Mit dem Feind im Bett?

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Als Cash Barron auf dem Überwachungsmonitor die rot-gelockte Schönheit im Cocktailkleid sieht, ist er alarmiert. Woher kennt er sie bloß? Doch ehe er sich erinnert, erlöschen alle Lichter. Das elegante Spielcasino seiner Familie wird überfallen! Cash reagiert blitzschnell - und bringt die sexy Fremde in seine Luxussuite …


  • Erscheinungstag 05.12.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729196
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Cash Barron war ein Mann, der seine Pflichten im Hinblick auf seine Familie genau kannte – im Gegensatz zu seinen Geschwistern. Während er aus einem Fenster der Wohnung seines Zwillingsbruders im fünften Stock des Barron Crown Casinohotels in Las Vegas blickte, versuchte er seinen Ärger so gut es ging auszublenden. Er hatte miterlebt, wie seine vier Brüder, ohne mit der Wimper zu zucken, das Einzige hinter sich gelassen hatten, was sie als Familie zusammenhielt: die Loyalität zueinander. Sein Zwilling hatte sich zum Beispiel eine völlig inakzeptable Partnerin ausgesucht, und jetzt feierten Chase und Savannah unbegreiflicherweise schon ihren ersten Hochzeitstag.

Ein heftiges Klopfen an der Tür riss Cash aus seinen Gedanken. Sein Cousin und Vize-Chef Bridger Tate traten unaufgefordert und mit besorgter Miene herein.

„Was ist los?“

„Die Videoaufnahmen von gestern Nacht liegen vor. Wir wissen jetzt, wer im Casino war.“

Cash unterdrückte den Impuls zu fluchen. „Waren sie es wirklich?“

„Allerdings“, brummte Bridger ärgerlich. „Tucker hat eindeutiges Videomaterial vorliegen, das die Rowlands in den Räumen der Spielbank zeigt.“

Tucker Tate war Bridgers Bruder und der zweite Vorstand der Firma Barron Entertainment, eines Medien- und Hotelkonzerns, an dessen Spitze Chase stand. Die Spielbank hatte schon ein gutes Jahr lang mit Sicherheitsproblemen zu kämpfen. Da Cash Präsident von Barron Security war, bekam er alle diesbezüglichen Fälle auf seinen Schreibtisch – ob es sich nun um den Personenschutz seines Bruders, des Senators Clay Barron, handelte oder um den Diebstahl von Rohrleitungen auf dem Ölfördergelände der Firma Barron Energy. Ganz zu schweigen davon, dass gelegentlich Rinder von ihrer Farm verschwanden, einem Mitarbeiter Unterschlagung nachgewiesen wurde oder wieder einmal ein Spinner Drohungen per E-Mail schickte – all diese Ärgernisse landeten letztlich bei Cash. Er hatte die Aufgabe, seine Familie zu schützen, notfalls sogar vor sich selbst.

„Tuck hat es geschafft, alle Rowlands einzeln aufzuzeichnen“, berichtete Bridger weiter.

„Ist jeder genau zu erkennen?“

„Jawohl. Max, Alex und Ajax, Braxton, Dexter – der Obergangster und seine diebischen Prinzen. Ich habe sie von unseren IT-Spezialisten zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort markieren lassen.“

Cash seufzte und ging hinüber zum Schreibtisch, wo er sich auf dem Drehstuhl vor dem überdimensionalen Monitor niederließ. Er sah sich die mittels Schlaglicht hervorgehobenen Gesichter auf den Videobildern an.

Bridger schwang lässig ein Bein über die Tischkante und zeigte auf die Mattscheibe. „Ich lasse gerade prüfen, ob es Übereinstimmungen mit unseren Casinos in Scottsdale, Nashville, Miami oder New Orleans gibt.“

„Worauf zielst du ab?“

„Keine Ahnung. Aber anscheinend finden sie Gefallen am Eigentum der Barrons.“

„Sind sie hinter uns her oder hinter einem der Gäste?“

„Wahrscheinlich beides.“

Kopfschüttelnd rieb sich Cash den Nacken. Womit hatte er diese Pechsträhne bloß verdient?

