Romana Exklusiv Band 238

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ENTFÜHRT INS GROßE GLÜCK von SALLY CARR
Cara steht kurz vor der Heirat mit einem Mann, den sie nicht liebt. In letzter Sekunde kann sie aus der Kirche fliehen. Ein attraktiver Fremder bringt sie nach Monte Carlo - und Cara ist glücklich wie nie. Wäre da nicht ein Problem: Sie hat einen mächtigen Mafioso versetzt ...

SÜß DUFTET DER LAVENDEL von CATHERINE SPENCER
Der Himmel muss Diana in die Provence geschickt haben! Antoine ist wie verzaubert von der geheimnisvollen Amerikanerin. Er holt sie als Reiseführerin und Sommergast auf sein Schloss - und zieht sie in seine Arme. Doch eine gefährliche Intrige droht ihr Glück zu zerstören ...

INSEL, AUS TRÄUMEN GEBOREN von CAROL GRACE
Einst waren sie das perfekte Paar. Nun steht ihre Liebe vor dem Aus. Als Olivia ihren Noch-Mann Jack zufällig auf der ägäischen Insel Hermapolis wiedertrifft, setzt er alles daran, sie zurückzuerobern. Wird sie ihm eine zweite Chance geben?


  • Erscheinungstag 25.10.2013
  • Bandnummer 238
  • ISBN / Artikelnummer 9783733740009
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sally Carr, Catherine Spencer, Carol Grace

ROMANA EXKLUSIV BAND 238

SALLY CARR

Entführt ins große Glück

Der Zauber der Côte d´Azur und die aufregende Nähe eines attraktiven Unbekannten lassen Cara fast vergessen, dass sie sich auf der Flucht befindet: Eben noch war sie kurz davor, einen gefährlichen Mafioso zu heiraten – jetzt steht sie an der Seite eines Mannes, der sie zunehmend fasziniert. Aber warum verschließt er sich, als sie ihr Herz an ihn verliert?

CATHERINE SPENCER

Süß duftet der Lavendel

Ein Schloss inmitten duftender Lavendelfelder und silbrig schimmernder Olivenhaine: Die Suche nach ihrer Mutter führt Diana bis in die Provence – auf das luxuriöse Anwesen des attraktiven Antoine, Comte de Valois. Auf den ersten Blick fühlt sie sich magisch zu dem verführerischen Franzosen hingezogen. Doch eine gefährliche Intrige droht, ihre noch junge Liebe für immer zu zerstören …

CAROL GRACE

Insel, aus Träumen geboren

Auf der traumhaft schönen Insel Hermapolis haben sich Jack und Olivia das erste Mal gesehen – und hier will Jack seine Frau zurückerobern: weiße Sandstrände, kleine Fischerdörfer und die sachten Wellen des Ägäischen Meeres. Gibt es einen schöneren Ort, um sich erneut zu verlieben? Doch Olivia scheint ihrem Glück keine Chance mehr zu geben …

1. KAPITEL

Von der drückenden Hitze des Sommertages war in der Kirche nichts zu spüren. Hier drin war es angenehm kühl, fast kalt. Doch das Frösteln, das Cara empfand, hatte damit nichts zu tun. Es gab andere Gründe, die ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagten.

Verstohlen blickte sie den Mann an, der neben ihr stand. Dann sah sie an sich hinab. Das bodenlange Brautkleid aus schwerer Seide engte sie ein und nahm ihr die Luft zum Atmen.

In wenigen Augenblicken würde sie einen Mann heiraten, den sie nie geliebt hatte und nie lieben würde. Und sie konnte nichts mehr dagegen tun.

In ihrem Rücken spürte sie die Blicke der Anwesenden, die dicht gedrängt in den Reihen saßen. Zwei große, einflussreiche Familien, für die diese Trauung die Besiegelung ihrer gemeinsamen Beziehung bedeutete. Und ihres Vermögens …

Nervös spielte Cara mit ihren Fingern. Was hatte der Priester gerade gesagt? Luca, ihr Bräutigam, schien seinen Worten andächtig zu lauschen. Sein ernstes Gesicht verriet keinerlei Gemütsregung. Als er den Kopf bewegte, blieb Caras Blick an seinem glatt geschorenen Nacken hängen. Rot und dicklich wölbte er sich über dem Kragen.

Wie bei einem Truthahn, dachte Cara plötzlich. Hastig sah sie weg.

Überall in der Kirche brannten riesige, armdicke Kerzen. Der beißende Geruch nach Weihrauch stieg ihr unangenehm in die Nase. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. Wieso kam sie sich bloß die ganze Zeit über vor wie auf einer Beerdigung? Dies sollte doch der glücklichste Tag in ihrem Leben sein!

Wieder warf sie ihrem Bräutigam einen verstohlenen Blick zu. Sie kannte Luca schon seit Ewigkeiten. Als Kind war er für sie der große Bruder gewesen, den sie nie gehabt hatte. Und als er um ihre Hand angehalten hatte, war sie zuerst restlos begeistert gewesen.

In ihrer Familie war es nicht üblich, dass Frauen beruflich Karriere machten, und so erschien ihr die Vorstellung, einen so einflussreichen Mann wie Luca zu heiraten, ausgesprochen verlockend. Bestimmt war das Leben an seiner Seite aufregend und luxuriös. Es schmeichelte ihr, dass er gerade sie ausgesucht hatte.

Wie dumm sie doch gewesen war. Mit leerem Blick starrte sie den Priester an. Es hatte nicht allzu lange gedauert, bis sie begriffen hatte, warum Lucas Wahl auf sie gefallen war. Er hatte sie zur Frau genommen, weil ihr Onkel einer der mächtigsten Männer in diesem Teil Italiens war.

Seltsam, aber die Erkenntnis, dass Luca sie nicht liebte, hatte Cara längst nicht so geschmerzt, wie sie befürchtet hatte.

Vergangene Nacht hatte sie noch dazu herausgefunden, dass er eine Geliebte hatte. Wenn sie sich nicht sehr täuschte, saß diese Frau jetzt gerade ganz hinten in der Kirche. Cara unterdrückte mit Mühe den Impuls, sich umzudrehen und sie anzustarren.

Alles ging so glatt und viel zu schnell. Cara merkte, dass sie zitterte. Als der Priester sich zu ihr drehte, erstarrte sie. Dabei war doch alles ganz einfach. Sie brauchte nur Ja zu sagen.

Hilflos sah sie Luca an. Als sein Blick sie traf, erstarrte sie. Mehr denn je fühlte sie sich in seiner Gegenwart wie ein dummer Trampel.

Der Priester wiederholte seine Frage, aber Cara blieb stumm.

Die Menschen in der Kirche begannen unruhig zu werden. Natürlich durfte eine junge Braut bei der Antwort vor Nervosität zögern, aber doch nicht so lange!

Cara warf ihrem Onkel Pancrazio einen Hilfe suchenden Blick zu, aber er bedeutete ihr nur, endlich zu antworten. Lucas Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.

Auf einmal war Caras Unsicherheit wie weggeblasen. „Nein“, flüsterte sie.

Hatte es überhaupt jemand gehört? Oder hatte sie dieses Wort nur geträumt? Cara ballte eine Faust zusammen und wiederholte das Wort lauter.

„Nein.“ Diesmal gab es keinen Zweifel darüber, dass man sie gehört hatte.

Alle in der Kirche schienen den Atem anzuhalten. Nervös strich Cara mit den Händen über ihr Seidenkleid. „Ich kann dich nicht heiraten“, brachte sie mühsam hervor, während Luca sie bedrohlich ansah. „Wirklich nicht. Ich dachte, ich könnte dich lieben, aber es geht nicht. Du darfst mir deshalb nicht böse sein. Bestimmt findest du bald jemand anderen.“

Inzwischen waren die anwesenden Gäste unruhig geworden. Es wurde laut.

„Weitermachen“, wies Luca den Priester in scharfem Ton an.

Der Priester blickte unsicher von einem zum anderen. Was sollte er tun? Allzu deutlich war die Präsenz der Männer mit den seltsam ausgebeulten Jacketts, die Lucas Anweisungen jederzeit Nachdruck verleihen würden.

Cara konnte es nicht fassen, dass man sie derart ignorierte. „Onkel Pancrazio“, wandte sie sich Hilfe suchend an ihren Verwandten. „Du musst die Zeremonie stoppen. Ich liebe Luca nicht. Wir können nicht heiraten.“

Pancrazio musterte seine Nichte nachdenklich. Doch schließlich richtete er das Wort an Luca. „Es sind nur die Nerven, verstehst du?“ Mit einer Handbewegung forderte er den Priester auf, die Sache zu Ende zu bringen. „Machen Sie weiter. Es ist alles in Ordnung.“

Cara schwieg fassungslos. Sie merkte kaum, dass Luca ihr Handgelenk mit eisernem Griff umklammert hielt.

„Das wirst du mir büßen“, zischte er. „Für diese Demütigung wirst du bitter bezahlen. Ich …“

Eine unbekannte Stimme unterbrach ihn.

„Aufhören!“, befahl der Mann, der mitten im Kirchenschiff stand. Er war größer als Luca, mit dunklen Haaren und tiefblauen Augen.

Mit einem Schlag war es totenstill in der Kirche. Alle starrten auf den Fremden. Selbst die zahlreichen Bodyguards standen wie hypnotisiert.

Luca drehte sich so rasch herum, dass Cara ins Stolpern kam. Rasch richtete sie sich wieder auf und trat einen Schritt zurück. Allein Lucas Nähe war schon schwer zu ertragen.

Doch ihr Bräutigam hielt ihr Handgelenk mit eisernem Griff fest. Cara hatte Mühe, nicht vor Schmerz aufzustöhnen.

„Wer sind Sie? Welches Recht haben Sie, hier zu sprechen?“, dröhnte Lucas Stimme durch die Kirche.

Das Schweigen, das seinen Worten folgte, war von kaum erträglicher Spannung begleitet. Jeder schien den Atem anzuhalten.

Langsam hob Cara den Kopf und sah den Fremden an. Als ihre Blicke sich trafen, war ihr auf einmal leichter ums Herz als vorher. Warum, wusste sie selbst nicht.

„Ich habe das älteste Recht, das es auf der Welt gibt“, erklärte der fremde Mann ruhig. „Diese Frau ist zufällig mit mir verheiratet.“

Cara blieb bei seinen Worten vor Schreck die Luft weg. Sie fühlte Lucas fragenden Blick wie eine bleischwere Last auf sich gerichtet und wagte nicht, den Kopf zu heben und ihm in die Augen zu sehen. Jeder würde die Wahrheit in ihrem Blick erkennen.

Der Fremde kam mit großen Schritten näher. Er trug ein blaues Leinenhemd und eine weiße Hose. Sein Haar war heller, als sie zunächst gedacht hatte, dunkelbraun und nicht schwarz, und seine Augen strahlten in einem intensiven Blau.

Sein Blick war der eines Mannes, der zu allem entschlossen ist. Cara erkannte instinktiv, dass er ihr vertraute. Auf der anderen Seite spürte sie die Warnung, die von ihm ausging. Es wäre unmöglich gewesen, jetzt die Wahrheit zu sagen.

