gingen diese langweiligen Versammlungen meist relativ schnell zu Ende.

In diesem Moment klatschte Vivian Vannick-Smythe in die Hände, um die Aufmerksamkeit ihrer Gäste auf sich zu lenken. Sie hatte sich selbst zur Leiterin dieser Versammlungen ernannt, da niemand anderes an der Aufgabe interessiert war. Eine Dame Anfang sechzig, war Vivian inzwischen so oft mit Botox behandelt worden, dass ihr Gesicht einer Maske glich. Nur die eiskalten blauen Augen verrieten ihre Gefühle. Sie war sehr schlank, klassisch elegant gekleidet, hatte kurz geschnittenes, silbergraues Haar und das Benehmen eines Offiziers.

Zum Glück hatte sie heute Abend ihre beiden Hunde im Schlafzimmer eingesperrt, doch selbst durch die geschlossenen Türen konnte man das Kläffen hören.

„Ich dachte“, erklärte Vivian jetzt, „dass wir, bevor wir unsere Versammlung beginnen, eine Schweigeminute für Marie Endicott einlegen sollten. Ich selbst kannte sie nicht sehr gut, aber sie war, wenn auch nur kurz, eine von uns.“

Gehorsam schwiegen die Anwesenden und taten zumindest so, als konzentrierten sie sich auf den Tod der jungen Frau, die im Haus gelebt hatte. Julia hatte sie nur vom Sehen gekannt, aber die Tatsache, dass Marie vor einer Woche vom Dach gestürzt war, hatte bei ihr wie bei allen anderen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

Tagelang hatten Zeitungs-und Fernsehreporter das Haus belagert und die Bewohner belästigt, in der Hoffnung, irgendeinem Skandal auf die Spur zu kommen.

„Gibt es inzwischen irgendwelche Informationen, was wirklich passiert ist?“ Tessa Banks, eine schlanke Blondine, war die Erste, die das Schweigen brach.

„Gute Frage“, hakte Elizabeth Wellington nach. „Ich habe einige Reporter sagen hören, dass die Polizei glaubt, Marie wäre vom Dach gestoßen worden.“

„Das sind reine Spekulationen“, versicherte Vivian ihr.

„Hat jemand einen Abschiedsbrief gefunden?“, fragte Carrie.

„Nicht dass ich wüsste“, antwortete Vivian. „Die Polizei hält sich bedeckt. Aber ich bin sicher, dass keiner von uns sich Sorgen zu machen braucht. Für die Presse ist das nur ein Skandal unter vielen, der bald vergessen sein dürfte.“

Wohl wahr, dachte Julia, während die anderen weitere Vermutungen über Marie Endicott anstellten. In ein paar Tagen würden die Reporter aufgeben und abziehen, und das Leben würde normal weiterlaufen.

Nur leider nicht für sie.

„Ich habe noch einige weitere Ankündigungen“, sagte Vivian und übertönte damit das allgemeine Gemurmel. „Bedauerlicherweise sind Senator Kendrick und seine Frau, langjährige Bewohner des Hauses, ausgezogen. Ich weiß nicht wohin, glaube aber, irgendwo in die City. Auf jeden Fall steht ihre Wohnung offiziell zum Verkauf.“

Erneut wurde geredet und spekuliert, und Julia ließ den Blick durch den Raum schweifen. Gage Lattimer saß ein wenig abseits, was sie nicht weiter überraschte. Er war ein großgewachsener, gut aussehender Mann, der selten zu diesen Versammlungen kam. Und wenn er es tat, so wie heute, dann vermied er den Kontakt mit den anderen.

Reed Wellington saß neben seiner Ehefrau Elizabeth, aber seine Miene zeigte deutlich, dass er nicht gern hier war. Auch Elizabeths Haltung verriet, dass sie sich woanders hinwünschte.

Tessa tippte ungeduldig mit der Schuhspitze auf den Teppich, und selbst Carrie, die neben Julia Platz genommen hatte, begann unruhig zu werden. Julia war jedoch bei diversen Kindermädchen durch eine harte Schule gegangen und wusste, wie man still saß, auch wenn man sich gern bewegt hätte. Genauso wie sie gelernt hatte, ihre Gefühle zu verbergen.

„Eine Sache noch“, fuhr Vivian fort. „Und zwar etwas sehr Aufregendes. Ich bin sicher, dass meine Nachricht Sie alle hoch erfreuen wird. Mir wurde mitgeteilt, dass unser Haus – Park Avenue 721 – den Status eines denkmalgeschützten Gebäudes erhalten soll!“ Vergeblich wartete sie auf die Begeisterung der Anwohner und meinte dann: „Ich denke, wir sollten das mit einer Party feiern.“ Ungeachtet des Desinteresses der anderen, begann sie Pläne zu schmieden.

Der offizielle Teil der Veranstaltung dauerte nicht mehr lange. Als Vivian anfing, durchs Zimmer zu gehen, um die anderen Wohnungseigentümer mit ihrer Begeisterung für die Party anzustecken, bahnte Julia sich einen Weg zur Tür. Carrie war es schon gelungen zu verschwinden, und Julia wollte ihr schnellstens folgen.

„Julia, meine Liebe.“

Verflixt.

Julia blieb stehen und drehte sich mit einem aufgesetzten Lächeln auf den Lippen zu Vivian um. „Hallo, Vivian. Die Versammlung lief gut.“

„Ja, nicht wahr?“ Die ältere Frau versuchte sich an einem Lächeln, scheiterte aber, weil ihre Haut einfach nicht nachgab. „Verzeihen Sie, wenn ich mich einmische, aber Sie sehen aus, als hätten Sie Sorgen. Ist alles in Ordnung?“

Überrascht, weil Vivian in dem Ruf stand, nur an sich selbst interessiert zu sein, ließ Julia sich einen Moment lang Zeit mit ihrer Antwort. „Danke, Vivian“, erwiderte sie. „Mir geht es gut. Ich bin nur ein wenig müde. Und diese traurige Sache mit Marie Endicott ist uns sicherlich allen nahegegangen.“

„Ach ja, natürlich.“ Vivian nickte. „Die arme Frau. Ich kann gar nicht verstehen, was sie veranlasst hat, vom Dach zu springen.“

„Sie glauben also, dass es Selbstmord war?“

„Das denken Sie doch sicherlich auch. Alles andere wäre einfach zu schrecklich! Stellen Sie sich das nur vor: Wenn man sie vom Dach gestoßen hätte, dann könnte es einer von uns gewesen sein.“

In diese Richtung hatte Julia noch gar nicht gedacht, aber jetzt, da der Verdacht gesät worden war, musste sie einen Schauder unterdrücken. Unwillkürlich schaute sie die anderen Bewohner des Hauses an. Vivian hatte recht: Julia konnte sich nicht vorstellen, dass einer von ihnen ein Mörder war. Marie musste gesprungen sein. Was ziemlich traurig war. Wie schrecklich, wenn man sich so allein, so miserabel fühlte, dass man den Tod als einzigen Ausweg sah!

„Jetzt habe ich Sie aufgeregt“, sagte Vivian. „Das war ganz bestimmt nicht meine Absicht.“

Julia fühlte sich tatsächlich beunruhigt, wollte aber nicht mehr darüber reden. Also zwang sie sich zu einem Lächeln und meinte: „Keinesfalls. Aber ich bin müde. Wenn Sie mich also bitte entschuldigen …“

„Natürlich“, antwortete Vivian, während sie sich schon ihr nächstes Opfer suchte. „Gehen Sie ruhig.“

Genau das hatte Julia vor. Sie verließ Vivians Apartment und trat in den Fahrstuhl. Eigentlich hatte sie in ihre Wohnung zurückkehren wollen, aber Amanda war ausgegangen, und Julia hatte keine Lust, allein herumzusitzen. Aus einem Impuls heraus drückte sie also den Knopf für das Erdgeschoss und lehnte sich gegen die Fahrstuhlwand, während die Türen sich schlossen und der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte.

Einen Moment später betrat Julia die große, elegante Empfangshalle. Orientteppiche in hellen Farben dämpften ihre Schritte und ließen den Marmorfußboden weniger kühl wirken.

Gemälde und Spiegel zierten die in einem gedeckten Blau gehaltenen Wände der Lobby. Von der hohen Decke hing ein massiver Kristallleuchter, genau über dem Empfangstresen, einem antiken Möbelstück aus Mahagoni. Die Eingangstür war ebenfalls aus Mahagoni. Durch einen Glaseinsatz konnten Passanten einen Blick ins Innere werfen, das verriet, welch exklusiven Lebensstil die Bewohner pflegten. Julia kam sich manchmal vor wie im Zoo. Sie und ihre Mitbewohner saßen in einem goldenen Käfig, während die Menschen draußen stehen blieben und in eine fremde Welt sahen.

„Hallo, Henry“, begrüßte Julia den Portier, der sofort zur Tür eilte, um sie ihr aufzuhalten.

„Hallo, Miss Prentice. Schön Sie zu sehen, wie immer.“

Julia wartete, bis er die Tür geöffnet hatte. Natürlich wäre es einfacher gewesen, sie selbst zu öffnen, aber Henry legte Wert darauf, seine Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen. „Danke, Henry.“

Er lächelte noch immer, als sie in das Gewühl auf der Straße trat. Sommernächte in New York waren heiß und stickig, und der heutige Abend bildete keine Ausnahme. Der Verkehr brummte, es hupte, und ein wütender Taxifahrer schimpfte auf Fußgänger, die bei Rot über die Straße liefen.

Julia lächelte und klemmte sich ihre Designer-Handtasche fester unter den Arm, während sie sich in die Schar der Fußgänger einreihte. Nachdem sie so lange still gesessen hatte, tat es gut, draußen inmitten von Menschen zu sein. Sie war allein und doch Teil einer Menge. Das empfand sie irgendwie als tröstlich. Hier war sie lediglich ein weiterer Mensch, der den Bürgersteig entlangging. Hier erwartete niemand etwas von ihr. Niemand beobachtete sie. Niemand schenkte ihr Beachtung, solange sie weiterging und den Fluss nicht ins Stocken brachte.

Sie brauchte nicht weit zu gehen, nur ein paar Schritte bis zum Park Café an der Ecke. Die meisten Bewohner der Park Avenue 721 frequentierten den kleinen Coffeeshop so häufig, als gehörte er zu dem Apartmenthaus.

An diesem Abend hoffte Julia jedoch, niemandem zu begegnen, den sie kannte. Sie hatte keine Lust auf Small Talk, auch wenn sie nicht nach Haus gehen wollte, um allein zu sein. Als sie das Café betrat, umfing sie sofort der angenehme Duft von Zimt, Schokolade und Kaffee. Das Zischen der Espressomaschine untermalte die Unterhaltungen und das Gelächter der zahlreichen Gäste, die allein oder in Gruppen zusammensaßen.

Julia gab ihre Bestellung auf, nahm dann den entkoffeinierten Kaffee und den Muffin entgegen und machte es sich in einem der großen, weichen Sessel in der hintersten Ecke gemütlich.

Max Rollands Wohnung befand sich am Ende der Straße, in dem auch das Park Café lag, und normalerweise ging er mindestens einmal am Tag in den äußerst günstig gelegenen Coffeeshop. Genau hier hatte er auch Julia Prentice das erste Mal getroffen, die Frau, die ihn noch in den Wahnsinn treiben würde.

Er erinnerte sich ganz genau an ihre erste Begegnung. Sie hatte so kühl und elegant gewirkt, wie sie in der Ecke gesessen und sich das Kommen und Gehen der anderen Gäste angesehen hatte, als säße sie in der Loge eines Broadway-Theaters. Ihr schulterlanges hellblondes Haar fiel ihr in weichen Locken ins Gesicht, und ihre großen blauen Augen fixierten ihn von dem Moment an, als er das Café betrat.

Max hatte ihren Blick bis in sein Innerstes gespürt, und als er ihr in die Augen schaute, durchströmte eine merkwürdige Wärme seinen Körper. Unwillkürlich war er auf sie zugegangen. Normalerweise hätte er das nicht getan. Er war nicht auf der Suche nach einer Beziehung, wie sie sich eine Frau wie Julia zweifellos ersehnte. Aber an jenem Abend war das belanglos gewesen.

Sie hatten sich einander vorgestellt, miteinander geredet, sich berührt und waren schließlich in seinem Bett gelandet. Diese gemeinsame Nacht war anders gewesen als alles, was er bis dahin erlebt hatte. Allein die Erinnerung an Julias Körper, der sich unter seinem bewegt hatte, an ihre weiche, glatte Haut und an ihren Duft erregte ihn bis heute.

Was die Wut, die in seinem Innern brodelte, noch weiter aufheizte. Diese verflixte Frau! Warum reagierte sie nicht auf seine Anrufe? Und warum zum Teufel verhielt er sich wie ein hormongetriebener Teenager?

Er nahm seinen schwarzen Kaffee und wollte gehen. In diesem Moment spürte er es. Die Kraft ihres Blickes. Genau wie beim ersten Mal vor zwei Monaten.

Max schaute zu dem Stuhl in der hintersten Ecke und dort, verborgen im Schatten, fand er sie endlich wieder.

Und dieses Mal wollte er verdammt sein, wenn er sie noch einmal so leicht davonkommen ließ.

2. KAPITEL

Max marschierte durch das überfüllte Café, ohne Julia aus den Augen zu lassen. Er konnte selbst aus dieser Distanz sehen, dass sie sich verspannte. Ihre betont zur Schau getragene Gleichgültigkeit geriet ins Wanken, als ihre Blicke sich trafen, und Max genoss es zu wissen, dass er sie ein wenig nervös machte.

Welcher Mann würde das nicht?

„Julia“, sagte er mit so leiser Stimme, dass nur sie ihn hören konnte.

„Hallo, Max.“

Er hob eine Augenbraue. „‚Hallo‘? Das ist alles? Du gehst mir seit zwei Monaten aus dem Weg, und alles, was du zu sagen hast, ist ‚Hallo‘?“

Sie brach sich ein winziges Stück von ihrem Muffin ab, schob es in den Mund und kaute, als wäre es ein Stück zähes Fleisch. Ganz offensichtlich versuchte sie, Zeit zu schinden. Aber auch wenn sie das Gespräch hinauszögern wollte, es würde ihr nichts nützen. Jetzt, da Max sie im wahrsten Sinne des Wortes in die Ecke getrieben hatte, würde er sie erst gehen lassen, wenn sie ihm erklärt hatte, warum sie ihm auswich.

Er setzte sich neben sie, nahm den Kaffeebecher zwischen beide Hände und starrte Julia an. Immer wieder war er nachts aufgewacht und hatte ihr Bild vor Augen gehabt. Er hatte sich eingeredet, dass seine Erinnerung ihn trog. Keine Frau war so schön. Keine Frau konnte solch eine berauschende Mischung aus Unschuld und Sinnlichkeit in sich vereinen. Fast hätte er sogar daran geglaubt.

Bis jetzt.

Jetzt kehrten die Erinnerungen an die Nacht mit ihr zurück, und er erkannte, dass sie nicht nur genau so war, wie seine Fantasie ihm vorgegaukelt hatte, sondern sogar noch faszinierender. Allein ihr Duft – etwas Leichtes, Blumiges – genügte, um ihn in Versuchung zu führen. Als wäre er nicht ohnehin ständig erregt, wenn er an sie dachte.

„Ich wollte dich morgen anrufen“, sagte sie, und Max konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Bei einer Frau wie Julia Prentice war es klug, aufmerksam zu sein.

„Tatsächlich.“ Es war keine Frage. Eher eine Feststellung, die besagte, dass er ihr kein Wort glaubte.

Sie hat die Botschaft verstanden, dachte er, da eine leichte Röte ihre Wangen überzog und sie den Blick senkte.

„Ich weiß, dass du wütend bist“, sagte sie, und ein Muskel in ihrem Gesicht zuckte nervös.

„Wütend war ich noch vor ein paar Wochen.“

Sie hob ihren Blick und schüttelte den Kopf. „Wir haben nur eine Nacht zusammen verbracht, Max. Und als die vorbei war, hast du ausdrücklich betont, dass du nur an einer Affäre interessiert bist.“

Er lachte kurz und vergewisserte sich, dass niemand ihnen zuhörte. Aber die anderen Gäste waren entweder in angeregte Unterhaltungen vertieft oder saßen allein hinter einem Laptop. Er und Julia hätten genauso gut auf einer einsamen Insel sitzen können.

„Das hat dich in der Nacht aber anscheinend nicht gestört“, bemerkte er.

„Nein, da hat es mich tatsächlich nicht gestört“, gab sie zu und befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge. Eine Bewegung, die seine Erregung verstärkte, bis sie fast schmerzhaft wurde. „Es ist in dieser Nacht einfach mit uns durchgegangen. Wir haben Dinge getan …“

„An die ich ständig denken musste“, unterbrach er sie, in der Hoffnung, in ihr bestimmte Erinnerungen zu wecken. Erinnerungen wie die, die ihn seitdem verfolgten.

Er war noch nie mit einer Frau zusammen gewesen, die sich äußerlich so gefasst und im Bett so hemmungslos benahm. Der Gedanke an Julia hatte ihn seitdem nicht mehr losgelassen, trotz seiner Bemühungen, eine sichere emotionale Distanz zu wahren. Und das machte ihn wütend. Max war nicht dumm. Er kannte Frauen wie Julia.

Sie war eine typische Vertreterin der oberen Zehntausend. Hineingeboren in eine Gesellschaft, in die er nur nach jahrelanger, harter Arbeit und aufgrund von Beharrlichkeit aufgenommen worden war. Sie konnte einen Stammbaum vorweisen, und er kam sozusagen von der Straße. Die Unterschiede zwischen ihnen waren offensichtlich. Aber im Bett waren sie bedeutungslos geworden. In den gemeinsam verbrachten Stunden hatten sie im jeweils anderen etwas entdeckt, was sie bei niemandem sonst finden konnten.

Zumindest hatte Max das angenommen.

„Du kannst mir glauben, dass ich genauso häufig an diese Nacht gedacht habe“, verteidigte sie sich.

„Warum hast du mich dann gemieden? Wir hatten doch beide unseren Spaß.“

„Oh ja.“

„Was hält uns also davon ab, noch einmal die eine oder andere Nacht miteinander zu verbringen?“

Sie schaute ihm in die Augen. „Ich bin schwanger.“

Hätte sie ihm den Stuhl, auf dem er saß, weggezogen, hätte Max nicht verblüffter sein können. Die schlichte, geradlinige Aussage, ihr offener Blick, die entschlossene Miene, all das verdeutlichte Max, dass sie die Wahrheit sagte. Aber wenn sie ihn glauben machen wollte, es sei sein Baby, dann musste sie sich auf eine Überraschung gefasst machen.

Er wusste etwas, das sie nicht wusste, und war sich aufgrund dieser Tatsache sicher, dass er nicht der Vater des Kindes sein konnte.

„Herzlichen Glückwunsch“, bemerkte er bitter und trank einen Schluck Kaffee. Das heiße Getränk verbrannte ihm die Zunge, doch Max war geradezu froh über den Schmerz. Immerhin half er ihm, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf die unausgesprochene Bitte in Julias Augen. „Wer ist der glückliche Vater?“

Sie hob ruckartig den Kopf und riss die Augen auf. „Du natürlich.“

Er lachte. Laut genug, dass sich einige andere Gäste zu ihnen umdrehten, um zu sehen, was so lustig war. Max funkelte sie böse an, und die Neugierigen schauten schnell woanders hin. Als er sich wieder Julia zuwandte, zischte er wütend: „Netter Versuch, aber das kaufe ich dir leider nicht ab.“

„Was?“ Sie sah so verblüfft aus, wie er sich fühlte. „Warum sollte ich lügen?“

„Eine interessante Frage“, erwiderte Max und stellte seinen Kaffeebecher auf den Nebentisch. Im Stillen gratulierte er sich dazu, so ruhig zu bleiben. Niemand würde ihm ansehen, dass er innerlich vor Wut kochte – und gleichzeitig furchtbar enttäuscht war. Er nahm Julia den Becher aus der Hand und murmelte: „Nimm deine Handtasche. Wir gehen.“

„Ich will aber nicht gehen.“

„Glaubst du, das interessiert mich?“ Er stand auf und starrte sie an, bis Julia mit wütender Miene die Handtasche nahm und ebenfalls aufstand. Mit festem Griff packte er sie am Ellenbogen und führte sie aus dem Café hinaus auf die Park Avenue.

„Wo will du hin?“ Offenbar hatte sie Schwierigkeiten, mit Max Schritt zu halten, doch er verlangsamte sein Tempo nicht.