Roxanne Rowland war gerade dabei, ihren Mund knallrot zu schminken. Die Frau im Spiegel erschien ihr wie eine Fremde. Sie glättete ihre purpurne Mähne, indem sie mit den Fingern durch ihr Haar strich, und erschrak einmal mehr beim Anblick ihrer grell lackierten Nägel. Auch Maniküre gehörte nicht zu ihrem Standardpflegeprogramm. Genauso wenig wie der dunkle Lidschatten, der ihre Augen wie Bernstein funkeln ließ. Sie weigerte sich allerdings, die getönten Kontaktlinsen einzusetzen, die vor ihr auf der Konsole lagen.

Roxanne strich das geliehene schwarze Abendkleid glatt, bevor sie das Bad verließ. Vor der Tür stieß sie beinahe mit ihrem Bruder zusammen, der sie sofort grob am Oberarm packte. „Los, Rox, es ist Zeit aufzubrechen. Moment mal, du hast die Kontaktlinsen nicht drin.“

Sein vorwurfsvoller Ton ließ sie seufzen. „Sie tun weh, und meine Augen fangen davon an zu tränen. Ich musste mein Make-up dreimal auffrischen, dann habe ich es schließlich aufgegeben.“

Er quetschte ihren Arm, während er sie hinter sich herzog. Sie schwankte auf ihren Stilettos und musste sich ausbalancieren, um nicht zu stürzen. Hohe Absätze war sie genauso wenig gewohnt wie ihre restliche Aufmachung. Normalerweise trug sie Jeans und Stiefel, nicht Haute Couture. Schon gar nicht ein Kleid, das fast so viel kostete, wie sie in einem Monat verdiente. Man hatte ihr befohlen, das Preisschild nach innen zu drehen und das Kleid nicht zu beschmutzen. Folglich sollte es wieder zurückgegeben werden.

„Was geht hier vor, Dex?“

„Das geht dich nichts an, Schwesterlein.“

„Doch, ganz bestimmt.“

„Max arbeitet an einem Plan.“

Sie nannten ihren Vater Maximilian Rowland, der auch der Chef ihrer vier Brüder Lex, Jax, Brax und Dex war, niemals „Dad“.

„Das erklärt aber nicht, warum ich hier bin. Ich arbeite nicht für ihn.“

„Ab jetzt tust du das“, zischte Dex unerbittlich und schubste sie aus der Zimmertür. „Das hier ist wichtig, Rox, und du wirst deine Pflicht als Familienmitglied erfüllen. Oder es passiert was.“

Was meinte er damit? Er gab keine weitere Erklärung ab, während sie den Flur entlang zum Aufzug eilten und nach unten fuhren. Bei ihrem Zusammentreffen am Flughafen von Las Vegas hatte er lediglich verlauten lassen, dass Max ihre Hilfe brauchte und es Zeit wurde, dass sie endlich ihren Platz im Familienclan einnahm.

„Zappel nicht so.“

„Dafür kann ich nichts.“

Dex grinste hämisch. „Tun dir etwa die Füße weh?“

„Kann man wohl sagen.“ Es fühlte sich sogar so an, als ob ihr jemand mit heißen Nadeln in die Zehen und den Spann stechen würde. „Du solltest mal versuchen, auch nur fünf Minuten hierin zu gehen.“

„Ich bin ein Mann und trage keine Schuhe mit Absätzen. Aber du als Frau müsstest das gewohnt sein.“

„Nein, überhaupt nicht. Ich …“ Sie schaffte es nicht, den Satz zu Ende zu sprechen, denn die Türen des Lifts öffneten sich, und Dex stieß sie hinaus in ein geräuschvolles Lichtermeer. Er dirigierte sie in eine Nische und behielt dabei die Raumdecke im Blick.

