Romana Extra Band 81

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HEIßE KÜSSE UNTER KRETAS STERNEN von FOXGLOVE, LUCY
Als sie ihren Job verliert, flüchtet Eve überstürzt nach Kreta. Und trifft dort ausgerechnet Daniel, ihren Ex-Chef. Sie müsste ihn hassen - schließlich hat er mit der Kündigung ihr Leben zerstört! Aber warum schlägt ihr Herz dann immer so schnell, wenn sie ihn nur ansieht?

WER BIST DU WIRKLICH, GELIEBTER FREMDER? von NIGHT, NICKI
Christian Chandler ist die Frauen leid, die nur an seinem Geld interessiert sind. Unter falschem Namen meldet er sich daher beim Online-Dating an - und verliebt sich Hals über Kopf in die bezaubernde Serenity. Doch wird sie ihm verzeihen, wenn sie von seiner Lüge erfährt?

SONNE, MEER - UND MÄRCHENPRINZ von BUCANNON, BELLA
Eine Frau wie sie wird Jack Randall niemals lieben können, davon ist Cassie Clarkson überzeugt. Er sieht gut aus, ist reich, stammt aus einer angesehenen Familie - und sie verdient ihr Geld mit dem Entrümpeln von Häusern. Doch seine Küsse schmecken so ungeheuer süß …

ICH WILL NUR DAS EINE - LIEBE von BROOKS, HELEN
Der erfolgreiche Reece Vance glaubt an Geld, Erfolg und Sex - an Liebe glaubt er nicht! Kein leichter Auftrag für Miriam, als ihr Partyservice die Hochzeit von Reeces Schwester Barbara ausstattet. Denn immer wieder streitet sie mit Reece über das Thema Liebe. Bis er sie küsst …


  • Erscheinungstag 14.05.2019
  • Bandnummer 0081
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744793
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lucy Foxglove, Nicki Night, Bella Bucannon, Helen Brooks

ROMANA EXTRA BAND 81

LUCY FOXGLOVE

Heiße Küsse unter Kretas Sternen

Wahre Liebe? Daran glaubt Frauenheld Daniel schon lange nicht mehr. Er lebt für seine Arbeit. Bis er auf Kreta die bezaubernde Eve trifft und sich in sie verliebt. Doch er ahnt nicht, wer sie wirklich ist …

NICKI NIGHT

Wer bist du wirklich, geliebter Fremder?

Chris Mullen hat alles, was Serenity sich immer von einem Mann erträumt hat: Er ist klug, liebenswert und unglaublich sexy. Sie ist glücklich mit ihm – bis sie her-ausfindet, dass er sie belogen hat!

BELLA BUCANNON

Sonne, Meer – und Märchenprinz

Erst schenkt Cassie ihm Nächte voller berauschender Leidenschaft, dann will sie ihn plötzlich nicht mehr sehen. Jack Randall ist außer sich – und wild ent-schlossen, die Schöne für sich zu gewinnen …

HELEN BROOKS

Ich will nur das Eine – Liebe

Die Hochzeit der schönen Barbara auszustatten, ist ein riesiger Auftrag für Miriams Partyservice. Wenn bloß Barbaras Bruder, der erfolgreiche Reece Vance, ein bis-schen mehr an die Liebe glauben würde …

1. KAPITEL

London

Eve starrte ihr Gegenüber minutenlang an, bis die Worte wirklich bei ihr ankamen. „Gekündigt?“, flüsterte sie und schüttelte ungläubig den Kopf. Gleich würde die Personalchefin lachen und sagen, dass es sich um einen Irrtum handelte. Einen Aprilscherz. Nur war heute bereits der fünfte Mai.

„Es tut mir leid“, sagte Mrs. Makings und senkte den Blick auf Eves Unterlagen. Mit einer routinierten Bewegung schob sie das Abschlusszeugnis und ein paar weitere Blätter über den Tisch zu ihr hin.

„Aber warum?“, fragte Eve.

„Sie sind … ähm … waren noch in der Probezeit“, murmelte Mrs. Makings, und es kam Eve so vor, als wäre die Sache für die Personalchefin längst erledigt. „Alles Gute für Ihre Zukunft.“

Eve sah Mrs. Makings’ abwesenden Blick und ihr falsches Lächeln noch immer vor sich, als sie zu ihrem Schreibtisch ging. Sie blieb stehen und stutzte. Ihre Lampe war ausgeschaltet, und irgendjemand hatte all ihre Sachen zusammengeräumt, sodass sie sie nur noch hinaustragen musste. Trotzdem setzte sie sich auf ihren Bürostuhl und öffnete die Schubladen ihres Containers. Dort fand sie einen einsamen Müsliriegel und einen alten Kassenzettel. Den Beleg des Geschenks, das sie im Namen der Abteilung für den fünfunddreißigsten Geburtstag ihres obersten Chefs Daniel O’Connell besorgt hatte. Obwohl er sie garantiert nicht einmal kannte und keine Feier für seine Angestellten plante. Sie würde jetzt die Übergabe des Geschenks verpassen und das Glas Sekt ebenfalls. Wenn es überhaupt eins geben würde. Vielleicht ließ er die Party ja tatsächlich ausfallen oder feierte nur mit anderen Workaholics.

Für seine Angestellten hatte Daniel O’Connell einfach keine Zeit. Erst ein einziges Mal hatte Eve ihn bei einem Meeting zu Gesicht bekommen. Wenn die Firma schon zwei Geschäftsführer besaß, sollte man doch davon ausgehen, dass wenigstens der nettere von beiden sich gelegentlich Zeit für seine Angestellten nahm. Daniel und Phil O’Connell, Leiter des Modeunternehmens Wearflowers, trugen die Spitznamen „Gut und Böse“. Angeblich sollte einer von ihnen nett sein, der andere unfreundlich und hart. Eve war sich nicht sicher, welcher der Brüder der böse war.

Dieses Desinteresse an den eigenen Angestellten machte Eve wütend. Geräuschvoll schloss sie die Schublade. An den anderen Schreibtischen schnellten ein paar Köpfe hoch. In manchen Augen sah Eve einen gehetzten Ausdruck, was sie kurz aufatmen ließ, weil sie jetzt frei war. Ohne die Verpflichtung, jeden Tag von neun bis fünf an diesem Schreibtisch zu sitzen. Trotzdem: Sie brauchte einen neuen Job, auch wenn Luke und sie keine Miete bezahlen mussten, weil Luke das Haus gehörte.

Zum Glück konnte sie sich bei der Suche nach einer neuen Stelle etwas Zeit lassen und würde nicht das Erstbeste nehmen müssen. So könnte sie vielleicht ein bisschen mehr Zeit in ihren kleinen Onlineshop stecken, in dem sie selbst designte Kleidung verkaufte. Von den Verkäufen würde sie allerdings nie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Sie raffte ihre Sachen zusammen und ging hoch erhobenen Hauptes zwischen den Kollegen hindurch zur verglasten Tür des Großraumbüros.

Sie öffnete die Tür leise und schloss sie mit einem Knall. Wieso, verdammt noch mal, hatten sie ausgerechnet ihr gekündigt? Es gab mit Sicherheit weniger talentierte Kollegen in der Firma, die noch kürzer bei Wearflowers arbeiteten. Vielleicht war aber genau das das Problem. Eve hatte bei ihrer Arbeit mehr als einmal die präzisen Vorgaben etwas freier interpretiert. Sich nicht immer ganz genau an die Richtlinien gehalten. Hin und wieder hatte sie versucht, aus den strengen Vorschriften auszubrechen, hatte eigene Ideen eingewoben. Das hatte sie nun davon.

Schon bei der ersten Ermahnung hätte sie einlenken sollen. Damals hatte man sie darauf hingewiesen, dass sie schließlich nicht als Designerin angestellt wäre, sondern lediglich als Grafikerin für die Kataloge. Und man habe nun schon seit Jahren genaue Vorstellungen davon, wie diese Kataloge gestaltet würden. Vorstellungen, die auf hervorragenden Erfahrungen beruhten. Eve seufzte und rannte die Treppe hinunter, ihre Unterlagen eng an die Brust gepresst.

Kurz bevor sie das Erdgeschoss erreichte, wurden ihre Schritte wieder etwas langsamer. Zwei unangenehme Gespräche standen ihr bevor: Sie musste es Luke sagen und ihrer Mutter. Eve schluckte, aber dann straffte sie ihre Schultern und trat auf die Straße.

Einen Moment blieb sie stehen, schloss die Augen, ließ den kühlen Wind durch ihre Haare streichen und lauschte den Geräuschen der Stadt. Das Rauschen der vorbeifahrenden Autos, ein paar Gesprächsfetzen anderer Passanten und das Hupen eines Busses beruhigten sie. Kurz würde sie sich diesen Luxus gönnen. Dann wandte Eve sich nach links, um zur U-Bahn-Station zu gehen. Im nächsten Augenblick rammte sie etwas Großes, knickte auf einem ihrer Absätze um und taumelte rückwärts. Sie landete unsanft in fremden Armen. Armen von jemandem mit muskulöser Brust, der unwiderstehlich nach einem herben Rasierwasser duftete. Eves Knie wurden weich.

„Hoppla“, sagte eine tiefe Stimme an ihrem Ohr. „Alles okay?“

Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus. Ihr Herz machte einen Sprung. Bis sie die Stimme erkannte. War das nicht …?

Endlich fanden ihre Füße einen sicheren Halt, und sie machte sich los. Vor ihr stand Phil O’Connell, der „böse“ Geschäftsführer von Wearflowers. Er sah sie nicht einmal an, sondern hielt den Blick auf sein Smartphone gesenkt, während er mit fliegenden Fingern eine vermutlich wahnsinnig wichtige Nachricht tippte. Das konnte nicht sein.

Eve wappnete sich und drehte sich um. Tatsächlich, da stand Daniel. Daniel O’Connell, der „gute“ Geschäftsführer, gesegnet mit so dunklen, warmen Augen, dass Eves Knie schon wieder weich wurden. In der Eingangshalle von Wearflowers hing ein riesiges Porträt von ihm neben dem seines Bruders, persönlich begegnet war sie Daniel ja nur das eine Mal, und seinem Blick nach zu urteilen, erinnerte er sich nicht daran.

Den Gerüchten zufolge war er morgens schon lange vor Eves Arbeitsbeginn in seinem Büro, nahm nie den Weg durch das Großraumbüro, in dem sie saß. Gesessen hatte. Und abends ging er weit nach allen anderen. Vielleicht schlief er sogar im Büro, wer wusste das schon. Ein waschechter Workaholic, Geschäftsführer durch und durch. Also niemand, mit dem Eve mehr zu tun haben wollte.

Daniel zwinkerte ihr zu, dann ging er mit schnellen Schritten seinem Bruder hinterher auf die Eingangstür von Wearflowers zu. Er war groß und sah auch von hinten wahnsinnig gut aus. Wie es wohl wäre, von ihm …? Stopp!

Wut brandete in Eve auf und vertrieb schließlich das weiche Gefühl in ihren Knien. Sie stemmte die Hände in die Seiten und starrte Daniel hinterher. Dann sah sie auf die Straße, wo ihre Tasche lag und all ihre Unterlagen, die sie eben noch getragen hatte. Ihr Arbeitszeugnis wehte in diesem Moment in eine Pfütze. Eve schrie die geschlossene Drehtür von Wearflowers an: „Vielen Dank für Ihre Hilfe! Sie sind ein wahrer Gentleman!“

Immerhin hat er dich aufgefangen, meldete sich eine leise Stimme in ihrem Inneren. „Na toll“, schimpfte Eve und sammelte ihre Sachen wieder ein. Als sie ihr Kündigungsschreiben aufhob, stutzte sie. Ausgerechnet er hatte es unterschrieben. Daniel O’Connell, sie konnte seine leserliche Unterschrift mühelos entziffern. Daniel, derselbe Mann, für den sie vor nicht einmal einer Woche ein Geburtstagsgeschenk besorgt hatte, und derselbe Mann, der sie eben aufgefangen hatte. Er hatte keine Miene verzogen, ihr weder alles Gute für die Zukunft gewünscht noch ihr die Sache erklärt. Nichts! Vermutlich kannte er sie gar nicht, wusste nicht einmal, dass sie bei ihm gearbeitet hatte.

Eve holte tief Luft und schulterte ihre Tasche. Sie stöhnte auf, als sie die Laufmasche an ihrem linken Knie sah und die Matschflecken auf ihrem neuen karamellfarbenen Rock, an dem sie Stunden genäht hatte. Sie strich über die schräg verlaufenden Volants und rieb kurz an dem Fleck herum. Völlig zwecklos. Sie seufzte und machte sich auf den Weg zur U-Bahn.

Am Bahnsteig herrschte das übliche Gedränge, und Eve dachte nur kurz daran, dass über ihrem Kopf dieser unmögliche Daniel und sein gefühlskalter Bruder durch die Gänge der Wearflowers-Zentrale liefen und sich vermutlich freuten, dass sie jetzt weniger Personalkosten hatten. Immerhin waren heute mal wieder zwei Angestellte entlassen worden. Neben ihr noch ein Kollege aus dem Einkauf. Als sie es heute Morgen gehört hatte, hatte sie noch nicht damit gerechnet, dass sie sein Schicksal teilen würde.

Gemeinsam mit Touristen und Londonern quetschte sich Eve in die U-Bahn und ließ sich auf einen rot karierten Sitz fallen. Sie starrte aus dem Fenster, obwohl die Dunkelheit draußen nur hin und wieder von einem roten Licht abgelöst wurde, das einen schwachen Schimmer im Tunnel verbreitete. Die anderen Menschen spiegelten sich in der Scheibe: Geschäftsleute, Touristen, Studenten.

