Romana Extra Band 131

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

HEIßE KÜSSE UNTERM POLARSTERN von VIVIEN JENNINGS
Heiß küsst Luc sie unterm Polarstern: Callie hat sich rettungslos verliebt! Doch was, wenn ihre Kreuzfahrt ums arktische Spitzbergen vorbei ist? Eine gemeinsame Zukunft scheint unmöglich: Luc ist ein Naturbursche, und Callie ist fest im Familienunternehmen eingebunden …

WIEDERSEHEN MIT DEM GRIECHISCHEN MILLIARDÄR von KATE SUMMER
Was will der griechische Boss von ihr? Jo kennt Sacha Tsarakis doch gar nicht. Aber als sie ihn sieht, ist sie fassungslos. Vor fünf Jahren hatte sie in Genf eine sinnliche Liebesnacht mit einem Fremden – Sacha! Niemals darf er ihr Geheimnis erfahren …

AB JETZT ZÄHLT NUR DIE LIEBE von JULIETTE HYLAND
„Was machen Sie in meinem Wohnzimmer?“ Tierärztin Kit kommt von einer anstrengenden Schicht nach Hause – und steht einem sexy Mann gegenüber! Alles klärt sich, und trotzdem gibt es Probleme: Erst verliebt sich ihr Hund in August Rhodes. Und dann sie selbst!


  • Erscheinungstag 14.03.2023
  • Bandnummer 131
  • ISBN / Artikelnummer 9783751517447
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Vivien Jennings, Kate Summer, Juliette Hyland

ROMANA EXTRA BAND 131

1. KAPITEL

Callie Davenport stand reglos an der Reling der eleganten Kreuzfahrtjacht und starrte auf das klare blaue Wasser des Fjords. Ein Hauch kalter, arktischer Luft strich über ihre Wangen. Unwillkürlich fröstelte sie und kuschelte sich noch etwas tiefer in ihre neue warme Daunenjacke.

Bei ihrer Abreise aus ihrer Heimatstadt Savannah vor zwei Tagen war es heiß und schwül gewesen. Hier auf Spitzbergen im Nordpolarmeer, in dem kleinen Ort Longyearbyen, wo ihre Kreuzfahrt begann, lagen die Temperaturen vermutlich nur knapp über dem Gefrierpunkt. Und das im Juni!

Plötzlich erfüllte ein tiefer, dröhnender Signalton die Luft, und Callie zuckte zusammen. Aber dann begriff sie, dass es nur das Schiffshorn war. Krieg dich in den Griff, ermahnte sie sich und atmete tief durch. Du bist doch sonst nicht so schreckhaft. Der Stress machte sie wohl dünnhäutig.

Sie nahm ein Glas Champagner von einem vorübergehenden Steward entgegen und trank einen Schluck. Wie war sie bloß an diesen Punkt in ihrem Leben gekommen?

Die bunten Holzhäuser von Longyearbyen wurden immer kleiner, während das Schiff langsam aus dem Fjord hinausfuhr, vorbei an schneebedeckten Bergen und Gletschern. Obwohl es bereits früher Abend war, stand die Mitternachtssonne so strahlend am wolkenlosen blauen Himmel wie zu Hause in den Südstaaten mitten am Tag. Das Wasser war spiegelglatt, sodass das Schiff mühelos darüberzugleiten schien. Vereinzelte kleine Eisschollen schwammen vorbei.

Vielleicht sollte sie sich vor dem Abendessen noch einmal hinlegen, überlegte Callie. Sie war völlig erschöpft. Langsam machte sich der Jetlag bemerkbar. Ganz zu schweigen von den dramatischen Ereignissen vor ihrer Abreise.

Entschlossen drehte sie sich um und prallte gegen einen sehr großen, sehr breitschultrigen Mann, der unmittelbar hinter ihr gestanden haben musste. Callie taumelte, als sich starke Arme um sie schlossen, bevor sie stürzte.

„Pardon, Madame“, murmelte der Mann. Er hatte eine tiefe, raue Stimme mit deutlich französischem Akzent.

Callie blickte auf und sah in ein Paar dunkelblauer Augen, deren Blick sie für einen Moment gefangen hielt.

Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um den Mann richtig ansehen zu können. Sein markantes Gesicht war leicht gebräunt. Attraktiv, aber unnachgiebig, dachte sie unvermittelt. Der Dreitagebart und das dichte braune Haar, das ihm ungezähmt ins Gesicht fiel, verliehen seinem Aussehen etwas Wildes. Er trug einen dicken blauen Norwegerpullover, der die Farbe seiner Augen betonte. Callie musste an einen wilden Wikinger denken.

Langsam ließ er sie wieder los, als wollte er sich erst versichern, dass sie allein stehen konnte. Verlegen trat Callie einen Schritt zurück.

Er blickte sie unverwandt an, und sie meinte, ein Funkeln in seinen Augen zu sehen, während er sie so aufmerksam musterte, als wollte er sich ihr Gesicht einprägen.

Ein nervöses Prickeln breitete sich in ihr aus.

Sie war männliche Aufmerksamkeit und Bewunderung durchaus gewohnt. Doch der direkte, forschende Blick dieses Mannes irritierte sie aus irgendeinem Grund.

Mechanisch schob sie sich eine silberblonde Haarsträhne hinters Ohr und richtete sich so würdevoll auf, wie es ihr bei ihrer Größe von knapp einem Meter sechzig und in diesem unförmigen Kälteschutzparka möglich war.

„Danke“, sagte sie etwas atemlos. „Nichts passiert.“

Der Fremde blickte sie immer noch seltsam eindringlich an, erwiderte aber nichts.

Sein Schweigen wurde ihr langsam unangenehm.

Irritiert begann sie zu plappern. „Ich war gerade auf dem Weg in meine Kabine.“

Was redete sie denn da? Zu viel Information. Hitze breitete sich auf ihren Wangen aus.

Aber der Mann nickte nur kurz, wandte sich ab und ging davon.

„Wie schade, dass Ihr Freund Sie nicht auf die Reise begleiten konnte“, sagte die elegante ältere Dame, die neben Callie im Restaurant saß, mitfühlend.

Callie lächelte schwach. Paul gegenüber ihren Mitreisenden als ihren Freund zu bezeichnen, kam ihr seltsam vor. Aber ihr Verlobter war er definitiv auch nicht mehr. Sie war zu müde, um sich eine andere Erklärung zu überlegen, warum sie allein reiste.

Kaum hatte sie ihre luxuriöse Kabine betreten, war an den dringend benötigten Schlaf nicht mehr zu denken gewesen. Am liebsten wäre sie gleich rückwärts wieder rausgegangen.

Ihr Blick fiel auf ein opulentes Rosenbouquet, das in einer Kristallvase auf einem kleinen Tischchen in der Sitzecke stand, mit einer Glückwunschkarte der Reederei, einer Flasche Champagner und zwei Champagnerkelchen. Das breite Doppelbett war mit Rosenblütenblättern verziert.

Callie hätte am liebsten laut geschrien. Oder die kostbare schwere Vase an die Wand geworfen, um zu sehen, wie sie in tausend Scherben zersplitterte. Aber das war natürlich kindisch. Und unfair. Die Crew konnte schließlich nichts für den Schlamassel, in den sich ihr Leben innerhalb von achtundvierzig Stunden verwandelt hatte.

Schnell war sie ins Bad geflüchtet, hatte geduscht und sich hastig geschminkt. Wahllos griff sie sich eines der Kleider, die sie als Abendgarderobe eingepackt hatte. Das grüne Seidenkleid war lang und schlicht geschnitten, aber gerade dadurch betonte es ihre zierliche Figur und ihr langes silberblondes Haar. Paul hatte es immer sehr an ihr gemocht. Aber das spielte nun keine Rolle mehr.

Als sie kurz darauf das Restaurant betreten hatte, hatte der Chefsteward sie zu ihrem Tisch geführt, an dem bereits ein reizendes englisches Ehepaar saß.

„Ist das Ihre erste Kreuzfahrt?“, fragte Callie freundlich. Sie wollte lieber selbst Konversation machen, als noch weitere Fragen über ihr Leben beantworten zu müssen.

„Oh nein!“, sagte der grauhaarige Ehemann, der sich als George vorgestellt hatte, und lachte gutmütig. „Seit dem Ruhestand sind wir ständig unterwegs, nicht wahr, Sue? Unsere erwachsenen Kinder beschweren sich manchmal schon, dass wir kaum noch zu Hause sind.“

Callie schätzte die beiden auf etwa siebzig. George war groß und schlank, mit vollem grauem Haar. Sue war klein und zierlich, trug einen modischen weißen Kurzhaarschnitt und hatte wache braune Augen.

George nahm die Hand seiner Frau und drückte sie zärtlich.

„Oh ja.“ Sue nickte eifrig und strahlte. „Letztes Jahr, zu unserem vierzigsten Hochzeitstag, waren wir vier Wochen in der Südsee. Tahiti, Bora Bora. Es war einfach traumhaft.“

Vierzig Jahre Ehe, dachte Callie und seufzte ehrfürchtig. Gedankenverloren blickte sie auf ihren Teller. Sie hatte von der Vorspeise kaum etwas angerührt. Das Lachsparfait war köstlich, aber sie hatte keinen Appetit.

Die beiden schienen immer noch glücklich miteinander zu sein. Paul und sie hatten es nicht einmal bis zum Jawort geschafft. Ob sie jemals einen Mann fand, den sie nach vierzig Jahren Ehe immer noch so verliebt anlächeln würde?

Ihre Augen wurden feucht. Schnell trank sie einen Schluck von dem kühlen Weißwein und versuchte, die Tränen durch reine Willenskraft zurückzudrängen. Sie würde jetzt nicht weinen. Sie war stolz auf ihre Selbstbeherrschung. Willensstärke und Disziplin waren die Eigenschaften, mit denen sie alle Stürme durchstand, beruflich und privat. Das würde ihr dieser Mistkerl bestimmt nicht wegnehmen!