„Bleib hier stehen, bis einer von uns dich holt.“

„Wie? Nein …“

„Halt die Klappe, Roxie, und tu, was man dir sagt!“

„Du bist nicht mein Boss, Dexter.“

„Doch, heute Nacht schon. Jetzt hör mir mal zu. Am Blackjack-Tisch steht ein Mann, der hat eine Schwäche für große, üppige Rothaarige.“ Er zog an einem ihrer Kleiderriemchen, sodass es ihr über die Schulter rutschte. „Wenn es so weit ist, schiebst du deinen süßen Po zu Max hinüber. Du ignorierst ihn aber und flirtest stattdessen mit dem Typ neben ihm. Verstanden?“

„Nein.“

„Egal. Tu einfach, was ich dir sage. Du lenkst ihn ab und bringst ihn dazu, dass er dich mit nach oben in sein Zimmer nimmt. Dort ziehst du ihm alle Klamotten aus, und den Rest übernehmen wir.“

„Moment mal, Dexter Rowl…“

Er drückte sie mit brachialer Gewalt an die Wand und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Du hast es dein ganzes Leben lang leicht gehabt, Mädchen. Max hat einen Fehler gemacht, als er dich in diese versnobten Schulen geschickt hat, anstatt dir persönlich beizubringen, was du über unser Geschäft wissen musst. Doch damit ist jetzt Schluss. Ab heute tust du das, was du deiner Familie schuldig bist.“

Er hängte ihr eine massive Goldkette mit Diamanten um den Hals. „Davon haben wir noch mehr, und die Polizei kennt den Schmuck ebenfalls. Wenn du versuchst abzuhauen oder uns zu verpfeifen, steckst du genauso mit in der Scheiße.“

„Das ist Erpressung.“ Ihre Stimme klang erstaunlich gelassen, dabei zitterte sie innerlich vor Angst.

„Willkommen zurück im Schoß der Familie, Schwesterherz!“

Damit verschwand er in der wuselnden Menge am Eingang zur Spielbank. Bei ihrer Ankunft im Crown Casinohotel am Nachmittag war Roxanne noch ganz aufgeregt gewesen. Das Anwesen zählte zu den besten Adressen am Las Vegas Strip. Wie ein naives Dummchen hatte sie zuerst gedacht, ihr stünde ein Luxusurlaub bevor. Keineswegs.

Sie schlüpfte aus ihren Pumps und wimmerte fast vor Erleichterung, als sie den dicken Teppich unter ihren Zehen spürte. Ob sie Dex und seinen Drohungen wirklich glauben konnte? Er hatte schon immer eine miese Art an sich gehabt, was sie darauf zurückführte, dass er der Jüngste ihrer Brüder war. Unter Geschwistern waren meist die Jüngsten benachteiligt. Alexander – Lex, ihr ältester Bruder, war immer dominant gewesen. Als Roxanne geboren wurde, war Lex dreizehn, und sie beide hatte nichts miteinander verbunden. Er war schon mit Max auf Tour gegangen, als sie gerade fünf geworden war. Nach Lex kam der zwei Jahre jüngere Ajax, ein groß gewachsener und charmanter Typ, den die Frauen liebten. Ihn und Braxton trennten nur neun Monate. Brax galt als der Gelehrige, der seine Nase stets in Bücher steckte und büffelte. Seine angeborene Intelligenz machte ihn zum Chefstrategen des Clans. Und dann gab es da noch Dex. Als Roxie geboren wurde, war er fünf, und schon von Beginn an hatte er sie abgrundtief gehasst.

Roxie schob die Gedanken an ihre Familie beiseite und überlegte, wie sie dem Desaster am besten entfliehen konnte. Sie zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass Dex seine Drohung wahrmachen würde, denn das hatte sie schon mehrfach am eigenen Leib erfahren müssen. Im Moment hatte sie keine andere Wahl, als seine Befehle zu befolgen, bis sie wusste, was sie planten und wie sie es schaffen konnte, sich herauszuhalten.

„Zieh die Schuhe an, Mädchen!“

Erschrocken drückte sie sich tiefer in ihre Ecke. Mit seinen fünfunddreißig Jahren wirkte Lex lässig elegant und überheblich, was sie irgendwie verängstigte. Sicher, er war wie Max während ihrer Kindheit meist unterwegs gewesen, aber wenn er in der Nähe war, erschien er ihr wie eine zusätzliche Vaterfigur.