Eves Blick fiel auf ihr eigenes Spiegelbild. Müde sah sie aus, und ihre Frisur hatte sich beinahe komplett aufgelöst. Sie legte sich die Umhängetasche auf die Beine und stopfte missmutig die Unterlagen hinein. Entschieden zog sie den Reißverschluss zu. Ihren Job zu verlieren war schlimm, aber sie hatte es bisher immer geschafft, ihren Weg weiterzugehen. Das würde auch dieses Mal klappen. Heute Abend würde sie zusammen mit Luke darüber nachdenken, wo und wie sie sich am besten bewerben sollte.

Sie nahm nichts um sich herum wahr, setzte ihre Schritte automatisch, bis sie vor der schicken Doppelhaushälfte stand, die Luke gehörte und in der auch sie seit einem halben Jahr wohnte. Erleichterung durchströmte sie. Endlich war sie zu Hause. Hier konnte man sie nicht einfach hinauswerfen, bloß weil irgendetwas neu strukturiert werden sollte.

Leichtfüßig lief sie die Stufen zur Haustür hinauf, fand auf Anhieb ihren Schlüssel und öffnete die schwarz lackierte Eingangstür, hinter der sie der sonnengelb tapezierte Flur willkommen hieß. Schnell zog Eve ihre nassen Stiefeletten aus, hängte die Jacke auf und ging Richtung Wohnzimmer.

In der Küche brannte Licht. Verwundert sah Eve auf die Uhr. War Luke noch gar nicht zu seinem Meeting aufgebrochen? Ihr wurde leicht ums Herz, weil er sie in zwei Minuten tröstend in die Arme schließen und ihr versichern würde, dass alles gut werden würde.

Das dachte sie aber nur so lange, bis sie Lukes Stimme hörte. Er schrie etwas, und Eves Herz schlug hart gegen ihre Rippen. Ihr allererster Gedanke war, dass er sich verletzt hatte. Aber warum sollte er dann „Janine“ rufen? Und dann hörte Eve eine zweite Stimme. Schrill und eindeutig weiblich. Ganz von selbst trugen Eves Füße sie in die Richtung, aus der die beiden Stimmen kamen. Bis sie in der Küchentür stand und Luke anstarrte. Er musste ihren Blick im Rücken gespürt haben, jedenfalls drehte er sich um.

„Warum bist du nicht im Büro?“, fragte er. Es klang argwöhnisch und nicht im Mindesten besorgt um Eve.

„Ich …“ Eve starrte erst auf Lukes Beine. Seine schwarze Hose hing auf dem Fußboden um seine Knöchel. Sein Jackett bedeckte das meiste von seinem Hintern. Um seine Hüfte waren zwei bestrumpfte Beine geschlungen. Mitsamt hochhackigen Schuhen aus schwarzem Lackleder. Viel mehr konnte Eve von der fremden Frau nicht sehen. Nur ihre Hände und nackten Arme. Sie hatte lackierte Fingernägel. In einem sehr hübschen dunklen Rot. Die Gedanken in Eves Kopf waren auf einmal zu einem undurchdringlichen Knäuel geworden. Sie wusste nicht mehr, was sie sagen wollte.

„Mach jetzt kein Drama“, sagte Luke. Er löste sich von der Frau und drehte sich ganz zu Eve herum. Die Hose ließ er, wo sie war. Merkwürdigerweise sah er nicht lächerlich aus, sondern eher so, als wollte er gleich da weitermachen, wo er aufgehört hatte. Eve fröstelte und presste ihre Tasche eng an sich.

„Wer ist das?“, fragte sie. Den Namen hatte sie gehört, und eigentlich war es auch völlig egal, wer das war. Luke hatte sie betrogen! Ganz langsam drang diese Erkenntnis zu Eve durch. Ihr wurde noch kälter, und sie begann zu zittern.

Er strich sich mit einer Hand durch die Haare, mit der anderen tätschelte er das Knie der Frau, die jetzt neugierig zu Eve herübersah. Sie war blond, ihr Lippenstift war verschmiert, aber ihre Frisur saß perfekt. Eve kannte sie nicht. Sie konzentrierte sich auf die glitzernden Ohrringe der Frau.

Leise wechselte Luke ein paar Worte mit der Blondine, während Eve einfach dastand, weil ihre Beine nicht auf sie hören wollten. Sie musste hier raus! Schon kam Luke auf sie zu. Er hatte seine Hose hochgezogen und schloss gerade den Reißverschluss. Dann streckte er seine Hände nach Eve aus.

Sie wich zurück. „Fass mich nicht an“, zischte sie und wunderte sich, dass sie überhaupt sprechen konnte.

„Eve“, sagte er leise. „Ich bitte dich. Wir sind doch beide erwachsen.“

Eigentlich hätte er jetzt sagen müssen, dass die andere Frau ihm nichts bedeutete, dass er nur Eve liebte. Aber das tat er nicht. Stattdessen lauschte Eve seinen Worten und fand sie von Minute zu Minute merkwürdiger. „Du hast doch bestimmt auch schon gemerkt, dass es mit uns nicht mehr läuft. Schon eine ganze Weile. Es war ja nur eine Frage der Zeit …“ Er brach ab. „Jetzt weißt du es endlich.“

„Nein“, sagte Eve. Zu mehr fehlte ihr die Kraft.

„Wenn du willst, können wir noch mal reden, sobald du dich beruhigt hast.“

Reden. Er wollte die andere. Eve starrte ihn ungläubig an. „Wie lange geht das schon?“, fragte sie. Endlich wich die Taubheit in ihrem Inneren der Wut. Was war das denn für ein Tag? Sie schlug Lukes Hand weg und hielt beide Hände hoch, wie eine Art Warnung. „Nein. Ich will es nicht wissen. Schick sie weg.“

„Eve …“ Jetzt sah Luke zum ersten Mal beunruhigt aus. „Hör mal, das hier ist mein Haus.“

Eve schluckte. Lukes Stimme klang fremd in ihren Ohren. Er klang genauso fremd, wie er auf einmal aussah. „Das ist nicht dein Ernst!“ Die ganze aufgestaute Wut brach auf einmal aus ihr heraus.

„Du und ich … das ist einfach nicht mehr richtig.“

„Seit wann? Ach, vergiss es.“ Sie funkelte ihn an.

„Mein Gott, Eve, stell dich doch nicht so begriffsstutzig an. Das wirst du doch verstehen. Denk mal an mich. Die Beförderung ist wichtig, und ich brauche eine angemessene Partnerin an meiner Seite.“

„Eine, die häufiger in der Küche steht, oder was?“, fragte sie.

„Eine, die mich unterstützt und die etwas hermacht.“ Sein Blick huschte zu Eves nassem Rock. „Eine schöne, erfolgreiche Frau mit Klasse. Hübsch und kreativ ist nicht das Richtige für mich. Das musst du doch zugeben. Es tut mir leid.“

Eve ballte ihre Hände zu Fäusten. „Du wirfst mich raus?“, begann sie. „Du betrügst mich mit einer anderen, und dann setzt du mich auch noch vor die Tür?“ Sie wartete nicht auf seine Antwort. Die kannte sie ohnehin. „Um zwei komme ich wieder und hole meine Sachen“, sagte sie mit fester Stimme. „Ich will keinen von euch sehen. Das bist du mir schuldig.“

Luke nickte. Eve drehte sich um und ließ ihn einfach stehen. Heiße Tränen verschleierten ihren Blick. Sie hatte also an diesem verfluchten Montag nicht nur ihren Job, sondern auch ihre Wohnung verloren. Und ihren Freund, mit dem sie seit acht Monaten zusammen war. Sie ging auf direktem Weg zur Haustür, zog sich trockene Stiefel an und einen langen Mantel. Ihre Tasche hielt sie fest umklammert. Mit kalten Fingern öffnete sie die Haustür, vergewisserte sich, dass sie ihren Schlüssel bei sich trug, und knallte die Tür hinter sich zu.

Langsam ging Eve die Straße entlang und verschwand hinter der nächsten Häuserecke. Dann blieb sie stehen. Was war das denn eben gewesen? So kaltschnäuzig hatte sie Luke noch nie erlebt. Offenbar kannte sie ihn nicht richtig. Vor einem halben Jahr hatte sie ihre eigene Wohnung aufgegeben, weil er darauf bestanden hatte, dass sie bei ihm einzog. Hätte sie damals doch nur auf ihre Mutter gehört! Sie solle sich nicht von ihm abhängig machen, hatte sie ihr geraten. Nicht vor einer Heirat mit Ehevertrag. Aber das war Eve nur spießig vorgekommen. Sie liebten sich schließlich, und das musste reichen. Aber offenbar liebte Luke sie jetzt nicht mehr. Sie würde ihn vermutlich nie wiedersehen.

Erneut schossen ihr Tränen in die Augen, und sie ließ sich auf eine niedrige Mauer sinken. Lange starrte sie einfach auf die gegenüberliegende Straßenseite, auf die Baumkronen im Park. Irgendwann, als sie spürte, wie die Kälte durch ihre Kleider kroch, warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war genau zwölf Uhr mittags. Wohin sollte sie gehen? Alle ihre Freunde arbeiteten jetzt. Da klingelte ihr Handy. Eve nahm das Gespräch an, ohne nachzusehen, wer es war.

„Ja?“, meldete sie sich.

„Du hast doch gerade Mittagspause“, hörte sie die Stimme ihrer Mutter, die sich wie immer nicht mit einer Begrüßung aufhielt. „Wir haben uns ewig nicht gesehen. Ein schneller Lunch bei Veggie Hunt?“

„Okay.“ Eve fühlte sich nicht in der Lage, zu widersprechen. Sie musste irgendwohin, wo es warm und trocken war. Die Fragen ihrer Mutter würde sie auch noch aushalten. Viel schlimmer konnte der Tag ohnehin nicht werden.

Eve fuhr zurück ins Zentrum, wo ihre Mutter arbeitete und wo das kleine Bistro Veggie Hunt lag. Schon die erleuchteten Fenster gaben ihr an diesem grauen Tag etwas Hoffnung. Ihr Magen knurrte, und sie versuchte sich einfach darauf zu konzentrieren, dass sie gleich eine warme Suppe essen konnte.

Bevor sie die Tür des Bistros aufstieß, verzog sie ihren Mund zu einem Lächeln, das leider nicht den Effekt hatte, den sie sich erhoffte. Caroline Lancaster, ihre Mutter, saß an einem kleinen Tisch am Fenster und sah in diesem Moment von ihrem Smartphone auf. Sie winkte Eve zu sich, und noch während sie näher kam, nahm das Gesicht ihrer Mutter einen besorgten Ausdruck an.

Eve ließ sich auf den Platz gegenüber ihrer Mutter fallen. Ihre Beine fühlten sich auf einmal an, als wären sie aus leichtem Baumwollstoff und nicht so, als könnten sie Eve noch irgendwohin tragen. Mit einem Seufzen hängte sie ihre Tasche über die Stuhllehne.

„Was ist passiert?“, fragte ihre Mutter.

„Ich wurde entlassen. Luke hat eine andere, und ich habe keine Wohnung mehr.“ Es hatte keinen Sinn, lange darum herumzureden. Effiziente, direkte Antworten waren das Einzige, worauf Caroline Lancaster sich einließ.

Für einen winzigen Moment war Eves Mutter sprachlos. Dann drückte sie kurz Eves Hand, schloss zwei Sekunden lang die Augen, bevor sie Eve direkt ansah. „Das tut mir leid. Aber im Grunde ist es eine gute Entwicklung.“

„Wie meinst du das?“ Eve glaubte nicht, was sie da hörte. War ihre Mutter verrückt geworden?

„Dann hast du endlich Zeit, BWL zu studieren, und kannst eine vernünftige Karriere beginnen. Bis du eine neue Wohnung gefunden hast, kannst du in meinem Gästeapartment wohnen.“

In diesem Moment kam eine Kellnerin und brachte zwei Suppen des Tages, zwei große Salate und eine Flasche stilles Mineralwasser. Das alles hatte Eves Mutter wohl schon vorab bestellt, wie immer. Normalerweise ärgerte sich Eve darüber, aber heute war diese Kleinigkeit eine Nebensache. Sie war froh, dass sie sich nicht selbst für ein Gericht entscheiden musste.

Während die Kellnerin unendlich langsam alle Speisen, Gläser, Besteck und die Wasserflasche auf dem Tisch arrangierte und anschließend die Bestellung von zwei Latte macchiato entgegennahm, rasten Eves Gedanken. Sie hatte sie noch nicht geordnet, aber eins wusste sie ganz sicher: Weder wollte sie BWL studieren noch bei ihrer Mutter wohnen. Selbst wenn sie im Gästeapartment unterkäme und sie sich nicht jeden Tag sehen würden. Eve wollte ihr Leben selbst in die Hand nehmen, und sie würde es schaffen.

„Ich habe bereits etwas anderes“, hörte sie sich sagen.

Ihre Mutter zog die Augenbrauen hoch und stach ihre Gabel in den Salat.

„Kreta“, sagte Eve und nahm einen Schluck Wasser, während sich der Gedanke weiter verfestigte. „Ich helfe Alexandra in ihrer Pension aus.“

„Übergangsweise“, sagte ihre Mutter bestimmt. „Danach studierst du BWL.“

Eve wusste, dass es zwecklos war, ihr zu widersprechen. Sie betete, dass ihre Schulfreundin Alexandra noch immer eine Unterkunft für sie haben würde, wie sie es versprochen hatte. Seitdem sich die beiden in der siebten Klasse kennengelernt hatten, war Eve beinahe jedes Jahr in den Ferien für mindestens zwei Wochen nach Kreta gereist und hatte in der Pension von Alexandras Familie gejobbt. Nach dem Tod von Alexandras Großmutter hatte Alexandra den Betrieb übernommen und die Pension im letzten Jahr renoviert. Leider hatte Eve während ihrer Probezeit bei Wearflowers keinen Urlaub nehmen dürfen, und davor war ihr auch immer etwas dazwischengekommen. So hatte sie lediglich Fotos von Alexandras Renovierungsfortschritten gesehen.

