Romana Extra Band 161

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VERFÜHRERISCH WIE DER DUFT DES OLEANDERS von NATHALIE DELANAY

Auf Elba begegnet Umweltschützerin Sienna dem faszinierenden Sandro. Als er ihr die Schönheiten der Insel zeigt, lässt sie sich zu einem Flirt verführen. Doch schockiert erfährt sie: Er will eine Werft mitten in der Natur bauen! Trotzdem kann sie ihm nicht widerstehen …

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  • Erscheinungstag 05.07.2025
  • Bandnummer 161
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533126
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nathalie Delanay, Marion Lennox, Michelle Douglas

ROMANA EXTRA BAND 161

Nathalie Delanay

1. KAPITEL

Sienna Baroni lehnte sich gegen die Reling des riesigen Fährschiffs und genoss den Fahrtwind, der ihr schulterlanges blondes Haar durcheinanderwirbelte. Vor ihnen war seit einigen Minuten die bergige Silhouette der Insel Elba aufgetaucht, geheimnisvoll in nebelartige Wolken gehüllt. Die untergehende Sonne ließ das Mittelmeer in warmem Orangegold glitzern.

Der romantische Anblick entschädigte Sienna ein wenig für die strapaziöse Anreise. Sie war bereits am frühen Morgen von zu Hause aufgebrochen und noch immer nicht am Ziel. Als sie vor einer Stunde am Hafen von Piombino angekommen war, hatte sie einen Anruf ihres Großvaters Claudio erhalten, den sie auf Elba besuchen wollte.

„Mein Schatz, es tut mir so leid, ich kann dich nicht aus Portoferraio abholen. Vorhin habe ich mir bei der Gartenarbeit einen Hexenschuss geholt, ich kann unmöglich Auto fahren“, hatte der alte Mann geklagt.

„Oh nein! Tut es sehr weh, nonno?“, hatte sie besorgt gefragt. Seit einiger Zeit schwächelte die Gesundheit ihres alleinlebenden achtzigjährigen Großvaters, weshalb sie ihn unbedingt besuchen wollte.

„Ach was, das wird schon wieder.“

„Und wie komme ich jetzt nach Marina di Campo? Fahren um diese Zeit noch regelmäßig Busse?“

„Ich habe meinen Nachbarn angerufen und ihn gebeten, dich abzuholen. Er ist heute Nachmittag sowieso in Portoferraio und wird dich auf dem Rückweg mitnehmen. Sandro Garibaldi heißt er.“

„Ah, gut. Wie werde ich ihn in dem Gewühl finden?“

„Er wird dich finden. Ich habe ihm ein Foto von dir aufs Handy geschickt.“

Als das Fährschiff kurz darauf im Hafen der kleinen Hauptstadt Portoferraio anlegte und Sienna es in einem Strom von Passagieren verließ, blickte sie sich beunruhigt um. Noch zwei weitere große Fähren lagen vor Anker. Wie um alles in der Welt sollte sie diesen Mann ohne konkreten Treffpunkt finden?

Das Menschengewimmel am Hafen war jedoch nicht so schlimm wie befürchtet. Viele der Passagiere verließen den Bauch des Schiffs in ihren PKWs, die Mitglieder einiger Reisegruppen sammelten sich, und die restlichen Reisenden gingen zielstrebig ihrer Wege. Da es die letzte Fähre des Tages war, gab es keine Warteschlangen, die die Anlegestelle blockierten.

Sienna fiel ein attraktiver Dunkelhaariger in den Dreißigern auf, der vor einem Café auf der anderen Straßenseite stand und seinen Blick suchend über die Menge schweifen ließ. Als er sie entdeckte und sie sich ansahen, lächelte und winkte er, und Sienna steuerte wie von einem Magneten angezogen auf ihn zu.

„Wie heißen Sie?“, erkundigte sie sich vorsichtshalber, als sie ihn erreicht hatte.

„Ich bin Sandro. Ihr Großvater schickt mich. Sie sind doch Sienna Baroni, oder?“ Er hielt ihr sein Handy entgegen, dessen Display ein Foto von ihr zeigte.

Sie nickte und schüttelte die Hand, die er ihr reichte. Sein Händedruck war fest, warm und angenehm, und sie hatte es nicht eilig, ihre Finger zurückzuziehen.

„Hatten Sie eine gute Anreise?“, fragte er höflich.

Sein Englisch hatte einen melodiösen Akzent, der ihr vertraut war.

„Ja, aber lang. Ich bin seit heute Morgen um fünf unterwegs.“

„So lange?“ Er staunte. „Ich dachte, Sie leben in England?“

„Richtig. Ich war mit dem ersten Zug fünfeinhalb Stunden von Plymouth nach London unterwegs. Da die Direktflüge bereits alle ausgebucht waren, musste ich über Wien nach Florenz fliegen. Anschließend bin ich mit der Bahn nach Piombino gefahren, und dort war die Fähre natürlich gerade weg …“ Erschöpft strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn. „Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, sind Transportprobleme auf den restlichen Kilometern. Also danke, dass Sie mich mitnehmen.“

„Kein Problem. So lerne ich endlich Claudios Enkelin kennen. Wie konnte er Sie mir nur so lange vorenthalten?“

Seine haselnussbraunen Augen schienen mit seinem gutgeschnittenen Mund um die Wette zu lächeln, und Siennas Herzschlag beschleunigte sich.

„Sind Sie denn schon lange Opas Nachbar?“, fragte sie neugierig, als er den Griff ihres Trolleys umfasste und sich Richtung Parkplatz in Bewegung setzte.

„War nur ein Scherz“, erklärte er leicht verlegen. „Das Haus neben dem Ihres Großvaters gehört meiner Familie zwar seit vielen Jahren, ich selbst bin aber nicht oft hier. Eigentlich lebe ich in Genua.“

„Kenne ich. Eine interessante Stadt.“ Sie blickte sich neugierig um, während Sandro ihr Gepäck im Kofferraum verstaute.

Die Sonne war inzwischen untergegangen, und die Berge am Horizont hoben sich nur noch schwach gegen den immer dunkler werdenden Himmel ab. Überall im Ort flammten Lichter auf. Aus einem Restaurant strömte der Geruch von gebratenem Fleisch, den Sienna köstlich fand, obwohl sie Vegetarierin war. Daran merkte sie, wie hungrig sie war. Sie hatte den ganzen Tag nur von dürftigen Snacks gelebt und freute sich schon auf typisch italienische Küche. Es war herrlich, wieder in Italien zu sein.

Sie war in Bury Saint Edmunds aufgewachsen, hatte in Cambridge studiert und arbeitete nun in Plymouth. Zwar betrachtete sie England als ihre Heimat, doch im Land ihres Vaters und Großvaters fühlte sie sich stets sofort zu Hause.

„Wie weit ist es bis Marina di Campo?“, wollte sie wissen, als Sandro losfuhr.

„Ungefähr zwanzig Minuten.“

„Ah, das geht ja“, sagte sie erleichtert und lehnte den Kopf an die Stütze des Beifahrersitzes.

„Ihr Italienisch ist ausgezeichnet“, stellte er anerkennend fest.

Sienna wurde erst jetzt bewusst, dass sie bereits die ganze Zeit italienisch mit ihm gesprochen hatte. „Grazie. Mein Vater ist Italiener, und er hat versucht, mich zweisprachig aufzuziehen.“

„Das hat geklappt.“ Er lachte sie an.

Über ihr Gesicht legte sich ein Schatten. „Es hätte sicher noch besser geklappt, wenn er nicht die Familie verlassen hätte, als ich elf war“, entfuhr es ihr.

