Nie mehr sollst du einsam sein

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Das hat ihm gerade noch gefehlt! Als sich herausstellt, dass die neue Praxisvertretung eine Frau ist, reagiert Hugh äußerst ungehalten. Noch immer hat der Arzt den Tod seiner Frau nicht überwunden. Kann ihn vielleicht die lebenslustige Alex aus seiner Einsamkeit reißen?


  • Erscheinungstag 29.05.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506823
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Mit wachsendem Unmut betrachtete Dr. Scott die mollige Frau mittleren Alters, die ihm gegenübersaß. Als er sich vor vierzehn Jahren dazu entschieden hatte, Allgemeinmediziner zu werden, musste er wohl von allen guten Geistern verlassen gewesen sein.

Ich hätte Facharzt werden sollen oder noch besser Anästhesist, dachte er, während Sybil Gordon ihm ihr Leid klagte. Da redeten die Patienten überhaupt nicht. Aber er wollte ja unbedingt eine Hausarzt-Praxis eröffnen, und was hatte er nun davon? Die schlimmste Hypochonderin des ganzen Universums.

„Mrs. Gordon“, unterbrach er ihren Redeschwall energisch. „Es ist völlig ausgeschlossen, dass Sie das Dengue-Fieber haben. Diese Krankheit tritt nur in subtropischen Gegenden auf, und der Norden Schottlands gehört definitiv nicht dazu.“

„Aber meine Knochen tun weh, Herr Doktor“, beharrte sie. „Außerdem habe ich Halsschmerzen, und meine Nase läuft.“

„Weil Sie eine ganz normale Erkältung haben“, erklärte er, wobei er sich nur mühsam beherrschte. „Gehen Sie nach Hause, und nehmen Sie eine Schmerztablette. Und vor allem, verbrennen Sie endlich Ihr medizinisches Sachbuch!“

„Aber ich schwitze, Herr Doktor“, protestierte sie. „Und ich bin sicher, dass meine Augäpfel gelb aussehen. Finden Sie nicht, dass sie gelb sind?“

Hugh war nachts dreimal angerufen worden, hatte am Vormittag eine lange, anstrengende Sprechstunde hinter sich gebracht, und die Abendsprechstunde versprach genauso zu werden. Da konnte er jemanden wie Sybil Gordon wirklich nicht gebrauchen. Außerdem sollte jeden Augenblick die neue Praxisvertretung eintreffen.

„Nein, Ihre Augen sind nicht gelb, sondern völlig normal, gesund und weiß“, gab er schroff zurück.

„Sind Sie sicher, Herr Doktor?“ Sybil Gordon ließ nicht locker. „Als ich sie vorhin im Spiegel angeschaut habe, sahen sie jedenfalls gelb aus. Und die Haut an meinem Kinn fängt an zu jucken. Das ist doch auch ein Zeichen für Dengue-Fieber, oder?“

Da riss Hugh der Geduldsfaden endgültig. „Raus, Mrs. Gordon.“ Mit langen Schritten ging er durch das Sprechzimmer und öffnete die Tür.

„Wie bitte?“ Fassungslos sah sie ihn an.

„Mrs. Gordon, Sie haben kein Dengue-Fieber. Sie haben überhaupt kein Fieber. Das Einzige, was mit Ihnen nicht stimmt, ist die Tatsache, dass Sie viel zu viel Zeit haben.“

„Aber …“

„Tun Sie uns beiden einen Gefallen“, meinte er mit erhobener Stimme. „Suchen Sie sich einen Job oder ein Hobby. Denn ich schwöre, wenn ich Sie noch einmal mit irgendeiner haarsträubenden Erkrankung aus irgendeinem Buch in meiner Praxis sehe, komme ich zu Ihnen nach Hause und verbrenne das verdammte Ding höchstpersönlich!“

Er ließ ihr keine Gelegenheit zu einer Antwort, sondern drängte sie aus dem Zimmer. Dabei fiel sein Blick auf die schockierte Miene der Sprechstundenhilfe. Doch Hugh knallte nur die Tür zu und ging verärgert an seinen Schreibtisch zurück.

