Romana Weekend Band 11

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INSELNÄCHTE VOLLER LIEBE von LIZ FIELDING

Auf der romantischen Trauminsel Meridia küsst Max sie zärtlich. Nun ist es endgültig um Louise geschehen. Schon so lange sehnt sie sich nach dem charmanten Topmanager. Sagt er ihr am Valentinstag endlich die entscheidenden Worte?

GESTÄNDNIS AM VALENTINSTAG von ROBYN GRADY

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KREUZFAHRT INS GROßE GLÜCK von KRISTIN HARDY

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  • Erscheinungstag 24.02.2024
  • Bandnummer 11
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527781
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Liz Fielding, Robyn Grady, Kristin Hardy

ROMANA WEEKEND BAND 11

1. KAPITEL

„Ich habe Ihnen den PR-Plan für den Countdown bis zur Eröffnung ausgedruckt. Das City Lights …“ Louise Valentine brach ab, als ihr Handy klingelte. „Das muss ich annehmen“, entschuldigte sie sich bei den Geschäftsführern der Nash Group, die am runden Verhandlungstisch die letzten Details besprachen. „Ich erwarte einen Anruf vom Herausgeber …“

Doch das Display zeigte nicht die erwartete Nummer des größten Szenemagazins an.

Nein. Es war Max.

Einen Moment konnte sie keinen klaren Gedanken fassen, doch das war ja nichts Neues. Diese Wirkung hatte Max schon immer auf sie gehabt. Und nie war sie sich sicher, ob er sie lieber erwürgen oder küssen wollte. Aber da Küssen nicht zur Debatte stand, blieb sie ihm – abgesehen von Familienfesten – lieber fern. Und selbst zu diesen Anlässen hielten sie sich wie in stillem Einvernehmen in verschiedenen Ecken des Raums auf.

Unglücklicherweise ging das nun nicht mehr, und Louise war sich nur zu bewusst, dass Max diese Tatsache ebenso lästig fand wie sie selbst. Sicher fiel es ihm nicht leicht, in seinem vollen Terminkalender einen Augenblick freizuschaufeln, um mit ihr über die Öffentlichkeitsarbeit für die Bella-Lucia-Restaurantgruppe zu sprechen, für die er nun die volle Verantwortung trug.

Zu schade. Denn auch Louise war sehr beschäftigt, und sie saß bestimmt nicht herum und wartete auf Max Valentines Anruf. Schließlich führte sie ihr eigenes Unternehmen mit allen dazugehörigen Verpflichtungen, und ihr Telefon klingelte eigentlich unablässig.

Zugegeben: Nachdem sie erfahren hatte, dass sie die Öffentlichkeitsarbeit für das Bella Lucia übernehmen sollte, hatte sie sich mehr als einmal Träumereien hingegeben. Eine solche Aufgabe bedeutete einfach eine echte Herausforderung, und ihr Geist lief sofort auf Hochtouren. Der einzige Haken war, dass sie mit Max zusammenarbeiten müsste. So schnell konnte ein Traum zu einem Albtraum werden.

Und jetzt rief er sie doch nur an, weil ihm die Hände gebunden waren. Käme der Vorschlag, sie für die PR der Restaurants einzustellen, nicht von Max’ Halbbruder Jack, hätte Max ohne mit der Wimper zu zucken abgelehnt. Jack Valentine hatte es vorgezogen, die Leitung der Restaurants nicht selbst zu übernehmen, sondern sich mit der Finanzierung zu begnügen und wieder nach New York zurückzukehren. Als wichtigster Investor der maroden Restaurants wog sein Wort allerdings sehr schwer. Das konnte selbst Max nicht ignorieren.

Bisher hatte Max sich offenbar noch nicht in der Lage gesehen, zum Telefon zu greifen und Louise zu fragen, ob sie den Job annehmen wollte. Überhaupt hatte er nichts getan, um ihr das Gefühl zu geben, dass sie wichtig und ihre Vorschläge willkommen oder gar erwünscht waren. Wieso sollte er auch? Sie war ja nicht einmal eine echte Valentine …

„Louise?“

Sie sah auf und blickte in erwartungsvolle Gesichter. Schnell schob sie das Handy in die Tasche zurück und ging zur Tagesordnung über.

„Wie Sie wissen, hat City Lights eine begrenzte Anzahl von Einladungen zur Eröffnung Ihres ersten Londoner Restaurants in der aktuellen Ausgabe von heute angeboten. Freies Essen, Livemusik und die Gelegenheit, Promis zu treffen. Damit haben Leser die Möglichkeit, einen Abend unter Stars zu verbringen.“ Louise blickte in die Runde. „Ich darf Ihnen mitteilen, dass der Anklang bei der Zeitschrift überwältigend war. Damit sind uns große Storys in verschiedenen Magazinen und ein paar Zeilen in den Tageszeitungen sicher.“

„Großartig, Louise“, applaudierte Oliver Nash. „Mit ein bisschen Glück werden diese Tickets bald gegen gutes Geld Besitzer finden.“

„Wenn dem so ist, haben wir das am allerwenigsten dem Glück zuzuschreiben“, gab Louise nüchtern zurück.

Max hörte die Ansage der Mailbox und schaltete fluchend sein Handy aus. Jedes Mal schlug ihm Louise’ kühle Stimme vor, eine Nachricht zu hinterlassen, damit sie ihn später zurückrufen könnte.

Warum sollte Louise ihn zurückrufen? Weshalb sollte sie auch nur einen Augenblick ihrer Zeit dafür verschwenden, zu tun, was er von ihr verlangte? Seit er sie vor einigen Jahren aus dem Bella Lucia entlassen hatte, trug sie ihm das nach.

Als ob er eine andere Chance gehabt hätte!

Einer von ihnen musste gehen, und das Bella Lucia war Max’ Zukunft, der einzige Fixstern in seinem Leben. Da sein Vater die Frauen wie Hemden wechselte und seine Mutter sich in ihre eigene Karriere stürzte, war ihm nur das Bella Lucia geblieben.

Louise dagegen vertrieb sich im Bella Lucia Chelsea nur die Zeit, bis sie dem Wunsch ihrer Mutter nachkam, einen Mann mit Adelstitel zu ehelichen und den Rest ihres Lebens durch die Weltgeschichte zu reisen, während ein Kindermädchen ihre Kinder erzog …

Wenn Max ganz ehrlich war, lag das Problem jedoch deutlich anders. In Louise’ Nähe konnte er nicht klar denken, und dieses Phänomen hatte sich noch verstärkt, seit sie aus Italien zurückgekehrt war, mit langen blonden Locken, weiblichen Kurven und einem Blick, aus dem Max nur Spott las.