„Das tut mir leid.“ Sandro seufzte. „Haben Sie Ihren Vater danach wenigstens regelmäßig gesehen?“

„Nicht so oft, nein. Er ist ziemlich schnell nach Italien gezogen.“ Sienna wollte sich nicht die Blöße geben, vor einem Fremden zu jammern, und setzte ein munteres Lächeln auf. „Aber hey, dadurch habe ich jedes Jahr Urlaub in Italien gemacht, es gibt Schlimmeres!“

„Ah, Sie lieben Italien also!“

Er drehte ihr kurz das Gesicht zu, und sein intensiver, amüsierter Blick ließ ihr Herz höherschlagen.

„Natürlich, wer nicht? Es gibt so viele fantastische Städte und Regionen … Nur auf Elba war ich noch nie. Mein Großvater lebt ja erst seit drei Jahren hier.“

Claudio Baroni hatte sich nach dem Tod seiner Frau Cinzia entschlossen, Großbritannien zu verlassen und in seine italienische Heimat zurückzukehren. Er stammte aus der Toskana, hatte jedoch entschieden, dass er seinen Lebensabend auf einer Insel verbringen wollte, und so war seine Wahl auf Elba gefallen, wo seine jüngere Schwester mit ihrer Familie lebte. Er hatte sich allerdings nicht bei ihr einquartieren wollen, sondern hatte sich im selben Ort ein eigenes Haus gekauft – optimistisch, dass er noch lange selbständig darin würde leben können.

„Es ist eine unglaublich schöne Insel“, schwärmte Sandro.

„Nur sieht man im Moment nicht viel davon.“ Sienna spähte durch das Seitenfenster und erkannte im schwachen Laternenlicht hinter der Landstraße nur flache Berge.

„Geduld.“ Er lächelte. „Wie lange werden Sie bleiben?“

„Zwei Wochen.“

„In dieser Zeit können Sie problemlos alles auf der Insel besichtigen, sie ist ja recht klein.“

Sie drehte das Gesicht wieder zu ihm. „Kennen Sie sich hier gut aus?“

„Ich denke schon. Meine Mutter stammt von Elba, und wir waren hier oft in den Ferien, als ich Kind war.“

„Also sind Sie ebenfalls im Urlaub?“

Sandro schien zu zögern.

„Ein bisschen. Allerdings habe ich meinen Laptop immer dabei und mache selten richtig Urlaub.“

Dann war er wohl Geschäftsmann oder etwas Ähnliches, schloss sie. Ob er mit Frau und Kindern auf der Insel war? Ihn danach zu fragen, erschien ihr zu direkt. Sie ertappte sich bei dem Wunsch, er möge ungebunden sein. Unwillkürlich ließ sie den Blick zu seinen Händen schweifen, die auf Lenkrad und Gangschaltung lagen, um festzustellen, ob er einen Ehering trug. Seine Finger waren nackt, doch das war natürlich kein Beweis dafür, dass er Single war.

Bevor Sienna weiter darüber spekulieren konnte, fielen ihr die Augen zu.

Gefühlt eine Sekunde später schreckte sie hoch, als Sandro sie sachte an der Schulter rüttelte.

„Wir sind da, Signorina.“

„Oh, ich bin wohl eingeschlafen, tut mir leid“, murmelte sie verlegen und rieb sich die Augen, die ihr wieder zufallen wollten. Verschwommen registrierte sie, dass der Wagen am Straßenrand vor einem honiggelb beleuchteten kleinen Steinhaus stand.

„Das muss es nicht. Ich hätte mich zwar gerne noch weiter mit Ihnen unterhalten, aber dazu werden wir in den nächsten zwei Wochen sicher noch Gelegenheit haben.“

Erneut zeigte er sein liebenswert verschmitztes Lächeln. Am liebsten hätte Sienna sich an seine Schulter gekuschelt und dort weitergeschlafen.

Sie riss sich zusammen, löste ihren Anschnallgurt und stieg aus dem Wagen.

„Gehen Sie ruhig schon vor, ich kümmere mich um das Gepäck.“

Sandro ging an den Kofferraum, während sie leichtfüßig zum Haus lief und klingelte.

Kurz darauf öffnete Claudio Baroni ihr die Tür. Er ging gebückt und stützte mit schmerzverzerrtem Gesicht eine Hand in die Taille, doch seine dunkelbraunen Augen leuchteten, als er seine Enkelin vor sich sah.

Nonno, was machst du für Sachen!“ Sie umarmte ihn vorsichtig und stellte erleichtert fest, dass er ihre Umarmung kraftvoll erwiderte. Abgesehen von seiner gebeugten Haltung wirkte er gesund und munter.

„Die Zipperlein, die das Alter mit sich bringt“, ächzte er. „Nicht der Rede wert, morgen wird es schon besser gehen. Nur ins Auto setzen kann ich mich gerade nicht.“

„Es hat wunderbar geklappt mit der Abholung durch Signore Garibaldi.“ Sie drehte sich zu Sandro um, der hinter sie getreten war und ihren Koffer abstellte.

„Ciao, Claudio“, grüßte er.

„Ciao, Sandro. Danke, dass du Sienna mitgenommen hast.“ Claudio richtete sich mit verzerrter Miene noch ein Stück weiter auf und klopfte seinem Nachbarn auf die Schulter.

„Keine Ursache, ich war ja sowieso in der Nähe“, wehrte Sandro bescheiden ab.

„Habt ihr euch problemlos gefunden?“

„Ja, dank des Fotos, das du mir von Sienna geschickt hast.“

„Da hat es sich ja ausgezahlt, dass ich dir den Umgang mit dem Smartphone beigebracht habe.“ Sienna zwinkerte ihrem Großvater zu.

Sandro lachte. „Brauchst du noch irgendwas, Claudio?“, erkundigte er sich fürsorglich.

„Im Moment nicht. Herzlichen Dank.“

„Dann ziehe ich mich jetzt zurück. Gute Nacht.“ Sandro deutete eine winzige Verbeugung an und lächelte ihr noch einmal zu, bevor er sich umdrehte und mit geschmeidigem Gang in die von Oleanderbüschen gesäumte Straße einbog.

Verträumt starrte sie seiner schlanken Gestalt hinterher, bis er vor der Tür des Nachbarhauses stehen blieb und sie aufschloss.

„Willst du hier Wurzeln schlagen, Sienna?“ Claudio zupfte sie am Ärmel und blinzelte ihr zu. „Du siehst ihn sicher wieder.“

Verlegen wandte sie sich um und wäre beinahe über ihren Trolley gestolpert.

„Ist er Single, nonno?“, platzte sie heraus.

„Soviel ich weiß, ja“, antwortete er belustigt. „Aber nun komm endlich rein, du musst müde und hungrig sein.“

„Beides“, gab sie zu, zog ihren Koffer ins Haus und schloss die Tür hinter sich. „Was hast du zu essen?“

„Kommt drauf an. Hast du immer noch diese komischen Essgewohnheiten?“, fragte er misstrauisch.

Sie verdrehte kurz die Augen und schlüpfte aus ihrer schmal geschnittenen Jacke. „Ich bin immer noch Vegetarierin, ja.“

„Wie schade. Was soll ich dir da bloß kochen?“

„Mach dir keinen Stress, nonno. Pasta mit Gemüse und Käse passt immer, und jetzt haue ich mir schnell ein paar Spiegeleier in die Pfanne. Morgen gehen wir zusammen einkaufen, ich kann dich fahren.“

„Gut, Liebes“, meinte er erleichtert.

Sienna machte sich im Bad ein wenig frisch und bereitete dann ein einfaches Abendessen zu.

„Wie geht es deiner Mutter?“, erkundigte Claudio sich, als sie bei Tisch saßen.

Da sein Sohn schon lange von Siennas Mutter geschieden war, hatte er keinen direkten Kontakt mehr zu ihr. Das letzte Mal hatten sie sich bei Cinzias Beerdigung gesehen.

„Bestens. Sie hat einen neuen … Lebensabschnittsgefährten“, erwiderte sie mit verächtlicher Betonung auf dem letzten Wort.