Dengue-Fieber! Die weitesten Fahrten, die Sybil Gordon mit ihren achtundfünfzig Jahren je unternommen hatte, waren gelegentliche Ausflüge ins Nachbardorf. Ein waschechtes Kilbreckan-Urgestein, wie Jenny immer zu sagen pflegte. Eine Frau, die schon Heimweh bekam, wenn sie mehr als eine Meile von zu Hause entfernt war.

Er lachte leise. Wie Jenny sich darüber amüsieren würde, wenn er ihr davon erzählte! Doch dann durchfuhr ihn ein plötzlicher Schmerz. Nein, Jenny würde nicht lachen, weil es sie nicht mehr gab. Heiße Tränen schossen ihm in die Augen, und er musste sich auf die Lippen beißen, um sie zurückzuhalten.

Zwei Jahre war es her, dass Jenny mit ihrem Wagen auf Glatteis ins Schleudern geraten und frontal mit einem Lastwagen zusammengestoßen war. Zwei Jahre, in denen Hugh sich in die Arbeit gestürzt hatte, um nicht nachzudenken, um seine Erinnerungen zu verdrängen. Aber dann passierte irgendetwas, was er gerne mit ihr geteilt hätte. Und sobald er sich bewusst wurde, dass es nicht möglich war, traf ihn der Schmerz über seinen Verlust genauso heftig und unerträglich wie am Tag des Unfalls.

„So, das Ding hier kriegst du erst zurück, wenn du wieder normal mit unseren Patienten reden kannst, ohne ihnen den Kopf abzureißen“, erklärte Malcolm MacIntyre, sein Praxis-Partner, der gerade hereinkam. Er nahm Hughs Namensschild ab und steckte es in seine Tasche. „Bis dahin beschränkst du dich auf den Papierkram.“

„Ich habe einfach mal die Beherrschung verloren, na und?“, fuhr Hugh auf. „Das ist doch keine große Sache. Ich geh morgen vorbei und entschuldige mich bei ihr.“

„So wie du dich letzten Monat bei George Hunter und davor bei Peggie Fraser entschuldigen musstest?“, fragte Malcolm kopfschüttelnd. „Hugh, seitdem Jenny gestorben ist …“

„Das hat nichts mit meiner Frau zu tun!“

„Du schuftest dich zu Tode, um deinen Kummer mit Arbeit zu betäuben“, fuhr Malcolm entschlossen fort. „Aber deine Laune wird immer schlechter. Die Leute in Kilbreckan mögen dich. Schon seit du vor zehn Jahren die Praxis übernommen hast. Aber Sympathie hat ihre Grenzen. Und wenn du so weitermachst, gibt es bald keine Praxis mehr.“

„Willst du etwa behaupten, dass ich der Arbeit nicht gewachsen bin?“

Malcolm stöhnte entnervt. „Ich sage nur, dass ich mir deinetwegen Sorgen mache, Hugh. Chrissie und ich sind deine Freunde, wahrscheinlich die einzigen, die noch übrig sind, nachdem du alle anderen nach Jennys Tod weggestoßen hast. Du warst unser Trauzeuge, du bist der Pate unserer Kinder, und wir …“

Verlegen rieb Malcolm sich über den Nacken. „Verdammt noch mal, wir lieben dich, du großer Hornochse. Aber du musst die Vergangenheit hinter dir lassen und wieder zu leben anfangen. Sonst macht Jennys Tod dich noch kaputt.“

Ein kalter Blick trat in Hughs graue Augen. „Ich werde nie wieder heiraten.“

„Wer hat denn was von Heiraten gesagt?“ Malcolm setzte sich auf einen Stuhl. „Ich spreche davon, dass du mit jemandem reden musst. Vielleicht mit einem Psychologen oder mit irgendjemandem, dem du vertraust, um deine Gefühle rauszulassen.“

„Ich war noch nie bei einer Gruppentherapie, und ich habe auch nicht vor, jetzt damit anzufangen“, erklärte Hugh abweisend.

„Na gut, dann vergiss den Psychologen“, erwiderte Malcolm. „Aber nimm dir wenigstens die Zeit, dich an irgendwelchen Rosen zu erfreuen – oder in deinem Fall wohl eher am Heidekraut. Hugh, du bist gerade mal neununddreißig!“

„Wir haben viel zu viel zu tun, als dass ich durchs Heidekraut stampfen könnte“, widersprach Hugh ärgerlich.