Mit der Rücksichtslosigkeit einer Naturgewalt bahnte er sich einen Weg durch die Menschenmassen auf den Bürgersteigen von New York und zog Julia hinter sich her. Die Passanten traten zur Seite und gingen ihm aus dem Weg. Dies war keine Unterhaltung, die er in der Öffentlichkeit führen wollte. Wenn Julia ein Spiel mit ihm spielen wollte, dann sollte sie es verdammt noch einmal in seiner Wohnung tun. Dort konnte er ihr genau sagen, was er von blaublütigen Frauen hielt, die versuchten, Intrigen zu spinnen.

Sein Apartmentgebäude war sehr viel moderner als ihres. Hier wohnten nicht die Mitglieder des alten Geldadels, sondern neureiche Milliardäre – ganz nach Max’ Geschmack. Der Portier eilte herbei, um die Tür zu öffnen, und trat dann zur Seite, als Max die widerstrebende Julia zu den Fahrstühlen zog.

Er drückte auf einen der Knöpfe und schaute Julia drohend an. „Ich will kein Wort hören, bis wir allein sind.“

Sie nickte steif und machte sich dann von ihm frei, bevor sie sich das lange blonde Haar aus dem Gesicht strich. Max sah ihr Spiegelbild in der Fahrstuhltür, und trotz all der Wut, die er auf sie verspürte, erregte Julia ihn.

Die Fahrstuhltüren öffneten sich geräuschlos, und nachdem er und Julia hineingegangen waren, nahm Max seine Schlüsselkarte und drückte den Knopf zum einzigen Penthouse des Gebäudes. Er lebte gleichsam auf dem Dach der Welt, mit einem Blick, der ihm jedes Mal, wenn er in die Wohnung kam, bewies, dass er es geschafft hatte. Er war an der Spitze. Seine harte Arbeit hatte sich ausgezahlt, und er hatte seine Träume verwirklicht.

Der Fahrstuhl hielt im Foyer des Penthouse, das den Eingang zu einem Zweihundert-Quadratmeter-Reich darstellte, in dem Max allein lebte. Seine Haushälterin, die täglich kam, ging abends wieder nach Hause. Das Verheiratetsein hatte er einmal ausprobiert. Und seine Lektion gelernt.

Und genau deshalb wusste er auch, dass Julia ihn belog.

Er trat zur Seite und forderte Julia mit einer Handbewegung zum Eintreten auf. Sie war schon einmal hier gewesen, bei ihrer ersten und einzigen Liebesnacht. Und die Erinnerung daran verfolgte ihn seitdem rund um die Uhr.

„Möchtest du einen Drink?“, fragte er und ging die zwei Stufen hinunter, die ins Wohnzimmer führten. „Ach nein, du bist ja schwanger.“

Sie ignorierte seine bissige Bemerkung. „Hast du ein Wasser?“

Max schenkte sich einen Scotch ein, bevor er eine Flasche Wasser aus dem kleinen Kühlschrank der Bar holte. Dann ging er hinüber zu Julia. Sie stand am Panoramafenster und genoss den unglaublichen Blick auf die Stadt und den Hafen.

„Ich hatte vergessen, was für eine herrliche Wohnung das hier ist“, sagte sie und nahm das Wasser entgegen.

Ihm gefiel das Penthouse auch. Es war sehr maskulin eingerichtet, jetzt da Camille fort war. Das Wohnzimmer war mit edlem Eichenparkett ausgelegt, auf dem einige kostbare Teppiche lagen. Große Sofas und Sessel standen zu Gruppen zusammen, wurden aber selten benutzt. Ein Kamin wurde rechts und links von Bücherregalen flankiert, in denen Bücher für jeden Geschmack standen, von Krimis bis hin zu Klassikern.

„Eine herrliche Aussicht“, meinte Julia.

„Ja. Das hast du schon beim letzten Mal festgestellt.“ Max nippte an dem Scotch und wünschte, die brennende Flüssigkeit könnte die Kälte in seinem Inneren vertreiben.

Julia blickte Max über die Schulter hinweg an. „Ich weiß nicht, warum du darauf bestanden hast, dass wir hierher kommen, Max. Ich habe dir bereits gesagt, was ich zu sagen hatte.“

„Ach ja? Dass du mit meinem Kind schwanger bist.“

„Genau.“

„Das ist eine Lüge.“

Ihre Hand schloss sich fester um die Wasserflasche. „Warum sollte ich dich belügen?“

„Das wüsste ich auch gern“, murmelte er. „In der Nacht, in der wir zusammen waren, hast du mir erzählt, dass du gerade eine längere Beziehung beendet hattest. Jetzt frage ich mich natürlich, warum du mir das Baby unterjubeln willst.“

„Terry und ich waren schon seit Monaten nicht mehr … so zusammen. Wir waren Freunde.“

„Er war wohl zu zivilisiert für heißen Sex, was? Kein Wunder, dass du mit mir deinen Spaß haben wolltest.“

„So war es nicht“, widersprach Julia heftig. Sie wusste nicht, wieso das Ganze so eskalierte. Na gut, sie hatte nicht damit gerechnet, dass Max vor Freude über diese unerwartete Schwangerschaft in die Luft sprang. Aber genauso wenig hatte sie erwartet, dass er die Vaterschaft abstreiten würde. „Als wir uns begegnet sind, gab es diese … Verbindung zwischen uns. Das habe ich gespürt. Und dir kann es doch auch nicht entgangen sein. Es war wie …“

„Mach nicht mehr daraus, als es war, Darling“, unterbrach Max sie. „In der Nacht waren wir beide liebeshungrig, und es war der beste Sex, den ich je hatte. Aber mehr auch nicht. Es hat kein Engelschor gesungen. Es war, was es war … Sex.“

Julia fühlte sich, als hätte er ihr ins Gesicht geschlagen. Genau aus diesem Grund wollte sie keine bedeutungslosen Beziehungen führen. Sie musste eine Verbindung zu einem Mann verspüren, bevor sie mit ihm ins Bett ging. Und auch wenn sie sich in jener Nacht hatte hinreißen lassen, war sie überzeugt gewesen, dass diese Verbindung zwischen ihr und Max bestand. Hatte sie sich wirklich so getäuscht? Hatte sie reine Lust mit etwas anderem verwechselt?

Offensichtlich war sie tatsächlich so dumm gewesen.

„Was auch immer du vorhast, es wird nicht funktionieren“, sagte er leise. Er stellte sein Glas auf einen Tisch und kam näher. „Ich weiß nicht, was du willst, Julia, aber ich weiß, was wir beide brauchen. Was wir beide wollen.“

„Nein, da täuschst du dich“, entgegnete sie, als er sie in die Arme zog. Er hielt sie fest an sich gepresst, bis sie seine Erregung deutlich spüren konnte. Und sofort stand auch ihr Körper in Flammen.

Lust breitete sich in ihr aus und weckte ein sehnsüchtiges Verlangen in ihrer Mitte.

Max ließ seine Hände über ihren Rücken gleiten, und Julia erzitterte unter seinem Streicheln. Auf einmal fiel ihr das Atmen schwer. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Hatte vergessen, warum sie eigentlich Nein sagen wollte. Vergessen, dass sie nicht an unverbindlichem Sex interessiert war.

Max beugte sich vor und berührte mit den Lippen flüchtig ihren Mund, bevor er sich wieder aufrichtete und sie anschaute. In seinen Augen sah sie eine Begierde, die sie bis ins Mark erschütterte.

„Sag es mir jetzt“, flüsterte er. „Wenn du nicht willst, sag es, und ich höre auf.“

Sag es!, befahl ihr Gehirn.

Aber im selben Moment übernahm ihr Körper das Kommando. Eine Beziehung mit Max hatte keine Zukunft. Er glaubte ihr nicht, was das Baby anging. Und um es ihm mit einem Vaterschaftstest zu beweisen, musste sie warten, bis das Kind geboren war. Es gab also keine Möglichkeit, ihn zu überzeugen. Wenn sie halbwegs bei Verstand wäre, würde sie das Penthouse verlassen, würde sie diesen Mann, der sie mit seinen magischen Berührungen um den Verstand brachte, verlassen und sich mit der Tatsache trösten, dass sie das Richtige getan hatte. Sie hatte ihm von dem Baby erzählt. Es war seine Entscheidung, ihr nicht zu glauben.

Aber sie wollte nicht gehen.

Sie wollte noch eine Nacht mit Max verbringen.

Mit jeder Faser ihres Körpers sehnte sich danach. Mit jedem Herzschlag wurde ihr Verlangen nach ihm heftiger. Also traf sie eine Entscheidung, die sie sicherlich irgendwann bereuen würde.

„Ich sage nicht Nein“, wisperte sie und legte ihm beide Hände auf die Brust, strich über sein Oberhemd und spürte die kräftigen Muskeln darunter.

Offenkundig erleichtert, atmete Max durch und lockerte seine Umarmung. Langsam umschloss er Julias Brüste und streichelte die Knospen, die sich hart unter dem dünnen Leinenstoff ihrer Bluse abzeichneten. Ihr BH bestand lediglich aus hauchzarter Spitze, sodass Julia die Wärme von Max’ Berührung auf ihrer Haut spüren konnte.

„Dann sag Ja“, forderte er sie mit rauer Stimme auf, während er fortfuhr, ihre Brüste zu liebkosen.

„Ja, Max. Verdammt, ja.“

Triumph leuchtete in seinen Augen auf, bevor er ihren Mund wieder eroberte. Kaum berührten sich ihre Lippen, als Julia die Augen schloss und hingebungsvoll seufzte. Wohlige Schauer überliefen sie und setzten jeden Nerv unter Strom. Mit der Zungenspitze drängte Max sie, die Lippen zu öffnen, und nur zu gern folgte sie dieser stummen Aufforderung. Ein leises Stöhnen entschlüpfte ihr, als ihre Zungen einen erotischen Tanz begannen.

Max vertiefte den Kuss und tastete gleichzeitig mit geschickten Händen nach den Knöpfen ihrer Bluse. Innerhalb von Sekunden hatte er sie geöffnet. Die Bluse glitt über ihre Schultern und fiel zu Boden. Der BH folgte, und dann lagen Max’ Hände wieder auf ihren Brüsten und vollführten die wunderbarsten Dinge. Mit den Fingerspitzen neckte er ihre Knospen, während er Julia mit seinen Küssen fast verrückt vor Verlangen machte.

Endlich beendete er den Kuss und ließ seine Lippen über ihren Hals wandern, bevor er erst die eine, dann die andere Spitze mit seinen Zärtlichkeiten verwöhnte. Mit Zunge, Lippen und Zähnen spielte er auf ihrem Körper wie auf einem perfekt gestimmten Instrument und entlockte ihr Töne der Lust. Sie presste Max’ Kopf an sich und öffnete die Augen. Manhattan lag funkelnd unter ihr, und die Lichter der Stadt verschwammen zu einem Kaleidoskop aus Farben.

„Mehr“, flüsterte er.

„Ja, Max.“ Nur ihm gelang es, solche Empfindungen in ihr zu wecken. Dieser Mann war für ihren Körper, was ein Streichholz für eine Ladung Dynamit war. Warum war er der Einzige, der solche unglaublichen Gefühle in ihr hervorrief?

Geschickt öffnete er den Reißverschluss ihrer Hose und schob sie zusammen mit dem hauchdünnen Slip an ihren Beinen hinunter. Die kühle Luft des Zimmers streichelte ihre Haut, und sie erzitterte. Allerdings war ihr nicht kalt. Wie sollte sie auch frieren, während Max’ Hände auf ihr lagen?

„Halt dich an mir fest.“ Er kniete sich vor sie und wartete, bis sie die Hände auf seine breiten, muskulösen Schultern gelegt hatte. Dann hob er ihr rechtes Bein, legte es sich über den Rücken und sah zu Julia auf.

Verlangen und Leidenschaft funkelten in seinen Augen, und Julia fühlte sich von diesem Blick wie gefangen. Sie zitterte, als Max, ohne sie aus den Augen zu lassen, immer näher kam. Endlich berührten seine Lippen die blonden Löckchen zwischen ihren Schenkeln, und Julia hielt den Atem an.

Doch schon im nächsten Augenblick seufzte sie beglückt auf, als Max mit der Zunge die intimste Stelle ihres Körpers berührte. Er schloss die Augen und begann, sie mit seinen Zungenschlägen und Zärtlichkeiten auf köstliche Art zu foltern. Julie vergrub die Finger in seinem Hemd und hielt sich fest. Obwohl Max sie aus dem Gleichgewicht brachte, wollte sie doch um nichts in der Welt ihre Position ändern.

Am liebsten wäre sie für immer so stehen geblieben, um das Gefühl seines Mundes zu genießen, die Wärme seiner Zunge, seines Atems, seiner Finger, die nun ihr Zentrum berührten. Sanft drang Max erst mit einem, dann mit zweien in sie ein.

„Max!“ Sie schwankte, doch er hielt sie mit einem Arm fest und setzte den Angriff auf ihre Sinne fort. Er schmeckte und neckte sie, schürte die Glut in ihrem Inneren zu einer Feuersbrunst und zog sich dann zurück, bevor sie ganz in Flammen aufgehen konnte. Jedes Mal, wenn sie kurz davor war, Erlösung zu finden, hielt er inne.

Julia fühlte sich wie ein zitterndes Bündel von Verlangen und purer Leidenschaft. Sie klammerte sich an Max und drängte ihm ihre Hüften entgegen. Benommen vor Lust schaute sie auf ihn, während er sie verwöhnte, bis das Einzige was zählte, der erlösende Höhepunkt war, der gerade eben außer Reichweite blieb.

„Max, bitte“, wisperte sie heiser. „Jetzt!“

Statt zu antworten, widmete sein Mund sich weitaus erotischeren Tätigkeiten. Gleichzeitig tanzten seine Hände über ihren Körper. Und als Julia glaubte, es nicht länger aushalten zu können, drang Max mit dem Finger ein letztes Mal in sie ein und versetzte sie in einen Zustand der Schwerelosigkeit, in dem der einzige Fixpunkt die Schultern waren, die sie unter ihren Händen spürte.

Noch ehe das letzte Zittern verklungen war, fühlte sich Julia von Max hochgehoben. Als sie seine angespannte Miene sah, strich sie ihm über die Wange. „Mehr, Max. Ich möchte dich in mir spüren.“

„Das sollst du auch“, versprach er und marschierte mit langen Schritten den Flur entlang.

Julia konnte die Augen nicht von Max losreißen. Sie bewunderte sein markantes Profil, das dunkle Haar, das ihm in die Stirn fiel, und seine funkelnden grünen Augen. Wohlig erschauerte sie und erkannte, dass sie ihn schon wieder begehrte.

Sein riesiges Schlafzimmer wurde nur vom Mond und den Lichtern der Stadt beleuchtet. Gegenüber dem großen Fenster stand ein Bett, so groß, dass mühelos sechs Menschen darin hätten schlafen können. Die rotseidene Tages-decke war bereits zurückgeschlagen, und als Max Julia auf die Matratze legte, genoss sie das weiche Bett und das kühle Laken.

Schweigend sah sie zu, wie Max sich hastig auszog. Als sie sah, wie erregt er war, begann ihre Haut vor Erwartung zu kribbeln. Sie streckte ihm die Arme entgegen und hieß ihn willkommen, als er ihren Körper mit seinem bedeckte. Es war ein köstliches Gefühl, seine raue an ihrer weichen Haut zu spüren, und ihre Körper bewegten sich miteinander, als wären sie nur hierfür geschaffen.

Max’ Berührungen schürten erneut die Leidenschaft in ihr, und sie verlor sich in Empfindungen, die so vielfältig waren, dass sie noch nicht einmal im Einzelnen benennen konnte. Sie versuchte es gar nicht erst. Stattdessen konzentrierte sie sich einzig und allein darauf, mit Max zusammen zu sein, und als er sich auf den Rücken rollte und sie auf sich zog, folgte Julia nur allzu gern.

Wie war es nur dazu gekommen? Jene magische Nacht mit ihm hatte ein neues Leben geschaffen. Ein Kind, das ihn nicht interessierte. Ein Kind, das sie mit Freude großziehen wollte.

Zwei Fremde waren sie gewesen und waren es im Grunde immer noch. Und doch kam es ihr in diesem Moment so vor, als hätte sie Max schon immer gekannt. Als hätte ein Teil von ihr schon immer darauf gewartet, dass er in ihr Leben trat. Als hätte ihr Körper seinen wiedererkannt.

Max umfasste ihre Oberschenkel, während sie sich rittlings auf ihn setzte. Auf seinem Mund erschien ein sinnliches Lächeln, und Julia konnte nicht widerstehen: Sie beugte sich vor und küsste ihn. Dabei fiel ihr Haar über sein Gesicht wie ein weicher, blonder Vorhang, der alles andere, außer ihnen beiden, ausschloss.

Lippen trafen sich, Zungen flirteten miteinander, Atem vermischte sich, so als wären sie eins. Als wäre all das vorherbestimmt. Aber bevor Julia diesen Gedanken weiterverfolgen konnte, hob Max ihre Hüften und zog sie auf sich.

Julia richtete sich auf, bog ihren Rücken durch und rang nach Atem, als er sie langsam, unaufhaltsam ausfüllte. Ganz tief nahm sie ihn in sich auf.

Max in die Augen schauend, seufzte Julia und bewegte die Hüften verführerisch. Zu ihrer Befriedigung sah sie, wie sich Max’ Miene augenblicklich lustvoll verzog.

„Jetzt bin ich an der Reihe“, hauchte sie, während sie begann, ihren Körper auf seinem zu bewegen. Sie ließ die Hüften kreisen, sie hob und senkte sich und bäumte sich über ihm auf. Gleichzeitig streichelte sie seinen Oberkörper und neckte mit ihren kurzen Fingernägeln seine kleinen Brustwarzen.

Max stöhnte und hielt Julia mit seinem Blick gefangen, als wollte er sie auf keinen Fall aus den Augen lassen. Als wäre nichts auf der Welt so wichtig wie sie. Und das war ein berauschendes Gefühl. Langsam hob sie die Hände, ließ sie verführerisch über ihren eigenen Körper wandern und umschloss ihre Brüste.

Während er sie beobachtete, liebkoste sie ihre eigenen Knospen, und die Erregung, die sie in Max’ Blicken wahrnahm, schürte auch ihre eigene Lust. Sie hatte ihn in ihren Bann geschlagen, und jetzt war er es, der nichts weiter tun konnte, als zu genießen. Zu fühlen. Den Gipfel zu erklimmen.

Julia kostete die Macht aus, die sie angesichts von Max’ Faszination verspürte. Sie sah sein Verlangen, spürte seine Lust. Lächelnd hob sie beide Arme hoch über den Kopf und bewegte sich schneller und schneller. Ihre Hüften zuckten, und ihr leises Stöhnen erklang in der Dunkelheit. Max’ Hände vergruben sich in ihren Hüften, bis sie jede einzelne Fingerspitze wie ein Brandmal auf ihrer Haut spürte.

Dann glitt er mit einer Hand zu der Stelle, wo ihre Körper miteinander verschmolzen, und berührte diesen unglaublich empfindlichen Punkt. Innerhalb von Sekunden hatte sich das Blatt gewendet. Jetzt war es wieder Julia, die atemlos dem Höhepunkt entgegenstrebte.

Als sie Max’ Namen schrie und in seinen Armen erzitterte, hörte sie nur einen winzigen Moment später den heiseren Schrei, den Max wie ein Echo auf ihren ausstieß. Dann schloss er sie in die Arme, und gemeinsam versanken sie im Strudel der Lust.

3. KAPITEL

Mit Julia neben sich konnte Max zum ersten Mal seit zwei Monaten wieder befreit aufatmen. Endlich hatte er sie wieder da, wo er sie haben wollte. Er war sich nicht sicher, was sie mit dieser Babysache bezweckte, doch das würde er schon noch herausfinden. Jetzt war sie wieder da, wo sie hingehörte … in seinem Bett.

Er war kein Dummkopf und wusste, dass sie den Sex genauso genossen hatte wie er. Was sollten also diese Lügen? Worauf war sie aus?

Auf einen Ellenbogen gestützt, schaute er sie an und lächelte selbstzufrieden. „Willst du mir nun vielleicht erzählen, warum du nicht an einer sexuellen Beziehung interessiert bist?“

Sie zog die Augenbrauen zusammen und erwiderte seinen Blick. „Was ich sagte war, dass ich nicht an einer Beziehung interessiert bin, die nur auf Sex basiert und zeitlich begrenzt ist.“

„Ich denke, dass du gerade das Gegenteil bewiesen hast. Auf eine ziemlich spektakuläre Weise, jedenfalls meiner Ansicht nach.“

Während sie etwas vor sich hin murmelte, was er nicht verstand, rutschte sie von ihm fort zur Bettkante. Ihr nackter Körper ließ ihm fast das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie war klein und wirkte fast zerbrechlich, besaß jedoch herrliche Rundungen an genau den richtigen Stellen. Als sie sich erhob und in Richtung Wohnzimmer ging, stellte Max fest, dass er sie schon wieder begehrte.