„Das ist doch in Ordnung. Sie und mein Stefano haben eben einfach nicht zueinander gepasst.“ Claudio zuckte mit den Schultern. „Du scheinst ihn nicht zu mögen.“

Nun war es Sienna, die die Schultern hob. „Ich kenne ihn noch nicht besonders gut. Er ist sicher okay, aber …“

Claudio lächelte. „Aber deinem Vater kann er nicht das Wasser reichen?“

Sie seufzte. „Ich weiß, ich idealisiere ihn vermutlich zu Unrecht. Eigentlich hat er sich als Vater nicht besonders hervorgetan, seit er einfach nach Italien abgehauen ist und uns im Stich gelassen hat, um dort die Nächstbeste zu heiraten und zwei Kinder mit ihr zu zeugen. Hoffentlich kümmert er sich besser um sie als um Luca und mich.“

Sienna hatte sich in Rage geredet und atmete tief durch. Sie hatte ihrem Vater zwar vergeben, ärgerte sich aber darüber, dass sie ihn noch immer auf ein Podest stellte. Genauer gesagt tat sie das jedes Mal, wenn ihre Mutter einen neuen Mann anschleppte. Auch wenn die damit fairerweise erst angefangen hatte, als sie und Luca fast erwachsen gewesen waren.

„Nun ja, es sei Mum gegönnt, noch mal auf den Putz zu hauen. Eigentlich ist es toll, dass sie mit Mitte fünfzig noch so aktiv ist“, räumte Sienna ein.

Claudio musterte sie schmunzelnd. „Und was macht dein eigenes Liebesleben, cara?“

„Ach, nonno“, wehrte sie peinlich berührt ab. Seit einer schiefgelaufenen Beziehung während der Studienzeit hatte sie kaum noch ein Liebesleben. Hin und wieder schwärmte sie für einen Mann und ging einige Male mit ihm aus. Doch meistens langweilte er sie bald, entpuppte sich als fest liiert oder disqualifizierte sich durch irgendwelche Macken.

Claudio seufzte resigniert. „Ich verstehe, du bist eine Karrierefrau. Wie läuft es denn im Job?“

„Gut“, antwortete sie.

Ihr Zögern entging ihm nicht, und er hob fragend die dichten, ergrauten Augenbrauen.

„Ärger?“

„Nein, gar nicht.“ Sienna schüttelte heftig den Kopf. „Es läuft prima, aber es ist mir zu administrativ. Von der zweimonatigen Forschungsreise zum Great Barrier Reef mal abgesehen, komme ich kaum aus Büro und Labor raus. Ich verfasse Abhandlungen, schreibe Berichte, werte Zahlen aus, analysiere Proben und Daten. Dabei will ich doch lieber im Meer sein, seine Lebewesen beobachten und praxisbezogen am Schutz der Meereswelt mitarbeiten, nicht nur in der Theorie.“

„Dann bist du also weder privat noch im Job richtig glücklich“, fasste ihr Großvater bedrückt zusammen.

„Mach dir keine Sorgen um mich. Ich werde versuchen, innerhalb des Instituts den Job zu wechseln. Und falls das nicht klappt, strecke ich die Fühler nach einem neuen aus. Eigentlich könnte ich mir ganz gut vorstellen, ins Ausland zu gehen. Es gibt so spannende Forschungsprojekte in aller Welt. Ich kenne da eine Meeresbiologin in Costa Rica, die …“

„Nein, bitte nicht so weit weg“, unterbrach Claudio sie entsetzt. „Bestimmt gibt es auch in Italien Möglichkeiten für dich, schließlich haben wir das Meer ringsum!“

Sie lächelte ihn an. „Daran habe ich auch bereits gedacht. Zumal ich die Landessprache beherrsche, was in Costa Rica oder Südostasien nicht der Fall wäre.“

„Und wir könnten uns häufiger sehen. Mir bleibt vermutlich nicht mehr viel Zeit, ich würde mich so freuen, dich öfter um mich zu haben als in den letzten Jahren.“

Sienna legte gerührt eine Hand auf seine. Sie vergaß nicht, dass es ihr nur dank ihres Großvaters möglich gewesen war zu studieren. Ihre alleinerziehende Mutter hätte ihr kein Studium finanzieren können, und Stefano schlug sich im Land seiner Kindheit mehr schlecht als recht mit seiner neuen Familie durch. Von ihm war ebenfalls keine Hilfe zu erwarten gewesen. Die meiste Zeit hatte er es nicht einmal geschafft, regelmäßig Alimente zu zahlen.

Claudio Baroni jedoch, der ein gutgehendes Restaurant in Bury Saint Edmunds besessen hatte, war es wichtig gewesen, dass seine Enkelin sich ihren Berufswunsch erfüllen konnte, und so hatte er sie während ihres Studiums regelmäßig finanziell unterstützt.

„Ich werde darüber nachdenken“, versprach Sienna und streichelte seinen gebräunten, von Altersflecken übersäten Handrücken, auf dem die Adern stark hervortraten.

„Das würde mich freuen.“ Er drückte kräftig ihre Hand und ließ sie dann los, um ein Stück von seinem Steak abzuschneiden. „Iss jetzt. Dein Omelett wird sonst kalt.“

„Kennst du deine Nachbarn näher?“, erkundigte Sienna sich nach kurzem Schweigen so beiläufig wie möglich.

„Ja, links von meinem Grundstück wohnt ein bezauberndes altes Ehepaar, mit dem ich mich regelmäßig treffe. Sie stammen aus Rom.“

„Ich meinte die Garibaldis.“ Sie schob sich ein Gabel Eierspeise in den Mund.

„Die meiste Zeit nur vom Sehen, sie sind nicht oft da. Sandro grüßt immer freundlich und fragt oft, wie es mir geht und ob ich etwas brauche. Ich hatte ihn und seine Mutter an meinem Achtzigsten eingeladen, mit uns zu feiern, weil sie zufällig gerade hier waren.“

Claudio hatte im März seinen Geburtstag gefeiert, der auf den Ostersonntag gefallen war. Zu ihrem Leidwesen hatte Sienna nicht kommen können, weil sie sich wegen des Forschungsprojekts am Great Barrier Reef in Australien aufgehalten hatte und es zu weit gewesen wäre, für wenige Tage nach Elba zu fliegen. Sie hatte sich um dieses Projekt gerissen, da es eine willkommene Gelegenheit bot, endlich aus dem Labor und dem Büro herauszukommen, und ihr Großvater hatte ihr zugeredet, trotz seines anstehenden Geburtstags teilzunehmen.

Sienna verzog ihren Mund zu einem sehnsüchtigen Lächeln, als sie an die tiefblaue Weite des Pazifiks dachte und an die farbenprächtigen, vor Leben wimmelnden Korallenstöcke, die dort zu bewundern waren. Doch gleich darauf überkam sie Traurigkeit, weil inzwischen drei Viertel der einst so prachtvollen Korallenriff-Ansammlungen durch die globale Erwärmung ausgeblichen und damit abgestorben waren. Es hatte sie fast physisch geschmerzt, die riesigen Areale kalkweißer Korallenstöcke zu sehen, aus denen jegliches Leben gewichen war und die wie bizarr geformte Skelette aussahen.

„Antonia Garibaldi ist eine beeindruckende Frau“, riss Claudio sie aus ihren Erinnerungen. Er legte mit verklärtem Lächeln die Handflächen vor dem Kinn zusammen. „Eine richtige Grande Dame!“

In seinen Augen blitzte es. Sienna schmunzelte und freute sich, dass er nach dem Tod ihrer Großmutter wieder genug Lebensmut gefasst hatte, um von der Nachbarsfrau zu schwärmen.

„Du meinst Sandros Mutter?“, vergewisserte sie sich.

„Genau. Aber klar, dir ist der Sohn lieber.“ Er zwinkerte ihr zu.

Sie zog es vor, das zu übergehen. Es war ihr peinlich, dass ihr Großvater dachte, sie würde einen Mann anhimmeln, den sie gerade mal ein paar Minuten gesehen hatte. Schließlich war sie kein Teenager mehr, sondern eine achtundzwanzigjährige Wissenschaftlerin.

