Nur ein venezianischer Liebestraum?

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Roberto Carrass an Bord des gleichen Kreuzfahrtschiffs wie sie? Die schöne Erbin Stasia ist sicher, ihr überbesorgter Bruder hat seinen CEO als Aufpasser engagiert! Als sie erfährt, dass der überzeugte Single nur seine Großmutter begleitet, schließen sie einen prickelnden Pakt. Stasia spielt Robertos Verlobte, damit seine Familie aufhört, ihn zu verkuppeln, und sie ist für Erbschleicher tabu. Doch als Roberto sie am Ende ihrer Reise in Venedig küsst, sehnt sich Stasia nach mehr. Oder war der schönste Tag ihres Lebens auch nur Teil des Spiels?


  • Erscheinungstag 11.08.2020
  • Bandnummer 162020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714338
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Mai, Infinity Island, Griechenland …

Manchmal glaubte Stasia Marinakos, nirgendwo wirklich hinzugehören, doch zeitweise genoss sie dieses Gefühl von Freiheit sogar. Dann wieder, wie momentan, wünschte sie sich nichts mehr, als einen klar vorgezeichneten Weg vor sich zu sehen.

Sie wusste noch sehr gut, wie sich das anfühlte – bis ihr dieses Leben brutal entrissen wurde. Dennoch: Mit jedem Tag, der verstrich, gelang es ihr etwas besser, den Verlust zu verkraften und wieder nach vorn zu schauen. Sie ermahnte sich, nicht zu vergessen, dass sie noch atmete, lebte, und erlaubte sich sogar, hin und wieder zu lächeln.

Fast zwei Jahre war es inzwischen her, dass sie ihren Mann verloren hatte. Seither tat sie ihr Bestes, seinen letzten Willen zu erfüllen: sich um den Nachlass wie Vermögen und Grundbesitz zu kümmern und ihr gebrochenes Herz heilen zu lassen.

Alle Wünsche hatte sie ihm erfüllen können, bis auf den letzten.

Über den Tisch des Hideaway-Cafés hinweg suchte sie den Blick ihres Bruders. Offenbarte sie ihm ihre Gefühle, würde er sie unter Garantie nicht verstehen, sondern sie nur wieder mit brüderlichen Ratschlägen überhäufen. Doch sie musste ihre eigenen Antworten und ihren eigenen Weg finden.

Xander plädierte dafür, dass sie nach Lukos’ Tod, was ihre Finanzen und ihr Leben betraf, überlegt und sorgsam agieren sollte, anstatt mutig zu neuen Ufern aufzubrechen. Was schon kurios war, da er mit ihrem Ehemann anfangs überhaupt nicht einverstanden war, und das bis zu dem Moment, als er von dessen Krankheit erfuhr.

Stasia rief sich zur Ordnung. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für schwere Gedanken, sie musste sich aufs Hier und Jetzt konzentrieren – das Einzige, was sie kontrollieren konnte.

„Was soll ich damit?“ Fragend hielt sie das Ticket für eine Kreuzfahrt hoch. Sie hatte keine Muße, Urlaub zu machen. Allein, ohne Ehemann und eigene Familie außer Xander, der inzwischen Frau und Kind hatte, musste sie sich darauf konzentrieren, sich ein eigenes, selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Das hatte sie schon viel zu lange aufgeschoben.

„Nutze das Ticket, und gönn dir mal Ferien.“

Kopfschüttelnd schob sie es ihm über den Tisch zurück. „Sorry, keine Zeit.“

„Unsinn, natürlich fährst du.“ Xander war kein Mann, der ein Nein akzeptierte. „Jetzt, da unser Immobiliengeschäft geplatzt ist, was mir übrigens aufrichtig leidtut, hast du alle Zeit der Welt“, behauptete er mit einem aufmunternden Lächeln. „Und mach dir keine Sorgen; wenn du zurück bist, habe ich unter Garantie schon einen neuen Deal an Land gezogen, über den wir sprechen können.“

Wie sollte sie ihm nur beibringen, dass sie nicht länger an gemeinsamen Geschäften interessiert war, ohne seine Gefühle zu verletzen? Immerhin war sie es gewesen, die eine Zusammenarbeit angeregt und ihn so lange bearbeitet hatte, bis er schließlich schwach geworden war.