Ihre Tischnachbarn schienen glücklicherweise nichts von ihrer bedrückten Stimmung mitzubekommen.

„Vor zwei Jahren waren wir schon einmal auf einer Kreuzfahrt nach Spitzbergen. Auch auf diesem wunderbaren Schiff“, erzählte Sue eifrig. „Es war so eine unglaublich spektakuläre Reise, dass wir sie unbedingt wiederholen wollten. Die großartige Polarlandschaft. Und erst die einmalige Tier- und Pflanzenwelt!“

Callie nickte höflich und trank einen weiteren Schluck Wein.

Was sie betraf, so wäre sie jetzt lieber auf Bora Bora, an einem tropischen Strand oder in einem luxuriösen Resort gewesen. Als Hochzeitsreise eine Kreuzfahrt in die Arktis zu unternehmen, war Pauls Idee gewesen. Callie war von Anfang an wenig begeistert gewesen. Aber sie war in den letzten Wochen so in ihrem Job in der Davenport Investment Group eingespannt gewesen und hatte gleichzeitig so viel mit der Hochzeitsplanung zu tun gehabt, aus der Paul sich geflissentlich heraushielt, dass sie schließlich nachgegeben hatte.

Sue schwärmte von Eisbären und Vogelfelsen, während Callie unauffällig den Blick durch das vornehme Bordrestaurant schweifen ließ.

Der in sanften Cremetönen gehaltene Saal mit dem dunklen, polierten Teakholzboden war gut gefüllt. An allen mit schwerem Porzellan, Silberbesteck und Kristallgläsern gedeckten Tischen saßen bereits Gäste. Leises Gemurmel in verschiedenen Sprachen erfüllte den Raum, begleitet von der klassischen Musik eines Streichquartetts. Durch große Panoramafenster an drei Seiten blickte man auf die vorbeiziehende eisige Fjordlandschaft, während in der Mitte des Raumes ein riesiger Kronleuchter funkelte.

Paul hatte ihr versichert, dass dieses Schiff das eleganteste und luxuriöseste Kreuzfahrterlebnis in der Arktis bot. Immerhin in diesem Punkt hat er nicht gelogen, dachte sie bitter.

Ebenso wie Callie hatten die meisten anderen Gäste sich für das Dinner umgekleidet. Während sie tagsüber an Bord hauptsächlich sportliche, aber teure Outdoor- und Skibekleidung gesehen hatte, waren viele Damen im Cocktail- oder Abendkleid zum Essen erschienen und die meisten Herren im Smoking.

Ob der Mann, mit dem sie an Deck zusammengestoßen war, seinen Norwegerpullover gegen einen Anzug getauscht hatte? Suchend sah sie sich im Restaurant um, aber sie konnte ihn nirgends entdecken. Mit seinen breiten Schultern und dem zerzausten braunen Haar sieht er im Smoking bestimmt großartig aus, dachte sie.

Wenigstens für das Fotografieren würde sie auf dieser Reise genügend Zeit haben, wenn sich zur Abwechslung einmal nicht alles um ihre Arbeit drehte. Zu Hause kam sie viel zu selten dazu, und sie brannte darauf, ihre neue Spiegelreflexkamera auszuprobieren, die noch eine Klasse besser war als das alte Modell. Bestimmt konnte sie hier in der Wildnis großartige Aufnahmen machen. Nur selten fühlte sie sich so in ihrem Element wie hinter der Kamera. In ihrem kräftezehrenden Alltag als Juristin im Familienunternehmen fand sie leider kaum Zeit zum Fotografieren. Ihr kreatives Hobby hatte Paul es gönnerhaft genannt. Er hatte nie verstanden, wie viel es ihr bedeutete.

Plötzlich ertönte eine Durchsage: „Eine Gruppe Wale befindet sich backbord, ich wiederhole, Wale backbord.“ Sofort erhoben sich die Dinnergäste und strömten zum Ausgang.

„Kommen Sie, Liebes“, sagte Sue und tätschelte Callies Arm. „Holen Sie sich schnell etwas zum Überziehen. Das dürfen Sie nicht verpassen!“

Callie wäre am liebsten sitzen geblieben. Aber da nun alle Passagiere den Raum verließen, blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als mitzuspielen. Lustlos stand sie auf, um ihre Daunenjacke zu holen.

Luc hatte sich bereits kurz nach dem Ablegen mit dem Fernglas auf der Brücke postiert und suchte den Horizont ab. Die Mitternachtssonne schien, und die erhabene Stille der unberührten Wildnis Spitzbergens war wie Balsam für seinen aufgewühlten Geist. Wie immer, wenn er sich die Zeit nahm herzukommen.

Ein frischer Wind war über dem breiten Eisfjord aufgezogen, und Luc zog seinen schwarzen Parka über den Pullover. Er hatte die Gruppe Finnwale als Erster bemerkt und sogleich den diensthabenden Offizier darauf aufmerksam gemacht. Dieser ließ augenblicklich die Schiffsmotoren drosseln und machte eine Durchsage.

Zufrieden sah Luc nun, wie sich die Passagiere auf dem Außendeck versammelten, um Ausschau nach den Finnwalen zu halten. Obwohl er Stille und Einsamkeit vorzog, freute Luc sich immer, wenn er die überwältigende Schönheit der arktischen Wildnis teilen und andere dafür begeistern konnte. Außerdem hoffte er, zu einem besseren Verständnis für dieses Ökosystem und zum Schutz der Polargebiete beizutragen.

Die Gruppe von etwa zehn Finnwalen befand sich genau vor dem Schiff. Immer wieder tauchten ihre riesigen schwarzen Rücken aus dem Wasser auf.

Die Passagiere drängten sich am Bug der Jacht, von wo man, abgesehen von der Brücke, die beste Sicht auf die Tiere hatte.

Nur eine einzelne Frau, die ein schimmerndes grünes Kleid unter ihrem weißen Parka trug, stand abseits der anderen Passagiere. Sie blickte ebenfalls in Richtung der Wale, schien aber in Gedanken sehr weit weg zu sein.

Vermutlich konnte sie von ihrem Standpunkt aus nicht viel sehen. Einem plötzlichen Impuls folgend machte Luc sich auf den Weg zu ihr.

Erst als er direkt vor ihr stand und sich eine hellblonde Haarsträhne aus ihrer Kapuze löste, erkannte er sie wieder. Es war die Frau, mit der er am Nachmittag zusammengestoßen war.

Sie war die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Nicht, dass ihn schöne Frauen interessiert hätten. Aber ihre grazile Erscheinung und ihre klassisch schönen Züge hatten ihn schon bei ihrer ersten Begegnung für einen Moment sprachlos gemacht.

Es sollte ihm egal sein. Er begegnete häufig attraktiven Frauen, und sie ließen ihn normalerweise völlig gleichgültig.

Immerhin hatte er die Sprache wiedergefunden: „Hier“, sagte er zu ihr und reichte ihr sein Fernglas. „Damit können Sie die Wale viel besser sehen.“

Sie sah ihn prüfend an, und er wusste sofort, dass sie ihn ebenfalls wiedererkannte. Als sie zögerte, besann er sich auf seine guten Manieren.

„Ich bin Luc.“

„Callie“ antwortete sie und lächelte höflich. Es war nur ein leichtes, kaum wahrnehmbares Lächeln, aber die Veränderung, die dabei in ihrem Gesicht vorging, haute ihn beinahe um. Zuvor hatte er sie bereits unbeschreiblich schön gefunden. Aber dieses angedeutete Lächeln ließ ihr ganzes Gesicht erstrahlen. Sie schien von innen heraus zu leuchten. Luc spürte augenblicklich ein heftiges, verlangendes Ziehen in seinen Lenden.

Um Himmels willen, wo kam das denn her? Er hatte eigentlich geglaubt, dass er derartige Gefühle für immer begraben hatte.

Er räusperte sich unbehaglich und stellte sich hinter Callie. So konnte er sie ohnehin besser auf die Wale aufmerksam machen und musste sie nicht länger ansehen.

„Sehen Sie, dort sind sie“, sagte er und streckte den Arm aus.

Callie blickte durch das Fernglas und brauchte einen Moment, bis sie es richtig eingestellt hatte.

„Oh“, rief sie. „Ich sehe sie. Sie sind riesig. Und so viele.“

Luc nahm ihren zarten Duft wahr. Er war froh, dass er sich auf seine Aufgabe besinnen konnte und ein unverbindliches Gesprächsthema hatte.

„Sie werden etwa zwanzig Meter lang, manche auch noch länger. Sie haben Glück, so eine große Gruppe sieht man nicht sehr oft. Es sind eigentlich ausgesprochene Einzelgänger.“

Einige Minuten beobachteten sie schweigend die Wale, bis die Tiere verschwunden waren.

Als Callie sich schließlich zu ihm herumdrehte, strahlten ihre Augen, und auf ihren Wangen lag ein rosa Schimmer.

Luc konnte nicht anders, sein Blick wanderte zu ihren weichen Lippen. Er fragte sich, wie es wäre, sie zu küssen.

„Vielen Dank, das war ein unvergessliches Erlebnis“, sagte sie ergriffen. Er zwang sich, ihr wieder in die Augen zu blicken.

Lächelnd gab sie ihm das Fernglas zurück und verabschiedete sich. Luc blieb stehen und schüttelte den Kopf, verwundert über sich selbst.

Zurück auf der Brücke nahm er wieder das Fernglas zur Hand. Er hatte geglaubt, dass jedes Gefühl in ihm in den letzten Jahren abgestorben wäre. Er wollte es schließlich nicht anders. Er hatte sich völlig abgekapselt, überzeugt davon, dass nichts ihn jemals wieder berühren könnte. Er brauchte die Isolation, wenn er jemals wieder so etwas wie inneren Frieden finden wollte.