„Und wäre diese Signora Garibaldi was für dich, nonno?“, fragte sie scherzhaft.

„Ach, wo denkst du hin. Sie kann höchstens Anfang sechzig sein, ist bildschön, reich und elegant – was will die mit einem alten Zausel wie mir?“ Er lachte herzhaft. „Noch dazu ist sie glücklich verheiratet. Nun ja, ob glücklich, weiß ich nicht“, schränkte er ein. „Aber jedenfalls ist sie verheiratet.“

Siennas Gedanken schweiften wieder zu Garibaldi junior, der die gleiche Wirkung auf sie ausübte wie dessen Mutter auf Claudio. Sie konnte sich gut vorstellen, was für eine attraktive, charmante Frau sie war – bei dem Sohn …

Erneut spürte sie den Blick aus Sandro Garibaldis leuchtend braunen Augen auf sich und sah seine klaren regelmäßigen Gesichtszüge vor sich. Das löste ein Kribbeln in ihrer Magengegend aus und machte sie unruhig. Was hatte er nur an sich, das ihr so gefiel? Ob sie ihn wohl bald wiedersehen würde, um das herauszufinden?

2. KAPITEL

Sandro erwachte noch vor dem Weckerklingeln vom Geräusch einer eingehenden WhatsApp-Nachricht. Reflexartig griff er nach seinem Smartphone, das auf dem Nachttisch lag, und blinzelte geblendet auf das Display, das im Dämmerlicht seines Schlafzimmers grell aufleuchtete.

Wie ist es gestern in P. gelaufen, wollte seine Mutter wissen.

Er stöhnte leise und linste auf die Uhrzeitanzeige. Es war noch nicht mal sieben. Seine Mutter saß vermutlich bereits in einem schicken Outfit, unverschämt frisch und vor Energie strotzend, auf der Terrasse eines Cafés in Genua, wo sie ihr Frühstück einnahm, bevor sie ins Büro fuhr. Antonia Garibaldi war Leiterin der Finanzen im Familienbetrieb, den sein Vater noch immer leitete, obwohl er bereits auf die siebzig zuging. In Kürze wollte er seinen Posten als Werftdirektor offiziell in die Hände von Davide legen, Sandros älterem Bruder, der technischer Leiter des Unternehmens war.

Eigentlich hatte Sandro seiner Mutter und Davide am Vorabend pflichtbewusst eine kurze Zusammenfassung seines geschäftlichen Treffens in Portoferraio schicken wollen, doch die Bekanntschaft mit der charmanten Enkelin seines Nachbarn hatte ihn in eine verträumte Stimmung versetzt. So hatte er beschlossen, ausnahmsweise fünfe gerade sein zu lassen und den Abend mit einem Glas Wein auf der Terrasse ausklingen zu lassen, und zwar ohne Laptop. Er hatte sich den seltenen Luxus gegönnt, nichts Produktives zu tun, sondern die Gedanken einfach treiben zu lassen.

Immer wieder schweiften sie dabei zu Sienna Baroni. Was für eine interessante und attraktive Frau! Sie wirkte sehr mädchenhaft mit ihrem filigranen Profil, dem schelmischen Lächeln, der zarten, glatten Haut und dem grazilen Körper. Und dennoch ging eine Bestimmtheit und Entschlossenheit von ihr aus, die einen starken Charakter erahnen ließ. Es reizte ihn, mehr über sie zu erfahren.

Sandro absolvierte wie jeden Morgen ein kleines Training aus Liegestützen, Sit-ups und mit Kurzhanteln. Danach duschte und rasierte er sich, schlüpfte in Jeans und Poloshirt und bereitete sich einen Latte macchiato in der modernen Küche des Hauses zu, in der es vor Chrom und Edelstahl raffinierter Geräte nur so blitzte. Ein Werk seiner Mutter.

Eigentlich hatte er allein das Haus von Antonias verstorbenem Bruder Giovanni geerbt, der sein Patenonkel gewesen war. Aber sie hatte es sich nicht nehmen lassen, es für die ganze Familie als Ferienhaus neu einzurichten.

Da er den exzellenten Geschmack seiner Mutter schätzte, hatte er sie gewähren lassen. Und natürlich war ihm Familienbesuch immer willkommen. Bisher war er auch nur gelegentlich auf Elba gewesen. Doch das würde sich in Zukunft ändern. Bald würde er in der elterlichen Villa in Genua nur noch zu Besuch sein und seinen Hauptwohnsitz auf unbestimmte Zeit nach Elba verlagern. Nun, mit dreiunddreißig, war es Zeit, sich abzunabeln. Zumindest privat.

Sandro nippte genüsslich an seinem Latte macchiato, während er den Laptop hochfuhr und seine neuen E-Mails las. Davide hatte ihm eine Mail weitergeleitet, die Sandros Aufgabengebiet als Produktionsleiter der Werft betraf, und angemerkt, dass er am nächsten Tag nach Elba kommen würde und um Abholung bat.

Unwillkürlich verdrehte Sandro die Augen. Er merkte, wie gut ihm der räumliche Abstand zur Familie tat, und verwünschte den Umstand, dass er dennoch stets erreichbar sein musste.

Er arbeitete eine Stunde, schrieb eine Notiz über sein gestriges Treffen mit einem Reeder, der mit der Werft ins Geschäft kommen wollte, und schickte sie an Antonia und Davide. Dann bekam er Hunger und stellte fest, dass kein Brot mehr da war und er unbedingt einkaufen gehen musste.

Da er keine schweren Dinge benötigte, beschloss er, einen Spaziergang zum Supermarkt zu machen. Sein Weg führte ihn durch das ruhige Wohnviertel mit den schmucken Häusern und den gepflegten mediterranen Gärten, an die sich die Fußgängerzone von Marina di Campo anschloss, die bis zur Strandpromenade reichte.

Die Sommerferien in Italien waren vorbei, und es herrschte kein so großes Gewimmel mehr wie noch vor einigen Wochen. Der Strand war an diesem sonnigen, warmen Vormittag allerdings noch immer gut besucht. Was für ein Glück, nur wenige Schritte vom Meer entfernt zu wohnen! Zwar genoss Sandro zu Hause in Genua das gleiche Privileg, aber hier auf Elba erschien ihm die Natur viel näher als in der lärmenden, hektischen Hafenstadt Norditaliens.

Er betrat den Supermarkt, der direkt hinter der Promenade des kleinen Motorboothafens lag, und legte frisches Gemüse, Obst und Brot in seinen Korb. Auf einmal wäre fast ein vollgepackter Einkaufswagen in ihn hineingefahren.

„Oh, scusi, mein Fehler!“, entschuldigte eine Frau sich.

Er erkannte ihre Stimme sofort und sein Herz machte einen Hüpfer. „Sienna!“

„Ach, Sie sind es!“

Ihr Lächeln zeigte ebenmäßige kleine Zähne, die wie Perlen schimmerten.

„Sie kaufen auch hier ein?“, entfuhr es ihm.

Was für eine geistreiche Frage. Wonach sieht es denn aus, du Idiot, schimpfte er sich.

Zum Glück schien ihr nicht aufzufallen, wie unsinnig seine Bemerkung gewesen war, denn sie lächelte ihn geradezu verzückt an und nickte.

„Es ist dringend nötig, Vorräte für meinen Opa anzulegen.“ Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr.

„Wie geht es Claudio?“ Sandro war froh über das Stichwort, um von seiner allzu uncoolen Reaktion auf das unerwartete Treffen abzulenken. Wenigstens schien es ihr genauso zu gehen, sie wirkten vermutlich wie zwei verlegene Teenager beim ersten Date.