„Ich will das nicht tun, Lex. Was auch immer ihr vorhabt.“

„Es ist mir egal, was du willst, Roxanne. Streif deine Pumps über und fang endlich an. Zieh einen Schmollmund, klimpere mit den Wimpern und schlepp den Kunden in sein Hotelzimmer.“

„Und wenn nicht? Dex hat mir bereits gedroht. Das lässt mich völlig kalt.“

Er legte ihr eine seiner Pranken um die Kehle, sodass sie kaum noch Luft bekam. „Letzte Ansage: Los, an die Arbeit.“ Dann hielt er sie weiter am Arm fest, auch noch, als sie sich die Schuhe angezogen hatte und schwankend in Richtung der Menschenmenge lief.

„Etwas langsamer“, bat sie stöhnend. „Wenn ich mir mit diesen verdammten Tretern die Knöchel breche, ist euer Coup zum Scheitern verurteilt!“

Doch stattdessen beschleunigte Lex sein Tempo und scheuchte sie dabei weiter vor sich her.

Cash hatte bohrende Kopfschmerzen, ausgelöst vom ständigen Starren auf die unzähligen Überwachungsmonitore. Tucker reichte ihm Tabletten, von denen er gleich mehrere auf einmal schluckte.

„Wann sind sie dir aufgefallen?“, fragte er, ohne seinen Blick von den Bildschirmen abzuwenden.

„Gestern beim Einchecken. Die neue Gesichtserkennungssoftware, die du installiert hast, funktioniert einwandfrei. Ich habe Filmmaterial davon, falls du es sehen möchtest.“

„Es reicht, wenn du mir den Ablauf schilderst.“

„Max kam zuerst an. Er hatte ein Zimmer unter dem Namen Grant Franklin reserviert.“

„Und seine Söhne?“

„Alexander und Ajax haben als Hamilton und Jackson Grant gemeinsam in eine Suite eingecheckt. Braxton kam eine Stunde später. Lincoln Washington. Und heute Nachmittag tauchte dann Dexter auf. Seine Reservierung läuft auf Mr. und Mrs. Franklin Cleveland.“

Cash drehte seinen Bürostuhl zu Tucker. „Hamilton, Jackson, Grant, Lincoln, Washington, Franklin und Cleveland. Das sind die Nachnamen früherer US-Präsidenten, außer Franklin. Aber der alte Ben ist trotzdem auf dem Hundert-Dollar-Schein abgebildet.“

„Also geht es ihnen nur um Geld.“

„Exakt. Moment, Dexter hat eine Frau dabei?“ Cash sprang von seinem Stuhl hoch. „Hast du ein Foto von ihr?“

„Nein. Er hat allein eingecheckt, hielt sich anschließend eine Stunde in seinem Zimmer auf und fuhr danach mit einem Taxi weg. Seitdem ist er nicht wieder aufgetaucht.“

„Bist du dir da sicher?“ Cash zeigte auf einen der Monitore. „Hier sieht man Dexter an einem Roulette-Tisch stehen.“

„Wie, zur Hölle, …“

Da kam Bridger herein und unterbrach seinen Bruder mitten im Satz. „Wir haben ein Leck in unserer Videoüberwachung, aber wir finden den Fehler, Tuck. Entschuldigt meine Verspätung. Ich musste noch Filmmaterial sichten.“

„Ich will, dass die Rowlands ständig überwacht werden. Max spielt momentan Hochrisiko-Blackjack. Alex ist vor fünf Minuten hinausgegangen, nachdem ihm Dexter ein Handzeichen gegeben hat. Ajax und Braxton halten sich bei den Spielautomaten auf.“ Cash setzte sich wieder in seinen Drehstuhl. „Du musst mit unseren Jungs dranbleiben, Bridger.“ Er hob die Hand, um Tucker zu beschwichtigen. „Deine Sicherheitsleute sind gut, aber man sieht ihnen an, dass sie zum Wachpersonal gehören. Meine Leute sind unauffälliger.“

