Neue Chance, neues Glück

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"Ja, ich will!" Gianlucas Worte zerreißen Poppy das Herz. Denn ihre große Liebe heiratet eine andere Frau. Was für eine Demütigung, auf seiner Hochzeit zu sein und ihn für immer zu verlieren! Doch die Zukunft hält eine Überraschung für Poppy bereit …


  • Erscheinungstag 20.04.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751522151
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Juni 2004, Rom, Villa Palladio

„Du hast großes Glück, mein Junge.“

„Das stimmt, Onkel Dino.“

Er hatte tatsächlich großes Glück. Und wenn Luca sich das nur oft genug einredete, würde er vielleicht sogar irgendwann selbst davon überzeugt sein.

Vernunftehen konnten durchaus funktionieren. Das hatten die Ranieris schließlich seit Generationen bewiesen.

Lucas eigene Großeltern stammten aus zwei einflussreichen italienischen Familien, die bewusst durch Heirat miteinander verbunden wurden. Allerdings war das kein so gutes Beispiel … Doch Lucas Eltern hatten wiederum eine erfolgreiche arrangierte Ehe geführt, ganz im Sinne der Tradition.

Nur leider empfand Luca sich seit jeher als Modernist, der seine Familie ins einundzwanzigste Jahrhundert führen wollte. Aber das hatte sich in den vergangenen sechs Wochen grundlegend geändert.

Vor eineinhalb Monaten hatte er im Arbeitszimmer seines Vaters gesessen und die scheinbar harmlose Einladung angenommen, mit ihm einen Brandy zu trinken.

Und nachdem Damiano Ranieri ihnen beiden einen großzügigen Schluck eingeschenkt hatte, hatte er eine kleine Schachtel aus einem Safe geholt, der sich hinter dem größten Gemälde im Raum verbarg.

„Der gehörte deiner Urgroßmutter, Luca“, verkündete er feierlich.

Lucas erste Gedanken, während er das auf Samt gebettete Erbstück betrachtete, waren: Er weiß es! Er weiß von uns. Er weiß von Poppy. Und trotzdem schreit er nicht herum oder droht, mich zu enterben!

Gerührt von der Reaktion seines Vaters, war Luca drauf und dran gewesen, sich in aller Form für diese Geste zu bedanken, die Gabe aber dennoch als etwas übereilt abzulehnen.

Er und Poppy hatten zwar schon über eine gemeinsame Zukunft gesprochen, aber beide fanden, dass sie für eine ernsthafte Verbindung noch viel zu jung waren.

„Warte mal ab, was du in einem Jahr noch für mich empfindest, Luca!“, hatte Poppy ihn geneckt, als sie gemeinsam an einem See gesessen und ihre große Expedition geplant hatten. „Bis dahin hast du vielleicht die Nase von mir voll!“

Nachdem er ihr bewiesen hatte, wie unwahrscheinlich es war, dass er jemals genug von ihr bekam, richtete er sich keuchend auf und knöpfte sein Hemd über der breiten Brust zu. „Dann müsstest du dich wieder diesen ganzen aufdringlichen, sexbesessenen Studenten stellen.“

Allein die Vorstellung, wie sie mit ihren kleinen geschmeidigen Händen über den Körper eines Fremden fuhr und ihn mit ihren sündhaft sinnlichen Lippen liebkoste, machte Luca rasend. Ihm wurde regelrecht schlecht, und er räusperte sich schnell.

„Sexbesessen, das klingt allerdings interessant“, überlegte Poppy laut und lachte heiser. Dann bemerkte sie seinen Gesichtsausdruck und stockte. „Du bist ja eifersüchtig!“ Diese Feststellung schien sie zu freuen.

„Herzlose kleine Hexe“, schimpfte er und grinste breit.

„Ich bin einzig und allein deine herzlose kleine Hexe, Luca“, versprach sie und legte ihm die Arme um den Nacken.

Die offensichtliche Liebe und das Vertrauen in ihren leuchtenden Augen trafen Luca direkt ins Herz. Poppy versuchte niemals, sich zu verstellen. Sie war durch und durch aufrichtig in allem, was sie sagte oder tat.

Gianluca, der aus einem ausgesprochen ruhigen und kultivierten Elternhaus stammte – in dem niemals laut gesprochen wurde, ganz egal aus welchem Grund –, hatte dagegen kaum Erfahrung mit spontanen Emotionen. Für ihn zählten in erster Linie Kontrolle und Selbstbeherrschung.