Natürlich hatte sie Xander, diesen harten Knochen, nicht allein knacken können. Geholfen hatte ihr dabei Roberto Carrass, der beste Freund ihres Bruders, den er erst kürzlich zu seinem Geschäftspartner ernannt hatte. Er hatte sich auf ihre Seite gestellt und Xander davon überzeugt, sie an seinen Geschäften zu beteiligen.

„Ich möchte nicht, dass du dich auf etwas einlässt, nur weil du denkst, dass mir daran liegt.“ Als sie keine Antwort bekam, hob Stasia ihre Stimme. „Hallo … du hörst mir ja gar nicht zu.“

„Aber sicher, ich höre dir immer zu“, protestierte er.

Da es nicht ihr erster Disput zu diesem Thema war, verdrehte sie nur die Augen.

„Okay, vielleicht bin ich manchmal etwas abgelenkt oder in Gedanken.“

„Und so bist du, ohne es zu wollen, zu einer eigenen kleinen Familie gekommen?“

Xander quittierte das mit einem anerkennenden Grinsen. „Ertappt! Aber da siehst du selbst, wie mein System funktioniert. Wenn mir etwas wirklich Kostbares begegnet, lasse ich nicht locker, bis ich es habe.“

„Und die Geschichte kauft man dir ab?“, neckte Stasia ihn.

Ihr Bruder lächelte schuldbewusst. „So gefällt sie mir am besten.“

Stasia nickte. Warum sollte es sie stören, wenn er den etwas holprigen Beginn seiner Romanze mit Lea neu interpretierte? Möglicherweise war Xander ja romantischer, als sie es je vermutet hätte? Es wäre eine neue Seite an ihm.

So gern sie sich ihrem großen Bruder in Bezug auf ihr Dilemma anvertraut hätte, fand Stasia keinen Zugang zu ihm. Seit Wochen war sie hier auf Infinity Island, war Xander nähergekommen als in den Jahren zuvor und hatte auch zunehmend mehr über ihre neue Schwägerin Lea erfahren, während sie mit der kleinen Lily spielte oder freiwillig als Babysitter fungierte, wenn beide Elternteile arbeiteten.

Doch obwohl sie rund um die Uhr beschäftigt war, quälte sie das Gefühl, etwas Elementares zu vermissen. Diese idyllische Insel mit ihrem klaren blauen Wasser, der sanften Meeresbrise und dem lässigen Lebensstil war nicht das, was Stasia auf Dauer reichte und guttat. Es war Zeit, nach Athen zurückzukehren.

„Lass uns spazieren gehen.“ Stasia trank ihren letzten Schluck Eiskaffee.

Xander steckte das Kreuzfahrtticket wortlos ein und stand auf. „Los geht’s.“

Sie hatte kein bestimmtes Ziel vor Augen, sondern wollte sich nur bewegen. „Ich habe dich nie glücklicher gesehen“, sagte Stasia nachdenklich.