„Kaum besser als gestern. Ich muss ihm etwas aus der Apotheke besorgen, können Sie mir sagen, wo ich eine finde?“

„Klar.“ Fieberhaft überlegte er, wie er Sienna um ein Rendezvous bitten konnte, ohne aufdringlich zu wirken oder zu sehr mit der Tür ins Haus zu fallen. Schließlich war sie nur zwei Wochen auf der Insel, da konnte er sich nicht leisten, Zeit zu verschenken. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er sie begehrte. Und zwar nicht nur auf sexuelle, sondern auch auf romantische Art. Am liebsten hätte er den Einkaufswagen, der sie trennte, weggestoßen und sie an sich gezogen.

„Und?“, fragte sie.

Verwirrt blickte er sie an. „Was und?“

Sienna lachte leise. „Sie sind wohl noch nicht ganz wach. Die Apotheke, wo liegt sie?“

„Ach so.“ Definitiv musste sie ihn für einen Vollidioten halten. Er räusperte sich. „Ich helfe Ihnen, die Einkäufe im Wagen zu verstauen, und zeige Ihnen beim Fahren den Weg, einverstanden?“

„Eine gute Idee. Ich bin allerdings noch nicht ganz fertig.“

„Ich auch nicht. In fünf Minuten an der Kasse?“ Auf einmal kam ihm ein Geistesblitz. „Wenn es Claudio noch nicht wieder gut genug zum Autofahren geht, kann er Ihnen vermutlich nicht die Insel zeigen …“

„Stimmt. Ich wollte mich heute Nachmittag allein auf Erkundungstour begeben.“

„Darf ich Sie ein bisschen herumführen?“, bot Sandro an und fragte sich gleichzeitig, wie er das eigentlich mit seinem Arbeitspensum vereinen sollte.

„Das wäre nett.“

Ihr strahlendes Lächeln und ihr Augenaufschlag waren es wert, dafür eine Nachtschicht einzulegen.

3. KAPITEL

Sienna blickte sich seufzend in der Küche um, nachdem sie den Abwasch erledigt hatte. Sie war nicht gerade ein Putzteufel, aber im Haus ihres Großvaters musste einfach mal durchgeputzt werden.

Man merkte den Räumlichkeiten an, dass ein alter Mann darin lebte, der nicht mehr so beweglich war. Vielleicht lag es auch daran, dass sich in England stets ihre Großmutter um die Hausarbeit gekümmert hatte und er mit solchen Aufgaben nicht vertraut war. Und Claudios Schwester war mit ihren fünfundsiebzig nicht mehr fit genug, um noch einen weiteren Haushalt zu betreuen.

Sienna hatte ihrem Vater versprochen, ein Auge darauf zu haben und notfalls eine Haushaltshilfe für Claudio zu organisieren. Sie nahm sich vor, in ihrem Urlaub auf jeden Fall das Haus auf Vordermann zu bringen. Doch das musste warten.

Erst einmal freute sie sich darauf, die Insel zu erkunden – noch dazu in Gesellschaft von Sandro Garibaldi. Ihr waren die Knie weich geworden, als er im Supermarkt plötzlich vor ihr gestanden hatte. Hoffentlich hatte er nicht gemerkt, dass sie sich wie magnetisch von ihm angezogen fühlte. Es war schon peinlich genug, wie offensichtlich sie ihn angeschmachtet hatte. Er hat allerdings auch ausgesehen wie ein Huhn, wenn’s donnert, dachte sie schmunzelnd.

Sie widerstand der Versuchung, ein schickes Sommerkleid anzuziehen. Das war kein romantisches Date, er hatte ihr lediglich eine Tour über die Insel angeboten. Da genügten Chinos, flache Schuhe und ein Shirt. Und pfirsichfarbenes Lipgloss, das ihre Lippen voller wirken ließ. Sie wollte Sandro gefallen, gestand sie sich ein, als sie kritisch ihr Spiegelbild musterte.

Ein kleiner Flirt war genau, was sie brauchte. In der letzten Zeit war sie viel zu selten ausgegangen. Und es war fast drei Jahre her, dass ihre letzte richtige Beziehung geendet hatte.

Dabei hatte sie eigentlich perfekt zu dem zwölf Jahre älteren Meeresforscher Frank gepasst. Doch er war mit seinem Beruf verheiratet, dem seine Leidenschaft gehörte. Die Liebe zu ihr war dagegen nur ein schwacher Schatten. Mit den Jahren blieb immer weniger Zeit für sie, da er unaufhörlich durch Europa reiste, um als Gründer einer Meeresschutzstiftung Vorträge zu halten und Kampagnen zu leiten.

So sehr sie Frank und seine Arbeit bewunderte, wollte sie dennoch nicht immer die zweite Geige spielen. Auch nach ihrem erfolgreichen Studienabschluss schien er sie als Meeresbiologin nicht für eine vollwertige Partnerin zu halten; für ihn blieb sie die Studentin, die man allenfalls mit Assistenzaufgaben betrauen konnte.

Inzwischen hatte sie erkannt, dass Frank mehr ein Mentor für sie war und tiefere Gefühle der Vergangenheit angehörten. So hatten sie sich nach fünf Jahren getrennt, waren jedoch durch ihr gemeinsames Engagement für die Meeresschutzorganisation Sea Shepherd freundschaftlich miteinander verbunden geblieben.

Sienna fuhr sich glättend durch die Haare. Das Mittelblond mit den helleren Strähnchen sah aus, als wäre sie von Sonne und Meer geküsst, war in Wahrheit jedoch das Werk eines geschickten Friseurs. Sie nahm ihre Tasche und verließ das Haus.

Sandro wartete bereits an seinem Wagen auf sie, einem dunkelblauen Alfa Romeo. Er hielt ihr die Tür auf und ließ sie einsteigen.

„Es ist supernett von Ihnen, dass Sie mir was von der Insel zeigen wollen“, sagte sie herzlich, als sie ihren Sicherheitsgurt einrasten ließ.

Er lächelte „Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Signorina Baroni.“

„Wollen wir nicht Du sagen?“, schlug sie vor.

„Gerne. Das wollte ich dich auch fragen. Ich heiße Sandro.“

„Sienna. Aber das weißt du ja schon.“ Sie unterdrückte gerade noch rechtzeitig ein albernes Kichern.

„Sienna ist ein hübscher Name“, bemerkte er.

„Ich bin nach der Stadt Siena benannt worden, in der mein Großvater geboren wurde. Zum Glück war der Name inzwischen in Mode gekommen, sodass mich niemand in der Schule damit gehänselt hat, dass ich wie eine Stadt heiße“, erklärte sie lachend. „Allenfalls wurde ich im Kunstunterricht damit aufgezogen, ob der Farbton siena nach mir benannt war.“ Sie presste kurz die Lippen zusammen, weil sie merkte, dass sie wieder zu viel redete. Wie immer, wenn sie nervös war.

Dieser verboten gut aussehende Mann, der so ruhig neben ihr saß, freundliche Gelassenheit und Souveränität ausstrahlte und nach einem erlesenen Aftershave duftete, brachte sie einfach aus dem Konzept. Tief sog sie den Geruch seines Parfüms in die Nase und rutschte unwillkürlich tiefer in den Sitz. „Wohin entführst du mich denn?“

„Ich dachte mir, wir machen eine kleine Rundfahrt die Küsten entlang, was hältst du davon? Dann hast du eine erste Orientierung.“

„Eine gute Idee.“

Die Landstraße war von dichten Wäldern gesäumt. Hinter einer Kurve endete der Baumbestand abrupt und gab den Blick frei auf eine tief unter ihnen liegende Bucht mit üppiger Vegetation. Gleich gegenüber hoben sich flache, begrünte Berge gegen den zartblauen Himmel ab, vor denen Segelboote in der Lagune kreuzten.

Sienna stöhnte hingerissen auf. „Das ist ja traumhaft.“

Und schon verschwand der zauberhafte Ausblick wieder hinter dichtem Baumbestand. Der sich nach wenigen Kilometern erneut lichtete und eine weitere Bucht in voller Pracht präsentierte.