Ja, ihre Freundin zu besuchen war eine sehr gute Idee. Abstand, Sonnenwärme und jemanden zum Reden, außerdem Arbeit bis zum Umfallen. Das würde sie ablenken. Immerhin eine Lösung für die nächsten Wochen, danach musste sie weitersehen.

Obwohl Eve es nicht eine Sekunde in Erwägung zog, BWL zu studieren, nickte sie. Bis zum Herbst musste sie also einen neuen Job und eine Wohnung finden.

Draußen wurde es fast schon wieder hell, als Phil und Daniel aus einem der exklusivsten Clubs der Stadt traten. Daniel wusste nicht mehr, wie viel Champagner er getrunken hatte. Irgendjemand hatte sein Glas ständig nachgefüllt. Jedenfalls spürte er noch immer eine angenehme Leichtigkeit. Phil sah mit zusammengekniffenen Augen auf sein Smartphone und ignorierte seinen Bruder, wie er es auch die meiste Zeit im Club getan hatte. Daniel war froh gewesen, dass wenigstens die Abteilungsleiter von Wearflowers zu der Feier gekommen waren. Sonst hätte er sich den ganzen Abend mit niemandem unterhalten können. Beinahe hatte Daniel mit Phils Absage gerechnet, aber er war erschienen, auch wenn man ihn kaum bemerkt hatte.

Und dass er überhaupt aufgetaucht war, lag vermutlich daran, dass er es ihrem Vater nicht hätte erklären können, warum er den Erfolg der Firma nicht feierte. Es wurde erwartet, dass die Brüder gesittet miteinander umgingen. Von ihrem Vater und ihrer Mutter gleichermaßen, auch wenn zumindest ihre Mutter das nie offen ausgesprochen hätte.

„Kann dich Grace nicht abholen?“, fragte Daniel. Er konnte es einfach nicht lassen, Phil auf seine Frau anzusprechen. „Sie könnte mich dann auch mitnehmen, ganz wie in alten Zeiten.“ Er zwinkerte Phil zu und grinste innerlich darüber, dass sich Phils Blick noch weiter verfinsterte.

„Das ist doch ewig her. Es war vorbei zwischen euch!“

Daniel betrachtete ihn eine Weile. Erst jetzt registrierte er, was sein Bruder geantwortet hatte. „Vorbei? Du träumst wohl. Wenn du sie nicht Tag und Nacht belagert hättest …“ Daniel steuerte auf seinen Sportwagen zu, der wenige Meter weiter die Straße runter geparkt war. „Du hast ihr keine Wahl gelassen.“

„Ruf dir ein Taxi“, sagte Phil. „Nach dem Champagner solltest du nicht mehr fahren.“

„Wieso interessiert dich das? Vielleicht kriegst du dann auch noch meinen Job, wenn du es geschickt anstellst. Mit deinem Arbeitseifer schaffst du es spielend, die Firma auch alleine zu führen. Dafür lobt Vater dich doch immer.“ Es klang bitter, das hörte Daniel selbst, aber jetzt konnte er die Worte nicht mehr zurücknehmen.

„Ich meine es ernst.“

„Ich hole nur etwas aus dem Wagen“, sagte Daniel und öffnete die Tür. Aus dem Handschuhfach nahm er ein Notizbuch und steckte es in seine Jacketttasche. Sollte er ein Stück laufen und sich ein Taxi nehmen? Zu dumm, dass sein Fahrer ausgerechnet jetzt Urlaub hatte.

Daniel dachte an damals. Er konnte sich genau daran erinnern, wie merkwürdig sich Grace an dem Abend verhalten hatte. Es war lange her, ja, und natürlich war er mittlerweile über den Schmerz hinweg, aber es ging ums Prinzip. Phil wollte immer das, was Daniel hatte. Und wenn nicht genau das, dann etwas Besseres. Daniels Freundin hatte sich damals verliebt, ausgerechnet in seinen Bruder, mit dem sie jetzt sogar verheiratet war.

Als Daniel ihn zur Rede gestellt hatte, hatte Phil gegrinst. Nur ganz kurz, aber es war dieses Grinsen, das viel präsenter in Daniels Erinnerungen war als die halbherzige Entschuldigung, die darauf folgte. Und was sollte er mit einer Entschuldigung anfangen? Er hatte sie nicht einmal schriftlich, sodass er sie an eine Dartscheibe hätte hängen können, um jeden Tag einen Pfeil darauf zu werfen. Jetzt wohnte Grace mit Phil zusammen, trug den gleichen Ring wie er, und sie war schwanger. Von Phil.

Selbst Kinder zu haben, konnte sich Daniel zwar nicht vorstellen, aber darum ging es auch nicht. Er hatte seit Grace keine feste Beziehung mehr gehabt, und das war auch nicht nötig. Sein Leben gefiel ihm, so wie es war. Er war zufrieden. Warum war dieses Gefühl nach einem Abend mit seinem Bruder dann wie weggewischt?

Früher, zu Schulzeiten, waren sie immer füreinander da gewesen, als sie im Internat neu gewesen waren, weit weg von zu Hause. Der eine hatte den anderen verteidigt, sie hatten sich gegenseitig geholfen, bei Problemen, beim ersten Liebeskummer, bei allem, hatten gerne Zeit miteinander verbracht. Aber das war lange her. Nach der Sache mit Grace … Daniel warf einen Blick zu Phil hinüber, der mit gelangweilter Miene in das Mikrofon seines Handys sprach.

„Ja, Sie müssten einen kurzen Schlenker fahren, mein Bruder muss auch nach Hause. Wir haben gefeiert.“ Phil lachte kurz und freudlos und beendete das Gespräch.

Daniel ärgerte sich, dass er nicht selbst fahren konnte, aber natürlich hatte Phil recht: Es war keine gute Idee. Zwar fühlte er sich nicht betrunken, aber wenn er in eine Kontrolle geriet, musste er mit einer Strafe rechnen. Und er wollte niemanden gefährden. Lieber würde er in den sauren Apfel beißen und zehn Minuten mit seinem Bruder im selben Auto sitzen.

In diesem Moment nahm Daniel eine Bewegung am Ende der Straße wahr. Eine dunkel gekleidete Person kam überraschend schnell auf sie zu. Noch konnte Daniel nichts Genaues erkennen, aber irgendetwas an der Gestalt zog seinen Blick magisch an. Nach ein paar weiteren Schritten war er sich sicher, dass es eine Frau war. Sie trug einen taillierten schwarzen Mantel und hatte ein glitzerndes Tuch um die Schultern gebunden, an ihrem Arm baumelte eine Tasche, die bei jedem Schritt zu blinken schien. Ob sie in den Club wollte?

„Steigt hier irgendwo eine Kostümparty?“, sagte Phil und grinste.

Daniel antwortete nicht und beobachtete die Frau weiter. Sie war hübsch, und ihre dunklen Augen waren auf ihn gerichtet. Auf einmal beschleunigte sich sein Herzschlag, und er blinzelte. Im nächsten Moment stand sie vor ihm.

„Guten Abend“, murmelte Daniel und konnte den Blick nicht von ihr lösen. „Haben Sie sich verlaufen?“ Etwas anderes fiel ihm beim besten Willen nicht ein. Er ging einen Schritt zur Seite. Vielleicht wollte sie wirklich in den Club, war eine Tänzerin oder so.

„Guten Abend“, sagte die Frau und musterte ihn freundlich. Sie nickte wie zur Bestätigung.

Ihr Schweigen machte ihn nervös, sodass er weitersprach: „Wo möchten Sie denn hin?“

„Zu dir“, sagte sie und sah Daniel so durchdringend an, dass sein Herz erst einen Schlag aussetzte und dann in wildem Rhythmus weiterschlug. Warum ausgerechnet zu ihm? Kannte sie ihn? Er suchte in seiner Erinnerung nach ihrem Gesicht, fand aber nichts. Zu dumm, dass er ein wirklich schlechtes Gedächtnis für Gesichter hatte. Es gab dafür sogar einen lateinischen Ausdruck, aber den hatte Daniel sich natürlich auch nicht gemerkt. Vielleicht war ihr Spruch aber auch nur eine Floskel.

„Willst du uns nicht vorstellen?“, fragte Phil an Daniel gewandt.

„Das ist nicht nötig“, sagte die Fremde. „Ich werde euch nicht lange aufhalten.“ Langsam streckte sie ihre Finger aus und ergriff Daniels Hand. Die Berührung war leicht und warm, und Daniel war so perplex, dass er nicht daran dachte, seine Hand wegzuziehen. „Lass mich einen Blick auf deine Hand werfen. Du wirst es nicht bereuen. Ich sage dir, was ich sehe.“

„Sie sind doch verrückt“, sagte Phil, und Daniel merkte, wie sein Bruder die fremde Frau anstarrte.

„Es wird nicht lange dauern“, erwiderte sie, löste ihren Blick von Daniels Augen und widmete sich seiner Hand. „Ich kenne mich damit aus.“

Fasziniert beobachtete Daniel, wie sie mit einer warmen Fingerkuppe über die Linien in seiner Handfläche fuhr und dabei unverständliche Worte murmelte.

Ein Wagen kam die Straße herunter. Noch bevor er anhielt, wandte sich die Fremde an Daniel und sah ihm tief in die Augen. „Dein Glück wartet auf Kreta. Eine große Liebe.“ Mehr sagte sie nicht. Dann ließ sie seine Hand los und drehte sich um. Sie verschwand in einem der Gärten, bevor Daniel sie auch nur nach ihrem Namen fragen konnte oder wie sie auf die Idee gekommen war, ihm aus der Hand zu lesen. Verrückt.

Der Wagen hielt neben Daniel und Phil an. Aus dem Augenwinkel nahm Daniel wahr, wie sein Bruder einstieg. „Brauchst du eine Extraeinladung? Ich habe nicht den ganzen Abend Zeit.“

„Gut“, sagte Daniel, mehr zu sich selbst, umrundete den Wagen und glitt auf den Rücksitz neben Phil. Es wäre schließlich völlig albern, sich ein Taxi zu rufen, das wer weiß wann auftauchen würde, wenn sein Bruder ohnehin in die gleiche Richtung fuhr. Außerdem wollte er sich vor Phils Fahrer nicht die Blöße geben. Er grüßte den Chauffeur beim Einsteigen und wechselte ein paar Worte mit ihm.

Phil musterte Daniel ausgiebig. „Du glaubst doch nicht, was die Frau gesagt hat, oder?“

Eigentlich wollte Daniel etwas Schnippisches, Geistreiches antworten, aber die Worte verließen seinen Mund so schnell, dass er kaum darüber nachdenken konnte: „Mein Glück wartet auf Kreta.“

Phil lachte laut auf, aber dann wurde er plötzlich ernst. „Was hältst du von einer Wette?“

Etwas an Phils Stimme beunruhigte Daniel, aber einen Wettkampf gegen seinen Bruder konnte er nie ausschlagen. „Einer Wette?“, fragte er.

„Du hast doch die nächsten beiden Wochen Urlaub. Wie wäre es, wenn du umbuchst? Kreta“, schlug Phil vor. „Eine große Liebe darf man nicht versäumen.“ Er grinste und hielt Daniel seine Hand hin.

Daniel zögerte.

„Ich wette, du findest auf Kreta die Frau deiner Träume. Die Frau fürs Leben. Was kriege ich, wenn ich recht habe?“, fragte Phil.

„Du hast doch schon alles.“ Daniel kniff die Augen zusammen. Ganz leise meldeten sich Zweifel. „Was kannst du denn noch wollen?“

„Ich will Geschäftsführer von Wearflowers sein“, sagte Phil langsam. „Alleine. Dich machen wir zum Abteilungsleiter. Die Abteilung darfst du dir aussuchen.“

Ein völlig abwegiger Gedanke, aber die Wette war so unglaublich, dass Daniel nicht verlieren konnte. Nie und nimmer würde er ausgerechnet in den nächsten beiden Wochen die Frau fürs Leben finden.

In Daniel regte sich ein ungutes Gefühl, aber es verschwand sofort, als Phil ihn angrinste wie früher. In ihrer Kindheit hatte nichts zwischen ihnen gestanden, keine Firma, keine Aktien. Wie schön wäre es, wenn sie wieder so sein könnten wie damals. Nur für diesen einen Moment.

Daniel schlug ein. „Die Wette gilt.“

2. KAPITEL

Am nächsten Tag waren Eves Taschen gepackt und die meisten ihrer Sachen, die sie aus Lukes Wohnung geholt hatte, im Gästeapartment ihrer Mutter untergebracht. Allzu viel war es nicht gewesen, an Möbeln besaß sie nichts mehr bis auf einen kleinen Tisch mit Schubladen voller Nähutensilien, hinzu kamen ihre Nähmaschine, ihre Kleidung, Skizzenbücher, die Sachen aus dem Badezimmer, zwei Kochbücher und eine Handvoll CDs. Von den gemeinsamen Fotos nahm sie kein einziges mit. Der Schmerz saß zu tief. Alexandras Stimme hatte sie am Abend ein Stück aus dem tiefen Loch geholt. Es klang, als könne sie Eves Hilfe sehr gut gebrauchen. Leider war so viel los, dass sie nicht lange hatten sprechen können. Und nun saß Eve endlich am Flughafen. Jetzt, ohne ihren Koffer, den sie bereits abgegeben hatte, und mit der Vorfreude auf Sonne und Meer im Herzen, fühlte sie sich schon bedeutend leichter.

Während des Fluges blätterte Eve in einer Zeitschrift, die sie zu Hause eingesteckt hatte, aber auf die Artikel konzentrieren konnte sie sich nicht, also holte sie ihr Skizzenbuch heraus und begann zu zeichnen. Als die Flugbegleiterin darum bat, dass sich die Gäste wieder anschnallten, weil sie zur Landung ansetzten, hatte Eve bereits fünf Kleider entworfen, einen Strickmantel und einen kleinen Cartoon gezeichnet, der sich an Luke und dieser blonden Frau rächte. Eve warf einen Blick aus dem Flugzeugfenster. Strahlendes Blau. Der Himmel und das Meer tief unter ihnen. Es sah heiß aus, und Eves Herz machte einen Satz. Gleich würde sie das Meer riechen. Und endlich Alexandra wiedersehen! Es war bereits zwei Jahre her, dass sie sich zuletzt getroffen hatten. Die Übernahme der Pension hatte Alexandra wenig Freizeit gelassen, und bei Eve war immer irgendetwas dazwischengekommen, besonders seitdem sie mit Luke zusammen gewesen war. Zur Beerdigung von Alexandras Großmutter war Eve das letzte Mal auf Kreta gewesen.