Das Funkgerät an Cashs Oberarm schlug an. „Zielperson Nummer zwei im Visier. Er hat eine Rothaarige im schwarzen Kleid dabei. Eingangshalle.“

Cash inspizierte die Monitore, bis er Alex Rowland und die Frau, die vor ihm herging, gesichtet hatte. Sie war groß, aber nicht hager. Nein, sie hatte überall dort Kurven, wo eine Frau sie haben sollte, und wirkte trotzdem sehr elegant in ihrem kurzen Cocktailkleid. Das rostrote Haar fiel ihr in üppigen Locken auf die Schultern. Ein Déjà-vu waberte durch sein Gedächtnis. Cash kannte sie von irgendwoher.

Alex entfernte sich, und Braxton nahm seinen Platz ein, wobei er die Frau mit an den Tisch führte, und zwar dorthin, wo Max entspannt und gut gelaunt auf seinem Hocker saß. Sie stolperte, und Cash spürte den Reflex, sie auffangen zu wollen. Braxton hingegen bemühte sich kein bisschen, ihr zu helfen. Stattdessen streckte ein Fremder seinen Arm aus, um sie zu stützen. Cash konnte ihr die Worte von den Lippen ablesen. „Entschuldigung. Es tut mir leid“, sagte sie, bevor Braxton sie wieder an seine Seite zerrte.

„Bridge, markiere bitte die Szene. Finde heraus, seit wann die Rowlands eine Frau in ihrem Team haben. Ich will wissen, wer sie ist.“

„Geht klar.“

Cash fuhr fort, die Lady zu beobachten. Sie wirkte angespannt. Wenn sie schauspielerte, dann war sie ziemlich talentiert. Am Ende stand sie eingepfercht zwischen Max und einem anderen Mann, wobei sie diesem fast auf dem Schoß hing. Cash spürte Wut und Zorn in sich aufsteigen. Als er ihr Gesicht größer zoomte, bemerkte er ihre Jugend und ihre Nervosität, was im krassen Kontrast zu ihrer Aufmachung stand. All das entsprach überhaupt nicht der typischen Verfahrensweise der Rowlands. Das dumpfe Gefühl, sie zu kennen, nagte weiter an ihm, und so rief er sich innerlich die Bilder aller Frauen vor Augen, die er je getroffen hatte. Früher oder später würde es ihm schon wieder einfallen.

Er hatte sich so sehr auf die Frau konzentriert, dass er die anderen Rowlands aus den Augen verloren hatte. „Wo ist Alex? Und wieso sind Ajax und Dexter nirgends mehr zu sehen?“

Verschiedene Kameraeinstellungen flackerten in rascher Folge über die Monitore, begleitet von den irritierten Kommentaren der Wachleute, die das Publikum nach den vermissten Personen absuchten. Da gab es plötzlich einen dumpfen Knall und ein Geräusch, als würde ein Generator heruntergefahren. Kurz darauf fielen die Bildschirme und die Lampen aus, und im Raum war es mit einem Mal stockdunkel.

Als es wieder heller wurde, weil sich das Notstromaggregat eingeschaltet hatte, sprang Cash auf, eilte zur Tür und tippte den Spezialcode ein, bevor das Schloss klickte und er den Ausgang per Hand aufschieben konnte.

„Schließ den Zählraum und den Tresorbereich ab. Das Personal soll alle Eingänge checken!“, rief Bridger ihm nach.

Cash ergriff die Initiative, weil er wusste, dass Bridger den Überwachungsraum unter Kontrolle hatte. Er selbst musste unbedingt einen der Rowlands erwischen. Auch die Rothaarige durfte ihm auf keinen Fall durch die Lappen gehen.

Als die Lichter erloschen, verwandelte sich der überfüllte Casinobereich in einen Hexenkessel. Frauen schrien und Männer brüllten, während einige beschwichtigende Stimmen versuchten, wieder Ordnung in das Chaos zu bringen. Flackernde Handydisplays erzeugten eine geisterhafte Stimmung, bis die Notbeleuchtung im Raum endlich wieder ansprang.