Aber was er vorhin gespürt hatte, war eindeutig brennendes Verlangen gewesen. Er hatte nicht erwartet, dass er überhaupt jemals wieder so fühlen könnte.

Er runzelte die Stirn und fuhr sich nachdenklich mit der Hand durchs Haar. Er war unvorsichtig gewesen. Nicht darauf vorbereitet, einer Frau zu begegnen, die all seine Sinne ansprach und eine Saite in ihm zum Klingen brachte, von deren Existenz er bislang nichts geahnt hatte. Das durfte ihm auf keinen Fall noch einmal passieren. Und das würde es auch nicht, dafür würde er schon sorgen.

2. KAPITEL

Luc überprüfte die Ausrüstung, bevor er gemeinsam mit ein paar Helfern alles in das erste große Schlauchboot lud, das sie zur Küste bringen sollte. Waffen, Signalpistolen und die Ferngläser waren einsatzbereit, die Schwimmwesten angelegt. Ein letztes Mal überprüften sie die Luftventile und die Tanks. Die Männer brauchten nicht viele Worte. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Auch wenn sie auf dieser Tour zum ersten Mal zusammenarbeiteten, waren die Aufgaben klar verteilt.

Luc wünschte, alles in seinem Leben wäre so klar und übersichtlich wie die Arbeiten an Bord.

Gemeinsam mit dem Tourguide bestieg er das Schlauchboot und schaltete den Außenbordmotor ein. Sie würden eine erste Sicherung des Geländes vornehmen und behielten die Umgebung wachsam im Blick. Es schien alles ruhig zu sein, aber das musste nichts heißen. Luc hätte sich gewünscht, dass das Terrain etwas übersichtlicher wäre, aber leider gab es mehrere kleine Hügel, Senken und Felsvorsprünge, die ihm die Sicht erschwerten, was seine Aufgabe nicht leichter machte.

Trotzdem konnte er nachvollziehen, warum der Kapitän diesen Ort für den Landgang ausgewählt hatte. Bizarre Felsen begrenzten die flache, breite Bucht, und hinter einem Hügel lag ein spektakulärer Gletscher, von dem bereits die Seefahrer vergangener Jahrhunderte geschwärmt hatten. Die Tundra war an dieser Stelle besonders fruchtbar, und um diese Jahreszeit waren sogar vereinzelte Blüten zu sehen. Meistens traf man hier auch auf Gruppen von Rentieren.

Der Himmel war leuchtend blau, nur einzelne kleine Wölkchen zogen vorbei. Es versprach wieder ein schöner, sonniger Tag zu werden, an dem sie den Passagieren Spitzbergen von seiner malerischsten Seite zeigen konnten.

Luc steuerte das Schlauchboot zur flachen Seite der kleinen Landzunge, setzte es auf das sandige Ufer und watete einige Meter durch das klare, kalte Wasser an Land. Letzte Schneereste bedeckten die flachen Hügel der Bucht, aber in der winterbraunen Tundra zeigte sich bereits frisches Grün, und vereinzelte Polster von rosafarbenen und gelben Blüten zeugten vom kurzen Polarsommer.

Luc trug das Gewehr über der rechten Schulter und suchte mit dem Fernglas systematisch die nähere Umgebung ab.

Er sog die frische, klare Polarluft tief ein und genoss für einen Moment die absolute Stille des Morgens. Nur das leise Plätschern der Wellen an der Landzunge war zu hören. Der Guide, der ihn bei dieser Tour begleitete, war im Boot geblieben, vertieft in seine Notizen für den Tag.

Nachher, wenn die anderen Schlauchboote mit den Passagieren anlandeten, würde es hier vor Menschen wimmeln, die lachten, schwatzten und fotografierten. Der Guide würde ihnen die Flora und Fauna erläutern, und wie immer würden sie zahlreiche Fragen haben. Luc konnte sich währenddessen im Hintergrund halten und musste dennoch hochkonzentriert bleiben, damit ihm nichts entging.

Aber jetzt gehörte die weitläufige, malerische Bucht ihm. Er stieg auf eine kleine Anhöhe, um einen besseren Überblick über das Terrain zu bekommen. In etwa fünfzig Meter Entfernung lief ein kleiner grauer Polarfuchs über die Ebene, blieb stehen, musterte Luc aufmerksam und lief dann eilig weiter. Als hätte er eine dringende Mission, dachte Luc amüsiert. Weiter hinten konnte er eine kleine Gruppe Spitzbergen-Rentiere erkennen, die mit den Hufen scharrten und das frische Grün verspeisten. Seine Anwesenheit ließ die Tiere völlig unbeeindruckt.

Ansonsten schien alles ruhig zu sein.

Auf einmal nahm er unweit des nächstgelegenen Hügels einen hellen Fleck wahr. Augenblicklich war er hellwach.

Er stellte das Fernglas schärfer und beobachtete den Fleck eine Weile aufmerksam. Nichts rührte sich. Schließlich erkannte er erleichtert, dass es sich um einen großen Felsbrocken handelte, der in der Sonne leuchtete. Er drehte sich um und signalisierte dem Guide mit einem Handzeichen, dass alles in Ordnung war.

Als Callie zum Frühstück erschien, waren die meisten anderen Gäste bereits fertig und das Restaurant war vergleichsweise leer. Zur Abwechslung hatte sie endlich einmal richtig tief geschlafen und deshalb sogar etwas verschlafen, was ihr sonst eigentlich nie passierte.

Sie wusste nicht, ob es an der Erschöpfung gelegen hatte, an der klaren arktischen Luft oder an dem unvergesslichen Abend. Aber nun fühlte sie sich ausgeruht und endlich wieder wie sie selbst.

Sie bestellte ein Kännchen Earl-Grey-Tee, Obst und Omelette und sah sich nach bekannten Gesichtern um. Aber weder George und Sue noch Luc waren im Restaurant, und bislang waren das die einzigen Passagiere gewesen, mit denen sie sich unterhalten hatte.

Aber das würde ab jetzt anders werden, dachte sie entschlossen und schenkte sich die erste Tasse Tee ein, nachdem ihr Frühstück serviert worden war. Sie war nun einmal hier, und von jetzt an wollte sie die Kreuzfahrt voll und ganz genießen. Ihr Zuhause in Savannah war weit weg, und sie wollte nichts lieber, als die hässliche Szene mit Paul und den anschließenden fürchterlichen Streit mit ihrem Vater für eine Weile zu vergessen. Damit konnte sie sich in zweieinhalb Wochen wieder befassen. Nun würde sie erst einmal dieses Abenteuer auskosten!

Eine Woche sollte die Kreuzfahrt dauern, und dann hatte sie noch eine ganze Woche Aufenthalt in Longyearbyen vor sich, wo Paul und sie verschiedene Ausflüge gebucht hatten und wo ein elegantes Hotel auf Callie wartete. Auf der Rückreise würde sie noch ein paar Tage in New York verbringen, dort war eine spektakuläre Ausstellung im Guggenheim Museum eröffnet worden. Paul hatte diesem Abstecher nur zähneknirschend zugestimmt, er hatte New York noch nie gemocht. Aber dieses eine Mal hatte Callie sich durchgesetzt. Ihr war Kunst wichtig, auch wenn Paul das nie verstanden hatte. Sie hatte fest vor, aus jedem Urlaubstag das Beste herauszuholen.

Beschwingt schenkte sie sich eine zweite Tasse Tee ein. Ihr letzter Urlaub war ewig her. In der Firma war einfach immer zu viel los, als dass sie, die Tochter des Chefs und Leiterin der Rechtsabteilung, guten Gewissens hätte freinehmen können.

Aber nach allem, was passiert ist, habe ich jetzt auch mal etwas Spaß verdient, dachte sie und lächelte zufrieden. Keine Schuldgefühle, keine Verantwortung, sie würde sich zur Abwechslung einfach treiben lassen und sehen, wohin es sie trug. Einfach nur das tun, wozu sie Lust hatte, und den Moment genießen.

Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zu Luc.

Als er ihr die Wale gezeigt hatte, war es, als wäre sie aus einem bösen Traum erwacht und hätte erst in dem Moment begonnen, ihre Umgebung bewusst wahrzunehmen. Endlich hatte sie sich auf etwas anderes konzentriert als ihr Gedankenkarussell. Dafür war sie Luc wirklich dankbar.

Hatte er mit ihr geflirtet? Sie war sich nicht sicher.

Sein Verhalten ihr gegenüber war freundlich, aber nicht zweideutig gewesen. Wie schon bei ihrer ersten Begegnung an Deck hatte sie das unbestimmte Gefühl gehabt, dass etwas Bedauerndes in seinem Blick lag, wenn er sie so lange und eindringlich ansah.

Sie wurde nicht schlau aus ihm.

Eigentlich ist es auch völlig unerheblich, sagte sie sich.

Vermutlich war er ohnehin mit seiner Frau oder Freundin an Bord, so wie die meisten anderen Passagiere, obwohl sie ihn bisher nur allein angetroffen hatte. Und selbst wenn nicht. Sie war ganz sicher nicht in der Stimmung, um sich in absehbarer Zeit auf einen Flirt einzulassen. Vor nicht einmal drei Tagen hatte sie heiraten wollen! Nein, von Männern hatte sie gründlich die Nase voll.

Zögernd nahm Callie die Hand des Guides, der ihr aus dem Schlauchboot an Land helfen sollte. Die Passagiere mussten vom Boot aus einige Meter durch flaches Wasser ans Ufer waten.

Der junge Mann schien ihre Gedanken zu lesen: „Keine Sorge, Ihre Gummistiefel sind absolut wasserdicht. Kommen Sie.“

Die kleinen Eisbrocken, die sie auf dem Wasser schwimmen sah, fand sie wenig vertrauenerweckend. Schaudernd stellte sie sich vor, wie ihr das eiskalte Wasser in die Stiefel lief. Aber sie wollte nicht zimperlich sein und sich vor den anderen Passagieren lächerlich machen.