Leise glitt er aus dem Bett und folgte ihr. Er beobachtete, wie sie sich bückte, um ihre Kleidung einzusammeln. Eine Schulter gegen den Türrahmen gelehnt, sah er ihr beim Anziehen zu.

„Wieso die Eile?“

Sie warf ihm einen bösen Blick zu. „Deswegen bin ich nicht hergekommen.“

„Vielleicht nicht, aber wir sind verdammt gut darin. Warum wollen wir es nicht noch einmal tun?“

„Weil …“, erwiderte sie, während sie ihren Slip und dann die Hose anzog, „… es sinnlos ist.“

„Du hast vor Lust geschrien“, meinte er mit einem zufriedenen Lächeln. „Ich finde, das ist Grund genug.“

Stirnrunzelnd warf sie ihr blondes Haar zurück, streifte sich den BH über und schloss ihn. „Mit dir kann man nicht reden“, stellte sie fest.

„Wenn du reden willst, dann reden wir eben.“ Er ging, ungeachtet seiner Nacktheit, auf sie zu. Ihr dagegen war anzusehen, dass sein unbekleideter Zustand sie nervös machte. Gut. Er war ein Mann, der gerne die Oberhand über seinen Gegner hatte. Und unabhängig davon, wie man ihre „Beziehung“ auch beschreiben mochte, in gewisser Weise war Julia seine Gegnerin.

„Zum Beispiel könntest du mir erzählen, warum du mir einreden willst, schwanger zu sein.“

Sie sah ihn unverwandt an. „Ich bin schwanger“, erklärte sie. „Und ich habe es für richtig gehalten, dich darüber zu informieren, dass du Vater wirst.“

„Oh, du willst also das Richtige tun. Soso.“

„Weißt du was? Mit jedem Wort, das du sagst, wird es mir weniger wichtig.“

Sie schlüpfte in ihre weiße Bluse, doch bevor sie sie zuknöpfen konnte, war Max bei ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. Er zog sie eng an sich, schaute ihr in die Augen und fragte leise: „Worum geht es hier wirklich?“

Einen Moment lang glaubte er, Enttäuschung in ihrem Blick zu erkennen, aber dieser Moment verging, und der Ausdruck in ihren Augen wirkte wieder kühl und ungerührt. „Du glaubst mir nicht. Warum sollte ich also versuchen, dich zu überzeugen?“

Leise Zweifel regten sich in ihm, doch er schob sie beiseite. Es war egal, was Julia sagte. Er kannte die Wahrheit bereits. „Ich will wissen, wer dir gesagt hat, dass du diese Nummer hier versuchen sollst“, meinte er.

„Was?“

„Es hat sich herumgesprochen, dass ich einen Erben brauche, stimmt’s?“ Kurz verkrampften sich seine Finger in ihren Schultern.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“

„Ich bitte dich! Wir wissen beide, dass in deinen Gesellschaftskreisen anzügliches Gerede über andere an der Tagesordnung ist. Die Gerüchteküche der New Yorker High Society stellt selbst Hollywood in den Schatten.“

Sie löste sich von ihm, und Max ließ sie gehen. Schweigend knöpfte sie ihre Bluse zu und strich sich mit den Fingern durchs Haar, bis es nicht mehr aussah, als wäre sie gerade aus dem Bett ihres Liebhabers gestiegen. Dann drehte sie sich um, nahm ihre Handtasche und zog sich die Sandalen an.

Erst als sie bereit war zu gehen, drehte sie sich noch einmal zu Max um. „Glaub, was du willst, Max. Aber ich habe dir die Wahrheit erzählt.“

„So wie du sie siehst, natürlich.“

„Ist das nicht die einzige Art, wie jeder von uns sie sieht?“

Er runzelte die Stirn und sah ihr nach, doch er versuchte nicht, sie aufzuhalten, als sie in den Fahrstuhl trat und verschwand.

„Ich bin so dumm“, stöhnte Julia eine Stunde später und sah Amanda gequält an. Noch immer kribbelte ihr Körper von Max’ Berührungen, und noch immer war sie wütend wegen seines Misstrauens. Warum nahm er an, dass sie log? Du lieber Himmel, er hatte nicht einmal nach einem Vaterschaftstest gefragt!

Sie schloss die Augen, öffnete sie wieder und sah sich in ihrer Wohnung um. Sie hatte sich hier ein kleines Nest gebaut, einen Ort, an dem sie sich wohlfühlte und glücklich war. Die Wände waren in hellen Farbtönen gestrichen, und vor den Fenstern hingen blütenweiße Gardinen, zu denen das gemütliche Sofa und der Sessel mit dem Rosenmuster gut passten. In dieser Wohnung hatte Julia sich endlich ein Heim geschaffen.

Anders als in den Häusern, in denen sie aufgewachsen war, gab es hier nichts Kaltes, Formelles. Sie hatte sich immer geborgen gefühlt – bis heute. Und das war ihre eigene Schuld – und die von Max.

Während sie an die Decke starrte, sagte sie: „Ich bin tatsächlich direkt wieder mit ihm ins Bett gegangen. Es ist so, als könnte er mich hypnotisieren.“

„Wie schön für dich“, bemerkte Amanda.

„Schön?“ Julia schüttelte den Kopf. „Es ist, als hätte nicht ich, sondern jemand anderes in meinem Körper gesteckt. Als hätte ich keine Kontrolle über mich selbst.“ Sie vergrub das Gesicht in den Händen. „Du meine Güte, und schon wieder haben wir kein Kondom benutzt!“

„Es ist ein bisschen spät, um sich über Verhütung Gedanken zu machen, meinst du nicht?“

„Ich mache mir überhaupt keine Gedanken. Das ist genau das Problem. Es kommt mir vor, als ob mein Gehirn aussetzt, sobald Max mich berührt. Ich verstehe das alles nicht.“

„Warum willst du es denn verstehen?“, erkundigte sich Amanda und seufzte neidisch. „Genieß es doch einfach.“

„Du bist keine große Hilfe.“ Julia drehte den Kopf, um ihre beste Freundin, die im Schneidersitz auf dem Sessel saß, böse anzufunkeln.

„Was soll ich denn sagen?“ Amanda lachte und fuhr mit dem Löffel in die Schale mit dem Schokoladeneis. „Soll ich dich ausschimpfen, weil du Sex hattest?“ Sie schob den Löffel in den Mund, lächelte und schüttelte den Kopf. „Das wirst du von mir nicht hören.“

„Aber er hat mir nicht geglaubt, dass ich ein Baby bekomme!“

Amanda beugte sich vor und griff nach der anderen Eispackung, um sie Julia zu reichen. „Okay, das ist schrecklich. Er hätte dir glauben sollen. Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der so ehrlich ist wie du.“

Julia nahm einen Löffel Erdbeereis, ließ es auf der Zunge zergehen und sagte dann: „Das solltest du ihm erzählen. Er hat nicht einmal darüber nachgedacht, was ich gesagt habe. Er hat mich schlichtweg eine Lügnerin genannt.“

„Und um ihn für diese Beleidigung zu bestrafen, warst du mit ihm im Bett.“ Amanda lachte. „Das wird ihm eine Lehre sein.“

Julia verzog das Gesicht, griff nach einem Kissen und warf es ihrer Freundin an den Kopf. „Ich habe doch schon gesagt, dass ich dumm bin.“

Noch immer lachend, fragte Amanda: „Die Frage ist, hat es sich gelohnt?“

„Oh, Himmel“, erwiderte Julia und seufzte verträumt. „Der Mann hat magische Finger. Und einen magischen Mund und eine magische …“

„Das reicht! Ich kann es mir lebhaft vorstellen und werde gleich grün vor Neid.“ Amanda tröstete sich mit einem Löffel Eis.

Julia bekam ein schlechtes Gewissen. Es war nicht fair, von Max und dem unglaublichen Sex zu schwärmen. Schließlich wohnte Amanda hier bei ihr, weil ihre Beziehung in die Brüche gegangen war. „Es tut mir leid“, sagte sie schuldbewusst.

„Ach, das ist nicht nötig“, entgegnete Amanda. „Ja, ich hatte mein Herz an einen Loser verschenkt, aber das ist jetzt vorbei. Mir geht es gut. Ich bin völlig zufrieden mit meinem Schokoladeneis und damit, dass ich an deinem aufregenden Leben teilnehmen kann.“

„Mit dem aufregenden Leben ist es jetzt vorbei“, erklärte Julia. Vielleicht konnte sie sich irgendwann sogar selbst davon überzeugen, wenn sie es nur oft genug wiederholte. „Ich kann nicht noch einmal mit Max schlafen, Amanda. Sex allein reicht einfach nicht.“

„Hm. Klingt für mich nicht sehr einleuchtend.“

„Habe ich nicht schon genügend Probleme? Was soll ich denn jetzt tun?“

Amanda stellte das Eis auf den Tisch und sah ihre Freundin an. „Du bist die Einzige, die das entscheiden kann, Julia. Es ist dein Baby. Dein Leben. Was möchtest du tun?“

Die Antwort auf diese Frage war gleichzeitig einfach und kompliziert. Sie wollte ihr Baby. Aber sie hatte Angst vor dem, was in den nächsten Monaten auf sie zukommen würde.

Seufzend erklärte sie: „Du weißt, dass ich mir immer Kinder gewünscht habe.“

„Stimmt.“

„Aber ich war davon ausgegangen, dass ich erst mal heirate.“

„Natürlich, aber die Dinge passieren nun mal nicht immer in der vorgegebenen Reihenfolge.“

„Ich will das Baby“, sagte Julia. „Aber was passiert, wenn die Leute es herausfinden?“

„Kleines, wir leben nicht mehr in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Die Zeiten haben sich geändert.“

„Die Zeiten vielleicht“, gab Julia zu. „Aber meine Familie nicht. Du kennst meine Eltern.“

Amanda erschauderte demonstrativ. „Gutes Argument. Sie werden nicht gerade einen Freudentanz aufführen, oder?“

„Nein.“ Julia stellte sich vor, wie sie ihren Eltern von dem Kind berichtete. Sie konnte die Missbilligung fast körperlich spüren. Ihre Eltern würden sich schämen und das verdammen, was sie getan hatte. Was sie war.

Der äußere Eindruck war das Einzige, was Julias Eltern interessierte. Wenn sie herausbekamen, dass ihr einziges Kind schwanger und nicht verheiratet war, würden sie alles tun, um Julia das Leben zur Hölle zu machen. Natürlich konnten sie sie nicht dazu zwingen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, aber sie konnten sie aus ihrem Leben verbannen. Und die Frage war, wollte sie riskieren, von ihnen verstoßen zu werden? Zwar hatten sie nicht gerade ein gutes Verhältnis zueinander, aber außer ihren Eltern besaß Julia keine Familie.

Entschlossen verdrängte Julia diese Gedanken. „Es geht ja nicht nur um meine Eltern. Was ist mit all den konservativen Wohltätigkeitsvereinen, für die ich arbeite? Glaubst du, die werden begeistert sein von einer unverheirateten Mutter?“

„Deine Familie kommt schon darüber hinweg“, erklärte Amanda. „Und was den Rest betrifft, um den kannst du dich kümmern, wenn es so weit ist.“

„Leichter gesagt als getan.“

„Wenn du dieses Baby willst“, bemerkte Amanda, „was hast du dann für eine Wahl?“

Am Morgen dachte Julia noch immer über die Frage ihrer Freundin nach. Die ganze Nacht lang war sie von Albträumen geplagt worden. Bis jetzt hatte sie die Panik, die sie im Schlaf verspürt hatte, noch nicht abschütteln können. Im Traum war sie durch lange, finstere Straßen gejagt. Sie waren menschenleer gewesen, aber überall hatten dunkle Schatten gelauert. Auf dem Arm hielt sie ihr schreiendes Baby, und das Weinen klang gespenstisch. Regen klatschte auf die Straßen, und sie fand keine Menschenseele, die ihr und ihrem Kind helfen konnte.

Die ihr Beistand leistete.

Julia zitterte ein wenig bei der Erinnerung, doch dann verscheuchte sie entschlossen die Gedanken an den Traum. Mit beiden Händen umschloss sie einen Becher mit heißem Tee, in der Hoffnung, das heiße Getränk würde die Kälte in ihrem Inneren vertreiben. Sie blinzelte hinaus in das helle Sonnenlicht und redete sich ein, dass Träume nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten.

Schließlich war sie, Julia Prentice, achtundzwanzig Jahre alt, besaß eine abgeschlossene Collegeausbildung, ein regelmäßiges Einkommen, eine eigene Wohnung und etliche enge Freunde. Jetzt war sie schwanger und unverheiratet, na und? Viele Frauen standen vor demselben Problem. Warum machte sie solch eine große Sache daraus?

„Bin ich ein Feigling?“, überlegte Julia und fürchtete sich fast vor der Antwort.

„Die Post ist gekommen.“ Amanda trat an den Frühstückstisch, ließ einen Stapel Briefe darauffallen und ging in Richtung ihres Schlafzimmers. „Ich habe in einer Stunde eine Verabredung mit einer nervösen Braut. Ihre zukünftige Schwiegermutter versucht, die Hochzeitsplanung an sich zu reißen. Die Braut ist in heller Aufruhr. Das wird bestimmt noch interessant.“

Als Veranstaltungsplanerin war Amanda ständig von einem Termin zum nächsten unterwegs. Sie trug ein dunkelrotes Kostüm, das an ihr einfach traumhaft aussah. Im Gehen rief sie Julia über die Schulter zu: „Sag Bescheid, wenn in dem Stapel etwas für mich dabei ist.“

Julia blätterte pflichtgemäß durch die Umschläge. Rechnungen, Reklame, Einladungen zu Partys … Sie hielt inne, als sie einen Umschlag ohne Briefmarke und Stempel sah.

Er war an Julia Prentice gerichtet, aber es stand keine Adresse auf dem Umschlag, nur der Name. Mit gerunzelter Stirn öffnete sie den Umschlag, zog den Brief heraus und las die kurze Mitteilung.

Miss Prentice – Ich weiß von Ihrem Baby. Wenn Sie nicht wollen, dass auch die Öffentlichkeit davon erfährt, überweisen Sie eine Million Dollar auf unten genanntes Konto auf den Kaimaninseln. Sie haben eine Woche Zeit.

Unter dem Text stand eine Kontonummer, aber natürlich keine Unterschrift. Erpressung? Mit zitternden Händen umklammerte Julia das Papier. Wer steckte dahinter? Jemand aus dem Haus? Jemand, von dem sie geglaubt hatte, er wäre ihr Freund? Niemand außer Amanda und Max wusste von dem Baby. Max glaubte ihr die Schwangerschaft nicht, und Amanda würde sie niemals verraten.

Wie hatte diese … Person es also herausgefunden? Hatte jemand im Park Café gelauscht? Hatte jemand sie gehört, obwohl sie sich bemüht hatte, leise zu sprechen? Trotz der Panik, die sich in ihr ausbreitete, versuchte Julia sich an die Gesichter der anderen Gäste gestern Abend im Café zu erinnern. Vergeblich. Sie war zu sehr in ihre eigenen Gedanken vertieft gewesen. Zu beschäftigt mit ihren Problemen, um irgendjemand anderem Beachtung zu schenken. Und um die Wahrheit zu sagen, sobald Max aufgetaucht war, hätte das Gebäude in Flammen stehen können, und sie hätte trotzdem nur ihn wahrgenommen.

Sie gab einen erstickten Laut von sich und ließ den Brief auf den Tisch fallen. Fassungslos presste sie eine Hand auf den Mund und rang nach Atem. Was sollte sie tun? Sie besaß nicht so viel frei verfügbares Geld, dass sie einfach so eine Million Dollar überweisen könnte. Aber auch die Vorstellung, dass ihr Privatleben in die Öffentlichkeit gezogen wurde, war unerträglich.

„Kleines?“ Amandas Stimme durchdrang den Tumult in ihrem Kopf. „Was ist los?“

Mit tränenverschleiertem Blick deutete Julia auf den Brief. Amanda griff danach, las ihn und rief: „Verdammt! Wer könnte so etwas …“ Sie brach ab und meinte dann: „Vergiss es. Was willst du unternehmen?“

„Ich weiß es nicht.“

„Du solltest zur Polizei gehen, Julia.“

„Was würde das nützen?“ Sie schüttelte den Kopf und bemühte sich, nicht völlig in Panik zu geraten. Doch ihr Magen verkrampfte sich, ihr Herz raste, und ihr Mund war ausgetrocknet.

„Erpressung ist ein Verbrechen.“

„Das weiß ich“, sagte Julia leise. „Aber was kann die Polizei schon tun? Den Erpresser finden? Würde das etwa verhindern, dass alles herauskommt? Mein Geheimnis würde trotzdem an die Öffentlichkeit gelangen.“

„Es kann ohnehin nicht mehr lange geheim bleiben, Kleines“, erinnerte Amanda sie. „Die Leute werden sehen, dass du schwanger bist. Es ist nichts, was man wirklich verheimlichen kann.“

„Ja, aber sie sollen es erfahren, wenn ich so weit bin. Nicht, wenn irgendein bösartiger Mensch entscheidet, dass er mich der Klatschpresse ausliefern möchte. Ich kann nicht zulassen, dass meine Eltern es aus der Zeitung erfahren. Und ich kann es ihnen jetzt auch noch nicht sagen.“

„Also, was willst du dann tun?“

Julia stand auf, ging ein paar Schritte und drehte sich dann wieder zu Amanda um. „Ich kann mit dieser Sache nicht meine Eltern belasten. Es gibt eigentlich nur eins, was ich tun kann: Ich muss zu Max gehen.“

Max saß hinter seinem Schreibtisch und versuchte, sich auf das Tagesgeschäft zu konzentrieren. Die Finger am Puls der Wall Street zu behalten war das Geheimnis seines Erfolges. Er besaß die angeborene Fähigkeit zu erkennen, in welche Richtung der Markt sich entwickelte. Und er handelte, bevor andere die Situation überhaupt durchschaut hatten.

Er besaß inzwischen solch einen guten Ruf, dass sein Rat buchstäblich Gold wert war, und seine Rivalen beobachteten ihn mit Argusaugen in der Hoffnung, ihn austricksen zu können. Doch das war noch nie geschehen. Max liebte seine Arbeit. Es gefiel ihm, der Beste zu sein. Das Auf und Ab des Finanzmarktes machte ihm Spaß, und er genoss das Gefühl, diesen Markt beherrschen und nach Belieben nutzen zu können.

Aber heute konnte er sich nicht konzentrieren. Heute waren ihm die Ölpreise und Aktienkurse völlig egal. Er dachte nur an Julia.

Nicht einmal Schlaf hatte er finden können, weil sein Bett noch ihren Duft verströmt hatte. Als Max jetzt die Augen schloss, konnte er ihren Körper auf seinem fühlen. Immer wieder rief er sich die Bilder des vergangenen Abends ins Gedächtnis: Julias blondes Haar, das ihr zerzaust ins Gesicht fiel, ihre Augen, die ihn mal mit sanftem Blick und dann voller Leidenschaft anschauten. Ihr Mund, voll und köstlich und zu einem Lächeln verzogen, als sie sich rittlings auf ihn gesetzt und ihn in sich aufgenommen hatte.

Diese verflixte Frau brachte ihn noch um den Verstand!

Er lehnte sich in seinem Chefsessel zurück und schaute sich im Büro um. Der Raum war groß, eingerichtet in Schwarz, Chrom und Glas. Die gesamte Einrichtung schuf eine Atmosphäre, die seinen Erfolg verriet. Wenn er hier Geschäftstermine abhielt, genügte dieses Zimmer, um seine Konkurrenten einzuschüchtern. Dieses Büro machte deutlich, dass Max Rolland ein Mann war, den man ernst nehmen musste. Und den man mit Vorsicht zu behandeln hatte.

Seine Welt war genau so, wie er sie sich immer erträumt hatte. Er besaß Geld. Er besaß Ansehen. Die gesamte Stadt lag ihm zu Füßen. Was er nicht hatte, war eine Familie. Einen Sohn. Einen Erben.

Frustriert stand er auf, ging durchs Zimmer und schenkte sich einen Becher Kaffee ein. Er musste an Camille denken. Er hatte sie geheiratet und war davon ausgegangen, dass er mit ihr die Familie gründen könnte, die er sich immer gewünscht hatte.

Sie kam aus einer guten Familie und hätte seinen Kindern den Stammbaum gegeben, den sie verdienten. Er dagegen hätte ihnen alles Notwendige gegeben, damit sie sich in der Welt hervortun konnten.

„So viel zu ausgeklügelten Plänen“, murmelte er düster und dachte, wenn auch nur sehr kurz, an Camilles Blick, als er sie das letzte Mal gesehen hatte.

Sie hatte ihn mitleidig angeschaut. Mitleidig und angewidert. Und ihre letzten Worte hatten sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Du kannst mir nicht das geben, was ich mir wünsche, Max. Ein Kind. Also verlasse ich dich und suche mir jemanden, der es kann.

