Romana Exklusiv Band 326

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EINE BRAUT FÜR DEN ITALIENISCHEN GRAFEN von KATE HEWITT

Vittorio Ralfino, Conte de Cazlevara, hat die perfekte Braut gefunden: Ana Viale, Tochter eines Winzers - treu, familienbewusst und nicht besonders hübsch. Doch über Nacht wird aus dem hässlichen Entlein ein strahlend schöner Schwan, der Vittorios Herz in höchste Unruhe versetzt …

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  • Erscheinungstag 21.08.2020
  • Bandnummer 326
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748920
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kate Hewitt, Linda Goodnight, Penny Roberts

ROMANA EXKLUSIV BAND 326

1. KAPITEL

Vittorio Ralfino, der Conte de Cazlevara, blieb auf der Schwelle der mittelalterlichen Empfangshalle von Castello San Stefano stehen und ließ den Blick suchend über die Menschenmenge schweifen. Unter den zahlreichen festlich gekleideten Gästen, zumeist Winzern der Region, befand sich die Frau, die er zu heiraten beabsichtigte. Er hatte nur eine vage Vorstellung davon, wie sie heute aussah, denn seit ihrer letzten flüchtigen Begegnung waren sechzehn Jahre vergangen.

Damals, bei der Beerdigung ihrer Mutter, war Ana Viale etwa dreizehn Jahre alt gewesen. Er erinnerte sich an ein blasses, trauriges Gesicht, eingerahmt von allzu dichtem dunklem Haar. Kürzlich hatte er in einer Zeitschrift zwar ein neues Foto von ihr entdeckt, doch es war wenig aufschlussreich gewesen. Ihr Äußeres interessierte ihn ohnehin nur am Rande. Von seiner künftigen Ehefrau erwartete Vittorio in erster Linie Loyalität, Gesundheit, Bodenständigkeit und eine ebenso aufrichtige Begeisterung für Wein, vom Anbau bis zur Vermarktung, wie er selbst sie aufbrachte – Eigenschaften, über die Ana reichlich zu verfügen schien. Zudem würde das Weingut ihrer Familie seine Ländereien perfekt ergänzen.

Ungeduldig mischte er sich unter die Gäste. Ihm war bewusst, dass ihm die neugierigen Blicke seiner Nachbarn, Bekannten und einiger weniger Freunde folgten und er heute Abend vermutlich ihr Hauptgesprächsthema darstellte. In den letzten fünfzehn Jahren hatte er niemals mehr als ein paar Tage am Stück in Venetien verbracht. Jetzt war er jedoch zurückgekehrt, um für immer hierzubleiben, eine Ehefrau zu finden und sein Leben in die Hand zu nehmen.

„Cazlevara!“ Ein alter Bekannter schlug ihm kameradschaftlich auf den Rücken und drückte ihm einen Weinkelch in die Hand. Automatisch hob Vittorio das Glas an die Nase und atmete den fruchtigen Duft des Rotweins ein. „Probieren Sie! Was halten Sie davon?“

Vittorio trank einen Schluck und rollte den Wein fachmännisch einen Moment im Mund herum, um das Aroma voll auszukosten. „Nicht schlecht“, meinte er beiläufig. Auf eine ernsthafte Diskussion wollte er sich gerade nicht einlassen. Viel wichtiger war es ihm, Ana zu finden.

„Stimmen die Gerüchte, dass Sie zurückgekehrt sind, um wieder selbst Wein anzubauen?“ Paolo Prefavera, ein Winzer und Freund der Familie, lächelte ihm leutselig zu.

„Damit habe ich nie aufgehört. Castello Cazlevara produziert neunhunderttausend Flaschen im Jahr.“

„Während Sie durch die Welt reisen …“

„Das nennt man Marketing. Aber es stimmt, ich bleibe.“

Mit seiner Rückkehr nach Hause würde er verhindern, dass sein Bruder Bernardo den Gewinn des Weinguts verprasste, und es obendrein seiner Mutter verwehren, ihm zu nehmen, was ihm – und seinen Erben – zustand.

Bei diesem Gedanken fragte er: „Haben Sie Ana Viale gesehen?“ Als Paolo ihn überrascht ansah, verfluchte er sich für seine Ungeduld. Doch so war er schon immer gewesen. Hatte er einmal eine Entscheidung getroffen, setzte er sie unverzüglich um. Die Heirat mit Ana Viale hatte er bereits vor einer Woche beschlossen, eine kleine Ewigkeit in seinen Augen. Nun wollte er die Hochzeit so schnell wie möglich hinter sich bringen und die Weingüter vereinen.

„Ich muss sie geschäftlich sprechen“, fügte er hastig hinzu. Vermutlich würde diese Erklärung jedoch nicht ausreichen, um Klatsch und Gerüchte zu vermeiden.

„Gerade eben stand sie noch am Kamin. Es wundert mich, dass Sie sie übersehen haben!“ Paolo lachte.

Der Sinn dieser letzten Bemerkung blieb Vittorio zunächst verborgen. Er näherte sich der überdimensional großen, gemauerten Feuerstelle, über der eine alte Jagdtrophäe, ein Bärenkopf, prangte. Vor dem Kamin stand eine Gruppe Männer, ins Gespräch vertieft. Auf einmal erkannte er, dass es sich bei der großen, kräftigen Gestalt in ihrer Mitte um eine Frau handelte: Ana. Das also hatte Paolo gemeint!

Obwohl sie einige der Umstehenden deutlich überragte, wirkte sie in dem offensichtlich teuren Hosenanzug nicht eben elegant. Ihr langes Haar, das im Nacken von einer Spange gehalten wurde, war dicht und ungebärdig. Trotz ihrer ebenmäßigen Gesichtszüge machte sie auf Vittorio einen herben Eindruck, besonders wenn er sie mit den zarten, zerbrechlichen und sehr schlanken Frauen verglich, denen er bisher seine Aufmerksamkeit gewidmet hatte.

Nicht, dass sie übergewichtig gewesen wäre – auch wenn seine Mutter, die Contessa, das vermutlich anders sehen würde – Ana verfügte lediglich über einen kräftigen Knochenbau.

Wie wird Mutter die Nachricht von meiner bevorstehenden Vermählung aufnehmen? überlegte er. Mit einer Eheschließung machte er all ihre Pläne für ihren Liebling Bernardo zunichte. Sein Bruder würde den Titel nie erben!

Mit einem Mal erschien ihm das enttäuschende Erscheinungsbild seiner Braut völlig belanglos. Er wollte keine Schönheit heiraten, denn schöne Frauen waren schwer zufriedenzustellen.

Die große, kräftige Ana dagegen würde dankbar annehmen, was er ihr zu bieten gedachte. Sie war gewiss nicht an männliche Aufmerksamkeiten gewöhnt, würde womöglich sogar erröten, sobald er sie ansprach, und ins Stottern geraten. Zuversichtlich straffte er die Schultern, setzte sein bewährtes unwiderstehliches Lächeln auf und trat zu ihr.

„Ana!“

Sie wandte sich zu ihm um, und für einen winzigen Moment leuchteten ihre Augen strahlend auf.

Das wird ein Kinderspiel, dachte er erfreut und hätte beinahe laut aufgelacht. Als sie sich zu ihrer vollen Höhe aufrichtete, musste er erneut an Paolos Bemerkung denken.

Doch ihre Begrüßung fiel überraschend kühl aus. „Conte Cazlevara.“

Ihre Stimme klang tief. Aus der Nähe betrachtet sah sie zwar nicht hässlich aus, doch farblos und langweilig.

Vittorio lächelte ein wenig breiter und brachte damit Grübchen auf seinen Wangen zum Vorschein. Es würde ausreichen, seinen Charme ein wenig spielen zu lassen, um eine Frau wie Ana um den kleinen Finger zu wickeln.

„Ich hoffe, ich bin der Erste, der Ihnen heute Abend zu Ihrem guten Aussehen gratuliert.“

Sie zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Das sind Sie allerdings!“

Es dauerte eine Weile, ehe er begriff, dass sie sich über ihn lustig machte – und gleichzeitig über sich selbst. Scheinbar gelassen ergriff er ihre Hand und führte sie an die Lippen, während er sich insgeheim für die plumpe Schmeichelei ausschalt, die sie sofort durchschaut hatte. Dumm war sie jedenfalls nicht. Die Begegnung verlief anders als geplant.

Ana akzeptierte den Handkuss, dann entzog sie ihm die Hand wieder.

Mittlerweile hatten sich die anderen Gäste um sie herum etwas zurückgezogen, doch Vittorio spürte ihre neugierigen Blicke.

„Was verschafft mir das Vergnügen?“, fragte Ana. „Unsere letzte Begegnung liegt sicher schon viele Jahre zurück.“ Als ihre Stimme stockte, fragte er sich verwundert, woran sie gerade dachte.

„Es ist wunderbar, endlich wieder unter den schönen Frauen Italiens zu leben.“

„Anscheinend haben Sie auf Ihren Reisen gelernt, große Reden zu schwingen. Mich beeindrucken Sie damit nicht.“ Sie warf ihm ein abschätziges Lächeln zu, wandte sich um und ging davon.

Vittorio blieb allein und schockiert zurück. Sie hatte ihn eiskalt abserviert, zur großen Erheiterung der Umstehenden, die sich nicht die Mühe machten, ihr süffisantes Grinsen zu verbergen. Er war öffentlich heruntergeputzt worden wie ein ungezogener Schuljunge. Wie unangenehm und überaus peinlich.

Außerdem war sein Eröffnungszug gründlich fehlgeschlagen!

Ursprünglich hatte er geplant, sie mit Charme und ein paar netten Komplimenten einzuwickeln, um dann in wenigen Tagen schon um ihre Hand anzuhalten. Die unverheiratete, fast dreißig Jahre alte Frau würde seinen Heiratsantrag als einmalige Gelegenheit ansehen, als Geschenk des Himmels.

Jetzt erkannte er, wie überheblich er gewesen war. Er hatte übereilt und unüberlegt gehandelt. Es würde weit größerer Anstrengungen bedürfen, um Ana Viale für sich zu gewinnen.

Die Herausforderung reizte ihn jedoch, obgleich die Zeit drängte. Er war siebenunddreißig Jahre alt und wünschte sich dringend einen Erben. Doch auf ein paar Wochen kam es nun auch nicht an.

Er setzte nicht darauf, ja wünschte sich noch nicht einmal, dass Ana sich in ihn verliebte. Sie sollte lediglich in eine Vernunftehe einwilligen. In ihr glaubte er die Frau gefunden zu haben, die am besten zu ihm passte, eine andere kam für ihn nicht infrage.

Bei ihrer nächsten Begegnung würde er geschickter vorgehen und sich das Heft nicht wieder aus der Hand nehmen lassen.