Sienna stellte fest, dass es erfreulich wenig Anzeichen von Massentourismus gab. Hier und dort lagen kleinere Hotels an der Küste, die man meistens an hellblau leuchtenden Pools erkannte. An den Stränden waren auf kurzen Abschnitten Liegestühle und Sonnenschirme aufgebaut. Aber nirgendwo gab es große Hotelanlagen, nichts war zugebaut und nach lauten Nachtclubs und Aquaparks suchte man vermutlich vergeblich.

„Was für eine wunderschöne Landschaft! Alles wirkt noch richtig unberührt“, schwärmte sie.

„Ja, Gott sei Dank. Die Buchten sind traumhaft. Auf Elba kann man gut Wassersport treiben, falls dich das interessiert.“

Sie nickte. „Ich möchte unbedingt tauchen gehen.“

„Es gibt hier einige Tauchschulen.“

„Ich weiß, das habe ich bereits im Internet gecheckt. Ich benötige aber nur Tauchflaschen und Flossen, keinen Unterricht. Einen Tauchschein habe ich schon.“

„Cool“, murmelte Sandro. „Das muss ein aufregender Sport sein.“

Sienna nickte lächelnd und setzte an, ihm zu erklären, dass sie überwiegend beruflich tauchte, doch da redete er bereits weiter.

„Vor einem Küstenabschnitt hier kann man zu einem nahegelegenen Schiffswrack tauchen, das in den Neunzehnhundertsiebzigerjahren gesunken ist.“

„Klingt spannend.“ Das war in der Tat eine interessante Information für die Biologin in ihr. Häufig siedelten sich viele verschiedene Meereslebewesen rund um Schiffswracks an, da sie ähnlichen Schutz wie ein Riff boten.

Sandro bog von der Küstenstraße in Richtung des Inselinneren ab.

„Den Ostteil der Insel heben wir uns für ein anderes Mal auf, das wird sonst zu viel, wenn wir noch ein oder zwei Orte besichtigen wollen“, erklärte er.

Ein Gefühl von Wärme durchflutete sie bei dem Wort wir in Verbindung mit einem anderen Mal. Also beabsichtigte er bereits, sie wiederzusehen.

„Wir werden bei Lido di Capoliveri die Straße nach Norden nehmen und dann vor Portoferraio nach Westen abbiegen. Dort gibt es eine Panoramastraße, die an der gesamten Westküste entlangführt.“

„Hört sich gut an.“ Es war ihr egal, wohin er mit ihr fuhr. Elba schien überall malerisch schön zu sein, und überhaupt hätte sie noch Stunden an seiner Seite sitzen und durch die Gegend fahren können.

Sandro nannte ihr die Orte, an denen sie vorbeifuhren, und erzählte etwas zu ihren Besonderheiten.

„Hast du auf der Karte gesehen, dass Elba die Umrisse eines Fischs hat?“, fragte er, als sie durch das gemütliche Hafendorf Marciana Marina schlenderten.

Sienna nickte lächelnd. „Der Insel-Osten ist die Schwanzflosse und der Westen das Maul.“

„Und Portoferraio liegt an der Rückenflosse“, ergänzte er amüsiert.

Die Landschaft im Westen war karger als auf den anderen Inselteilen, aber nicht weniger faszinierend. Als Nächstes führte Sandro sie durch das Bergdorf Marciana Alta, wo sie über zahlreiche Treppen einen Aussichtspunkt erklommen. Obwohl sie beide sportlich trainiert waren, kamen sie leicht außer Atem oben an, doch der Ausblick ins Tal und über die Küste lohnte die Mühe des Aufstiegs allemal. Entzückt ließ Sienna ihren Blick über die weißen Häuschen mit Ziegeldächern vor der Weite des azurblauen Meeres schweifen.

Als sie wieder unten waren, belohnten sie sich im Café des Dorfs mit Eiscreme und Cappuccino.

Sienna lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Jetzt habe ich wirklich ein Urlaubsgefühl“, bemerkte sie zufrieden. „Du hast eine umwerfende zweite Heimat. Betrachtest du dich eigentlich als Elbaner? Du bist es ja zur Hälfte …“

„Nein, ich fühle mich hier zwar ein bisschen heimisch, aber mir ist bewusst, dass ich mich nicht als Elbaner bezeichnen dürfte.“ Sandro schleckte an seinem Eis. „Meine Mutter ist fürs Studium aufs Festland gezogen und hat sich dann sehr weit von ihrer Heimat entfernt – weniger räumlich als vielmehr im Geiste. Ich will damit sagen, sie ist eine weltgewandte, an Kultur und Mode interessierte Großstädterin. Sie ist schon lange über Elba hinausgewachsen. Das Leben hier ist doch eher bodenständig. Was ich absolut nicht abwertend meine. Nur meine Mutter langweilt sich ziemlich schnell.“

Sienna nickte nachdenklich und löffelte den Rest Cappuccino-Schaum in ihrer Tasse aus.

Kurz darauf fuhren sie weiter auf der Panoramastraße. Die Luft war so klar, dass sie am Horizont die Silhouette von Korsika sahen.

„Hier könnten wir noch mal spazieren gehen.“ Sandro kurvte auf den Parkplatz eines Dorfes, das direkt am Meer lag.

„Wo sind wir hier?“

„In Chiessi, dem westlichsten Ort Elbas. Manche meinen auch, er sei der schönste, aber das ist natürlich Geschmackssache.“

Sie schlenderten an einer blassgelben Kirche mit ziegelbedecktem Kirchturm vorbei, die halb im Schatten einer riesigen Pinie lag. Direkt hinter dem Dorf erhob sich ein teils mit Macchia bewachsenes, teils kahles Gebirge. Zum Meer hin fielen hellgraue Felsen flach und in Stufen ab, sodass sie wie Terrassen wirkten. Vereinzelte Sonnenanbeter lagen oder saßen dort und blickten aufs Meer, das ausgesprochen einladend in der Spätnachmittagssonne glitzerte.

Sandro hielt ihr die Hand hin, um ihr über die unebenen Steine, aus denen der Weg bestand, hinwegzuhelfen. Eigentlich hätte sie seine Hilfe nicht benötigt, trotzdem ergriff sie nur zu gerne seine ausgestreckte Rechte und genoss das Prickeln, das daraufhin ihren Arm entlanglief. Fast war sie enttäuscht, als er ihre Hand losließ, sobald sie den winzigen, gut besuchten Kiesstrand erreicht hatten.

„Können wir uns einen Moment hinsetzen?“, bat Sienna und wies mit dem Kinn auf die Steinmauer hinter dem Strand.

„Klar. Bist du müde?“

„Nein, ich möchte nur einen Moment die Sonne genießen.“

Sie ließ sich auf der Mauer nieder, die Hände auf die Steine gestützt, und reckte das Gesicht mit geschlossenen Augen den letzten warmen Strahlen der tiefer sinkenden Sonne entgegen. Aus den Oleanderbüschen hinter ihnen duftete es zart. Sie sog das angenehme Aroma des Blütenparfüms tief in die Nase und entspannte sich beim Rauschen der Brandung, die die Felsen umspülte.

Sandro setzte sich dicht neben sie, in der gleichen Haltung wie sie, und auf einmal spürte sie, dass ihre kleinen Finger sich zart berührten. Sofort begann es wieder in ihr zu kribbeln. Langsam schob sie ihre Handkante seiner entgegen.

Sandro legte behutsam seine Hand über ihre, und Sienna öffnete die Augen und wandte ihm das Gesicht zu. Das Verlangen, das sie in seinem Blick las, ließ ihren Puls in die Höhe schnellen. Unwillkürlich lehnte sie sich leicht an ihn, worauf er sie in die Arme zog und seine Lippen auf ihre senkte. Erst fragend, dann immer bestimmter spielte seine Zunge mit ihrer.