„Das bin ich wirklich, mein Leben ist komplett. Und gleichzeitig …“ Er zögerte und fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Ich fühle mich schuldig.“

Abrupt blieb sie stehen und sah ihren Bruder überrascht an. „Warum solltest du dich schuldig fühlen?“

„Weil ich dir in die Quere gekommen bin, als du so glücklich mit Lukos warst, was ich erst heute nachvollziehen kann. Und als ich deinen Mann endlich richtig kennenlernte, da ist er … nun ja, da …“

„… ist er gestorben“, vollendete sie den Satz. Nie hätte sie gedacht, es laut aussprechen zu können, ohne sich in Tränen aufzulösen. Die Erinnerung an Lukos’ viel zu frühen Tod schmerzte noch immer, doch zunehmend lernte Stasia, mit dem Verlust zu leben. „Ist okay, Xander, du kannst ruhig offen sprechen, ohne dass ich gleich zusammenbreche.“

Sein Gesichtsausdruck besagte, dass er ihr nicht ganz glaubte. „Ich vermisse ihn auch“, sagte er rau. „Du weißt ja, dass wir am Ende doch noch Freunde wurden.“

„Ja, ich weiß.“ Anders als vielleicht gewünscht, hatte das gute Verhältnis zwischen Ehemann und Bruder lange auf sich warten lassen, aber sie war dankbar, dass die beiden ihre Differenzen schließlich hatten beilegen können. „Lukos hat in dir fast einen Bruder gesehen, als er starb.“

In einer spontanen Geste zog Xander sie an seine Brust, und Stasia spürte einen Kloß im Hals. Lukos hatte ihr das Versprechen abgenommen, dass sie niemals etwas zwischen sich und ihren Bruder kommen lassen dürfe, und sie konnte sich auch nicht vorstellen, was das sein sollte.

Xander gab sie frei und drückte ihr das Ticket in die Hand. „Das ist dein Geburtstagsgeschenk. Bitte nimm es an. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass du schon immer eine Kreuzfahrt machen wolltest.“

Wie sehr sie sich danach sehnte, Griechenland, Montenegro, Kroatien und Italien bereisen zu können, hatte sie nur einem Menschen anvertraut. „Lukos hat es dir gesagt.“

Ihr Bruder nickte. „Es tat ihm leid, das nicht mehr gemeinsam mit dir tun zu können.“

Seltsam, Xanders Worte ließen ihren inneren Widerstand in sich zusammenfallen. Irgendwie hatte sie alles vergessen, was sie tun wollte und wonach sie sich gesehnt hatte, bevor ihr Mann krank wurde. Plötzlich schienen ihre Wünsche und Träume so unbedeutend. Lukos mochte das geahnt haben und hatte ihrem Bruder vielleicht deshalb einen Wink gegeben.

Damit waren all ihre Ausreden hinfällig. Sie musste den letzten Wunsch ihres Mannes erfüllen, in die Zukunft schauen und einen neuen Sinn in ihrem Leben finden. Vor allem brauchte sie einen zwingenden Grund, morgens aus dem Bett zu steigen.

Lukos hatte sein Bestes getan, Vorsorge für sie zu treffen, und ihr genügend Geld hinterlassen, sodass sie zusammen mit dem Erbteil ihrer Familie für den Rest ihres Lebens versorgt sein würde. Was sie suchte, waren Herausforderungen, ein Ziel und möglicherweise auch Rückschläge, um sich lebendig und kreativ zu fühlen.

Doch was sie gar nicht brauchte, war, dass man ihr den Kopf tätschelte, sie besänftigte und ihr gut zuredete, weil man ihr in Wahrheit nichts zutraute.

Stasia zwang sich zu einem Lächeln. „Okay, ich mache diese Kreuzfahrt.“

„Bestens! Wenn du zurück bist, habe ich ganz sicher ein, zwei Geschäftsideen für dich. Und sollten sie dir nicht zusagen, suche ich weiter, bis ich etwas Passendes finde.“

Sie erwähnte weder ihr schwindendes Interesse am Immobilienmarkt noch ihren brennenden Wunsch, sich allein durchzubeißen. Bevor sie nicht einen festen Plan hatte, würde sie lieber schweigen.

Dafür umarmte sie Xander sehr liebevoll. „Danke, Bruderherz.“

Diese Kreuzfahrt würde ein Wendepunkt in ihrem Leben sein. Dass sie ihren Laptop mitnehmen und daraus eine Arbeitsreise machen wollte, behielt Stasia lieber für sich.