Ana sah sich bewusst nicht mehr nach dem Conte de Cazlevara um. Wie arrogant er ist! dachte sie wütend. Warum hatte er sie überhaupt angesprochen? Sicher, sie waren Nachbarn, aber sie hatten sich seit weit über zehn Jahren nicht mehr gesehen und auch vorher kaum je ein Wort miteinander gewechselt. Was bezweckte er mit seinen verlogenen Komplimenten?

Von wegen schöne Frauen! Dazu zählte sie nicht und würde es nie! Sie wusste nur zu gut, dass sie hochgewachsen war, einen groben Knochenbau hatte und zu wenig weiblich auftrat. Ihre Stimme war zu laut, ihre Hände und Füße waren unelegant groß. Nie würde sie auf ihn anziehend wirken, einen Mann, der die Gesellschaft von graziösen Models und eleganten Damen der Gesellschaft gewöhnt war. Ein wenig neidisch war sie schon auf die schlanken, zierlichen Frauen, die ihre Weiblichkeit mit sexy Outfits unterstrichen, in die sie selbst sich nie würde zwängen können.

Dass Vittorio ihre Einschätzung teilte, hatte ihr sein erster Blick bewiesen. Er hatte sie fast verächtlich betrachtet. Damit stand er nicht allein, kein einziger Mann hatte sie bisher für schön oder begehrenswert gehalten.

Mit ihrem Äußeren hatte sie sich abgefunden. Formlose Hosenanzüge und eine pragmatische, geradlinige Denkweise dienten ihr als Schutzschild vor seelischen Verletzungen. Dennoch hatte ihr seine Geringschätzung wehgetan. Einen Moment lang hatte sie sich ehrlich gefreut, ihn wiederzusehen, und geglaubt, er würde sich erinnern …

Dann hatte er ihr diese albernen, verlogenen Komplimente gemacht. War das ein Anflug falsch verstandener Ritterlichkeit gewesen, oder, schlimmer noch, wollte er sich über sie lustig machen?

Warum hatte er sie überhaupt angesprochen? Obwohl dem Conte de Cazlevara die Frauen zu Füßen lagen, war er auf der Party zielstrebig auf sie zugesteuert. Sie hatte ihn beobachtet, als er auf der Schwelle stand und den Blick suchend durch die Halle schweifen ließ. Selbst aus der Entfernung war er eine atemberaubende Erscheinung, trotz seiner Größe von etwa einem Meter neunzig bewegte er sich geschmeidig und elegant.

Dann hatte ein anderer Winzer sie in eine Unterhaltung gezogen, kurz danach hatte der Conte sie bereits angesprochen.

Aber wieso?

Wollte er sich nur auf ihre Kosten amüsieren? War er überzeugt davon gewesen, sie würde jedes seiner Worte dankbar aufsaugen? Dann hatte ihre Zurückweisung ihn zu Recht verärgert.

Ausgezeichnet! Sie lächelte.

Abgesehen von den wichtigsten Fakten wusste sie nicht viel über den reichsten Mann von ganz Venetien. Das Weingut der Cazlevaras, das beste der Region, befand sich seit vielen Jahrhunderten in Familienbesitz, wesentlich länger als die dreihundert Jahre, die ihre eigene Familie schon Wein anbaute.

Beim Tod seines Vaters war Vittorio noch ein Teenager gewesen. Mit achtzehn Jahren war er auf ausgedehnte Reisen gegangen, um den Weinverkauf zu forcieren, und fünfzehn Jahre lang nur auf Stippvisiten nach Hause zurückgekehrt. Vermutlich boten die sanften Hügel und uralten Weinberge einem Mann wie ihm keine ausreichende Unterhaltung.

Obwohl er ausgesprochen attraktiv war, strahlte er eine gewisse Härte aus. Diesen Eindruck hatte sie jedenfalls gewonnen, als er sie abschätzig betrachtet hatte.

Während sie weiter über den kurzen Wortwechsel mit ihm nachsann, erinnerte sie sich an eine der wenigen Begegnungen mit dem jungen Vittorio de Cazlevara.

Es war bei der Beerdigung ihrer Mutter gewesen, ein kalter, feuchter Novembertag, sie war gerade dreizehn Jahre alt gewesen. Sie hatte Erde in das offene Grab werfen müssen. Der Klumpen war mit einem dumpfen Geräusch auf dem Sarg aufgeprallt, und sie hatte vor Entsetzen und Schmerz aufgeschrien.

Dann war Vittorio, der damals etwa zwanzig war, neben sie getreten. In ihrem Kummer hatte sie ihn zunächst nicht bemerkt. Als sie aufblickte, sah sie direkt in die schönen dunklen Augen voller Mitgefühl.

Er hatte ihr mit dem Daumen über die Wange gestreichelt und eine Träne fortgewischt. „Es ist in Ordnung, wenn du trauerst, rondinella“, hatte er so leise zu ihr gesagt, dass niemand sonst es hören konnte. Kleine Schwalbe hatte er sie genannt. „Du darfst weinen!“ Sie hatte ihn nur wortlos angesehen, und er hatte hinzugefügt: „Weißt du, wo deine Mutter jetzt ist?“

Gleich wird er mir erzählen, dass sie glücklich von einer Wolke im Himmel aus auf mich herabsieht, hatte sie zutiefst enttäuscht gedacht.

Stattdessen hatte er auf ihre Brust gedeutet. „Sie ist dort, in deinem Herzen.“ Dann hatte er ihr traurig zugelächelt und war davongegangen.

Sie wusste, dass er einige Jahre zuvor den Vater verloren hatte. Dennoch war sie erstaunt gewesen, wie gut er ihre Gefühle nachvollziehen konnte. Dieser Mann, im Grunde ein Fremder, hatte ihr die einzigen Worte gesagt, die ihr in ihrer Trauer halfen. Er hatte ihr einen Weg gezeigt, mit dem Verlust umzugehen.

Im Lauf der Jahre hatte sie kaum mehr an seine Bemerkung am Grab ihrer Mutter gedacht. Doch als er an diesem Abend auf sie zukam, waren die Erinnerungen schlagartig wiedergekehrt, und sie hatte sich über das Wiedersehen gefreut.

Wie dumm von ihr zu erwarten, er würde sich dieser Begebenheit entsinnen oder ihr heute noch so viel Verständnis entgegenbringen wie damals! Sie ärgerte sich über sich selbst, denn normalerweise war sie keine Träumerin. Während ihrer Zeit im Internat waren ihr alle Gedanken an Romantik und Liebe ausgetrieben worden. Sie war das hässliche Entlein unter Schwänen gewesen, ein Happy End hatte es für sie nicht gegeben.

Später, an der Universität, war sie Roberto begegnet. Vorübergehend hatte sie es wieder gewagt zu träumen. Vergebens.

Dennoch musste sie unbewusst einen letzten Funken Hoffnung gehegt haben, der endgültig erloschen war, als Vittorio sie zunächst verächtlich angesehen und ihr dann die verlogenen Komplimente gemacht hatte.

Entschlossen straffte sie die Schultern, ging zu einem befreundeten Winzer, der nur wenige Schritte von ihr entfernt stand, und begann eine Unterhaltung mit ihm. Sie nahm sich vor, keinen weiteren Gedanken an Vittorio de Cazlevara zu verschwenden. Was er ihr damals gesagt hatte, war heute bedeutungslos. Vermutlich erinnerte er sich ohnehin nicht mehr daran. Doch aus einem unerfindlichen Grund schmerzte sie dieser Gedanke.

Als Ana die gewundene Auffahrt zur Villa Rosso hinauffuhr, entdeckte sie in einem der Fenster noch Licht. Wie meistens, wenn sie ausgegangen war, blieb ihr Vater bis zu ihrer Rückkehr auf. Noch vor wenigen Jahren hätte er sie zu dem Empfang begleitet. Heute hielt er sich solchen Veranstaltungen fern, angeblich, um seiner Tochter Unabhängigkeit zu ermöglichen. Sie vermutete jedoch, dass ihm am gesellschaftlichen Leben nichts lag. Von Natur aus ruhig und zurückhaltend, zog er es vor, sich so oft wie möglich seinen geliebten Büchern zu widmen.

„Ana?“, rief er, als sie wenig später ins Haus trat und ihren Mantel ablegte.

„Ja, Papa?“

„Wie war es? Wer war alles da?“

„Alle wichtigen Weinproduzenten, nur du hast gefehlt“, antwortete sie, während sie zu ihm ins Arbeitszimmer ging.

Enrico Viale saß in einem bequemen Ledersessel vor dem Kamin, in dem ein Feuer munter prasselte. Ein Buch lag aufgeschlagen auf seinem Schoß. Er zog die Lesebrille von der Nase und lächelte seiner Tochter zu, als sie eintrat. Ein Netz aus tiefen Falten überzog sein schmales Gesicht. „Du musst mir doch nicht schmeicheln!“

„Ich weiß.“ Ana ließ sich in einen Lehnstuhl ihm gegenüber sinken und streifte die Schuhe von den Füßen. „Dabei habe ich heute selbst Komplimente erhalten.“

„Oh?“ Er schlug das Buch zu und legte es zusammen mit der Brille auf einen Beistelltisch neben seinem Sessel. „Von wem?“

Ursprünglich hatte Ana nicht vorgehabt, ihm von Vittorio zu erzählen. Doch sie erwähnte seinen Namen bereits, noch ehe das Gespräch mit ihrem Vater richtig in Gang gekommen war.

„Vom Conte de Cazlevara. Wusstest du, dass er zurückgekehrt ist?“

„Ja“, antwortete Enrico nach kurzem Zögern.

„Davon hast du mir gar nichts erzählt!“

Wiederum ließ er sich Zeit mit einer Antwort, und Ana hatte den vagen Verdacht, er versuchte etwas vor ihr zu verbergen. Das war allerdings unwahrscheinlich. In den Jahren seit dem Tod ihrer Mutter hatte sich zwischen ihnen eine offene und innige Beziehung entwickelt.

„Es erschien mir nicht wichtig.“

Die knappe Erklärung leuchtete Ana ein, schließlich war die Rückkehr eines flüchtigen Bekannten nicht von Bedeutung.

„Es ist spät, und ich bin müde, ich gehe schlafen. Gute Nacht.“ Sie stand auf, gab ihrem Vater einen liebevollen Kuss, hob ihre Schuhe auf und verließ den Raum. Von der Eingangshalle führte eine geschwungene Marmortreppe in die erste Etage der Villa, wo ihr Zimmer lag. Das schöne alte Herrenhaus verfügte über acht Schlafzimmer, von denen nur zwei ständig benutzt wurden, Übernachtungsgäste hatten sie nur selten.

Während sie sich zum Schlafen fertig machte, gingen Ana die kurzen, belanglosen Sätze, die sie mit Vittorio gewechselt hatte, immer wieder durch den Sinn. Erneut ärgerte sie sich über seine zweifelhaften Schmeicheleien und wunderte sich über die heftigen Empfindungen, die er in ihr auslöste. Bereits als er über die Schwelle von Castello San Stefano getreten war, hatte sie seine Anwesenheit geradezu körperlich gespürt.