Sienna ließ eine Hand von seinen Schultern in seinen Nacken rutschen und streichelte mit dem Daumen seinen Haaransatz, woraufhin er sie noch fester an sich zog und sein Kuss so fordernd wurde, dass sie innerlich erglühte.

Himmel, konnte dieser Mann gut küssen! Sie nahm die Hand von seinem Nacken und erkundete durch den dünnen Stoff seines weißen Hemds seine Brustmuskeln. Sandro schien regelmäßig zu trainieren. Langsam ließ er eine Hand über ihren Oberschenkel höher gleiten, und sie verspürte den Wunsch, ihm das Hemd vom Leib zu reißen.

Sie schraken auseinander, als plötzlich ein Fußball dicht neben ihnen an die Steinmauer knallte und sie jäh daran erinnerte, dass sie sich in der Öffentlichkeit befanden. Helles Kinderlachen erklang. Sienna fühlte sich wie aus einem Traum unsanft in die Wirklichkeit geholt. Etwas verlegen lächelte sie Sandro an.

Wir kennen uns doch kaum, dachte sie beinahe erschreckt. Ob er jetzt wohl glaubt, dass ich mich jedem Mann an den Hals werfe, den ich gerade zum zweiten Mal treffe?

„Das wollte ich schon, als ich dich gestern am Hafen gesehen habe“, gestand er.

Er strich ihr zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn und lächelte sie so liebevoll an, dass es sich auf einmal anfühlte, als würden sie sich schon lange kennen.

„Diese Anziehungskraft muss an unseren Familien liegen“, sagte Sienna scherzhaft, um ihre Unsicherheit zu überspielen. „Mein Opa schwärmt für deine Mutter.“

Sandro lächelte. „Sie kann sehr charmant sein, wenn sie will.“

„Will sie aber nicht immer?“

Er wiegte den Kopf hin und her. „Wenn es sein muss, ist sie auch eine knallharte Geschäftsfrau. In unserem Familienbetrieb hat sie die Zügel in der Hand. Obwohl die Familie meines Vaters das Unternehmen gegründet hat und sie nur eingeheiratet hat.“

„Was für ein Unternehmen habt ihr denn?“, fragte sie interessiert und lehnte den Kopf an seinen. Ihr fiel ein, dass Claudio erwähnt hatte, Antonia sei reich, also schien es sich nicht um eine unbedeutende Firma zu handeln.

„Wir haben eine Schiffswerft in Genua.“

„Oh.“ Sienna hob den Kopf und versteifte sich. Ein Werftbesitzer. Ausgerechnet! Ihre Miene verdüsterte sich, und Sandro blickte sie erstaunt an. „Was für Schiffe baut ihr?“

„Fracht- und Fährschiffe.“

„Aha.“ Sie schluckte, als sie daran dachte, wie viele schwer verletzte und verendete Meeressäugetiere sie schon gesehen hatte, weil die mit Schiffen kollidiert waren. „Ich habe gehört, dass vor einigen Jahren zwischen Piombino und Elba ein Wal vom Bug einer Fähre praktisch aufgespießt wurde. Das arme Tier hing dort wie eine Galionsfigur“, sagte sie gepresst.

„Ich kenne die Geschichte. Es ist schrecklich, dass das passiert ist“, entgegnete Sandro ernst.

„Sind das Fähren von eurer Werft, die hier verkehren?“

„Einige wurden von einer der Reedereien gekauft, die den Fährverkehr im Toskanischen Archipel betreiben“, bestätigte er. „Wieso? Falls du auf die Sache mit dem Wal anspielst, das war keine unserer Fähren. Die, mit der du angekommen bist, aber schon.“

„Ihr solltet unbedingt bessere Filteranlagen einbauen. Ich war entsetzt, welche Unmenge Ruß in die Luft gepustet wird“, sagte Sienna mit kratziger Stimme und rückte von ihm ab.

„Wir halten uns natürlich an die gesetzlichen Vorgaben, aber in diesem Rahmen bauen wir das ein, was der Reeder haben will“, erwiderte er etwas unbehaglich. „Wenn er kein Geld für bessere Rußfilteranlagen ausgeben will, können wir ihn nicht dazu zwingen. Dann geht er nämlich zur Konkurrenz.“

„Verstehe. Wir benötigen endlich schärfere Gesetze“, murmelte sie, mehr an sich selbst gewandt.

„Was machst du eigentlich beruflich?“, erkundigte er sich argwöhnisch.

„Ich habe einen Master in Meeresbiologie mit Schwerpunkt Ökologie und Nachhaltigkeit der Meere.“

„Ach so. Daher die Abneigung gegen Schiffe?“, fragte er betreten.

Sienna räusperte sich. Das Kratzen in ihrem Hals verschwand, doch ihr Unbehagen blieb. „Mir ist bewusst, dass Schiffe benötigt werden. Gerade Fracht- und Fährschiffe sind wichtig, um den Flugverkehr zu minimieren“, räumte sie ein. „Ich sehe nur ständig die negativen Auswirkungen dieses unablässigen Schiffsverkehrs auf Meereslebewesen. Insbesondere Wale und Delfine leiden enorm darunter.“

Sandro schwieg.

Es wurde langsam dämmrig. Vom Meer wehte eine kühle Brise, und ohne die wärmenden Sonnenstrahlen fröstelte Sienna.

„Wollen wir zurückfahren?“, fragte er.

Sie nickte.

Schweigend gingen sie zum Wagen zurück. Der Zauber, der kurz zuvor noch über ihnen gelegen hatte, war leichter Missstimmung gewichen.

Spring über deinen Schatten, Sienna, sagte sie sich. Er ist Werftbesitzer, kein Auftragskiller! Und er baute Fähren und Frachtschiffe, die waren zwar Dreckschleudern, aber immerhin nützlich. Gott sei Dank produzierte seine Werft keinen überflüssigen Luxus wie Jachten oder, noch schlimmer, Kreuzfahrtschiffe, die eine ökologische Katastrophe waren. Oder gar Fischtrawler, die mit ihren Grundschleppnetzen großflächig Tod und Zerstörung über alle Meereslebewesen brachten und ganze Ökosysteme zerstörten.

Sienna sah in ihrem Beruf oft unglaubliche Schönheit, aber immer wieder auch schreckliche, menschengemachte Katastrophen.

Sandro brach das lastende Schweigen, als sie Marina die Campo erreichten: „Können wir uns trotzdem wiedersehen?“

„Natürlich!“, hörte Sienna sich sofort sagen, und zur Bestätigung küsste sie ihn rasch auf die Wange.

Sandro fuhr den Wagen an den Straßenrand und löste seinen Sicherheitsgurt. Sie blickte sich verwundert um und sah dann ihn an. „Wieso …“

Schon zog er sie in die Arme und küsste sie mit kaum zurückgehaltener Leidenschaft. Seine Zunge, die mit ihrer spielte, löste erneut ein Feuer in ihr aus, und ganz automatisch schlang sie die Arme um seinen Nacken und gab sich willig diesem hungrigen Kuss hin. Allerdings konnte sie ihre störenden Gedanken nicht ausschalten.

Okay, er produziert Schiffe, sei’s drum. Ihr wurde manchmal vorgeworfen, sie sei zu kompromisslos. Vielleicht war es ein guter Moment, mit Kompromissen anzufangen.

Sandro sollte sich aber nicht einbilden, dass er sie sofort ins Bett bekäme, auch wenn seine Hand, die unter ihr Shirt geschlüpft war und sanft ihren Busen berührte, ein Gefühl wie brennenden Durst bei ihr auslöste, das nach Erlösung schrie. Als er versuchte, den Verschluss ihres BHs zu öffnen, schob Sienna ihn sanft, aber bestimmt, von sich, obwohl ihr Körper nach seiner Berührung lechzte. „Das muss für den Moment genügen.“

Sandro räusperte sich und zog seine Hände zurück. „Entschuldige, wenn ich zu forsch war. Ich finde dich einfach unwiderstehlich attraktiv. Wann sehen wir uns wieder?“

In seinen braunen Augen loderte das gleiche Feuer, das in ihrem Inneren tobte.