Wäre sie nicht seine Cousine …

Aber sie gehörte nun einmal zur Familie. Und deshalb war es selbstverständlich, dass sie nach dem Studium im Familienunternehmen anfing – ausgerechnet in seinem Restaurant. Von da an kam er sich vor, als liefe er auf einem Minenfeld. Jeden Moment konnte etwas passieren.

Diese Spannung zwischen ihnen hatte verheerende Auswirkungen auf das Personal, und als wäre das nicht schlimm genug, bekam sie auch noch einen ihrer berühmten Temperamentsausbrüche direkt vor wichtigen Gästen. Max blieb gar keine andere Wahl, als sie auf der Stelle zu entlassen.

Und jetzt täte er nichts lieber, als Jack Valentine eigenhändig zu erwürgen, weil er auf die grandiose Idee gekommen war, dass Max und Louise gemeinsam die Zukunft des Bella Lucia gestalten sollten. Während seines gesamten Aufenthalts in Qu’Arim, wo er das erste ausländische Bella-Lucia-Restaurant plante, hatte Max versucht sich einzureden, dass Jack nicht wusste, was er tat.

Natürlich stimmte es, dass das Unternehmen eine starke PR brauchte. Die Restaurantgruppe war längst nicht mehr das kleine Familienunternehmen, das sein Großvater William Valentine am Ende des Zweiten Weltkrieges eröffnet hatte. Unter der Führung von Max’ Vater und Onkel hatte sich das italienische Ambiente der Nachkriegszeit reichlich abgenutzt. Die Zeit war reif für eine innovative Veränderung, um dem Bella Lucia den Weg in die Zukunft zu ebnen. Die Umsätze stagnierten, und das Restaurant in Qu’Arim sollte der erste Schritt in die Expansion sein. Doch damit das funktionierte, mussten sie eine offensive Öffentlichkeitsarbeit leisten. Sie brauchten ein neues Image, um wieder ins Gespräch zu kommen, ein neues und internationales Gewand.

Und jetzt lag die Zukunft der Restaurantgruppe ganz allein in Max’ Händen. Er brauchte jemanden, der die PR-Arbeit übernahm. Und sein Bruder hatte ihm klar und deutlich gesagt, dass er nicht irgendjemanden brauchte, sondern Louise’ Talent nutzen sollte.

Natürlich war Jack, nachdem er diese Bombe gezündet hatte, ganz gemütlich wieder nach Amerika abgereist und überließ nun Max die ehrenwerte Aufgabe, Louise davon zu überzeugen, ihr eigenes Unternehmen aufzugeben und für ihn zu arbeiten.

Brillant. Nachdem er sie damals entlassen hatte, musste er sie nun wieder ins Boot holen. Ganz gleich, was es kostete. Max machte sich keine Illusionen, es würde nicht leicht sein, sie zu überzeugen. Louise mochte damals im Restaurant versagt haben, doch sie hatte eine 1a-Karriere im Marketing- und PR-Bereich hingelegt. Zu ihrer Klientel zählten die bekanntesten Restaurants des Landes. Sie kannte jeden im Business, jeden in den Medien, und da ihre Mutter zur High Society gehörte, verkehrte sie auch noch mit der gesellschaftlichen Elite. Keine Frage: Louise war allererste Wahl.

Doch auch clever genug, um zu erkennen, dass das Bella Lucia sie mehr brauchte als sie das Bella Lucia.

Dass er sie mehr brauchte als sie ihn.

Er an ihrer Stelle würde keine Sekunde zuhören. Würde sie auf Knien rutschen lassen, betteln …

Hoffentlich dachte sie nicht genauso.

Max sah auf die Uhr. Wenn er sich beeilte, könnte er sie vor dem Büro abfangen.

„Du bist wirklich unschlagbar, Louise.“ Oliver Nash hatte im Foyer auf sie gewartet und geleitete sie nun hinaus. Dabei hielt er ihre Hand viel länger als notwendig. „Darf ich dich zum Abendessen einladen, um mich richtig bei dir zu bedanken?“

„Ende des Monats bekommst du meine Rechnung. Wenn du die begleichst, ist das Dank genug.“

„Irgendwann sagst du doch mal Ja, und das wird dann mein Glückstag sein.“

Louise lachte. „Irgendwann sage ich doch mal Ja und jage dir damit einen Riesenschrecken ein. Geh nach Hause zu deiner lieben Frau, Oliver.“

„Du kennst mich einfach zu gut“, sagte er seufzend und küsste sie auf die Wange. Just in diesem Moment sah sie Max, der an seinem Wagen lehnte und sie beobachtete. „Hast du deinen Lustknaben gegen einen Mann in den besten Jahren eingetauscht?“, fragte er sarkastisch.

Zu Louise’ Erleichterung dämmerte es bereits, sodass niemand ihr zartes Erröten bemerkte. Schon Max’ Gegenwart jagte ihr das Blut durch die Adern und erschütterte ihr inneres Gleichgewicht.

Oliver dagegen ließ nicht einmal ihre Hand los.

„Oliver, ich glaube, du kennst Max Valentine noch nicht. Max, Oliver Nash ist ein sehr geschätzter Kunde von mir, der Vorsitzende der Nash Group.“

„Fast Food?“, fragte Max.

„Schnelles Essen, schneller Profit“, lachte Oliver gutmütig. Offenbar beeindruckte ihn die Feindseligkeit des jüngeren Mannes nicht. „Und was macht der Slow-Food-Sektor?“

Ihr kurzes Wortgeplänkel gab Louise die Gelegenheit, sich zu entspannen.

„Wir sehen uns dann morgen, Oliver.“

„Kommst du klar?“ Er sah in die Wolken, aus denen sich gerade die ersten Tropfen lösten, und dann zu Max. „Ich kann dich nach Hause fahren.“

„Louise und ich haben noch etwas Geschäftliches zu besprechen“, erklärte Max und legte die Hand an Louise’ Ellbogen.

Max berührte sie nie, wenn es sich vermeiden ließ. Zumindest nicht mehr seit jenem Sommer, als sie aus Italien zurückkam und alles anders gewesen war.

Aus den Kindern waren halbe Erwachsene geworden, und sie hatten einander angesehen, wie sich Cousin und Cousine nicht ansehen sollten …

Damals wussten sie noch nicht, was sie heute wussten: Dass sie gar nicht Cousin und Cousine waren, weil Louise als Baby adoptiert worden war.