Beherzt schwang sie ein Bein aus dem Boot, dann das andere. Tapfer ging sie durch das Wasser auf das nahe Ufer zu. Der Guide hatte natürlich recht gehabt. Ihre Stiefel waren absolut wasserdicht, sie spürte nicht einmal die Kälte durch die dicken Schuhe hindurch. Am sicheren Ufer angekommen drehte sie sich übermütig zu dem Guide um und hielt einen Daumen hoch. Er zwinkerte ihr fröhlich zu.

An Land standen mehrere Crewmitglieder mit dem Rücken zu den Passagieren. Sie hatten sich Gewehre umgehängt und suchten mit Ferngläsern die Umgebung ab. Vor dem Landausflug hatten Callie und die anderen Passagiere erfahren, dass es sich um eine Vorsichtsmaßnahme handelte, um die Touristen vor den auf Spitzbergen umherstreifenden Eisbären zu schützen. Die Waffen waren nur für den äußersten Notfall, der Schutz der Bären wurde auf Spitzbergen äußerst ernst genommen. Sollte ein Bär gesichtet werden, würden die Passagiere zurück auf die Boote begleitet und der Landgang wäre vorzeitig beendet.

Callie fand die Anwesenheit der Wächter eher beruhigend als befremdlich, denn beim Gedanken daran, plötzlich einem tonnenschweren Raubtier gegenüberzustehen, war ihr schon mulmig.

Zusammen mit den anderen Passagieren schlenderte Callie am Strand entlang. Die Guards bildeten einen schützenden Halbkreis, innerhalb dessen die Touristen nach Herzenslust die Bucht erkunden konnten.

Zuerst suchte Callie nach Muscheln und Treibholz. Dann wurde sie mutiger und begann, die sumpfigen Tundrawiesen näher zu erforschen, die jetzt im Sommer an der Oberfläche aufgetaut waren, darunter aber dauerhaft gefroren. Blumen reckten ihre kleinen Blüten in Weiß, Rosa und Gelb der Sonne entgegen. Begeistert machte Callie ein Foto nach dem anderen, während sie umherwanderte. Sie hatte ja keine Ahnung gehabt, wie viele bunte Blumen es in der Arktis gab!

„Hallo“, erklang plötzlich eine vertraute Stimme direkt neben ihr.

Callie blickte auf und sah in ein Paar dunkelblaue Augen. Es war Luc.

„Hallo“, antwortete sie und lächelte, erfreut, ein bekanntes Gesicht zu sehen.

Dann bemerkte sie die Waffe über seiner Schulter.

Es dauerte einen Moment, bis sie begriff. Luc war auch ein Eisbären-Guard! Er gehörte zum Sicherheitsteam des Schiffs.

Irritiert stutzte sie und wusste für einen Augenblick nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte angenommen, Luc sei ein Passagier wie sie. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er zur Crew gehörte. In ihrem Kopf hörte sie die Stimme ihres Vaters, der sie allzu oft ermahnt hatte, sie solle sich nicht mit dem Personal anfreunden.

Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was ihr Vater dazu sagen würde, wenn er wüsste, dass es sich bei einem ihrer wenigen Gesprächspartner an Bord ausgerechnet um ein Crewmitglied handelte.

Verlegen dachte sie daran, dass sie bereits darüber spekuliert hatte, ob Luc mit ihr flirtete. Ihr Vater würde toben, wenn er das auch nur ahnte, und ihr einen Vortrag über ihre gehobene gesellschaftliche Stellung halten.

Callie seufzte. Sie konnte es sich genau vorstellen, doch eigentlich kümmerte es sie nicht mehr. Ihr Vater lag in so vielen Dingen falsch, das hatten ihr die Tage vor ihrer Abreise gezeigt. Im Grunde konnte ihr sein antiquiertes Weltbild egal sein. Sie hatte eigentlich nie so gedacht, und sie wollte ganz bestimmt nicht so werden wie er!

Mit einem etwas verkrampften Lächeln wandte sie sich Luc wieder zu.

Leider war es ihr anscheinend nicht gelungen, ihre Verblüffung vor ihm zu verbergen. Er sah sie aufmerksam an, die Augenbrauen leicht hochgezogen.

Natürlich war überhaupt nichts falsch an seiner Arbeit. Sie war nur überrascht, das war alles. Verlegen spürte Carrie, wie sie errötete.

Nein, es ist mehr als das, dachte sie. Wenn ihr die Situation so peinlich war, zeigte das nicht, dass sie wie ihr Vater war und sich für etwas Besseres hielt? So hatte sie nie werden wollen!

Und so bin ich eigentlich auch nicht. Aber Luc hielt sie nun offensichtlich für einen Snob, und das tat ihr von Herzen leid.

Wie so oft, wenn sie nervös war, begann sie zu plappern: „Das ist wunderbar, dass Sie und Ihre Kollegen so gut auf uns aufpassen. Vielen Dank.“

Luc grinste. Er schien ihr Unbehagen zu genießen.

„Sehr gern, Ma’am“, sagte er und tippte sich mit zwei Fingern an die Stirn. Nicht ein Hauch Spott lag in seinem Tonfall, doch seine Augen funkelten.

Machte er sich etwa über sie lustig?

Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, wechselte er das Thema.

„Dort drüben in der Ebene ist eine Gruppe Spitzbergen-Rentiere. Von hier aus können Sie sie gut beobachten.“

Er reichte ihr sein Fernglas und zeigte in die entsprechende Richtung.

Callie nahm das Fernglas und suchte nach den Tieren.

„Ich sehe sie“, rief sie entzückt. „Vier Rentiere und ein kleines Kälbchen. Sie sehen ganz anders aus als die Karibus in Alaska. Viel kleiner.“

„Stimmt, gut beobachtet“, lobte Luc sie. „Sie sind kleiner und stämmiger als ihre Verwandten in Nordamerika und im restlichen Nordeuropa. Auf diese Weise sind sie besser an die extremen Lebensbedingungen hier oben angepasst.“

Was für ein hartes Leben für die Tiere, dachte Callie. Nur wenige Monate im Jahr war der Boden eisfrei, in der übrigen Zeit mussten sie mühsam nach Nahrung scharren.

Sie gab Luc das Fernglas zurück, und für einen Augenblick berührten sich ihre Hände. Sofort bedauerte Callie, dass sie dicke Handschuhe trug.

Sie blickte auf und sah in Lucs tiefblaue Augen, die ihr nun ein wenig dunkler erschienen.

Keiner von ihnen sagte ein Wort, sie sahen einander nur an. Dann wandte Callie den Blick ab.

„Reisen Sie eigentlich allein?“, fragte Luc plötzlich.

Sie schrak auf. Was sollte sie antworten?

„Entschuldigen Sie“, fügte er in sanftem Tonfall hinzu. „Natürlich geht es mich überhaupt nichts an. Aber bisher habe ich Sie nur allein gesehen.“

Sie schluckte schwer. Es stimmte ja. „Ich wollte diese Reise eigentlich mit meinem Verlobten machen“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Aber jetzt ist er nicht mehr mein Verlobter.“

Luc nickte langsam. „Pech für ihn“, sagte er.

Callie lächelte schwach. Sein Zuspruch tat ihr unendlich gut.

Sie hätte sich gewünscht, dass ihr Vater ähnlich reagiert hätte. Doch statt ihr beizustehen, hatte er ihr Vorwürfe gemacht und gefordert, dass sie Paul trotz allem heiratete, damit dieser nicht sein gesamtes Kapital aus der Davenport Investment Group zurückzog.

Nicht jetzt, dachte sie entschlossen und verdrängte die düsteren Gedanken.

Sie blickte in Richtung der Rentiere. Sie sahen so friedlich aus in der weiten Ebene. Das perfekte Kalendermotiv. Schon zückte sie ihre Kamera und stellte den Zoom und die Blende ein. Dann machte sie ein paar Probefotos. Die Sonne schien auf die Ebene, im Hintergrund leuchtete majestätisch ein blauweiß vereister Gletscher. Es würden bestimmt gute Bilder werden.

Dann wandte sie sich an Luc. „Darf ich?“, fragte sie und hielt die Kamera hoch.

Er verzog das Gesicht.

„Ach, bitte“, bettelte sie und lächelte ihn an. „Dann kann ich meinen Freundinnen in Savannah einen echten Eisbären-Guard zeigen. Wann trifft man schon mal einen?“

Er lachte. Es klang warm und ansteckend. Dabei sah er aus, als wäre er selbst davon überrascht. Er sollte öfter lachen, dachte sie plötzlich. Aber was wusste sie schon? Sie kannte ihn doch gar nicht.

„Wenn es denn sein muss“, sagte er schließlich. „Ihr Wunsch ist mir Befehl, Madame.“

Galant machte er eine angedeutete Verbeugung. Callie kicherte.

Schnell schoss sie ein paar Bilder von ihm im Profil, bevor er es sich anders überlegen konnte.

„Sind Sie Franzose?“, fragte sie auf gut Glück. „Bei manchen Worten klingt es so.“

Callie liebte es, Porträtaufnahmen zu machen. Ihrer Erfahrung nach entstanden oft die interessantesten Bilder, wenn sie die Menschen dabei in ein Gespräch verwickelte und sie dazu brachte, etwas Persönliches von sich zu erzählen.

„Sie haben recht, meine Mutter war Französin. Ich bin allerdings in New York aufgewachsen“, antwortete er.

Callie knipste weitere Bilder, ehe sie fragte: „Leben Sie immer noch dort?“

„Ja“, antwortete er knapp, den Blick fest auf den Horizont gerichtet.

Callie sah auf. Gesprächig war er nicht gerade.