„Ich weiß nicht … Morgen werde ich erst mal tauchen gehen, ich habe bereits einen Termin dafür ausgemacht.“

„Da kann ich leider nicht mithalten, ich tauche nicht“, erwiderte er bedauernd. „Außerdem kommt mein Bruder Davide morgen zu einem vierundzwanzigstündigen Blitzbesuch und wir werden tagsüber zusammen was unternehmen. Was hältst du davon, wenn ich deinen Opa und dich morgen Abend zum Grillen einlade?“

„Gern. Du solltest allerdings vorher wissen, dass ich Vegetarierin bin.“

Er blickte sie so betroffen an, als hätte sie ihm eröffnet, dass sie an einer unheilbaren Krankheit litte.

„Nicht mal Fisch?“, fragte er verwundert.

Sienna lachte auf. „Insbesondere keinen Fisch“, betonte sie.

Er schlug sich vor die Stirn. „Das hätte ich mir ja denken können. Wenn man den Fischen ständig beim Tauchen in die Augen blickt, mag man sie nicht mehr essen, hm?“

„Das auch, aber es gibt noch sehr viel pragmatischere Gründe wie Überfischung, Mikroplastik, giftige Chemikalien und Schwermetalle, die sich in Fischen anreichern“, sagte sie trocken. „Und das Massaker auf den schwimmenden Fischfabriken ist so unappetitlich, dass es mir schon lange den Appetit darauf verdorben hat.“ Sie biss sich rasch auf die Lippen, um sich nicht in Rage zu reden. Sandro blickte schon betreten genug drein, und sie wollte keinesfalls belehrend wirken.

„Ich habe keine Ahnung, ob sie im Supermarkt hier Tofuwürstchen und Veggie-Burger verkaufen, darauf habe ich nie geachtet“, meinte er ratlos.

Sienna winkte ab. „Auf solche mit Zusatzstoffen gespickten Ersatzprodukte lege ich sowieso keinen Wert. Kannst du Paprikaschoten, Zucchini und Auberginen auftreiben?“

„Natürlich.“

„Dann schneide sie in Scheiben, pinsele sie mit Öl ein, würze sie und lege sie auf den Rost. Dazu einige Scheiben Halloumi, Brot und ein oder zwei Dips und ich bin völlig zufrieden.“

„Das ist schön“, murmelte er.

Es gelang ihr nicht herauszuhören, ob es ironisch gemeint war. Zerknirscht dachte sie, dass sie vermutlich keine Frau war, die leicht zufriedenzustellen war. Schon gar nicht von einem Mann. Warum sonst war sie wohl noch Single?

4. KAPITEL

Sandro stellte sich vor dasselbe Café, vor dem er zwei Tage zuvor schon auf Sienna gewartet hatte. Diesmal blickte er den Passagieren der Fähre, die gerade angelegt hatte, nicht gespannt entgegen, sondern checkte im Schatten der Markise seine E-Mails. Sein Bruder würde ihn schon finden.

„Ciao, Bruderherz“, ertönte da auch schon Davides gepflegter Bariton in seinen Ohren.

„Ciao, Davide.“ Er umarmte ihn flüchtig und steckte sein Smartphone weg.

Im Gegensatz zu ihm, der seiner Mutter sehr ähnlich sah, war Davide mehr nach dem Vater geraten, ein stämmiger Dunkelblonder, der zu leichtem Übergewicht neigte, seit er die fünfunddreißig überschritten hatte. Seine Geheimratsecken wurden von Jahr zu Jahr ausgeprägter, und seit Kurzem benötigte er eine Brille.

„Wollen wir was essen gehen oder direkt zur Baustelle fahren?“, fragte Sandro.

„Lass uns schnell einen Imbiss nehmen.“

Sie gingen zu Fuß an der Hafenpromenade entlang und aßen Döner Kebab in einem arabischen Schnellrestaurant. Für ihn und seinen Bruder war Zeit Geld, und so ließen sie sich ungern durch ausgedehnte Mittagsmahlzeiten im Restaurant vom Tagesgeschäft abhalten.

Während sie anschließend in den Ostteil der Insel fuhren, redete Davide weiterhin unablässig über Geschäftliches.

„Entspann dich mal!“, sagte Sandro schließlich. „Es ist Wochenende.“

Davide blickte ihn prüfend an. „Ich habe den Eindruck, du bist nicht ganz bei der Sache.“

„Ach was.“ Sandro schüttelte den Kopf, doch er wusste genau, dass sein Bruder recht hatte.

Am Vorabend war er nach den verheißungsvollen Küssen mit Sienna in amouröser Stimmung gewesen, ja regelrecht euphorisch. Mal abgesehen von der starken körperlichen Anziehung hatte sie etwas an sich, das ihn herausforderte. Sie ließ sich nicht von ihm um den Finger wickeln.

Obwohl ihr Körper spürbar entgegenkommend auf seine Berührungen reagierte, hatte sie ihm seine Grenzen aufgezeigt. Sein Eindruck vom ersten Abend, dass sie eine eigenwillige und kapriziöse Frau war, hatte sich verstärkt, und das weckte sein Interesse. Vor dem Einschlafen hatte er zum ersten Mal mit dem Gedanken gespielt, möglicherweise mehr als ein Urlaubsabenteuer mit ihr anzustreben.

Beim Aufwachen war er jedoch auf den Boden der Tatsachen zurückgefallen. Mochte ja sein, dass Sienna, wenn auch widerstrebend, damit umgehen konnte, dass seine Familie eine Werft besaß. Doch wenn sie erfuhr, weswegen er tatsächlich auf Elba weilte, würde sie das vermutlich nicht mehr tolerieren können und sich sofort von ihm abwenden.

Wäre es da nicht gescheiter, ihre Bekanntschaft erst gar nicht weiter zu vertiefen?

Sie erreichten die Halbinsel Calamita, den südöstlichen Zipfel Elbas. Insgeheim gratulierte Sandro sich dazu, dass er am Vortag mit Sienna nicht hierhergefahren war, wie er es ursprünglich in Erwägung gezogen hatte, um ihr stolz sein Projekt zu zeigen. Nun wusste er, dass sich danach kaum die romantische Atmosphäre wie in Chiessi eingestellt hätte, die zu diesen unglaublich schönen Küssen geführt hatte. Oder wäre das besser so gewesen?

Wo sollte das mit ihnen überhaupt hinführen? Sie in England, ich in Italien, und noch dazu scheinen wir nicht die gleiche Einstellung zu wichtigen Dingen zu haben, überlegte er geknickt, als er den Wagen am hoch aufragenden Monte Calamita vorbei zur Südseite der Halbinsel steuerte.

Dort zeugten seit Langem verlassene Industrieanlagen und rostige Verladehäfen davon, dass auf diesem Landstrich jahrhundertelang Eisenerz abgebaut worden war. Ab Montag würden Bulldozer diese alten Industrie- und Hafenanlagen im Auftrag der Unternehmerfamilie Garibaldi abreißen, damit an dieser Stelle etwas Neues errichtet werden konnte.

Es kribbelte vor Aufregung in ihm, als er am Rande des Geländes parkte. Dieses Projekt bedeutete ihm viel. Doch seit gestern Abend hatte seine Vorfreude einen Dämpfer erhalten.

Er und Davide stiegen aus und schritten zusammen das Grundstück ab, auf dem die Baufirma bereits Wohnwagen und C...

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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Michelle Douglas
<p>Das Erfinden von Geschichten war schon immer eine Leidenschaft von Michelle Douglas. Obwohl sie in ihrer Heimat Australien bereits mit acht Jahren das erste Mal die Enttäuschung eines abgelehnten Manuskripts verkraften musste, hörte sie nie auf, daran zu arbeiten, Schriftstellerin zu werden. Ihr Literaturstudium war der erste Schritt dahin, der...
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