Mit dem Ausdruck dessen, der vor nichts zurückschreckt, trat der Fremde an Caras Seite und befreite scheinbar mühelos ihre Hand aus Lucas eisernem Griff. Cara ließ alles mit sich geschehen, obwohl sie sich über die Folgen ihres Verhaltens durchaus im Klaren war. Jeder einzelne ihrer Verwandten verfolgte die Ereignisse zutiefst schockiert. Und immer noch herrschte Schweigen in der Kirche.

Cara schien alles wie ein Traum. Ihre Finger waren eiskalt, und sie zitterte jetzt unkontrolliert.

Die Hand des Fremden war warm und fest. Er nickte Luca kurz zu und sah dann Cara an. „Komm, Liebes.“

Wie selbstverständlich erwiderte sie seinen Blick. Mit der Andeutung eines Lächelns im Gesicht ließ sie sich von ihm zum Kirchenportal führen.

„Das ist eine unverschämte Lüge!“, ertönte die zornige Stimme ihres Onkels in die atemlose Stille hinein. „Was bilden Sie sich ein! Wir wissen alle, dass Cara nicht verheiratet ist!“

Cara tauschte einen kurzen Blick mit dem Fremden und sah dann ihren Onkel an. „Er sagt die Wahrheit“, behauptete sie mit fester Stimme. Ihr wurde ein wenig schwindlig, als sie die Lüge laut aussprach. „Es geschah letzten Sommer …“

„Weiterlaufen, nicht stehen bleiben“, flüsterte ihr der Fremde zu, während er sie vor sich her dem Ausgang zuschob. „Was immer auch geschieht, bleiben Sie auf keinen Fall stehen.“

„Letzten Sommer!“, dröhnte die Stimme ihres Onkels durch den Raum. „Du Hure! Ich werde euch beide umbringen!“

„Rennen Sie!“, rief der Fremde, während er Cara durch das Portal drängte und die Treppenstufen hinunterstieß.

„Da drin ist ein Killer!“, rief er den Bodyguards zu, die aus den wartenden Limousinen sprangen und bereits unter ihren Jacketts nach den Waffen griffen. „Schnell, beeilt euch! Ich kümmere mich um sie!“

Während hinter ihnen am Kirchenportal das Chaos ausbrach und lautes Stimmengewirr an Caras Ohr drang, zog sie der Fremde weiter die menschenleere Straße entlang. Noch im Laufen zog er aus seiner Hosentasche ein Schlüsselbund. An einem Auto, das am Straßenrand geparkt war, hielt er an und schloss rasch die Tür auf. Er stieg ein und öffnete von innen die Beifahrertür. „Steigen Sie ein“, forderte er Cara auf.

Cara sah unsicher aus. „Aber ich …“

„Kein Aber“, entgegnete der Mann. „Wir haben keine Zeit. In wenigen Sekunden wird Ihre gesamte Familie um die Ecke biegen und uns umbringen. Die tragen keine Geigenkästen unter dem Arm, Schätzchen.“

Cara warf einen Blick zurück, bevor sie sich kurz entschlossen mit ihrem hinderlichen Brautkleid auf den Beifahrersitz quetschte. Dabei löste sich ihr Schleier von dem Kranz aus frischen Blumen, den sie auf dem Kopf trug. Sie sah ihn noch kurz durch die Luft fliegen, bevor er schließlich im Staub der Straße landete. Erst als der Fremde den Wagen schon um die nächste Kurve lenkte, verlor sie ihn aus den Augen. Dann gelang es ihr endlich auch, die Tür zu schließen.

Eine ganze Weile fuhren sie, ohne ein Wort zu sprechen. Der Fremde musste sich auf die Straße konzentrieren, denn er fuhr, so schnell er konnte. Ab und zu warf er einen Blick in den Rückspiegel.

Cara verschränkte nervös ihre Finger ineinander. Sie zitterte noch immer am ganzen Körper. Was ging hier eigentlich vor sich? Träumte sie, oder erlebte sie all das wirklich?

Vielleicht half es, wenn sie sich ordentlich in die Hand zwickte. Dann würde sie schon merken, ob sie vielleicht nur träumte.

Im Auto war es inzwischen fast unerträglich heiß, denn die Sonne schien genau von vorn durch die Scheiben ins Wageninnere. Cara blinzelte in die Heiligkeit. Nein, sie träumte mit Sicherheit nicht.

Verstohlen sah sie den Fremden von der Seite an. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen? Sie kannte ihn doch gar nicht. Womöglich war er einer der Männer, vor denen ihr Onkel immer auf der Hut gewesen war. Nicht umsonst waren stets Bodyguards in seiner Nähe. Und sie ließ sich von so einem dubiosen Typen einfach entführen. Luca hatte sie einmal als dumm bezeichnet. Vielleicht hatte er ja recht gehabt.

Sie drehte sich zu dem Fremden um und studierte sein Gesicht.

„Wer sind Sie?“, sagte sie schließlich. Und ohne eine Antwort abzuwarten, fügte sie hinzu: „Warum tun Sie das? Wohin bringen Sie mich? Wollen Sie mich entführen? Was …“

Er hob die Hand, und instinktiv duckte sie sich. Luca hatte sie einmal geschlagen, das hatte sie nicht vergessen. Aber der Fremde hatte nichts dergleichen im Sinn.

„Mein Name ist Finn Cormac“, erklärte er schließlich.

Englisch. Er sprach englisch. Aber woher wusste er, dass sie diese Sprache verstand? Es war Ewigkeiten her, seit jemand englisch mit ihr gesprochen hatte. Das bedeutete … Sie beendete den Gedanken nicht. Diese Idee war einfach zu absurd.

Englisch war eine Sprache, die sie immer geliebt hatte und nie vergessen würde. Es war die Sprache ihrer Kindheit, der glücklichsten Tage ihres Lebens. Die Sprache der Zeit, als sie die Abschlussschule besucht hatte und mit ihren achtzehn Jahren so viel Freiheit hatte wie noch nie in ihrem Leben.

Fassungslos starrte sie ihn an, während sie überlegte, wie viel er über sie wusste. „Aber wer …“

Er unterbrach sie sofort. „Nein, fangen Sie bloß nicht damit an. Sonst können Sie gleich aussteigen. Jetzt ist nicht die Zeit für überflüssige Fragen.“

Überrascht schloss sie den Mund. Nach einem vorsichtigen Seitenblick beschloss sie, dass er zumindest nicht aussah wie ein Kidnapper. Andererseits … wie sah ein Kidnapper aus? Nun, jedenfalls war sie selbst ja wohl an der jetzigen Situation nicht unbeteiligt. Sie hätte ja nicht mitzugehen brauchen.

Trotz der Hitze kuschelte sie sich tief in ihren Sitz. Sie fühlte sich zutiefst verunsichert. Der Name des Fremden verwirrte sie vollständig, und überhaupt blickte sie momentan einfach nicht mehr durch. Sie hatte tausend Fragen, aber natürlich hatte der Mann recht. Jetzt war einfach der verkehrte Zeitpunkt dafür.

„Ich bin Carenza Gambini“, sagte sie schließlich. „Aber alle nennen mich Cara.“

Er nickte. „Ich weiß.“

Sie holte ein paarmal tief Luft und sah ihn verstohlen an. Er fuhr mit Höchstgeschwindigkeit und konzentrierte sich angespannt auf den Verkehr.

Was wohl ihre Familie jetzt machte? Ihr Onkel war jedenfalls völlig außer sich vor Wut gewesen. Schon der Ton seiner Stimme und die Lautstärke hätten sie um ein Haar von dem abgehalten, was sie getan hatte.

Und dann sein Gesicht, als sie die Kirche tatsächlich verlassen hatte. Kalkweiß war er gewesen. Plötzlich fühlte sie sich schuldig. Ob Luca sich um sie sorgte? Liebte er sie genug, um sie zurückzuholen?

„Glauben Sie wirklich, dass Luca uns verfolgen wird?“, fragte sie vorsichtig.

„Soll das ein Witz sein?“, gab der Fremde sarkastisch zurück. „Sind wir hier in Italien oder in Island?“

Cara atmete tief durch. Was für eine dumme Frage. Sie kannte ihre Familie schließlich besser als jeder andere. Natürlich würde Luca ihnen hinterherkommen. Und bestimmt nicht allein. Zusammen mit allen anderen würden sie sie verfolgen. Aber das hatte sie gar nicht gemeint. Es ging ihr um Luca. Sie hätte gern gewusst, wie er wirklich für sie fühlte. Vielleicht liebte er sie doch. Vielleicht hatte sie einen schrecklichen Fehler gemacht.

„Luca liebt mich nicht“, erklärte sie in der Hoffnung, den fremden Mann zu einem Widerspruch herauszufordern. Sie wollte sich so gern irren …

„Sie sind sein Besitz, Schätzchen, verstehen Sie?“, erwiderte der Fremde völlig sachlich. „Sie gehören ihm. Und nun haben Sie seinen Stolz verletzt.“

Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Er hatte genau das ausgesprochen, was sie insgeheim schon eine ganze Weile gefühlt und so sehr gefürchtet hatte. Und das, obwohl sie ihn heute zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen hatte! Ein vollkommen Fremder hatte ausgedrückt, was sie empfand. Sie war Lucas Besitz. Ein wertvoller Besitz, klar, aber mehr eben nicht.

„Vielleicht … wird er Sie ganz in Ruhe lassen, wenn ich ihm erkläre …“ Unsicher brach sie ab. Worauf sie hinauswollte, war ihr selber nicht ganz klar.

„Ihre Erklärungen konnte ich schon in der Kirche bewundern“, meinte der Mann trocken. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass Sie besonders erfolgreich damit waren. Möglicherweise täusche ich mich, aber könnte es sein, dass Ihr Luca keinen besonders großen Wert auf Ihre Meinung legt?“

Cara schluckte. „Er ist eben sehr heißblütig“, versuchte sie zu erklären.

„Ich auch“, antwortete Finn kurz angebunden, während er in Richtung Autobahn abbog. „Und so soll es auch bleiben.“

Sie hatten die Auffahrt zur Autobahn fast schon erreicht, als Finn plötzlich scharf rechts in einen schmalen Feldweg einbog, der in ein Wäldchen führte. Vorsichtig fuhren sie zwischen den Bäumen hindurch. Die Federung des Wagens ächzte und quietschte, als es den holperigen Pfad entlangging. Schließlich hielten sie dort an, wo die Bäume sich bereits wieder lichteten und der Weg zur anderen Seite der Straße führte.

Finn schaltete den Motor ab und sah Cara nachdenklich an. „Schön“, bemerkte er schließlich. „Ich denke, wir werden bis zum Dunkelwerden hier bleiben. Auf keinen Fall werden wir irgendein Risiko eingehen. Das Wichtigste ist, dass uns niemand entdeckt. Bis jetzt hat uns noch niemand verfolgt, und ich nehme an, dass uns hier auch keiner vermutet. Wahrscheinlich denken alle, wir versuchen so weit weg wie möglich zu kommen.“ Er zuckte die Schultern. „Nicht dass ich Luca für besonders intelligent halte. Aber hier haben wir die beste Chance. Also bleiben wir erst einmal.“

Cara fiel auf, dass er das Wort wir verwendete. Was sollte das nun wieder bedeuten? Sie hatte keine Ahnung, was sie davon halten sollte. „Danke“, sagte sie etwas unsicher. „Aber ich möchte gern wissen …“

Sie brach ab, als er hörbar Luft holte.