Mit einem kühlen Lächeln entwand sie sich ihm. „Bürozeiten sind von zehn bis sechs, Max.“

„Es ist fast acht.“

Das bemerkte er, ohne auf die Uhr zu sehen, und Louise fragte sich, wie lange er wohl schon hier wartete. Sein Pech. Sie war schließlich niemandem Rechenschaft schuldig.

„Für geschätzte Kunden macht man auch mal eine Ausnahme“, gab sie huldvoll zurück.

„Dann bist du grenzenlos verfügbar?“

Louise ignorierte die zweideutige Betonung. „Wenn du etwas Geschäftliches mit mir zu besprechen hast, mach bitte morgen einen Termin mit meiner Sekretärin. Vielleicht kann ich mich nächste Woche ein Stündchen frei machen.“

Dann wandte sie sich an Oliver. „Danke für das Angebot, aber ich möchte dich nicht aufhalten. Wir sehen uns dann morgen beim Fotoshooting.“

Weder sie noch Max verloren ein Wort, als der Rolls-Royce den Parkplatz verließ.

Erst danach fragte Louise: „Fehlt dir nicht etwas, Max?“

„Ein PR-Profi?“, schlug er vor.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich meinte eigentlich deine obligatorische, stets wechselnde Blondine. Ich schätze, jede von ihnen hat auch einen Namen, aber es ist so anstrengend, sie sich zu merken.“

Sie sah sich um. „Bei dieser Witterung halten sich so zarte Geschöpfe wahrscheinlich nicht gern im Freien auf.“ Das war die wohlverdiente Rache für den Lustknaben und den Mann im besten Alter. „Ach nein, jetzt erinnere ich mich. Weihnachten hast du mit Maddie geflirtet, doch dann ist sie mit Jack abgezogen, nicht wahr? Mit dem Bruder, der die guten Eigenschaften eures Vaters geerbt hat.“

„Wenn es nach Jack ginge, bist du die einzige Blondine, die ich brauche.“

„Ach wirklich?“, säuselte sie. „Dann wirst du dich aber mächtig ins Zeug legen müssen, nicht wahr?“

Damit hob sie eine Hand und winkte sich ein Taxi heran. Kaum hielt der Wagen, da stieg Louise auch schon ein, und Max schob sich neben sie auf die Rückbank.

„Verzeih, aber das ist mein Taxi. Dein Wagen steht da drüben.“

„Wir müssen sprechen.“

„Du willst sprechen, aber ich muss dir nicht zuhören.“

Ohne darauf zu reagieren, gab Max dem Fahrer ihre Adresse.

„Indem du mein Taxi entführst, setzt du deinen Willen bestimmt nicht durch.“

„Wie dann?“, fragte er und rückte von ihr ab.

Das gefiel ihr auch nicht.

„Gar nicht. Ich habe ein florierendes Unternehmen und mehr Klienten, als ich annehmen kann. Weshalb sollte ich das alles fallen lassen, nur um im Bella Lucia zu arbeiten? Und warum sollte ich mir auch nur eine einzige Minute anhören, was du zu sagen hast?“

„Weil das Bella Lucia ein Familienunternehmen ist. Das Unternehmen deiner Familie, Lou.“

„Familie? Wo warst du denn in den letzten Wochen, Max? Meine Familie war eine hübsche kleine Erfindung der Valentines. Eine Erfindung deiner Eltern und der Leute, die vorgaben, meine Eltern zu sein. Wenn du an meinen Familiensinn appellieren willst, kannst du dir die Mühe sparen.“

„Mach dich nicht lächerlich. Natürlich gehörst du zur Familie …“

Louise hob eine Braue. „Wenn ich mich recht erinnere, war es dir bei unserer letzten Auseinandersetzung vollkommen egal, dass ich zur Familie gehöre. Es hat mir nicht die demütigende Erfahrung erspart, vor allen Leuten rausgeschmissen zu werden. Es tut mir leid, Max, aber in meinen Augen ist es alles andere als reizvoll, für dich zu arbeiten. Ich bin vielleicht blond, aber nicht blöd.“

„Das ist doch alles lange her, Lou.“

„Richtig. Und was hat sich seitdem geändert? Du behandelst mich immer noch wie ein dummes kleines Mädchen, beleidigst mich vor einem wichtigen Kunden, ignorierst meine Wünsche. Aber ich habe Neuigkeiten für dich: Ich bin kein kleines Mädchen mehr, sondern eine erwachsene Frau, und ganz nebenbei gehört mir eine erfolgreiche PR-Agentur, die ich selbst aufgebaut habe, genau wie William Valentine es mit seinem Bella Lucia gemacht hat. Mach mir das erst mal nach, das wird dich vielleicht ein bisschen Respekt lehren.“

Louise schluckte. Das hatte sie nicht sagen wollen. Denn das Bella Lucia war Max’ Leben. Er arbeitete härter als irgendwer sonst, um es zum Erfolg zu führen. Niemanden hatte die finanzielle Krise, in der die Restaurantgruppe steckte, härter getroffen als ihn, und niemand hatte sie weniger verdient.

Es war immer dasselbe. Kaum waren sie zusammen, verlor sie den Kopf. Kurzerhand lehnte sie sich vor. „Bitte fahren Sie ran“, bat sie den Fahrer.

Das Taxi hielt in der Parkbucht, aber Max rührte sich nicht. „Du kannst nicht davor weglaufen, Lou.“

Wahrscheinlich nicht, aber sie war müde, morgen stand ihr ein harter Tag bevor, und obwohl Diskussionen mit Max sie normalerweise anregten, wirkte diese hier leider kein bisschen stimulierend.

„Willst du, dass ich auf Knien vor dir liege und bettele? Ist es das?“

Mochte die Vorstellung auch verlockend sein, so würde sie doch nichts ändern.

„Alles, was ich will“, sagte sie langsam und deutlich, „ist, dass du mir einmal zuhörst. Ich wünsche dir eine gute Nacht, Max.“

Einen Moment glaubte sie, er wolle protestieren. Doch dann öffnete er wortlos die Tür, reichte dem Fahrer eine Banknote und stieg aus. Louise sah, wie er durch den Regen zurück zu seinem Wagen ging.

Sie hasste Max dafür, dass er sich wieder in ihr Leben stahl.

„War es das?“, fragte der Fahrer. „Oder ändern Sie gleich Ihre Meinung, und dann soll ich ihm nachfahren? Wenn ich hier abbiege, kommen erst mal nur Einbahnstraßen.“

Max blieb nichts anderes übrig, als zu gehen und anzuerkennen, dass er sich wie ein Trottel benommen hatte. Er hatte ihre Abfuhr mehr als verdient. Am schlimmsten war, dass er sich sonst nie so respektlos verhielt, eigentlich war er ein freundlicher offener Mensch, nur Louise holte immer das Schlechteste aus ihm heraus.