Poppy nannte ihn manchmal einen Eisklotz im Schmelzvorgang.

„Das ist natürlich etwas anderes“, murmelte er.

„Keine Sorge, Luca! Ich werde all diesen hormongesteuerten Studenten unmissverständlich klarmachen, wie sehr ich meinem Computerfreak verfallen bin.“ Es gelang ihr immer, ihn zum Lächeln zu bringen. „Aber du weißt schon, dass Computerfreaks normalerweise nicht so scharf aussehen und so viele Muskeln haben? Allerdings würde dir eine Brille gut stehen, das hat so etwas sexy Intellektuelles.“ Mit der Fingerspitze malte sie unsichtbare Kreise um seine Augen. „Genau wie Clark Kent, der Superman.“

„Du hältst mich echt für einen Computerfreak?“

„Einen äußerst heißen Computerfreak! Das muss man gar nicht herunterspielen, und es braucht dir auch nicht peinlich zu sein. Ich liebe dein Superhirn. Und wenn ich endlich meinen Abschluss habe, hast du bestimmt schon die erfolgreichste Webdesign-Firma der Welt aus dem Boden gestampft“, prophezeite sie mit einem schweren Seufzer. „Das perfekte Timing.“

„Wie schaffst du es bloß, ständig gut drauf zu sein?“, fragte er, förmlich erschlagen von ihrem Optimismus.

„Ist alles Teil meines umwerfenden Charmes“, gab sie fröhlich zurück. „Und wie könnte ich nicht gut drauf sein? Alles ist perfekt, außer …“ Sie biss sich auf die Zungenspitze und sah Luca herausfordernd an. „Du weißt schon, dass wir uns genau hier zum ersten Mal geküsst haben?“

„Das habe ich nicht vergessen. Lass das, Poppy!“, warnte er sie, als sie mit einem Finger an ihren vollen, sinnlichen Lippen spielte.

„Was denn?“ Schnell setzte sie eine Unschuldsmiene auf und klopfte neben sich ins Gras. „Findest du es nicht angemessen, wenn wir auch genau an diesem Ort …?“

Seine Herkunft verbot Luca, dieses unwiderstehliche Angebot anzunehmen, trotzdem bereitete es ihm fast körperliche Schmerzen, sich zurückzuhalten. Ganz gleich, was er seiner Patentante versprochen hatte. Wäre da nicht der eiskalte See gewesen, in den Luca sich vollständig angezogen werfen konnte, hätte es ein Unglück gegeben.

„Ich weiß das zu schätzen, Dad, wirklich. Aber es ist noch ein bisschen zu früh.“ Außerdem hatte Luca sich immer vorgestellt, Poppy würde irgendwann einen Smaragd tragen, der zu ihren Augen passte. „Und sie ist sehr jung.“

Obendrein schien sie entschlossen, die Beziehung um jeden Preis auf eine nächste Ebene zu befördern. Der Altersunterschied von fünf Jahren störte Poppy nicht im Geringsten, ihr widerstrebte aber Lucas Entschlossenheit, sich zurückzuhalten. Dabei wollte er schlicht ihre Unerfahrenheit nicht ausnutzen und sie nicht unnötig verschrecken.

„Das erste Mal sollte etwas ganz Besonderes sein“, hatte er ihr zugerufen, während er bis zur Hüfte in den eisigen See gewatet war.

„Das wird es nicht, wenn ich inzwischen an Altersschwäche sterbe“, hatte sie lachend erwidert.

„Ich musste deiner Großmutter versprechen …“

„Mit nicht das Herz zu brechen“, vollendete Poppy den Satz. „Ich weiß. Aber so weit wird es gar nicht kommen. Ich bin achtzehn Jahre alt, Luca, und werde meine Meinung bestimmt nicht ändern. Das ist keine vorübergehende Schwärmerei. Wenn dem so wäre, würde ich dich ja für perfekt halten, und das tue ich nicht. Ich liebe dich einfach trotz deiner Ecken und Kanten.“

Grinsend kam er aus dem Wasser und schüttelte den Kopf. „Zähle sie bitte nicht alle auf, nicht schon wieder. Das tut meinem Ego gar nicht gut.“

„Dein Ego, Luca Ranieri, ist stabil und kugelsicher!“

Dann wurde er ernst. „Da gibt es einen ganz tollen Strand im Süden von Thailand.“

„Mit wem bist du dort gewesen?“

„Ich war allein dort.“

„Gut“, seufzte sie erleichtert.