Sie schlüpfte in ihren Pyjama, öffnete die Haarspange, schüttelte ihr Haar, bis es ihr lose über die Schultern fiel, und trat ans Fenster.

Mondlicht überzog die Gartenanlage vor dem Haus mit silbernem Glanz, in der Ferne zeichneten sich die Weinberge ab, denen die Villa Rosso ihren Namen und die Familie ihren Wohlstand verdankte. Seit Generationen bauten die Viales hier rote Trauben an, aus denen sie einen edlen Rotwein kelterten, der in Italien, und neuerdings auch im Ausland, reißenden Absatz fand.

Sie ließ sich auf ihrem Lieblingsplatz am offenen Fenster nieder und zog die Beine unters Kinn. Eine frische Brise kam auf, zauste ihr Haar und kühlte ihre Wangen, die sich erstaunlicherweise ganz heiß anfühlten.

Was ist mit mir los? fragte sie sich überrascht. Sicher lag es nur an ihrem mangelnden gesellschaftlichen Umgang, dass der kurze Wortwechsel mit Vittorio sie dermaßen aus der Fassung bringen konnte. Sie ging nur selten aus und wenn, dann aus beruflichen Gründen. Die Männer, die sie bei diesen Gelegenheiten traf, waren in der Regel doppelt so alt wie sie mit ihren neunundzwanzig Jahren und kamen als Ehemänner nicht in Betracht.

Und ich will auch keinen! Sie hatte die Hoffnung auf eine Heirat bereits vor Jahren aufgegeben, als sie erkannte, dass Männer an ihr kein Interesse zeigten. Lieber wollte sie ihr Leben dem Geschäft, ihrer Familie und Freunden widmen. Romantische Liebe kam für sie nicht infrage. Das hatte sie akzeptiert …

Doch jetzt war Vittorio zurückgekehrt! Seine wenn auch offensichtlich unaufrichtigen Komplimente hatten ihren Seelenfrieden gestört und lang vergessene und verdrängte Sehnsüchte neu entfacht. Jahrelang hatte niemand sie als Frau wahrgenommen, bis sie schließlich selbst ihre Weiblichkeit vergessen hatte.

Sie hob den Kopf, schloss die Augen und atmete tief durch. Mit einem Mal wünschte sie sich mit aller Kraft, er würde sie voller Verlangen ansehen, nicht voller Abscheu. Sie wollte die Worte, die er heute Abend zu ihr gesagt hatte, noch einmal aus seinem Mund hören, doch diesmal sollte er sie ernst meinen.

Einmal wenigstens wollte sie sich ganz als Frau fühlen.

2. KAPITEL

„Signorina Viale, Sie haben Besuch!“

Wieder einmal hatte Ana ihr Handy auf dem Schreibtisch vergessen, sodass ihr junger Büroangestellter Edoardo in den Weinberg kommen musste, um ihr seine Nachricht zu überbringen.

Die Arbeit an den Rebstöcken bereitete ihr immer viel Freude. Besonders im Frühjahr, wenn sich die Pflanzen dem warmen Licht der ersten Sonnenstrahlen entgegenreckten, gab es für sie keinen schöneren Ort auf Erden. Stolz ließ sie den Blick über die sanft geschwungenen Hänge schweifen, die von Weinstöcken in ordentlichen Spalieren überzogen waren, so weit das Auge reichte, und atmete genüsslich den würzigen Duft der fruchtbaren Erde ein.

„Es ist Signor Ralfino, der Conte de Cazlevara.“

Was will er nur von mir, fragte sie sich überrascht, wir sind uns doch erst vor drei Tagen auf Castello San Stefano begegnet? Ein Schauer lief ihr über den Rücken, eine Art Vorahnung, wie sie sie gelegentlich vor einem Gewitter befiel. Sie besaß ein ausgezeichnetes Gespür für das Wetter, konnte selbst bei strahlendem Sonnenschein heranziehenden Regen vorhersagen und wusste instinktiv, wann es angebracht war, ihre wertvollen Pflanzen zum Schutz vor Frost abzudecken, Fähigkeiten, die zu ihrem hervorragenden Ruf als Winzerin beigetragen hatte. Leider funktionierte ihre innere Stimme nicht annähernd so gut, was Männer betraf!

„Wartet er in meinem Büro?“

Edoardo nickte.

In dieser Aufmachung kann ich ihn unmöglich empfangen, dachte sie ärgerlich. Wie immer bei der Arbeit im Weinberg trug sie eine bequeme alte Hose und ein weites Hemd, das ihr nach der stundenlangen körperlichen Tätigkeit feucht am Rücken klebte. Auf Besucher war sie nicht eingestellt, schon gar nicht auf diesen.

„Bitte richte ihm aus, dass ich gleich komme.“ Als der junge Mann ging, seufzte sie tief. Sie hatte keine Ahnung, was der Conte von ihr wollte noch warum er sie so nervös machte.

Missmutig strich sie sich das Haar aus der Stirn und zupfte an ihrem Hemd. In dieser Montur konnte und wollte sie ihm nicht gegenübertreten! Doch ihr blieb keine Wahl. Zur Villa zurückzukehren, um sich umzukleiden, würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Also straffte sie die Schultern und machte sich auf den Weg.

Das Wirtschaftsgebäude, in dem sich auch ihr Büro befand, ein großes cremefarbenes Backsteinhaus mit rotem Ziegeldach, war ihr ebenso zur Heimat geworden wie die Villa Rosso. Hier war sie die unumstrittene Herrscherin, fühlte sich jeder Aufgabe gewachsen und Vittorio ebenbürtig. Dennoch schlug ihr Herz schneller, als sie die Bürotür öffnete und eintrat.

Auf einem Tisch vor dem Besuchersofa lagen etliche Hochglanzmagazine, daneben stand ein Kaffeetablett. Ihr Gast hatte jedoch nicht Platz genommen, sondern lief, die Hände tief in den Hosentaschen, den Blick auf den Boden gerichtet, rastlos im Zimmer auf und ab.

In dem eleganten, vermutlich maßgeschneiderten Anzug kam seine durchtrainierte Figur bestens zur Geltung. Etwa einen Meter neunzig groß, überragte er Ana um gut zehn Zentimeter und gab eine imposante Erscheinung ab. Das tiefschwarze Haar trug er kurz geschnitten, was seine von dichten Wimpern eingerahmten dunklen Augen und die markanten Züge betonte.

Er sah auf, und Ana wurde bewusst, dass sie ihn angestarrt hatte wie ein neugieriges Schulmädchen. Schnell schenkte sie ihm ein kühles Lächeln.

„Conte Cazlevara. Was für eine Überraschung!“

„Bitte nenne Sie mich Vittorio.“ Er betrachtete sie von oben herab und presste die Lippen missbilligend aufeinander, was ihr nicht entging.

Hoffentlich macht er mir nicht gleich wieder eines seiner verlogenen Komplimente, dachte sie.

„Entschuldigen Sie die Störung“, begann er höflich.

Sie winkte ab. „Kein Problem. Allerdings war ich nicht auf Besuch eingestellt. Wie Sie sehen, komme ich gerade aus dem Weinberg.“ Sie wies auf ihre Arbeitskleidung, die neben seinem makellosen Anzug noch schäbiger wirkte.

„Was macht der Wein?“

„Wächst und gedeiht. Kein Wunder bei diesem Wetter! Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?“

Er schwieg einen Moment, den Kopf zur Seite geneigt, und sah Ana eindringlich an, was dieser entschieden missfiel. „Ja, danke. Es ist wirklich warm heute.“

Hoffentlich hat er nicht bemerkt, dass mir der Schweiß auf der Stirn steht und das Hemd feucht am Rücken klebt, dachte sie peinlich berührt. Rasch versuchte sie ihn abzulenken: „Lassen Sie uns in die Weinstube gehen. Dort haben wir es bequemer.“

Sie führte ihn in den gemütlichen Raum an der Rückseite des Gebäudes, in dem ansonsten Verkostungen durchgeführt wurden.

Durch hohe Sprossenfenster fiel strahlender Sonnenschein in die Probierstube mit der hölzernen Gewölbedecke. Aus Eichenfässern gefertigte Tische, von rustikalen Stühlen umgeben, luden zur Weinprobe ein, doch Ana führte ihren Gast zu einem bequem aussehenden Ledersofa in einer Ecke des Raums. „Wie kann ich Ihnen helfen, Vittorio?“, fragte sie, nachdem sie Platz genommen hatten. Die ungewohnte Anrede kam ihr nur schwer über die Lippen.

„Sie haben in den letzten Jahren Erstaunliches vollbracht. Ihr Wein hat an Gehalt gewonnen und findet immer mehr Liebhaber.“

„Vielen Dank. Es steckt eine Menge harter Arbeit dahinter.“

„Die sich ausgezahlt hat.“ Er verschränkte die Finger unter dem Kinn und bedachte Ana mit einem wissenden Lächeln, das sie irritierte.

„Haben Sie die Villa Rosso eigentlich nie verlassen?“

„Sie ist mein Zuhause.“

„Wollten Sie nie reisen, etwas von der Welt sehen?“

„Ich bin glücklich hier.“ Und etwas schärfer fügte sie hinzu: „Außerdem habe ich einige Zeit in Padua verbracht und dort Weinbau studiert.“

„Natürlich, das hatte ich vergessen.“

Das klang, als hätte er davon gewusst, und Ana wunderte sich sehr.

„Ihr Vater muss dankbar und glücklich sein für die Hingabe und Loyalität, die Sie ihm und dem Weingut entgegenbringen.“

„Das ist er. Ich kann mir allerdings keine Arbeit vorstellen, die ich lieber täte“, antwortete sie, weil es der Wahrheit entsprach. Weinbau lag ihr im Blut. Ihre Arbeit, ihr Vater und ihr Zuhause – das war ihr Leben.

Vittorio lächelte freundlich. Was er hörte, schien ihm zu gefallen. In diesem Moment brachte ein Angestellter einen Krug mit eisgekühltem Zitronenwasser und zwei Gläser.

„Danke“, murmelte Ana, schenkte ein und reichte ihrem Gast ein Glas. „Wie man hört, haben Sie sich entschlossen, das Reisen aufzugeben, und beabsichtigen, hierzubleiben?“

„Das stimmt. Ich war viel zu lange unterwegs.“ Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte seine Miene eiskalt und verschlossen. Erschrocken fragte sie sich, welche unangenehmen Umstände ihn zur Rückkehr bewogen haben mochten.

„Sicher sind Sie froh, wieder hier zu sein?“

„Ja.“

„Es war gewiss interessant, andere Länder kennenzulernen.“ Sie widerstand dem Drang, sich die vor Aufregung feuchten Hände an der Hose abzutrocknen, und fragte sich erneut, wieso er hier saß und müßig mit ihr plauderte. Worauf wollte er hinaus?