„Sie brauchen sich nicht bei mir zu bedanken“, erklärte er ungeduldig. „Bis jetzt ist noch alles offen. Vergessen Sie nicht, dass wir den Wald noch nicht verlassen haben. Es kann noch viel passieren.“

Sie schüttelte eigensinnig den Kopf. „Das ist mir alles egal. Schlimmer als ein Leben an Lucas Seite kann nichts auf der Welt sein.“

Finn setzte sich bequemer hin und lächelte leicht. „Da mögen Sie recht haben“, antwortete er.

Cara wagte einen neuen Vorstoß. „Wollen Sie mir nicht sagen, wer Sie sind? Sind Sie vielleicht …“ Sie schluckte. „Sind Sie vielleicht ein Feind meines Onkels?“

Er blickte sie aufmerksam an. „Nein“, bemerkte er schließlich. „Und bevor Sie mir Ihren ganzen Fragenkatalog präsentieren, kann ich Ihnen gleich sagen, dass ich nicht vorhabe, Ihnen viel über mich zu erzählen. Wissen Sie eigentlich, wie gefährlich es ist, Sie zu kennen, Cara Gambini?“

Überrascht sah sie ihn an. „Gefährlich?“, wiederholte sie ungläubig.

Er nickte. „Ja. Ich kenne Sie nicht, und deshalb kann ich Sie kaum einschätzen. Wie ernst ist es Ihnen damit, möglichst weit von Ihrer Familie wegzukommen?“

„Ich will weg von Luca, nicht von meiner Familie“, gab Cara erregt zurück.

„Wo ist da der Unterschied?“, fragte er leise.

Schweigend betrachtete Cara ihre Hände. Sie konnte auf diese Frage nicht antworten.

„Haben Sie denn überhaupt eine Vorstellung davon, was Sie jetzt machen wollen?“, erkundigte er sich. „Irgendeinen Plan?“

„Einen Plan?“, wiederholte Cara wie betäubt. So eine Frage hatte man ihr noch nie gestellt. Die anderen machten doch alle Pläne für sie. Zum ersten Mal im Leben dachte Cara über Möglichkeiten und Konsequenzen nach. Und die waren in keiner Weise rosig …

Unsicher schielte sie zu Finn hinüber. „Wie ist es denn mit Ihnen? Haben Sie einen Plan?“

Er kratzte sich am Kinn. „Klar, jede Menge sogar. Aber leider kam mir Ihre Hochzeit dazwischen. Eine Braut zu entführen und anschließend von der halben Unterwelt Neapels verfolgt zu werden, gehörte jedenfalls nicht dazu.“

Cara biss sich auf die Lippe und sah Finn verblüfft an. „Wollen Sie damit sagen, dass Sie überhaupt noch nicht wissen, was wir jetzt tun werden?“

Sein Gesicht verriet keinerlei Gemütsbewegung. „Richtig!“, bestätigte er.

Cara war fassungslos. Ungeduldig wandte sie den Blick ab und sah aus dem Fenster. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie ganz auf sich allein gestellt und gezwungen, Entscheidungen zu treffen. Und zwar schnell …

„Na schön“, sagte sie schließlich mit belegter Stimme. Als sie merkte, dass ihr die Tränen kamen, griff sie rasch zum Türgriff. „Ich will Ihnen nicht im Weg sein.“

Er legte seine Hand auf ihren Arm. „Also gut“, begann er sanft, „lassen Sie uns gemeinsam überlegen, was wir tun können. Vor allem müssen wir klären, ob es einen Ort gibt, wo Sie sicher sind.“ Er sah sie fragend an. „Es muss ein Ort sein, wo Luca und Ihr Onkel auf keinen Fall hinkommen.“

„Ich weiß nicht“, antwortete Cara langsam. „Eigentlich fällt mir nur das Haus meines Onkels ein.“ Sie senkte den Blick. Finn streichelte mit dem Daumen ihre Hand, die er noch immer festhielt. Caras erster Impuls war es gewesen, ihm ihre Hand zu entziehen, doch nun merkte sie, wie angenehm und entspannend sie die Berührung fand.

„Vielleicht“, überlegte sie laut, „könnte ich auch einfach nach Hause zurückkehren. Wenn ich allen erkläre, dass ich Luca wirklich nicht liebe, würden sie mich sicher verstehen.“

„Ach ja?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute er sie an. Cara wurde rot und sah weg.

„Ich bin mir sicher, dass mein Onkel nur das Beste für mich will“, beharrte sie auf ihrem Standpunkt.

„Bestimmt“, erwiderte er ironisch.

Cara wurde allmählich wütend. „Wieso glauben Sie eigentlich, so genau über meine Familie urteilen zu können?“

„Nun, sagen wir mal, ich bin ein stiller Beobachter“, meinte er.

„Ein Beobachter?“, wiederholte sie. „Wie war doch Ihr Name?“

„Finn …“

„Finn Cormac!“, rief sie aus. „Natürlich! Ich kenne Sie! Sie sind dieser …“ Sie suchte nach einem passenden Schimpfwort, aber es fiel ihr nichts ein. „Dieser Kerl, der all die Lügen über Lucas Familie verbreitet hat. Damit haben Sie vermutlich Millionen verdient!“ Zornig entzog sie ihm ihre Hand.

„Beruhigen Sie sich bitte. Erstens entspricht alles, was ich geschrieben habe, der Wahrheit. Luca ist momentan der Polizei nur um einen Schritt voraus. Und höchstens zwei Schritte trennen ihn von einer sehr langen Haftstrafe. Und zweitens habe ich mir das Geld, das ich mit meinem Buch verdient habe, schwer erarbeitet. Was man von Lucas Familie nicht behaupten kann. Ihr Vermögen wurde im Laufe der letzten dreißig Jahre durch kriminelle Machenschaften auf vielerlei Art und Weise zusammengerafft. Diebstahl, Erpressung …“

Cara unterbrach ihn fassungslos. „Das ist eine Lüge“, brach es aus ihr heraus. „Eine unverschämte Lüge.“

Er zuckte nur mit den Schultern. „Von mir aus. Dann ist es eben eine Lüge. Und Ihr Bräutigam ist ein gut getarnter Heiliger. Und was wollen Sie mit dieser Erkenntnis anfangen?“

Heftig stieß sie die Wagentür auf. „Ich gehe nach Hause“, rief sie unter Tränen.

„Und heiraten ihn doch?“, fragte er leise.

Sie erstarrte mitten in der Bewegung. „Was soll ich denn tun?“, sprach sie verzweifelt. „Ich habe doch sonst niemanden. Es gibt keinen Ort, an den ich gehen kann. Nur meine Familie.“ Sie schluckte, als sie neue Tränen aufsteigen fühlte. „Vielleicht ist Luca doch nicht so schlimm.“

Finn schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich kann es einfach nicht glauben. Wir leben doch nicht mehr im finsteren Mittelalter. Haben Sie sich denn überhaupt keine Unabhängigkeit geschaffen?“

Cara warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Unabhängigkeit? In meiner Familie? Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden! Wie sollte ich unabhängig sein? Ich habe kein Geld, und ich habe nichts gelernt außer …“ Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. „Außer heiraten, einen Haushalt führen und Kinder großziehen.“

Sie seufzte. „Wäre ich woanders groß geworden, dann wäre ich jetzt vielleicht Chefin einer Ölgesellschaft oder so. Wie in den Seifenopern im Fernsehen. Aber leider ist das nicht der Fall, und deshalb bin ich so und nicht anders.“

Schweigend studierte er ihr Gesicht. „Es tut mir leid“, sagte er schließlich. „Ich muss mich entschuldigen. Meine Bemerkung war dumm und überflüssig.“

Cara entspannte sich bei seinen Worten. „Ich weiß selber, dass ich ein sehr behütetes Leben geführt habe“, sagte sie nachdenklich. „Aber es war immer in Ordnung. Ich habe nie etwas vermisst oder bedauert. Bis zu dem Tag, als mir klar wurde, dass ich in der Falle saß. Ich hatte ein Eheversprechen gegeben, ohne richtig darüber nachzudenken.“

Sie schwieg einen Moment. „Ehrlich gesagt, fand ich die Vorstellung, Luca zu heiraten, zuerst ganz verlockend. Wir würden in einem großen Haus leben und jede Menge Partys geben, uns schick anziehen …“ Ihre Stimme bebte. „Kinder haben …“ Sie brach ab. Finn sah sie unverwandt an.

Cara hatte sich wieder gefasst. „Und eines Tages merkte ich, dass in keinem meiner Träume Luca eine Rolle spielte.“ Sie sah Finn an. „Überhaupt keine, verstehen Sie? Ist das nicht verrückt? Es war alles so unwirklich. Und dann machte eines Tages irgendjemand eine Bemerkung über meine Hochzeitsnacht, und ich begriff, dass alles bereits entschieden war und ich Luca tatsächlich heiraten musste. Das Schlimmste war die Erkenntnis, nach der Hochzeitsfeier und all dem Drumherum mit ihm das Bett zu teilen.“

Ihre Stimme wurde unsicher, und sie sprach einen Moment lang nicht weiter. „Ich weiß, was Sie denken. Dass es naiv und dumm von mir war, die Realitäten nicht eher zu begreifen. Aber Luca hatte doch immer zu meinem Leben gehört. Nur eben nicht als Ehemann.“

Es durchfuhr sie wie ein Blitz, als er wortlos ihre Hand ergriff und sie zu seinen Lippen führte. „Was … was tun Sie denn da?“, stotterte sie.

Lächelnd küsste er ihre Hand. „Ich gehorche dem Gefühl des Augenblicks“, erwiderte er träge. „Und außerdem finde ich es mehr als passend, die Frau zu küssen, die Luca Finzi zeigt, wo es langgeht.“

Schnell zog sie die Hand weg. „Tun Sie das bitte nicht“, bemerkte sie schärfer als beabsichtigt. Es war wirklich albern, dass er sie so durcheinanderbrachte. Verzweifelt suchte sie nach einem Gesprächsthema. Egal was. „Wenn ich wählen könnte“, fuhr sie hastig fort, „und wenn ich unabhängig wäre, dann würde ich nach England gehen.“ Sie schaute ihn offen an. Ihr Herz schlug wie wild. „Mein Kindermädchen war Engländerin, und mein Onkel war ihr immer sehr ergeben. Er legte großen Wert auf ihre Meinung. Sarah hat eine Menge gesunden Menschenverstand, pflegte er stets zu sagen. Vielleicht würde er auch jetzt auf sie hören. Ihr könnte ich mich bestimmt anvertrauen.“

Lange Zeit sagte er gar nichts. Dann seufzte er plötzlich tief auf, und sie sah ihn überrascht an. „Was ist? Halten Sie das nicht für eine gute Idee?“

„Es ist absoluter Quatsch“, erklärte er einfach.

Cara funkelte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Doch bevor sie noch etwas sagen konnte, fuhr er fort: „Wir wollen doch mal kurz zusammenfassen, ja? Nur damit es keine Unklarheiten gibt. Die Mafia ist uns auf den Fersen, und Sie sind der Ansicht, dass uns in diesem Fall ausgerechnet eine klapprige alte Nanny helfen kann, die wahrscheinlich den ganzen Tag über ihrem Strickzeug sitzt und vor sich hin murmelt?“

Wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte Cara laut gelacht. Ihre ehemalige Nanny Sarah war eine elegante Frau von kaum mehr als fünfzig Jahren, die immer viel Aufmerksamkeit auf sich zog, wenn sie irgendwo auftauchte. Aber woher sollte er das wissen?