„Man erreicht die Bucht nur mit dem Boot. Der Sand ist fast schneeweiß, die Luft angenehm warm, und wenn erst der Mond über den seichten Wellen aufgeht …“

„Schluss damit! Ich bin längst überzeugt. Mit dieser tiefen sexy Stimme könntest du mir alles andrehen. Sieh mal!“ Eilig schob sie sich den Ärmel hoch. „Ich habe überall Gänsehaut.“ Ihre Augen glitzerten plötzlich verdächtig. „Wirklich überall. Willst du mal sehen?“

Luca unterdrückte ein Stöhnen. „Ich glaube dir auch so.“

„Weil dein altmodischer Stolz, dein Ehrgefühl und die Angst vor Gran dich zurückhalten“, beschwerte Poppy sich, war ihm jedoch überhaupt nicht böse. „Schön, du hast gewonnen. Du darfst ganz offiziell um mich werben, aber lass mich nicht zu lange zappeln! Und du kannst mir nicht verbieten, dir weiterhin schöne Augen zu machen.“

„Aurelia liebt Rubine.“

„Aurelia.“ Mit einem Klicken ließ Luca das Etui zuschnappen. „Ich werde Aurelia nicht heiraten.“

Beide Familien hatten nie ein Geheimnis daraus gemacht, wie gern sie ihre Dynastien durch eine Hochzeit vereint wüssten. Schon als Kinder hatten sich Luca und Aurelia manchmal über die traditionsschwangeren, unrealistischen Pläne ihrer Eltern lustig gemacht.

„Ich liebe eine andere.“ Die nackte Wahrheit schien ihm der einfachste Weg, um das Thema schnell zu beenden.

„Natürlich liebst du eine andere, Luca. Schließlich bist du dreiundzwanzig, aber ich bin sicher, diese Dame ist im höchsten Maße ungeeignet.“

Der schneidende Tonfall seines Vaters machte Luca wütend.

„Hast du eine Vorstellung davon, wie wenig Frauen der Verantwortung gewachsen sind, die eine Heirat in unsere Familie mit sich bringt?“, ereiferte sich Damiano. „Es geht ausschließlich darum, vielversprechende Nachfahren zu bekommen. Aber die Mädchen von heute setzen auf eigene Karrieren und Selbstverwirklichung. Deine Ehefrau wird jedoch nie arbeiten.“

Obwohl er sich in eine unangenehme Situation manövriert hatte, musste Luca beim Gedanken daran, was Poppy zu dieser Option sagen würde, fast lachen.

„Diese Frauen begreifen das Konzept der traditionellen Pflichterfüllung nicht“, fuhr sein Vater leidenschaftlich fort. „Und wenn wir schon von Liebe sprechen, was ist denn mit Aurelia? Sie liebt dich sehr und wartet seit vielen Jahren auf dich.“

„So ein Blödsinn!“ Keine Sekunde glaubte Luca an diese Behauptung.

Damiano schnaubte höhnisch. „Ach ja? Genau wie du ist sie optimal auf ihre zukünftige Rolle vorbereitet worden. Und wo ist das Problem? Du magst sie doch!“

„Das reicht aber nicht.“

„Und wieder die Liebe!“ Ungeduldig gestikulierte der ältere Mann mit beiden Händen in der Luft. „Meinst du etwa, ich hätte deine Mutter geliebt?“

„Ja.“ Jeder wusste, was für eine glückliche Ehe sie führten.

Immerhin besaß sein Vater den Anstand, schief zu lächeln. „Nun, das ist auch nicht der Punkt.“

„Nicht?“

„Nein. Es geht darum, dass du dieses Mädchen schon immer heiraten solltest, Luca. Also warum nicht jetzt?“

Sein Vater ließ sich nicht von der Idee abbringen, und Luca wollte herausfinden, warum. „Wozu diese Eile?“

Geschickt wich sein Vater dieser Frage aus. „Oh, ich weiß, du hast Reisepläne oder so etwas.“

„Als ich dem zusätzlichen Betriebswirtschaftsstudium zugestimmt habe, war bereits klar, dass ich nach dem Abschluss eine Auszeit von einem Jahr haben will.“

„Genau wie deine Freunde“, seufzte der ältere Mann. „Dabei bist du anders als sie. Du hast die große weite Welt bereits mehrfach gesehen.“

„Aus den Fenstern irgendwelcher Fünfsternehotels.“

„Ja, du hast wirklich gelitten, Luca“, sagte Damiano zynisch.