„Das war es, doch ich hatte dabei stets das Geschäft im Blick.“ Er stellte sein Glas auf dem Tisch ab und sah Ana schweigend an, was ihre Nervosität nur noch steigerte. „Gelegentlich lassen sich jedoch Geschäft und Vergnügen verbinden“, fuhr er endlich fort. Die Worte klangen bedeutungsschwer.

Obwohl sie nicht verstand, was er damit andeuten wollte, nickte sie. Doch dann konnte sie ihre Neugierde nicht länger bezähmen: „Ich gestehe, ich habe keine Idee, aus welchem Grund Sie mich heute aufsuchen. Natürlich freue ich mich über Ihre Rückkehr nach Venetien, aber bisher hatten wir kaum miteinander zu tun.“ Mittlerweile war es ihr gleichgültig, ob er ihre Bemerkung als unhöflich empfand, denn seine Selbstsicherheit und männliche Arroganz brachten sie aus der Fassung. Ihr Herzschlag war beschleunigt, ihre Handflächen waren feucht, und sie spürte ein seltsames Gefühl, das sie als Verlangen deuten würde, wäre das nicht geradezu absurd.

Als er sich vorbeugte, um nach seinem Glas zu greifen, nahm sie seinen maskulinen Duft wahr. Instinktiv schrak sie zurück und drückte sich tiefer in die Sofakissen.

Er trank, dann sagte er gelassen: „Ich würde Sie gern zum Dinner einladen.“

Zunächst glaubte sie, nicht recht gehört zu haben. Ihr letztes Rendezvous lag Jahre zurück, und der Mann damals war nicht mit Vittorio zu vergleichen! Das Blut schoss ihr in die Wangen. Um ihre Verwirrung zu verbergen, griff auch sie nach ihrem Glas.

„Sie sind überrascht!“

„Allerdings.“ Sie presste verwirrt das kalte Glas an ihre heißen Wangen. „Frauen wie ich werden nicht gerade mit Einladungen überhäuft …“, begann sie, brach jedoch sofort wieder ab. Wie ungeschickt, so viel über sich zu verraten! Doch sie war schon immer eine schlechte Heuchlerin gewesen.

„Woher wollen Sie wissen, mit welcher Sorte Frau ich gern zu Abend speise?“

„Keine Ahnung. Aber …“ Ihr fiel nichts ein, womit sie ihre Würde wahren konnte. „Ich war nur überrascht, das ist alles“, schloss sie lahm.

Einen Moment lang schwieg er. Ana konnte seinem Mienenspiel nicht das Geringste entnehmen. Unvermittelt fröstelte sie. Sie hatte es schon vor Jahren aufgegeben, nach einem Mann, nach Liebe Ausschau zu halten, dazu fehlt es ihr an den wichtigsten Voraussetzungen. Erinnerungen aus der Internatszeit gingen ihr durch den Sinn. Die Verachtung ihrer Mitschülerinnen, die zahlreichen Schulbälle, an denen sie als Mauerblümchen teilgenommen hatte.

Dann unterbrach Vittorio ihr Gedanken: „Ich verstehe.“

Auch wenn dem so war, legte sie keinen Wert auf sein Mitleid.

„Ich möchte Ihnen beim Essen ein geschäftliches Angebot unterbreiten“, fuhr er fort.

Entsetzt sah Ana ihn an. Sie errötete. Was er ihr vorgeschlagen hatte, war also gar kein Rendezvous? Sie hatte sich zum Narren gemacht! Gleichzeitig war sie wütend auf ihn. Hätte er sie nicht rechtzeitig über seine wahren Absichten aufklären können? „Frauen wie ich …“ Was sie damit ausdrücken wollte, hatte er nur zu gut verstanden!

„Ein Geschäft, natürlich“, erwiderte sie zögernd, sobald sie sich wieder halbwegs gefasst hatte.

„Etwas ganz Außergewöhnliches!“

„Da bin ich aber neugierig!“

„Gut. Hätten Sie am Samstagabend Zeit?“

Ohne ihren Kalender zurate zu ziehen, stimmte Ana zu. Eine anderweitige Verabredung würde er ihr ohnehin nicht abkaufen.

„Dann hole ich Sie in der Villa Rosso ab. Wir werden an einem ganz besonderen Ort speisen.“

Sie überlegte kurz, wo das sein würde, wesentlich wichtiger war allerdings die Frage, was sie zu der Gelegenheit tragen sollte. In ihrem Schrank hingen zahlreiche Hosenanzüge für geschäftliche Anlässe, jedoch nichts, das für ein elegantes Dinner geeignet war. Andererseits handelte es sich bei der Einladung um ein Geschäftsessen! Dennoch wollte sie keine ihrer langweiligen, unweiblichen Kombinationen anziehen. Einmal wenigstens wollte sie sich ganz als Frau fühlen. Warum, das hinterfragte sie vorsichtshalber nicht.

Seit sie die Universität verlassen hatte, hatte sie gelebt und sich gekleidet wie ein geschlechtsloses Wesen. Sie hatte kein Interesse für Mode oder Schönheit aufgebracht, ebenso wenig für die Liebe. Solange sie keine Erwartungen, keine Hoffnungen hegte, wurde sie auch nicht enttäuscht. Warum sollte sie jetzt etwas daran ändern?

Am Samstagabend stand Ana in ihrem Schlafzimmer und blickte bekümmert in den Spiegel. Zu einer schmal geschnittenen schwarzen Hose trug sie ein kurzes Jackett, das auf dem Kleiderbügel wesentlich besser aussah als an ihr. Einziges Zugeständnis an ihre Weiblichkeit war ein cremefarbenes Seidentop, das jedoch komplett von der Jacke bedeckt wurde. Aus ihrer Hochsteckfrisur hatten sich bereits einige Strähnen gelöst und fielen ihr lose ums Gesicht. Ob das elegant oder unordentlich wirkte, vermochte sie nicht zu sagen, daher beließ sie es dabei. Auf Make-up verzichtete sie mangels Übung komplett.

Mit einem traurigen Seufzer wandte sie ihrem Spiegelbild den Rücken und ging zu ihrem Vater, der im Arbeitszimmer las. Er blickte von seinem Buch auf und fragte: „Gehst du aus?“

Sie nickte ein wenig schuldbewusst. Von ihrer Verabredung mit Vittorio hatte sie ihm nichts erzählt. Nicht, weil sie es vergessen hatte, wie sie sich selbst vorzumachen versuchte, sondern weil sie nicht wollte, dass er mehr hineininterpretierte, als sie tatsächlich bedeutete.

„Ja, zum Dinner.“

„Eine Verabredung?“

„Nur ein Geschäftsessen.“ Sie trat ans Fenster. Draußen ging gerade die Sonne unter und tauchte die Weinberge in ein warmes rotes Licht.

„Immer nur Geschäfte“, brummte ihr Vater, und sie lächelte.

„Mir gefällt es so, das weißt du.“

„Du arbeitest zu viel.“

Darauf wusste sie keine Antwort, denn er hatte recht. Seit ihr Vater sich vor einigen Jahren aus dem Betrieb zurückgezogen hatte, hatte sie nichts anderes getan. Ihm hatte es genügt, mit der Weinerzeugung den Lebensunterhalt der Familie bestreiten zu können, doch Ana hatte ihre Ziele höher gesteckt. Sie träumte von dem Tag, an dem Wein der Marke Viale die Tafeln der besten Restaurants in Europa und den USA zierte, ähnlich den Spitzensorten von Cazlevara.

In der Ferne leuchteten Scheinwerfer auf, kurz darauf fuhr ein dunkelblauer Sportwagen die Auffahrt zur Villa hinauf. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie zusah, wie Vittorio ausstieg. Kurz darauf klingelte die Türglocke.

„Wirst du abgeholt?“, fragte Enrico.

„Ja.“ Sie lief bereits zur Haustür.

„Wer immer es ist“, rief er ihr nach, „bitte ihn herein!“

Außer Atem und mit vor Aufregung geröteten Wangen öffnete sie die Tür. Vittorio sah fantastisch aus in einem eleganten dunkelblauen Anzug, dazu trug er ein makelloses weißes Hemd und eine aquamarinblaue Seidenkrawatte. Sein Anblick verschlug ihr die Sprache.

„Hallo, Ana.“ Er lächelte. „Sind Sie fertig?“

„Ja. Bitte kommen Sie dennoch einen Moment herein. Mein Vater würde Sie gern begrüßen.“ Sie führte ihn in die Bibliothek.

Enrico sah ihnen erwartungsvoll entgegen, zeigte zu Anas Verblüffung jedoch kein Anzeichen von Verwunderung, als er in dem Besucher Vittorio erkannte. Er begrüßte ihn freundlich. „Guten Abend.“

„Guten Abend, Signor Viale.“

„Sie führen meine Tochter zum Essen aus?“

„Gewissermaßen. Wir werden auf Castello Cazlevara speisen.“

Das traf Ana unvorbereitet. Als Kind war sie einmal auf einer Weihnachtsfeier dort gewesen. Sie erinnerte sich an den riesigen Weihnachtsbaum in der hohen Eingangshalle und die Unmengen Süßigkeiten, die sie verdrückt hatte … Tief in Gedanken versunken, bekam sie von der Unterhaltung zwischen den Männern nichts mit, bis Vittorio unvermittelt fragte: „Wollen wir gehen?“

„Ja, gern.“

Sie verabschiedeten sich von Enrico, und Vittorio führte Ana zu seinem Auto, eine Hand auf ihrem Rücken. Die leichte Berührung brannte wie Feuer auf ihrer Haut.

Zuvorkommend half Vittorio seiner Begleiterin in den luxuriösen Wagen, ehe er selbst auf dem Fahrersitz Platz nahm. Ana wirkte nervös, und ihr Outfit stand ihr überhaupt nicht. Daher hatte er sich ein Kompliment verkniffen, das sie sofort als Lüge durchschaut hätte.

Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf das Lenkrad, während sie sich anschnallte. Noch wusste er nicht, wie er sie am besten umwerben sollte. Sie war zu intelligent und er ein zu schlechter Schauspieler, um sie durch Schmeicheleien zu gewinnen. Auch eine Verführung wäre zwecklos, zumal er sich dazu nicht überwinden konnte. Dennoch würde er mit ihr schlafen müssen, sobald sie erst einmal verheiratet waren, denn er wünschte sich einen Erben.

Natürlich hätte er sich eine andere Braut aussuchen können. Es gab genug schöne Damen der italienischen Gesellschaft, die sich gern mit dem Titel einer Contessa de Cazlevara schmücken würden. Frauen, mit denen er gern das Bett, nicht aber das Leben teilen würde.

Denn sie besaßen keine Weinberge, die an seine grenzten, fühlten sich nicht der Region und der Weinherstellung verbunden und hatten ihre Vertrauenswürdigkeit noch nicht unter Beweis gestellt.