Mit schnellen Schritten lief Eve durch einen breiten Gang zur Empfangshalle des Flughafens. Alexandra stand ganz vorne, sie trug eine zitronengelbe Bluse mit einer weißen Leinenhose und breitete die Arme aus, als sie Eve sah. Die Umarmung tat so gut. „Ich freue mich, dass du da bist, und ganz ehrlich, ich kann deine Hilfe wirklich gut gebrauchen!“

„Das ist schön.“ Sie lösten sich voneinander und traten nach draußen. Die Wärme der Sonne umhüllte Eve und vertrieb die dunklen Bilder des Morgens. Mit geschlossenen Augen reckte sie ihr Gesicht zum klaren blauen Himmel. „Ich bin schon viel zu lange nicht mehr hier gewesen“, sagte sie, ließ ihren Koffer los und tanzte einmal im Kreis. Alexandra lachte.

„Ganz wie früher. Komm!“

In Alexandras kleinem Fiat fuhren sie über die Inselstraße nach Platanias, dem Ort, in dem sich Alexandras Pension befand. Eves Blick folgte der Straße, sie sah sich die Häuser in den Dörfern an, durch die sie fuhren, aber immer wieder reckte sie den Hals, um das Meer zu sehen.

Die Sonne stand hoch am Himmel, und das Wasser leuchtete von hier oben betrachtet dunkelblau und an manchen Stellen sogar türkis. Vereinzelte Kiefern säumten die Straße, im Wechsel mit von der Sonne verblichenen, ungemähten Wiesen und Feldern voller knorriger Olivenbäume. Während der zweistündigen Autofahrt erzählte Alexandra ein paar lustige Anekdoten von ihren Gästen, aber nach einer Weile warf sie einen Blick zu Eve. „Du hast mir nicht alles erzählt, stimmt’s? Du wolltest nicht einfach nur Urlaub machen.“

Eve schloss die Augen, dann nickte sie. Heiße Tränen rannen über ihre Wangen. „Es war ein bisschen viel“, sagte sie, und ihre Stimme klang merkwürdig dünn.

„Was genau?“, fragte Alexandra, lenkte den Wagen auf einen sandigen Parkplatz neben der Straße und stellte den Motor ab. Als Eve nicht reagierte, weil sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte, stieg Alexandra aus. Einen kurzen Moment später öffnete sie Eves Tür, griff nach ihrer Hand, zog sie aus dem Wagen und schloss sie in die Arme. Jetzt musste Eve richtig weinen. Die Tränen liefen in Alexandras Haare, während die Sonne auf Eves Kopf brannte. Die Wärme tat gut und Alexandras Arme um sich zu haben ebenfalls. Schließlich versiegten die Schluchzer, und Alexandra löste sich vorsichtig von Eve. Sie zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und reichte es ihr.

„Wollen wir uns kurz setzen?“, fragte Alexandra und deutete auf einen flachen Felsen am Rande des Parkplatzes. Eve fühlte sich auf einmal so schwach, dass Sitzen nach einer richtig guten Idee klang. Sie folgte ihrer Freundin zu dem Stein. Eine Weile hörte Eve nur das Rauschen der Wellen weit unter ihnen. Es roch nach Sand und Salz, sogar von hier oben. Eine niedrig gewachsene Platane warf etwas Schatten auf die beiden jungen Frauen, und irgendwo in der Nähe begannen die Grillen zu zirpen. Vielleicht hatten sie darauf gewartet, dass die beiden Freundinnen ihrem Lied wieder zuhören konnten. Eve wischte sich die letzten Tränen von den Wangen und wandte sich Alexandra zu. Die schob ihre Sonnenbrille ins Haar und musterte Eve. „Ist etwas mit Luke?“, fragte sie. „Oder deiner Mutter? Will sie immer noch, dass du BWL studierst, und sieht nicht ein, dass du längst einen guten Job hast?“

„Alles“, sagte Eve. „Und nichts. Ich habe keinen Job mehr, und Luke ist auch Geschichte.“ Sie schluckte, seufzte und erzählte dann in aller Ruhe, was passiert war.

„Das hätte ich nicht von Luke gedacht“, sagte Alexandra. Sie klang ehrlich erstaunt, aber auch ein bisschen wütend.

„Ich auch nicht“, gab Eve zu. „So richtig hat mich der Schock wohl noch nicht erreicht. Aber weißt du, was seltsam ist? Am meisten bin ich auf diesen Daniel sauer. Und er ist derjenige, an den ich ständig denken muss, das macht mich noch saurer.“

„Welcher Daniel?“ Alexandra sah sie aufmerksam an.

„Daniel O’Connell, der meine Kündigung unterschrieben hat.“ Eve seufzte.

„Jemand von Wearflowers also, Personalabteilung?“ Alexandra zupfte eine Strähne hinter ihrem Ohr hervor und wickelte sie um ihren Finger.

„Nein, mein Ex-Chef. Einer der beiden Geschäftsführer von Wearflowers.“

„Hm“, machte Alexandra. „Ich schätze, er hat die Kündigung nicht mal gelesen und weiß gar nicht, wem er da gekündigt hat. Hast du nicht erzählt, dass ihr über zweihundert Mitarbeiter hattet? Vermutlich kennt er nicht mal die Hälfte persönlich. Hat er sich oft blicken lassen?“

„Nein, eigentlich nicht. Er war meistens schon vor allen anderen bei der Arbeit und ist nach allen anderen gegangen. Ich glaube, er saß so gut wie immer in seinem Büro. Vielleicht hat er sogar dort geschlafen.“ Eve zuckte mit den Schultern. „Trotzdem. Man weiß doch wohl, wem man kündigt. Das ist ja keine Kleinigkeit. Nachdem ich zum letzten Mal aus dem Büro gegangen bin, hat er mich auf der Straße aufgefangen, als mich sein Bruder umgerannt hat. Er hat mir nicht mal alles Gute für die Zukunft gewünscht.“ Eve musste wieder an Daniels tiefe Stimme denken, ganz dicht an ihrem Ohr, und an sein Aftershave, welches sie auf einmal wieder in der Nase hatte. Sie schüttelte den Kopf über sich.

„Der Idiot, vergiss ihn doch. Er hat es wirklich nicht verdient, dass du an ihn denkst. Ist er wenigstens unansehnlich?“, fragte Alexandra mit einem Grinsen.

„Nein. Ganz und gar nicht.“ Eve seufzte. „Ein Idiot ist er natürlich trotzdem.“ Was würde er wohl sagen, wenn er wüsste, dass sich eine ehemalige Mitarbeiterin gerade am schönsten Fleck der Erde mit ihrer Freundin über ihn unterhielt und ihn auch noch einen Idioten schimpfte, während er in seinem grauen Büro saß? Sie musste lächeln bei diesem Gedanken. „Am besten, ich vergesse Daniel einfach und lasse diese unschöne Episode hinter mir.“

„Daniel? Wer ist das?“ Alexandra grinste, und sie schlenderten wieder zurück zum Wagen.

Es war nicht mehr weit zu Alexandras Pension, und Eve war froh, dass ihre Freundin sie nicht drängte, die ganzen hässlichen Details zu erzählen. Eve tat es trotzdem. Die Worte und Gefühle sprudelten nur so aus ihr heraus, und bald wurde ihr Herz ein ganz klein wenig leichter. Ihr fiel erst auf, dass sie angekommen waren, als Alexandra parkte und den Motor abstellte.

Ihre Freundin hatte die ganze Zeit geduldig zugehört. „Idioten“, sagte Alexandra schließlich. „Alle beide. Dieser Daniel, der dich nicht mal kennt, und natürlich Luke, der dich nicht zu schätzen weiß. Was soll denn das heißen: Hübsch und kreativ passe nicht zu ihm? Das gibt’s doch nicht!“ Alexandra konnte sich immer so gut aufregen, und Eve musste lachen. „Aber wenn ich das jetzt so höre, hat er natürlich recht. Zu so einem Idioten passt du nicht. Luke hat dich einfach nicht verdient.“ Abwehrend hob Alexandra die Hände. „Auch wenn das ein Spruch ist, mit dem mich mein Großvater immer in den Wahnsinn getrieben hat, jetzt passt er. Tausendprozentig.“

„Danke“, sagte Eve. „Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber es klingt gut.“

„Komm, auf den Schreck musst du erst einmal etwas essen, nichts hilft bei grauer Laune besser als Farben und Vitamine!“ Alexandra sprang lachend aus dem Wagen.

„Auch ein Spruch deines Großvaters?“, fragte Eve und musste lächeln.

Ihre Freundin nickte und hievte Eves Gepäck aus dem Kofferraum. „Großvater kann nicht mehr alles sehen, mit seinen Augen, meine ich, aber mit dem Herzen sieht er einfach alles. Nur manchmal hängt er in der Vergangenheit fest, bei Großmutter, und auch das kann ich gut verstehen.“

Sie betraten das Haus durch einen Hintereingang. Der Flur war frisch gestrichen, und Eve konnte einen Blick in die Küche werfen, als sie daran vorbeikamen. Hier war alles noch so wie damals, als Alexandras Großeltern die Pension geführt hatten.

Wie oft hatte sie als Teenager mit Alexandra hier gesessen und Großmutter Evgeni zugehört, wenn sie von ihrer Jugendzeit erzählt hatte. Die Küche war noch immer ganz in Blau und Weiß gehalten und sah aus wie ein warmer Sommertag mit blauem Himmel und watteweichen Wölkchen.

Für Eve fühlte es sich an, als würde sie nach Hause kommen, und sie seufzte leise. Einen Moment lang musste sie stehen bleiben und den Duft einatmen. Es roch nach frischem Brot und irgendeinem zuckrigen Gebäck. „Es ist so schön wie früher, vielleicht sogar noch schöner“, sagte sie leise.

Alexandra warf ihr einen Seitenblick zu. „Du hast ja die schönsten Zimmer noch gar nicht gesehen. Im ersten Stock habe ich am meisten renoviert. Obwohl ich dir recht geben muss, die Küche eines Hauses ist immer ein guter Anhaltspunkt.“

Der Rest der Pension war ebenso schön und trug ganz eindeutig die Handschrift von Alexandra. Es sah noch viel hübscher aus als auf den Fotos, die Alex ihr geschickt hatte, und überall roch es wunderbar nach sonnenwarmem Holz, Honig und Seife. Als Eve in ihrem Zimmer stand, kamen ihr beinahe schon wieder die Tränen. So fühlte sich das perfekte Zuhause an, und dabei würde sie dieses Zuhause in zehn Wochen ebenfalls wieder verlieren, wenn sie nach der Sommersaison zurück nach London reisen musste, um BWL zu studieren.

Alexandra stellte ihren Koffer ab und deutete auf ein kleines Tablett in der Ecke. „Ich habe dir eine Kleinigkeit zu essen gemacht. Lass es dir schmecken. Ich bin gleich wieder da.“

Nachdem Eve ein paar Oliven und das frische Brot gekostet hatte, ließ sie sich auf das breite Bett fallen. Das Holz knarrte leise unter der Bewegung, und die sauberen Bezüge verströmten einen Duft nach Lavendel. Weil es bereits nachmittags war, hielten sich die meisten Gäste vermutlich am Strand auf oder saßen draußen in der Sonne in irgendeinem kleinen Café im Ort. Eve konnte Schwalben hören und ganz vereinzelte Rufe, die wohl tatsächlich vom Strand herüberwehten. Kinder.

Wie unbeschwert war das Leben noch gewesen, damals, als sie das erste Mal hierhergekommen war. Sie hatte Alexandra in den Schulferien begleitet und beim ersten Mal ihrer Mutter gesagt, dass sie hier jobben würde. Eine andere Art von Ferien, fand Eves Mutter, sei verschwendete Zeit, da kam ihr diese Idee gerade recht. Eve hatte tatsächlich gejobbt, damals unter dem wachsamen Auge von Alexandras Großeltern.

Aufmerksam ließ sie ihren Blick durch das Zimmer streifen. Die Decke war hellblau gestrichen, die Wände in einem etwas dunkleren Blauton, die Fensterrahmen weiß, umrandet von weißen Gardinen. Die Holzmöbel waren ebenfalls weiß lasiert, und an den Wänden hingen gemalte Bilder aus der Gegend. Eine Strandszene mit Möwen, ein Dorf der Insel Santorin mit den typischen blauen Dächern und strahlend weißen Häusern. Auf einem dritten, dem größten der drei, erkannte Alexandra die Pension wieder, ein älterer Herr, der Alexandras Großvater ähnelte, saß auf einem Stuhl neben dem Eingang.

Es klopfte, und Eve richtete sich auf. „Ja?“, rief sie und strich ihre Bluse glatt.

Die Tür wurde geöffnet, und Alexandra steckte ihren Kopf in das Zimmer. „Hast du Lust, dir den Rest des Hauses anzusehen? Zu viel Alleinsein ist nicht gut, wenn man einen so abscheulichen Tag hatte wie du“, sagte sie.