TAG EINS

Zwei Wochen später. Athen, Griechenland …

„Hast du es rechtzeitig aufs Schiff geschafft?“

„Warum hätte ich mich verspäten sollen?“ Stasia stand auf dem geschäftigen Deck, presste das Handy ans Ohr und versuchte, ihren Bruder über das Geschnatter Dutzender aufgeregter Mitreisender zu hören.

Xander seufzte. „Musst du immer eine Frage mit einer Gegenfrage beantworten?“

Das entlockte ihr wider Willen ein Lächeln. „Und warum spielst du ständig den übervorsichtigen Helikopter-Bruder?“

Sie fragte es, obwohl sie die Antwort kannte: Xander fühlte sich schuldig, weil er glücklich verheiratet war und eine bezaubernde Tochter hatte, ganz zu schweigen von einer romantischen griechischen Privatinsel. Und sie … nun, sie war jetzt allein.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte auch sie ein glückliches Leben geführt, als aus ihrer College-Liebe ihr Ehemann wurde. Es waren Jahre voller aufregender Zukunftsvisionen gewesen, die abrupt endeten, nachdem sich herausstellte, dass Lukos’ heftige Leibschmerzen nicht einfach nur eine Magenverstimmung waren.

Seit dem Tag veränderten sich ihre Träume auf radikale Weise. Anstatt exotischer Ferien wünschte sie sich nur noch ein weiteres Weihnachtsfest, einen weiteren Geburtstag, einen Monat und wenigstens einen weiteren Tag mit Lukos.

Stasia verbat sich diese Gedanken und blendete die herzzerreißenden Erinnerungen aus, bevor sie sich darin verlor.

Seit fast zwei Jahren war sie inzwischen allein und hatte seither viele Tränen vergossen. Noch immer fand sie beim Ausfüllen von Formularen das Feld zu ihrem nunmehrigen Familienstand erst auf den zweiten Blick. Es war nicht leicht, sich selbst als Witwe zu verstehen.

Ein ebenso schwerer Schritt war es, die Kleidung ihres verstorbenen Mannes zu spenden und sich dazu durchzuringen, ihren Ehering vom Finger zu ziehen und ganz unten in der Schmuckschatulle zu verstauen.

Nervös massierte Stasia ihren Ringfinger – angefangen hatte das während der endlosen Wartezeiten in Arztpraxen und im Krankenhaus. Das goldene Band ihrer unverbrüchlichen Liebe zu spüren, hatte ihr die Kraft gegeben, sich Lukos’ vernichtender Diagnose zu stellen. Jetzt starrte sie auf ihren verwaisten Finger und schluckte mühsam.

Allein. Jeder Schritt auf dem schweren Weg hatte sie ungeheure Kraft gekostet …

„Ich mache mir Sorgen um dich.“ Xanders warme, dunkle Stimme riss sie aus ihren trüben Gedanken.

„Ich weiß …“ Und ebenso gut wusste sie, wie schwer es ihm fiel, das zuzugeben. Ihr großer Bruder hatte mit seinen wahren Gefühlen stets hinterm Berg gehalten. „Glaub mir, ich schätze das sehr, aber es ist okay. Mir geht es gut.“

„Dann bist du also wirklich auf dem Schiff?“

Stasia nickte. „Ja, bin ich“, versicherte sie, als ihr einfiel, dass Xander sie ja gar nicht sehen konnte.