Jemand packte Roxannes Ellbogen, um sie wegzuzerren. Sie wehrte sich kurz, bevor sie mit Namen angesprochen wurde und sich verwirrt mitreißen ließ. Max! Sie humpelte hinter ihm her, bis er sie abrupt in Dexters Arme schubste. „Tauch mit ihr unter!“

Das Nächste, was sie mitbekam, war, dass ihr Bruder sie hochhob und sie sich über die Schulter warf wie einen Sack Getreide. All ihre heftigen Schläge auf seinen Rücken konnten nichts gegen ihn ausrichten, und da er ihre Beine eisern umklammerte, waren auch ihre Fußtritte zwecklos. Als sie einen der Notausgänge erreicht hatten, ließ er sie herunter und drückte sie an die Wand, bevor kurz darauf die Tür neben ihr krachend aufsprang.

Heraus sprintete ein großgewachsener Mann im maßgeschneiderten Anzug, mit dunklem Haar, breiten Schultern und Dreitagebart. Sie fragte sich gerade, wer das sein konnte, als Dex rasch durch das Treppenhaus verschwand und der Ausgang sich wieder schloss. Panisch zerrte sie an der Klinke, doch die Tür blieb zu. Sie musste sofort verschwinden.

Roxanne drehte sich um und fühlte, wie ihr das Blut in den Adern gefror, denn sie konnte sich plötzlich wieder an den Mann erinnern. Es war Cash Barron in voller Lebensgröße. Sie taumelte zurück, um in die entgegengesetzte Richtung zu flüchten, wurde jedoch von zwei stattlichen Wachmännern aufgehalten. Sie wandte sich langsam dem Mann zu, um den sich so viele ihrer Fantasien gerankt hatten. Jetzt saß sie so richtig in der Klemme.

„Hallo, wen haben wir denn hier?“

2. KAPITEL

Als Cash sie so nah vor sich sah, fiel ihm wieder ein, wer sie war – oder für wen er sie zumindest hielt. Anne Landerson, eine zerstreute Studentin, die mit dem Diebstahl diverser Juwelen und Kunstgegenstände aus dem Haus seiner Großtante Elisabeth zu tun gehabt hatte. Er versuchte, sie am Arm zu fassen, aber sie duckte sich weg und entwischte in die Menschenmenge, die sich in der Casino-Lobby tummelte. Das Einzige, was von ihr übrig blieb, waren ihre hochhackigen, knallroten Pumps.

Zwei Stunden später hatte er noch immer keinen von ihnen geschnappt. Trotz der automatischen Türverriegelung waren sowohl die Rowlands als auch das Mädchen entkommen. Frustriert kehrte Cash nach Oklahoma City zurück.

Die nächsten Tage verbrachte er erfolglos damit, den Verbleib der Bande zu erforschen. Stundenlang saß er missmutig in seinem Büro und betrachtete gedankenverloren die Pumps auf seinem Schreibtisch. Wie, zum Teufel, konnte eine Frau auf solchen Absätzen laufen? Er dachte an die staksende Frau auf dem Überwachungsvideo. Sie war verführerisch geschminkt gewesen und hatte ein schwarzes Cocktailkleid getragen, das ihre Kurven aufreizend betont hatte. Das Ganze schien ihm recht widersprüchlich. Er zog die Akte seiner Großtante hervor – einen seiner ersten Fälle, nachdem er damals Barron Security übernommen hatte.

Die Kleine hatte behauptet, nichts über die gestohlenen Gegenstände zu wissen, nur, dass sie ihr per Post zugeschickt worden waren. In ihren großen braunen Augen hatten sich Angst und Panik widergespiegelt. Augen, die Cash in den darauffolgenden sechs Jahren nicht vergessen konnte. Die Direktorin ihrer Schule und ein Jurist hatten damals einen Deal mit dem Staatsanwalt vereinbart. Offenbar war sie unschuldig und nur auf einen Trick hereingefallen. Deshalb hatte Cashs Firma sich damit zufriedengegeben, dass sie die Gegenstände zurückgeben und einen Sozialdienst ableisten sollte.