„Sie übertreiben“, bemerkte sie so ruhig wie möglich.

„Tatsächlich?“, erwiderte er ironisch. „Ich übertreibe? Bei Ihnen ist doch eine Schraube locker! Nicht einmal ein Kind würde darauf kommen, dass Ihr Mary-Poppins-Verschnitt Ihnen ernsthaft helfen kann.“

Cara zuckte gleichgültig die Schultern. „Dann bringen Sie mich doch einfach zurück in die Kirche“, schlug sie vor.

Er packte ihren Arm und schüttelte sie leicht. „Sind Sie jetzt komplett übergeschnappt?“

Sie blitzte ihn zornig an. „Denken Sie doch, was Sie wollen! Aber ich kann Ihnen versichern, dass bei mir keineswegs eine Schraube locker ist. Und bei Sarah auch nicht. Wenn es überhaupt jemand schafft, meinen Onkel zum Zuhören zu bringen, dann ist sie es.“

Sein Blick war so ungläubig, dass sie sich nicht beherrschen konnte. „Was soll das? Warum glauben Sie mir nicht? Und was das Stricken betrifft, so hat Sarah noch nie viel für Handarbeiten übrig gehabt.“

„Wahrscheinlich ist sie inzwischen auch zu alt dafür“, fuhr Finn Cara an. „Fällt Ihnen denn wirklich sonst niemand ein?“

„Nein“, sagte Cara mit fester Stimme. „Außer ihr kommt keiner infrage.“

„Und warum war sie nicht auf der Hochzeit?“, wollte er wissen.

Cara zuckte die Schultern. „Onkel Pancrazio meinte, sie sei zu krank für die weite Reise.“

Finn nickte. „Das dachte ich mir. Passt ja prima ins Bild.“

Cara knüllte den Seidenstoff ihres Kleides zwischen den Fingern. „Würden Sie mir das Geld für ein Flugticket nach England leihen?“, fragte sie schließlich leise, ohne Finn dabei anzusehen.

„Nein“, antwortete er schroff. „Sie haben keine Chance, ein Flugzeug zu besteigen, ohne von Lucas Männern festgehalten zu werden“, erklärte er etwas freundlicher, als er Caras enttäuschten Gesichtsausdruck bemerkte. „Ich fahre selbst nach England. Dort habe ich Beziehungen zu Leuten, die uns vielleicht weiterhelfen können. Ich nehme Sie mit.“

Cara war entsetzt. „Im Auto? Ich soll die ganze Strecke nach England mit Ihnen im Auto verbringen?“

Er warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Ich glaube, Sie haben den Kern der Sache begriffen.“

„Ganz allein mit Ihnen?“, wiederholte sie ungläubig.

„Natürlich“, erwiderte er gleichmütig. „Es wäre eine Art … Geschäftsabkommen.“

Sie setzte sich kerzengerade hin und starrte ihn an. Ihr Herz klopfte so heftig, dass der Puls in ihren Ohren dröhnte.

Finn beobachtete sie schweigend. Dann sagte er: „Ich denke, wir würden beide von dem Handel profitieren … Und vielleicht haben wir ja auch ein bisschen Spaß dabei …“

Cara leckte sich über ihre Lippen, die ganz trocken waren. Sie hatte es doch gleich gewusst. Jetzt kam der Preis, den sie für seine Hilfe zahlen sollte. „Heißt das, Sie wollen … ich soll …“ Sie brachte die Worte nicht über die Lippen. Hilflos schlug sie die Augen nieder.

Als sie das Streicheln seiner Hand auf ihrer Wange spürte, schlug die Hilflosigkeit in Zorn um. „Gehen Sie zum Teufel“, sagte sie laut.

Überrascht zog Finn seine Hand zurück. Dann nahm er Caras Kopf in seine Hände und drehte ihn zu sich, sodass sie ihn ansehen musste. „Könnte es sein“, begann er leise, „dass Sie denken, ich will mit Ihnen ins Bett gehen? Sozusagen als Belohnung für meine gute Tat?“ Seine Augen waren dunkel.

Caras Kehle war wie zugeschnürt. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. „Was soll ich von einem Mann wie Ihnen anderes erwarten?“, fragte sie.

Er zog sie näher zu sich heran. „Und? Wollen Sie?“

Sie versuchte, sich loszumachen. Seine Stimme und seine Worte zerrten an ihren Nerven. „Was denken Sie eigentlich von mir?“, gab sie empört zurück.

„Das ist nicht der Punkt“, meinte er sanft. „Wichtig ist, was Sie von sich selber halten. Ich hatte eigentlich nicht daran gedacht, mir die Reise auf diese Weise bezahlen zu lassen.“

Langsam kroch ihr die Röte ins Gesicht. „Ich wäre nie darauf gekommen, dass ein Mann wie Sie etwas anderes im Sinn haben könnte“, schleuderte sie ihm mit so viel Verachtung entgegen, wie sie nur aufbringen konnte. Ihr Hals und ihr Gesicht waren jetzt tiefrot.

„Ich verstehe“, sagte er langsam. „Und woran genau dachten Sie? Vielleicht an eine Ratenzahlung?“

Ihre Hand flog hoch und hinterließ auf seiner Wange einen roten Abdruck, den sie entsetzt anstarrte.

Noch bevor sie ihre Finger zurückziehen konnte, hielt er ihre Hand fest und starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an. „Sie haben so wenig Selbstachtung“, sprach er. „Und andere Menschen schätzen Sie ebenso gering ein. Glauben Sie wirklich, ich bin der Typ Mann, der eine Frau erpresst, damit sie mit ihm ins Bett geht?“

Sie konnte seinen forschenden Blick nicht länger aushalten. Schweigend entwand sie ihm ihre Hand und starrte aus dem Fenster. „Ich weiß gar nicht, was für ein Mensch Sie sind“, gab sie schließlich zu. „Allerdings müssen Sie schon ziemlich verrückt sein, um mir auf diese Art und Weise zu helfen.“

„Ist Ihre Familie schuld daran, dass Sie so misstrauisch und nervös sind?“, fragte er freundlich.

„Das geht Sie nichts an“, gab Cara scharf zurück. „Im Übrigen möchte ich nicht darüber sprechen.“

Ohne ihn anzusehen, spürte sie, dass er näher rückte. Zu nah für ihren Geschmack. Sie presste sich gegen die Türfüllung und drehte sich zu ihm um. „Fassen Sie mich bloß nicht an!“, schrie sie in plötzlicher Panik. „Wagen Sie es nicht!“

„Was würden Sie denn tun?“, erkundigte er sich interessiert. „Vielleicht in Ohnmacht fallen?“

Als Cara gerade zu einer Erwiderung ansetzte, fuhr er fort: „Wollen Sie denn gar nicht wissen, was ich Ihnen vorzuschlagen habe? Oder planen Sie etwa, mutterseelenallein an der Straße entlangzuspazieren? Da werden Sie nicht weit kommen, das garantiere ich Ihnen.“

Cara spielte mit ihren Fingern. „Wie lautet Ihr Vorschlag?“, fragte sie ziemlich kleinlaut.

„Ich brauche Informationen über Ihre Familie“, antwortete Finn. „Da ich ein neues Buch schreibe, ist unser Zusammentreffen ein Glücksfall für mich. Sie können mir eine Menge Dinge erzählen, die ich sonst nie erfahren würde.“

Cara biss sich enttäuscht auf die Lippe. „Ich kann nur wiederholen, was ich Ihnen vorhin schon gesagt habe. Sie haben sich die falsche Familie herausgesucht. Bei uns gibt es keine dunklen Geheimnisse.“

Er zuckte ungerührt die Schultern. „Wennschon. Das Risiko gehe ich ein. Hauptsache, Sie erzählen mir alles, was Sie wissen.“

„Aber ich weiß gar nichts“, beharrte Cara. „Ehrlich.“

„Dann verliere ich das Spiel eben. Aber versuchen muss ich es. Ich bringe Sie nach England, und wenn wir dort sind, können Sie mir alles erzählen. Abgemacht?“

Sie hob hilflos die Hände. „Aber ich …“

„Abgemacht?“, wiederholte er eindringlich.

Cara seufzte tief. „Was meinen Sie, wie lange wir unterwegs sein werden?“, fragte sie.

Finn überlegte. „Ich denke, etwa drei bis vier Tage. Vielleicht auch weniger.“

Vier Tage allein mit einem Mann, den sie so gut wie gar nicht kannte. Cara sah in seine tiefblauen Augen und merkte, dass sie schon wieder rot wurde. „Das … das ist unmöglich“, brachte sie endlich heraus. „Ich weiß doch gar nicht, ob ich Ihnen trauen kann.“

Einen winzigen Augenblick lang saß er wie vom Donner gerührt. Dann lehnte er sich über sie und öffnete die Beifahrertür. „Viele Grüße an Luca“, sagte er kalt.

2. KAPITEL

Cara sah auf den Wald, der jetzt im Schatten lag, während einzelne Sonnenstrahlen ihr Licht zwischen den Bäumen auf den Weg warfen. „Ich habe wohl keine Wahl, oder?“, fragte sie leise.

„Sie haben bereits gewählt“, antwortete Finn ruhig. „In der Kirche. Jetzt müssen Sie sich entscheiden, ob Sie weitermachen oder aufgeben wollen.“

Eine Weile blickte sie ihn nachdenklich an. Dann nickte sie entschlossen mit dem Kopf. „Okay, ich bin bereit.“

„Braves Mädchen.“ Er lächelte ermutigend, und erstaunt stellte Cara fest, dass sie sein Lächeln erwiderte.

„Also los“, forderte Finn sie auf. „Raus aus dem Auto!“

„Wieso aussteigen?“, protestierte Cara. „Was haben Sie vor?“ Ihr ganzer Mut, auf den sie eben noch so stolz gewesen war, schwand innerhalb von Sekunden. Wieder fühlte sie Panik in sich aufsteigen. „Sie werden doch nicht …“ Ihr versagte die Stimme.

„Nun, was haben Sie sich denn diesmal für mich ausgedacht?“, sagte er sanft. „Bin ich vielleicht eine Art verrückter Frauenmörder?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich kann Sie beruhigen. Zurzeit bin ich nur scharf darauf, Mafiahochzeiten platzen zu lassen.“

„Meine Familie hat nichts mit der Mafia zu tun“, erwiderte Cara hitzig. „Das habe ich Ihnen schon tausendmal gesagt.“

Finn sah gleichgültig aus dem Fenster. „Wenn Sie es sagen“, meinte er ruhig. „Dann habe ich mich wohl gründlich getäuscht. Möglicherweise sollte ich Sie einfach hier absetzen. Dann könnten Sie nach Hause gehen und Ihrer Familie in Ruhe erklären, was passiert ist. Sie werden sie sicher davon überzeugen, dass eigentlich alles in bester Ordnung ist, und schon herrscht wieder eitel Sonnenschein. Ihr Onkel wird Ihnen das größte Verständnis entgegenbringen, und Luca …“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. „Na ja, Luca wird vermutlich ein Aspirin nehmen, sich ein Weilchen zurückziehen und die ganze Sache so schnell wie möglich vergessen.“

„Lassen Sie gefälligst meine Familie aus dem Spiel“, fauchte Cara gereizt.