Malcolm nickte. „Deshalb brauchen wir auch einen neuen Partner in der Praxis. Ich weiß, ich weiß“, fuhr er fort, als Hugh die Augen verdrehte. „Es ist die alte Leier, aber es stimmt trotzdem.“

„Was glaubst du wohl, warum ich damit einverstanden war, all diese Vertreter in den letzten anderthalb Jahren einzustellen?“, fragt Hugh. „Ich weiß, dass wir noch einen Arzt brauchen. Aber es ist schließlich nicht meine Schuld, dass keiner der Vertreter gut genug war, um ihm eine Partnerschaft anzubieten.“

„Hugh, sie hätten alle eine Mischung aus Marie Curie und Albert Schweitzer sein können, und du hättest immer noch behauptet, dass sie nicht gut genug sind. Denn letztendlich willst du Jenny gar nicht ersetzen. Du meinst, es wäre ihrem Andenken gegenüber illoyal, das zu tun.“

„Blödsinn.“

„Ach, wirklich?“ Malcolm beugte sich vor und sah ihn forschend an. „Hugh, niemand kann oder wird Jenny jemals ersetzen. Sie war ein ganz besonderer, einzigartiger Mensch. Aber das heißt nicht, dass kein anderer Arzt ihren Platz in der Praxis einnehmen könnte. So kann es nicht weitergehen. Wir sind beide völlig erschöpft. Und als Chrissie sich vor drei Jahren bereit erklärt hat, unsere Sprechstundenhilfe zu werden, hat sie nicht damit gerechnet, dass sie rund um die Uhr arbeiten muss. Irgendwann wird es zu einem Zusammenbruch kommen, und es hat schon angefangen.“

Malcolm hatte recht, das wusste Hugh. Wenn er nicht aufpasste, würde er alles verlieren, was er sich in Kilbreckan aufgebaut hatte. Doch wie sollte er seinem besten Freund erklären, dass er nicht wusste, wie er von der Vergangenheit loskommen oder wie er ohne Jenny weiterleben sollte? Er konnte es sich nicht einmal vorstellen.

„Malcolm, ich weiß, dass es in letzter Zeit schwierig gewesen ist, mit mir zusammenzuarbeiten. Okay, okay“, fuhr er fort, als sein Freund den Kopf schüttelte. „Ich war einfach unmöglich, und das tut mir leid. Ich werde mir Mühe geben, mich zu bessern. Und ich verspreche …“

Er atmete tief durch. „Wenn dieser Alec Lorimer auch nur halbwegs vernünftig ist, bieten wir ihm am Ende seines Dreimonatsvertrages eine Partnerschaft an. Du hast doch gesagt, dass er erstklassige Referenzen hat, oder?“

Ein Hauch von Röte erschien auf Malcolms runden Wangen. „Dr. Lorimers Referenzen sind fantastisch, wirklich außergewöhnlich, aber …“ Er hielt inne, als die Tür geöffnet wurde und eine füllige blonde Frau erschien. „Chrissie, was können wir für dich tun?“

„Es ist schon nach sieben, und im Wartezimmer ist keiner mehr“, antwortete sie. „Soll ich abschließen?“

„Ist Alec Lorimer noch nicht da?“, fragte Hugh. Als Chrissie verneinte, zog er die Brauen zusammen. „Nicht gerade ein guter Anfang, wenn er eigentlich um sechs hätte hier sein sollen.“

„Hugh.“

„Entschuldige, Chrissie“, sagte er schnell, als er den Blick sah, den sie ihrem Mann zuwarf. „Ich sollte diesem Neuen gegenüber ein bisschen entgegenkommender sein. Warum geht ihr zwei nicht schon mal nach Hause?“ Er ordnete seine Patientenakten. „Dr. Lorimer erwartet bestimmt nicht, dass wir alle drei auf ihn warten.“

Chrissie warf ihrem Mann erneut einen betonten Blick zu, und Malcolm räusperte sich unbehaglich. „Hugh, wegen Dr. Lorimer …“

„Ich werde lammfromm und zuckersüß zu ihm sein, keine Sorge.“ Gefolgt von Chrissie und Malcolm, ging Hugh ins Wartezimmer.