„Gut. Dann gib auf dich acht, und hüte dich vor aufdringlichen Typen. Fall nicht auf dumme Machosprüche rein, und schick die Kerle einfach in die Wüste. Sag ihnen, sonst kommt dein großer Bruder und …“

„Xander, ich bin kein unbedarfter Teenager mehr, sondern eine erwachsene Frau. Und ich kann sehr gut selbst auf mich aufpassen.“

Er seufzte. „Ich weiß.“

„Und machst dir trotzdem Sorgen.“

„Ist das etwas Schlechtes?“

„Nein, natürlich nicht.“ Zumal es ihr nicht anders ergangen war, als Xander seine jetzige Frau getroffen hatte. Aus Sorge, er könnte ausgenutzt werden, hatte Stasia sich als potenzielle Käuferin von Infinity Island ausgegeben, um Xanders Angebetete auf Herz und Nieren zu prüfen – und fand schnell heraus, dass Lea ein Goldstück war.

„Vertrau mir, Bruderherz“, sagte Stasia rau. „Ich kann selbst auf mich aufpassen.“

„Aber wenn du irgendetwas brauchst, ruf an, versprochen?“

„Versprochen.“ Exakt in diesem Moment erregte eine Bewegung in ihrem Augenwinkel Stasias Aufmerksamkeit. Es war ein großer Mann mit dunklen Haaren. Obwohl sie nur ein beeindruckend breites Kreuz sah, kam er ihr seltsam vertraut vor. Sie wollte nicht starren, brachte es aber auch nicht fertig, den Blick abzuwenden.

Oder wollte sie sich damit nur vom überfürsorglichen Gehabe ihres großen Bruders ablenken? Dachte Xander wirklich, sie sei nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen? Sie würde es ihm einfach beweisen, das war überzeugender als jede noch so vollmundige Versicherung. Wenn sie ihm am Ende dieser Kreuzfahrt einen festen Lebensplan vorlegte, gab er sicher Ruhe.

Zu Beginn des schrecklichen Albtraums hatte sie durchaus Zweifel gehabt, das Leben allein meistern zu können. Doch sie zwang sich tapfer, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Und jetzt, fast zwei Jahre später, fühlte sie sich stark und brauchte nur noch das richtige Ziel.

Während Xander jetzt auch noch versuchte, ihr einen eigenen schicken Bungalow auf Infinity Island schmackhaft zu machen, fasste Stasia den großen, breitschultrigen Mann, der angeregt mit einer attraktiven Blondine – zweifellos seine Freundin oder Frau – plauderte, genauer ins Auge.

Und dann wandte sich der Mann um. Stasia war neugierig, ob sein Gesicht der beeindruckenden Figur gerecht würde. Sie wurde nicht enttäuscht, doch im nächsten Moment stockte ihr der Atem.

Es ist Roberto!

Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Keine Frage, dass auch hier Xander seine Finger im Spiel hatte! Was für ein ausgeklügeltes Geburtstagsgeschenk. Ihr großer Bruder schickte sie auf eine Kreuzfahrt, gab ihr sogar noch scheinheilige Ratschläge mit auf den Weg, was aufdringliche Typen betraf, nur um sie dann heimlich mit einem privaten Kindermädchen zu versorgen!

„Was hat Roberto hier an Bord zu suchen?“

„Wer?“

„Tu nicht so, als wüsstest du nicht, wovon ich rede!“, zischte Stasia. „Er steht keine zwei Meter von mir entfernt und …“

„Und flirtet bestimmt mit einer hinreißenden jungen Frau.“

„Wie … woher weißt du das?“

„Ich kenne ihn lange genug. Er ist ein unverbesserlicher Schürzenjäger. Sollte eines seiner Opfer so dumm sein, sich in ihn zu verlieben … Pech gehabt. Aber als Freund ist er absolut loyal und zuverlässig.“

Stasia war noch längst nicht überzeugt. „Xander, ich will auf der Stelle wissen, was er auf dieser Kreuzfahrt zu suchen hat.“

Seine Stimme klang plötzlich gedämpft, als würde er den Hörer abschirmen. „Okay, ich komme …“ Pause. „Sorry, Schwesterherz. Ich muss gehen, Lea braucht mich.“

„Xander!“

Doch das hörte er nicht mehr, die Leitung war tot. Stasia stöhnte frustriert auf und verwünschte ihren manipulativen großen Bruder. Diesmal war er wirklich zu weit gegangen, aber sie würde sein perfides Spiel nicht mitmachen. Zum Glück war dieses Schiff groß genug, um sich aus dem Weg gehen zu können.