Er beugte sich vor. „Nichts, was ich lieber täte, Herzchen. Das Dumme ist nur, dass Ihre Familie mit Sicherheit anders darüber denkt. Je eher wir in England sind, desto besser für Sie. Vorher kann ich für nichts garantieren.“

Als sich ihre Blicke trafen, pochte Caras Herz stürmisch. „Warum wollen Sie, dass ich aussteige?“

„Weil wir etwas mit Ihrem Kleid machen müssen“, antwortete er. „So können Sie doch nicht die ganze Zeit herumlaufen. Dafür ist es vielleicht ein wenig zu auffallend. Meinen Sie nicht?“

Er hatte natürlich recht. Sie sah ihn einen Moment lang nachdenklich an und nickte dann langsam, bevor sie aus dem Auto ausstieg. Dann stand sie unentschlossen neben der Tür, während sie ihn beim Aussteigen beobachtete.

Er kam um den Wagen herum, und sie ging ihm lächelnd entgegen. Dann bemerkte sie das Messer in seiner Hand und blieb wie erstarrt stehen.

Als er damit in ihre Richtung wedelte, trat sie einen Schritt zurück. Sollte sie versuchen wegzurennen? Komischerweise hatte sie gar keine Angst vor Finn. Aber vielleicht war er tatsächlich verrückt. Es war doch bekannt, dass Irre oft ausgesprochen charmante Menschen sein konnten. Cara trat noch einen Schritt zurück, bis sie das harte Metall des Autos im Rücken spürte.

„Was … was haben Sie vor?“, fragte sie mit zitternder Stimme.

„Hier“, sagte er ungeduldig, während er ihr das Messer mit dem Schaft zuerst in die Hand gab. „Nun nehmen Sie schon.“

Wortlos starrte sie auf das Messer in ihren Fingern. Langsam wich die Anspannung aus ihrem Körper. „Was soll ich damit?“, fragte sie.

Er zuckte ungeduldig mit den Schultern. „Das weiß ich auch nicht. Ich dachte nur, Sie könnten irgendetwas mit Ihrem Kleid machen. Den Saum kürzen oder wenigstens die Spitze abschneiden. Was weiß ich. Aber tun Sie etwas, damit das Kleid normal aussieht.“

Cara sah fassungslos auf ihr Brautkleid. „Aber das geht doch nicht“, flüsterte sie. „Dieses Kleid ist ein Kunstwerk. Es wurde in den dreißiger Jahren von Elsa Schiaparelli handgenäht. Allein der Hohlsaum …“

Er kam bedrohlich näher. „Es ist mir völlig egal, ob es von irgendeiner Elsa Wasweißich genäht wurde“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Auf jeden Fall tun Sie jetzt etwas!“

Sie sah ihn an. „Vielleicht“, begann sie zögernd, „vielleicht können Sie mir etwas ausleihen.“

Er schlug sich mit der Hand an die Stirn. „Mein Gott“, sagte er schließlich. „Nun habe ich wirklich an alles gedacht. Aber wissen Sie, was ich vergessen habe? Meine Kleider. Ist das nicht furchtbar?“

„Sie sind der unmöglichste Mann, den ich je getroffen habe“, schäumte Cara. „Zuerst entführen Sie mich eiskalt aus der Kirche, und dann benehmen Sie sich wie eine beleidigte Gräfin, bloß weil ich mir mal ein Hemd von Ihnen ausleihen will.“

Finn war sprachlos. Er machte den Mund auf und wieder zu. Dann öffnete er schweigend den Kofferraum und zog einen Reisekoffer heraus. „Okay“, meinte er schließlich. „Diesmal haben Sie die bessere Idee gehabt. Kann ja mal vorkommen. Aber jetzt haben wir schon genug Zeit verschwendet. Bald wird es dunkel sein, und ich möchte mich auf den Weg machen.“ Er lächelte. „Ich bilde mir schon die ganze Zeit ein, dass ich eine Wagenkolonne auf der Straße heranbrausen höre. Vorneweg Luca, der Rächer, gefolgt von einer Reihe dicker Mercedes mit dunklen Typen darin.“

Cara bekam unwillkürlich eine Gänsehaut, als sie daran dachte, wie furchtbar Luca im Zorn sein konnte. Sie sah Finn fragend an.

„Was ist?“, sagte er.

„Ich finde nicht, dass Sie besonders eingeschüchtert aussehen. Anscheinend ist die Vorstellung, mit Luca zusammenzutreffen, für Sie nicht so schreckenerregend, wie Sie tun“, erklärte sie ruhig.

Er zuckte die Schultern. „Er hat mich bis jetzt ja noch nicht erwischt. Und außerdem mache ich mir viel mehr Sorgen um Sie.“ Er grinste. „Wenigstens gehe ich keinerlei Risiko ein, dass er mich vielleicht heiraten möchte.“

„Das ist nicht komisch“, bemerkte Cara verärgert.

„Ich lache ja auch gar nicht“, erwiderte er. „Aber es wäre schön, wenn Sie endlich mal in die Gänge kämen.“

Cara trat einen Schritt auf ihn zu und drehte sich um. „Sie müssen mir helfen“, sagte sie so gelassen und sachlich wie möglich. „Ich kann die Verschlüsse nicht allein aufmachen.“

Sie hörte ihn seufzen. Schweigend stand er einen Moment bewegungslos hinter ihr, sodass sie nur seine Wärme spürte und seinen Atem auf ihrem Nacken fühlte. Aber da war noch etwas anderes, das sie nicht erklären konnte – eine Ausstrahlung, die ihr Herz schneller schlagen ließ und die sie nie zuvor bei einem Mann gespürt hatte. Als seine Finger geschickt ein Häkchen nach dem anderen öffneten und dabei gelegentlich über ihre bloße Haut strichen, holte sie tief Luft.

„Was ist los?“, fragte er sanft. „Habe ich Sie gepikt?“

„Nein“, sagte sie mit unsicherer Stimme.

„Fertig“, erklärte er schließlich, als der letzte Verschluss offen war.

„Finn“, sagte Cara hastig und drehte sich zu ihm um. Er stand jetzt so nah bei ihr, dass sie sich fast berührten. „Warum tun Sie das?“ Sie schluckte. „Ich meine, warum haben Sie mich mitgenommen?“

Anstatt ihr zu antworten, schloss er die Arme um sie und hielt sie fest an sich gedrückt. Wie von selbst legte sie die Hände an seine Brust, als sei es das Normalste der Welt. Unter dem dünnen Baumwollstoff fühlte sie Finns Muskeln, und unwillkürlich fragte sie sich, wie sein Körper unbekleidet aussehen würde …

Unwillig schüttelte sie den Kopf. Was sollten diese albernen Gedanken? Wieso konnte sie nicht realistisch bleiben? Wahrscheinlich war das alles eine Reaktion auf die Ereignisse der letzten Stunden. Genau, so musste es sein. Aber sie wehrte sich nicht gegen Finns Umarmung. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wollte sie es so …

Seine Finger glitten über ihr Gesicht. „Sie sind wunderschön, Cara“, sagte er leise.

„Das ist keine Antwort auf meine Frage“, behauptete sie. Mit aller Kraft versuchte sie, nicht die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Andererseits fühlte sie sich so wohl in seiner Nähe, dass es ihr beinahe Angst machte. Es war einfach schön, von ihm gehalten und gestreichelt zu werden.

„Was für eine Antwort möchten Sie denn?“, murmelte er, während er die Nadeln aus ihrem kunstvoll gestylten Haar zog. Dicht und schwer fiel ihr langes Haar über ihren Rücken.

„Eine vernünftige jedenfalls“, meinte sie.

„Vielleicht so eine?“, fragte er und küsste sie auf den Mund.

Ihr Körper spannte sich an, als seine Lippen ihren Mund berührten, doch Finn küsste ganz anders als Luca. Sanft und zugleich verführerisch liebkoste er ihre Lippen, sodass Cara sich sofort entspannte. Während er mit den Händen über ihren Rücken glitt, wurde sein Kuss drängender und leidenschaftlicher. Instinktiv umfasste Cara seinen Kopf und begann sein Haar und seinen Nacken zu streicheln. Am liebsten hätte sie niemals mehr damit aufgehört.

Und plötzlich ließ er sie los, als hätte er sich verbrannt. Mit hängenden Armen stand er da und lächelte grimmig. „Eine schöne Hochzeit ist das geworden, was?“

Cara kam es vor, als habe er einen wunderbaren Zauber gebrochen. Mit hochrotem Gesicht trat sie einen Schritt zurück. Er tat nichts, um sie daran zu hindern.

„Ich weiß nicht, wie das geschehen konnte“, schleuderte sie, wütend auf sich selbst, heraus.

Mit schnellem Griff hielt er eines ihrer Handgelenke fest und zog es an seinen Mund. Ohne sie aus den Augen zu lassen, küsste er die Innenseite ihres Armes, genau dort, wo ihr Puls zu spüren war.

„Lassen Sie mich los“, forderte sie ihn mit unsicherer Stimme auf. Das Blut schien durch ihre Adern zu rasen, so dröhnte ihr der Kopf.

„Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht so hastig bewegen, Prinzessin“, bemerkte er. „Dieses Kleid ist nur zufällig noch nicht zu Boden gerutscht.“

„Ich sagte, Sie sollen mich loslassen“, wiederholte Cara böse.

Mit einem kleinen spöttischen Lächeln ließ er ihre Hand los, verbeugte sich leicht und ging zum Waldrand.

Cara holte tief Luft. Erleichtert ließ sie das Kleid an sich herabgleiten, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Finn mit dem Rücken zu ihr stand. Dann ging sie mit schnellen Schritten zum Kofferraum. Ihre hohen Absätze blieben dabei fast im weichen Waldboden stecken. Leise fluchend schleuderte sie die Schuhe von sich und öffnete die Schnappverschlüsse an Finns Koffer. Dann begann sie etwas Passendes zum Anziehen zu suchen. Sie hatte schon eine Weile verzweifelt gewühlt, als sie Finns Stimme hinter sich hörte.

„Ganz unten liegt eine kurze Hose. Und da müsste auch ein buntes Hemd sein. Das können Sie nehmen.“

Cara drehte sich entsetzt um. Er stand in einiger Entfernung von ihr unter ein paar Bäumen und schaute sie aufmerksam an.

„Gehen Sie weg!“, schrie sie außer sich. „Was fällt Ihnen ein!“

„Aber Cara“, sprach er ruhig. „Wir sind doch hier nicht im Ankleideraum einer eleganten Boutique. Ziehen Sie endlich die verdammten Sachen an und steigen Sie ins Auto!“

Wieder merkte Cara, dass sie knallrot wurde. Diesmal allerdings aus Zorn darüber, dass er sie beobachtet hatte. Innerlich schäumend, zog sie Finns Hemd an, klemmte sich die kurze Hose unter den Arm, riss die Beifahrertür auf und ließ sich auf den Sitz fallen. Sollte er doch alles wieder einräumen!

Nachdem Finn wortlos den Koffer und Caras Kleid und Schuhe verstaut hatte, setzte er sich neben sie und sah sich um.