„Das ist es nicht“, fing Malcolm an. „Na ja, natürlich will ich nicht, dass du Dr. Lorimer bei eurer ersten Begegnung gleich runterputzt, aber …“

„Was denn?“, wollte Hugh wissen.

Malcolm machte den Mund auf, schüttelte dann jedoch den Kopf. „Nichts.“

Chrissie sah ihren Mann böse an, aber dieser zuckte nur reumütig die Achseln. Vielleicht hatten sie einen Streit gehabt oder Sorgen mit einem ihrer Kinder. Als Patenonkel der Zwillinge hätte Hugh eigentlich davon wissen sollen. Doch er hatte die Kinder seit Monaten nicht mehr gesehen.

„Wie geht’s den Kindern, Chrissie?“ Er legte die Akten auf den Tresen der Anmeldung. „Gehen sie immer noch gern zur Schule?“

„Laurie ja, aber Tom möchte am liebsten wieder weg. Er findet, sie haben ihm dort schon alles beigebracht, was sie draufhaben.“

Hugh lächelte ein wenig. „Wer weiß? Für einen Zehnjährigen ist er ziemlich clever.“

Chrissie lachte. „So schlau nun auch wieder nicht. Komm doch demnächst mal wieder zum Essen vorbei. Tom und Laurie reden ständig von dir.“

„Mach ich.“

„Wann?“, fragte sie, während ihr Mann zum Fenster ging und hinausschaute. „Du sagst nämlich immer, dass du kommst, aber du tust es nie.“

„Doch, ich komme bald. Versprochen“, erwiderte Hugh und wechselte dann bewusst das Thema. „Übrigens, Ellie Dickson ist heute Abend nicht zum Blutdruckmessen erschienen.“

„Ich habe ihr gesagt, dass sie jetzt, da sie im sechsten Monat schwanger ist, unbedingt regelmäßig zur Kontrolle kommen muss“, meinte Chrissie. Ihr Blick zeigte ihm, dass sie seine Absicht durchschaut hatte.

„Aber wie immer ist es zum einen Ohr rein und zum andern wieder raus.“ Hugh nickte. „Ich fahr morgen bei ihr vorbei, um sie noch mal daran zu erinnern.“

„Hey, Hugh“, rief Malcolm plötzlich aus. „Komm her, und schau dir das an!“

Hugh ging zum Fenster und war verblüfft, als er sah, was sein Freund anstarrte.

Es handelte sich um ein Motorrad, das neben Hughs Range Rover geparkt war. Aber nicht irgendein Motorrad, sondern eine in Rot und Chrom glänzende Ducati Sport.

„Wer in unserer Gegend fährt denn eine solche Schönheit?“, fragte Malcolm. Der Neid in seiner Stimme war unüberhörbar.

Hugh schüttelte den Kopf. „Keiner von hier. Sonst hätte sich die Neuigkeit schon längst wie ein Lauffeuer verbreitet.“

„Nicht unbedingt.“ Chrissie schaute ebenfalls hinaus. „Ist ja schließlich bloß ein Motorrad, oder?“

Hugh und Malcolm wechselten einen Blick.

„Chrissie, das ist nicht bloß ein Motorrad“, protestierte Malcolm. „Dies ist ein Kunstwerk, perfekte Ingenieursarbeit, Poesie in Bewegung, der Traum eines jeden Motorradfahrers.“

„Ein Männerspielzeug.“ Sie schnaubte, und er bedachte sie mit einem vernichtenden Blick.

„Eher eine Maschine nach dem höchsten technischen Standard. Ob der Besitzer mich wohl mal ‚ne Runde darauf drehen lassen würde?“

„Keine Chance.“ Eine gedämpfte weibliche Stimme lachte leise. Beide Männer wandten sich um und sahen eine kleine, schlanke Gestalt mit Helm und schwarzer Lederkleidung in der Tür zum Wartezimmer stehen. „Niemand fährt mein Baby außer mir.“

„Und Sie sind?“, fragte Hugh.