Allein wenn er sie ansah, verwandelte er sich von einem zivilisierten Menschen in einen Neandertaler.

Vielleicht hatte sie recht. Nichts hatte sich geändert. Sie konnten damals nicht zusammenarbeiten, und sie könnten es heute genauso wenig. Max zog die Schultern hoch, um sich gegen den Regen zu schützen.

Er hatte ihr ein Angebot gemacht, aber sie war nicht interessiert.

Abrupt blieb er stehen und sah seinem Atem in der kalten Luft nach. Wäre ihm auf diese Weise ein Angebot unterbreitet worden, hätte er dasselbe getan.

Verdammt, was für eine vertane Chance! Ursprünglich hatte er sie zum Essen einladen wollen. Als er um sechs vor dem Bürogebäude vorfuhr, hielt er seine Zeitplanung noch für perfekt. Von dem Moment an, in dem ihm Louise’ Assistentin mitgeteilt hatte, dass Louise noch in einem Meeting steckte, lief alles schief.

Mit zwei Stunden Wartezeit im Auto hatte er nicht gerechnet. Doch anstatt nach Hause zu fahren, blieb er sitzen und ärgerte sich mit jeder Viertelstunde mehr. Und fand ausreichend Zeit, um sich an die Weihnachtsfeier zu erinnern. Er ahnte, wie niedergeschmettert Louise sich fühlen musste. Gerade erst hatte sie von ihrer Adoption erfahren. Diese Information musste ihr den Boden unter den Füßen weggezogen haben.

Max wollte ihr sein Verständnis signalisieren, ihr seine Hilfe anbieten. Doch dann tauchte sie Heiligabend mit einem muskelbepackten Hünen auf.

Auf der einen Seite wusste er natürlich, dass sie damit und mit ihrer ungewohnt freizügigen Aufmachung an jenem Abend ihren Eltern nur eins auswischen wollte, weil sie sie ihr Leben lang belogen hatten.

Auf einer viel primitiveren Ebene allerdings …

Er schüttelte den Kopf. Er hätte sich mehr Mühe machen sollen, sie anrufen und ihr zuhören sollen. Sie waren beide sehr beschäftigt, doch wie lange dauerte schon ein Anruf?

Andererseits hatte sie ihn da wahrscheinlich gar nicht nötig. Auch wenn der australische Hüne noch arg jung gewesen war, eigneten sich seine imposanten Schultern sicher sehr gut zum Anlehnen und Ausweinen.

Und gerade als er darüber nachdachte, trat Louise mit diesem Oliver Nash aus dem Büro, und Max’ gute Vorsätze waren vergessen.

Wenn er doch nur aufhören könnte, Louise als lästigen Störenfried seiner Seelenruhe zu betrachten und sie stattdessen als die begnadete PR-Fachfrau sähe, die sie war. Wieder nahm er das Handy in die Hand.

Diesmal wartete er ihren Anrufbeantworterspruch geduldig ab. „Louise, ich weiß, dass du beschäftigt bist.“ Er zögerte. Aber es ging um das Bella Lucia. „Wenn du irgendwann ein Stündchen erübrigen könntest, wäre ich dir dankbar …“

„Max …“ Louise fiel ihm ins Wort. Stirnrunzelnd starrte er das Handy an.

„Max!“

Er fuhr herum.

Im Licht der Schaufenster stand Louise, die Regentropfen funkelten in ihrem Haar, und ihr schwarzer Mantel war durchnässt.

Sie hatte das Taxi fortgeschickt und war ihm nachgelaufen. Einen Moment fehlten ihm die Worte.

„Louise … ich wollte dir gerade eine Nachricht hinterlassen.“

„Das habe ich gehört.“ War sie drauf und dran zu lächeln, oder bildete er sich das ein? „Du warst sehr höflich, also musst du ziemlich verzweifelt sein.“ Als er sich nicht rührte, sah sie in den verregneten Himmel hinauf. „Bleiben wir hier stehen, oder hast du einen Plan?“

„Gehen wir was trinken? Oder essen?“, schlug Max vor. Er konnte sein Glück immer noch nicht fassen. „Ich kenne da ein richtig gutes Restaurant in der Kings Road.“

„Abendessen“, entschied sie. „Aber nicht im Bella Lucia.“

„Such du dir etwas aus.“

Das Restaurant lag in der Nähe ihres Büros, und Louise wurde herzlich vom Personal begrüßt. Offenbar traf sie hier ihre Klienten.

Ohne Wartezeit bekamen sie einen Tisch, wurden zügig bedient, und das Essen schmeckte vortrefflich. Ansonsten ließ man sie in Ruhe. Max musste zugeben, dass sie eine gute Wahl getroffen hatte. Im Bella Lucia hätte er doch immer mit einem Auge die Vorgänge im Restaurant überwacht, anstatt sich auf ihr Gespräch zu konzentrieren.

Dieses Verhalten hatte er oft genug bei seinem Vater beobachten können. Für Robert Valentine besaß das Geschäft Vorrang vor allem – schon immer. Doch Max wollte nicht wie sein Vater sein. Vor allem heute Abend durfte er sich von nichts ablenken lassen. Sein wichtigstes Ziel war jetzt, Louise zu überzeugen.

Nur sie anzusehen fiel ihm jedoch nicht schwer. Mit siebzehn aus Italien zurückgekehrt, zur Frau gereift, war sie in den vergangenen Jahren noch weiblicher und erwachsener geworden. Bestimmt lagen ihr die Männer zu Füßen, und Max konnte es sich nicht leisten, ihnen Gesellschaft zu leisten.

„Wie war deine Australienreise?“, fragte er. „Melbourne, oder? War es schön?“

„Willst du damit herausfinden, ob es sich als Standort für ein Bella Lucia eignet?“

Was für ein Schuss vor den Bug. Damit machte sie ihm unmissverständlich klar, dass ihn ihre neue Familie nichts anging. Doch er sah das anders. Sie war eine Valentine, und ihre ganze Familie, leiblich oder adoptiert, war wichtig.

„Unterstellst du mir so einspuriges Denken?“

Wortlos nippte sie an ihrem Mineralwasser.