Max stellte den Becher zur Seite und stopfte sich beide Hände in die Taschen. Deshalb war er sich so sicher, dass Julia ihn mit ihrer Schwangerschaft anlog. Er wusste, dass er keine Kinder bekommen konnte. Er war zeugungsunfähig. Seine Träume von einer Familiendynastie hatte er begraben müssen.

Es klopfte kurz an seiner Bürotür, und sein Assistent Tom Doheny streckte den Kopf herein. „Mr. Rolland? Hier ist eine Frau, die Sie sprechen möchte. Eine Miss Prentice. Sie sagt, es ist dringend.“

Max lächelte, doch es war wohl kein besonders freundliches Lächeln, denn Tom wirkte plötzlich verunsichert.

„Schicken Sie sie herein.“

4. KAPITEL

Nachdem Julia alles erklärt hatte, hielt sie inne und drehte sich zu Max um. Sie hatte ihn nicht anschauen wollen, während sie ihm von dem Erpresserbrief erzählte. Irgendwie hatte sie es einfach nicht über sich gebracht, ihm ins Gesicht zu sehen und zuzugeben, dass sie nicht über genügend flüssige Mittel verfügte, um den Erpresser zu bezahlen. Und sie schaffte es nicht, das zu tun, weshalb sie hergekommen war.

Nämlich Max um Hilfe zu bitten.

Jetzt sah sie durch das riesige Büro zu ihm hinüber. Er lehnte lässig am Schreibtisch, die langen Beine ausgestreckt und an den Knöcheln gekreuzt. Sie holte tief Luft und wartete. Jede Sekunde verrann und kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Die Anspannung war kaum noch auszuhalten, und ein Blick in Max’ kühle grüne Augen verstärkte ihre Unsicherheit nur noch.

Als das Schweigen sich hinzog, war Julia diejenige, die es brach. „Was ist? Willst du nichts dazu sagen?“

Max verschränkte die Arme vor der Brust und neigte den Kopf zur Seite. „Warum kommst du damit zu mir?“

„Weil es hier um dein Baby geht“, erklärte sie und wusste im selben Moment, dass das der falsche Ansatz war.

„Fang nicht wieder damit an“, stieß er hervor. „Bleiben wir bei den Fakten, okay?“ Er stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu marschieren.

Julia beobachtete ihn, während er mit langen Schritten lautlos über den flauschigen Teppich ging. Ein paar Sonnenstrahlen stahlen sich durch die Jalousie vor dem Fenster, und die Geräusche der Stadt waren so gedämpft, dass sie fast gar nicht zu hören waren. Es kam ihr vor, als wären sie und Max die einzigen beiden Menschen auf der Welt.

Wie schade, dass sie keine Freunde waren.

Am anderen Ende des Zimmers blieb er stehen. „Fasse ich das richtig zusammen? Du bist schwanger und willst noch nicht, dass jemand davon erfährt.“

„Ja.“ Julia atmete tief durch. „Wenn dieser Mensch seine Drohung wahr macht …“ Sie brach ab, weil sie die Angst, die sie seit dem Öffnen dieses verflixten Umschlags nicht mehr losließ, nicht in Worte fassen wollte.

„Denn dann würdest du monatelang von der Regenbogenpresse belagert.“

„Jahrelang“, korrigierte sie ihn. „Mein Kind müsste immer mit dem Gerede leben, und das kann ich nicht zulassen.“

„Irgendwann wirst du ohnehin vor diesem Problem stehen.“

„Ich werde mir etwas überlegen“, meinte sie, als müsste sie nicht nur ihn, sondern auch sich selbst davon überzeugen. „Aber ich will nicht, dass es jetzt herauskommt. Noch nicht.“

„Und warum gehst du denn nicht zu dem Vater des Kindes?“

Sie funkelte ihn an. Glaubte er wirklich, sie wäre eine Frau, die einem Mann das Kind eines anderen Mannes unterjubeln würde? Ein fast höhnisches Lächeln erschien auf seinen Lippen und verriet ihr, dass er genau das dachte. „Er glaubt mir nicht“, sagte sie.

„Aha. Also bin ich nicht der einzige Mann in deinem Leben, der wenig Geduld für Lügengeschichten hat.“

Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, zu Max zu kommen? Sie war mit offenen Augen in die Höhle des Löwen marschiert, hatte ihn gebeten, das Maul zu öffnen, und dann ihren Kopf hineingesteckt, damit er ihn ihr abbeißen konnte! Wie dumm von ihr.

„Weißt du was?“, murmelte Julia und wandte sich zur Tür. „Es war ein Fehler herzukommen. Vergiss einfach, dass ich hier war.“

Noch ehe sie nach der Türklinke greifen konnte, war Max bei ihr und packte mit festem Griff ihren Oberarm. Julia versuchte sich freizumachen, und als ihr das nicht gelang, schaute sie ihn wutentbrannt an. „Lass mich los, Max.“

„Nein.“ Stattdessen drehte er sie herum, drängte sie zum Schreibtisch und gab ihr einen kleinen Schubs, damit sie sich auf einen der Lederstühle setzte. „Wir sind noch nicht fertig.“

Sie hob den Kopf und musterte ihn mit bitterbösem Blick. „Oh, ich glaube, es ist alles gesagt, was zu sagen ist.“

„Nein, da täuschst du dich“, erwiderte er und setzte sich neben sie. Beide Ellenbogen auf die Knie gestützt, schaute er Julia in die Augen und sagte: „Erklär mir eins, Julia. Warum bist du hiermit zu mir gekommen?“

Sie straffte die Schultern, hob das Kinn und nahm all ihren Stolz zusammen. „Ich habe nicht genügend flüssige Mittel, um diesen Erpresser zu bezahlen. Ich dachte, du könntest mir vielleicht etwas leihen.“ Als er darauf nichts erwiderte, fügte sie hastig hinzu: „Ich werde dir natürlich Zinsen zahlen, in welcher Höhe auch immer du …“

„Nein.“

Sie blinzelte ihn an. „Das ist alles? Einfach nur Nein?“

„Einen Erpresser zu bezahlen ist immer unklug.“ Er lehnte sich zurück und trommelte lässig mit den Fingerspitzen auf die Armlehne. „Glaubst du, dass eine Million Dollar diesen Menschen zufriedenstellen wird? Nein. Sobald du einmal bezahlt hast, musst du auch weiterzahlen.“

„Oh, Himmel.“ Julia vergaß ihre perfekte Haltung und sackte ein wenig in sich zusammen. Wie hatte das nur geschehen können? Wer steckte dahinter und warum? Was hatte sie getan, um jemanden dazu zu bringen, sich so bösartig zu verhalten? Und was sollte sie tun?

„So wie ich das sehe …“, sagte Max langsam, so als entwickele er beim Reden einen Plan, „… hast du nur eine einzige Chance: Du musst dafür sorgen, dass dein Geheimnis nichts mehr wert ist.“

„Wie bitte?“ Verwirrt sah Julia ihn an. Er hatte die grünen Augen zusammengekniffen, und seine Lippen waren zu einer harten Linie zusammengepresst. Dies war das Gesicht des Mannes, der die Wall Street erobert hatte. Ein moderner Krieger, der über seine potenziellen Konkurrenten hinwegfegte und sie finanziell erschüttert hinter sich ließ.

Dies war Max Rolland.

Die unaufhaltsame Kraft hinter der Firma Rolland Enterprises.

Und Julia hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie gleich aus erster Hand miterleben würde, wie es war, wenn Max sich für sie in den Kampf stürzte.

„Du brauchst mich nur zu heiraten.“

Hatte sie richtig gehört? Hatte Max tatsächlich diese Worte geäußert?

Julia war sich nicht sicher. Die Welt schien auf einmal stehen geblieben zu sein. Wenn es eins gab, womit sie nicht gerechnet hatte, dann war es ein Heiratsantrag.

„Bist du … Hast du … Warum willst du …“ Kein gutes Zeichen. Sie konnte nicht einmal mehr einen vernünftigen Satz bilden.

Er lächelte sie an, doch dieses Lächeln war kalt und kalkulierend. „Überrascht?“

„Äh … ja“, gab sie zu. „So könnte man es wohl nennen.“

„Das überrascht mich nun wieder.“ Er stand auf, ging durchs Zimmer und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. „Du auch?“

„Nein, danke.“

„Richtig.“ Er nickte und lächelte. „Kein Koffein für dich. Ich weiß ja nicht, wie du das schaffen willst.“

„Im Moment habe ich andere Sorgen. Und warum hätte ich erwarten sollen, dass du mir einen Heiratsantrag machst? Du glaubst doch nicht einmal, dass es dein Kind ist.“

Er trank einen Schluck Kaffee und kam dann zu Julia zurück. „Stimmt. Aber darum geht es doch gar nicht mehr.“

Sie lachte gequält. „Worum geht es dann?“

„Du kannst den Erpresser nicht bezahlen. Ich werde es nicht tun. Vermutlich willst du auch nicht, dass deine Familie von dieser Schwangerschaft erfährt, habe ich recht?“

Mehr als recht. Julia schauderte, wenn sie nur daran dachte, ihren Eltern zu erzählen, dass sie ledige Mutter wurde. Einmal hatten sie sechs Monate lang nicht mit ihr gesprochen, nur weil sie sich mit einem Musiker getroffen hatte.

Sie und ihre Eltern hatten sich niemals sonderlich nahegestanden. Eigentlich fragte Julia sich, warum es sie überhaupt interessierte, was ihre Eltern über ihr Leben dachten. Aber die Antwort gab sie sich sofort selbst: Obwohl sich Margaret und Donald Prentice kühl und wenig fürsorglich verhielten, waren sie doch die einzige Familie, die Julia besaß. Und gerade jetzt brauchte sie diesen Halt, so schwach er auch war, mehr denn je.

„Ja“, flüsterte sie und senkte den Kopf, weil sie nicht wollte, dass Max ihr in die Augen schaute. „Du hast recht.“

„Und der Vater des Kindes will mit der Sache nichts zu tun haben.“

Trocken erwiderte sie: „So könnte man es sagen.“

„Es sieht so aus, als hättest du keine Wahl, als mich zu heiraten. Wenn wir verheiratet sind, ist deine Schwangerschaft kein Skandal. Der Erpresser wird verschwinden, und das Problem ist beseitigt.“

„Und ein neues taucht auf“, erwiderte sie und erhob sich, weil sie nicht länger zu ihm hinaufschauen wollte. „Max, ich weiß dein unerwartetes Hilfsangebot wirklich zu schätzen, aber meinst du nicht, dass das ein bisschen zu weit geht?“

„Warum?“ Er stellte seine Kaffeetasse auf den Schreibtisch, legte Julia die Hände auf die Schultern und hielt sie zärtlich, aber nachdrücklich fest. „Zwischen uns herrscht eine starke Anziehungskraft, Julia. Das ist bewiesen.“

„Aber eine Ehe?“

„Es muss ja nicht für immer sein“, meinte er. „Wir können sie ja zeitlich begrenzen. Zum Beispiel auf ein Jahr. Mein Anwalt wird entsprechende Papiere aufsetzen und …“

„Ein Jahr?“

„Eine kürzere Ehe würde verdächtig wirken, meinst du nicht?“

„Vermutlich …“ Julia hatte das Gefühl, von einer riesigen Welle mitgerissen zu werden. Sie hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Keinen Halt mehr. Konnte sich nirgends mehr orientieren. Max’ Augen bildeten den einzigen Fixpunkt. „Aber ich verstehe immer noch nicht, warum du das tun willst.“

„Ich hätte gern einen Sohn. Einen Erben.“ Er ließ sie los, ging um seinen Schreibtisch herum und schaute hinunter auf die Stadt, die sich vor ihm ausbreitete. „Mehr brauchst du eigentlich nicht zu wissen.“ Er atmete tief durch, wandte sich wieder um und musterte sie mit hartem Blick. „Ich werde dich heiraten und deinem Kind meinen Namen geben. Es wird meins sein, sowohl vor dem Gesetz als auch gefühlsmäßig. Du wirst entsprechende Papiere unterzeichnen und das bestätigen.“

„Und wenn es ein Mädchen wird?“

Er sah überrascht aus – als hätte er diese Möglichkeit gar nicht in Betracht gezogen. Dann schob er diese Vorstellung beiseite. „Es ist egal. Mädchen oder Junge, das Baby ist meins, sobald wir verheiratet sind. Einverstanden?“

Kein Problem, dachte sie, sprach es aber nicht laut aus. Das Baby war schließlich von ihm, auch wenn er etwas anderes dachte, also hatte sie keine Bedenken, die Papiere zu unterschreiben, wenn er das für nötig hielt. Eine Frage war allerdings noch ungeklärt. „Wenn wir heiraten und wollen, dass es echt wirkt, dann müssen wir zusammenwohnen.“

„Natürlich.“

„Als Mann und Frau.“

„Auf jeden Fall.“ Er ging wieder auf sie zu, ohne sie aus den Augen zu lassen.

Julia spürte, dass sich eine wohlige Hitze von ihrem Kopf bis zu den Zehenspitzen ausbreitete. Max’ Blick, der immer noch auf ihr ruhte, empfand sie wie ein Streicheln, und ihr Körper reagierte sofort darauf.

Als Max sie berührte, erwartete sie schon fast, in Flammen aufzugehen. Aber stattdessen spürte sie die Hitze, die sich von seinen Händen auf sie übertrug.

„Du wirst in meine Wohnung ziehen. In meinem Bett schlafen. Der Öffentlichkeit erzählen wir einfach, dass wir uns Hals über Kopf verliebt haben.“

„Hals über Kopf …“ Trotz aller Widrigkeiten musste Julia lächeln. „Klingt irgendwie angemessen.“

„Und wenn wir verheiratet sind“, sagte er leise, „erwarte ich, dass du mir sagst, wer der Vater des Kindes ist. Ich möchte wissen, vor wem ich mich hüten muss.“

„Max …“

Er küsste sie, und Julias Verstand setzte aus. Sie konnte nicht mehr denken, wenn sie von Gefühlen überwältigt wurde. Jede Faser ihres Körpers schien zum Leben zu erwachen und sehnte sich nach weiteren Zärtlichkeiten.

Max streichelte ihr über den Rücken und presste sie so fest an sich, dass Julia einen Moment lang glaubte, ihre Körper würden miteinander verschmelzen. Instinktiv schlang sie Max die Arme um den Nacken und zog seinen Kopf noch näher zu sich. Als er mit der Zunge zwischen ihre Lippen fuhr, seufzte sie wohlig auf.

Doch gleichzeitig überlegte sie mit dem letzten Rest Vernunft, der ihr noch zur Verfügung stand, was diese neue Situation bedeutete. Sollte sie Max heiraten? Schuf sie damit nicht noch weit mehr Probleme? Tappte sie blind in ein Szenario, das nur Unglück verhieß? Lief sie offenen Auges in ihr Unglück hinein?

Blieb ihr überhaupt eine andere Wahl?

Max beendete den Kuss, ließ sie jedoch nicht los, sondern hob nur den Kopf und schaute sie an. „Nun? Wie sieht es aus, Julia? Heiraten wir?“

Julia fühlte sich schwindelig, und ihr Körper kribbelte vor Verlangen, als sie in Max’ grüne Augen schaute. Sie sah eine unbekannte Zukunft vor sich, wusste jedoch, dass dieser Mann das Beste für sie und ihr Kind darstellte. Eigentlich wollte sie mit niemandem die Ehe eingehen, der sie einer Lüge für fähig hielt, wenn es um etwas so Wichtiges wie ein Baby ging. Aber wenn sie Max nicht heiratete und der Erpresser seine Drohung wahr machte, dann müssten sie und ihr Kind jahrelang bösartiges Gerede aushalten. Außerdem nahm sie ja keinen Fremden. Er war immerhin der Vater ihres Kindes.

Dies hier war ihre beste … und ihre einzige Möglichkeit. Also würde sie Max heiraten. Und irgendwie würde sie einen Weg finden, um ihn davon zu überzeugen, dass das Kind seins war. Während sie sich an diesen Gedanken klammerte, hörte sie sich sagen: „Ja, Max, wir heiraten.“

„Ausgezeichnet.“

Mit einem Kuss besiegelte er ihre Abmachung.

„Ein Ehevertrag? Du willst heiraten? Wieso erfahre ich erst jetzt davon?“

Max schaute über den Tisch zu seinem Anwalt und Freund Alexander Harper. Mit seiner großen Statur, dem dunklen Haar und den dunklen Augen sah Alex genau so aus, wie man sich einen vertrauenswürdigen Anwalt vorstellte.

„Es war eine ziemlich spontane Entscheidung“, gab Max zu und trank einen Schluck Scotch.

„Verdammt spontan, wenn du mich fragst“, meinte Alex und hob die Hand, um dem Kellner zu bedeuten, dass er ebenfalls einen Scotch bestellen wollte. Er und Max hatten sich zum Lunch verabredet, doch er war ein wenig zu spät gekommen. „Bist du nicht der Mann, der geschworen hat, nie wieder zu heiraten, nach dem, was mit Camille passiert ist?“

Max zuckte mit den Schultern. „Das hier ist etwas anderes.“ In wenigen Sätzen erläuterte er seinem Freund die Situation. Alex schüttelte den Kopf, und als der Kellner ihm seinen Drink brachte, dankte er ihm geistesabwesend. Er nippte an dem Scotch und stellte das Glas wieder ab, bevor er sagte: „Das ist ja ein Ding, Max! Aber Julia Prentice ist immerhin ein guter Fang.“

Das war Max durchaus bewusst. Julias Stammbaum war sogar noch besser als der von Camille. Die Prentices waren eine alteingesessene Familie, und Max wünschte sich, die Mienen von Julias Eltern sehen zu können, wenn sie ihnen mitteilte, dass sie ihn heiraten wollte. Einen Selfmademilliardär, Sohn eines LKW-Fahrers und einer Hausfrau.

Langsam ließ er den Blick durch das kleine, exklusive Restaurant schweifen, in dem nur etwa ein Dutzend Tische standen. Die Kellner mit ihren schwarzen Hosen und den gestärkten weißen Oberhemden bedienten die Gäste lautlos und effizient. Durch die dunkel getönten Fensterscheiben sah man auf die Fifth Avenue, und einen Moment lang schaute Max gedankenverloren hinaus auf die Menschenmassen, die gehetzt den Bürgersteig entlangströmten.

„Also“, sagte Alex und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Unterhaltung, „du glaubst ihr zwar nicht, dass es dein Kind ist, bist aber trotzdem bereit, sie zu heiraten.“

„Ja. Ich möchte, dass du einen Ehevertrag aufsetzt und außerdem ein Dokument, in dem bestätigt wird, dass ich der Vater des Kindes bin.“ Es war erst gut eine Stunde her, dass Julia sein Büro verlassen hatte, aber je länger Max über die Situation nachdachte, desto besser gefiel sie ihm. Er bekam eine Frau, die er unglaublich sexy fand, und er bekam endlich das Kind, das er sich sehnlichst wünschte. Aus seiner Sicht war es eine Situation, von der beide profitierten. Und zu wissen, dass die Frau, die er heiraten wollte, eine hübsche Lügnerin war, verschaffte ihm einen zusätzlichen Vorteil. „Ich möchte das unterschrieben, notariell beglaubigt … Himmel, ich will es in Stein gemeißelt haben, und zwar vor der Trauung.“

„Das ist alles machbar“, meinte Alex und bedachte seinen Freund mit einem skeptischen Blick. „Aber sag mir eins: Wieso schließt du es so kategorisch aus, dass du der Vater des Kindes bist?“

Max runzelte erneut die Stirn. „Du weißt wieso.“

„Ja, Camille hat behauptet, dass die Tests eindeutig deine Zeugungsunfähigkeit erwiesen hätten.“

Max sah ihn böse an. Alex war nie ein großer Fan von Camille gewesen und hatte damit mehr Menschenkenntnis bewiesen als Max, aber das änderte nichts an den Tatsachen. „Ich habe diese verdammten Testergebnisse gesehen.“

„Du hast gesehen, was Camille dich sehen lassen wollte.“

Es war nicht das erste Mal, dass sie diese Diskussion führten, und Max war es langsam leid. „Ich will über diese Geschichte nicht mehr reden. Das ist Vergangenheit. Ich brauche dich nur, damit du dich um die rechtlichen Einzelheiten kümmerst, okay?“

„Sicher, Max“, meinte Alex achselzuckend. „Wird erledigt. Wie schnell brauchst du es?“

„Die Hochzeit soll in zwei Wochen stattfinden.“

Alex stieß einen Pfiff aus. „Es wird nicht einfach, das so schnell hinzubekommen.“

„Na ja, mein Freund“, sagte Max mit einem selbstzufriedenen Lächeln, „das ist der Grund, warum du so viel Geld verdienst, oder? Jetzt lass uns essen. Ich treffe mich in einer Stunde mit Julia, um mit ihr zur Polizei zu gehen.“

„Sehr vernünftig“, erklärte Alex und griff nach der ledergebundenen Speisekarte. „Mit wem wollt ihr reden? Habt ihr einen Ansprechpartner?“

„Einen Detective McGray“, erwiderte Max, während er die Speisekarte studierte. „Er untersucht den Tod der Frau, die in Julias Haus gewohnt hat. Ich vermute, dass der Erpresser ebenfalls dort wohnt. Ich dachte, es ist am sinnvollsten, gleich mit dem Mann zu sprechen, der mit den Vorgängen dort betraut ist.“

Detective Arnold McGray sah müde aus.