Was eigentlich schade war, weil sie Roberto schon immer gemocht hatte. Als Teenager war sie sogar in ihn verliebt gewesen, weil er sich ihr gegenüber immer so freundlich und zugewandt gezeigt hatte. Und als Erwachsener erwies er sich als wahre Augenweide. Sie hatte gar nicht gewusst, dass ein Mann im Anzug so gut aussehen konnte.

Doch sollte er an Bord gekommen sein, um für sie den Babysitter zu spielen, dann hatte er sich geschnitten! Stasia drehte ihm den Rücken zu und marschierte davon. Wo immer Roberto sich aufhalten würde, gedachte sie die andere Schiffshälfte zu nutzen.

Dies war der letzte Ort auf der Welt, an dem Roberto Carrass sein wollte. Kein Notfall im Unternehmen, der ihn sozusagen in letzter Sekunde retten konnte?

Sein Handy signalisierte ihm erneut, dass eine Nachricht eingegangen war. Er überprüfte es zum x-ten Mal in weniger als fünf Minuten. Unzählige E-Mails stapelten sich in seinem Account, und jede war wichtiger als die vorherige! Herrje! Er hatte keine Zeit, Urlaub zu machen …

Seine Finger huschten übers Display; während er eine Anweisung nach der anderen für seinen Assistenten verfasste, hörte er, wie weitere Nachrichten eintrafen.

Jetzt, da er als Xanders vollwertiger Geschäftspartner fungierte, florierte das Unternehmen mehr denn je, mit einer Dynamik, die absolute Aufmerksamkeit und vollen Einsatz erforderte. Es gab keine Verzögerungen mehr. Wenn er ein gutes Geschäft witterte, konnte er aus dem Stand heraus agieren – wenn er nicht gerade durch eine zweiwöchige Kreuzfahrt mit seiner riesigen griechischen Familie gehandicapt war!

Roberto seufzte, lauter als beabsichtigt. Ein Handy war nicht das perfekte Instrument für die Beantwortung von E-Mails. Er musste in die Kabine, an seinen Laptop.

Seine Großmutter stieß ihn mit ihrem spitzen Ellenbogen an. „Steck dieses alberne Ding sofort ein“, forderte sie ultimativ.

Roberto seufzte, folgte aber der Aufforderung. „Yaya, das ist ein Handy. Und wenn du nicht so stur wärst, hätte ich dir längst auch eins besorgt. Dann könntest du …“

„Ich habe zu Hause ein perfekt funktionierendes Telefon, unterwegs brauche ich keins. Was immer die Leute wollen, kann warten, bis ich zurück bin. Und jetzt hör auf, die Stirn zu runzeln, wir sind schließlich auf diesem Schiff, um Spaß zu haben.

Roberto konnte nicht anders, als das strahlende Lächeln seiner Großmutter zu erwidern. Unfassbar, dass sie kurz vor ihrem achtzigsten Geburtstag stand. Benehmen tat sie sich meist, als wäre sie halb so alt.

„Ich hole dir einen Drink, Yaya“, bot er an.

„Du willst kneifen, was?“, fragte sie hellsichtig. „Komm nicht auf die Idee, dich in deiner Kabine zu verstecken, um zu arbeiten. Schau dich lieber hier an Deck nach einer reizenden jungen Dame um, mit der du deine Zeit besser verbringen kannst.“

Nur mit Mühe gelang es ihm, ein frustriertes Stöhnen zu unterdrücken. Zwei ganze Wochen auf See! Zwei Wochen Folter, inklusive nervtötender Kuppelversuche!