Ana dagegen verfügte über alles, was er von seiner Frau erwartete: Sie kannte sich mit der Produktion von Wein aus, leitete ihre eigene Winzerei, war gesund, relativ jung und eine pflichtbewusste Tochter. Zudem schien sie über die Charaktereigenschaft zu verfügen, die für ihn die Grundvoraussetzung einer Ehe darstellte: Loyalität.

Nein, seine Wahl war auf Ana Viale gefallen. Unumstößlich.

Sie würde ihm den benötigten Erben schenken, den eigentliche Grund für seine Heiratspläne. Denn sonst würde sein Bruder Bernardo eines Tages den Titel erben, was dem Wunsch seiner Mutter entsprechen würde, wie sie ihm erst kürzlich mitgeteilt hatte.

Wie üblich hatte Bitterkeit auf beiden Seiten dieses letzte Telefonat geprägt. Constantia, die derzeitige Contessa, hatte ihn, wie meist, um Geld gebeten.

„Für wen sparst du so eisern?“, hatte sie gefragt. „Du wirst auch nicht jünger. Glaubst du etwa, dass du mit siebenunddreißig Jahren noch heiraten wirst? Das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich.“ Sie war so ungeduldig und verletzend gewesen, wie er es von klein an von ihr gewöhnt war.

„Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“

„Wenn du keinen Erben zeugst, bekommt Bernardo den Titel.“

Den Hörer in der Hand, war Vittorio förmlich erstarrt. Kurz nach dem Tod seines Vaters hatte seine Mutter bereits versucht, ihm das Erbe zu stehlen und seinen Bruder als Conte einzusetzen. Das würde er ihr nie vergessen.

Ich hätte schon längst heiraten und Kinder haben sollen, hatte er ärgerlich gedacht. In den letzten Jahren hatte er sich so sehr auf seine Kellerei und die Vermarktung des Weins konzentriert, dass er seiner eigenen Zukunft, seinen Nachkommen, nie auch nur einen Gedanken gewidmet hatte.

Inzwischen hatte er das gründlich nachgeholt. Er hatte sich eine Braut gesucht, mit derselben Sorgfalt, mit der er einen guten Wein auswählte.

Wieder trommelte er mit den Fingern auf das Lenkrad, und Ana warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Wie kann ich sie am besten für mich gewinnen? überlegte er. In dem Hosenanzug wirkte sie fülliger, als sie tatsächlich war. In geschickt ausgewählter Garderobe und mit etwas Make-up sähe sie sicher besser aus, dachte er, dann musste er schmunzeln. Was würde sie wohl denken, wenn sie von seinen Plänen wüsste? Viele Frauen würden sich darum reißen, in die Cazlevara-Dynastie einzuheiraten, doch instinktiv ahnte er, dass sie nicht dazugehörte. Von Schmeicheleien ließ sie sich nicht einwickeln, das hatte ihn ihre erste Begegnung gelehrt. Sie ähnelte in keiner Weise den Frauen, mit denen er sich sonst umgab, weder äußerlich noch von ihrer Persönlichkeit her. Dennoch wünschte er sie zu heiraten, aus einer Reihe wohlerwogener Gründe.

Ich werde ihr meinen Heiratsantrag als Geschäft unterbreiten, nahm er sich vor. Sie schien Offenheit zu schätzen, also würde er Klartext reden. Auf diese Weise musste er auch keine Zeit darauf verschwenden, Zuneigung zu heucheln.

Was ist, wenn sie auf eine echte Ehe voller Liebe hofft? überlegte er, von leichten Gewissensbissen geplagt. Es war wichtig, ihr von Anfang an zu verdeutlichen, dass Liebe nicht Bestandteil ihrer Vereinbarung war.

Als praktisch veranlagte – und nicht besonders hübsche – Frau hatte sie jedoch bestimmt kein Interesse an Romantik. Andernfalls konnte sie seinen Antrag immer noch ablehnen.

Allerdings würde er dafür sorgen, dass sie es nicht tat.

Die Straße führte vorbei an sanft geschwungenen Weinbergen, an kleinen Eichenwäldchen und Zypressenhainen. Immer wieder sah Ana nervös zu Vittorio hinüber. Seit sie in seinen Wagen gestiegen waren, hatte er kein Wort mehr gesagt. Konzentriert, fast ein wenig grimmig, blickte er durch die Frontscheibe auf die Straße. Nach etwa zwanzig Minuten tauchten in der Ferne die Lichter von Castello Cazlevara auf, wenig später bog Vittorio in die Privatstraße ein, die sich über einige Kilometer bergauf wand, bis sie ihr Ziel erreichten.

Natürlich kannte sie das Schloss von zahlreichen Fotos und Postkarten, einmal war sie selbst dort gewesen. Trotzdem erfüllte der Anblick des mittelalterlichen Bauwerks, das auf einem Felsvorsprung thronte, sie mit Ehrfurcht. Schlanke Türme reckten sich dem Abendhimmel entgegen, eine uralt anmutende Zugbrücke spannte sich über den trockengelegten Burggraben. Vor langer Zeit hatte die mächtige Festung auf dem Berg den Menschen der Umgebung Schutz vor Angreifern geboten und, sofern Ana sich richtig an den Geschichtsunterricht erinnerte, sogar vor der Armee des Papstes. Dass die wuchtigen Mauern jedem Feind standgehalten hatten, wunderte sie nicht.

„Ihr Schloss ist also ein ‚ganz besonderer Ort‘?“, fragte sie leichthin.

„In meinen Augen, ja.“

Sie blickte zu den steil aufragenden Mauern und Türmen empor und konnte ihm nur zustimmen. Es war wirklich außergewöhnlich – und ein wenig beängstigend.

Vittorio steuerte den Wagen über die Zugbrücke in einen weitläufigen gepflasterten Innenhof und hielt an. Im Lauf der Zeit war das Schloss mehrfach renoviert und modernisiert worden, hatte dabei jedoch nichts von seinem Zauber eingebüßt. Immer noch war es eindrucksvoll und geradezu verboten schön, mit graziös geschwungenen Torbögen und Fenstern, eleganten Treppen und verwunschenen Winkeln. Ebenso ansehnlich fand Ana auch den Burgherrn, der eben um den Wagen herumging und ihr den Schlag aufhielt. Dann führte er sie über eine steinerne Treppe zum Haupteingang, den gasbetriebene Fackeln eindrucksvoll in Szene setzten.

In der riesigen Eingangshalle dämpfte ein hochfloriger türkischer Teppich auf dem Steinboden ihre Schritte. Auch hier warfen Fackeln geheimnisvolle Schatten auf die Wände. Auf Hochglanz polierte Türen aus Mahagoni führten zu zahlreichen Empfangsräumen, doch Vittorio geleitete Ana zu einem Durchgang am gegenüberliegenden Ende der Halle.

„Haben Sie je daran gedacht, sich eine kleinere, moderne Villa zuzulegen?“, fragte sie, beeindruckt und gleichzeitig eingeschüchtert von der großartigen Umgebung.

Vittorio war kaum merklich zusammengezuckt, einem anderen Besucher wäre seine Reaktion vermutlich entgangen, doch sie beobachtete ihren Begleiter genau und nahm jedes Detail wahr: die kräftigen Schultern, das Spiel der Muskeln unter dem glatten Anzugsstoff, seinen männlichen Duft – und ebenso deutlich den unvermittelten Stimmungsumschwung.

„Die Familie Cazlevara hat schon immer hier gelebt! Allerdings wohnt meine Mutter den größten Teil des Jahres in der Nähe von Mailand, in einem kleinen palazzo, der Ihrer Beschreibung entspricht.“ Er blieb stehen und wandte sich zu ihr um. Das Licht der Wandleuchter, die in gleichmäßigen Abständen an den Mauern befestigt waren, spiegelte sich in seinen Augen. „Könnten Sie sich vorstellen, an einem Ort wie diesem zu leben?“

Das konnte sie! Im Geist sah sie sich als Gastgeberin eines Abendessens im altehrwürdigen Speisesaal oder in der großen Halle beim Empfang der Gäste zu einer Weihnachtsparty. Die Vorstellung gefiel ihr weit besser, als sie erwartet hätte.

„Es muss interessant sein, so verbunden mit der Vergangenheit zu leben.“ Wieder sprach sie zu seinem Rücken, denn Vittorio war bereits weitergegangen. Rasch folgte sie ihm.

„Das Schloss ist tatsächlich sehr alt. Aber Ihre Familie lebt ebenfalls schon lange in Venetien.“

„Erst seit dreihundert Jahren, also so gut wie nichts, verglichen mit Ihren Ahnen!“

Er lachte, blieb vor einer geschnitzten Tür stehen, öffnete sie und ließ ihr den Vortritt.

Erwartungsvoll und befangen zugleich, sah Ana sich in dem gemütlichen Raum um. Schwere Samtvorhänge vor den Fenstern hielten die Kühle der Nacht fern. Im offenen Kamin prasselte ein Feuer, ansonsten dienten Kerzen als einzige Lichtquelle. Vor dem Kamin war ein Tisch für zwei Personen gedeckt mit einem schweren weißen Leinentuch, passenden Servietten, feinstem Porzellan und erlesenem Kristall. Auf einem Beistelltisch stand eine geöffnete Flasche Rotwein bereit. Dies war kein Rahmen für ein Geschäftsessen, eher für eine romantische Verführung.

Würde sich ihre Verabredung doch noch als Rendezvous erweisen? Sie schluckte nervös, räusperte sich kurz und sagte: „Wie schön! Das ist wirklich ein besonderer Ort.“

Vittorio lächelte und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Auf dem Weg hierher waren sie niemandem begegnet, daher erkundigte sich Ana: „Leben Sie hier allein?“

„Meine Mutter und mein Bruder wohnen gewöhnlich in Mailand, doch sie kommen und gehen, wie es ihnen gerade gefällt.“

Seine Worte und vor allem sein Tonfall vermittelten ihr den Eindruck, dass er den kleinen Familienkreis als lästiges Beiwerk betrachtete. Doch wie konnte das sein? Sie selbst fühlte sich seit dem Tod der Mutter ihrem Vater eng verbunden. Er war alles, was sie noch hatte.

Vittorio rückte ihr den Stuhl zurecht und legte ihr eine gestärkte Leinenserviette auf den Schoß. Dabei streifte er zufällig ihre Schenkel, und sie erschauerte. Niemand hatte sie je so intim berührt. Ihre fehlende Routine im Umgang mit Männern ließ sie sich extrem unsicher fühlen.

Auch die romantische Umgebung irritierte sie. Zur Beruhigung rief sie sich in Erinnerung, dass er ihr lediglich ein Geschäft vorschlagen wollte. Er plante keine Verführung und begehrte sie ebenso wenig wie Roberto, der Mann, in den sie sich an der Universität verliebt hatte. Das durfte sie nicht vergessen, sonst würde sie sich im Verlauf des Abends noch fürchterlich blamieren.