Sein leicht ergrautes Haar war zerzaust, und unter den Augen lagen tiefe Schatten.

„Wenn ich Sie richtig verstanden habe“, fasste er zusammen und blickte auf den Block, auf dem er sich Notizen gemacht hatte, „werden Sie erpresst, haben aber keine Ahnung, wer dahinterstecken könnte?“

„Genau.“ Julia versteifte sich. Sie fühlte sich unbehaglich inmitten des Trubels der New Yorker Polizeiwache.

Um sie herum saßen überarbeitete und unterbezahlte Polizisten an ihren Schreibtischen, die übersät waren von Akten. Die Telefone klingelten fast ununterbrochen, und der Lärm war ohrenbetäubend. Ein betrunkener Obdachloser sang vor sich hin, eine Prostituierte in einem knallroten Kleid versuchte, sich mit eindeutigen Angeboten vor einer Verhaftung zu schützen, und ein bärtiger junger Mann rasselte mit den Handschellen, die ihn an einen Stuhl fesselten.

Das Ganze war so anders als alles, was Julia kannte, dass sie nicht wusste, wohin sie schauen sollte.

„Und Sie glauben, dass das etwas mit dem Tod von Marie Endicott zu tun haben könnte?“ McGray hob seine Stimme gerade so weit an, dass sie über dem allgemeinen Lärm zu hören war.

„Was?“ Julia riss sich zusammen und runzelte die Stirn. „Nein, ich meine, ich weiß es nicht. Es ist möglich, denke ich …“ Sie schaute zu Max, der neben ihr saß.

Selbst in dieser Umgebung strahlte er Stärke und Macht aus. Er wirkte weder eingeschüchtert noch verunsichert. Ganz offensichtlich war er ein Mann mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein.

Als könnte er ihre Verunsicherung spüren, nahm Max den Gesprächsfaden auf und fuhr fort: „Detective McGray, meine Verlobte und ich haben keine Ahnung, wer hinter diesem Erpressungsversuch stecken könnte. Ich hatte nur einfach das Gefühl, dass wir Ihnen davon erzählen sollten. Es ist doch sehr gut möglich, dass es mit dem anderen Fall zusammenhängt, der gerade im Haus meiner Verlobten untersucht wird, oder?“

Julia musste sich zwingen, beim Wort Verlobte nicht zusammenzuzucken. Max hatte es bereits zweimal benutzt, als wollte er ihr oder dem Detective etwas beweisen. Aber was?, überlegte Julia und fragte sich gleichzeitig, ob es wichtig war.

Sie hatte bereits zugestimmt, Max zu heiraten. Und obwohl sie einerseits Angst hatte vor dem, was sie erwartete, war sie andererseits froh, dass Max ihr einen Ausweg aus ihrem Dilemma bot. Es grenzte schon fast an Ironie, dass das Kind, das sie in sich trug, tatsächlich seins war.

„Ich weiß es zu schätzen, dass Sie mir von der Sache berichtet haben“, sagte McGray und lehnte sich auf dem ramponierten Stuhl zurück. „Offen gesagt wäre ich nicht überrascht, wenn es einen Zusammenhang gäbe.“

„Wirklich?“, fragte Julia.

„Es scheint mir unwahrscheinlich, dass innerhalb von wenigen Wochen zwei solche Dinge geschehen, ohne dass sie miteinander in Verbindung stehen. Schließlich ist in diesem Haus seit über zehn Jahren nichts passiert.“

„Genau so sehe ich das auch“, erwiderte Max und drückte kurz Julias kalte Hand.

„Okay. Fürs Erste habe ich alles, was ich brauche“, sagte der Detective und stand auf. „Ich werde mir die Sache näher ansehen, und wenn ich etwas herausfinde, melde ich mich bei Ihnen.“

Max erhob sich ebenfalls und schüttelte dem Polizisten die Hand. Dann, ehe sie sich versah, hatte Max Julia aus der Polizeiwache geleitet.

„Glaubst du wirklich, dass der Erpresser auch etwas damit zu tun hat, was Marie Endicott passiert ist?“, fragte Julia, als sie allein waren.

Er geleitete sie die Stufen hinunter zum Bürgersteig, hob eine Hand und winkte ein Taxi heran, bevor er Julia ansah. „Mein Instinkt sagt Ja. Da gibt es eine Verbindung.“

„Dann bedeutet das …“

„Wir wissen nicht, was es bedeutet“, beruhigte er sie, doch sein Blick wurde hart. „Aber es besteht die Möglichkeit, dass dein Erpresser in den Tod dieser Frau verwickelt war.“

„Oh nein!“ Julia hatte sich geweigert zu glauben, dass Marie Selbstmord begangen haben könnte. Aber der Gedanke, dass ein Mörder in der Park Avenue 721 herumlief, war noch viel beunruhigender.

Trotz der fast unerträglichen Hitze in der Stadt überlief sie ein kalter Schauder.

5. KAPITEL

Max starrte hinauf auf das Gebäude der Park Avenue 721 und legte den Kopf weit in den Nacken, um die gesamte, vierzehnstöckige Fassade in Augenschein nehmen zu können. Es war ein klassischer Bau aus den Goldenen Zwanzigern, der solide und unaufdringlich an der Ecke Park Avenue und Siebzigste Straße stand.

Die Stadt selbst war mit den Jahren gewachsen und hatte sich verändert, doch dieses alte Gebäude stand unverändert im Herzen der Stadt auf einem der teuersten Grundstücke der Vereinigten Staaten. Politiker, Berühmtheiten, Menschen aus alteingesessenen und neureichen Familien versammelten sich alle in der Upper East Side von New York. Und dies war eines der Kronjuwelen der Umgebung.

Um ihn herum pulsierte das Leben der Stadt, Menschen strömten auf dem Bürgersteig an ihm vorbei, auf der Straße wurde gehupt.

Max ignorierte all das jedoch, während er seinen Blick auf das Dach richtete und an die Frau dachte, die von dort oben in den Tod gestürzt war. Und jetzt der Erpressungsversuch. Was ging in diesem Gebäude vor sich? Er stimmte dem Polizeibeamten, mit dem sie am Vortag gesprochen hatten, zu: Es war ziemlich unwahrscheinlich, dass sich solche ungewöhnlichen Ereignisse innerhalb weniger Wochen ereigneten, ohne miteinander in Verbindung zu stehen.

Durch die Glastüren, die in die elegante Lobby des Gebäudes führten, sah Max den Portier zu seinem Tresen gehen. Entschlossen öffnete Max die Tür und trat in die ruhige Empfangshalle. Sie unterschied sich deutlich von der Lobby seines eigenen Hauses, die kühl und modern wirkte, während diese eine altmodische Eleganz ausstrahlte.

Sofort sah der Portier auf. „Guten Tag. Kann ich Ihnen helfen?“

Max ging zu dem imposanten Empfangstresen aus dunklem Mahagoniholz, ließ aber gleichzeitig den Blick durch die Halle schweifen. Dabei entdeckte er die Briefkästen der Mieter und lächelte in sich hinein. Ganz so hatte er sich die Sache gedacht: Die Briefkästen waren für den Portier gut einsehbar, und es konnte ihm kaum entgangen sein, wenn ein Fremder Julia den Erpresserbrief hineingesteckt hatte.

Statt die Frage des Mannes zu beantworten, lächelte Max flüchtig und sagte: „Sie sind Henry, richtig?“

Der Portier sah ihn überrascht an. „Ja, Sir. Henry Brown.“

„Meine Verlobte wohnt hier“, sagte Max und stellte fest, dass es immer leichter wurde, das Wort Verlobte auszusprechen. „Miss Prentice.“

Eine Sekunde lang spiegelte sich Überraschung in Henrys braunen Augen, doch dann hatte er sich wieder gefasst. „Sie wollen sie besuchen, Sir? Sie ist leider im Moment nicht zu Hause, aber ich kann ihr gern eine Nachricht übermitteln.“

Max überlegte, ob Henry ihn loswerden wollte. „Nein“, erwiderte er, „genau genommen bin ich hier, um mit Ihnen zu sprechen.“

„Mit mir?“

Max hatte im Laufe der Jahre gelernt, Menschen zu durchschauen. Das war bei Verhandlungen sehr nützlich und von unschätzbarem Wert, wenn man neue Kunden, potenzielle Geschäftspartner oder Konkurrenten traf. Und sein Instinkt sagte Max, dass Henry nervös war.

Der Portier wich seinem Blick aus und schaute sich in der Lobby um, als suche er nach Hilfe, die nicht kommen würde. Mit seiner rechten Hand umklammerte er den Rand des Tresens, und mit der linken trommelte er nervös auf einen Notizblock.

Interessant, dachte Max zufrieden. „Ja, Henry, ich möchte, dass Sie einige Tage zurückdenken.“

„Weswegen?“

„Haben Sie hier in der Lobby jemanden gesehen, der nicht hierhergehörte?“ Max legte einen Arm auf den Tresen. „Jemanden, der einen Brief in einen der Briefkästen gesteckt hat?“

Henry blinzelte, als wäre er aus dem Schatten ins Licht getreten. Einige Male öffnete und schloss er den Mund, dann schluckte er und schüttelte den Kopf. „Nein, Sir, ich habe niemanden gesehen. Und das könnte auch nicht passieren, ohne dass ich es bemerke. Ich bin immer auf dem Posten. Hier kommt niemand rein, der nicht hierhergehört.“

„Ich bin hereingekommen“, meinte Max.

Henry holte tief Luft und antwortete: „Ich meinte, dass niemand sich hier aufhalten kann, ohne erst mit mir zu sprechen. Und niemand außer dem Postboten und den Bewohnern kommt in die Nähe der Briefkästen.“

„Sind Sie sich da sicher?“

Henry hob sein schmales Kinn, schaute Max in die Augen und erklärte: „Ganz sicher.“

Auch Max war sich einer Sache sicher: dass Henry log.

Er konnte es nicht beweisen, aber er wusste es instinktiv. Und das warf die Frage auf, was hier im Haus wirklich vor sich ging. Das alte Gebäude wirkte ruhig und würdevoll. Aber unter der Oberfläche schien sich allerhand zu verbergen. Der Gedanke, dass Julia hier wohnte, behagte Max nicht. Eine Frau war bereits tot, und Julia selbst wurde erpresst.

Etwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung.

„Du bist schwanger?“

Julia zuckte zusammen, als die Stimme ihrer Mutter besonders schrill wurde. Sie hatte gewusst, dass das Treffen unangenehm zu werden versprach. Schließlich musste sie ihren Eltern nicht nur ihre Schwangerschaft, sondern auch noch die bevorstehende Hochzeit beichten.

Sie seufzte leise, als ihre Mutter von dem brokatgepolsterten Stuhl aufstand und sie von oben herab anstarrte, als hätte sie gerade ein besonders ekelerregendes Insekt gesehen. Julia wagte sich gar nicht auszudenken, wie die Szene abgelaufen wäre, wenn sie ihnen nur von der Schwangerschaft und nicht von einer Hochzeit hätte erzählen können … Die Vorstellung ließ sie erschaudern.

Vermutlich wären ihre Eltern niemals über die Schande hinweggekommen, wenn man ihre einzige Tochter als ledige Mutter hätte bezeichnen müssen. Ihr ganzes Leben lang war Julia für ihre Eltern eine Enttäuschung gewesen. Das wusste sie. Dafür hatten ihre Eltern gesorgt. Und ihr gesamtes Leben lang hatte Julia versucht, Anerkennung bei ihnen zu finden. Sie dazu zu bringen, dass sie sie liebten. Doch trotz all ihrer Anstrengungen war es ihr nicht gelungen.

Sie sah zu ihrer Mutter auf und fühlte … nichts. Keine emotionale Bindung. Weder liebevolle Gefühle noch Familienloyalität. Einfach nur … nichts. So traurig sie darüber auch war, es half Julia, ihren eigenen inneren Frieden zu finden. Es war der erste Schritt in Richtung einer eigenen Familie. Jetzt konnte sie sich ihre eigene Welt gestalten, unabhängig von den Menschen, die sie gezeugt hatten.

„Ja“, sagte Julia und lächelte ihre missbilligend blickende Mutter an. „Ich bin schwanger. Und der Vater meines Kindes und ich werden in wenigen Wochen heiraten.“

„Das ist wenigstens etwas“, murmelte ihr Vater aus seinem Sessel, von dem aus er sie böse anfunkelte. „Solange du schnell heiratest, wird niemand den wahren Grund erraten.“

Julia sah ihn an und bemerkte, dass seine buschigen grauen Augenbrauen auf eine ihr allzu vertraute Art und Weise missmutig zusammengezogen waren. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ein einziges Mal von ihrem Vater umarmt oder liebevoll gehalten worden zu sein. Kein einziges Mal hatte er ihr gesagt, dass sie hübsch sei oder dass er sie liebe. Wie merkwürdig, hier zu sitzen und die traurige Wahrheit ihres Lebens erkennen zu müssen.

Sie besaß keine Familie. Sie besaß biologische Eltern. Das war alles.

Und weil sie wusste, dass ihre Eltern niemals mit ihr zufrieden sein würden und ihr niemals die Liebe geben würden, nach der sie sich sehnte, war Julia frei. Frei, ihnen ihre Meinung zu sagen. Um ihnen das zu sagen, wovor sie sich noch vor wenigen Tagen gefürchtet hatte.

Sie straffte die Schultern und verschränkte die Finger in ihrem Schoß. „Die Leute erfahren ohnehin, dass ich ein Baby bekomme.“

„Irgendwann“, gab er mit einem Kopfschütteln zu.

„Donald, du begreifst anscheinend nicht, worum es geht“, fuhr Margaret Prentice ihn an. „Wir werden Großeltern! Du meine Güte, ich will nicht, dass die Leute mich für alt genug halten, Großmutter zu sein. Das ist eine Katastrophe.“

„Danke“, murmelte Julia.

„Rede nicht auf diese Weise mit mir, Julia“, sagte ihre Mutter und fixierte sie mit eiskaltem Blick. „Zumindest schuldest du uns Höflichkeit und Respekt.“

„Dasselbe kann ich auch erwarten.“

Margaret lachte schrill. „Respekt? Du erwartest von uns, dass wir dich respektieren, obwohl du dumm genug warst, schwanger zu werden? Das ist ja wohl eindeutig zu viel verlangt.“

„Ein Baby zu bekommen ist doch nicht dumm“, widersprach Julia.

„Du bist noch nicht einmal verheiratet“, bemängelte ihr Vater.

„Das werde ich aber bald sein“, entgegnete sie und spürte, dass in ihr ein Feuer zu lodern begann. Seit Jahren hatte sie, wenn sie Diskussionen wie diese hier geführt hatten, den Mund gehalten und das getan, was man von ihr erwartete. Aber damit war jetzt Schluss. Das schuldete sie ihrem Kind. Das schuldete sie sich selbst.

„Wie konntest du mir das antun?“ Margarets Stimme überschlug sich fast.

„Ich habe dir gar nichts angetan, Mutter …“

„Keine meiner Freundinnen ist Großmutter“, schimpfte ihre Mutter wütend. „Wie sieht das denn aus? Wie soll ich meinen Freundinnen ins Gesicht sehen?“ Sie verschränkte ihre zu dünnen Arme vor der schmalen Brust, aber nicht so fest, dass womöglich ihre cremefarbene Seidenbluse zerknittern könnte. Margarets elegant frisierten Haare waren kurz geschnitten und wurden alle vier Wochen honigblond getönt. Ihre Maniküre war perfekt, ihr Make-up fachmännisch aufgetragen, und ihr faltenloses Gesicht verdankte sie den besten Schönheitschirurgen der Stadt.

„Mutter …“

„Sprich mich nicht an.“

„Wenn wir die Trauung schnell und still über die Bühne bringen“, überlegte Donald Prentice vor sich hin, „ist es vielleicht möglich …“

„Was?“ Wie eine Furie ging Margaret auf ihren Ehemann los. „Dass niemand bemerkt, wenn Julias Bauch dick wird? Die Leute werden es merken, da kannst du sicher sein. Und meine Freundinnen werden mich niemals vergessen lassen, dass ich Großmutter bin. Oh, es ist schrecklich!“

Es kam Julia vor, als wäre sie gar nicht anwesend. Ihre Eltern sprachen über sie, als wäre sie gar nicht ihre Tochter, sondern irgendeine entfernte Verwandte, die vollkommen überzogene Ansprüche an sie stellte.

Das war für Julia nichts Neues. Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt, nichts weiter als ein Ärgernis für die Menschen zu sein, die sie eigentlich am meisten lieben sollten. Eine Reihe von Kindermädchen waren in Julias Kindheit die Einzigen gewesen, von denen sie Zuneigung erfahren hatte. Als sie herangewachsen war, musste Julia erkennen, dass sich ihre Eltern eigentlich niemals Kinder gewünscht hatten.

Mit fünfzehn hatte Julia zufällig gehört, wie ihre Mutter einer Freundin erzählte, dass sie aus Versehen schwanger geworden und furchtbar entsetzt darüber gewesen war. Keine schöne Erfahrung für einen Teenager.

Julia schaute sich in dem Wohnzimmer ihres Elternhauses um und erkannte, dass sie sich hier niemals wohlgefühlt hatte. Kein einziges Mal hatte sie das Gefühl gehabt hierherzugehören.

Und das war noch immer so. Die Wände waren strahlend weiß gestrichen, und nur ein paar abstrakte Gemälde sorgten in dem kalten Raum für ein paar Farbtupfer. Der Boden war weiß gefliest, und die Sessel und Sofas in sorgfältig abgestimmten Beigetönen sahen zwar repräsentativ aus, waren aber entsetzlich unbequem. Selbst die Luft in dem Haus wirkte verbraucht und benahm Julia den Atem.

Margaret rieb sich über die Schläfen und funkelte Julia böse an. „Wer, wenn ich fragen darf, ist denn der Vater dieses unglücklichen Kindes?“

Julia rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und legte eine Hand auf ihren noch flachen Bauch, als könnte sie so ihr Kind vor den unfreundlichen Äußerungen seiner Großeltern schützen. „Sein Name ist Max. Max Rolland.“

Margaret hätte sicher die Stirn gerunzelt, wenn ihre viel zu straff geliftete Haut das zugelassen hätte. „Rolland. Hm. Nein, ich glaube, ich kenne keine Rollands. Donald?“

Julia wartete ab. Sie wusste genau, dass diese Neuigkeit die Empörung ihrer Eltern auf die Spitze treiben würde. Wenn sie erfuhren, dass ihr einziges Kind vorhatte, einen Mann ohne Stammbaum zu heiraten, würden sie bestimmt an die Decke gehen.

Merkwürdigerweise brannte Julia fast darauf, diese Reaktion mitzuerleben. „Max Rolland …“ Ihr Vater wiederholte den Namen nachdenklich.

„Wer sind seine Eltern?“, wollte Margaret wissen.

„Sie sind verstorben“, erzählte Julia.

„Ich habe nicht gefragt, wo sie sind“, fuhr Margaret sie an. „Ich fragte, wer sie sind.“

„Ich kenne den Namen Rolland“, meinte ihr Vater. „Ich kann ihn nur im Moment nicht unterbringen.“

„Max kommt aus einem Vorort von New York“, erklärte Julia. Dann atmete sie noch einmal tief durch und ergänzte lächelnd: „Sein Vater war, glaube ich, Lastwagenfahrer und seine Mutter Hausfrau.“

Margaret presste eine Hand auf den Busen und taumelte rückwärts, als hätte jemand ihr einen Dolch ins Herz gestoßen.

„Rolland!“, rief Donald Prentice und schlug mit der Faust auf die Armlehne des Sessels. „Daher kannte ich den Namen. Dieser Emporkömmling aus der Wall Street. Er hat sich zwar einen Namen gemacht, aber …“

„Ein Lastwagenfahrer?“ Margaret stöhnte leise, ließ sich auf einen Stuhl fallen und bedeckte ihre Augen mit der Hand. „Du lieber Himmel, wie konnte das passieren?“

Julia schenkte dem theatralischen Auftritt ihrer Mutter keine Beachtung. „Max ist sehr erfolgreich“, sagte sie. „Er ist ein … anständiger Mann.“ Das ist vielleicht etwas übertrieben, dachte sie. Andererseits hatte er mit seinem Antrag seine Anständigkeit bewiesen. Ob er es genauso sah oder nicht, wäre er ein anderer Mann, hätte er sie einfach ihrem Schicksal überlassen.