Sie nahm den Helm ab. „Ich bin Alex“, antwortete sie und streckte die Hand aus. „Alex Lorimer.“

Automatisch schüttelte Hugh ihr die Hand. Er nahm ein Paar strahlend grüner Augen wahr und einen Schopf kurzer, abstehender roter Haare. Erst dann erfasste er ihre Worte.

„Sie sind eine Frau.“ Abrupt ließ er ihre Hand fallen.

Sie lachte. „Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, war ich’s zumindest noch.“

„Aber Ihr Name.“ Er blickte zu Malcolm hinüber, der plötzlich ein ungewöhnlich großes Interesse an den Postern am Schwarzen Brett zu haben schien. „Man hat mir gesagt, dass er Alec wäre. Alec Lorimer.“

Alex, nicht Alec“, verbesserte die junge Frau. „Die Abkürzung von Alexandra. Das haben Sie doch sicher auf meinem Lebenslauf gesehen?“

Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihre Bewerbungsunterlagen zu lesen. Für ihn handelte es sich lediglich um einen weiteren Vertreter, den Malcolm eingestellt hatte.

Malcolm und Chrissie sind mir auf jeden Fall eine Erklärung schuldig, dachte Hugh grimmig, während sein Partner sich hastig vorstellte. Chrissie säuselte geradezu ein herzliches Willkommen, wobei sie Hugh besorgt im Auge behielt.

„Und Sie müssen Dr. Scott sein.“ Alex Lorimer drehte sich zu ihm um. „Der Seniorpartner der Praxis.“

„Das dachte ich bisher auch“, erklärte er gepresst und packte Malcolm am Ellbogen. „Könnte ich kurz unter vier Augen mit Ihnen sprechen, Dr. MacIntyre?“

„Ich wollte Alex gerade die Praxis zeigen“, begann Malcolm, seufzte jedoch, als er Hughs Gesichtsausdruck sah. „In deinem Sprechzimmer?“

Hugh nickte kurz. Sobald er Malcolm hineingeschoben und die Tür hinter ihm geschlossen hatte, fuhr er ihn heftig an. „Was, zum Teufel, soll das?! Du wusstest, dass sie eine Frau ist. Du hast mich nie korrigiert, wenn ich seinen … ihren … Namen gesagt habe!“

„Weil ich wusste, dass du genau so reagieren würdest“, verteidigte sich sein Freund. „Okay, sie ist eine Frau, na und?“

„Ich hatte es zur Bedingung gemacht, dass wir ausschließlich männliche Bewerber einstellen“, entgegnete Hugh aufgebracht. „Verdammt noch mal, du weißt doch genau, wie es bei uns ist. Die Straßen hier sind katastrophal. Wir müssen weite Strecken fahren, und die Bauern kommen nicht mal in die Nähe der Praxis, wenn wir sie nicht dazu zwingen. Wie soll eine Frau wie sie damit klarkommen? Sie sieht aus wie ein Schulmädchen im Berufspraktikum.“

„Sie ist dreißig.“

„Und warum arbeitet sie dann immer noch als Vertretung?“, wollte Hugh wissen. „Wenn sie überhaupt zu etwas zu gebrauchen ist, sollte sie mittlerweile eine eigene Praxis haben. Irgendwas stimmt also offensichtlich nicht mit ihr.“

„Mit ihr ist alles in Ordnung“, widersprach Malcolm. „Es ist nur eine Überreaktion deinerseits, dass du …“

„Und wo soll sie wohnen?“, fiel Hugh ihm ins Wort.

„In deinem Haus, so wie all die anderen Vertreter auch.“

„Nein.“ Hughs graue Augen blitzten. „Kommt nicht infrage. Was sollen denn die Leute sagen? Dr. Scott lebt mit einer Frau zusammen …“

„Keiner wird so was sagen“, unterbrach Malcolm ihn. „Alle wissen, dass es eine abgeschlossene Einliegerwohnung ist.“

„Sie geht wieder, Malcolm, basta. Ruf in der Agentur an, und sag ihnen, sie sollen einen anderen schicken.“

„Es gibt niemand anderen“, gab dieser zurück. „Entweder Alex oder keiner.“

„Dann müssen wir eben warten, bis sie jemand anders finden.“

„Vielleicht bist du ja bereit zu warten, aber ich nicht!“ Malcolms Gesicht war jetzt ebenso gerötet wie das von Hugh. „Hör auf mit all diesen Ausreden. Du willst sie doch bloß deshalb nicht, weil du den Gedanken nicht ertragen kannst, dass eine andere Frau in Jennys Sprechzimmer sitzt und dich an sie erinnert.“