„Wein?“ Vittorio zeigte ihr die Flasche. Erfreut erkannte sie, dass er einen Wein von Viale gewählt hatte, ihre Spitzensorte.

Er schenkte ein, reichte ihr den Kelch, nahm Platz, hob sein Glas und prostete ihr zu: „Auf unser Geschäft.“

„Auf ungewöhnliche Angebote!“

„Ein edler Tropfen“, lobte Vittorio, nachdem sie getrunken hatten. „Auf einem meiner letzten Flüge habe ich im Bordmagazin einen Bericht darüber gelesen – und über Sie. Kennen Sie den Artikel?“

Ana nickte. Das Interview war zwar nur knapp ausgefallen, doch sie konnte jede Publicity gebrauchen.

„Sie haben viel erreicht!“

„Danke.“ Es hatte langer, harter Arbeit bedurft, um bei den Winzern der Region Anerkennung zu finden und ihrem Wein den ihm gebührenden Rang zu verschaffen. Dies sollte ihr mehr bedeuten als sein Lob, dennoch wurde ihr bei seinen Worten warm ums Herz.

Wenig später servierte eine Bedienstete die Vorspeisen, hauchdünnen Schinken mit Melone und andere Antipasti, und zog sich sofort wieder zurück.

Während sie schweigend aßen, stieg Anas Nervosität von Minute zu Minute. Gespannt wartete sie darauf, dass er ihr sein Angebot unterbreiten würde, traute sich jedoch nicht, danach zu fragen. Es fiel ihr schwer, ein belangloses Gespräch zu führen.

Ursache dafür waren der attraktive Mann, der ihr gegenübersaß, die romantische Umgebung, der Wein und die delikaten Speisen. Seltsamerweise fielen ihr gerade jetzt all die Dinge wieder ein, von denen sie als junges Mädchen geträumt hatte: ein Ehemann, Kinder, ein eigenes Heim. Im Lauf der Jahre hatte sie akzeptiert, dass sie nichts davon je bekommen würde, doch in diesem Moment sehnte sie sich wieder aus ganzem Herzen danach. Wieso das ausgerechnet in Anwesenheit des für sie unerreichbaren Vittorio passierte, wusste sie nicht.

Fühlt sich sein Haar so weich an, wie es aussieht, spüre ich seinen Bartschatten, wenn ich ihm über die Wangen streichle, schmecken seine Lippen nach Wein? schoss es ihr unvermittelt durch den Kopf, und sie verschluckte sich vor Schreck. Sie hustete, und er erkundigte sich besorgt: „Alles in Ordnung?“

„Ja, danke.“ Doch ihr zitterten die Knie, und in ihrem Bauch hatte sich ein seltsames, warmes Ziehen ausgebreitet.

Woher stammen all diese dummen Gedanken? fragte sie sich erschrocken. In seinen Augen war sie eine Geschäftsfrau, sonst nichts!

Wenig später wurden die Teller abgeräumt und der zweite Gang serviert, mit Hummerfleisch gefüllte Ravioli.

„Haben Sie Ihre Heimat vermisst?“, fragte Ana, um sich von ihren unerwünschten Empfindungen abzulenken.

„Sehr. Ich hätte nicht so lang wegbleiben dürfen.“

„Wieso sind Sie nicht eher zurückgekommen?“

Er zuckte die Schultern. „Es erschien mir einfacher.“ Er kostete von der Pasta, ohne sich näher zu erklären. „Essen Sie! Der Hummer ist delikat, und meine Köchin hat die Ravioli frisch zubereitet.“

„Sie sind köstlich!“ Doch vor innerer Anspannung schmeckte sie kaum etwas. Es drängte sie zu fragen, was er von ihr wollte, und die Hand nach ihm auszustrecken. Ein weiteres Glas Wein und sie würde die Beherrschung verlieren und ihn berühren!

Wie würde er darauf reagieren? Wäre er überrascht, erstaunt oder abgestoßen? Daran darf ich nicht einmal denken! rief sie sich selbst zur Ordnung.

Lange würde sie die Spannung jedoch nicht mehr aushalten! Entschlossen legte sie ihr Besteck zur Seite, atmete tief durch und presste die Hände flach auf den Tisch, um nicht doch noch nach seinen zu greifen. „So gut das Essen auch schmeckt, ich würde zu gern wissen, wie Ihr Vorschlag lautet.“

Vittorio schwieg eine ganze Weile und blickte konzentriert auf das Glas in seiner Hand, in dem der Wein im Kerzenlicht rubinrot schimmerte. Dann sah er auf und lächelte. „Heiraten Sie mich!“

3. KAPITEL

Einen Moment lang herrschte Totenstille im Raum. Nichts war zu hören als das Prasseln des Feuers und das Knacken der zerberstenden Holzscheite im Kamin.

Ana sah Vittorio an. Ihr Mund fühlte sich an wie ausgetrocknet, ihr Kopf wie leer gefegt. Sie musste sich verhört haben! Sicher hatte ihre Fantasie ihr einen Streich gespielt und ihr seine Worte nur vorgegaukelt.

Oder erlaubte er sich einen Scherz mit ihr? Ihr gesunder Menschenverstand regte sich wieder. Natürlich, das musste es sein! Sie rang sich ein müdes Lächeln ab, als amüsiere sie sich über seinen Witz, und griff nach ihrem Weinglas. „Im Ernst: Was wollten Sie mir vorschlagen?“

Vittorio beugte sich über den Tisch zu ihr und sah ihr offen in die Augen. „Es ist mir todernst, Ana. Ich möchte Sie heiraten.“

Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Unmöglich. Er riss einen abscheulichen Witz auf ihre Kosten.

Während ihrer Internatszeit war sie aufgrund ihrer Körpergröße immer wieder zum Ziel grausamer pubertärer Streiche geworden. Jahre später, als sie Roberto ihre Liebe gestanden hatte, hatte er sie zurückgewiesen mit der Erklärung, sie habe sein Verhalten missverstanden. Damals war sie einem schrecklichen Irrtum erlegen, wie möglicherweise auch in diesem Moment.

Doch Vittorio zuckte nicht mit der Wimper, und allmählich erkannte sie, dass sie ihn weder falsch verstanden hatte noch er sich über sie lustig machte. Er meinte, was er sagte.

„Ich hatte Sie gewarnt, dass ich Ihnen etwas Außergewöhnliches vorschlagen möchte.“

„Das stimmt!“ Aber wieso wollte er ausgerechnet sie heiraten? In ihrer Verwirrung nahm Ana einen großen Schluck Wein und verschluckte sich daran. Bei dem Versuch, ein unvornehmes Husten zu unterdrücken, traten ihr Tränen in die Augen.

Schmunzelnd beugte Vittorio sich nach vorn, streckte die Hand aus und klopfte ihr sanft auf den Rücken. „Husten Sie ruhig.“ Dann schenkte er fürsorglich ein Glas Wasser ein und drückte es ihr in die Hand.

„Verzeihung“, entschuldigte sie sich, wischte sich über die Augen und trank.

„Geht es wieder?“

Sie nickte, und er lehnte sich zurück. „Mein Vorschlag überrascht Sie?“

„Allerdings!“ Noch immer fassungslos schüttelte Ana den Kopf. Er hatte sie gebeten, seine Frau zu werden, doch sie verstand nicht, wieso. Was dachte er sich bloß dabei? Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, blickte sie sich in dem romantisch ausgestatteten Speisezimmer um. Die Kerzen waren inzwischen ein gutes Stück heruntergebrannt, auf dem Tisch standen halb geleerte Weingläser, und die Teller waren noch nicht abgetragen.

„Ich wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen“, entschuldigte sich Vittorio. „Meiner Einschätzung nach wissen Sie jedoch ein offenes geschäftliches Angebot zu schätzen.“

„Ein Geschäft“, wiederholte sie tonlos. Für einen ehrgeizigen, entschlossenen Mann wie Vittorio stellte natürlich auch die Ehe eine Investition dar. Aus einem ihr unerfindlichen Grund war sie darüber enttäuscht. Dabei hatte er ihr im Verlauf des Abends weder Zuneigung vorgespielt noch irgendwelche Versprechungen gemacht. Was immer sie für ihn empfand und sich insgeheim von ihm wünschen mochte, existierte nur in ihrem Kopf. Was war sie doch für eine Närrin!

Um sich wieder zu sammeln, atmete sie tief durch, dann fragte sie: „Inwiefern ist eine Ehe ein Geschäft?“

Im Verlauf der letzten Minuten war alle natürliche Lebhaftigkeit von Ana abgefallen. Mit einem Mal erschien Vittorio das Zimmer kälter und leerer als zuvor. Ich habe alles falsch gemacht, erkannte er bestürzt. Er hatte ihr den Heiratsantrag als einen für beide Seiten gewinnbringenden Handel unterbreiten wollen. Dafür hätte er allerdings einen entsprechend nüchternen Rahmen wählen müssen. Die romantische Atmosphäre mit Kaminfeuer, Wein und glitzerndem Kristall war bei einer geschäftlichen Besprechung fehl am Platz. Nach einem Dinner in einem dermaßen intimen Ambiente hatte sie etwas anderes von ihm erwartet. Mehr als er anzubieten bereit war. Kein Wunder, wenn sie jetzt enttäuscht und frustriert war.

Hatte sie dieses Essen tatsächlich für ein Rendezvous gehalten? Hätte sie das möglicherweise vorgezogen? Es tat ihm leid, sie in die Irre geführt zu haben, gleichzeitig erschreckte ihn der Gedanke. Er fühlte sich nicht zu ihr hingezogen und wollte ihr in dieser Hinsicht auch nichts vormachen. Sie hierherzubringen war ein großer Fehler gewesen, denn obwohl er nicht beabsichtigt hatte, in romantischer Form um sie zu werben, hatte er ein entsprechendes Szenario vorbereitet. Jetzt war es höchste Zeit, etwas Neues auszuprobieren.

Er beugte sich über den Tisch zu ihr vor und fragte: „Spielen Sie Karten?“

„Karten?“ Ana sah Vittorio überrascht an.

Er lächelte. „Wir könnten spielen und dabei gleichzeitig meinen Vorschlag diskutieren. Die meisten Geschäfte werden beim Golf, Kartenspiel oder einer anderen Freizeitbeschäftigung abgeschlossen.“

„Wie wäre es mit Billard?“

„Sie spielen Billard?“ Diesmal war es Vittorio, der seine Verwunderung nicht verbergen konnte.

„Ja. Stecca!

„Wunderbar! Das habe ich als Kind oft mit meinem Vater gespielt, es gibt im Schloss einen guten Karambolagetisch.“

Einen Moment lang verdüsterte sich seine Miene, und Ana erinnerte sich, gehört zu haben, er habe seinem Vater sehr nahegestanden.