Doch jetzt gab es ein neues Problem. Er hatte im Internet nach Anne Landerson gesucht. Sie existierte nicht, es gab keine Spur von ihr in irgendeiner Datenbank. Bridger bemühte sich derzeit um die Sondererlaubnis, auch nicht öffentliche Register abfragen zu dürfen. In der Zwischenzeit konzentrierte Cash sich auf die Rowlands. Er war jedoch der Lösung der Frage, weshalb sie es auf das Eigentum der Barrons abgesehen hatten, noch keinen Schritt nähergekommen.

Und dieses Mädchen war nun schon zum zweiten Mal im Dunstkreis der Rowlands aufgetaucht. Warum? War sie mit einem der Brüder zusammen? Aus unerfindlichen Gründen bereitete die Vorstellung ihm Unbehagen.

Ein kurzes Klopfen kündigte Bridger an, der eine Sekunde später vor Cashs Schreibtisch stand.

„Bitte, sag mir, dass du etwas herausgefunden hast.“

Resigniert schüttelte sein Vize-Chef den Kopf. „Weder beim FBI noch bei Interpol. Die Rowlands sind überall vertreten, aber von dem Mädchen fehlt jede Spur, zumindest unter dem angegebenen Namen.“

Cash strich sich nachdenklich übers Kinn. Er hatte beschlossen, sich einen Bart stehen zu lassen, nachdem es ihm fast gelungen wäre, als Chases Doppelgänger die Ehe seines Zwillingsbruders zu zerstören. „Könnte sie die Zielperson gewesen sein?“

Noch bevor Bridger antworten konnte, klingelte sein Handy. Er schaute auf die Anzeige und fing plötzlich an, breit zu grinsen. „Bingo. Wir haben sie gefunden.“

Brigder drückte einige Tasten auf seinem Smartphone, und eine Sekunde später öffnete sich ein Link auf Cashs Computermonitor. Er klickte darauf, und ihr Bild erschien. Sie kam ihm darauf fremd und gleichzeitig vertraut vor. Er las die Information darunter.

„Roxanne Rosetta Rowland. Bachelor in Geschichte, anschließend Master in Museumskunde an der Universität von Oklahoma.“

„Mit diesen Daten müsste es uns möglich sein herauszufinden, wo sie wohnt und wo sie arbeitet und warum sie nicht mit den Rowlands verlinkt ist, obwohl sie ihren Namen trägt.“

„Ich will alles von ihr wissen.“ Oh, ja. Er musste jedes kleine Detail über Roxanne Rowland erfahren, vor allem, was sie seit ihrem Interview im Polizeirevier von Fairfax getrieben hatte. Verdammt, er war ein Idiot gewesen, als er ihre fadenscheinige Geschichte geglaubt hatte und ihr nicht weiter auf den Fersen geblieben war. Unschuldige benutzten keine falsche Identität. Er würde die Fakten noch heute auf dem Tisch haben.

Roxie schritt nervös ihr Büro ab. Keiner ihrer Familienangehörigen hatte sich bis jetzt bei ihr gemeldet. Sie hatte nur schnell ihre Sachen aus dem Zimmer in Vegas geholt und war getürmt. Ha! Sie kannte all ihre Tricks. Deshalb hatte sie die geklauten Juwelen genommen und in die Box für Fundsachen auf dem Putzwagen des Zimmermädchens gelegt. Dann hatte sie den nächsten Flug nach Hause gebucht.

Jedes Mal, wenn ihr Handy eine Textnachricht ankündigte, fuhr sie schreckhaft hoch. Hatte einer ihrer Brüder geschrieben? Aber sie meldeten sich nicht bei ihr, keine Anrufe, keine E-Mails, nichts. Entnervt hatte sie angefangen zu recherchieren. Was sie über ihre Familie herausfand, hatte sie beunruhigt und deprimiert. Sie vermutete inzwischen, dass die Rowlands auf die schiefe Bahn geraten waren. Ihr Vater und ihre Brüder wurden von FBI und Interpol wegen Betrug und Diebstahl gesucht.