„Eine Hausfrau?“ Margaret flüsterte das Wort, als hätte sie Angst, jemand anderes könnte es hören.

„Die Leute sagen, er sei kalt und rücksichtslos“, warf Donald ein, obwohl seine Frau ihm nicht zuhörte und Julia es nicht hören wollte. „Hätte er den richtigen Namen, dann wäre er ein Mann, mit dem man rechnen muss.“

„Er kommt auch ohne einen ‚Namen‘ gut zurecht“, widersprach Julia.

„Zweifellos“, meinte Donald grimmig. „Aber einem Mann wie ihm sind Grenzen gesetzt.“

„Weil sein Blut nicht blau ist?“ Julia stand auf und sah nacheinander ihre Eltern an. „Das ist lächerlich. Max Rolland ist ein anständiger, fleißiger Mann, der sich sein Vermögen erarbeitet hat, statt es zu erben.“

„Genau“, meinte Donald kopfschüttelnd.

Sonnenschein strömte durch die Fenster auf die weißen Wände und den weißen Boden, bis Julias Augen schon fast schmerzten von dem kalten, unangenehmen Strahlen. Warum hatte sie solche Angst davor gehabt, ihren Eltern von dem Baby zu erzählen? Warum hatte sie sich davor gefürchtet, damit das hauchdünne Band zu durchtrennen, das sie noch an ihre Familie band?

Die Wahrheit war doch, sie hatte niemals eine Familie gehabt, die den Namen verdiente. Sie war immer allein gewesen.

Jedenfalls bis jetzt.

Jetzt hatte sie ihr Baby.

Und sie hatte Max.

„Das kann nicht dein Ernst sein, dass du diesen Menschen heiraten willst.“ Ihre Mutter formulierte diesen Satz nicht als Frage.

„Mit jeder Sekunde wird es mir ernster“, versicherte Julia ihr, nahm ihre Handtasche und schlang sich den dünnen Lederriemen über die Schulter.

„Julia, tu nichts, was du später bereuen wirst“, warnte ihr Vater sie.

„Das habe ich bereits getan, Vater“, erklärte Julia und drehte sich um, um zu gehen. „Ich bin hierher gekommen und hatte gehofft, Unterstützung zu finden. Ich weiß nicht warum. Ich weiß aber, dass dieser Besuch definitiv etwas ist, was ich bereue.“

Mit schnellen Schritten durchquerte sie das Zimmer und ging die Treppen hinunter, wo eine Hausangestellte darauf wartete, ihr die Tür zu öffnen. Julia kam gerade an der untersten Stufe an, als sie hörte, wie ihre Mutter mit schneidender Stimme ihren Namen rief.

Margaret Prentice stand oben auf dem Treppenabsatz und sah so kühl und unnahbar wie eine Königin aus.

„Was ist, Mutter?“

„Glaube ja nicht, junge Dame, dass dein Vater und ich deine Ehe mit diesem Mann anerkennen werden. Wenn du ihn heiratest, dann kehrst du deiner Familie den Rücken.“

Vor Angst verkrampfte sich Julias Magen, doch dann holte sie einmal tief Luft, und der Knoten löste sich auf. Wie merkwürdig, dachte sie, dass ich in einem Moment, da mein Leben in höchster Aufruhr ist, solch einen unglaublichen Frieden empfinden kann.

„Ich verstehe, Mutter. Lebe wohl.“

Die Tür schlug hinter ihr zu.

Am folgenden Tag war Julia viel zu beschäftigt, um an ihre Eltern zu denken. Immerhin musste sie eine Hochzeit vorbereiten und einen Umzug organisieren.

„Es wird bestimmt fantastisch“, rief Amanda, während sie und Julia es sich in einer Nische des Park Cafés gemütlich machten. Sie griff in ihre Aktentasche und zog einen prallen Terminkalender heraus. Nachdem sie kurz ihre Notizen überflogen hatte, meinte sie: „Ich weiß, dass Max eine schnelle Hochzeit will, aber das bedeutet ja nicht, dass sie nicht fabelhaft werden kann. Ich kann dir einige Caterer empfehlen, und ich möchte, dass du dir ein paar Arbeitsproben der Floristin anschaust, mit der ich zusammenarbeite.“

Julia hatte sich in ihre eigenen Notizen vertieft, und die hatten nichts mit der bevorstehenden Hochzeit zu tun. Sie war dabei, eine Wohltätigkeitsveranstaltung für ein Obdachlosenheim in Manhattan zu organisieren, und es gab noch einige Dinge, um die sie sich kümmern musste. „Warum suchst du nicht den Caterer aus, Amanda? Ich habe in letzter Zeit nicht mal genügend Appetit, um auch nur an Essen zu denken.“

Ihre Freundin sah sie besorgt an, griff nach ihrem Latte macchiato und trank einen Schluck. Sie musterte Julia so lange, bis diese unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rutschte.

„Seit du bei deinen Eltern warst, geht es dir nicht gut“, stellte Amanda fest.

„Kannst du es mir verdenken?“ Julia zwang sich zu einem Lächeln und redete sich ein, dass ihr Unbehagen bald verschwinden würde. Und dann würde es ihr großartig gehen. Sie hatte schließlich ihre Arbeit, sie hatte ihr Baby, und bald hatte sie sogar einen Ehemann – samt Ehevertrag, Babyvertrag und einer gehörigen Portion Misstrauen.

„Nein“, sagte Amanda, „man kann es dir nicht verdenken. Ich will nur sagen, dass die Hochzeit kurz bevorsteht und du dich vielleicht doch ein wenig darum kümmern solltest.“

Julia schloss ihren Notizblock, seufzte und lehnte sich zurück. Das Café war jetzt um die Mittagszeit überfüllt und der Lärmpegel so hoch, dass Julia sich traute, von ihren wirklichen Sorgen zu sprechen. „Es ist weder die Hochzeit noch sind es meine Eltern“, erklärte sie und beugte sich ein wenig näher zu ihrer Freundin. „Die Tatsache, dass ich in ein paar Tagen zu Max ziehe, macht mir Sorgen.“

Amanda lachte. „Kleines, du willst ihn heiraten!“

„Ich weiß, ich weiß.“ Julia verzog das Gesicht und wusste, dass sie albern klang. „Aber mit ihm zusammenzuleben ist so …“

„Aufregend?“

„Ich wollte eigentlich sagen, dass es mich nervös macht.“

„Warum?“

„Wegen der Art und Weise, wie wir heiraten“, gab sie zu. „Und weil er mir immer noch nicht glaubt, dass es sein Kind ist.“

„Na ja, er ist ein Idiot. Das haben wir doch schon festgestellt.“ Amanda wendete sich wieder ihren Listen zu.

„Ich weiß, aber wie soll ich ihn davon überzeugen, dass er der Vater ist?“

„Das kannst du vielleicht erst, wenn das Baby geboren ist. Dann lässt du einfach einen Vaterschaftstest machen.“

„Also habe ich sieben Monate lang einen Mann, der glaubt, dass ich eine Lügnerin bin.“

Amanda schloss ihren Terminplaner, nahm den Kaffeebecher und sah Julia an. „Du weißt, dass ich immer zu dir stehe, egal was passiert, oder?“

„Natürlich.“

Sie lächelte. „Und du weißt, dass ich mich total freue, weil du mir die Wohnung überlassen willst, wenn du mit Max zusammenziehst und …“

„Ich weiß.“

Amanda beugte sich vor, um Julias Hand zu streicheln. „Aber wenn du dir wirklich so ernsthafte Sorgen machst, dann tu es nicht.“

„Was?“ Julia blickte sich im Café um, als jemand übermäßig laut lachte. Dann schaute sie Amanda wieder an. „Ich muss es tun.“

„Nein, das musst du nicht. Das Schlimmste hast du bereits überstanden. Du hast es deinen Eltern erzählt.“

„Und was ist mit der Erpressung?“ Langsam schüttelte Julia den Kopf, auch wenn sie dankbar für Amandas Worte war. Nach dem schrecklichen Nachmittag mit ihren Eltern war Julia umso glücklicher, dass Amanda uneingeschränkt zu ihr stand. Aber die schlichte Wahrheit war, dass sie Max heiraten musste. Sonst würde sie ihr Kind bösartigem Gerede aussetzen. Und das durfte sie nicht zulassen. „Ich weiß das zu schätzen, Amanda“, sagte sie. „Aber ich muss Max heiraten.“

„Aus den falschen Gründen zu heiraten ist keine gute Idee“, meinte Amanda leise.

„Normalerweise ist es gar keine gute Idee zu heiraten, aus was für Gründen auch immer“, ertönte eine tiefe Stimme hinter Julia. Sie fuhr herum und sah zu dem Mann auf, der neben ihr stand.

„Oh. Hallo, Max.“

6. KAPITEL

„Okay“, sagte Amanda und stand auf. „Das ist mein Stichwort. Ich verschwinde.“

„Meinetwegen musst du nicht gehen“, antwortete Max und ließ sich neben Julia nieder.

„Nein, es ist schon okay. Ich muss ohnehin noch ein paar Anrufe erledigen“, entgegnete Amanda und sah dann zu Julia. „Wir reden dann später zu Hause weiter, in Ordnung?“

„Natürlich, bis später.“ Julia schaute der Freundin hinterher, bevor sie sich zu Max wandte, der sie eingehend musterte.

„Versucht deine Freundin, dir das Ganze auszureden?“

„Sie macht sich Sorgen um mich.“

„Muss sie das?“ Max strich ihr mit den Fingerspitzen über den Unterarm, und durch den dünnen Leinenstoff ihrer Bluse fühlte Julia die Hitze, die sich in ihrem gesamten Körper auszubreiten begann.

„Gute Frage“, meinte sie und rückte ein kleines Stück von Max weg. Wie sollte sie klar denken, wenn er sie berührte?

„Gibt es eine Antwort?“ Er lehnte sich zurück, sodass das maßgeschneiderte Oberhemd unter seinem Jackett sichtbar wurde. Julia wusste genau, dass sich darunter ein durchtrainierter, muskulöser Körper verbarg.

Sie hob den Blick und schaute Max in die Augen. „Ich weiß es nicht, Max. Amanda ist meine Freundin. Sie möchte mir gern helfen und wollte mich wissen lassen, dass sie zu mir steht, egal, was passiert.“

„Sie weiß, was los ist?“, fragte er. „Weiß sie von dem Baby und der Erpressung?“

„Ja.“ Julia schaute sich verstohlen im Café um, um festzustellen, ob sie von jemandem beobachtet oder belauscht wurden. Sie wusste, dass derjenige, der hinter der Erpressung steckte, sie und Max eigentlich nur hier über das Baby hatte sprechen hören können. Doch im nächsten Moment verdrängte sie ihre Sorge. Die Erpressung war bereits geschehen. Was konnte diese Person ihr sonst schon antun? „Ich habe Amanda alles erzählt.“

„Kennt sie auch den Namen des Vaters?“

„Max …“ Ärger machte sich in ihr breit, und Julia musste den Impuls unterdrücken, Max gegen das Schienbein zu treten. Es war unglaublich. Sie hatte sich ihr Leben lang an die Regeln gehalten und sich den Zwängen des gesellschaftlichen Lebens angepasst. Niemals war sie aus der Reihe getanzt, sondern hatte immer das getan, was man von ihr erwartete.

Und kaum hatte sie Max getroffen, hatte sie all das über Bord geworfen. Nicht nur, dass sie sofort mit ihm geschlafen hatte, nein, sie war auch noch schwanger geworden. Man erpresste sie, und sie wollte tatsächlich einen Mann heiraten, den sie kaum kannte. Er war zwar der Vater ihres Kindes, doch es gelang ihr nicht, ihn davon zu überzeugen. Und jetzt wollte die gut erzogene, stets diskrete Julia Prentice diesen Mann am liebsten treten und in aller Öffentlichkeit anschreien, und das Einzige, was sie davon abhielt, war der letzte Rest von Selbstbeherrschung, der ihr noch geblieben war.

„Wow“, murmelte Max und konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen. „Du hast gerade ein ernstes Selbstgespräch geführt, was?“

„Wie bitte?“

Er setzte sich auf und schaute ihr in die Augen. „Dein Gesichtsausdruck. Er ist ziemlich leicht zu deuten. Du kannst Geheimnisse nicht gut für dich behalten.“

„Stimmt“, erwiderte sie, beunruhigt darüber, wie leicht er sie durchschaute. Andererseits ist es gleichgültig, redete sie sich ein. Max glaubte ja nicht an das, was er sah. „Ich bin keine gute Lügnerin, Max. Deshalb lüge ich auch nicht.“

„Ach ja?“ Max hätte ihr gern geglaubt, aber wie sollte er das? Diese großen blauen Augen schienen direkt in sein Inneres zu schauen, und er fragte sich, was Julia dort sah. Offensichtlich mehr, als er vermutete, sonst wäre sie nicht zu ihm gekommen, um seine Hilfe zu erbitten, als ihre Welt aus den Fugen geraten war.

Er schaute sich im Café um und vergewisserte sich ebenfalls, dass niemand ihnen die geringste Aufmerksamkeit schenkte, bevor er das Thema wechselte. „Du warst gestern bei deinen Eltern, oder?“

Sie zuckte fast unmerklich zusammen, und Max ahnte, dass die älteren Prentices nicht gerade glücklich über die Neuigkeiten gewesen waren, die ihre Tochter ihnen berichtet hatte.

„Ja.“

„Hast du ihnen von dem Baby erzählt?“

„Ja.“ Sie zog den Saum ihres hellblauen Rockes über die Knie und überkreuzte wohlerzogen die Füße. Brav wie eine Nonne faltete sie die Hände im Schoß. „Sie waren … nicht begeistert.“

Er lachte auf. „Ich vermute, dass das eine maßlose Untertreibung ist.“

Erneut zuckte sie zusammen. „Ja.“

Sie brauchte ihm gar nicht mehr von der Unterredung erzählen. Max hatte Mr. und Mrs. Prentice einmal auf einer Veranstaltung getroffen und festgestellt, dass sie sich nicht gerade durch übermäßige Herzlichkeit auszeichneten. Genau genommen fand er es mehr als erstaunlich, dass eine so warmherzige und leidenschaftliche Frau wie Julia von Menschen abstammen konnte, die von Natur aus so kalt waren.

Ein merkwürdiger Beschützerinstinkt überkam ihn. Am liebsten wäre er zu ihren Eltern marschiert, um ihnen zu sagen, was er von Menschen hielt, die nicht einmal ihr eigenes Kind unterstützen wollten.

„Meine Mutter ist entsetzt von der Vorstellung, dass man sie jetzt als Großmutter bezeichnen kann“, erläuterte Julia.

„Ihr Pech“, meinte Max grimmig und wurde mit einem Funkeln in Julias Augen belohnt. „Meine Mutter wäre im siebten Himmel gewesen.“

„Wirklich?“

Max lächelte. Er dachte nicht oft an seine Eltern, weil er sie dann umso mehr vermisste. Aber jetzt ließ er zu, dass das Bild seiner lächelnden Mutter vor seinem inneren Auge Gestalt annahm. „Oh ja. Sie hat mich ständig bedrängt, ich solle sie zur Großmutter machen. Sie hätte sich sehr darüber gefreut.“

Julia lächelte ein wenig traurig. „Es tut mir leid, dass sie nicht mehr miterleben kann, dass du Vater wirst.“

Sofort ging Max wieder in Abwehrhaltung. „Wir wissen doch beide, dass das nicht wahr ist, oder?“

„Max, bitte, glaub mir“, erwiderte sie und streckte eine Hand nach ihm aus. Sie schloss die Finger um seine, und von dieser Berührung schien eine ungeheure Wärme auszugehen. Weil dieses Gefühl so stark war, versuchte Max, es zu unterdrücken und sich davon nicht beeinflussen zu lassen. Stattdessen drückte er kurz Julias Hand und zog seine eigene dann zurück. „Was haben deine Eltern zu der Heirat gesagt?“

Sie seufzte und begriff, dass er das Thema wechseln wollte. „Na ja, die Nachricht ist eingeschlagen wie eine Bombe und hat sie von dem Baby abgelenkt.“

Dieses Mal lachte Max so laut, dass etliche Gäste die Köpfe nach ihnen umdrehten. Max ignorierte das und beugte sich weiter zu Julia. „Nicht unbedingt überraschend, oder? Die Tatsache, dass ich den kompletten Besitz deines Vaters dreimal aufkaufen könnte, macht wohl meinen fehlenden Stammbaum nicht wett.“

„Für sie nicht, nein.“

„Und wie ist es mit dir? Macht es dir etwas aus?“ Max beobachtete sie. Er würde erkennen, wenn sie log, und plötzlich wollte er wirklich wissen, was Julia dachte. Er wusste zwar, dass sie ihn nur heiraten wollte, weil ihr keine andere Wahl blieb. Aber er wollte wissen, was sie von ihm hielt. Was sie wirklich empfand.

„Natürlich nicht“, erwiderte sie prompt, und instinktiv war Max klar, dass sie die Wahrheit sagte. Ihre Augen funkelten wütend, als sie ihn musterte. „Hältst du mich für so oberflächlich? Komme ich dir wirklich wie jemand vor, der sich mehr für die Herkunft eines Menschen interessiert als für den Menschen selbst?“

Er musterte sie einen Moment lang eingehend und bemerkte die leicht geröteten Wangen und das kampfbereite Glitzern in ihren Augen. „Nein“, sagte er schließlich mit leiser Stimme, „so kommst du mir nicht vor.“

„Nun, das ist ja immerhin etwas“, murmelte Julia. „Du hältst mich noch immer für eine Lügnerin, aber zumindest hältst du mich nicht für eine hochnäsige Lügnerin.“

Max lachte leise. „Siehst du? Wir kommen doch schon großartig miteinander aus.“

Stirnrunzelnd sah Julia ihn an.

„Sie haben es dir wirklich schwer gemacht, oder?“, fragte er, und sein Lächeln schwand.

„Nicht mehr als erwartet.“

„Es tut mir leid“, meinte er und reagierte damit auf den traurigen Ausdruck in ihrer Miene.

„Wirklich?“

„Natürlich. Mir täte jeder leid, der mit diesen beiden Eisbären aufwachsen musste.“

Julia versteifte sich ein wenig, und Max bewunderte ihre instinktive Verteidigungshaltung. Obwohl sie und ihre Eltern sich nicht nahestanden, war klar: Sie würde nicht zulassen, dass jemand anderes schlecht über sie sprach.

„Sie sind keine schlechten Menschen“, erklärte sie, und er fragte sich, ob sie ihn oder sich selbst überzeugen wollte. „Sie hätten einfach nur niemals Nachwuchs in die Welt setzen sollen.“

Wieder musterte er sie einen Moment lang. „Ich bin froh, dass sie eine Tochter bekommen haben.“

„Ach ja?“ Sie schüttelte den Kopf und lächelte gequält. „Warum bist du froh? Du willst eine Frau heiraten, die du nicht liebst, und hast eingewilligt, Vater für ein Kind zu sein, von dem du nicht glaubst, dass du es gezeugt hast.“

„Ich heirate meine Liebhaberin“, erwiderte er mit leiser Stimme, sodass nur Julia ihn hören konnte. „Eine Frau, die mit einem Blick dafür sorgt, dass mein Körper in Flammen steht. Und ich bekomme den Erben, den ich mir wünsche. Wir haben also beide einen Vorteil davon.“

„Ich verstehe dich nicht.“ Julia legte den Kopf auf die Seite, als versuchte sie, Max so genauer zu sehen. „Du nimmst das alles so leicht.“

„Nein, das stimmt nicht“, versicherte Max ihr und beugte sich noch weiter vor, bis sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte. „Glaub mir, mir ist es sehr, sehr ernst damit.“

„Was ist, wenn wir unglücklich miteinander werden?“

„Das passiert einfach nicht.“

„Woher willst du das wissen?“

„Ich werde dich einfach so oft wie möglich ins Bett locken. Wir haben ja schon bewiesen, dass wir dort sehr gut miteinander auskommen.“

„Zu einer Ehe gehört mehr als nur Sex.“

„Stimmt“, räumte er ein. „Dazu gehören auch Kinder. Aber darum haben wir uns ja auch schon gekümmert.“

„Max …“

„Hör auf, es dir schwerer als nötig zu machen“, erklärte Max entschlossen. Er würde nicht zulassen, dass sie ihre Meinung änderte. Er wollte nicht, dass sie sich so nervös machte, dass sie irgendwann in Panik geriet und die ganze Sache rückgängig machte.