„Prima. Dann kennen Sie die Regeln.“

Er lachte. „Allerdings. Ich sollte Sie warnen, ich spiele sehr gut.“

„Ich auch!“

Er führte sie durch verwinkelte Korridore zu einem großen Raum. Hohe Fenster gewährten einen guten Ausblick auf die im Halbdunkel liegende Gartenanlage. Ana erkannte schemenhaft die Umrisse ausladender, akkurat gestutzter Hecken und einen Marmorbrunnen. Die Luft im Zimmer roch abgestanden, der Billardtisch war zum Schutz vor Staub mit einem Laken abgedeckt.

„Sie haben lange nicht gespielt“, stellte sie fest.

„Jedenfalls nicht hier.“ Er zog das Tuch vom Tisch, knüllte es zusammen und warf es in eine Ecke des Raums. Dann öffnete er ein Fenster und ließ eine angenehm frische Brise aus den Gärten herein. „Dort drüben sind die Queues. Was möchten Sie trinken?“

Mittlerweile war es Ana gelungen, ihrer Enttäuschung Herr zu werden. Ihr war klar, dass er mit der Aufforderung zum Spiel den geschäftlichen Charakter des Heiratsantrags unterstreichen wollte. Damit konnte sie umgehen. Ihre Ernüchterung wich kalter Entschlossenheit, kombiniert mit einer gewissen Risikobereitschaft. „Ich hätte gern einen Whisky.“

Vittorio quittierte ihre Bestellung mit einem Schmunzeln und nickte. Er drückte einen dezent neben der Tür angebrachten Knopf. Wenig später erschien ein Bediensteter, dem er seine Wünsche mitteilte.

Unterdessen wählte sie ein Queue aus und kreidete es sorgfältig ein. Auf dem Spieltisch lagen bereits die drei Kugeln parat, mit denen beim Stecca gespielt wird, der weiße und der gelbe Spielball sowie ein roter Objektball. Vittorio platzierte fünf Kegel in der Mitte des Spielfeldes. Ziel des Spiels war es, mit der eigenen Kugel die gegnerische zu treffen, die dann den roten Ball berühren oder die Kegel umwerfen sollte. Ein Murmelspiel für Erwachsene, hatte ihr Vater das Spiel einmal treffend genannt.

„Wo haben Sie denn gelernt, Stecca zu spielen?“, erkundigte sich Vittorio.

„Bei meinem Vater. Nach dem Tod meiner Mutter wurde es zu unserem gemeinsamen Hobby. Haben Sie mit Ihrem Bruder gespielt oder ebenfalls mit Ihrem Vater?“ Sie beugte sich über den Tisch und übte einen Stoß.

„Nur mit meinem Vater.“

„Möchten Sie anfangen?“

„Nach Ihnen“, lehnte Vittorio höflich ab.

„Wie Sie wollen! Doch Sie sind gewarnt: Ich spiele sehr gut.“

Amüsiert über ihre Verwegenheit, lachte er.

Unvermittelt beschleunigte sich ihr Herzschlag. Ihre Hände fühlten sich feucht an, ihr Mund war trocken. Wie gern hätte sie ihn in diesem Moment berührt!

„Ich beherrsche das Spiel ebenfalls.“

„Wir werden sehen, wer gewinnt!“, erwiderte Ana selbstbewusst, doch innerlich vor Erregung zitternd.

Es klopfte, und der Diener trat ein, beladen mit einem Tablett mit einer Flasche sehr gutem altem Whisky, einer Flasche Mineralwasser und zwei Gläsern. Im Nachhinein bedauerte Ana ihre Entscheidung. Bisher hatte sie nur selten Whisky getrunken, er war ihr jedoch als das passende Getränk für eine geschäftliche Besprechung bei einer Partie Billard erschienen. Sie vertrug nicht viel Alkohol – eine Schwäche, die sich ein Winzer eigentlich nicht leisten durfte – und machte sich Sorgen, welche Auswirkungen er auf sie haben könnte. Hoffentlich würde sie sich nicht erneut zum Narren machen, indem sie Vittorio im Rausch seine große Anziehungskraft auf sie eingestand!

„Trinken Sie pur oder mit Wasser?“, fragte er.

„Mit Wasser, bitte.“ Dann würde der Alkohol ihr nicht ganz so schnell zu Kopf steigen.

Er reichte ihr das Gewünschte und stieß mit ihr an. Der kaum verdünnte Alkohol brannte ihr in der Kehle.

„Wollen wir anfangen?“

Sie nickte und stellte ihr Glas zur Seite. Aufgeregt beugte sie sich über den Tisch, in dem Wissen, dass Vittorio sie genau beobachtete. Konzentrier dich, ermahnte sie sich, denk nur an das Spiel, an das Geschäft! Doch beim Gedanken an seinen Antrag zitterten ihr die Hände, und sie traf die gegnerische Kugel nicht.

„Schade“, kommentierte Vittorio.

Er macht sich über mich lustig, stellte sie verärgert fest. Sie hasste es zu verlieren. Als Jugendliche hatte sie stundenlang trainiert, bis es ihr endlich gelungen war, ihren Vater zu schlagen.

Nun trat Vittorio an den Spieltisch. Als er gerade zum Stoß ausholte, fragte sie in beiläufigem Ton: „Wieso wollen Sie eigentlich mich heiraten?“ Sein Schuss ging ebenfalls ins Leere.

Leicht verärgert wandte er sich zu ihr um, und Ana lächelte unschuldig.

„Ich halte Sie für eine angemessene Partnerin.“

„Angemessen. Wie romantisch!“

„Es ist ein Geschäft.“

Ehe er mehr sagen konnte, führte Ana den nächsten Stoß aus. Sie traf seine Kugel und verpasste den Kegel nur um einen Zentimeter. „Dafür also halten Sie die Ehe. Und inwiefern bin ich die passende Ehefrau für Sie?“

Nun war er am Zug. Er traf ihren Ball und schoss damit einen Kegel um. Nur mit Mühe gelang es ihr, einen Fluch zu unterdrücken.

„In jeder Hinsicht.“

Sie lachte ungläubig. „Ich bin keineswegs perfekt.“

„Sie stammen aus einer angesehenen Familie, arbeiten seit über zehn Jahren erfolgreich in der Branche und verfügen über ein hohes Maß an Loyalität.“

„Das alles verlangen Sie von Ihrer zukünftigen Frau? Was für ein Anforderungskatalog! Haben Sie den selbst ausgearbeitet?“

Mit ihrem nächsten Stoß warf sie einen Kegel um, was ihr eine gewisse Genugtuung verschaffte. Zumindest beim Billard herrschte Gleichstand.

Vittorio zögerte einen Moment. „Ich weiß genau, was ich will.“

Eine weitere Frage brannte ihr auf der Seele. „An Liebe sind Sie demnach nicht interessiert?“

„Nein. Und Sie?“ Er betrachtete sie voller Interesse, den Kopf zur Seite geneigt.

Was für eine seltsame Frage, dachte sie. Hofften nicht die meisten Menschen auf große Gefühle? Dennoch kam romantische Liebe für sie nicht infrage. Das einzige Mal, als sie geglaubt hatte zu lieben, hatte in einem peinlichen Fehlschlag geendet. Sie hatte Jahre gebraucht um zu vergessen. Bis heute erinnerte sie sich nur mit Grauen an Robertos entsetzte Miene …

Nein, Liebe war ein Luxus, den sie sich nie wieder leisten würde, und sie sehnte sie auch nicht herbei. Die Risiken waren ihr zu groß, die Aussicht auf Erfolg erschien ihr zu gering.

„Nein“, antwortete sie daher ruhig, beugte sich vor und konzentrierte sich auf den nächsten Spielzug.

„Gut. Das macht alles einfacher.“

Sie schoss und richtete sich wieder auf. „Inwiefern?“

„Manchen Frauen genügt es nicht, eine Ehe auf gemeinsamen Zielen aufzubauen.“

„Auf gemeinsamen Geschäftsinteressen, meinen Sie.“

„Ja. Dennoch sprechen wir von einer in jeder Beziehung echten Ehe.“

Obwohl Ana noch nie mit einem Mann geschlafen hatte, verstand sie genau, worauf er abzielte. Sofort sah sie im Geist ein antikes Himmelbett mit weichen Kissen vor sich, darauf Vittorio, der sich nackt auf den Laken rekelte.

„Sie sprechen von Sex“, stellte sie nüchtern fest und vermied es, ihn anzusehen.

„Ich wünsche mir Kinder, einen Erben.“

„Deshalb wollen Sie heiraten?“

„Es ist der Hauptgrund.“

Das verstand sie sehr gut. Er wollte den Titel, das Schloss, sein Unternehmen an seine Nachkommen weitergeben, vorzugsweise an einen Sohn. Ihren Sohn! Der Gedanke war ebenso erschreckend wie angenehm.

„Wünschen Sie sich ebenfalls Kinder?“

Ana erschauerte lustvoll und wandte ihm, bestürzt über ihre eigene Reaktion, den Rücken zu. „Ich glaube schon.“

„Sie sind sich nicht sicher?“

„Ehrlich gesagt, habe ich nicht damit gerechnet, je mit dieser Frage konfrontiert zu werden“, gab sie unumwunden zu.

„Dann bietet eine Verbindung zwischen uns also auch Ihnen Vorteile.“

Instinktiv schüttelte sie den Kopf. „Nein!“ Bei ihm hörte es sich an, als hätte sie bereits eingewilligt. Doch so einfach war das nicht!

„Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen?“ Er trat neben sie, und sie spürte die Wärme seines Körpers und roch den Duft seines Aftershaves.

„Eine Ehe ist eine lebenslange Verpflichtung! Darüber muss man gründlich nachdenken.“

„Das habe ich bereits getan.“

„Ich jedoch hatte noch keine Gelegenheit dazu!“

„Sicher möchten Sie mir viele Fragen stellen.“

Das wollte sie allerdings. Sie hätte zu gern gewusst, warum er ausgerechnet sie um ihre Hand gebeten hatte, was geschehen würde, sollten sie eines Tages nicht mehr miteinander auskommen. Am meisten aber interessierte sie, ob er sie wenigstens ein bisschen begehrte – und wieso sie so gern Ja sagen würde. Doch all das konnte sie ihn nicht fragen.

„Wie denken Sie über die Ehe, was erwarten Sie von Ihrer zukünftigen Frau? Wie würde unser Leben aussehen?“, war das Einzige, was ihr einfiel. Gespannt erwartete sie seine Antwort, auch wenn sie seinen Antrag natürlich nicht ernsthaft in Erwägung ziehen konnte.

„Ich bin sicher, wir kämen hervorragend miteinander zurecht.“

Dabei fühlst du dich nicht einmal zu mir hingezogen, hätte Ana ihm gern vorgeworfen. Sie dachte an den abfälligen Blick, mit dem er sie bei ihrer ersten Begegnung betrachtet hatte.