Yaya, mir geht’s bestens“, versicherte er nicht ganz aufrichtig. „Ich brauche niemanden, der mir …“

Die Brauen seiner Großmutter wanderten nach oben. „Ja …?“

„Verzeih, aber ich glaube, ich muss da jemandem Hallo sagen …“

Die alte Dame nickte und tätschelte seinen Arm. „Dann lass dich nicht aufhalten, mein Schatz. Ich muss ohnehin nach deinem Großvater sehen.“

Etwas in ihrem Ton ließ ihn aufhorchen. „Fühlt er sich nicht gut?“

Seine Großmutter senkte den Blick. „Ich sollte besser nichts sagen.“

„Unsinn! Egal, wie er und ich zueinander stehen, mir liegt trotzdem an ihm, das weißt du hoffentlich.“

Sie seufzte. „Ich wollte, ihr beide …“ Sie brach ab und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was mit ihm ist. Er will nicht darüber reden. Jedes Mal, wenn ich frage, sagt er, ich solle mir keine Sorgen machen.“

„Du tust es trotzdem, oder?“

Sie nickte. „Vielleicht ist ja auch nichts.“

„Sorg dich nicht, Yaya.“ Roberto umarmte seine Großmutter kurz. „Wäre es etwas Ernstes, würde er bestimmt mit dir darüber reden.“

„Vielleicht könntest du …?“ Ihre Stimme verebbte, als er den Kopf schüttelte.

„Besser nicht. Wir würden nur wieder streiten.“

„Vielleicht ja auch nicht.“

„Oh doch! Das Thema ist gleichgültig, denn am Ende wirft er mir wieder vor, die Firma und ihn im Stich gelassen zu haben, und dann fliegen wie immer die Fetzen.“

„Denkst du nicht, es ist an der Zeit, dass ihr zwei Frieden miteinander schließt?“

„Sag das ihm, nicht mir.“

Seine Großmutter seufzte. „Ich wünschte nur … schon gut, lassen wir das. Mach dich davon, Junge.“

Natürlich wusste er, was sie sich wünschte: dass er und sein Großvater immer noch zusammenarbeiten würden und Frieden in der Familie herrschte. Roberto beugte sich vor und drückte seiner Großmutter einen Kuss auf die Wange. „Wir sehen uns später.“

Sie lächelte und tätschelte seinen Arm, bevor sie ging, und Roberto konnte nicht aufhören, an seine Großeltern zu denken, während er die entgegengesetzte Richtung einschlug. Die beiden kamen langsam in die Jahre, doch er hatte keine Ahnung, wie er ihnen, angesichts der komplizierten Beziehung zu seinem Großvater, helfen könnte.

Jetzt machte er sich erst mal auf den Weg zur Open-Air-Bar, wo er jemanden gesehen hatte, der ihm seltsam vertraut vorkam. Einen kurzen Moment hielt er inne und inhalierte ganz tief die würzige Seeluft. Die Sonne schien warm vom strahlend blauen Himmel, eine sanfte Brise strich über sein Gesicht. Selbst wenn er niemand treffen würde, den er kannte, könnte er sich dort ein kühles Getränk gönnen und sicher auch eine ruhige Ecke finden, um ein, zwei Telefonate zu tätigen, bevor sie zu weit draußen waren und die Verbindung schlechter wurde.

Roberto seufzte. Er war so sehr damit beschäftigt gewesen, Xander dabei zu helfen, einen neuen Zweig seines Immobilienimperiums aufzubauen und das Hauptquartier nach Infinity Island zu verlegen, dass er ganz vergessen hatte, wie es sich anfühlte, Freizeit zu haben. Oder womöglich sogar wieder soziale Kontakte zu knüpfen …

An seinem Junggesellenstatus würde er natürlich weiterhin festhalten, auch wenn man ihn aufgrund seiner Weigerung, eine feste Beziehung einzugehen, fälschlicherweise als Playboy bezeichnete. Okay, seine Vorliebe für Affären ohne Verpflichtungen vermochte er nicht zu leugnen, obwohl es weit weniger waren, als ihm unterstellt wurden.