„Quatsch.“

„Ach ja? Hugh, wir sind auf sie angewiesen. Auch wenn wir sie nur für drei Monate behalten, wir brauchen sie.“

„Sie bleibt auf gar keinen Fall.“

„Gut. Schick sie zurück. Aber dann kündige ich auch.“

„Malcolm.“

„Entweder Alex bleibt, oder Chrissie und ich sind weg, Hugh. Es ist ganz allein deine Entscheidung.“

Hugh merkte, dass sein Freund es ernst meinte. Es dauerte lange, bis Malcolm die Geduld verlor. Aber wenn er erst einmal auf stur schaltete, ließ er sich nicht mehr umstimmen.

Immerhin ist es ja nur für drei Monate, sagte sich Hugh. Aber die Frau sah nicht mal aus wie eine Ärztin. Zu klein und zierlich, und dann ihr Haar. Jenny hatte wundervolles Haar gehabt, lang, dicht und weizenblond. Er hatte es geliebt, seine Finger hindurchgleiten zu lassen. Nicht, dass er sich vorstellen konnte, jemals mit den Händen durch Alex Lorimers Haare zu fahren. Aber welche Frau entschied sich freiwillig dazu, so auszusehen wie ein frecher Kobold?

„Hugh, bitte.“ Malcolms Stimme klang sanft und eindringlich.

Hugh wollte ablehnen, aber er konnte es sich nicht leisten, Malcolm zu verlieren. Nicht nur, weil er ein ausgezeichneter Arzt war. Sondern weil sie seit über zwanzig Jahren befreundet waren und Malcolm mit ihm gute und schlechte Zeiten durchgestanden hatte.

„Na schön, du hast gewonnen“, sagte er widerstrebend. „Aber sie macht auf keinen Fall ihre Hausbesuche mit dem Motorrad. Abgesehen von dem Sicherheitsrisiko, kannst du dir vorstellen, wie unsere Patienten reagieren, wenn sie mit dem Ding angebraust kommt? Lady Soutar würde einen Anfall kriegen.“

„Wahrscheinlich.“ Malcolm lachte vor sich hin. „Okay, ich frage Neil von der Werkstatt, ob er uns einen seiner Mietwagen ausleiht.“

„Irgendwas Solides mit Vierrad-Antrieb.“

„In Ordnung. Soll ich Alex hereinbitten?“ Als Hugh nickte, eilte Malcolm zur Tür, hielt dann jedoch inne. „Ich weiß, dass sie nicht das ist, was du wolltest. Aber urteile ausnahmsweise mal nicht nach deinem ersten Eindruck. Vielleicht ist sie ja genau diejenige, die wir brauchen.“

Kurz darauf kam Malcolm mit Alex Lorimer zurück.

„Und? Wer hat gewonnen?“, fragte sie, als sie Platz nahm.

„Wie bitte?“, meinte Hugh.

Ein Grübchen erschien in ihrer Wange. „Ich gehe davon aus, dass sie beide gerade einen Mordsstreit meinetwegen hatten. Also, soll ich meinen Helm aufhängen oder wieder abhauen?“

„Meine Unterhaltung mit Dr. MacIntyre hatte absolut nichts mit Ihnen zu tun“, erklärte Hugh. Doch an dem Funkeln ihrer grünen Augen konnte er erkennen, dass sie sich von ihm nichts vormachen ließ. „Ich weiß nicht, was Ihnen die Agentur über unsere Praxis erzählt hat“, fuhr er fort.