„Es muss wunderbar sein, in dieser besonderen Umgebung zu arbeiten“, versuchte sie die Unterhaltung wieder in Gang zu bringen.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, was sie schnell für ein paar Aufnahmen nutzte. Na bitte, dachte sie zufrieden. Geht doch.

„In der Tat betrachte ich es als großes Privileg, hier zu sein“, sagte er bedächtig.

Sie folgte seinem Blick über die weite braungrüne Tundra in Richtung des gewaltigen Gletschers. Die majestätische, steil abfallende Wand aus blauem Eis wirkte riesig, dabei war der Gletscher sicher viele Kilometer weit weg. In der weiten, offenen Landschaft fiel es Callie schwer, die Entfernungen einzuschätzen. Wie es wohl sein mochte, mit dem Boot heranzufahren und diese Eismassen aus unmittelbarer Nähe zu betrachten? Hoffentlich würde sie noch die Gelegenheit dazu haben.

Sie konnte Luc nur zustimmen, auch wenn es sie selbst überraschte. Diese Landschaft war wirklich etwas Besonderes. So weitläufig und ehrfurchtgebietend.

„Ist es nicht schwer für Ihre Familie, wenn Sie so viel unterwegs sind?“, fragte sie. Schon möglich, dass sie zu neugierig wirkte. Sie war es einfach.

Er presste die Lippen zusammen, wodurch sein markantes Gesicht einen harten Zug bekam. Statt ihr zu antworten, sagte er förmlich: „Sie sollten zurückgehen zu den anderen Passagieren. Das Schlauchboot legt bald ab.“

Callie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sie hatte das Gefühl, dass Luc verärgert war, und das tat ihr leid. Aber da ihr absolut nichts einfiel, was sie sagen konnte, nickte sie nur und ging zurück in Richtung Strand. Sie wusste nicht, warum die Stimmung plötzlich gekippt war. Offensichtlich hatte sie bei Luc einen wunden Punkt getroffen. Sie würde morgen dafür sorgen, dass sie einander wieder genauso unbeschwert begegnen konnten wie zuvor! Schwierige Gesprächspartner aufzutauen, war eigentlich ihre besondere Begabung, ihrem Vater sei Dank. Ihrer Erfahrung nach konnte man verstockten Menschen am besten begegnen, indem man sie mit Freundlichkeit entwaffnete.

Er wird schon sehen, dachte sie und lächelte.

3. KAPITEL

Etwas beklommen stieg Callie am nächsten Morgen in das Schlauchboot, das sie und Sue zur nächsten Exkursion bringen sollte. Sues Mann George wollte lieber an Bord des Kreuzfahrtschiffes bleiben, weil er sich etwas erschöpft fühlte. Kichernd hatte Sue ihr erzählt, dass sie mit ihrem Mann nur wenig Mitgefühl hatte, da er am Vorabend mit einem anderen Gast viel zu lange beim Schachspielen in der Zigarrenbar gesessen hatte.

Callie hatte Luc seit dem Vortag nicht mehr gesehen, und der abrupte Stimmungswechsel bei ihrem Gespräch hing ihr immer noch nach. Sie hatte noch nie gut mit Spannungen im persönlichen Bereich umgehen können. Beruflich machte es ihr nichts aus, wenn es zu Konflikten kam und auch mal mit harten Bandagen gekämpft wurde. Als Juristin in einer großen Firma im Finanzwesen war das bei ihr an der Tagesordnung. Aber im privaten Umfeld wollte sie am liebsten mit allen in Frieden und Harmonie leben. Was mit ihrem Vater allerdings äußerst schwierig war. Daher gab sie am Ende meistens nach.

Sues munteres Geplauder lenkte Callie ein wenig von ihren Grübeleien ab. „Diesen Ausflug zu der alten Trapperhütte haben George und ich vor zwei Jahren schon gemacht, da verpasst er wenigstens nicht allzu viel. Aber ich möchte sie mir trotzdem noch mal ansehen.“

Genau wie Callie und die anderen Passagiere trug Sue Gummistiefel, einen Parka und eine unförmige Regenhose zum Schutz vor dem Meerwasser, das jederzeit ins Schlauchboot spritzen konnte. Dennoch schaffte sie es, mit ihrer zartvioletten Merinomütze auf dem kurzen weißen Haar, Diamantohrsteckern und leuchtend pinkfarbenem Lippenstift einen Hauch von Eleganz auszustrahlen.

Auch Callie freute sich auf die heutige Tour und wollte gern mehr darüber erfahren, wie Menschen früher in der Einsamkeit Spitzbergens gelebt hatten. Es war bestimmt hart gewesen in dieser urwüchsigen Welt zu siedeln, fernab der Zivilisation und ständig auf der Hut vor den Gefahren der Wildnis.

Ob Luc schon an Land ist und auf uns wartet, so wie gestern?

„Haben Sie gestern bei dem Ausflug auch die prächtigen Rentiere gesehen?“, fragte Sue.

Callie nickte, dankbar, dass Luc sie ihr gezeigt hatte.

Als könnte Sue ihre Gedanken lesen, sagte sie plötzlich: „Dieser Guard, mit dem Sie sich gestern unterhalten haben, scheint ein netter junger Mann zu sein. Er hat am Nachmittag sehr geduldig all unsere Fragen zu den arktischen Küstenseeschwalben beantwortet. Mein Mann und ich sind nämlich begeisterte Hobby-Ornithologen.“

Das konnte Callie sich gut vorstellen. Sie hatte Luc ein paarmal im Gespräch mit anderen Gästen gesehen, und immer wirkte er freundlich und hilfsbereit. So wie er es auch ihr gegenüber war.

„Außerdem ist er wirklich attraktiv“, fügte Sue augenzwinkernd hinzu. „Aber Sie haben ja einen Freund zu Hause. Schade eigentlich, Sie wären ein hübsches Paar.“

Callie errötete und zupfte unbehaglich an ihrer Daunenjacke. Sei nicht albern, schalt sie sich. Es gibt doch überhaupt keinen Grund, verlegen zu sein.

Callie war etwas enttäuscht, als sie Luc bei den Crewmitgliedern, die die Umgebung der Trapperhütte sicherten, nicht entdecken konnte. Sie hätte ihm gern wenigstens freundlich zugelächelt, um die Stimmung zwischen ihnen aufzulockern. Vielleicht hatte er einen freien Tag.

Interessiert lauschte sie den Ausführungen des Guides, der ihnen etwas über die Epoche der Walfänger und Pelzjäger erzählte. Er wurde von den Gästen mit zahlreichen Fragen bestürmt. Alle wollten mehr über diese spannenden Zeiten erfahren, und er gab gekonnt einige lustige Anekdoten zum Besten.

Callie fotografierte viel an diesem Morgen. Die Passagiere amüsierten sich bestens, und sie konnte währenddessen ein paar nette Schnappschüsse machen.

Auch die Landschaft um die alte Hütte herum war faszinierend, und so entfernte Callie sich etwas von der Gruppe. Wieder entdeckte sie die winzigen bunten Blumen, außerdem einige riesige Knochen, von denen sie vermutete, dass sie von einem Wal stammten. Sie hätte den Guide gern danach gefragt, aber er war mitten in einer Erzählung, und alle Passagiere lauschten ihm andächtig.

Callie beschloss, auf eigene Faust ein wenig am Strand entlangzuspazieren.

Der Bereich, in dem sich die Gäste aufhalten durften, war mit kleinen Fähnchen abgesteckt worden. Hinter dem letzten Fähnchen befand sich ein Felsvorsprung, dahinter begann eine weitere malerische Bucht.

Unschlüssig blieb Callie stehen.

Ein ganzes Stück entfernt in der anderen Bucht sah sie ein paar zarte Blüten, die sie an den landeskundlichen Vortrag vom Vorabend erinnerten. Vielleicht war es Spitzbergenmohn, die Nationalblume der Insel? Aus der Entfernung konnte sie es nicht erkennen. Zu gern würde sie ein Foto davon mit nach Hause nehmen.

Sie blickte sich nach den anderen um. Der größte Teil der Gruppe stand bei der Hütte. Mehrere Guards hielten Wache, aber niemand blickte in ihre Richtung.

Es war sicher nicht verboten, wenn sie kurz ein paar Meter hinter die Absperrung ging.

Geschickt kletterte sie über den kleinen Felsen. Links von ihr befand sich nun ein flacher Hügel, den sie vom Strand aus gar nicht gesehen hatte. Ein weißer großer Fleck war ungefähr in der Mitte des Hügels zu erkennen. Merkwürdig, dass es dort noch einen vereinzelten Rest Schnee gab, überlegte sie, während die Bucht ansonsten völlig schneefrei war.

Als sie die zarten Blüten erreicht hatte, hockte sie sich auf den Boden, um sie besser betrachten zu können. Ob das wirklich Spitzbergenmohn war? Sie war sich nicht sicher. Aber egal, die Blüten sahen hübsch aus, und sie konnte später an Bord den Landeskundler fragen und ihm ihre Bilder zeigen.

Oder ich frage Luc, überlegte sie. Das wäre ein nettes, unverfängliches Gesprächsthema. Schon wieder Luc! Das musste unbedingt aufhören, dass sie ständig über ihn nachdachte.

Während sie sich über die Pflanze beugte und sie aus verschiedenen Perspektiven fotografierte, nahm sie aus dem Augenwinkel wahr, wie sich der weiße Fleck auf dem Hügel bewegte.

Wie konnte das sein? Sie hob den Kopf und sah genauer hin.

Als sie endlich begriff, was sie da sah, erstarrte sie vor Schreck.

Was sie für Schnee gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein Eisbär.

Das zottelige Tier erhob sich träge, nahm Witterung auf und blickte geradewegs in ihre Richtung.