„Klar!“ Eve sprang auf und folgte ihrer Freundin. „Ich helfe dir ab morgen auch gerne beim Frühstückmachen, wenn du magst. Ich stehe ganz gerne früh auf, besonders wenn die Sonne schon scheint. Wann müsste ich denn anfangen?“

„Mein Wecker klingelt um sechs Uhr“, erklärte Alexandra. „Frühstück gibt es von acht bis zehn, auf Wunsch auch eher oder später. Manchmal möchten die Gäste einen der Ausflüge mitmachen, die das Minos Palace nebenan anbietet.“

„Dieses Fünfsternehotel mit der riesigen Poolanlage?“ Eve verzog den Mund. So viele Menschen gingen lieber in einen künstlich angelegten Pool, obwohl sie das wunderschöne Meer direkt vor der Zimmertür hatten. Eve liebte das Meer. Die warmen und kühlen Strömungen im Wasser, den leichten Duft nach Algen und Salz, die Fische, die man im flachen Wasser sehen konnte, das Schaukeln der Wellen. Und die unendliche Weite. Dagegen konnte ein Pool wirklich nur verlieren. Dort roch es nach Chlor, und man konnte, wenn man Pech hatte, nicht in Ruhe schwimmen, weil das Wasser völlig übervölkert war von anderen Gästen.

„Genau das, ich bin ja nur froh, dass es ein Wellnesstempel ist und kein Hotel mit ohrenbetäubend lauter Animation, das würde mir den letzten Nerv rauben.“ Alexandra grinste. „Außerdem passt es nicht zu Yannis.“

„Wer ist Yannis? Gehört ihm das Hotel?“

Alexandra lachte. „Wenn es nach ihm ginge, bald. Yannis ist mein Cousin, das Hotel gehört seinen Eltern, aber er ist seit Kurzem so was wie der Hotelmanager. Manchmal lässt er das ganz schön raushängen.“ Sie verdrehte die Augen. „Aber er ist natürlich trotzdem nett, bestimmt werden wir ihn in den nächsten Tagen mal sehen.“ Kurz huschte ein Schatten über Alexandras Gesicht, aber im nächsten Moment war sich Eve nicht sicher, ob sie sich das nicht eingebildet hatte.

Daniel schloss die Augen, als das Flugzeug gelandet war und seine Parkposition ansteuerte. Er fühlte, wie der Stress langsam von ihm abfiel. Normalerweise liebte er diesen ständig erhöhten Puls, der durch seine Adern raste, dass er immer wach war und aufmerksam, dass immer etwas zu tun war, aber hin und wieder tat so eine Reise wirklich gut.

Wenig später wartete Daniel am Kofferband auf sein Gepäck und machte sich dann auf den Weg in die Haupthalle. Er entdeckte eine hübsche junge Frau mit schwarzen Haaren, die ein Schild mit dem Namen seines Hotels hochhielt. Mit einem erleichterten Lächeln trat Daniel auf sie zu und stellte sich vor.

„Herzlich willkommen auf Kreta!“, sagte die Frau, die laut ihrem Namensschild Elena hieß. „Nehmen Sie Bus 17, der fährt Sie zu Ihrem Hotel.“ Sie hakte seinen Namen auf einer Liste ab und wies nach draußen. In der grellen Nachmittagssonne liefen Reisende und Taxifahrer umher, überall standen Koffer, und alles wirkte wie ein einziges Chaos.

„Vielen Dank“, sagte Daniel und ging in die Richtung, in die Elena gezeigt hatte. Die Kühle der klimatisierten Luft auf Daniels nackten Unterarmen verpuffte. Er atmete tief ein und setzte seine Sonnenbrille auf.

Der Fahrer des Busses stand draußen, hatte eine Zigarette zwischen seinen Lippen und hievte Daniels Koffer in den bereits gut gefüllten Gepäckraum. Daniel bedankte sich, ärgerte sich kurz über die mürrische Art des Busfahrers und suchte sich dann im Inneren des Busses einen guten Sitzplatz.

Die Fahrt dauerte über eine Stunde, und mehr als einmal sah Daniel durch die staubige Fensterscheibe schöne Motive für ein Foto, aber seine Kamera und die restliche Fotoausrüstung lagen zu Hause in einer Kiste im Kleiderschrank. Seitdem er angefangen hatte, bei Wearflowers zu arbeiten, hatte er sie nicht mehr hervorgeholt. Keine Zeit. Merkwürdig, dass er ausgerechnet jetzt wieder ein Auge dafür hatte. Gerade als Daniel ungeduldig wurde, hielt der Fahrer vor dem Minos Palace. Daniel warf einen Blick durchs Fenster. Endlich!

Der vordere Außenbereich war üppig bepflanzt mit Hibiskus und Oleander, dahinter konnte Daniel einen Teich mit Springbrunnen erkennen. Das Hotel war aus glatten Natursteinen gebaut und wurde in der Abenddämmerung leicht bläulich angeleuchtet. Daniel nahm seinen Koffer entgegen und trat in die Haupthalle. Alles sah edel aus, war in Weiß und Schwarz gehalten, kühle Marmorflächen kombiniert mit dunklem, fast schwarzem Holz und großen schwarzen und weißen Sesseln im Lounge-Bereich. Sanfte Musik spielte.

Daniel lächelte, als er daran dachte, wie seine Mutter sich gefreut hatte, dass er nach Kreta fliegen wollte. Gleich zwei ganze Wochen. Phil hatte sich ebenfalls gefreut, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Aber diese Wette war lächerlich: Daniel würde nie im Leben in so kurzer Zeit eine Frau kennenlernen, die mehr wäre, als alle anderen zuvor. Eine Frau, die sein Herz erobern würde um es nicht mehr herzugeben. So eine Frau gab es für ihn nicht.

Am Empfangstresen stand ein freundlicher Mann und begrüßte Daniel herzlich. Nachdem Daniel ihm seinen Personalausweis und den Ausdruck der Buchungsbestätigung über den Tresen geschoben hatte, veränderte sich allmählich das Lächeln des Mannes, auf dessen Brust der Name Georgis stand. Winzige Schweißperlen bildeten sich auf der Oberlippe des Mannes.

„Gibt es ein Problem?“, fragte Daniel und hielt die Luft an. Auf Probleme hatte er nie Lust, aber im Urlaub erwartete er besonders, dass alles glattlief.

„Kein Problem. Das haben wir gleich“, erwiderte Georgis und setzte ein Lächeln auf, was Daniel allerdings sofort durchschaute. Und ob es ein Problem gab.

„Was ist los?“, fragte er. „Tun Sie mir den Gefallen, und sagen Sie es einfach. Ich habe eine lange Reise hinter mir. Geheimnisse kann ich jetzt am allerwenigsten leiden.“

„Möchten Sie vielleicht einen Drink an der Bar einnehmen? Oder einen Kaffee in unserem gemütlichen Lounge-Bereich? Ich komme dann sofort zu Ihnen, wenn ich … ein paar Dinge geklärt habe.“

Daniel wurde hellhörig. „Was für Dinge müssen Sie denn klären? Stimmt etwas mit meinem Zimmer nicht? Ich wäre zur Not für die erste Nacht auch mit einem Zimmer aus der zweiten Kategorie zufrieden.“ Daniel freute sich einfach nur auf sein Hotelbett, ein Abendessen und vielleicht einen kurzen Gang durch die Gartenanlage, damit er sich ansehen konnte, wo alles war.

„Wir … es ist mir unglaublich peinlich, und ich weiß nicht, wie das passieren konnte, aber … wir sind ausgebucht. Ihr Name steht nicht in unserem System. Die Buchung des Reisebüros hat uns zu spät erreicht, und unsere Antwort ging offenbar dort auch nicht ein.“ Der Mann zuckte mit den Schultern und duckte sich ein wenig.

„Wie meinen Sie das?“, fragte Daniel. „Sie sind ausgebucht? Und wo soll ich schlafen, auf einer Poolliege? Für wie lange sind Sie ausgebucht?“

Hektisch klickte Georgis auf der Computertastatur herum. Er nahm den Telefonhörer in die Hand und wählte ein paar Ziffern. „Einen Moment, bitte“, sagte er mit einem flehenden Lächeln.

Daniel seufzte und nahm sich ein Pfefferminzbonbon aus der Schale, die auf dem Empfangstresen stand. Wütend zerkaute er es und versuchte, dem Gespräch zwischen Georgis und demjenigen am anderen Ende der Leitung nicht allzu genau zuzuhören. Etwas Gutes konnte es nicht bedeuten, denn Georgis sah nicht im Mindesten beruhigt aus. Er unterhielt sich abgehackt auf Griechisch, und es klang irgendwie wütend oder verzweifelt. Beides war nicht gut für Daniel.

Während er wartete, sah sich Daniel in der Halle um. Sein Blick blieb an einem elegant gekleideten Mann hängen, der offenbar auch zum Hotelpersonal gehörte. In diesem Moment sah er herüber, vielleicht hatte er die lauten Worte gehört. Er steuerte genau auf Daniel zu und setzte schon im Gehen ein freundliches Lächeln auf. Als er vor Daniel stehen blieb, hörte Georgis auf zu telefonieren. Georgis erklärte dem anderen Mann in wenigen Worten, was passiert war. Dieses Mal wechselte er mitten im Satz auf Englisch, wohl damit Daniel sich nicht ausgeschlossen fühlte. Der andere Mann hörte ernst zu, und auf seiner Stirn erschienen besorgte Falten. Er nickte, dann wandte er sich an Daniel.

Kalispéra, guten Abend, Sir, es tut mir sehr leid, was hier passiert ist. Es ist das allererste Mal, das müssen Sie mir glauben. Natürlich haben Sie davon auch nichts. Verzeihung, ich muss mich Ihnen vorstellen. Mein Name ist Yannis Tadakis, ich bin der Hotelmanager. Wenn Sie sich kurz in den Salon setzen möchten, ich werde Ihnen sofort etwas zu trinken bringen lassen. Oder haben Sie Hunger? Das Restaurant steht Ihnen selbstverständlich zur Verfügung.“

Daniels Magen knurrte, und er nickte. Sein Blick fiel auf seinen Koffer, der neben ihm stand. Er hatte eigentlich keine Lust, den Koffer mit ins Restaurant zu schleppen, aber aufs Zimmer konnte man ihn wohl auch nicht bringen.

„Lassen Sie auch das meine Sorge sein, wir haben einen abschließbaren Gepäckraum.“ Yannis Tadakis winkte einen Pagen zu sich, der sofort mit Daniels Koffer verschwand. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Weg zum Restaurant.“

Wenig später saß Daniel an einem runden Tisch und studierte die Weinkarte. Man bediente ihn äußerst schnell, vermutlich hatte dieser Hotelmanager mit dem Servicepersonal gesprochen. Das Essen war wirklich hervorragend, Daniel ließ sich gefüllte Weinblätter, einen hausgemachten traditionellen Eintopf mit Fleisch und Zimt als Vorspeise und danach einen gegrillten Fisch mit hauchdünn geschnittenen Kartoffeln schmecken. Das Dessert brachte Yannis Tadakis persönlich an seinen Tisch.

„Ich hoffe, das Essen hat Ihnen geschmeckt. Ich habe mich mit der Besitzerin einer sehr guten Pension gleich neben dem Hotel unterhalten. Sie können dort das beste Zimmer bekommen. Die Pension bietet nur Frühstück an, falls Sie es dort einnehmen möchten. Ansonsten steht es Ihnen frei, jederzeit all Ihre Mahlzeiten hier im Hotel zu sich zu nehmen. Selbstverständlich können Sie auch unsere Poolanlage, die Liegen am Strand und den Wellnessbereich nutzen. Ich lasse Ihnen gleich morgen früh ein paar Wellness-Gutscheine hinüberbringen. Essen Sie in Ruhe auf, dann wird eine Dame von der Pension Ihnen gerne den Weg und Ihr neues Zimmer zeigen. Was halten Sie von meinem Vorschlag? Selbstverständlich bekommen Sie für Ihre Unannehmlichkeiten eine entsprechende Entschädigung.“

Ein Zimmer in einer Pension? Daniel war es gewohnt, in Fünfsternehotels wie diesem zu wohnen, aber heute war er müde, freute sich schon seit einer Stunde auf eine Dusche und ein gemütliches Bett. So schlimm konnte eine Pension ja nicht sein, wenn der Hotelmanager sie ihm anbot. Daniels Mutter wäre begeistert, sie hatte ihm erst neulich noch einmal von ihren Urlauben in kleinen Gästepensionen erzählt, früher, als sie und Daniels Vater noch jung waren und sein Dad noch studierte. Also, warum eigentlich nicht? Daniel nickte, bedankte sich und aß Löffel für Löffel das köstliche Dessert, das ein wenig nach Kokos, aber auch einer ungewöhnlichen Gewürzkombination schmeckte. Er hatte sich gerade den Mund mit der Serviette abgewischt und faltete sie zusammen, als jemand an seinen Tisch trat.

Daniel blickte auf und sah in zwei wunderschöne saphirgrüne Augen, umrahmt von kaffeebraunem Haar. Irgendwo hatte er diese Augen schon einmal gesehen, aber er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wo. Die Frau allerdings reagierte sehr merkwürdig.

3. KAPITEL

Eve fühlte, wie ihr Lächeln gefror, und starrte auf den Mann, der vor ihr saß. Was zum Teufel tat er hier? Sie versuchte sich zusammenzureißen, aber das war nicht so leicht, denn ihr Puls fing an zu rasen, sobald sie ihn erkannt hatte. Sie wartete darauf, dass sich das Erkennen auch in seinen Augen widerspiegelte, aber das tat es nicht. Es war offensichtlich, dass er immer noch nicht wusste, wer sie war. Offenbar erinnerte er sich nicht einmal daran, dass er sie nach dem Zusammenprall mit seinem Bruder aufgefangen hatte, oder tat er es doch und sagte es nicht?

„Sie müssen die Dame von Alexandra’s House sein, richtig?“, fragte er. „Daniel O’Connell“, stellte er sich vor, stand auf und streckte Eve seine Hand entgegen.