Mit dem Gedanken, ohne Liebe zu leben, hatte sie sich bereits vor Jahren abgefunden. Könnte sie es mit ihrer Selbstachtung vereinbaren, das Bett mit einem Mann zu teilen, der sie ablehnte oder gar verabscheute?

„Sicher genügen auch andere Frauen Ihren Ansprüchen.“

Er schüttelte den Kopf. „Keine versteht so viel vom Wein wie Sie. Unsere Weinberge ergänzen sich ideal. Auch Ihre Herkunft, Ihre Familie …“

„Das hört sich an, als sprächen Sie von einer Zuchtstute. Etwas Ähnliches wäre ich dann ja auch, nicht wahr?“ Aus ihren Worten sprach keine Verbitterung, sie stellte lediglich Tatsachen fest.

„Genau wie ich.“

„Der Zuchthengst?“ Die Vorstellung ließ sie wider Willen schmunzeln.

„Da ich die Ehe als Geschäft betrachte, steht es Ihnen frei, dasselbe zu tun. Wir investieren ineinander.“

Sie biss sich auf die Lippe. Aus seinem Mund hörte sich alles so einfach und logisch an.

Liebe würde er ihr nicht schenken, das hatte er ihr unmissverständlich klargemacht. Bei einem anderen Mann würde sie diese allerdings auch nicht finden, immerhin hatte sie in den letzten fünf Jahren kein einziges Rendezvous gehabt. In zwei Monaten schon würde sie dreißig Jahre alt sein und vermutlich nie ein besseres Angebot erhalten.

Außerdem könnte sie es wirklich schlechter antreffen! Unter halb gesenkten Wimpern hervor warf sie ihm einen raschen Blick zu. Er hatte Jackett und Krawatte abgelegt und die obersten Knöpfe an seinem Hemd geöffnet. So konnte sie das elegante Spiel seiner Muskeln beobachten. Sein Haar schimmerte wie Ebenholz, und seine Gesichtszüge waren schlichtweg schön – wie der ganze Mann.

Ausgerechnet dieses Prachtexemplar wollte sie heiraten. Es war unglaublich! Leider würde er sie nie begehren, das wusste sie genau.

Dennoch brachte sie es nicht über sich, seinen Antrag rundweg abzulehnen. Tief in ihrem Inneren sehnte sie sich nach ihm. Aus diesem Grund diskutierte sie mit ihm, als wäre sein absurder, beschämender Vorschlag tatsächlich bedenkenswert. Im geheimsten Winkel ihres Herzens war er mehr als das.

Doch auf einmal konnte und wollte sie nicht mehr. Sie hatte für den Abend genug von dem Thema. Beherzt griff sie nach ihrem Queue. „Setzen wir unsere Partie fort!“, schlug sie vor.

In den folgenden Stunden bemühte sie sich nach Kräften, ihn beim Billard zu besiegen.

Als Ana ihr Jackett, das sie beim Spiel behinderte, abstreifte und achtlos über einen Stuhl warf, erlebte Vittorio eine angenehme Überraschung. Unter der hässlichen Jacke kam ein sehr ansehnlicher Körper zum Vorschein. Und als sie sich zum nächsten Schuss nach vorne beugte, spannte sich das cremefarbene Seidentop aufreizend über ihren wohlgeformten, vollen Brüsten. Eine Strähne, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte, fiel ihr schmeichelnd in den Nacken. Ihr Haar war nicht schlicht braun, wie er gedacht hatte, sondern schimmerte in einer Palette warmer Töne von Teakfarben über Rot bis hin zu Gold. Noch immer stand sie über den Billardtisch gebeugt, und ihre Hose schmiegte sich eng an ihren festen Po. Der Anblick ließ ihn genüsslich erschauern, und unwillkürlich packte er sein Queue fester. Aufgrund ihrer Größe hatte er automatisch angenommen, sie hätte einen maskulinen Körperbau, doch beim Anblick der reizvollen Rundungen gestand er sich erfreut seinen Irrtum ein.

Sie glich zwar keiner seiner bisherigen Geliebten und war auch keine klassische Schönheit, dennoch bewies ihm seine körperliche Reaktion, dass die Ehe mit ihr funktionieren konnte.

Glücklicherweise hatte sie seinen Antrag nicht von vornherein abgelehnt, wie er zunächst befürchtet hatte. Zudem hatte sie während des Dinners ein gewisses Interesse an seiner Person gezeigt.

Als er bei Enrico um ihre Hand angehalten hatte, war dieser zwar erstaunt, doch nicht abgeneigt gewesen. „Ana ist Pragmatikerin. Sie wird die Vorzüge einer solchen Verbindung zu schätzen wissen“, hatte er gemeint.

Hoffentlich kam sie zu dem Schluss, dass sich mit den Vorteilen ein Mangel an Liebe aufwiegen ließ. Eine Ehe ohne Gefühle würden sie dennoch nicht führen. Zwischen ihnen würde es zumindest … Zuneigung und Respekt geben. Ana war ihm durchaus sympathisch. Er würde sie begehren, davon war er inzwischen überzeugt. In Maßen.

Nachdem sie ihren Spielzug beendet hatte, war er wieder an der Reihe, und als sie die Plätze tauschten, nahm er den zarten Duft nach Seife wahr, der sie umgab, und nach etwas, das er nicht sofort identifizieren konnte. Erst später erkannte er den Geruch nach Sonne und Erde, nach einem Tag im Weinberg. Ein herrlicher Duft, wenn auch keiner, den er bisher mit einer Frau in Verbindung gebracht hatte.

Er platzierte einen geschickten Stoß und trat zurück. Dabei streifte er absichtlich mit seinem Arm leicht ihre Brust. Erfreut hörte er, wie sie überrascht nach Luft rang, spürte im Gegenzug aber auch selbst ein angenehmes Ziehen im Unterleib.

Ihrer unvorteilhaften Garderobe und ihrem völligen Mangel an weiblicher Raffinesse zum Trotz begehrte er sie in diesem Moment. Er wollte sie – und er würde sie heiraten.

Nichts konnte ihn davon abhalten.

Die Partie ging an sie, doch anstatt ihren Triumph auszukosten, fühlte Ana sich am Ende des ereignisreichen Abends völlig erschöpft und ausgebrannt. Sie stellte ihr Queue zurück in die Halterung. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihr, dass es beinahe Mitternacht war. In der letzten Stunde hatten sie nicht mehr über den Heiratsantrag gesprochen, und sie hegte auch jetzt nicht den Wunsch danach.

„Ich vermute, Sie benötigen einige Tage Bedenkzeit“, griff Vittorio ihren unausgesprochenen Gedanken auf.

„Ich glaube nicht …“

„Sagen Sie nicht Nein, ohne eingehend darüber nachzudenken.“ Er ließ ihr keine Gelegenheit, ihm einen Korb zu geben. „Das wäre kein kluges Geschäftsgebaren.“

„Und wenn ich eine Ehe nicht als Geschäft betrachten will?“

Er schwieg einen Moment. Schließlich sagte er leise, fast zärtlich: „Wir würden uns sehr gut verstehen, in vielerlei Hinsicht. Davon bin ich überzeugt.“

Konnte es sein, dass er sie doch als Frau wahrnahm? Interessierte er sich nicht nur für ihren Geist, wie Roberto, sondern auch für ihren Körper?

Im selben Augenblick fuhr er fort: „Nach Ihrem überwältigenden Sieg könnten wir uns die Hände reichen. Doch wie wäre es stattdessen mit einem Kuss?“

„Einem Kuss?“, wiederholte sie scheinbar gelassen. Insgeheim malte sie sich jedoch bereits aus, wie seine Lippen ihre berührten, wie er seine starken Arme fest um ihre Taille schlang und sie eng an sich zog.

„Auf diese Weise können wir prüfen, ob wir uns zueinander hingezogen fühlen.“

Glaubte er wirklich, sie begehren zu können? Vielleicht tat er es auch schon? Sie zögerte einen Moment, dann widersprach sie ihm: „Das halte ich für keine gute Idee.“

Doch Vittorio hatte ihr Zaudern bemerkt. Er stand lässig an den Billardtisch gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, und lächelte ihr selbstbewusst zu. „Ich dagegen halte sie für ausgezeichnet!“

„Sie wollen mich doch gar nicht küssen!“ Noch während sie sprach, bemerkte sie, dass er sie mit Blicken geradezu verschlang – von Verachtung keine Spur.

„Und ob ich das will!“

Vor Freude über sein Eingeständnis wurde ihr ganz heiß.

„Also gut.“ Sie trat beherzt einen Schritt nach vorn, dabei stolperte sie ein wenig, und Vittorio fing sie geschickt auf. Seine Hände lagen auf ihren bloßen Schultern, und eine Fülle neuer, erregender Empfindungen überschwemmte sie.

Seine Lippen waren nur noch einen Millimeter von ihren entfernt. „Mir gefällt, wie entschlossen du eine Sache anpackst, sobald du dich dazu durchgerungen hast.“ Unwillkürlich war er in dieser intimen Situation zum Du übergegangen.

Sie nickte nur stumm, dann presste sie ihren Mund auf seinen. Da sie fast noch nie geküsst worden war, wusste sie einen Moment lang nicht, was sie tun sollte.

Doch dann öffnete er den Mund und ließ seine Zunge spielerisch über ihre Lippen gleiten. Er berührte sie sanft und gleichzeitig drängend. Hitzewellen durchliefen sie vom Kopf bis in die Zehenspitzen. Sie hob die Hände und legte sie ihm auf den Rücken, zog ihn enger an sich, bis ihre Hüften sich eng aneinanderpressten. Plötzlich spürte sie, dass er sie nicht belogen hatte.

Die Reaktion seines Körpers verriet ihr, dass ihr Kuss ihn nicht kaltließ. Er begehrte sie tatsächlich, zumindest in diesem Moment.

Dieses Wissen verlieh ihr eine ungeahnte Kühnheit. Sie ließ die Hände über seinen Rücken gleiten und zog ihn noch fester an sich. Als er aufstöhnte, lächelte sie.

Sie küssten sich, bis sich Ana der Kopf drehte und ihr der Atem auszugehen drohte. Nichts, was sie bisher erlebt hatte, hatte sie darauf vorbereitet, wie ein leidenschaftlicher Kuss sich anfühlte.

Schließlich gab Vittorio sie frei. Sie trat einen Schritt zurück und hob eine Hand an die leicht geschwollenen Lippen. Ihr war schwindelig, und in Gedanken verweilte sie bei dem eben Geschehenen. Dann bemerkte sie seinen selbstzufriedenen Blick. Er lächelte, als hätte er eben einen Beweis erbracht – und das hatte er tatsächlich.

„Ich würde sagen, jetzt ist alles klar.“

„Ganz und gar nicht!“ Ana gedachte nicht, ihre Zukunft von einem bloßen Kuss abhängig zu machen, auch wenn von „bloß“ nicht die Rede sein konnte. „Du wolltest mir ein paar Tage Bedenkzeit geben.“

Autor

Linda Goodnight
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