„Nur, wo sie ist und dass Sie eine Vertretung für drei Monate wollen“, antwortete sie. „Also, wen von Ihnen soll ich vertreten?“

„Keinen von beiden.“ Er presste die Lippen zusammen. „Ursprünglich war dies eine Gemeinschaftspraxis von drei Ärzten, und wir überbrücken die Zeit mit Vertretungen, bis wir jemanden finden, der auf Dauer zu uns passt. Ich werde Ihnen einen Dienstplan für morgen zusammenstellen, und Malcolm wird Sie zur Werkstatt im Dorf mitnehmen, wo Sie ein Auto zur Verfügung gestellt bekommen.“

„Ich brauche kein Auto. Mein Motorrad fährt überall. Vermutlich sogar besser als jedes Auto.“

„Mag sein, aber es macht kaum einen guten Eindruck, wenn unsere Praxisvertretung in Lederklamotten durch die Gegend rast.“

„Das ist ein Scherz, oder?“ Alex fing an zu lachen, hörte jedoch auf, als sie seine Miene sah. „Okay, kein Scherz. Tja, tut mir leid, wenn Sie was gegen mein Bike haben …“

„Hugh hat nichts gegen Bikes“, unterbrach Malcolm sie schnell. „Als Studenten sind wir sogar beide Motorrad gefahren. Ich hatte eine alte Honda und Hugh eine Harley.“

„Sie hatten eine Harley?“ Interessiert sah sie Hugh an. „Welches Modell?“

„Eine Sportster FXST“, erwiderte er. „Aber ich denke nicht, dass …“

„Antrieb?“

„Chrom, Fünf-Gang-Harley. Aber darum geht’s jetzt nicht. Kilbreckan ist ein höchst konservatives Dorf, und für die Leute von außerhalb gilt das noch mehr. Sie erwarten, dass ein Arzt bei einem Hausbesuch auch aussieht wie ein Arzt.“

„Ich bitte Sie, Ihren Patienten wäre es vermutlich völlig egal, ob ich auf einem Kamel angeritten komme oder als Osterhäschen verkleidet bin, solange ich weiß, was zu tun ist, wenn ich sie behandle“, protestierte Alex. „Und ob es Ihnen passt oder nicht, mein Bike muss bleiben, weil ich nicht Auto fahren kann.“

„Jeder kann Auto fahren“, entgegnete er ungläubig.

„Tja, da habe ich Neuigkeiten für Sie, Dr. Scott. Ich nämlich nicht. Ich hab’s nie gelernt. Aber wenn Sie was gegen meine Ledermontur haben, könnte ich sie ja ausziehen, sobald ich bei einem Hausbesuch bin. Leider trage ich darunter normalerweise nur einen Lycra-Ganzkörper-Anzug, sodass Ihre Patienten vielleicht das Gefühl haben, dass sie mehr von mir zu sehen kriegen, als ihnen lieb ist. Aber wenn Sie das so wollen …“

Fasziniert sah Malcolm sie an, doch Alex’ Blick war auf Hugh gerichtet. Der herausfordernde Ausdruck in ihren Augen war unmissverständlich. Alex Lorimer wirkte vielleicht so, als ob jeder Windstoß sie umpusten könnte. Aber sie besaß Charakter, und zwar einen Charakter, der Hugh ganz und gar nicht gefiel.

„Dann werden Sie wohl Ihr Motorrad benutzen müssen“, gab er scharf zurück. „Aber dürfte ich Sie darum bitten …“

„Bei Hausbesuchen meine Lederklamotten anzulassen?“, ergänzte sie. Ihre grünen Augen blitzten belustigt, und er biss die Zähne zusammen.

„Ich wollte Sie dringend darum bitten, auf unseren Straßen vorsichtig zu fahren“, sagte er. „Bei uns gibt es zwar wenig Verkehr, aber eine Menge Idioten. Außerdem haben wir September, und das bedeutet, dass bald die Brunftzeit anfängt und die Rehe von den Bergen runterkommen. Falls Sie mit hoher Geschwindigkeit mit einem von denen zusammenstoßen, wird von Ihnen oder Ihrem Bike nicht mehr viel übrig bleiben.“

Wegwerfend meinte sie: „Ich kann gut auf mich selbst aufpassen.“

Autor

Maggie Kingsley
Maggie Kingsley ist in Edinburgh, Schottland geboren. Als mittlere von 3 Mädchen wuchs sie mit einem schottischen Vater und einer englischen Mutter auf. Als sie 11 Jahre alt war, hatte sie bereits 5 unterschiedliche Grundschulen besucht. Nicht weil sie von ihnen verwiesen wurde, sondern der Job ihres Vaters sie durch...
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