Entweder war er ein guter Schauspieler, oder er wusste es wirklich nicht. Für einen langen Moment sah Eve auf seine Hand, dann gab sie sich einen Ruck und griff nach seinen Fingern. Sie drückte fest zu und ließ dann schnell seine Hand wieder los. Sogar die kurze Berührung ließ ihr Herz hüpfen. Die Wärme seiner Hand in ihrer, der Duft seines Aftershaves so nah und diese Augen … Nein! Wie lächerlich sie sich benahm, er war einfach ihr Ex-Chef, der noch nicht einmal etwas davon wusste! „Herzlich willkommen auf Kreta“, sagte Eve. „Mein Name ist Eve Lancaster. Ich bringe Sie gerne zu unserer Pension.“

Damit drehte sie sich um und ging voraus in Richtung Terrasse. Sie hörte, wie Daniel ihr folgte, sah ihn aber nicht an. Sie musste zuerst ihren Herzschlag beruhigen. Dass er jetzt so dicht neben ihr ging, half leider wenig. Zweimal dachte sie sogar, dass er ihre Hand ergreifen wollte, aber das bildete sie sich doch bestimmt nur ein. Wieso sollte er so etwas tun? Eve räusperte sich und war froh um die Dunkelheit, die nur von ein paar runden Laternen im Hotelgarten und dem Vollmond am Himmel durchbrochen wurde.

„Sie werden die Pension mögen, sie ist wunderschön, und der Ausblick aufs Meer ist der gleiche wie hier. Alexandra, die Besitzerin, hat das himmelblaue Eckzimmer für Sie vorgesehen. Am Tag kann man die blauen Wände kaum vom Meer und dem Himmel unterscheiden, den man durchs Fenster sieht. Das Bett ist extra komfortabel, alle Zimmer wurden erst letztes Jahr mit neuen Matratzen ausgestattet. Das Frühstück servieren wir von acht bis elf, wissen Sie schon, wann Sie frühstücken möchten? Oder frühstücken Sie im Minos Palace?“ Eve merkte, dass sie zu viel redete, und verstummte.

Daniel lachte leise. Vielleicht hatte er gemerkt, wie aufgeregt sie war? Oh nein, bitte nicht! Sie war doch sonst nicht so nervös im Umgang mit Männern.

„Ich bin sicher, das Zimmer ist wunderschön“, sagte Daniel, und Eve zuckte zusammen. Sie hatte nicht daran gedacht, wie sehr ihr seine Stimme gefiel. „Und ich freue mich sehr auf das Bett.“

Eve schloss für einen winzigen Moment die Augen und war froh, als sie endlich die Pension erreichten. Die Bilder, die in ihrem Kopf entstanden, als er mit dieser tiefen Stimme von einem Bett sprach, irritierten sie. Mit einem Ruck öffnete sie die Tür für Daniel und hielt sich kurz am Türgriff fest. Luke hatte sie nie so durcheinandergebracht. Nie hatten ihre Knie so dermaßen gezittert, wenn er einfach nur nah neben ihr ging und davon sprach, dass er sich aufs Bett freute. Was war nur los mit ihr?

Vermutlich war es Rache an Luke. Das musste es sein. Ihr Körper wollte unbedingt dafür sorgen, dass sie jemand Neues fand, damit Luke wusste, was er verloren hatte. Aber wie sollte er davon erfahren? Eve schüttelte über sich selbst den Kopf. Außerdem zog sie es nicht eine Sekunde in Betracht, zu Luke zurückzugehen. Vielleicht brauchte ihr Herz einfach die Genugtuung, dass nicht nur ihr Ex das konnte: jemand Neues finden, der angeblich besser zu ihm passte.

Kalispéra, guten Abend, Sir“, sagte Alexandra, die auf einmal in der Eingangshalle erschien und Daniel hereinwinkte. „Eve?“, flüsterte sie dann und sah sie ganz merkwürdig an. Eve nickte, ließ die Tür los und folgte den beiden in den kleinen Empfangsbereich.

Daniel und Alexandra stellten sich gerade einander vor, und Eve stand einfach nur daneben und starrte Daniel von der Seite an. Er hatte in der rechten Ohrmuschel einen kleinen Leberfleck, der ihr noch nie aufgefallen war. Aber wie sollte er ihr auch aufgefallen sein? Es war das zweite Mal, dass sie ihn überhaupt aus der Nähe sah. Seine Haare kräuselten sich im Nacken, vielleicht von der Wärme. Sie musste sich zwingen, nicht einfach mit den Händen darüberzustreichen. Von der Seite hatte Daniel beinahe eine noch schönere Nase als von vorne. Eve kniff die Augen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Stopp! Die Sonne musste ihr zu Kopf gestiegen sein. Morgen sollte sie mehr trinken.

„Eve, würdest du bitte Mr. O’Connell sein Zimmer zeigen?“ Alexandra sprach etwas lauter als sonst und hielt Eve den Schlüssel mit dem kleinen Segelschiffanhänger hin.

Mist, vermutlich hatte sie gemerkt, wie abwesend Eve gerade war. Dann würde ganz sicher auch Daniel es merken. Sie musste sich unbedingt zusammenreißen. Stell dir vor, er ist irgendein Mann, sagte sie sich. Du musst ihn nicht beeindrucken, sei einfach freundlich. Eve nahm den Schlüssel, setzte ein Lächeln auf und stellte sich vor, sie hätte einen netten älteren Herrn vor sich, dem sie etwas verkaufen wollte.

„Sehr gerne“, sagte sie. „Kommen Sie, Mr. O’Connell.“ Sie zeigte in den hinteren Bereich des Raums, wo eine Glastür zum Treppenhaus führte. Eve ging voraus und hörte, dass Daniel ihr wieder folgte. Kurz bevor sie das Treppenhaus erreichten, überholte er Eve und öffnete die Glastür, damit sie zuerst durchgehen konnte. Eve war kurz irritiert, dann lächelte sie ihn strahlend an und verfiel auf der Treppe wieder in einen merkwürdigen Monolog über das Wetter zu dieser Jahreszeit, die Highlights der Insel und den wunderschönen Strand.

„Ich bin eher der Poolmensch“, sagte Daniel. „Aber der Ausblick aufs Meer ist wunderbar entspannend, da haben Sie recht.“

Eve nickte. Ein Poolmensch. Gut, langsam kamen die Seiten zum Vorschein, die nicht zu ihr passten. Aber davon gab es ja noch andere. Er war ein Workaholic, daran sollte sie denken. Sie liefen den Gang bis zum Ende hinunter, und Eve schloss die letzte Tür auf. Die Tür mit der Nummer neun. Sie selbst wohnte in Zimmer acht. Direkt nebenan. Eve schluckte. Sie würde vermutlich heute Nacht kein Auge zutun, wenn sie daran dachte, dass nur eine dünne Wand sie von Daniels Bett trennte.

„Bitte sehr“, sagte Eve und schob die Tür auf. Alexandra hatte das Zimmer schon vorbereitet. Die Nachttischlampe war angeschaltet, und frische Handtücher lagen auf dem Bett und auf dem Kopfkissen eine kleine in blaues glänzendes Papier eingewickelte Schokolade. Daniel nickte anerkennend.

„Ja, ich denke, das geht.“ Er sah zu Eve und sprach eilig weiter. „Das Zimmer ist sehr schön, meine ich. Sie haben nicht zu viel versprochen.“ Er zwinkerte ihr zu. Schon wieder raste Eves Herz los. Wenn er doch nur dieses Zwinkern lassen würde! Aus irgendeinem Grund entfachte sein Blick in ihrem Innern ein kleines Feuer. Jedes Mal, wenn er zwinkerte, sprühte es Funken.

Eve nickte, lächelte noch immer und wollte sich gerade umdrehen, da hielt Daniel sie zurück. Mit einem einzigen Wort. „Moment.“

Das Wort jagte Eve einen Schauer die Wirbelsäule hinab. Was hatte er vor? Würde er jetzt sagen, dass er sie kannte? Langsam drehte sie sich um. Daniel stand viel näher, als sie gedacht hatte. Ihr Blick fiel kurz auf seine leicht geöffneten Lippen, dann zwang sie sich, ihm in die Augen zu sehen. „Ja?“, fragte sie und musste sich räuspern, weil ihre Stimme kaum mehr ein Flüstern war.

„Das Frühstück?“, fragte Daniel.

„Jetzt?“, fragte Eve. „Ich dachte, Sie hätten gerade Ihr Abendessen gehabt.“

Er lachte kurz auf. „Nein, ich meine morgen früh. Sie hatten vorhin gefragt, wann ich es gerne hätte. Wäre es möglich, das Frühstück aufs Zimmer zu bestellen?“ Daniel deutete auf die doppelte Balkontür. „Der Balkon ist groß genug, um dort zu essen, oder?“

Eve eilte an Daniel vorbei, öffnete die Balkontür und trat hinaus. Frische Luft! Sie brauchte ganz dringend frische Luft. Leider war es draußen so warm, dass das Kribbeln in ihrem Bauch sogar noch verstärkt wurde. Auf dem Meer tanzte das Mondlicht, und am Himmel standen Tausende blinkender Sterne. Leise wehte etwas Musik vom Minos Palace herüber. Klaviermusik. Daniel trat neben sie ans Geländer. „Oder ist das ein Problem? Ich möchte Ihnen keine Umstände bereiten.“

„Nein“, sagte Eve. „Keine Umstände. Wie viel Uhr?“

„Um neun vielleicht?“, fragte Daniel.

„Gut. Schön, ich sage in der Küche Bescheid. Gute Nacht.“ Eve hätte ewig mit Daniel auf diesem Balkon stehen können, gerade deshalb hatte sie es jetzt sehr eilig, das Zimmer zu verlassen. Beinahe hätte sie den Schlüssel wieder mitgenommen. Schnell legte sie ihn auf die kleine Kommode neben der Tür.

„Gute Nacht“, sagte Daniel. „Und, Eve?“

Ein weiteres Mal blieb sie kurz vor seiner Tür stehen, drehte sich dieses Mal aber nicht um. Im Moment traute sie sich selbst wirklich nicht über den Weg.

„Sagen Sie doch bitte Daniel zu mir.“

„Gute Nacht, Daniel“, erwiderte Eve, und in ihren eigenen Ohren klang das wie ein Versprechen. Verdammt.

Als sie endlich im Flur stand, die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete sie tief durch. Dann strich sie ihre Bluse glatt und rannte nach unten in die Küche. Alexandra saß dort am Tisch und sah sich irgendeine Liste an.

„Das ist Daniel!“, schrie Eve außer Atem.

Alexandra sah auf und wusste offenbar nicht, wovon Eve redete. „Ja, er hat sich mir auch vorgestellt.“ Es dauerte einen kurzen Augenblick, dann riss Alexandra die Augen weit auf. „Dein Daniel ist das? Das gibt’s doch nicht!“

„Er ist nicht mein Daniel, aber ja, es ist der, von dem ich erzählt habe. Mein Ex-Chef, verdammt.“ Eve ließ sich auf den Küchenstuhl gegenüber von ihrer Freundin sinken. „Und er weiß noch nicht einmal, dass ich für ihn gearbeitet habe!“

„Vielleicht ist er vergesslich“, überlegte Alexandra. „Und jetzt macht er ausgerechnet hier Urlaub?“, fragte sie dann.

„Urlaub? Aber er ist doch gar nicht der Typ dafür! Ich verstehe das nicht. Sag mir bitte, dass er nur für ein Wochenende bleibt. Oder eine einzige Nacht, das wäre noch besser. Vielleicht halte ich das gerade so aus.“ Eve setzte sich kerzengerade hin und sah ihre Freundin abwartend an.

„Zwei Wochen“, sagte die und legte ihre Hand auf Eves. „Komm, das schaffst du.“

Eve stöhnte leise auf. „Zwei Wochen. Vierzehn Tage.“ Dreizehn Nächte, ergänzte sie in Gedanken. „Du hast recht, ich schaffe das. Warum auch nicht?“ Doch ehrlich gestanden, war sich Eve dessen ganz und gar nicht sicher.

„Es tut mir wirklich leid, ich würde es dir abnehmen, aber das schaffe ich wirklich nicht zurzeit. Ich musste Yannis versprechen, dass wir uns rund um die Uhr um diesen Gast kümmern, ihm jederzeit zur Verfügung stehen und ihm jeden Wunsch erfüllen. Es hängt viel für Yannis davon ab, weißt du? Und für mich auch. Eine schlechte Bewertung ist nie gut.“

„Ja, ich weiß“, murmelte Eve. Auf einmal fühlte sie sich sehr müde.

„Vermutlich werden wir ihn kaum zu Gesicht bekommen, er darf im Minos Palace seine Mahlzeiten einnehmen, wie er es gebucht hat, den Wellnessbereich benutzen und so.“ Alexandra legte ihre Hand auf Eves Unterarm.

„Hoffentlich hast du recht.“ Eve seufzte. Das klang schon besser.

„Bestimmt schläft er nur hier und bricht jeden Tag im Morgengrauen auf, um rüberzugehen.“

„Er möchte auf seinem Balkon frühstücken. Um neun“, sagte Eve und ließ ihren Kopf auf ihre Arme fallen, die sie auf der Tischplatte verschränkt hatte. Sie seufzte noch einmal, dann setzte sie sich auf. Sie benahm sich ja völlig albern! Warum sollte sie dieser Mann so sehr aus dem Konzept bringen können? Sie war doch kein Teenager mehr. Also wirklich. „Keine Sorge, das ist alles gar kein Problem“, sagte sie.

Alexandra lächelte. „Mach dir keine Gedanken, nach dem, was du erlebt hast, ist es völlig normal, dass dein Herz und dein Kopf durchdrehen. Außerdem sieht er nun mal wirklich gut aus.“

„Du hast recht“, sagte Eve. „Das klingt sehr logisch. Er bringt mich nur durcheinander, weil er der Verursacher meiner Probleme ist.“

„Du hast seinetwegen den Job verloren“, bestätigte Alexandra.

„Und am gleichen Morgen hat mich mein Freund betrogen. Ex-Freund.“

„Vermutlich möchte dein Unterbewusstsein sich nur an Luke rächen und sucht dir deswegen jemanden aus, mit dem du ihn leichter vergessen kannst.“

„So muss es sein.“ Eve nickte.