„Also?“ Er musste die Unterhaltung zu seinem Vorteil wenden. „Was sagst du zu Melbourne?“

„Ich sage, dass du immer noch glaubst, ich hätte auch nur das geringste Interesse am Bella Lucia.“

„Immerhin hast du dein Leben lang davon profitiert. Dank der Restaurants hattest du ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen, teure Klamotten …“, erinnerte er sie. „Von dem Geld hat Onkel John das Apartment bezahlt, als du von zu Hause ausgezogen bist. Ja, ich gehe davon aus, dass du wenigstens ein bisschen Interesse am Fortbestand des Bella Lucia hast.“

Louise errötete. Damit hatte er sie. Sie mochte wütend sein, verbittert, doch sie wusste, was sie John und Ivy Valentine verdankte. Selbst wenn sie nicht gut auf sie zu sprechen war.

„Wie planst du eine Marketingkampagne?“, sprach er die Fachfrau in ihr an.

„Zuerst kreieren wir eine Marke“, erklärte sie nach einem kurzen Zögern.

„Eine Marke?“ Er runzelte die Stirn. „Wir sind kein Fast-Food-Restaurant wie der Laden von Oliver Nash.“

Ungeduldig wischte Louise seine Bemerkung fort. „Denk nicht in so engen Bahnen. Was glaubst du, aus welchen Gründen jemand ein Bella Lucia betritt?“

„Das hängt von der Person ab. Und davon, welches Bella Lucia er oder sie betritt. Alle drei sind ja grundverschieden. Ein Geschäftsmann, der mit seinen Kollegen im Mayfair speist, führt seine Gattin ins Knightsbridge und geht wahrscheinlich mit seinen Kindern ins Chelsea.“

„Und mit wem würde er im Bella Lucia Qu’Arim essen?“

Max kamen Bilder von Louise in den Sinn, Louise und er in Qu’Arim.

„Mit der Frau, die er liebt“, sagte er dann. „Die Anlage dort ist ein romantisches Kleinod.“

„Das kann alles oder nichts heißen.“ Einen Moment musterte sie ihn schweigend. „Wenn es ein Stoff wäre, welcher wäre es?“

„Ein Stoff?“

„Baumwolle?“, schlug sie vor. „Nein? Kaschmir? Samt? Leinen?“

„Seide“, entschied er. „Mit einem Hauch Kaschmir.“

„Und wenn es eine Tageszeit wäre?“

„Nacht“, kam es prompt. „Schwarz mit einem silbrigen Glanz von Mondlicht und die Sterne zum Greifen nah.“

„Jeder Mann ein Scheich und jede Frau seine willige Sklavin? Das ist keine Romantik, Max. Das sind sexuelle Fantasien.“

„Und das ist schlimm?“

„Wahrscheinlich nicht“, gab sie zu. „Aber es ist nicht gerade politisch korrekt, zuzugeben, dass Sex verkaufswirksam ist. Und ich frage mich, was die Frauen davon halten.“

Nun lächelte er. „Ich entführe dich dorthin, dann kannst du selbst urteilen.“

„Ich erstelle eine Marketingstudie“, wies sie ihn zurecht. „Erzähl mir mehr.“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. „Wir haben großes Glück, Lou. Surim hätte auch jedes andere Restaurant für seine Ferienanlage nehmen können.“

„Wozu alte Schulfreundschaften doch gut sind, nicht wahr?“

„Wenn man einem Mitschüler hilft, ist es nicht von Nachteil, wenn es sich dabei um ein zukünftiges Staatsoberhaupt handelt“, stimmte er zu.

„Entschuldige. Ich meinte es nicht so zynisch. Ich weiß ja, dass ihr echte Freunde seid. Nur hast du leider meistens deine Arbeit im Kopf.“

„Sagt die Frau, die selbst gerade einen Zehnstundentag hinter sich hat.“

„Zwölf“, korrigierte sie ihn. „Aber das ist eine Ausnahme im Zuge der Nash-Kampagne.“ Dann wechselte sie das Thema. „Gut. Erzähl mir mehr von den Speisen, die dort serviert werden sollen. Mediterran? Oder arabisch? Couscous, Hummus und Mezze?“

Er lächelte. „Die arabische Küche war einst die gehobenste der Welt. Sie wurde an den mittelalterlichen Höfen Europas serviert.“

„Wirklich? Das gefällt mir. Erzähl mir mehr …“

Und während sie immer mehr Details von ihm verlangte, entspannte Max sich allmählich. Vielleicht konnten sie doch zusammenarbeiten. Vielleicht hatte er sich ganz umsonst Sorgen gemacht.

„Ich meinte es ernst, dass du es mit eigenen Augen sehen solltest.“

„Und was kommt nach Qu’Arim?“, überging sie seine Einladung geflissentlich. „Wie weit soll die Expansion gehen?“

„Wie groß ist die Welt? Amerika, Asien, Europa.“

„Hast du schon mal an Meridia gedacht?“

„Das steht definitiv auf meiner Liste.“

„Ich schlage vor, wir fangen damit an. Das Krönungsdinner dort kam aus dem Bella Lucia, außerdem ist deine Schwester inzwischen Königin. Diesen Umstand können wir für ein Medienspektakel nutzen.“

„Wir zerren unsere Gäste nicht in die Öffentlichkeit, Lou. Bei uns genießen sie Privatsphäre.“

„Das ist gut. Wir veröffentlichen Bilder vom Interieur vor der Eröffnung, einen kurzen Blick in eine Welt, die die meisten Leute niemals zu sehen bekommen. Etwas Mysteriöses. Ein Hauch von Spitze, der kaum verhüllt, wirkt oft verführerischer als reine Nacktheit.“

Unwillkürlich starrte Max auf Louise’ Wickelbluse, von filigranen Bändchen gehalten und so raffiniert gebunden, dass ihre Brüste zwar verhüllt, aber delikat betont wurden. Das Kleidungsstück verhieß geheime Freuden, ohne etwas zu enthüllen. Louise brauchte ihm nichts zu erklären. Dieser Versuchung hatte er sein Leben lang widerstehen müssen.

2. KAPITEL

„Das hängt immer davon ab, wer die Spitze trägt“, bemerkte Max. „Und wie sie aussieht, nachdem sie die Spitze abgelegt hat.“

Louise hob eine Augenbraue.

„Du hast mehr Zeit in Meridia verbracht als ich“, fuhr er fort. „Welche Möglichkeiten hätten wir dort?“

„Lass deiner Fantasie freien Lauf. Altstadt oder am Schloss, vielleicht auch etwas ganz anderes. Einen Ort, an dem Familien willkommen sind und im Sommer draußen essen können. Vielleicht etwas mit einem Anlegeplatz. Schließlich besitzt in Meridia anscheinend jeder ein Boot.“

Jetzt, da sie es sich im Geiste ausmalte, ergriff sie Begeisterung.