Callie wollte schreien, wollte wegrennen. Aber kein Laut kam über ihre Lippen. Sie war starr vor Angst. Wie gelähmt starrte sie den Bären an.

Plötzlich hörte sie eine vertraute Stimme ganz in der Nähe: „Bleiben Sie ruhig, ich bin hier. Er wird Ihnen nichts tun.“

Luc! Er war da, und er würde ihr helfen.

Callie war so froh, seine Stimme zu hören, dass ihr schwindelig wurde.

Noch immer stand das riesige Tier auf dem Hügel und sah in ihre Richtung, offenbar unschlüssig, was es als Nächstes tun sollte.

War Luc wirklich nah genug, um sie zu retten, wenn der Bär plötzlich auf sie zurannte? Sie spürte nackte Panik.

Der Bär bewegte sich jetzt tatsächlich in ihre Richtung.

Plötzlich geschah alles gleichzeitig.

Luc rief: „Achtung!“, dann hörte Callie einen lauten Knall. Der Bär machte einen Satz rückwärts und suchte das Weite.

Vor Erleichterung schluchzte Callie laut auf. Ihr schlotterten die Knie, und ihr war eiskalt. Sie fühlte sich, als würde sie ohnmächtig werden. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so eine elementare Angst empfunden wie in dem Moment, als das gewaltige Raubtier sie angesehen hatte. Instinktiv hatte sie gespürt, dass sie in Lebensgefahr war, noch bevor ihr Verstand es wirklich begreifen konnte.

Aber jetzt war es vorbei, und sie war in Sicherheit. Luc hatte ihr das Leben gerettet. Sie war zittrig und erschöpft, gleichzeitig rasten die Gedanken durch ihren Kopf. Was wäre bloß gewesen, wenn Luc nicht gekommen wäre? Ihr wurde ganz schlecht bei dem Gedanken.

Die anderen Guards hatten den Warnschuss der Signalpistole gehört und kamen angelaufen. Luc bedeutete ihnen mit einem Handzeichen, dass alles unter Kontrolle war und keine Gefahr mehr bestand. Sie nickten ihm zu und gingen wieder auf ihre Positionen bei der Hütte. Zum Glück hatte der Bär sich leicht vertreiben lassen.

Luc drehte sich zu Callie herum. Sie so zu sehen, völlig schutzlos und Auge in Auge mit dem Bären, hatte ihn zu Tode erschreckt. Nun fühlte er, wie seine Sorge um sie einer heftigen Wut wich. Sie hätte niemals allein hier sein dürfen! Er wusste nicht einmal, auf wen er wütend war – auf sie oder auf seine Kollegen, die sie unbeaufsichtigt gelassen hatten. So etwas durfte einfach nicht passieren. Es fiel ihm schwer, ruhig zu atmen.

„Was haben Sie sich dabei gedacht, hier einfach allein herumzulaufen?“, fragte er sie aufgebracht. „Sie haben sich und andere mit Ihrem Leichtsinn in Lebensgefahr gebracht. Wenn ich Sie nicht gesucht hätte …“

Er schloss kurz die Augen. Daran wollte er gar nicht denken. Vielleicht hätte der Bär sich nicht weiter für Callie interessiert, aber leider wusste man das nie so genau. Eisbären waren überaus neugierige Tiere, und sie waren Raubtiere.

Wie hatten die anderen Guards Callie nur aus den Augen lassen können? Sie würden von ihm später einiges zu hören bekommen!

Er war selbst heute mit dem Expeditionsleiter zu einer Hütte in der Nähe gewandert, wo von einem Bäreneinbruch berichtet worden war. Im Sommer kam es leider häufiger vor, dass Eisbären auf der Suche nach Nahrung in Hütten einbrachen. Sie hatten den gröbsten Schaden beseitigt und die zerbrochenen Fenster provisorisch gesichert. Das musste reichen, bis der Eigentümer sich demnächst darum kümmern konnte.

Luc hatte angenommen, dass die Kollegen in der Zwischenzeit den Landgang der Passagiere gut im Griff hatten.

Am liebsten hätte er Callie eine ausführliche Strafpredigt gehalten über ihr verantwortungsloses Handeln. Aber wie sie so vor ihm stand, mit weit aufgerissenen Augen, zitternd und einfach wunderschön, war seine Wut plötzlich verraucht. Beruhigend legte er ihr einen Arm um die Schultern.

„Ist ja gut“, sagte er. „Es ist vorbei. Es ist alles wieder in Ordnung.“

Sie zitterte immer noch am ganzen Körper, und er zog sie ein wenig näher an sich, um sie zu beruhigen.

Leise schluchzend ließ sie den Kopf an seine Schulter sinken.

„Ganz ruhig“, flüsterte er ihr zu.

Langsam hob sie den Kopf und sah ihn aus tränenfeuchten Augen an. Sie wirkte immer noch verwirrt und ängstlich, aber auch vertrauensvoll.

Ein warmes Gefühl stieg in ihm auf, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als sie weiter so festzuhalten.

Sie wandte den Blick nicht ab, und sie sahen einander schweigend an. Plötzlich war da noch etwas anderes, die Luft zwischen ihnen schien zu vibrieren. In diesem Moment gab es nur sie und ihn.

Luc schluckte schwer. „Wir sollten zurückgehen.“

Sie nickte.

Aber keiner von ihnen bewegte sich. Wie von einer fremden Macht gesteuert, neigte Luc langsam den Kopf. Er konnte einfach nicht anders. Er ließ sich Zeit. Wenn sie das nicht wollte, konnte sie einfach gehen.

Aber sie bewegte sich immer noch nicht, sondern sah ihn nur aus ihren großen, grünen Augen an.

Er senkte seinen Mund auf ihre Lippen und küsste sie so zärtlich, wie er nur konnte.

Callie seufzte leise. Das brachte ihn fast um den Verstand. Alles in ihm drängte danach, sie noch enger in seine Arme zu schließen und den Kuss zu vertiefen. Aber das durfte er nicht.

Unter Aufbietung all seiner Willenskraft zwang er sich, den Kuss zu beenden. Er hob den Kopf. Das hier war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort. Es war überhaupt ganz und gar falsch. Auch wenn es himmlisch gewesen war, Callie in seinen Armen zu halten und sie zu küssen. Das hatte er sich schon seit ihrer allerersten Begegnung gewünscht.

Callie sah ihn fragend an. Er konnte ihre Frage nicht beantworten.

Das hätte nicht passieren dürfen. Auf gar keinen Fall. Was hatte er sich bloß dabei gedacht?

4. KAPITEL

Am nächsten Tag brauste ein fürchterlicher Sturm, und es regnete unaufhörlich. Schiefergraue meterhohe Wellen mit weißen Schaumkronen schlugen immer wieder gegen die Wand der luxuriösen Kreuzfahrtjacht, die nur für rund zweihundert Passagiere gebaut war. Bei dieser Größe konnte das Schiff auch enge Fjorde befahren, die für große Kreuzfahrtschiffe nicht zugänglich waren. Dank der Stabilisatoren lag die Jacht trotzdem ruhig im Wasser. Im Restaurant konnte man die sich auftürmenden Wellenberge bewundern. Der Kapitän hatte die Passagiere informiert, dass aufgrund des Wetters alle Landausflüge ausfallen mussten.

Callie war das nur recht. Sie hatte kaum geschlafen und fühlte sich völlig zerschlagen. Ein ruhiger Tag an Bord war genau richtig. Sie hatte die Begegnung mit dem Eisbären noch nicht völlig verarbeitet. Und nicht nur das hatte sie wachgehalten.

Verwirrt beschrieb ihren Zustand am ehesten. Sie hatte in Lucs Armen gelegen, und er hatte sie geküsst. Es war nur eine leichte Berührung ihrer Lippen gewesen, kaum ein richtiger Kuss, und doch hatte sie mehr Schmetterlinge im Bauch gehabt als jemals bei Paul.

Und dabei hatte sie Paul heiraten wollen!

Was sagte das über ihre Gefühle für Paul aus? Und über die Entscheidung, ihn zu heiraten? Sie hatte damals gedacht, dass es das Richtige sei, aber jetzt war sie überzeugt, dass es eine absolute Katastrophe geworden wäre. Nun ja, sie war gerade noch mal davongekommen.

Als Ausgleich für die entfallenen Landausflüge hatte die Crew Aktivitäten an Bord organisiert, und so saßen Sue und Callie beim festlichen Afternoon Tea in der Piano Bar zusammen.

Sie plauderten vertraulich, während der Regen in dicken Tropfen an die großen Panoramafenster prasselte. Dezente Klaviermusik erfüllte den Raum. Ein Kellner schob einen Servierwagen mit verschiedenen Köstlichkeiten zu ihrem Tisch. Auf einer Etagere aus kostbarem Porzellan befanden sich die typisch englischen Scones mit Clotted Cream und Erdbeerkonfitüre, englischer Teekuchen sowie verführerische kleine Törtchen und exquisite Petits Fours. Außerdem gab es eine Auswahl von Fingersandwiches und herzhafte Mini-Quiches. Dazu wurden Earl Grey, Assam und Lapsang Souchong Tee nebst Champagner serviert.

Sue wählte ein Gurkensandwich und Callie ein Himbeertörtchen.

Irgendwann begann Callie, von Paul zu erzählen. Eigentlich hatte sie es nicht vorgehabt, doch die Unterhaltung mit Sue tat ihr gut. Sie hatten sich in den letzten Tagen ein bisschen angefreundet.

Nun starrte Sue sie ungläubig an: „Sie haben ihn am Tag vor Ihrer Hochzeit mit seiner Assistentin erwischt? Das ist ja unerhört!“

Callie nickte. Es tat ihr gut, wie empört Sue über Paul war und wie sehr sie mit ihr fühlte. Dabei hatte Callie ihr nicht einmal die ganzen hässlichen Details erzählt. Dass Paul ihr splitternackt hinterhergelaufen war zum Beispiel. Sie solle sich beruhigen und das müsse zwischen ihnen doch nichts ändern, hatte er gesagt.