Er war mit offenen Augen in die Angelegenheit hineingegangen, wohl wissend, dass er ihr und auch sich damit einen Gefallen tat. Jetzt, da sie sich geeinigt hatten, konnte Max sogar zugeben, dass er sich auf diese Ehe mit Julia freute. Er wollte sie bei sich wohnen haben, wollte mit ihr das Bett teilen. Und er würde sie aus ihrer Vereinbarung nicht herauslassen.

„Das tue ich doch gar nicht“, widersprach sie. „Ich frage mich nur, ob wir wirklich das Richtige tun.“

„Hast du das Geld für den Erpresser?“

„Nein.“

„Möchtest du deinen Eltern sagen müssen, dass die Hochzeit geplatzt ist, du das Baby aber bekommen wirst?“

„Nein“, meinte sie und sank zurück auf das Sofa.

„Dann tun wir das Richtige.“

„Ja, aber ist das einzig Mögliche auch tatsächlich das Richtige?“

„Du denkst zu viel“, behauptete er. „Die Entscheidung ist gefallen.“

Sie schaute ihn an, und ihre Miene war noch leichter zu deuten als sonst. Sturheit und Resignation. Das war gut. Zumindest akzeptierte sie, dass die Trauung stattfinden würde.

„Pass auf“, meinte Max abrupt. „Ich war gerade auf dem Weg zu einem Geschäftstermin. Als ich vorbeikam, habe ich dich mit Amanda hier sitzen sehen. Ich bin nur reingekommen, um dir schnell etwas zu sagen.“ Er würde sie nicht wissen lassen, dass es eine sehr spontane Entscheidung gewesen war. Dass ihr Anblick ihn so erregt hatte, dass er der Versuchung nicht hatte widerstehen können, zu ihr zu gehen.

„Was denn?“

„Mein Anwalt sagt, dass er die Papiere morgen früh für uns zur Unterschrift fertig vorliegen hat.“

„So schnell?“ Sie sah ein wenig nervös aus, und darüber war Max insgeheim froh. Es verriet ihm, dass sie keine kalte, kalkulierende Frau war – als müsste er davon noch überzeugt werden. Sie mochte ihn vielleicht anlügen, aber er wollte wetten, dass sie all das hier nicht absichtlich in Gang gesetzt hatte.

„Ich hole dich um neun Uhr ab. Wir können uns um den Papierkram kümmern und sind dann fertig, bevor die Umzugsfirma bei dir ist.“

„Ich habe noch gar keine Umzugsfirma beauftragt.“

„Ich aber“, erwiderte Max. „Sie sind morgen Vormittag um elf bei dir.“

„Morgen?“ Julia starrte ihn an. „Das ist viel zu früh. Ich bin noch nicht so weit, und außerdem, meinst du nicht, dass ich das allein regeln kann? Es ist wirklich nicht nötig, dass du mir alles …“

Er beugte sich vor und brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen. „Du brauchst mir nicht zu danken“, meinte er dann und zwinkerte ihr zu. Sie sollte ruhig wissen, dass ihm ihr Ärger wohl bewusst war.

„Max …“

„Ich muss jetzt zu meiner Besprechung. Wir sehen uns morgen früh.“ Er stand auf und verließ das Café, ohne sich noch einmal umzuschauen. Das brauchte er auch nicht. Er spürte auch so, dass sich Julias Blicke in seinen Rücken bohrten.

Ungeduldig tippte Julia mit der Schuhspitze auf den kalten Marmorfußboden in der Lobby, während sie auf den Fahrstuhl wartete, der sie zu ihrem Apartment bringen sollte. Noch immer war sie wütend über Max’ selbstherrliches Gebaren.

„Ich kann für mich selbst sorgen“, murmelte sie grimmig. „Das tue ich schließlich seit Jahren, vielen Dank.“

Plötzlich zuckte sie zusammen und blickte über die Schulter, um sicherzugehen, dass der Portier sie nicht gehört hatte. Aber Henry beachtete sie gar nicht, sondern telefonierte. Gut. Sie brauchte nicht noch einen Mann, der seine Nase in ihre Angelegenheiten steckte.

Ehrlich, glaubte Max tatsächlich, er könnte ihr Leben so umkrempeln, wie es ihm gefiel? Wenn das so war, dann stünde diese zeitweilige Ehe von vornherein unter keinem guten Stern. Sie blickte auf die altmodische Anzeige über der Fahrstuhltür und sah, dass der Lift nach oben und nicht nach unten fuhr. Offensichtlich hatte jemand aus einem der Penthouses ihn gerufen.

Seufzend drehte Julia sich um und ging durch die Lobby zu den Briefkästen. Während sie wartete, konnte sie genauso gut noch schnell ihre Post holen.

„Miss Prentice!“, rief Henry.

Julia öffnete den Briefkasten, nahm einige Umschläge heraus und verschloss ihn wieder, bevor sie sich umdrehte. „Ja?“

Henry kam auf sie zu. „Ich wollte Ihnen noch sagen … wie ich auch schon Ihrem Verlobten gesagt habe …“

Verlobter, dachte Julia und fragte sich, ob sie sich wohl an den Klang des Wortes gewöhnt haben würde, bevor sie sich an das Wort Ehemann gewöhnen musste.

„Max? Sie haben mit Max Rolland gesprochen?“

„Ja, Ma’am“, erwiderte Henry und nickte hektisch. Seine Nervosität war nichts Neues. Die Hausbewohner schienen ihn stets einzuschüchtern. „Er hat gefragt, ob ich einen Unbekannten bei den Briefkästen gesehen hätte. Aber ich habe niemanden bemerkt.“

Julia schaute zu den Briefkästen und umklammerte die Post in ihrer Hand. Max hatte daran gedacht, Henry auszufragen. Das hätte ihr ja auch selbst einfallen können. Allerdings konnte sie zu ihrer eigenen Verteidigung sagen, dass der Erpresserbrief sie zu sehr aufgewühlt hatte. Nur deshalb war sie nicht dazu gekommen, sich hinzusetzen und vernünftig darüber nachzudenken. Trotzdem, jetzt da der Gedanke sich in ihr festsetzte …

„Sind Sie sicher, Henry?“, fragte sie und schaute ihm forschend in die Augen, bis er den Blick abwandte. „Es wäre nicht schwer, schnell einen Umschlag in einen der Briefkästen zu stecken.“

Er hob die Schultern. Als in diesem Moment das Telefon klingelte, zuckte er zusammen. „Natürlich bin ich mir sicher. Es ist mein Job, hier in dieser Lobby aufzupassen.“

„Ja“, begann Julia, doch Henry war bereits auf dem Weg zum Telefon. Er wirkte dabei wie ein Ertrinkender, der nach einer Rettungsleine greift. „Aber …“

„Park Avenue 721“, meldete Henry sich und schnitt ihr das Wort ab, um sich völlig dem Anrufer zu widmen.

Er kehrte ihr den Rücken zu, und es war für Julia offensichtlich, dass er den Telefonhörer erst wieder auflegen würde, wenn sie im Fahrstuhl verschwunden war. Aus unerfindlichen Gründen wollte Henry nicht mit ihr über das sprechen, was vorgefallen war. Das bedeutete natürlich nicht zwangsläufig, dass er sich etwas hatte zuschulden kommen lassen. Es machte nur einmal mehr deutlich, was für ein nervöser Mensch der arme Kerl war. Allerdings schürte es auch den winzigen Funken eines Verdachts, den Max in ihr geweckt hatte.

Kopfschüttelnd ging Julia wieder zu den Fahrstühlen. Als sie davor stand, ertönte die Glocke, und die Türen glitten auf. Elizabeth Wellington trat heraus und blieb abrupt stehen.

„Julia“, sagte sie und brachte ein Lächeln zustande, das jedoch die Grübchen in ihren Wangen nicht erreichte.

Sofort verspürte Julia Mitleid mit ihrer Freundin. Bis vor ungefähr einem Jahr war Elizabeth glücklich und lebhaft gewesen. Jetzt blickten ihre grünen Augen traurig, und ihr rotes Haar war zerzaust, als hätte sie es nachlässig mit den Fingern gekämmt.

„Neuigkeiten verbreiten sich schnell hier im Haus“, sagte Elizabeth und schenkte Julia ein weiteres schwaches Lächeln. „Wie ich hörte, kann man dir gratulieren. Sowohl zu deiner Verlobung als auch zu deinem Baby.“

Julia zuckte fast zusammen. Jetzt verspürte sie nicht nur Mitleid, sondern bekam fast ein schlechtes Gewissen. Sie hatte sich wegen ihrer ungeplanten Schwangerschaft solche Sorgen gemacht, während es der armen Elizabeth schlecht ging, weil sie kein Kind bekommen konnte.

„Danke.“ Sie vermutete, dass es Elizabeth einiges kostete, sich für jemand anderen zu freuen, obwohl sie selbst sich so sehnlichst ein eigenes Kind wünschte. Sie streckte die Arme aus und umarmte ihre Freundin. Als Elizabeth sie kurz an sich drückte, biss Julia sich auf die Lippen.

„Du bist sicherlich schrecklich aufgeregt“, meinte Elizabeth und bemühte sich um aufrichtige Freude.

„Das bin ich, ja“, sagte Julia und wünschte, sie könnte etwas sagen oder etwas tun, um die Angelegenheit für Elizabeth weniger schmerzhaft zu machen. „Und ein wenig überwältigt. Es geht alles so schnell.“

Die hübsche Rothaarige lächelte noch einmal ein wenig wehmütig und straffte dann die Schultern. „Genieß es, Julia. Ehrlich. Genieße jede einzelne Minute.“

Erneut verspürte Julia nichts als Mitgefühl, und sie wünschte, sie könnte ihrer Freundin helfen. Es gab jedoch Dinge, die ließen sich nicht mit einer Umarmung oder mit guten Wünschen aus der Welt schaffen. „Elizabeth … hast du Lust, auf einen Tee mit hinaufzukommen?“

„Nein. Nein, danke.“ Elizabeth hob das Kinn und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich muss mich beeilen. Ich bin mit einer Freundin zum Essen verabredet und möchte sie nicht warten lassen.“

„Aber sicher“, sagte Julia. Offenbar versuchte Elizabeth, schnell wegzukommen. Und wer konnte es ihr schon verdenken? „Aber wenn du mal jemanden zum Reden brauchst …“

„Danke. Ich weiß das zu schätzen, ehrlich. Aber mir geht es gut. Uns geht es gut. Reed und mir, meine ich.“ Sie holte einmal tief Luft und fuhr dann fort: „Jetzt fange ich an, Blödsinn zu reden, also verschwinde ich lieber.“ Sie machte ein paar Schritte von Julia fort, drehte sich dann aber noch einmal um. „Denk daran, was ich gesagt habe und genieße jede Minute, okay?“

Dann, als hätte sie schon zu viel gesagt, eilte Elizabeth durch die Lobby und wäre fast noch vor Henry an der Tür angekommen.

Julia trat in den Fahrstuhl und bemerkte den Hauch von Elizabeths Parfum, der noch in der Luft hing. Sobald die Türen zugeglitten waren, schloss sie kurz die Augen und fragte sich, wo die Gerechtigkeit im Leben blieb. Elizabeth wünschte sich so sehnlich ein Kind, und die Tatsache, dass sie nicht schwanger wurde, zerstörte langsam ihr Glück. Julia dagegen wollte einen Mann heiraten, der sie nicht liebte, und zwar wegen einer überraschenden, ungeplanten Schwangerschaft.

Als der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte, legte sie eine Hand auf ihren Bauch und flüsterte: „Nimm es nicht persönlich, Kleines. Ich mag Überraschungen.“

Lächelnd lehnte Julia sich gegen die kalte Fahrstuhl-wand und begann die Post durchzusehen. Ein Kuvert, beschriftet nur mit ihrem Namen, kam ihr erschreckend vertraut vor.

Sie riss den schlichten weißen Umschlag auf und zog ein Blatt Papier heraus. Hastig überflog sie die wenigen Worte.

Glückwunsch zur bevorstehenden Hochzeit. Sie sind

mir entkommen.

Vorerst!

7. KAPITEL

Gemeinsam verließen Max und Julia die Anwaltskanzlei und traten hinaus auf den Bürgersteig. Fußgänger drängten sich an ihnen vorbei, und einige von ihnen wirkten deutlich irritiert darüber, dass die beiden einfach nur dastanden und sich anstarrten.

„Ich möchte, dass meine Anwälte sich die Dokumente anschauen, bevor ich sie unterzeichne“, erklärte Julia zum dritten Mal, seit sie Alex’ Büro verlassen hatten. „Das kommt mir völlig vernünftig vor.“

„Wir haben nicht viel Zeit“, widersprach Max und nahm ihre Hand, um Julia aus dem Gedränge fortzuziehen. Schließlich lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Marmorfassade des Bürogebäudes, und er schirmte sie mit seinem eigenen Körper von den Passanten ab. Während er in diese großen blauen Augen schaute, deren Anblick ihn schon seit Wochen Tag und Nacht verfolgte, versuchte er, Julias Gedanken zu lesen. Aber aus welchem Grund auch immer, heute gelang es ihr anscheinend, das, was sie dachte, zu verbergen. Das gefiel Max gar nicht.

„Du hast dir die Papiere doch schon selbst durchgesehen. Sie sind völlig klar und eindeutig. Wo liegt das Problem?“

„Du drängst mich“, sagte sie und blickte sich um, um sicherzugehen, dass niemand sie beachtete. „Ich lasse mich nicht gerne bedrängen.“

Max lachte kurz. „Du bist diejenige von uns, die zeitlich etwas unter Druck steht.“ Er schaute vielsagend auf ihren noch flachen Bauch. „Wir wollen doch diese Ehe unter Dach und Fach haben, bevor man bei dir etwas sieht, oder?“

Wütend funkelte sie ihn an. „Ich gehe nicht über Nacht auf wie ein Hefeteig, Max. Ein oder zwei weitere Tage werden wohl kaum einen Unterschied machen.“

Für ihn schon. Seit sie diesen Weg eingeschlagen hatten, war Max mit jedem Tag entschlossener, Julia zu seiner Frau zu machen. Zu seiner Ehefrau. Warum, das wollte er nicht weiter ergründen; er wusste nur, dass er sie wollte. In seinem Bett. In seinem Heim. In seinem Leben. Und er wollte nicht riskieren, dass sie ihre Meinung änderte und womöglich genauso schnell aus seinem Leben verschwand, wie sie darin aufgetaucht war.

„Wer ist dein Anwalt?“, erkundigte er sich. Als sie ihm den Namen einer der Topkanzleien der Stadt nannte, nickte Max. „Wir gehen direkt dorthin.“

„Max, ich kann mich allein darum kümmern.“

„Es besteht kein Grund, warum du das musst“, sagte er. „Außerdem willst du doch sicherlich in deiner Wohnung sein, wenn die Umzugsleute kommen.“

„Das ist noch so eine Sache!“, fuhr sie ihn an, hob das Kinn und zog die Augenbrauen zusammen. „Ich habe dich nicht gebeten, eine Umzugsfirma zu beauftragen.“

„Das brauchtest du auch nicht. Ich habe erkannt, was getan werden muss, also habe ich es getan. Damit ist die Sache erledigt.“

„Für dich vielleicht.“

Max trat dichter auf sie zu, und Julia blickte sich nervös um, als suche sie nach einem Fluchtweg. Das würde er natürlich nicht zulassen. Er senkte den Kopf und blickte in ihre großen Augen. Ihr Atem beschleunigte sich, und der Puls an ihrem Hals verriet, dass ihr das Herz klopfte.

Max lächelte und genoss die Wirkung, die er auf sie ausübte, während er gleichzeitig damit zu kämpfen hatte, wie sein eigener Körper auf ihre Nähe reagierte. Trotzdem wollte er um keinen Preis jetzt zurückweichen. Als ihm dann auch noch ihr herrlicher Duft in die Nase stieg, war es um seine Selbstbeherrschung fast geschehen.

Julia hob beide Hände, legte sie auf seinen Oberkörper und versuchte, Max von sich zu schieben. Als ihr das nicht gelang, stieß sie wütend den Atem aus. „Ehrlich, Max, du kannst nicht einfach die Kontrolle über mein Leben an dich reißen.“

Er verzog den Mund zu einem Lächeln. Langsam zeichnete er mit der Fingerspitze die Konturen ihres Gesichts nach. „Glaubst du, dass ich das tue?“

Sie schlug seine Hand fort. „Etwa nicht?“

„Nein“, erwiderte er überzeugt. Himmel, er mochte sie so, wie sie war. Rechthaberisch, stur und mit dieser gewissen Wildheit, die sie kaum unterdrücken konnte – was der Grund gewesen war, warum sie an dem Abend ihrer ersten Begegnung mit ihm im Bett gelandet war.

Schon von jenem Moment an hatte er Julia begehrt. Zwischen ihnen hatten von Anfang an die Funken gesprüht. Trotzdem hatte es ihn überrascht, dass Julia Prentice, Tochter aus gutem Hause, ihre festen Grundsätze über Bord geworfen und sich der Leidenschaft mit ihm hingegeben hatte.

Jene Nacht war für ihn eine Offenbarung gewesen. Er hatte hinter die Fassade geblickt, die Julia der Öffentlichkeit zeigte, und die Frau entdeckt, die sich hinter der Designerkleidung und dem korrekten Benehmen versteckte. Und das war die Frau, die ihm schlaflose Nächte bereitete. Sie war eine faszinierende Mischung aus konservativer Konventionalität und zügelloser Leidenschaft – und ihr so nahe zu sein wie jetzt erregte ihn und schürte das Verlangen, sie erneut zu verführen.

Auf keinen Fall wollte er riskieren, sie wieder zu verlieren. Selbst wenn die Ehe, die sie einzugehen gedachten, zeitlich befristet war, hatte er vor, so viel wie möglich aus ihrer gemeinsamen Zeit herauszuholen. Er wollte Julia. Er wollte ihr Kind. Er wollte alles.

Und Max Rolland bekam immer das, was er wollte.

„Wenn du nicht versuchst, mich und mein Leben zu kontrollieren, dann gib mir ein bisschen Raum zum Atmen, Max.“

Er legte eine Hand neben ihr Gesicht auf die Marmor-wand. Der kühle Stein begann gerade, sich durch die Morgensonne zu erwärmen. Von der Straße her stieg Max der Geruch von Abgasen, Kaffee und Hotdogs in die Nase. Es war Morgen in New York, und die Sehenswürdigkeiten, die Düfte und Geräusche, die ihn umgaben, waren für Max wie alte Freunde.

Er lächelte. „Den gebe ich dir, sobald wir verheiratet sind.“

„Und warum sollte ich dir glauben?“, fragte sie skeptisch.

Er zuckte mit den Schultern. „Weil ich es dir sage.“

„Aha“, meinte sie und verdrehte die Augen. „Na, das ändert natürlich alles.“

Eigentümlicherweise genoss Max ihren Sarkasmus. Er genoss sogar die bösen Blicke, die sie ihm zuwarf. Wie auch immer ihre Zweckehe aussehen würde, auf jeden Fall würde es nie langweilig werden.

„Lass uns eins nach dem anderen erledigen, okay? Heiraten, den Erpresser loswerden und …“ Er hielt inne, als Julia auf einmal die Augen aufriss und nach Luft schnappte. „Was ist?“

„Der Erpresser“, sagte sie und öffnete die schwarze Handtasche, die sie unter dem Arm trug. „Ich wollte es dir gleich heute Morgen sagen, als du gekommen bist, aber du hast mich so herumkommandiert, dass ich es vergessen habe.“

Er ignorierte den Vorwurf und hakte nach: „Was wolltest du mir sagen?“

Sie zog einen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn Max. „Das war gestern in meinem Briefkasten.“

Max stieß sich von der Wand ab und fluchte leise, als er die kurze Nachricht las. „Zumindest beweist das eines: Derjenige, der hinter dieser ganzen Sache steckt, ist ziemlich gut über die Vorgänge in eurem Haus informiert.“

„Offensichtlich“, bemerkte Julia, die jetzt nicht länger böse, sondern verwirrt und besorgt aussah. „Woher sollte diese Person sonst wissen, dass ich heiraten will? Und dass er oder sie mich jetzt nicht mehr mit der Schwangerschaft erpressen kann?“

Grimmig faltete Max den Brief wieder zusammen und steckte ihn in die Innentasche seines Jacketts. „Du hast recht. Irgendwie bekommt dieser Mensch Informationen über dich. Wir haben unsere Hochzeit noch nicht öffentlich verkündet, also kann er nur davon erfahren haben, wenn er irgendwie mit der Park Avenue 721 in Verbindung steht. Entweder lebt dieser Mensch im Haus, oder er kennt jemanden dort.“

„Es könnte jeder sein“, murmelte Julia.