„Ein Pavillon auf einem See vielleicht. Etwas …“

„Etwas?“, hakte er nach.

„Etwas Schlichtes, Ungezwungenes, Informelles“, schloss sie und ertappte sich dabei, wie sie wild gestikulierte. Diese Angewohnheit hatte sie schon lange, und ihre Mutter behauptete immer wieder, das sei ihr italienisches Erbe. Was natürlich nicht stimmte, denn ihre Familiengeschichte war ja sowieso erlogen …

„Wie schnell kannst du dich aus deinen Verpflichtungen lösen und für uns dort hinfahren?“

„Wie bitte?“ Nur ein paar Minuten hatte sie sich von ihrer Begeisterung mitreißen lassen. Und schon glaubte er, gewonnen zu haben.

„Warum in aller Welt sollte ich mein eigenes Unternehmen aufgeben, um für dich zu arbeiten?“

Max lächelte. „Es ist ein bisschen spät, um vorzugeben, du wärst nicht interessiert, Lou.“

„Ich …“ In ihrem Enthusiasmus hatte sie sich vorgebeugt, und erst jetzt bemerkte sie, wie nah sie sich dadurch kamen. Nah genug, um in seinen tiefblauen Augen zu versinken. Nah genug, um sich an die Anziehungskraft zu erinnern, die sie seit jeher für ihn empfunden und sich nie hatte eingestehen dürfen.

Hastig fuhr sie zurück. „Mein Interesse ist rein beruflicher Natur, Max.“

Vor einiger Zeit wäre sie vor Glück zersprungen, wenn Max sie um ihre Mitarbeit gebeten hätte. Doch inzwischen würde sie ihre Unabhängigkeit niemals aufgeben, um unter die schützenden Fittiche der Valentines zurückzukriechen.

„Ich habe eigene Ziele“, erklärte sie. „Ehrlich gesagt, trage ich mich mit dem Gedanken, selbst meine Fühler nach Australien auszustrecken und zu expandieren.“

Max sah aus, als habe sie ihn geohrfeigt. „Dein Leben ist hier, deine Familie …“

„Und das glaubst du auch noch? Jetzt, da Dads Leichen aus dem Keller emporgestiegen sind, meint anscheinend jeder, an mein Verständnis appellieren zu müssen.“

Im ersten Moment wollte Max widersprechen, doch dann erinnerte er sich, was John alles für seine ihm bis dato unbekannten Söhne getan hatte. Selbst nachdem der eine das Bella Lucia ruiniert hatte, wich John nicht von seiner Seite.

„Wissen deine Eltern schon, dass du nach Australien gehen willst?“

Louise schluckte. „Noch nicht.“

„Du bist verletzt worden, das verstehe ich, aber brich nicht alle Brücken zu deiner Familie ab.“

Familie, Familie … Warum konnte er nicht einmal mit der Familie aufhören? Als Junge hatte Max mehr Zeit mit Louise’ Familie verbracht als mit seiner eigenen.

„Ich schätze, der Knabe steckt auch mit dahinter“, vermutete er.

Louise erleichterte diese Frage, weil sie das Thema Familie vorläufig abhakte. „Meinst du damit Cal Jameson?“

„Wenn das der Junge ist, mit dem du zur Weihnachtsfeier gekommen bist und der dir den ganzen Abend schöne Augen gemacht hat, dann ja.“

„Er hat mir keine schönen Augen gemacht“, fuhr sie ihn an.

„Ach bitte. Du kamst als Weihnachtsmann verkleidet …“

„Ich komme jedes Jahr als Weihnachtsmann verkleidet!“

Seit sich der Zwist zwischen ihrem und Max’ Vater zugespitzt hatte, glich Heiligabend mehr denn je einem Minenfeld, und so hatte Louise es sich zur Gewohnheit gemacht, jedes Jahr als Weihnachtsmann auf der Feier zu erscheinen, einen Sack mit einer Kleinigkeit für jeden auf dem Rücken. Damit leistete sie ihren Beitrag zum Weltfrieden in der Valentine-Familie.

Und beim letzten Mal hatte es auch noch zwei neue Familienmitglieder gegeben: die Söhne, von denen John Valentine bis vor wenigen Monaten noch nichts wusste. Seine leiblichen Kinder, während Louise nur adoptiert war.

Mit ihrer abgewandelten Form des Weihnachtsmannes zeigte Louise unmissverständlich, was sie von der lebenslangen Lüge hielt, die die Familie ihr aufgetischt hatte. Statt des langen Mantels mit Bart trug sie einen roten Minirock mit passenden Stiefeln und ein winziges weißes Top, dazu einen leuchtend roten Bauchnabelring in Form einer Blüte, ein selbst kreiertes Geschenk von ihrer Halbschwester Jodie.

Beim Gedanken an diese in den Augen ihrer Familie skandalöse Aufmachung errötete Louise immer noch. Noch dazu kam sie in Begleitung von Jodies Schwager Cal Jameson, der einige Jahre jünger und unverschämt gut aussehend war. Und sie hatte sich von ihm küssen lassen, eigentlich nur, um Max eins auszuwischen.

„Und außerdem habe ich Familie in Australien“, lenkte sie ab. „Eine Schwester.“

„Die kennst du doch kaum“, warf er entsetzlich vernünftig ein.

„Stimmt. Trotzdem mag ich sie schon jetzt tausendmal mehr als dich. Nichts hat sich zwischen uns geändert, Max. Nichts!“ Damit erhob sie sich und nahm ihre Sachen. „Das hier habe ich wirklich nicht nötig.“

Sofort sprang auch Max auf und versperrte ihr den Weg. „Doch, du brauchst es, wie du die Luft zum Atmen brauchst. Allein der Gedanke, das Bella Lucia zu retten, beflügelt dich.“

„Nein!“

„Du bist eine Valentine, Lou. Das Bella Lucia liegt dir im Blut.“

Hatte er in den letzten Monaten nichts mitbekommen? Natürlich nicht. Er dachte ja an nichts anderes als an die Restaurants. Menschliche Gefühle kümmerten ihn nicht. „Das glaubst du wahrscheinlich tatsächlich.“

„Ich weiß es. Ich sehe …“

„Soll ich dir mal sagen, was ich morgen tun werde?“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Ich gehe zum Nachmittagstee in das Restaurant im obersten Stock der National Portrait Gallery. Die grandiose Aussicht wird mich trösten, falls sich das Ereignis als schwierig herausstellen sollte.“