„Komm, wir besprechen, wie wir das morgen früh machen. Das bringt dich auf andere Gedanken. Ab morgen hast du so viel Arbeit, dass du gar keine Zeit mehr haben wirst, über diesen Daniel nachzudenken.“ Alexandra lächelte und schob das Blatt Papier zu Eve über den Tisch.

In der nächsten Stunde dachte Eve nur ein- oder zweimal kurz daran, dass oben über ihren Köpfen Daniel saß oder vielleicht sogar schon im Bett lag.

„Was ist eigentlich mit Daniels Gepäck?“, fiel ihr plötzlich ein.

„Verdammt!“ Alexandra sprang auf. „Das hat Georgis doch vorhin gebracht. Ich hätte es beinahe vergessen.“ Sie lief nach nebenan und zog einen schwarzen Rollkoffer hinter dem Empfangstresen hervor. „Oh nein, wie peinlich! Er wartet bestimmt schon seit Stunden darauf.“

„Er hätte ja noch mal nachfragen können. Vielleicht schläft er schon?“, fragte Eve hoffnungsvoll.

In dem Moment wurde die Eingangstür geöffnet, ein Ehepaar in Daniels Alter kam herein und grüßte freundlich, bevor die beiden sich ihren Schlüssel geben ließen und nach oben verschwanden. Eve lächelte ihnen zu und musterte dann wieder den Koffer. Sie zuckte mit den Schultern. „Dann werde ich ihm den jetzt wohl hochbringen. Ich klopfe nur leise, falls er schon schläft.“

„Danke, Eve.“

Der Koffer war schwerer, als er aussah. Eve verfluchte, dass es keinen Lift gab oder aber Daniel im unteren Stockwerk untergebracht war. Leider lagen im Erdgeschoss keine Gästezimmer. Sie könnte ihm ja vorschlagen, im Frühstücksraum zu wohnen. Der war schließlich noch größer als sein Zimmer. Eve kicherte leise über ihre merkwürdige Idee und rollte nun den Koffer durch den Gang bis zu Daniels Zimmer. Sie klopfte, bevor sie Zeit bekam, noch nervöser zu werden. Besser, sie gewöhnte sich einfach daran, Daniel zu sehen. Schließlich hatte sie ihn jetzt zwei Wochen lang ganz in ihrer Nähe. Zum Glück würde sie ihn danach wenigstens nie wieder zu Gesicht bekommen.

Eve klopfte kurz und wartete. Ob er doch schon schlief? Vielleicht war er gar nicht da, sondern noch einmal nach draußen gegangen? Nein, das hätten sie doch sicher gehört.

Sie wollte gerade erneut klopfen, da ging die Tür auf. Daniel sah zu ihrer erhobenen Hand und lächelte. Doch er sagte kein Wort. Auch Eve verschlug es die Sprache. Ihr Ex-Chef trug nichts außer einem Badehandtuch, das er sich um die Hüften geschlungen hatte. Seine Haare waren noch leicht feucht, und auf seiner muskulösen Brust glitzerten ein paar Wassertropfen. Einer lief gerade ganz langsam über seinen Bauch, funkelte im Licht des Flurs. Muskel für Muskel streichelte der Wassertropfen, bis er im Handtuch versickerte. Daniel machte offenbar zwischendurch viel Sport, er hatte ein richtiges Sixpack. Schnell ließ Eve ihre zum Klopfen erhobene Hand sinken und zwang sich, in Daniels Gesicht zu sehen. Sie atmete tief durch.

„Entschuldigung“, murmelte sie. „Ihr … äh … Koffer.“ Sie räusperte sich und deutete auf das schwarze Ungetüm neben sich.

„Ah, vielen Dank! Genau zur rechten Zeit, ich habe gar nicht mehr daran gedacht, dass ich nichts Frisches zum Anziehen habe.“ Er lächelte Eve breit an. Es war ziemlich offensichtlich, dass es ihn amüsierte, was für eine Wirkung er auf sie hatte. Eigentlich war ja nichts dabei, sie fand ihn lediglich gut aussehend und war überrascht, ihn halb nackt anzutreffen. Das war alles. Eves Wangen glühten, aber sie schob es einfach auf den warmen Abend und auf Alexandras Theorie. Morgen war ein neuer Tag, da würde sie Daniel wesentlich souveräner entgegentreten können.

„Wunderbar“, sagte sie und rollte ihm den Koffer vor die Füße, damit er zwischen ihnen stand. „Haben Sie sonst alles, was Sie brauchen?“

„Ja, ich denke, für heute geht es.“ Daniel grinste breit. „Gute Nacht, Eve.“

„Gute Nacht“, murmelte sie und drehte sich eilig um. Sie lief, so schnell es ging, zurück nach unten. Daniel sollte nicht sehen, wo ihr Zimmer war. Aus irgendeinem Grund war es ihr unangenehm, vielleicht würde er sonst denken, dass sie in seiner Nähe sein wollte und ihm deswegen dieses Zimmer gegeben hatte. In Wahrheit konnte er von Glück sprechen, dass er das letzte freie Zimmer bekommen hatte.

Alexandra saß noch immer in der Küche, als Eve wieder hinunterkam. Sie sah auf, als Eve sich setzte, und schob ihr dann wortlos ein kleines Glas zu.

„Ouzo“, sagte Alexandra. „Auf den Schreck. Du siehst aus, als würde dich unser neuer Gast noch immer etwas aus dem Konzept bringen.“

„Das kann man wohl sagen“, murmelte Eve und trank den Ouzo mit einem einzigen Schluck aus. Die Hitze des Alkohols brannte in ihrem Hals, und als sie an ihre Begegnung mit Daniel eben dachte, schien ihr ganzer Körper Feuer zu fangen.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass auch Alexandra sich einen Ouzo genehmigte, ihn genauso hinunterkippte wie Eve und für eine Weile die Augen geschlossen hielt. Eve legte ihre Hand auf Alexandras Arm. „Erzähl schon, irgendetwas bedrückt dich doch.“

Ihre Freundin riss die Augen auf und starrte einen Moment auf den Zettel, der vor ihr auf dem Tisch lag. Dann schob sie ihn zu Eve herüber. Es war eine Rechnung, an die Alexandra einen Zettel mit handschriftlich notierten Zahlen geheftet hatte. „Die Renovierung hat viel zu lange gedauert, die Wahrheit ist, dass ich erst letzte Woche wiedereröffnen konnte. Mir fehlen die ganze Frühjahrssaison und die ersten Wochen der Hauptsaison. Die Renovierung war leider auch teurer als ursprünglich ausgerechnet …“ Sie brach ab und stützte den Kopf in beide Hände.

„So schlimm?“ Eve warf einen Blick auf die Zahlen und erschrak. Das sah wirklich gar nicht gut aus. „Aber jetzt ist ja wieder geöffnet, und es ist Hauptsaison, da kommt doch sicherlich viel Geld rein. Oder nicht?“

Alexandra seufzte. „Dieser Gast da oben“, murmelte Alexandra. „Er ist das erste Geschenk, was das Minos Palace mir macht. Ich bekomme den gleichen Preis vom Minos Palace, den er dort für sein Zimmer bezahlt hätte. Wir dürfen ihn nicht verlieren.“

„Okay“, sagte Eve. „Ich gebe mir Mühe.“

„Das Minos Palace hat im letzten Jahr eröffnet, es war der Grund, weshalb ich in diesem Ausmaß renoviert habe. Um mithalten zu können. Deswegen biete ich sogar Abendessen an, hin und wieder. Vielleicht sollte ich es immer tun? Die Touristen erwarten einfach mehr als eine kleine Pension mit Frühstück. Etwas Besonderes … warum sollten die Leute nicht lieber ins Minos Palace gehen?“ Sie brach wieder ab, und dieses Mal glitzerten Tränen in ihren Augenwinkeln.

Daniel sah lächelnd auf die geschlossene Zimmertür. Diese Eve war wirklich süß. Und irgendwo hatte er sie doch schon einmal gesehen, oder nicht? Oder erinnerte sie ihn bloß an jemand anderen? Er war sich nicht sicher. Diese Augen …

Er legte seinen Koffer auf das Bett und packte aus. Anschließend schob er den leeren Koffer oben auf den Kleiderschrank. Nur mit einem Bademantel bekleidet, setzte er sich mit seinem Laptop auf den Balkon.

Er fuhr das Gerät hoch und öffnete den Browser, nur um festzustellen, dass es kein WLAN gab. Das konnte doch nicht sein, oder? Existierten noch Hotels ohne WLAN? Leise fluchte er und warf einen Blick auf das Minos Palace, dessen Lichter so verlockend zu ihm hinüberblinkten. Was hatte der Hotelmanager gesagt? Er durfte alle Annehmlichkeiten des Hotels nutzen. Dann doch sicher auch das WLAN. Aber Lust, noch einmal aufzustehen und hinüberzulaufen, hatte Daniel nicht. Er klappte seinen Laptop zu und ging zurück ins Zimmer.

Es war bereits elf Uhr, wenn er morgen früh noch vor dem Frühstück eine Runde schwimmen wollte, wäre es keine schlechte Idee, jetzt schlafen zu gehen. Schnell checkte er seine E-Mails auf dem Handy – zum Glück war dafür der Empfang gut genug. Eine Nachricht von Phil, die, wie Daniel sofort erkannte, nur wieder auf die Wette anspielte. Genervt löschte er sie. Danach beantwortete er zwei Nachrichten von Kollegen und legte das Handy dann auf den Nachttisch.

Daniel sah sich um. Doch, dieses Zimmer war gut. Es war im Vergleich zum Minos Palace nicht sonderlich luxuriös, aber es war hübsch und strahlte ein erholsames Gefühl von Ruhe aus. Ruhe und Zuhause.

Mit einem leisen Seufzen ließ er sich aufs Bett fallen. Die Matratze federte angenehm nach. Er musste an Eves Worte von vorhin denken, hatte sie nicht etwas von neuen Matratzen erzählt? Daniel musste lächeln. Eve hatte jedenfalls nicht zu viel versprochen, das Bett war wirklich bequem. In Gedanken sah er, wie sie ihm das erste Mal gegenübergestanden hatte und dann eben noch einmal, um ihm den Koffer zu bringen. Ihre Wangen hatten einen niedlichen Rosaton gehabt.

Ob sie wohl verheiratet war? Er hatte den Eindruck, dass sie, was Männer anging, etwas schüchtern war. Ein stetiges Brummen neben ihm riss Daniel aus seinen Gedanken. Sein Handy. Er rollte sich auf die Seite und schnappte es sich vom Nachttisch. Phil. Daniel stöhnte, wappnete sich und nahm den Anruf entgegen.

„Bruder!“, rief Phil ins Telefon. „Bist du gut angekommen? Grace wollte sich erkundigen, wie das Wetter ist.“

„Schon dunkel draußen“, sagte Daniel. „Aber alles perfekt. Vielen Dank. Gibt’s sonst noch was? Es ist schon spät.“

Warum rief Phil ihn an? Normalerweise beschränkte sich ihr Kontakt außerhalb der Firma auf das Nötigste.

„Na, hast du sie schon kennengelernt? Deine Traumfrau?“ Phil lachte.

„Ich bin erst vor ein paar Stunden gelandet“, antwortete Daniel genervt. „Hast du nichts Besseres zu tun?“ Seine Gedanken wanderten zu Eve, zu ihren saphirgrünen Augen, ihren weichen dunklen Haaren, die sie zu einem kunstvollen Zopf geflochten hatte. Sie war einen Kopf kleiner als Daniel, in hohen Absätzen würde sie ihn ohne Mühe küssen können. Moment, was dachte er denn da?

Er gähnte möglichst auffällig. „Kümmere dich mal lieber um deine Frau.“

„Hast du es eilig? Ein Date vielleicht?“, ließ Phil nicht locker.

„Ja, mit meinem neuen Thriller“, entgegnete Daniel und drückte das Gespräch weg. Er schaltete das Handy aus, etwas, was er so gut wie nie tat. Aber er wollte auf keinen Fall noch einmal mit seinem Bruder reden. Daniel befürchtete, dass der ihn für die nächsten vierzehn Tage mit seinen Fragen nicht in Ruhe lassen würde. Natürlich, Phil war schließlich wild auf die Alleinherrschaft über Wearflowers.

Warum zum Teufel hatte er sich nur auf diese Wette eingelassen? Es war doch idiotisch. Andererseits würde er wohl kaum in Gefahr geraten, sich ausgerechnet in diesen zwei Wochen so sehr in eine Frau zu verlieben, dass Phil die Wette gewann.

Als Daniel das Licht ausknipste, sah er noch einmal saphirgrüne Augen vor sich aufblitzen. Und dieses Lächeln … Daniel drehte sich auf die Seite und stöhnte leise auf. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er glatt denken, dass ihn diese Eve mehr interessierte, als gut für ihn war.

4. KAPITEL

Am nächsten Morgen schaltete Daniel das Handy an und wurde von mehreren verpassten Anrufen empfangen. Fast sofort begann es zu klingeln.

„Guten Morgen, Vater“, sagte er betont fröhlich und versuchte dabei, trotzdem geschäftsmäßig zu klingen. Sein Vater hatte garantiert seit vierzig Jahren nicht mehr so lange geschlafen wie er heute, nicht mal im Urlaub.

Daniel hörte, wie sein Vater am anderen Ende der Leitung die Luft scharf einsog. Offensichtlich war er wütend. Nur weshalb? Es war gerade mal acht Uhr. Wie lange hatte er denn schon versucht, ihn zu erreichen?

„Ich war laufen“, log Daniel, „das Handy habe ich im Zimmer gelassen.“

„Laufen“, Daniels Vater Charles schnaubte. „Weglaufen trifft es eher. Die Arbeit den anderen überlassen. Deinem Bruder … Gerade jetzt, da euer Geschäft so gut läuft und die Arbeit sich türmt, muss der Herr in den Urlaub fahren?“, fragte Charles mit lauernder, unterdrückter Wut in der Stimme.