Es schüttelte Callie, wenn sie daran dachte. Mit diesem Kerl hatte sie ihr Leben verbringen wollen!

„Bloß gut, dass Sie ihn erwischt haben“, sagte Sue energisch. „Sonst wären Sie jetzt mit diesem Widerling verheiratet.“

Callie lachte. Sie konnte ihr nur zustimmen. „Aber was sagt das über mich aus? Über meine offensichtlich mangelhafte Menschenkenntnis? Und über meine schlechte Wahl bei Männern?“ Das bereitete ihr Sorgen. Sie hatte sich einmal geirrt. Wer sagte ihr, dass sie sich beim nächsten Mann nicht wieder irren würde?

Sue ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. „Nach allem, was Sie mir erzählt haben, hat Ihr Vater diese Beziehung sehr gefördert, nicht wahr?“

Callie nickte. Paul war ein Geschäftskontakt ihres Vaters gewesen, und ihr Vater hatte sich sofort für ihn begeistert. Er stellte Paul und Callie einander vor und lud Paul zu ihnen nach Hause ein. Er hatte Paul behandelt wie den Sohn, den er nie gehabt hatte. Ein Wunschschwiegersohn.

Über ihre Beziehung war er hocherfreut gewesen.

„Ihr Vater scheint in Ihrem Leben eine große Rolle zu spielen“, fügte Sue hinzu, während sie nachdenklich ihre Perlenkette durch die Finger gleiten ließ.

Callie ahnte, worauf Sue hinauswollte. Sie verspürte eine leichte Übelkeit und legte die Kuchengabel auf den Teller zurück.

Ihre Mutter war gestorben, als Callie noch klein gewesen war, seither war ihr Vater ihre wichtigste Bezugsperson. Sie schluckte betroffen. „Ich habe mich immer bemüht, es ihm recht zu machen. Ich wollte, dass er stolz auf mich ist“, sagte sie. Sie hatte das noch nie so klar gesehen wie in diesem Moment. Vielleicht hatte sie es geahnt. Aber mit Sue darüber zu sprechen, machte es ihr in erschreckender Deutlichkeit bewusst. Alles, was sie tat, tat sie im Grunde, um ihrem Vater zu gefallen. Ihr ganzes Leben, all ihre Ziele und ihre Arbeit im Familienunternehmen – stets tat sie, was er wollte.

Aber es war nie genug. Egal wie gut ihre Noten in der Schule gewesen waren oder wie sehr sie sich angestrengt hatte, irgendwie schien ihr Vater immer unzufrieden mit ihr zu sein.

Das hatte sich erst geändert, als sie Paul datete.

Es schmerzte sie, aber sie musste es einmal laut aussprechen, um es selbst zu begreifen: „Ich befürchte, ich habe mich von meinem Vater in diese Beziehung drängen lassen, weil mir seine Anerkennung so wichtig war.“

Im ersten Moment war sie unglaublich wütend auf ihn, dass er sie so geschickt manipuliert hatte. Dann war sie wütend auf sich selbst. Warum hatte sie das nur mit sich machen lassen? Sie war doch keine Marionette! Aber sie musste sich eingestehen, dass sie nie richtig darüber nachgedacht hatte, ob sie etwas anderes wollte als das, was ihr Vater ihr vorgab. Immer hatte er sie dazu gebracht, das zu tun, was er für das Beste hielt: Jura zu studieren und in die Firma einzutreten, Tennis zu spielen, statt weiter Ballettstunden zu nehmen. Schließlich hatte er ihr auch noch den perfekten Schwiegersohn vor die Nase gesetzt, und sie hatte brav mitgemacht. Es war ungeheuerlich!

Callie war elend zumute.

Sue tätschelte ihr die Hand. „Das Wichtigste ist doch, dass Ihnen das jetzt bewusst ist. Sie sind noch jung. Sie können es beim nächsten Mal anders machen.“

Konnte sie das wirklich?

Ihr ganzes Leben schien sich vor ihren Augen aufzulösen. Musste sie nun nicht alles neu bewerten und sich fragen, ob es wirklich das Richtige für sie war?

Wollte sie als Juristin in der Firma ihres Vaters arbeiten? Die Davenport Investment Group war spezialisiert auf komplexe Anlagengeschäfte für verschiedene Kunden und Finanzberatung für Unternehmen. Ein Bereich, der sie im Grunde nie sonderlich interessiert hatte. Die juristische Arbeit, um diese Geschäfte vorzubereiten und abzusichern, empfand sie eher als eine Bürde, als dass sie ihr Freude bereitete. Wollte sie vielleicht etwas ganz anderes machen mit ihrem Leben?

Nachdenklich nippte sie an ihrem Tee.

Dann dachte sie an Luc. Immer wieder stahl er sich in ihre Gedanken.

Sein Kuss hatte sie in einer Weise aufgewühlt, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Sie war sich nicht sicher, wie sie mit ihren Gefühlen umgehen sollte.

Sie sah Sue an, die ihr warmherzig zulächelte. Inzwischen hatte sie ihr so viel Persönliches anvertraut, da konnte sie ihr auch noch von Luc erzählen. Sie brauchte dringend einen Rat.

„Ich möchte Sie etwas fragen. Sie haben mich doch neulich auf Luc angesprochen, den Eisbären-Guard, der Ihnen so sympathisch ist“, begann sie. Sie sprach leise, damit niemand anders in der Piano Bar sie hören konnte.

Sue sah sie überrascht an. Dann beugte sie sich vor und raunte verschwörerisch: „Aha, hatte ich also doch die richtige Ahnung mit Ihnen beiden!“

Verlegen wich Callie ihrem Blick aus und suchte nach den richtigen Worten. Am besten kam sie direkt zur Sache: „Wir haben uns gestern geküsst. Also, er hat mich geküsst.“

Sue machte große Augen. „Und? War es schön?“

Callie seufzte verträumt. „Es war wundervoll.“

„Dann verstehe ich nicht recht, was Sie mich fragen möchten, Liebes.“

„Ich bin mir nicht sicher, was ich tun soll“, gestand Callie.

„Mir kommt es so vor, als wüssten Sie bereits ganz genau, was Sie tun wollen“, sagte Sue lächelnd.

Vielleicht hatte sie recht. Aber war das, was sie wollte, auch das Richtige?

Sue fügte hinzu: „Meine Großmutter sagte gern: Am Ende bereuen wir die Dinge am meisten, die wir nicht getan haben.“

Callie nickte. Wenn sie nicht wenigstens versuchte herauszufinden, was da zwischen ihr und Luc war, würde sie es vielleicht immer bereuen.

Seit dem Zwischenfall an Land vor drei Tagen hatte Luc es erfolgreich geschafft, Callie aus dem Weg zu gehen. Er hatte eine Schicht getauscht, war nicht einmal in die Nähe des Restaurants gegangen und half eine Weile unten im Maschinenraum aus. Lange würde er das Zusammentreffen mit ihr aber nicht mehr vermeiden können, überlegte er auf dem Weg zur Brücke. Nur was sollte er zu ihr sagen, wenn er sie traf? Sollte er überhaupt irgendetwas sagen? Vermutlich schon.

Dass es ein Fehler gewesen war, sie zu küssen? Dass er es nie wieder tun würde? Ja, das klang gut.

Fahrig strich er sich durchs Haar. Vielleicht sollte ich mich bei ihr entschuldigen, überlegte er. Sie hatte den Kuss offensichtlich auch gewollt, aber immerhin war die Initiative von ihm ausgegangen. Und Callie war Passagierin an Bord und er ein Crewmitglied, da war so etwas völlig unangemessen. Indiskutabel.

Ganz abgesehen von all den anderen Gründen, warum er sich besser von einer Frau wie ihr fernhalten sollte.

Während er noch darüber nachdachte, was er zu ihr sagen sollte, stand sie plötzlich vor ihm im Korridor des Zwischendecks. Sie lächelte ihn strahlend an.

Augenblicklich spürte Luc, wie sein Herzschlag sich beschleunigte und das Blut schneller durch seine Adern pulsierte. Er konnte nur noch daran denken, wie gern er sie wieder in die Arme nehmen und küssen wollte. Warum musste diese Frau so eine Wirkung auf ihn haben? Fast hätte er vor Frustration laut aufgestöhnt. Missmutig blickte er zur Seite, ballte die rechte Hand zur Faust und versuchte, sich zu sammeln.

„Hallo“, sagte Callie sanft.

„Hallo.“ Seine Antwort klang ziemlich brummig.

„Ich wollte mich bei dir bedanken.“

Verblüfft sah er sie an.

„Für die Rettung vor dem Eisbären.“

Ach, das meinte sie. Das hatte er schon fast vergessen. „Kein Problem. Das ist schließlich mein Job.“ Er zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß“, sagte sie hastig. „Trotzdem, vielen Dank. Und es tut mir ehrlich leid, wie ich mich verhalten habe.“

Sie sah zerknirscht drein, was so süß aussah, dass Lucs Verlangen, sie zu berühren, schier übermächtig wurde. Am liebsten hätte er das Gespräch hier und jetzt beendet. Aber er konnte sie schlecht einfach so stehen lassen.

„Konntest du dich inzwischen etwas erholen?“, fragte er ein wenig freundlicher. Er begegnete im freien Gelände häufig Eisbären, aber für sie musste es ein ziemlicher Schock gewesen sein.

Sie nickte und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Fasziniert starrte er auf ihren Mund und erinnerte sich daran, wie weich ihre Lippen sich angefühlt hatten.

Schließlich sagte sie: „Ich wollte noch etwas anderes mit dir besprechen.“

Sie meinte sicher den Kuss. Plötzlich wollte er überhaupt nicht mehr darüber reden. Alles, was er sich vorhin zurechtgelegt hatte, war ihm ohnehin entfallen.