„Prima“, sagte er zufrieden. „Es wird gerade dämmrig. Bald wird es ganz dunkel sein, und mit ein bisschen Glück kann uns niemand mehr auf der Autobahn erkennen.“

Plötzlich hatte Cara schreckliche Angst. Erst jetzt wurde ihr richtig klar, was sie getan hatten. „Lucas Männer werden uns an der Zahlstelle abfangen“, flüsterte sie aufgeregt. „Bestimmt stehen sie schon die ganze Zeit dort.“

Er warf ihr einen Blick zu. „Wir werden die Zahlstelle nicht passieren“, erklärte er ruhig, während er den Wagen wieder auf die Straße lenkte.

„Aber es gibt keinen anderen Weg“, protestierte Cara.

Finn schüttelte den Kopf. „Doch. Diese Straße führt zur Baustelle des neuen Autobahnabschnitts. Er ist fast fertig, wie ich gestern zufällig gesehen habe. Also werden wir dort entlangfahren, bis wir wieder auf die Autobahn stoßen. Voila! Alles klar?“

Cara blieb die Sprache weg. „Sind Sie vielleicht Franzose?“, fragte sie schließlich. „Verrückt sind Sie auf jeden Fall.“ Sie hatte den singenden Tonfall in seinem perfekten Englisch zum ersten Mal bewusst wahrgenommen.

„Irisch-amerikanisch“, erklärte er lächelnd.

„Noch schlimmer“, meinte sie angriffslustig.

„Haben Sie denn eine bessere Idee?“, erkundigte er sich.

Sie schüttelte den Kopf.

„Na also“, sagte er. „Zumindest wird uns auf dieser Strecke niemand vermuten. Und überraschende Aktionen sind immer gut. Auf der Autobahn fahren wir dann einfach durch bis zur französischen Grenze.“

„Onkel Pancrazio ist ein einflussreicher Mann“, gab Cara zu bedenken. „Und Luca auch. Sie haben jede Menge Beziehungen zu allen möglichen Leuten. Ich glaube nicht, dass sie die Suche nach uns so ohne Weiteres aufgeben werden.“

„Meinen Sie, wir sollten aufgeben?“, fragte Finn leise.

Cara verschränkte nervös die Hände. „Mir ist immer noch nicht klar, was Sie heute Nachmittag in der Kirche wollten und weshalb Sie die Trauung unterbrochen haben“, begann sie. „Irgendwie glaube ich nicht, dass es etwas mit Ihrem Buch zu tun hatte. Aber vielleicht sollten Sie mich wirklich einfach hier absetzen und allein weiterfahren. Das Risiko ist einfach zu groß für Sie. Ich … ich werde zu meiner Familie zurückgehen und mich für mein Benehmen entschuldigen.“

„Und Luca heiraten“, fügte Finn hinzu.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mich noch will“, sagte Cara mit zitternder Stimme. „Aber ich kann durchaus für mich selber sorgen. Machen Sie sich deshalb keine Gedanken.“

Finn trat so heftig auf die Bremse, dass die Reifen quietschten und Cara fast mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe gefallen wäre. Verwirrt blickte sie ihn an. „Was soll das denn nun wieder?“, wollte sie wissen.

Finn sagte kein Wort. Cara sah ihm fest in die Augen. Sie war wild entschlossen, am längsten durchzuhalten.

„Wenn Sie denken“, begann Finn gefährlich langsam, „dass Sie dieses ganze Theater heute Nachmittag dazu benutzen können, auf meine Kosten eine Art Märtyrerin zu werden, dann täuschen Sie sich gewaltig.“

„Es ist die einzige vernünftige Lösung“, erwiderte Cara zornig. „Dieses ganze Gerede von einer Flucht nach England ist doch nur heiße Luft. Sie erwischen uns auf jeden Fall.“

Er starrte sie an. „Sagen Sie mir nur eines“, begann er langsam. „Wollen Sie Luca heiraten oder nicht?“

„Natürlich nicht“, antwortete Cara ungeduldig. „Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt. Mit der Zeit bin ich immer tiefer in die Sache hineingerutscht, bis ich nicht mehr herauskonnte. Aber das ist nicht Ihre Schuld. Und der Preis, den Sie für Ihre Hilfe zahlen müssen, ist zu groß.“

„Was meinen Sie, wird Ihre Familie mit uns machen, wenn sie uns findet?“ Seine Stimme blieb ganz ruhig, als er das fragte. Fast schien es, als spreche er über etwas ganz Alltägliches.

Sie sah auf ihren Schoß. „Ich weiß nicht“, meinte sie düster.

Er hob mit einer Hand ihr Kinn hoch und sah ihr in die Augen. „Cara, Sie lügen ja. Und zwar ziemlich schlecht. Wir wissen doch beide, dass es kein Zurück mehr gibt. Dafür haben wir uns schon viel zu weit vorgewagt. Wenn Sie jetzt zurückgehen, ist Ihr Leben nicht mehr lebenswert.“

„Wenigstens würde ich aber noch leben“, wandte Cara bitter ein. „Aber was ist mit Ihnen? Sie müssen weg. Sie haben schon genug riskiert.“

Er betrachtete sie lächelnd.

„Worüber lächeln Sie?“, wollte Cara wissen.

„Über Sie“, stellte er fest, legte den Gang ein und fuhr langsam los. In der Ferne sah man die roten Lichter der Autobahn. „Sie sind eine sehr mutige Frau, Cara, aber ich werde Ihr Angebot nicht annehmen.“

„Es lohnt sich einfach nicht, mit Ihnen zu streiten“, stellte sie fest.

„Stimmt“, gab er zurück. „Diesmal jedenfalls nicht. Und tun Sie mir bitte einen Gefallen, ja?“

„Welchen?“, fragte sie.

Er warf ihr einen schnellen Blick zu. „Schnallen Sie sich endlich an, bevor ich einen Nervenzusammenbruch kriege.“

Es war jetzt beinahe stockfinster, und zum Glück schien auch der Mond nicht. Cara wand sich aus ihren Strumpfhosen und schlüpfte in Finns Shorts. Sie waren natürlich viel zu groß für sie, aber mit ein bisschen Glück würde das weite, lange Hemd die Größe verbergen. Als das Auto langsamer wurde, sah Cara Finn nervös an.

„Was ist?“, fragte sie leise. Ihre Stimme klang gepresst.

„Da vorn stehen Autos an der Seite. Ihre Leute sind schlauer, als ich dachte. Sie haben auch an die Auffahrt gedacht.“ Er drückte kurz ihre Hand. „Aber keine Bange, noch haben sie uns nicht. Legen Sie sich nach hinten auf den Boden.“

Wortlos gehorchte Cara. Finn fuhr jetzt mit normaler Geschwindigkeit direkt auf Lucas Leute zu. Sie hörte, wie er das Fenster herunterkurbelte, und hielt den Atem an. Jetzt gingen Rufe hin und her.

„Es ist unglaublich!“, schrie Finn in perfektem Italienisch zu den Männern hinüber. „Drei Liebespaare habe ich auf dieser verdammten Straße jetzt schon aufgestöbert, aber unsere Vögel waren nicht dabei. Ich fahre jetzt noch ein Stück Autobahn und drehe dann um. Vielleicht sind sie uns irgendwo durchs Netz geschlüpft. Wir werden sie schon kriegen.“

Zitternd lag Cara mit geballten Fäusten hinter Finns Sitz und wartete auf die Katastrophe. Gleich würde es losgehen. Gleich würde sie wütende Schreie und Schüsse hören. Warum gab Finn nicht endlich Gas und brachte sie beide weg von diesem Ort? Aber er fuhr einfach ganz ruhig weiter.

„So“, sagte er nach einer Weile, die Cara wie eine Ewigkeit vorkamen. „Sie können herauskommen.“ Er sprach jetzt wieder englisch, als könnte es für sie beide keine andere Sprache geben.

Vorsichtig sah sie aus dem Fenster. Draußen huschten die Lichter der Autos vorbei. Sie waren jetzt auf der Autobahn. Steif kletterte Cara nach vorn auf den Beifahrersitz. „Sie haben das Glück …“

„… eines Iren?“, schlug er schmunzelnd vor.

„Eher eines Irren“, sagte Cara bissig.

„Warum sind Sie denn so sauer?“, erkundigte er sich erstaunt. „Bin ich überhaupt nicht“, schnaubte Cara. „Natürlich nicht.“

Schweigend fuhren sie in der Dunkelheit voran. Cara sah nachdenklich aus dem Fenster. Erst einmal hatten sie es geschafft.

„Sie hätten tot sein können“, brach es schließlich aus ihr heraus. „Lucas Männer hätten Sie vorhin umbringen können.“

Er zuckte gleichgültig die Schultern. „Haben sie aber nicht. Außerdem gibt es Schlimmeres auf der Welt.“

Sie schaute ihn fragend an. „Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel mit Luca Finzi verheiratet zu sein“, gab er seelenruhig zurück.

Seit Stunden fuhren sie jetzt schon durch die dunkle Nacht, aber immer noch war es heiß.

Da ihr Fenster weit geöffnet war, drangen ständig die Abgase der anderen Autos ins Wageninnere, sodass sie schon bald Kopfschmerzen bekommen hatte. Und alle paar Minuten spähte sie zurück, als ob sie dadurch Lucas Männer irgendwo entdecken könnte.

„Entspannen Sie sich“, redete Finn ihr gut zu. „Ich glaube nicht, dass sie unseren Wagentyp oder die Nummer kennen. Sie wissen ja nicht einmal genau, ob wir überhaupt die Autobahn benutzen oder in welche Richtung wir fahren.“

Cara biss sich auf die Lippe. „Ich bin ja vielleicht ein bisschen naiv, Finn, aber nicht dumm. Natürlich haben sie inzwischen mitgekriegt, dass wir das vorhin waren. Und sie können uns schon ziemlich nah auf den Fersen sein.“

Beide schauten schweigend geradeaus, bis Finn sich räusperte. „Hoffnungslos ist es nicht“, versuchte er, Cara aufzumuntern. „Momentan sind wir ja gesund und munter.“

„Und Sie könnten es auch bleiben“, erwiderte Cara ruhig. „Sie hätten mich nicht zu retten brauchen.“

Er antwortete nicht auf ihre Bemerkung. Wieder einmal fragte sich Cara, welches Motiv wirklich hinter seiner Tat steckte. Es konnte doch nicht allein um das Buch gehen. Nein, da musste noch etwas anderes sein. Geld vielleicht? Hatte vielleicht eine andere Familie Finn den Auftrag gegeben, die Hochzeit zu verhindern? Möglicherweise fürchtete jemand, dass die Familie durch die Verbindung von Onkel Pancrazio und Luca zu mächtig werden könnte.

Wahrscheinlich war er einfach nur verrückt. Wer würde schon so ein Buch über Luca schreiben und dann zu seiner Hochzeit stiefeln?

Und warum sollte ihr ein völlig Fremder helfen? Seltsam war auch, dass er von Anfang an englisch mit ihr gesprochen hatte. Woher wusste er, dass sie englisch sprach?

Finn unterbrach ihre Gedanken. „Sie denken so laut, dass es mich beim Fahren stört“, bemerkte er. „Was beschäftigt Sie denn so sehr?“

Sie schluckte. „Ich habe mich nur gefragt, ob ich in Ihrer Gegenwart sicher bin“, erklärte sie offen. „Denn nach dem, was Sie alles getan haben, denke ich, dass Sie nicht ganz richtig im Kopf sind.“

„Na und?“, gab er gleichmütig zurück. „Sind in Ihrer Familie etwa alle völlig normal? Wenn ich an Ihren Onkel denke …“

„Lassen Sie gefälligst meinen Onkel aus dem Spiel!“, fuhr ihn Cara an.