Anders als er waren seine Großeltern der Ansicht, er sei im perfekten Alter, um sesshaft zu werden und eine eigene Familie zu gründen.

Sein Leben lang waren die unterschiedlichsten Erwartungen in ihn gesetzt worden. Kaum aus den Windeln, wurde er auf eine der angesehensten Vorschulen geschickt und musste sich in sämtlichen Bereichen auszeichnen, um das beste Internat besuchen zu können. Selbstverständlich wurde vorausgesetzt, dass er als Klassenbester abschloss, schließlich war er der einzige Enkel.

Auf der Highschool wuchs sein Widerstand gegen die ständige Überforderung, und nachdem er in der College-Zeit ein Praktikum im Familienbetrieb absolviert hatte, wusste Roberto, dass er einen anderen, eigenen Weg beschreiten musste, weil er den hohen Ansprüchen seines Großvaters nie gerecht würde. Und das brachte ihn dazu, sich mit einem Freund aus Kindertagen im Immobiliengeschäft zusammenzuschließen – zur großen Enttäuschung seiner Familie.

Roberto schaute sich um, doch da er die Frau nirgendwo entdecken konnte, die kurzzeitig seine Aufmerksamkeit gefesselt hatte, ging er zur Bar und bestellte einen Drink. Während er wartete, sah er sich noch einmal suchend um. War es nur Wunschdenken gewesen? Oder eine vorgeschobene Ausrede, um der geballten Aufmerksamkeit seiner Großmutter zu entfliehen?

Mit dem Glas in der Hand war er auf dem Weg zu einem abseits stehenden Tisch, als er sie wiederentdeckte. Dieses Mal war er sich sicher, dass er sie kannte.

Es war Stasia Marinakos.

Keine andere Frau hatte diese unglaubliche Haltung – diese geraden Schultern, das stolz erhobene Kinn, dieses warme Lächeln …

Wie sie nach allem, was sie hatte erleben müssen, überhaupt noch lächeln konnte, überstieg seinen Horizont. Doch wie es schien, hatte sie ihre anziehende Lebensfreude nicht verloren, und dafür bewunderte er sie zutiefst.

„Stasia?“

Als sie innehielt und sich irritiert umschaute, rief er sie erneut an. Endlich trafen sich ihre Blicke, und sie zog eine Augenbraue hoch. Roberto winkte Stasia zu sich an den freien Tisch, doch sie brauchte einen Moment, ehe sie die Masse an Passagieren hinter sich gelassen hatte, die alle die warme Morgensonne genießen wollten.

„Wie schön, dich zu sehen.“ Er umarmte sie kurz.

War es falsch, sich zu wünschen, die Umarmung hätte noch viel länger gedauert? Natürlich! Immerhin war sie die jüngere Schwester seines besten Freundes. Und sollte das nicht genügen, auch noch eine trauernde Witwe.

Er zog einen Stuhl für sie heran, doch Stasia zögerte kurz, ehe sie Platz nahm, und musterte ihn streng unter erhobenen Brauen. „Warum tust du so überrascht, mich hier an Bord zu sehen?“, wollte sie wissen.

„Weil ich es bin“, antwortete er wahrheitsgemäß.

Ihr Blick wurde noch etwas schärfer. „Dann hat dich mein Bruder also nicht als Babysitter für mich auf diese Kreuzfahrt geschickt?“

Roberto stutzte. „Wenn, dann hat er es mir gegenüber jedenfalls nicht erwähnt.“

„Oh …“ Stasia wirkte immer noch verwirrt. „Ich habe dieses Ticket nämlich von ihm zum Geburtstag bekommen.“

„Du hast heute Geburtstag?“

Autor

Jennifer Faye
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