„Ich wollte dich fragen, ob du mich zur Abschlussgala morgen Abend begleiten möchtest. Ich weiß, dass die Naturführer und Guards auch teilnehmen. Vielleicht könnten wir gemeinsam hingehen? Es ist schließlich der letzte Abend der Reise.“

Damit hatte Luc nicht gerechnet. Fragte sie ihn nach einem Date?

Augenblicklich stellte er sich vor, wie er sie leidenschaftlich küsste und ihr die zarte Seidenbluse, die sie trug, von den Schultern streifte. Die Temperatur in dem schmalen Korridor schien rapide zu steigen. Heißes Verlangen löschte für einen Moment jeden vernünftigen Gedanken aus.

Er räusperte sich. Er musste sich dringend wieder in den Griff kriegen. „Das würde leider gegen die Verhaltensregeln für Crewmitglieder verstoßen und könnte ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen“, antwortete er förmlich.

„Oh, daran habe ich überhaupt nicht gedacht“, gab sie erschrocken zu. „Ich will dich natürlich nicht in Schwierigkeiten bringen. Nicht, dass du noch deinen Job verlierst.“

Sie sah besorgt aus. Er hätte ihr sagen können, dass sein Job ganz sicher nicht in Gefahr war. Aber er ließ es. Alles, was sie auf Abstand hielt, sollte ihm recht sein. Es war schließlich nur zu ihrem Besten.

„Schade“, sagte sie betrübt. „Ich dachte, wir könnten noch ein wenig Zeit miteinander verbringen, bevor die Reise vorbei ist.“

Luc atmete tief ein. Nichts täte er lieber. Er sah in ihre schönen grünen Augen, sah den traurigen Ausdruck darin und war verloren. Es ist nur ein Abend, sagte er sich. Danach siehst du sie nie wieder. Er wollte sie auch noch einmal treffen, allein, ohne die neugierigen Blicke der anderen. Nur noch ein wenig ihre Nähe genießen, bevor sie aus seinem Leben verschwand.

„Triff mich morgen um Mitternacht am Achterdeck“, schlug er ihr schließlich vor.

„Sehr gern.“ Sie strahlte.

Diese Frau war so unglaublich schön. Irgendetwas an ihr zog ihn magisch an. Wieder konnte er an nichts anderes denken, als sie noch einmal zu küssen.

Reiß dich zusammen, ermahnte er sich streng. Hoffentlich hatte er sich nicht in fürchterliche Schwierigkeiten gebracht.

5. KAPITEL

Als Callie sich am nächsten Abend für die Gala zurechtmachte, spürte sie, wie ihr Herz vor Vorfreude schneller schlug. Das hatte nichts mit dem festlichen Empfang zu tun, sondern nur mit Luc.

Sie hatte sich am Nachmittag im Spa mit einer Massage und einer Gesichtsbehandlung verwöhnen lassen. Die Anwendungen waren wohltuend und entspannend, änderten aber nichts an der Aufregung, die sie den ganzen Tag über begleitete. Immer wieder dachte sie an ihre heimliche Verabredung um Mitternacht. Sie wusste nicht, was Luc dazu bewogen hatte, das Treffen an Deck vorzuschlagen, aber es war auch egal. Sie freute sich darauf.

Beim Friseur hatte sie sich eine elegante Hochsteckfrisur zaubern lassen. Sie legte die tropfenförmigen Diamantohrringe an, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, und betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Das schwere rote Samtkleid, das sie für diesen festlichen Abend eingepackt hatte, ließ raffiniert eine Schulter frei und hatte eine kleine Schleppe. Sie hatte sich sofort in das Kleid verliebt, als sie es in einer exklusiven Boutique in Savannah entdeckt hatte. Sie trug öfter Designerkleidung, aber dieses Modell war etwas ganz Besonderes, und sie konnte es kaum abwarten, dass Luc sie in diesem Kleid sah.

Sorgfältig trug sie Eyeliner auf und tuschte ihre Wimpern. Sie war ein wenig spät dran und sollte sich besser beeilen. Sie schminkte ihre Lippen passend zum Kleid mit einem rubinroten Lippenstift, dann griff sie nach ihrer Abendtasche und den High Heels im gleichen tiefen Rotton und verließ lächelnd die Kabine.

Als sie den Saal betrat, sah sie sofort, dass der Galaabend ein rauschendes Fest werden würde. Die Gäste auf dem Schiff wurden ohnehin mit allem Luxus verwöhnt – vom eleganten Ambiente über den großartigen Service bis hin zu den erlesenen Speisen. Aber heute Abend schienen sich alle noch einmal besondere Mühe zu geben.

Das Restaurant war mit pastellfarbenen Stoffbahnen geschmückt. Raffinierte indirekte Beleuchtung, Kerzen und zahlreiche Spiegel schufen eine magische Atmosphäre. Auf den Tischen lag üppige Blumendekoration. Dezente Jazzmusik und angeregtes Gemurmel erfüllten die Luft. Alle Damen waren in edlen Abendroben oder Cocktailkleidern erschienen, die Herren trugen dem Anlass entsprechend Smoking.

Der Kapitän begrüßte jeden Gast persönlich und nahm sich Zeit für ein kurzes Gespräch. Als er Callie fragte, was ihr an der Reise besonders gefallen habe, wusste sie nicht, was sie antworten sollte. Jeder Tag der Kreuzfahrt war wunderschön gewesen, und sie hätte nichts missen wollen. Sie hatten großartige Fjorde befahren und gewaltige Gletscher bestaunt, versteckte Buchten erkundet und weite Tundraebenen entdeckt. Jeder Ort war einzigartig und überwältigend gewesen.

„Der Monaco-Gletscher hat mich besonders beeindruckt. Und der Magdalenenfjord mit seinem blauen Wasser. Aber am schönsten waren vielleicht die vielen Tierbeobachtungen, die wir machen konnten“, antwortete sie schließlich. „Es ist wirklich schwer, sich zu entscheiden. Es war einfach eine großartige Reise.“

Der Kapitän lächelte. „Ich weiß genau, was Sie meinen. Ich mache diese Tour seit zehn Jahren, und jeden Sommer nimmt mich Spitzbergen aufs Neue gefangen.“

Ein Steward geleitete Callie zu ihrem Tisch. Sie vertiefte sich in die cremefarbene Menükarte, die auf ihrem Platz lag. Nach dem Champagner wurde ein achtgängiges, arktisch inspiriertes Gourmetmenü mit passender Weinbegleitung serviert. Später am Abend sollte getanzt werden.

Callie genoss die feierliche Stimmung um sich herum. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu ihrer heimlichen Verabredung mit Luc, und sie blickte sich suchend nach ihm um.

Die Naturführer und die Eisbären-Guards vom Expeditionsteam nahmen an der Gala teil, um sich zum Ende der Reise von den Gästen zu verabschieden. Auf diese Weise konnte Callie den Abend zwar nicht offiziell mit Luc verbringen, aber er würde anwesend sein. Bislang hatte sie ihn jedoch nicht entdeckt.

„Der Saal sieht prächtig aus, nicht wahr?“ Sue gesellte sich zu ihr, ein Glas Champagner in der Hand. Sie trug ein elegantes, mit Pailletten besetztes Abendkleid in Marineblau, George hatte zu seinem zweireihigen schwarzen Smoking einen Kummerbund und eine Fliege in der gleichen Farbe angelegt. Die beiden waren ein äußerst stilvolles Paar.

Callie stieß mit ihnen auf die großartige gemeinsame Reise an. Sie würde diese Woche niemals vergessen und war etwas wehmütig, weil sie nun zu Ende ging.

Sue schien es ähnlich zu gehen. „Wir waren nun zum zweiten Mal auf Spitzbergen, und ich wünschte, ich wüsste jetzt schon, dass wir bald wiederkommen. Vielleicht nächstes Mal für eine längere Reise, eine zweiwöchige Spitzbergen-Umrundung?“ Sie drehte sich zu George um.

Er lächelte. „Das ist eine wunderbare Idee, mein Herz.“

Sue sandte eine Kusshand in seine Richtung, dann wandte sie sich fröhlich an Callie: „Was ist mit Ihnen, Liebes? Glauben Sie, Sie werden auch wiederkommen?“

Callie dachte einen Moment nach. „Oh ja, ganz bestimmt“, sagte sie dann voller Überzeugung. Dieser besondere Ort, an den sie zuerst gar nicht hatte reisen wollen, hatte sie inzwischen in seinen Bann geschlagen.

Aber nun musste sie sich nicht nur von der großartigen Landschaft Spitzbergens verabschieden, sondern auch von ihren neuen Freunden. Sie tauschten Telefonnummern und E-Mail-Adressen aus, und Callie hoffte inständig, dass sie in Kontakt bleiben würden. Sue und George waren ihr in der kurzen Zeit an Bord wirklich ans Herz gewachsen. 

Sue schien es ähnlich zu gehen. Spontan umarmte sie Callie. „Machen Sie sich noch ein paar schöne Tage, bevor Sie zurück in die Staaten fliegen. Und vergessen Sie nicht, hören Sie immer auf Ihr Herz, mein Liebes“, sagte sie eindringlich. „Versprechen Sie mir das.“

Autor

Vivien Jennings

Vivien Jennings schrieb bereits in der Schule kleine Erzählungen. Später, als begeisterte Romance-Leserin, erwischte sie sich häufig dabei, die Geschichten im Kopf zu verändern und neue Ideen zu entwickeln. Das brachte sie schließlich dazu, selbst Liebesromane zu schreiben.

Neben dem Lesen und Schreiben ist Vivien Jennings größte Leidenschaft das Reisen,...

Mehr erfahren
Kate Summer
Mehr erfahren
Juliette Hyland
Mehr erfahren