„Stimmt“, meinte Max und blickte sich suchend um, als erwartete er, ein vertrautes Gesicht in der Menschenmenge zu entdecken. Als er nichts Verdächtiges sah, legte er Julia einen Arm um die Schultern und zog sie an seine Seite. Dann reihte er sich mit ihr in den Strom der Fußgänger ein und beugte sich zu ihr hinab. „Sobald wir verheiratet sind, ist die Bedrohung für dich vorbei. Ich werde diesen Brief zu Detective McGray bringen, und du …“

„Und ich?“

Er lächelte leicht. „Du kannst die Papiere mit zu deinen Anwälten nehmen und ihnen sagen, sie sollen sie schnellstmöglich durchschauen. Anschließend kümmerst du dich um die Umzugsleute. Je schneller du bei mir wohnst, desto eher kannst du diese ganze Sache hinter dir lassen.“

Sie runzelte erneut die Stirn, nickte aber. „In Ordnung. Ich gebe dir zwar nur ungern recht, aber in diesem Fall kann ich es wohl nicht vermeiden.“

Max hob eine seiner Augenbrauen. „Ich glaube, ich habe gerade den Krieg gewonnen.“

„Nicht den Krieg …“, entgegnete sie und schenkte ihm widerstrebend ein Lächeln, das etwas in ihm berührte, „… nur eine Schlacht.“

„Im Augenblick“, erwiderte er und genoss das Gefühl des Sieges, „genügt mir das.“

„Ich fasse es nicht, dass alle deine Sachen weg sind“, bemerkte Amanda und drehte sich langsam im Wohnzimmer im Kreis. „Es sieht so … leer hier aus.“

„Ich weiß.“ Julia seufzte und ließ sich auf einen der noch stehen gebliebenen Stühle fallen. Die Umzugsleute, die Max engagiert hatte, waren natürlich äußerst sorgfältig und effizient gewesen. Sie waren in die Wohnung gerauscht, hatten eingepackt, was Julia mitnehmen wollte, und waren dann losgefahren, um die Sachen in Max’ Penthouse abzuliefern. Julia hatte alles überwacht, doch im Grunde war ihre Anwesenheit nicht vonnöten gewesen. Innerhalb weniger Stunden war alles über die Bühne gegangen, und sie war offiziell nicht länger eine Bewohnerin der Park Avenue 721.

Was bei ihr ein merkwürdiges Gefühl hervorrief. Sie hatte ihre Wohnung geliebt. Es war ein Ort, der mit vielen schönen Erinnerungen verknüpft war. Jetzt zog sie weiter. Sie würde den Vater ihres Kindes heiraten und sich darauf vorbereiten, Mutter zu werden. Dabei ließ sie alles Vertraute hinter sich, um in eine unbekannte Zukunft aufzubrechen.

Außerdem ließ sie Amanda hier in diesem Gebäude zurück, in dem ein Erpresser sein Unwesen trieb. Sie machte sich Sorgen um ihre Freundin und äußerte sie auch laut.

Doch Amanda tat ihre Bedenken ab. „Also bitte“, sagte sie und zog sich ein Paar schwarze Stiefel an. „Mein beklagenswert ereignisloses Leben ist so entsetzlich langweilig. Was soll daran für einen Erpresser mit einem Funken Selbstachtung von Interesse sein?“

„Okay, vielleicht hast du recht“, gab Julia zu. „Andererseits, was ist, wenn Max richtigliegt mit dem Verdacht, dass dieser Erpresser auch etwas mit Marie Endicotts Tod zu tun hat?“

Amanda schwieg einen Moment, hob dann die Hände und fuhr sich damit durch ihr blondes Haar, bis es modisch zerzaust aussah. „Na gut, einen Augenblick lang hast du mir Angst gemacht, aber es gibt keine Beweise dafür, dass die arme Frau ermordet wurde. Es ist viel wahrscheinlicher, dass sie entweder gefallen oder gesprungen ist.“

„Ich weiß, aber …“

„Natürlich besteht die Möglichkeit“, verkündete Amanda, während sie aufstand und auch Julia auf die Füße zog. „Ich habe allerdings nicht vor, mir über etwas Sorgen zu machen, das ich nicht ändern kann. Ich bin vorsichtig, das verspreche ich. Also hab keine Angst. Aber ich werde mir nicht die Freude darüber verderben lassen, diese fantastische Wohnung jetzt ganz für mich allein zu haben.“

Julia lächelte widerstrebend. Wenn Amanda sich keine allzu großen Sorgen machte, dann würde sie ihr nicht unnötig Angst einjagen. Sie neckte die Freundin: „In Ordnung. Wie ich sehe, wirst du mich ganz schrecklich vermissen.“

„Oh, Kleines!“ Amanda grinste verschmitzt und umarmte Julia. „Das habe ich natürlich nicht gemeint! Natürlich werde ich dich vermissen. Wer wird mir denn jetzt bei meinen mitternächtlichen Eiscreme-Orgien Gesellschaft leisten? Wer wird mir zuhören, wenn ich über meine anstrengenden Kunden stöhne und jammere? Von wem kann ich jetzt Handtaschen klauen … äh, borgen?“

Julia schüttelte den Kopf und lachte. „Okay, du hast mich überzeugt, dass du mich wirklich gern hast.“

„Das habe ich, das weißt du, oder?“ Amanda wurde wieder ernst. „Und nicht nur wegen deiner tollen Handtaschen und Schuhe, obwohl dieser Faktor nicht zu verachten ist. Ich werde dich wirklich vermissen, wenn du jetzt zu Mad Max ziehst.“

Julia lachte laut auf. „Mad Max?“

Amanda zuckte mit den Schultern. „So nenne ich ihn insgeheim immer. Ich meine, schau ihn dir an. Er ist ein rauer Kerl mit markanten Gesichtszügen – also nicht einer von diesen typischen, aalglatten und coolen Wall-Street Typen –, und er ist ein bisschen arrogant, was absolut sexy ist, findest du nicht auch?“

Ja, dachte Julia. Max besaß wirklich einen unglaublichen Sex-Appeal. Er brauchte nur einen Raum zu betreten, und schon war sie bereit, sich mit ihm auf der nächstbesten ebenen Fläche zu wälzen. Noch während ihr dieser Gedanke durch den Kopf schoss, erinnerte sie sich an diesen Morgen. Als Max sie gegen die Fassade gepresst hatte, wäre sie im Grunde liebend gern direkt dort von ihm verführt worden. Die Menschenmassen und das geschäftige Treiben auf der Straße waren ihr völlig gleichgültig gewesen. Sie brauchte überhaupt keine ebene Fläche. Sie brauchte nur Max.

Natürlich hatte sie nicht vor, das irgendeiner Menschenseele gegenüber zuzugeben.

„Hm“, meinte sie und sah Amanda an. „Noch vor einer Woche hast du mich davor gewarnt, ihn zu heiraten.“

„Als deine beste Freundin ist das mein Job. Aber da du jetzt entschlossen bist, ihn zu heiraten, kann man ja ruhig zugeben, dass der Typ eine Augenweide ist.“

„Das ist er“, gab Julia seufzend zu. „Abgesehen von all seinen anderen Qualitäten.“

Amanda stöhnte und legte eine Hand auf ihr Herz. „Hör auf, mich zu quälen. Erinnerst du dich? Ich bin deine unfreiwillig im Zölibat lebende Mitbewohnerin.“

„Vage“, erklärte Julia und lachte, da sie Amandas selbst-ironischen Tonfall durchaus wahrgenommen hatte. Schließlich war es Amandas eigene Entscheidung gewesen, einen Bogen um Beziehungen zu machen, nachdem ihre letzte auf so unangenehme Weise in die Brüche gegangen war.

„Mach dich nur lustig über mein Elend.“ Amanda griff nach ihrem Beutel und warf Julia deren schwarze Handtasche zu. „Und jetzt, als Strafe dafür, dass du so wenig Mitgefühl angesichts meines nicht existierenden Sexuallebens zeigst, musst du mit mir einkaufen gehen.“

Julia versuchte, sich ihrem Griff zu entziehen, und schaute sehnsüchtig auf den Stuhl, von dem sie gerade aufgestanden war. „Amanda, ich bin erschöpft …“

„Ein Latte macchiato und ein Muffin werden dir neue Kraft geben. Ich lade dich auch ein.“

„Nein, ernsthaft, ich muss zu Max. Die Umzugsleute haben zwar alles ausgeladen, aber ich muss meine Sachen ordnen und …“

„Das kannst du immer noch tun“, protestierte Amanda und zog Julia mit sich zur Tür. „Aber wie oft hast du noch die Gelegenheit, mit mir eine neue Couch zu kaufen? Oh, und Tische. Und vielleicht ein paar Lampen. Und was hältst du von neuen Vorhängen?“

Stöhnend folgte Julia ihrer Freundin, wohl wissend, dass es kein Entrinnen gab.

Als sie aus dem Fahrstuhl in die Lobby traten, versprach Amanda ihr gerade, dass sie erst ins Café gehen würden. Beide Frauen blieben jedoch stehen und lächelten, als sie Carrie Gray vor dem Lift trafen.

Carrie war sechsundzwanzig, hatte herrliches rotbraunes Haar, das sie fast immer zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug, und große, grüne Augen, die sie hinter einer Brille versteckte. Ihre Figur, für die manche Frauen getötet hätten, verbarg sie unter viel zu großen T-Shirts und Hosen. Sie war liebenswürdig und lebte in Apartment 12B, das offiziell Prinz Sebastian von Caspia gehörte. Sie hütete die Wohnung für ihn. Carrie verbrachte die meiste Zeit in der Wohnung, arbeitete an ihren Skizzen und versuchte einen Job zu finden, bei dem sie das machen konnte, was sie liebte.

Heute sah sie ziemlich mitgenommen aus. Noch während Julia die Schatten unter den Augen der Nachbarin registrierte, begann Carrie gleichzeitig zu gähnen und zu lachen.

„Tut mir leid“, sagte sie und blinzelte, so als wollte sie sich zwingen aufzuwachen.

„Lange Nacht?“, neckte Amanda sie.

„Leider nicht so, wie du denkst“, gab Carrie zu.

Amanda lachte. „Hast du immer noch Probleme mit Trents Truppen?“

Julia stöhnte. Die drei Frauen hatten den Titel „Trents Truppen“ für die erstaunliche Anzahl von Frauen erfunden, die täglich in Trent Tanfords Wohnung einfielen.

Am wütenden Aufblitzen von Carries Augen erkannte Julia, dass Amanda recht gehabt hatte. Trent Tanford, Erbe eines riesigen Unterhaltungskonzerns, war ein klassischer Playboy. Der Mann sah einfach viel zu gut aus, und die Frauen lagen ihm scharenweise zu Füßen. Zu Carries Unglück gingen diese Frauen die ganze Nacht lang im Haus ein und aus und waren offenbar nicht in der Lage Carries Apartment 12B von Trents 12C zu unterscheiden. Jedenfalls klingelten sie regelmäßig an der falschen Tür.

„Ehrlich“, sagte Carrie und senkte dann die Stimme, damit Henry, der an seinem Tisch stand, sie nicht hören konnte. „Das wird mir langsam wirklich zu bunt. Bei diesem Typ stehen die Frauen Schlange.“

Amanda lachte, und selbst Julia musste lächeln, trotz der Tatsache, dass Carrie aussah, als hätte sie am liebsten jemanden getreten.

„Letzte Nacht zum Beispiel.“ Carrie schüttelte den Kopf, und ihr langer Pferdeschwanz wippte von einer Seite zur anderen. „Da klingelt es um drei Uhr. Vor mir steht diese Blondine und lächelt mich an, als wäre ich das Hausmädchen, das sie zum Sexgott bringen soll. Zwei andere Frauen hatten mich übrigens im Laufe der Nacht auch schon aufgescheucht. Anscheinend schafft Trent es nicht, Frauen zu finden, die lesen können, da keine von ihnen den Unterschied zwischen einem B und einem C erkennen kann. Das heißt, mir fehlt nicht nur Schlaf, sondern inzwischen auch Geduld.“

„Oh, oh“, murmelte Julia.

„Genau“, sagte Carrie und setzte ihre Geschichte fort: „Die Blondine sagte: ‚Hallo, ich bin Lauren Hunter‘, so als würde mich das interessieren.“ Carrie ballte die Hände zu Fäusten und holte tief Luft. Allein die Erinnerungen an die letzte Nacht genügten anscheinend, um sie wieder zur Weißglut zu bringen. „Da ist es dann passiert. Ich bin ausgerastet. Ich habe sie angeschrien, ihr gesagt, dass sie die falsche Wohnung erwischt hat, und wenn sie einen Quickie mit Trent erleben wolle, dann solle sie zumindest sicherstellen, dass sie die richtige Adresse hätte. Ehrlich, ist es wirklich so schwierig, noch einmal aufs Türschild zu schauen, bevor man mitten in der Nacht bei jemandem klingelt?“

„Gut gemacht“, meinte Amanda.

„Fühlte sich auch gut an, aber die Frau sah total geschockt aus“, fuhr Carrie fort. „Wenn das nächste Mal eine von denen bei mir klingelt, dann werde ich es nicht an ihr auslassen. Ich schwöre, dann marschiere ich direkt zu Trent, und dann kann er etwas erleben.“

„Vielleicht solltest du das wirklich tun“, sagte Julia. „Vielleicht weiß er gar nicht, dass seine Freundinnen dich stören.“

Carrie bedachte sie mit einem vielsagenden Blick. „Glaubst du wirklich, dass es Trent Tanford interessiert, ob jemand mich stört? Wohl kaum. Der Mann ist nur an einer einzigen Sache interessiert …“

Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Sie alle kannten die einzige Sache, an der Trent Interesse fand.

Amanda umarmte Carrie kurz. „Möchtest du mit ins Park Café kommen? Ich spendiere dir einen Latte macchiato!“

Carrie lachte, drehte sich zum Fahrstuhl und drückte den Knopf. „Nein, danke. Alles, was ich im Moment möchte, sind ein paar Stunden ununterbrochenen Schlaf.“

Während sie und Amanda die Lobby verließen, dachte Julia wehmütig, dass sie solche spontanen Unterhaltungen mit ihren Freundinnen nicht mehr führen konnte, wenn sie jetzt bei Max wohnte. Es würde keine Treffen im Fahrstuhl mehr geben. Kein Klatsch mehr in der Lobby. Kein Gelächter mehr mit Amanda während abendlicher Eis-oder Kuchen-Gelage.

Auf der anderen Seite hatte das Zusammenwohnen mit Max natürlich auch seine Vorteile.

Zum Beispiel würde sie mit dem Mann zusammen sein, den sie liebte. Auch wenn er diese Liebe nicht erwiderte.

8. KAPITEL

Julia stemmte sich gegen die schwere Mahagonikommode und schaffte es, sie ein paar Zentimeter zu bewegen. Dann hielt sie inne und stieß wütend die Luft aus, während sie das Möbelstück so finster anschaute, als würde es ihr absichtlich das Leben schwer machen. Ein wenig leichter könnte es doch über den polierten Fußboden gleiten! Es war schließlich nicht so, dass sie es ins nächste Zimmer befördern wollte.

Ein wenig außer Atem sah sie sich im großen Schlafzimmer um. Es war jetzt das gemeinsame Schlafzimmer von Max und ihr. Wie es wohl sein würde, jeden Abend neben ihm einzuschlafen und jeden Morgen neben ihm aufzuwachen? Lächelnd überlegte sie, dass sie sich in solch einem riesigen Bett vielleicht nicht einmal bemerken würden.

Doch kaum war ihr dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, als sie ihn auch schon verwarf. Unabhängig davon, wo sie sich befanden: Wenn Max in ihrer Nähe war, war sie sich dessen immer bewusst. Und neben ihm in diesem Doppelbett zu liegen würde wunderbar sein, machte ihr jedoch auch ein wenig Angst. Sie hätte nie zugestimmt, ihn zu heiraten, wenn sie nicht etwas für ihn empfände. Wenn sie ihn nicht liebte.

Wie hatte es passieren können, dass sie sich so Hals über Kopf in Max verliebt hatte? Es war ihr schleierhaft, aber es war geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen.

Julia seufzte leise, als sie auf das Bett mit der dunkelroten Tagesdecke starrte und sich fragte, ob sie beim Zusammenleben mit Max wohl jeden Tag ein Stückchen sterben würde, einfach deshalb, weil er ihre Liebe nicht erwiderte.

Ihre einzige Rettung bestand darin, ihn nicht wissen zu lassen, was sie für ihn empfand. Sie würde sich genau wie immer verhalten und hoffen, dass er irgendwann im Laufe dieses einen Ehejahres tiefere Gefühle für sie entwickelte. Seufzend wandte sie sich wieder der Kommode zu.

„Was machst du da?“

Julia zuckte erschrocken zusammen und wirbelte herum. Ihr zukünftiger Ehemann stand in der Tür. Wie immer erzeugte sein Anblick bei ihr Herzklopfen. Doch angesichts des soeben gefassten Entschlusses, ihm nichts von ihren Gefühlen zu verraten, platzte sie nur heraus: „Du hast mich erschreckt!“

„Du mich auch“, fuhr Max sie an. Er stolzierte ins Schlafzimmer, direkt auf sie zu und griff nach ihrem rechten Arm. Dabei ignorierte er, dass auch die kleinste Berührung ihrer Haut Lust in ihm auslöste. Er würde sich jetzt nicht ablenken lassen, indem er seinem Verlangen, Julia zu küssen, nachgab. „Ich fragte, was du hier tust.“

Sie entzog ihm den Arm und bedachte ihn mit demselben finsteren Blick, mit dem sie eben noch die Kommode angestarrt hatte. „Was ich tue? Gehirnchirurgie.“

„Sehr witzig“, erwiderte er ohne die Spur eines Lächelns.

Erst vor wenigen Minuten war er ins Penthouse gekommen und hatte sofort die Veränderungen gespürt. Bunte Kissen lagen auf den Sofas und den Sesseln im Wohnzimmer. Auf dem Couchtisch waren Modezeitschriften verteilt, und ein paar Schuhe lagen achtlos abgestreift vor einem der Sofas.

Aber Max hatte diese offensichtlichen Beweise von Julias Anwesenheit gar nicht gebraucht. Schon im Foyer hatte er den Unterschied sofort gespürt. Bis zum heutigen Tag war er immer in seine leere Wohnung gekommen und hatte sich eingeredet, dass es genau das war, was er wollte. Privatsphäre. Viel Raum und Zeit für sich, ohne dass jemand da war, der ihn störte und Anforderungen an ihn stellte.

Aber allein durch ihren Einzug in sein Penthouse hatte Julia das geändert. Jetzt war Leben in dieser Wohnung. Ein leichter Hauch ihres Parfums lag in der Luft. Die Zimmer wirkten wärmer, alles kam ihm einladender vor. Und Max merkte, dass er es genoss. Also hatte er sich selbstverständlich sofort auf die Suche nach seiner zukünftigen Frau begeben und sie im Schlafzimmer gefunden, wo sie ein großes Möbelstück durchs Zimmer schob.

„Bist du verrückt?“, fuhr er sie an und deutete auf die Kommode. „Das Ding wiegt mindestens hundert Kilo.“

Julia zog beide Augenbrauen hoch, ignorierte ansonsten aber seinen Ausbruch, um sich noch einmal gegen die Kommode zu stemmen. Max konnte es nicht fassen. Er war es nicht gewöhnt, dass die Leute sich nicht um das kümmerten, was er sagte. Es gefiel ihm auch überhaupt nicht.

Sofort legte er ihr die Hände auf die Schultern. „Du bist schwanger, Julia. Du solltest keine schweren Möbel verrücken.“

Sie seufzte. „Ich bin nicht behindert, und das Baby ist absolut sicher.“

„Du hörst auf damit“, erklärte er, und um weiteren Diskussionen aus dem Weg zu gehen, hob er Julia hoch, trug sie hinüber zum Bett und ließ sie auf die Matratze fallen. Sie federte ein wenig auf und ab und schaute ihn dann aus schmalen Augen an.

„Max, ich bin durchaus fähig …“

„Wohin wolltest du das Ding schieben?“ Er unterbrach sie und ging zur Kommode.

Sie seufzte erneut, schüttelte den Kopf und deutete mit dem Finger zur Wand. „Dorthin. Nur ein, zwei Schritte nach links.“

Max beschwerte sich murmelnd über Frauen, die die Dinge nicht einfach da lassen konnten, wo sie waren, stemmte sich mit dem Rücken gegen die Kommode, und wenig später stand sie dort, wo Julia sie haben wollte. „So. Zufrieden?“

„Wunderbar.“

Er öffnete sein Jackett und stemmte beide Hände in die Hüften. „Warum hast du den Umzugsleuten nicht gesagt, dass sie das für dich erledigen sollen?“

„Weil ich vorhin noch nicht daran gedacht habe.“ Julia rutschte zur Bettkante.

Als sie wieder stand, ging Max zu ihr hinüber und schaute sie eindringlich an. „Ich möchte nicht, dass du schwere Sachen trägst oder durch die Gegend schiebst. Verstanden?“

Autor

Maureen Child
<p>Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal. Ihre liebste...
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