„In was habt ihr mich da nur hineingezogen?“, murmelte sie, während sie auf und ab ging. Und was hatten die Barrons damit zu schaffen? Niemand stellte sich gegen diese Dynastie, denn das war ein aussichtsloses Unterfangen. Jeder bei der Werbeagentur Reade-Cannon-Mansfield hatte gewaltigen Respekt vor dem sogenannten „Imperium der Roten Erde“. Auch wenn sie wirklich gern in einem Museum arbeiten würde, liebte sie doch ihren Job als Archivmitarbeiterin in der Firma RCM. Und sie wollte ihre Position nicht gefährden, indem sie sich mit den Barrons anlegte.

Was sollte sie nur tun? Die Polizei einzuschalten, war eine schlechte Idee. Zum einen, weil sie nicht wusste, was ihre Familie wirklich ausgefressen hatte. Zum anderen, weil man sie dort wahrscheinlich für eine Komplizin halten würde. Dann könnte sie ihre berufliche Karriere für immer vergessen.

Sie beäugte ihr Smartphone. Sollte sie Max anrufen und ihn fragen, was vor sich ging? Unschlüssig scrollte sie über ihr Adressbuch. Als ihr Handy plötzlich anfing zu vibrieren, fiel es ihr fast aus der Hand. Zitternd starrte sie auf die Textnachrichten von Brax.

Vergiss, dass du je in Vegas gewesen bist.

Was läuft hier eigentlich?

Kein Wort zu irgendjemand, Rox. Falls du redest, passiert ein Unglück.

Ich will wissen, was los ist!

Wir melden uns, wenn wir dich brauchen. Merk dir: Familie ist alles!

„Familie ist alles“? Das war heftig. Als Kind hatte sie jedes Weihnachtsfest im Internat verbracht. Und das eine Mal, als sie an ihren Geburtstag gedacht hatten, wollten sie nur, dass sie Diebesgut versteckte. Abschlussfeiern? Fehlanzeige. Ihre Vorstellungen vom Familienleben lagen himmelweit auseinander.

Roxanne starrte auf ihr Display. Es würde etwas Schlimmes passieren, falls sie redete? Was hatte das zu bedeuten? Sie verfiel kurz in Panik, riss sich aber zusammen. Ihr Vater und ihre Brüder waren Kriminelle, und sie planten irgendein krummes Ding mit den Barrons, bei dem sie selbst auch eine Rolle spielen sollte. Doch das würde sie nicht zulassen.

Verdammt, was soll ich nur tun? dachte sie und fing an, im Internet unter dem Stichwort „Barron Firmenkonsortium“ zu recherchieren. Fünf Minuten später fand sie die Telefonnummer von Barron Security, deren Vorstand Cash Barron war. Das hatte sie nicht gewusst, als sie ihm damals mit sechzehn im stickigen Verhörraum des Polizeireviers von Fairfax gegenübergestanden hatte. Doch sie hatte ihn nie vergessen. Er war über viele Jahre der Held ihrer schillerndsten Träume gewesen. Sollte sie ihn anrufen?

Sie brauchte einen Plan.

Cash ließ seinen besten IT-Spezialisten nach Roxanne Rowland fahnden. Doch das, was von ihr zu finden war, passte nicht zu den Fakten über den Rest ihrer Familie. Das Mädchen bewohnte ein billiges Apartment im Nordwesten der Stadt und arbeitete bei Reade-Cannon-Mansfield, der größten Werbeagentur in Oklahoma City. Er rief den für das Barron Konsortium zuständigen Sachbearbeiter bei RCM an, um mehr über Roxanne zu erfahren. Cashs eigenen Recherchen zufolge lebten Max und seine Söhne auf großem Fuß. Von der französischen Riviera über die Luxushotels von Dubai und Hongkong bis zur Goldküste von Florida – überall dort, wo die Superreichen sich die Zeit vertrieben, ging diese Diebesbande auf Raubzug. Nichts von alldem passte zu den Informationen, die sie über Roxanne herausgefunden hatten.

Autor

Silver James
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