„Na schön. Dann eben Luca“, fuhr er fort. „Der ist doch völlig daneben. Er ist so ein übler Macho, dass Ihr Onkel ihn wahrscheinlich an der Leine halten muss.“

Cara starrte ihn fassungslos an. So hatte noch nie jemand über ihre Familie gesprochen. Wie konnte er sie nur so beleidigen! „Was fällt Ihnen ein!“, schrie sie außer sich. „Wie können Sie es wagen, meine Familie derart in den Schmutz zu ziehen?“

Er warf ihr einen prüfenden Blick zu. „Na schön, dann habe ich eben ein bisschen übertrieben. Na und? Wissen Sie, was bei Ihnen das Problem ist? Sie sind so erzogen worden, dass Sie Männern wie Luca und Ihrem Onkel ohne nachzudenken jedes Wort glauben.“

Cara setzte zu einer Erwiderung an, blieb aber dann stumm. Sie konnte eigentlich nichts gegen Finns Bemerkung sagen. Er hatte recht.

„Ich habe die Geschäftspraktiken Ihrer Familie schon lange unter der Lupe“, fuhr er fort. „Und eigentlich hätte ich nicht gedacht, dass mich noch irgendetwas überraschen könnte. Aber als Sie vor dem Altar tatsächlich Nein gesagt haben, war ich total überrascht. Genauso wie Luca. Er hat ausgesehen wie ein Kind, dem man das Lieblingsspielzeug weggenommen hat.“

Cara presste die Lippen aufeinander. „Soll das heißen, ich bin ein Spielzeug?“, fragte sie schließlich bissig.

„Nein. Ich weiß gar nicht genau, was ich von Ihnen halten soll. Auf jeden Fall sind Sie mindestens genauso verrückt wie ich.“

Cara starrte durch die Windschutzscheibe. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein?

Er musterte sie von der Seite. „Sie müssen müde sein“, stellte er sachlich fest. „Versuchen Sie zu schlafen.“

„Will ich aber nicht!“, rief sie trotzig und ärgerte sich im gleichen Moment über ihr kindisches Benehmen. „Ich kann nicht schlafen. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich Ihnen trauen kann oder nicht.“

„Ich bin Ihre einzige Hoffnung“, sagte er trocken. „Und überhaupt, was denken Sie denn, was ich tun könnte? Sie mit einem Fuß auf dem Gas vergewaltigen? Interessanter Gedanke, wenn ich’s mir so recht überlege“, gab er nachdenklich zu. „Besonders hier auf der Autobahn. Aber ich fürchte, ich bin nicht akrobatisch genug.“

Sie lehnte sich zurück. Er hatte wirklich eine tolle Stimme. Aber was er so alles sagte! Unmöglich. Nie in ihrem Leben hatte sie so einen Mann getroffen.

Bald fiel Cara in einen unruhigen Schlummer. Finn warf ihr einen kurzen Blick zu, dann lächelte er zufrieden und sah entschlossen geradeaus.

Erschrocken richtete sich Cara auf, als sie an einer Tankstelle anhielten. „Wo sind wir?“, fragte sie verschlafen.

„Schon hinter Rom“, antwortete er. „Fast in Florenz. Es ist jetzt zwei Uhr. Wenn wir so weitermachen, sind wir zum Mittagessen in Frankreich.“

Mittagessen. Caras Lebensgeister erwachten bei dem Wort mit einem Schlag, und sie versuchte, sich daran zu erinnern, wann sie das letzte Mal gegessen hatte. Hoffnungsvoll sah sie Finn an. „Ob wir hier vielleicht etwas essen könnten?“, fragte sie zaghaft.

„Ich will sehen, was ich tun kann“, erwiderte er und stieg aus. „Nehmen Sie den Kopf runter.“

Cara schaute sich vorsichtig auf dem großen Parkplatz vor der Tankstelle und dem Restaurant um. Sogar jetzt, mitten in der Nacht, ging es hier turbulent zu. Vor allem Familien und junge Pärchen saßen zusammen und unterhielten sich lautstark, während sie ihre Snacks aßen. Hier sah es nicht gefährlich aus. Keiner von Lucas Männern war in der Nähe.

Trotzdem fiel es ihr schwer, sich zu entspannen. Die Vorstellung, Luca könnte jeden Moment mit seinen Leuten hinter ihrem Wagen parken und aussteigen, war albtraumhaft … Cara schüttelte sich energisch. Auf keinen Fall durfte sie jetzt durchdrehen.

Während sie sich vorsichtig bückte, um nicht gesehen zu werden, fiel ihr eine Briefmappe ins Auge, die auf dem Fußboden lag. Sie musste vom Rücksitz gefallen sein, als sie sich vorhin hinter Finns Sitz versteckt hatte. Irgendwie war sie dann wahrscheinlich nach vorne durchgerutscht. Cara griff danach, und in dem Moment ging sie auf. Eine Flut von Papieren ergoss sich über den Boden.

Während sie unhörbar fluchte, begann sie die Sachen einzusammeln. Doch plötzlich hörte sie abrupt auf und starrte auf ein Blatt Papier, auf dem ihr Name stand.

Es waren Ausschnitte aus englischen Zeitungen. Atemlos begann Cara zu lesen. Plötzlich kam die ganze Erinnerung wieder hoch. Auch ein paar Dinge, die sie lieber vergessen hätte. Zum Beispiel den schrecklichen Streit, den Sarah und ihr Onkel gehabt hatten, als sie ungefähr elf war. Kurz danach war Sarah gegangen. Von ihr war nichts geblieben außer ein paar klassischen Romanen mit ihrem Namen darin. Manchmal las Cara darin. Sie liebte den Geruch des edlen, cremefarbenen Papiers, der sofort alle Erinnerungen an schöne Zeiten in ihr weckte. An Zeiten, als sie noch dachte, dass Sarah eines Tages ihre Stiefmutter werden würde. Stattdessen war sie aus ihrem Leben verschwunden.

„Carenza Gambini.“ Verständnislos blickte Cara auf ihren Namen, der dick gedruckt in einer englischen Zeitung stand. Was hatte das zu bedeuten? Sie begann zu lesen. „Die offensichtlich ebenso schöne wie törichte Nichte eines der größten und skrupellosesten Mafiabosse Italiens wird in Kürze Luca Finzi heiraten, einen Mann vom gleichen Schlag wie ihr Onkel. Mit Lucky, wie der bekannte Macher aus der Mafiaszene bezeichnenderweise genannt wird, ist bestimmt nicht zu spaßen. Die Dame sollte zusehen, dass sie Luckys Frühstückseier immer richtig hinkriegt. Sonst könnte sie in Schwierigkeiten geraten. Frei nach dem Motto: Bis dass der Tod euch scheidet …“

Caras Herz raste, während sie den Zeitungsartikel überflog. Das hatten die Leute in England über sie gelesen? Plötzlich knirschte der Kies neben dem Wagen, und Finn tauchte am Fenster auf.

„Darf ich erfahren, was Sie an meinen Sachen zu suchen haben?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

Mit zitternden Fingern hielt sie ihm den Ausschnitt unter die Nase. „Können Sie mir das erklären? Haben Sie etwas mit diesem Artikel zu tun?“

„Allerdings. Ich habe ihn geschrieben“, erwiderte er.

„Sie haben ihn geschrieben?“, wiederholte sie entsetzt. „Er ist von vorn bis hinten erlogen. Absoluter Müll!“

Er zuckte die Schultern. „Ich verdiene damit mein Geld.“

Sie drückte gegen die Tür. „Lassen Sie mich aussteigen“, forderte sie.

„Was haben Sie vor?“, neckte er sie. „Wollen Sie mich mit einer Haarnadel erstechen?“

„Lassen Sie mich sofort raus!“, rief sie.

„Aber hier ist nur Kies“, gab er zu bedenken. „Sie werden sich wehtun.“

„Ihnen werde ich wehtun!“, fauchte Cara.

Er trat zur Seite und öffnete die Tür. Cara schwang sich nach draußen. Er hatte recht. Es war Kies. Zu allem entschlossen stellte sie sich vor ihn und schaute ihm direkt in die Augen. In letzter Sekunde erwischte sie noch ihre Shorts, die langsam herunterrutschten. So würdevoll wie möglich hielt Cara sie mit einer Hand fest, die andere hatte sie kampflustig in die Hüfte gestemmt.

„Sie könnten Ihre Strumpfhose als Hosenträger verwenden“, bot Finn seinen Rat an.

„Seien Sie still!“, fauchte Cara. „Von Ihnen brauche ich keine Ratschläge. Und jetzt verraten Sie mir, wie viele Lügen Sie noch über mich verbreitet haben!“

Er rieb sich das Kinn. „Keine Ahnung. Seit ich Sie etwas besser kenne, bin ich mir nicht mehr sicher, was Wahrheit und was Lüge ist.“

Wie ein kleines Kind stampfte sie zornig mit dem Fuß auf. Während sie nur mit Mühe einen Schmerzensschrei unterdrückte, fuhr sie fort: „Wie können Sie es wagen, mich als töricht zu bezeichnen?“

„Wieso? Das war nur eine logische Folgerung. Schließlich hatten Sie gerade eingewilligt, Luca Finzi zu heiraten.“

Sie zog einen anderen Zeitungsausschnitt hervor und hielt ihn Finn vors Gesicht. „Und das hier? Hier steht, dass ich die meiste Zeit mit Einkaufen verbringe.“

„Und, stimmt das etwa nicht?“, fragte er interessiert.

Cara zog scharf den Atem ein und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Ich gehe auf die Toilette“, erklärte sie und war im selben Moment bereits unterwegs zum Hauptgebäude. Der Kies unter ihren nackten Fußsohlen brannte wie Feuer.

Im Waschraum erschrak sie vor ihrem eigenen Anblick im Spiegel. Hastig rubbelte sie mit beiden Fäusten über ihre Wangen, um wenigstens etwas Farbe zu bekommen. Dann wischte sie den viel zu grellen Lippenstift fort und versuchte auch, den dicken Lidstrich zu entfernen, den ihr die Kosmetikerin aufgedrängt hatte.

„Für die Hochzeitsbilder“, hatte man ihr gesagt. Obwohl ihr die viele Schminke überhaupt nicht gefallen hatte, war man darüber einfach hinweggegangen. Wie immer. Cara fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und trank einen Schluck Wasser.

Komisch, dass sie so wenig italienisch aussah. Ganz anders als die anderen in ihrer Familie. Ihre Haare waren goldblond, ihre Augen braun und die Haut hell und empfindlich.

Ihr Onkel hatte stets behauptet, dass sie ihrem Vater ähnlich sehen würde. Aber Caras Eltern waren gestorben, als sie noch ein Baby war, und die alten Fotos waren unscharf und verblasst.

Vielleicht konnte ihr Finn mehr sagen. Sie hatte das Buch, das er über Luca geschrieben hatte, nie gesehen. Bisher hatte sie sich an das gehalten, was man ihr darüber erzählt hatte. „Lauter Schmutz und Lügen“, war Lucas Kommentar gewesen. Aber inzwischen hätte Cara große Lust gehabt, das Buch zu lesen.