„Der Urlaub war schon lange geplant, und Phil …“

„Mit Phil habe ich bereits heute früh gesprochen, ich wollte ihn, also euch, zu euren fantastischen Geschäftszahlen und zum Aktienanstieg beglückwünschen. Ich hatte einen Geschäftstermin ganz in der Nähe. Und was erfahre ich, als ich ankomme?“

Daniel starrte auf seine nackten Füße. Gut, dass Charles ihn jetzt nicht sehen konnte. Er wusste, was jetzt kommen würde, und wollte keinen Fehler machen, also schwieg er lieber, während sein Vater im Hintergrund irgendwelche Anweisungen bellte.

„Was ist das für eine Wette?“, fragte Charles plötzlich.

Daniel zuckte zusammen. „Phil wollte wetten“, sagte er und wusste, dass es danach klang, als wolle er seinem Bruder die Schuld zuschieben, was Charles nie und nimmer dulden würde. „Nach der Party.“ Auch das war kein Argument, was zählen würde.

„Ihr habt gefeiert, gut, das muss nicht sein, aber Grund genug hattet ihr. Und dann? Aus Phils Erzählung bin ich nicht schlau geworden. Ich musste dringend zurück ins Büro.“ Ein Hupen erklang im Hintergrund. „Klar und deutlich, wenn ich bitten darf.“

„Phil wettet, dass ich meine Traumfrau in diesem Urlaub finden werde.“ Daniel wusste nicht, was Phil erzählt hatte, und wollte am liebsten nichts über die Wahrsagerin sagen, um die Wut seines Vaters nicht weiter zu schüren.

„Du glaubst einer Wahrsagerin“, knurrte Charles. Mist, er wusste bereits davon. „Darüber, dass ihr lange aus dem Alter raus seid, euch mit solchen Kindereien zu beschäftigen, sehe ich jetzt hinweg. Aber du kannst doch nicht im Ernst auf eine solche Wette eingehen! Phil hat einen Scherz gemacht, und nun wird alles bitterer Ernst. Du schmeißt deinen Posten einfach so weg. Wegen einer Frau!“ Es raschelte, als sein Vater offenbar den Hörer zuhielt und im Hintergrund herumbrüllte. Dieses Mal nicht mit Daniel.

„Es ist völlig unwahrscheinlich, dass Phil gewinnt“, sagte Daniel fest. „Ich gehe keinerlei Risiko ein.“

„Wie bitte? Du pokerst mit deinem Job, junger Mann! Du bist völlig verantwortungslos. Phil sollte den Laden wirklich alleine leiten.“ Damit wurde das Gespräch unterbrochen.

Daniel ließ das Handy sinken und fuhr sich mit der anderen Hand durch das dunkle Haar. Verdammt. Er hätte es wissen müssen. Wie immer hatte Phil es geschafft, alles so zu drehen, dass er als der Klügere galt. Und Daniel wie ein draufgängerischer, verantwortungsloser Spieler. Schnell zog Daniel sich an, dann riss er die Tür auf und stapfte den Gang hinunter und aus der Pension. Die Strecke zum Minos Palace rannte er, riss sich noch auf dem Weg zum Pool das T-Shirt über den Kopf und schleuderte seine Schuhe von den Füßen. Kopfüber sprang er in das türkisblaue Nass und pflügte durch das kalte Wasser. Um diese Zeit waren noch nicht viele Leute unterwegs, das sah Daniel jedes Mal, wenn sein Kopf aus dem Wasser schoss. Am liebsten hätte er die Augen geschlossen und an nichts mehr gedacht. Erst recht nicht an Phil, die Wette oder die Wut von Charles.

Schon in der Grundschule war es so gewesen: Phil hatte immer so getan, als wäre er der verantwortungsvollere der beiden Brüder, dabei war er zwei Jahre jünger als Daniel, und wenn niemand zusah, hatte er sich immer von seinem großen Bruder beschützen lassen.

Daniel stieß sich am Rand des Beckens ab und schwamm in die andere Richtung. Seine Muskeln schmerzten, aber er wurde nicht langsamer. Ebenso wenig wie seine Gedanken. Spätestens seit der Sache mit Grace hatten sich Phil und Daniel entzweit. Und auch dieses Mal wollte Phil als der Stärkere aus der Sache hervorgehen und ließ ihn, Daniel, als Idioten dastehen! Daniel hätte sich ohrfeigen können, denn es stimmte ja: Er war ein Idiot. Wieso hatte er sich auf diese Wette eingelassen? Aber egal, eine Traumfrau würde er hier nicht finden. Er würde die Frauen einfach ignorieren und keiner zu nah kommen! Basta!

Nach der zehnten Bahn stieg Daniel aus dem Wasser und ging zurück zu der Liege, neben der seine Schuhe lagen und auf der sein T-Shirt hing. Seine Beine und seine Arme fühlten sich bleischwer an. Hoffentlich schaffte es dieses Gefühl, ihn zurück auf den Boden der Tatsachen zu ziehen. Er musste darüber nachdenken, wie er sich in Zukunft gegen die Anschuldigungen seines Vaters verteidigen konnte. Natürlich war es eine dumme Idee gewesen, das sah er ein. Aber er war erwachsen, und Phil würde es doch nicht wirklich durchziehen und ihn am Ende feuern. Oder? Dann wirst du Abteilungsleiter, hörte Daniel Phils Worte wieder. Viel besser war das nicht.

Kopfschüttelnd ging er zurück in die kleine Pension. Er kam gerade aus der Dusche, als es klopfte. Das Frühstück, fiel ihm ein, und Eve. Er zog sich seinen Bademantel über und ging zur Tür.

„Guten Morgen, Eve“, sagte Daniel. Seine Stimme klang ein wenig atemlos.

„Ich habe Sie doch nicht geweckt?“, fragte Eve. „Oh. Guten Morgen.“ Schon wieder hatte sie Daniel nach dem Duschen gestört. Und sie erlaubte sich nicht, darüber nachzudenken, was er wohl unter dem dunkelblauen Bademantel trug. Viel bestimmt nicht. Mist, sie konnte ihre Gedanken einfach nicht mehr kontrollieren. Sie verstärkte ihren Griff um das Tablett und ging zielstrebig an Daniel vorbei auf die glücklicherweise geöffneten Balkontüren zu. „Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen? Es ist so ein wunderschöner Tag heute. Genau die richtige Menge Wind für sanfte, aber nicht zu flache Wellen. Haben Sie schon Pläne für heute? Wenn Sie etwas brauchen, einen Mietwagen oder eine Karte der Insel, Tipps, irgendetwas – dann fragen Sie einfach. Wir stehen Ihnen jederzeit zur Verfügung.“ Eve sah Daniel nicht an, während sie den letzten Satz sagte.

Möglichst flink und souverän deckte sie seinen Balkontisch. Als sie damit fertig war, musste sie sich leider umdrehen, um zurück durch das Zimmer in den Flur zu gelangen.

Daniel lehnte an der Wand und beobachtete sie. „Vielen Dank. Das sieht gut aus. Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht, was ich heute unternehmen möchte.“ Langsam kam er auf sie zu, und Eve trat nervös zur Seite. In diesem Moment klingelte sein Telefon.

Daniel bewegte sich nicht mehr. Er stand einfach da und starrte Eve an, es sah aus, als suche er Hilfe.

„Möchten Sie nicht rangehen?“

Daniel schüttelte den Kopf, und kurz trat etwas Merkwürdiges in seinen Blick. Hatte er etwa Angst? Wusste er, wer der Anrufer war? „Ich sollte das Handy ausschalten. Bin schließlich im Urlaub“, sagte er und rührte sich noch immer keinen Zentimeter.

„Bei manchen Anrufern bringt selbst das nichts. Wenn ich das Gespräch nicht annehme und meine Mutter versucht, mich zu erreichen, dann schafft sie es immer im Laufe des Tages, mich doch noch zu erwischen, und ich bekomme Ärger. Als wäre man noch ein dummes, kleines Kind.“ Eve lächelte schief. Was erzählte sie denn da?

„Ihre Mutter?“, fragte Daniel interessiert. „Erzählen Sie mir von ihr.“ Er wies auf den zweiten Stuhl am Tisch und nahm vor seinem Frühstück Platz.

Eve zögerte, aber dann erinnerte sie sich an das Versprechen, das sie Alexandra gegeben hatte, sich aufmerksam um diesen besonderen Gast zu kümmern. Also gut. Ein Gespräch konnte nicht schaden. Wenn es sich um ihre Mutter drehte, würde es ohnehin nicht romantisch werden. Also setzte Eve sich und lehnte das Tablett neben sich an die Wand. Kurz ließ sie ihren Blick über das blaue Meer schweifen, bevor sie sich wieder Daniel zuwandte. „Meine Mutter ist ungeheuer ehrgeizig“, sagte Eve. „Sie arbeitet sehr viel und ist die effizienteste Person, die ich kenne. Dreimal dürfen Sie raten, was sie von mir erwartet.“

„Viel, nehme ich an“, sagte Daniel und lehnte sich ein bisschen vor. Dabei sah er Eve direkt in die Augen.

„Natürlich. Ich habe sowieso nicht das aus meinem Leben gemacht, was ich ihrer Meinung nach sollte. Keine eigene Wohnung, kein BWL-Studium, kein lukrativer Job mit Fünfzig-Stunden-Woche.“ Eve seufzte und lächelte, aber dann sah sie Daniels Gesichtsausdruck. Er sah ertappt aus. Mist, hoffentlich hatte sie ihn jetzt nicht beleidigt.

„Ich weiß genau, was Sie meinen“, sagte er dann zu ihrem Erstaunen. „Mein Vater ist von der gleichen Sorte. Seine Erwartungen sind höher als alle Wolkenkratzer Manhattans übereinandergebaut. Ich kann ihm nie etwas recht machen.“

„Dabei sind Sie Geschäftsführer“, rutschte es Eve heraus.

Daniel sah sie überrascht an. „Habe ich davon erzählt?“

„Nein, ich habe nur geraten. Aber Sie arbeiten doch sicher in einer führenden Position, oder?“ Eves Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie konnte Daniel ja schlecht sagen, dass sie das wusste, weil er Geschäftsführer der Firma war, in der sie bis vor Kurzem noch gearbeitet hatte. Und dass dies der Job gewesen war, der ihrer Mutter nicht gereicht hatte. Sie konnte ihm weder sagen, dass sie sich kannten, noch, dass er ihr gekündigt hatte. Er würde sich noch schlechter fühlen, und überhaupt. Was für ein Licht warf das auf sie selbst?

Zum Glück sah er aus, als nähme er ihr diesen Gedanken ab. „Gut geraten. Ich führe ein großes Modeunternehmen in London, gemeinsam mit meinem Bruder.“

„Das klingt doch, als müsste es Ihren Vater stolz machen.“

Daniel nahm einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse mit einem lauten Geräusch wieder auf den Tisch. „Ja, das müsste es. Tut es aber nicht. Obwohl wir in der Firma absolut gleichgestellt sind, ist Phil immer der Goldjunge, während ich … nun ja, in seinen Augen immer das schwarze Schaf bleibe. Mein jüngerer Bruder hat es früher zu etwas gebracht als ich. Er ist zäh und hartnäckig und sehr erfolgreich, in allem, was er tut. Er gewinnt immer.“ Daniel starrte auf seinen Kaffee und murmelte etwas, was Eve nicht verstehen konnte. Es klang aber wie: „Dieses Mal darf er nicht gewinnen.“

„Oje, wenigstens habe ich keine Geschwister, mit denen ich vor meiner Mutter konkurrieren muss. Es tut mir wirklich leid, Sie haben es sicher nicht leicht.“ Sie lächelte ihm aufmunternd zu und musste dagegen ankämpfen, ihre Hand tröstend auf seine zu legen. Deswegen stand sie langsam auf. „Die Arbeit ruft leider, genießen Sie Ihr Frühstück, Daniel. Wenn Sie noch etwas benötigen, Sie finden uns unten, im Empfangsbereich steht eine Klingel, falls wir nicht dort sein sollten.“

Daniel nickte. „Vielen Dank für Ihre Zeit, Eve.“ Er wandte sich seinem Frühstück zu, und Eve schob sich an ihm vorbei. „Einen Moment noch“, sagte er plötzlich und griff nach ihrem Arm. Die Berührung war ganz leicht, und sofort war das kleine Feuer in Eves Bauch wieder da und loderte auf. „Ach, nichts“, sagte Daniel dann. „Vielen Dank.“

Erschrocken sah Daniel auf die Uhr, er hatte tatsächlich schon vier Stunden auf dem Balkon verbracht, einfach damit, dass er die Sonne genossen und gelesen hatte. Das Tablett hatte er, wie Eve es vorgeschlagen hatte, einfach vor seine Zimmertür gestellt. Einmal hatte er es klappern gehört, als sie es vermutlich holte. Ganz kurz hatte er überlegt, ob er zur Tür gehen sollte, um sich mit ihr zu unterhalten. Aber er wollte sie nicht mit seinen Sorgen und Gedanken belästigen. Sie hatte schließlich genug zu tun.

Sofort bekam er ein schlechtes Gewissen. Er hatte seit über vier Stunden nicht an die Firma gedacht. Er sollte schleunigst hinüber ins Minos Palace gehen, wo es WLAN gab. Dort würde er seine E-Mails checken und die Aktienkurse verfolgen. Schnell zog er sich an und verließ mit seinem Laptop in der Hand das Zimmer.

Autor

Nicki Night
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Helen Brooks

Bereits seit über 20 Jahren veröffentlicht die britische Autorin unter dem Pseudonym Helen Brooks Liebesromane, unter ihrem richtigen Namen Rita Bradshaw schreibt sie seit 1998 historische Romane. Weit über 40 Bücher sowie einige andere Werke sind bisher unter dem Namen Helen Brooks erschienen, von Rita Bradshaw gibt es 14 Romane....

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