„Mir ist klar, wie privilegiert ich bin.“

„Du hast alles bekommen, und nun ist es an der Zeit, sich dafür zu revanchieren. Du solltest deine Pflicht der Familie gegenüber erfüllen. Gegenüber dem Namen deiner Familie, deinem Namen. Du musst sesshaft werden, mein Junge.“

„Dieses Mal lasse ich mich nicht moralisch erpressen.“

Sein Vater ignorierte den Einwand. „Sobald du die Firma übernimmst …“

„Das werde ich sicherlich nicht tun“, unterbrach Luca entschieden.

Noch heute erinnerte er sich daran, wie ihm bei dieser Beichte ein riesiger Stein vom Herzen gefallen war.

Augenblicklich verschwand der Ärger seines Vaters aus dessen Stimme, und er sank zurück auf seinen Stuhl. „Solltest du Aurelia nicht heiraten, wird es auch keine Firma mehr geben, die du übernehmen könntest.“

„Wovon redest du da?“

Seufzend erhob sich sein Vater wieder und holte eine Akte aus dem Safe hinter dem Gemälde. „Sagt dir der Name Jason Stone etwas?“

„Sicher.“ Jeder kannte den Amerikaner, dem seine windigen Geschäfte und Betrügereien zu zweifelhaftem Ruhm verholfen hatten.

Es war Luca ein Rätsel, wie dieser Mann es geschafft hatte, sich nur mit Charme und Aufschneider-Sprüchen das Vertrauen seiner steinreichen Kunden zu erschleichen. Verblendet von wilden Versprechungen, hatten sie ihr Geld in seine skrupellosen Hände gelegt – und es verloren.

Inzwischen saß der Mann hinter Gittern, die Millionen aber blieben verschwunden.

„Lies das, Luca“, bat sein Vater.

Während er die Mappe durchblätterte, schien sein Vater sichtlich zu altern. Auch Luca spürte, wie ihn der Mut verließ.

„Wie viel?“, wollte er schließlich wissen.

Sein Vater nannte eine Summe, die Luca überrascht aufstöhnen ließ.

„Ich hielt es für eine verlässliche Anlage und dachte, ich könnte das Geld zurückzahlen, bevor irgendjemand …“

„Nein! Du hast das Geld doch nicht etwa …?“

Damianos Gesichtsausdruck war Antwort genug.

„Wer weiß davon?“ Neben dem finanziellen Ruin wäre der Vorwurf einer weitreichenden Unterschlagung kaum von der Hand zu weisen. „Mutter?“ Sie vergötterte ihren Ehemann und war emotional ziemlich labil. Ein Skandal diesen Ausmaßes wäre unerträglich für sie.

„Die Bank, wenn auch nicht im vollen Umfang. Und Alessandro. Er hat mich damals gewarnt, aber nun ist es zu spät.“

Luca versteifte sich, als der Name von Aurelias Vater fiel. Nun war klar, worauf das Gespräch hinauslief.

„Du weißt genau, du bist der Sohn, den Alessandro niemals hatte. Und nach seinem letzten Herzanfall möchte er gern in absehbarer Zeit die Zügel aus der Hand geben. Er hat mir einen Deal vorgeschlagen, so eine Art Übernahme. Und sein Angebot ist mehr als großzügig. Alles würde in der Familie bleiben.“

Und nun waren sie eine Familie. Gianluca Ranieri hatte sich seiner Verantwortung gestellt und getan, was man von ihm erwartet hatte. Machte ihn das nun zu einem Helden oder zu einem Feigling?

Spekulationen waren jetzt fruchtlos, deshalb schlug er sich diese Frage aus dem Kopf. Seine Zukunft war vorherbestimmt, und Luca hatte nichts dagegen. Jedenfalls redete er sich das ein. Er hatte das Richtige getan.

Seit seiner Geburt war er stets an seine diversen Verpflichtungen erinnert worden. Er hatte seine Wahl getroffen und würde damit leben müssen. Und er wollte dafür sorgen, dass diese Ehe funktionierte.

Nächstes Jahr würde Alessandro Cosimo in den Ruhestand gehen. Lucas eigener Vater hatte den Vorsitz der Firma bereits abgegeben, und dann sollte Luca am Ende Geschäftsführer des zusammengelegten Großunternehmens werden.