Ausgiebig badete sie ihre Hände und Arme in dem kalten Wasser, das nach der langen, heißen Fahrt ein Genuss war. Dann holte sie sich noch ein Papierhandtuch und legte es in ihren Nacken. Schließlich warf sie einen letzten Blick in den Spiegel und ging hinaus.

Das Auto stand nicht mehr dort, wo Finn es geparkt hatte. Cara starrte sekundenlang auf den leeren Fleck, bis sie begriff, was passiert war. Er hatte sie verlassen. War einfach ohne sie weitergefahren. Aber dann schüttelte sie den Kopf und sah sich gründlich in alle Richtungen um. Konnte es wirklich sein, dass er sie einfach so zurückgelassen hatte?

Cara fiel vor Schreck fast in Ohnmacht, als sie eine Hand auf ihrer Schulter fühlte, die sie mit festem Griff zum Umdrehen zwang.

„Wo zum Teufel sind Sie so lange gewesen?“, fuhr Finn sie an.

Cara erholte sich nur langsam von dem Schock. „Ich … ich habe Ihnen doch gesagt, wohin ich will“, verteidigte sie sich.

„Ach so. Dann war die Toilette wohl im nächsten Ort“, sagte er aufgebracht. „Ich hätte in der Zeit, die Sie weg waren, locker zehn Autos volltanken können.“

Cara musterte ihn von oben bis unten. „Na und?“, fragte sie schnippisch.

3. KAPITEL

Finn packte sie am Handgelenk und zog sie zu sich heran. „Wir sind hier nicht auf einem Sonntagsausflug“, sagte er bedrohlich leise. „Sie spielen ein verdammt gefährliches Spiel. Mit Ihren Verwandten ist nicht zu spaßen, das haben Sie scheinbar noch nicht begriffen. Oder ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, ich könnte mir Sorgen um Sie machen, als Sie so lange weg waren?“

Sie starrte ihn an. „Ich kenne meine Familie besser als Sie“, erklärte sie. „Das bezweifle ich“, gab er zurück.

„Sie sind so unerträglich arrogant“, sagte sie verächtlich. „Immer denken Sie, dass Sie alles besser wissen. Oder? Ich glaube, Sie waren nur deshalb sauer auf mich, weil Sie Angst um Ihr nächstes Buch haben. Es wäre ungünstig für Sie, ohne mich zu fahren.“

Finn sah sie fassungslos an. Mit einem tiefen Seufzer ließ er schließlich ihren Arm los. „Sie können sofort gehen, wenn Sie wollen“, sagte er.

Cara stieg die Röte ins Gesicht. „Kann ich nicht“, verteidigte sie sich. „Es ist gemein, so etwas zu mir zu sagen.“

„Kann schon sein“, gab er gleichmütig zurück. „Aber so bin ich eben.“ Sein Blick war kalt wie Eis. Ohne einen weiteren Kommentar drehte er sich um und stapfte zum Auto. Mit zusammengebissenen Zähnen folgte ihm Cara.

Der Wagen stand fast völlig im Dunkeln, nahe an der Ausfahrt. Schweigend beobachtete Cara, wie Finn die Türen aufschloss.

Sie fühlte das dunkelblaue Auto mehr, als dass sie es sah. Mit hoher Geschwindigkeit fuhr es auf den Parkplatz. Nur ein Mann saß darin. Luca.

„Finn“, stieß sie entsetzt hervor. Mehr konnte sie nicht sagen.

Langsam breitete sich eine Gänsehaut auf ihrem ganzen Körper aus.

Luca war gerade dabei, sich aus dem Auto zu wälzen, als er Cara erblickte.

Stocksteif stand sie da, während er sich mit langsamen Schritten näherte. „Los, ins Auto!“, befahl Finn.

Sie legte ihm die Hand auf den Arm. Ihr Körper zitterte unkontrolliert. „Nein“, brachte sie mit Mühe hervor. „Vielleicht kann ich mit ihm reden.“

„Cara“, sagte Finn mühsam beherrscht, „falls Sie es noch nicht gemerkt haben – er hat einen Revolver in der Hand. Und ich finde nicht, dass er sehr erfreut ist, Sie hier zu sehen. Also steigen Sie schon ein.“

Cara blickte auf Lucas Hand, in der ein metallischer Gegenstand im diffusen Licht der Tankstelle aufblitzte. Sie straffte sich. „Ich möchte lieber hier stehen bleiben“, beharrte sie mit seltsam hoher Stimme.

Finn drückte ihren Arm „Drehen Sie jetzt nicht durch, Cara“, raunte er. „Es wird nichts geschehen. Aber Sie müssen sich in den Wagen setzen und den Motor anlassen. Bitte.“

Sie sah ihn unsicher an, dann setzte sie sich langsam auf den Fahrersitz. Finn glitt neben sie und schloss rasch die Tür. Luca war jetzt nur wenige Schritte von ihrem Auto entfernt.

„Ich sollte euch auf der Stelle erschießen“, sagte der Italiener. „Alle beide.“

„Das würde ziemlich hässlich aussehen“, meinte Finn gleichmütig. Während er sprach, griff er in eine Papiertüte, die auf dem Boden lag. „Und außerdem könnte es ja sein, dass ich als erster schieße, oder?“ Herausfordernd sah er Luca an. In der Hand hielt er nun ebenfalls eine Pistole.

Der Italiener war sichtlich überrascht. „Das würden Sie nicht wagen“, rief er verächtlich. „Ich habe überall meine Männer stehen.“

Finn schüttelte lächelnd den Kopf. „Gelogen“, sagte er ruhig. Und dann fügte er hinzu: „Wenn Sie auf mich schießen, schieße ich auch auf Sie, und das bringt uns nicht weiter. An Ihrer Stelle würde ich Verstärkung holen.“

Cara schluckte. Noch nie hatte sie irgendjemanden so mit Luca reden hören. Dabei wirkte Finn so selbstsicher und entspannt, als gebe es nicht die geringste Gefahr.

Sie blickte starr geradeaus, behielt dabei aber die Menschen, die vor dem Restaurant standen, scharf im Auge. Bis jetzt schien niemand von ihnen Notiz genommen zu haben. Cara fragte sich, ob Luca tatsächlich in aller Öffentlichkeit etwas gegen sie beide unternehmen würde.

Luca betrachtete sie abschätzend. Er schien über Finns Worte nachzudenken. „Sie würden es nicht wagen, auf mich zu schießen“, wiederholte er schließlich.

„Wollen wir wetten?“, fragte Finn laut. Cara raunte er zu: „Schnell weg hier. Geben Sie Gas!“

Mit einem letzten Blick auf Luca gehorchte Cara. Der schwere Wagen schoss vorwärts, als sie das Gaspedal ganz durchdrückte. Kies spritzte zur Seite. Das letzte, was Cara und Finn hörten, waren zwei Geräusche, die wie Fehlzündungen klangen.

„Er hat auf uns geschossen“, keuchte Cara, während sie in einen anderen Gang wechselte, ohne die Kupplung zu treten. „Er hat tatsächlich auf uns geschossen.“

„Ja“, antwortete Finn. „Glauben Sie jetzt immer noch, dass Sie vernünftig mit ihm reden können?“

„Sie haben ja auch einen Revolver gehabt“, gab Cara zurück. „Also sind Sie kein bisschen besser als er.“

Finn sah lächelnd auf das Ding in seiner Hand. „Nicht ganz“, stellte er fest.

Cara warf ihm einen neugierigen Seitenblick zu. „Hätten Sie auf ihn geschossen?“

Er sah plötzlich ganz merkwürdig aus. „Was ist denn los?“, fragte sie.

Finn wog die Pistole und sah Cara entschuldigend an. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man hiermit jemanden verletzen kann“, sprach er schließlich. „Höchstens die Zähne könnten einem ausfallen.“

Cara traute ihren Ohren nicht. War er jetzt komplett verrückt geworden? „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte sie vorsichtig. „Vielleicht stehen Sie unter Schock?“

„Ich bin nicht verrückt“, erwiderte Finn. „Das denken Sie doch, nicht wahr?“ Cara schnappte nach Luft, als er sich die Mündung der Pistole in den Mund hielt.

„Um Himmels willen!“, schrie sie entsetzt. „Was haben Sie vor?“ Nur mit äußerster Willensanstrengung gelang es ihr weiterzufahren. „Hören Sie“, begann sie so ruhig wie möglich.

„Tun Sie nichts Unüberlegtes. Bitte. Es … es tut mir leid, was ich vorhin an der Tankstelle alles zu Ihnen gesagt habe. Es war nicht so gemeint. Sie sind bestimmt völlig überanstrengt. Vielleicht sollten wir einen Arzt holen?“

Er nahm die Pistole wieder aus dem Mund und grinste breit. „Tut es Ihnen wirklich leid?“

Sie nickte hastig. „Und wie.“

Erstaunt beobachtete sie aus den Augenwinkeln, dass sein Lächeln noch breiter wurde. „Es ist wirklich schade, dass die Pistole nur aus Schokolade ist, stimmt’s?“, bemerkte er fröhlich und biss ein Stück von der Mündung ab. Dann lehnte er sich zufrieden zurück. „Auch mal beißen?“, bot er Cara an.

Cara rieb sich die feuchten Hände an ihren Shorts ab. Dann holte sie tief Luft. „Nein, danke“, sagte sie kurz angebunden.

„Ich finde es richtig schade, dass es nicht auch Munition aus Schokolade gibt“, überlegte Finn, während er ein Stück Schokolade abbrach und es Cara reichte.

„Wie wär’s mit einer Mittelstreckenrakete, die ich auf Sie abfeuern könnte?“, schlug Cara bissig vor. Automatisch nahm sie die Schokolade und schob sie in den Mund.

„Fahren Sie immer so?“, erkundigte er sich interessiert. Doch bevor sie antworten konnte, fuhr er fort: „Ich meine, hatten Sie Stunden, oder sind Sie gerade beim Üben?“

Cara biss die Zähne zusammen. „Einer der Bodyguards hat mir das Fahren beigebracht“, erklärte sie schließlich.

„Da bin ich aber froh“, meinte Finn trocken. „Ich glaube, ich bin jetzt schon um zwanzig Jahre gealtert. Noch so ein paar Stunden, dann brauche ich einen Rollstuhl und eine Sauerstoffmaske.“

„Nun, da sind Sie nicht der Einzige“, bemerkte Cara eisig. Ihre Finger schlossen sich so fest um das Lenkrad, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Wenn Luca Ihren Trick durchschaut hätte …“ Ihr versagte die Stimme. Sie durfte einfach nicht dar­über nachdenken, was passiert wäre. „Wie konnten Sie das nur tun?“, flüsterte sie.

Er zuckte die Schultern. „Wir hatten doch gar keine Wahl“, bemerkte er. „Bluffen oder aufgeben – eine andere Möglichkeit gab es nicht.“

Autor

Carol Grace
Carol Grace wurde mit Fernweh im Blut geboren. Sie wuchs in Illinois auf, sehnte sich aber sehr bald danach, die weite Welt zu erkunden. Während des Studiums erfüllte sie sich diesen Traum erstmals mit einem Auslandssemester an der Sorbonne in Paris. Ihren Abschluss machte sie an der Universität von Los...
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