„Welches Ereignis?“, fragte er verständnislos. „Willst du mit dem Australier Schluss machen?“

„Was?“ Sie wandte sich ab. „Cal ist nicht …“

„Was ist er nicht?“

„Er geht dich nichts an“, sagte sie schnippisch. „Morgen treffe ich meine Mutter, Max. Nicht deine Tante Ivy Valentine.“ Nicht die Frau, die sich ihr Leben lang als ihre Mutter ausgegeben hatte. „Ich treffe Patricia Simpson Harcourt, die Frau, die mir das Leben geschenkt hat. Und die mir die Identität meines Vaters verraten wird. Denn das Einzige, was ich von ihm weiß, ist, dass er nicht John Valentine heißt.“

„Lou …“

„Verstehst du jetzt? Siehst du endlich ein, wie falsch du liegst? In meinen Adern fließt kein Valentine-Blut. Die einzige Flüssigkeit, die mich mit euch verbindet, ist die Tinte auf der Adoptionsurkunde.“

„Bitte, Lou.“ Er nahm ihre Hand, damit sie nicht weglaufen konnte. „Überstürze nichts.“ Es fiel ihm schwer, aber er fügte hinzu: „Ich brauche dich.“

Seine Worte drangen ihr tief ins Herz. Immer schon war Max derjenige gewesen, auf den sich alle verließen, an den sich alle wendeten, wenn es ein Problem gab. Und er brauchte sie? Er gab zu, dass er überhaupt jemanden brauchte?

„Du … hast mich rausgeschmissen.“ Es war das Erste, was ihr in den Sinn kam. „Vor der versammelten Belegschaft. Damals hat es dich nicht geschert, dass ich zur Familie gehöre …“

„Das war ja das Problem, Lou“, fiel er ihr ins Wort. „Genau das war doch immer das Problem.“

„Ich verstehe nicht.“

Natürlich verstand sie. Schon als Mädchen hatte sie für ihn geschwärmt. Irgendwann hätte sie erwachsen werden und darüber hinwegkommen sollen. Aber das funktionierte nicht. Max brauchte sie nur zu berühren, und schon spielten ihre Hormone verrückt. Wenn sie nicht sofort hier rauskam …

„Wirklich nicht?“, fragte er. „Bist du so dumm?“

„Vielen Dank, Max.“ Sie entriss ihm ihre Hand. „Du hast mich gerade daran erinnert, weshalb ich eher sterben würde, als für dich zu arbeiten.“

Als Louise an die Tür kam, half ihr ein Kellner in den Mantel und hielt ihr dann die Tür auf. Eine Sekunde später trat sie in den kalten Nieselregen hinaus.

Wie benommen blieb Max sitzen und starrte vor sich hin.

„Soll ich Ihnen die Rechnung bringen, Sir?“

Erschrocken fuhr Max auf und wurde sich erst jetzt bewusst, dass er Louise folgen musste. So warf er ein paar Scheine auf den Tisch und verließ fluchtartig das Lokal.

Louise’ Schritte hallten auf dem Asphalt wider. Den Mantel trug sie trotz des inzwischen starken Regens offen, und schon jetzt war sie ganz durchnässt. Das machte Max Hoffnung.

Denn offenbar brodelte es vor Wut in ihr. Und das wertete er als gutes Zeichen. Wenn ihr alles so gleichgültig wäre, wie sie vorgab, würde sie sich nicht aufregen.

„Warte!“

Sie ging kein bisschen langsamer, und Max lief ihr hinterher. Als er sie erreichte, griff er nach ihrer Hand, und sie protestierte nicht.

„Du hast recht“, gestand er atemlos und strich ihr eine nasse Strähne hinters Ohr. „Du wurdest adoptiert.“

„Halleluja“, sagte sie. „Zum ersten Mal im Leben hast du mir zugehört.“

Die Worte klangen schnippisch, doch ihre Stimme war schmerzerfüllt. Mit großen Augen sah sie zu ihm, und Max wusste nicht, ob sich Tränen unter die Regentropfen mischten, die ihr die Wangen hinabrannen. Der Impuls, sie zu küssen, hätte ihn beinahe überwältigt.

Nicht jetzt …

Sein Leben lang hatte er dieser inneren Stimme gehorcht, Distanz gehalten und den eigenen Schmerz verleugnet.

„Ich habe dir zugehört“, widersprach er.

„Und?“

„Du bist nicht meine Cousine, Lou …“

„Dafür hast du dir wirklich eine Medaille verdient.“

Unter seinen Fingerspitzen fühlte sich ihre Haut wie nasse Seide an. Ihr Mund war so verlockend sinnlich. „Und da wir nicht verwandt sind …“, fuhr er mit zitternder Stimme fort, „… haben wir kein Problem, oder?“

Nicht jetzt, du Trottel. Mit einem Kuss machst du alles kaputt.

Aber sie war zurückgekommen.

„Nicht?“, fragte sie mit einem leichten Stirnrunzeln. „Du meinst, du kannst einfach aufkreuzen, mit den Fingern schnippen, und schon stehe ich zur Verfügung. Ich habe meine eigene Karriere, mein eigenes Unternehmen, mein eigenes Leben …“

„Ich weiß.“ Er blickte sie ernst an. „Ich weiß. Du bist mir nichts schuldig. Aber denk doch an das Bella Lucia, an deinen Vater …“

Da riss sie sich von ihm los, und Max bereute sofort, ihren Vater erwähnt zu haben. Wie sollte sie ahnen, dass er sie immer beneidet hatte, um ihre Familie, um richtige Eltern, die sie verwöhnten und liebten.

Ihr Herz hatte die Lüge von John und Ivy zu sehr verletzt, als dass sie dankbar sein könnte für all das, was sie erfahren hatte. Und wenn ausgerechnet Max sie dazu aufforderte, würde sie es erst recht nicht sein.

„Genug“, sagte er ruhig. „Du bist völlig durchnässt und musst nach Hause, um dich aufzuwärmen.“ Dann rief er ein Taxi, schob sie hinein und widerstand der Versuchung, sich zu ihr zu setzen.

„Wenn du morgen etwas Gesellschaft möchtest …?“

„Morgen?“

Louise konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sie waren nicht miteinander verwandt. Das verstand sie, zumindest theoretisch. Was er damit hatte sagen wollen, begriff sie jedoch nicht. Aber dass er drauf und dran gewesen war, sie zu küssen, hatte sie gespürt.