Er hatte Poppy tief verletzt. Egal, wie oft er sich selbst daran erinnert hatte, wie jung sie war. Dass sie darüber hinwegkommen würde, weitermachen, jemand anderen finden … Jemand anderen als ihn. Die Gewissheit, dass sie seinetwegen leiden musste, fraß an ihm wie Säure.

Und er mochte sich nicht vorstellen, wie sie in den Armen eines anderen Mannes lag. Es verursachte ihm Schmerzen, die er verdrängen musste, bis sie sich gänzlich auflösten. Ja, irgendwann würden sie verschwunden sein.

Sie mussten einfach verschwinden!

Heute war sie gekommen. Damit hatte Luca nicht gerechnet. Warum?

Er hatte Poppy nie zuvor in High Heels gesehen. Die Schuhe hatten einen extrem hohen, spitzen Absatz, und Poppys schlanke Fesseln sahen unglaublich sexy aus. Sie trug ein grünes Seidenkleid, das einen Ton heller als ihre Augen war, was ihr ein selbstsicheres, elegantes Aussehen verlieh. Es war, als hätte sie nie andere Kleidung als diese getragen: sehr kultiviert und im höchsten Maße begehrenswert!

Die Zeremonie fand in einer großen Kathedrale statt, in der Poppy sich hinter einer Marmorsäule verstecken konnte, um ein paar heimliche Tränen zu vergießen. Jetzt, in den sonnendurchfluteten Gärten zwischen reich gedeckten Tischen, musste sie die Fassung bewahren. Vor allem weil in diesem Moment eine Frau mit einem extrem großen Hut vor ihr stand und geduldig auf eine Antwort wartete.

Nicht jetzt, dachte Poppy und setzte ein gezwungenes Lächeln auf. Dann schnappte sie sich eilig ein Glas Champagner von dem Tablett, das ein eifriger Kellner zwischen den Stehtischen hindurchbalancierte.

Es war nicht einfach, mit einem dicken Kloß im Hals Champagner zu trinken, aber Poppy konnte die beruhigende Wirkung des Alkohols sehr gut gebrauchen. In einem Zug leerte sie das Glas und entschuldigte sich dann in stockendem Italienisch bei ihrer Gesprächspartnerin, um möglichst schnell das Weite zu suchen.

Luca hatte ihr seine Sprache beigebracht, doch obwohl sie jeden Sommer ihr Vokabular erweitert hatte, war ihre Grammatik ausgesprochen schwach geblieben. Dabei hatte sie gehofft, Luca würde sie weiter unterrichten … in vielerlei Hinsicht.

Sie kniff die Augen zusammen und schüttelte heftig den Kopf. Ihre großen goldenen Ohrringe klirrten leise, als sie gegen Poppys Wangen schlugen. Oh, wie sehr sie diesen Mistkerl hasste!

Hinter sich hörte sie ihre Großmutter rufen, doch Poppy hastete auf einem schmalen Pfad zwischen den Gästen hindurch. Zu beiden Seiten erstreckten sich penibel gepflegte Rasenflächen, und in der Ferne leuchteten dunkelgrüne Olivenhaine auf den Hügeln in der Sonne, umsäumt von noch dunkleren Pinien.

Mühsam hielt sie ihre Tränen zurück, bis sie den abgeschiedenen Sommerpavillon erreicht hatte, der sich hinter einer duftenden Lavendelhecke befand.

Wie hatte das alles bloß geschehen können? Das Leben war perfekt gewesen. Wieso liebte Luca sie nicht mehr? Im Kopf hallten seine Worte wider, es sei alles nur ein großer Fehler gewesen.

Hatte er sie überhaupt je geliebt?

Liebte er die makellose Aurelia?

Wie könnte er nicht? Sie dachte an die schwarzhaarige Schönheit, die in der Kirche neben ihm gestanden hatte, und krümmte sich vor schmerzhafter Eifersucht. Nein, Aurelia hatte keine Mutter, die sich fast monatlich einen international beachteten Skandal leistete!

Wieder schüttelte Poppy fassungslos den Kopf und fischte in ihrer Handtasche nach einem Päckchen Taschentücher.

„Verdammt“, schnaubte sie, als ihr die Packung aus den Händen glitt und zu Boden fiel. Sie bückte sich danach und erstarrte.

Denn er war da, das konnte sie spüren.

Langsam richtete Poppy sich auf, und dort stand er. Einige Meter entfernt, und doch konnte sie emotionale Wellen ausmachen, die stärker wurden, als Luca auf sie zukam.

„Du weinst ja.“

Unbewusst zerknüllte sie die Taschentücher in ihrer Hand. „Nein, das ist nur Heuschnupfen“, log sie.

„Warum bist du hergekommen, Poppy?“

„Ich hätte nicht gedacht, dass du es wirklich tust. Aber du hast es durchgezogen. Wow, du hast es echt getan! Hast du es eigentlich irgendwann mal ernst mit mir gemeint, oder war das alles nur so ein krankes Spiel für dich?“

Er streckte die Hand nach ihr aus, ließ sie jedoch gleich wieder sinken. „Du fühlst dich jetzt schrecklich, aber das hast du bald schon vergessen.“

„Ich will es aber nicht vergessen.“ Sie schniefte leise und brachte sogar ein Lachen zustande. „Ich hoffe, ihr beide werdet sehr glücklich miteinander.“

Sein Kinn wirkte plötzlich kantiger als sonst, und an seinem Hals zuckte ein Muskel. „Ich meinte es ehrlich. Ich meinte alles ehrlich.“ Die Worte schienen sich gegen Lucas Willen aus seinem Mund zu lösen, so gepresst sprach er sie aus.

Poppy bemerkte den Schmerz in seinen Augen und fand, dass sie sich darüber freuen sollte. Er verdiente es zu leiden, schließlich war er allein schuld an ihrer Trennung. Warum wollte sie dann einfach auf ihn zustürmen und ihm um den Hals fallen?

„Und das macht es besser?“, fragte sie erstickt und beobachtete, wie jede Emotion aus seinen Gesichtszügen wich. „Wieso, Luca? Wieso hast du das getan?“

Mit einer Hand griff er sich ins Haar. „Es ist ziemlich kompliziert.“

„Liebst du sie?“ Impulsiv hielt sie sich die Ohren zu. „Nein, sag es mir nicht! Ich will es gar nicht wissen, und auf dein Mitleid kann ich auch verzichten“, zischte sie.

Luca nahm ihr schönes Gesicht in beide Hände und starrte ein paar Sekunden lang schweigend in ihre großen grünen Augen. „Ich wünsche dir ein fantastisches Leben, Poppy“, flüsterte er, gab ihr einen sanften Kuss und verschwand.

1. KAPITEL

Poppy ließ ihre Reisetasche im Flur stehen und ging direkt ins Esszimmer. Die Reste des Frühstücks standen noch auf dem Tisch, und Poppys Vater arbeitete sich gerade durch seine zweite Sonntagszeitung. Ihre Stiefmutter machte sich mit flinken, geschickten Fingern – um die Poppy sie glühend beneidete – an einem kleinen Wandteppich zu schaffen und lachte leise über etwas im Radioprogramm, das im Hintergrund zu hören war.

Die vertraute Friedlichkeit dieser Familienidylle glättete sofort die Falten auf Poppys Stirn. So war es nicht immer gewesen. Bevor Millie eingezogen war, waren nicht nur die Sonntage, sondern auch der gesamte Alltag im Ramsay-Haushalt von emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Mit zehn Jahren hatte Poppy nicht einmal geahnt, dass nicht jeder Vater sein Wochenende im Büro verbrachte. Aber Millie hatte ihrer aller Leben von Grund auf geändert, und zwar im positivsten Sinne. Es war nur eine Schande, dass Poppys Großmutter diesen Umstand noch immer nicht akzeptieren konnte.

Millie Ramsay blickte auf, und ein warmes Lächeln breitete sich auf ihrem sommersprossigen Gesicht aus. Doch dann bemerkte sie den Kummer in den Augen ihrer Stieftochter. „Probleme, Poppy?“, erkundigte sie sich und legte ihre Handarbeit beiseite.

„Ja“, gab Poppy zu und stützte sich mit einer Hand auf dem Lehnstuhl ihres Vaters ab, der raschelnd seine Zeitungen zusammenfaltete. Dann warf sie Millie einen entschuldigenden Blick zu. „Es geht um Gran.“

Robert Ramsays Miene wurde eisig, bevor er sich demonstrativ hinter einer weiteren Zeitung versteckte. Millie blieb dagegen ganz ruhig und schaltete das Radio aus. Dann wartete sie noch eine Weile, bevor sie das Schweigen brach.

Autor

Kim Lawrence
<p>Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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