„Ja, wenn du diese Frau triffst, die vorgibt, deine Mutter zu sein.“

„Sie ist meine Mutter.“

„Ist sie das wirklich? Mehr als Ivy? Es tut mir leid, aber ich kriege das einfach nicht in meinen Kopf.“

„Ach wirklich?“ Dass ihre Stimme so zynisch klang, konnte sie nicht ändern. Warum hatte er sie nicht geküsst? „Wenn es dir so schwerfällt, warum versetzt du dich dann nicht einfach mal in meine Lage?“

„Fühl dich doch nicht gleich angegriffen, Lou.“

„Du meinst also, ich soll lieber wieder das süße kleine Mädchen sein und kein Drama aus den Dingen machen, nicht wahr?“

„Süß? Klein?“ Max schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, meine Liebe, die Erwachsenen mögen dir damals auf den Leim gegangen sein. Mir gegenüber hast du diese liebliche Seite immer bestens verborgen gehalten.“

Am liebsten hätte sie ihm entgegengeschleudert, dass er sich das selbst zuzuschreiben hatte. Schließlich verstand er es wunderbar, die schlechtesten Seiten aus ihr herauszuholen. Und jetzt hätte sie ihn zu gern einfach ins Taxi gezogen und wäre ein wirklich böses Mädchen gewesen.

Stattdessen atmete sie tief durch. Sie durfte nicht schon wieder die Selbstbeherrschung verlieren. Im Grunde hatte sie von Anfang an gewusst, dass sie ihm irgendwann nachgeben würde. Nicht wegen ihrer Familie oder des Bella Lucia, sondern einzig und allein seinetwegen. Sie würde ihm helfen. Aber zu ihren eigenen Bedingungen.

Kein Geld, nein.

Dann kam ihr eine Idee, und sie sah ihm in die Augen. „Ich brauche niemanden, der meine Hand hält, Max.“

„Ich mische mich nicht ein. Ich werde einfach da sein, wenn du einen Freund brauchst, jemanden zum Reden.“

„Dich?“ Entgeistert starrte sie ihn an. „Du bist doch voll und ganz mit den Restaurants ausgelastet.“

„Die Zeit nehme ich mir.“

Zweifelnd hob sie eine Augenbraue.

„Ich verspreche es.“

„Gut. Sag mir nur, Max, wird es wie damals sein, als du versprochen hast, mich zum Schulball zu begleiten?“ Sie wartete seine fadenscheinige Erklärung dafür, dass er sie hatte sitzen lassen, gar nicht mehr ab. Herausgeputzt und voller Freude auf ihren ersten Ball … Und ihr Vater wollte sie nicht mit einem anderen Jungen losschicken. Nicht dass sie jemand anders gewollt hatte. „Damals, als es offenbar keine Telefone gab, um eine Verabredung abzusagen.“

„Du weißt genau, was passiert ist“, protestierte er. „Das Personal war an dem Abend knapp, und als ich es bemerkte, konnte ich nicht mehr weg.“

„Ja, Max.“ Jedenfalls wusste sie, wie viel seine Versprechen wert waren. „Genau wie an dem Tag, als du versprochen hast, mich zum Flughafen zu bringen.“

Er runzelte die Stirn, und Louise wusste nur zu gut, dass sie sich selbst mehr wehtat als ihm, wenn sie sich all die Male in Erinnerung rief, die er sie im Stich gelassen hatte.

„Ich werde da sein“, beharrte er. „Ich werde da sein.“

„Wenn nicht zufällig etwas Wichtigeres dazwischenkommt.“

Doch sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Irgendetwas kam ihm immer dazwischen. Sobald er arbeitete, vergaß er alles um sich herum. Ohne weitere Beteuerungen abzuwarten, zog sie die Tür zu und gab dem Fahrer ihre Adresse.

Fassungslos sah Max dem Taxi nach. Warum reagierte Louise immer so auf ihn, und weshalb stellte er sich so ungeschickt an?

Doch zuerst musste er ins Restaurant zurück, die Rechnung begleichen und sich entschuldigen. Louise würde ihn wegen dieses Gedankens schon wieder belächeln. Erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Nur, dass es immer Arbeit gab.

Vielleicht hatte sie in diesem Punkt sogar recht, aber morgen wäre ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit sicher. Selbst wenn alle Restaurants gleichzeitig abbrannten, würde er ihr zur Seite stehen, und das nicht nur, um sie fürs Bella Lucia zu gewinnen.

Max konnte einfach nicht zulassen, dass sie sich von ihrer Familie abwandte. Ihr ganzes Leben lang war immer jemand für sie da gewesen. Und wenn es nach ihm ging, sollte das auch so bleiben.

Immerhin hatte sie sich ihm gegenüber nie gescheut, ihre Gefühle zu zeigen. Im Gegenteil. Er lächelte – zumindest etwas Positives.

Zu Hause folgte er seinem eigenen Rat, stellte sich unter die heiße Dusche und ging in Gedanken Louise’ Vorschläge durch. Und schon kamen ihm immer mehr Fragen in den Sinn. Doch was hatte sie gesagt? Eher würde sie sterben, als für ihn zu arbeiten …

Trotz seiner Frustration musste er unwillkürlich schmunzeln. Er glaubte ihr kein Wort. Das Bella Lucia war Louise’ Leben, seit sie einen Löffel halten konnte, und sie wäre ohne zu zögern zurückgekommen, wenn Jack die Leitung übernommen hätte und nicht er.

Wie also konnte er sie dazu bringen, die bittere Pille zu schlucken und für ihn zu arbeiten?

Es musste eine Möglichkeit geben. Bei jedem anderen hätte er es mit Geld versucht. Aber für Louise bedeutete es mehr als ein Job. Und Geld verdiente sie selbst genug.

Wenn er sie nur geküsst hätte … Wenn du sie küsst, gehört sie dir …

Was zog man an, wenn man seine leibliche Mutter zum ersten Mal im Leben traf? Etwas Mädchenhaftes? Hübsche, feminine Kleider, wie Ivy sie ihr immer gekauft hatte? Die prüden Tops, die sie, kaum dass sie das Restaurant betrat, immer gegen ein schwarzes trägerfreies Oberteil eingetauscht hatte, damit Max die Augen aus dem Kopf fielen.

Louise war nie das perfekte kleine Mädchen gewesen, für das Ivy sie immer gehalten hatte. Mit sechzehn wünschte sie sich nichts sehnlicher, als Max’ Aufmerksamkeit zu erregen. Ihre dunkelsten Sehnsüchte kreisten ständig um ihn.

Als sie gestern schließlich in die Kissen gesunken war, kamen ihr viele neue Ideen für das Bella Lucia.

Trotzdem musste sie Max vergessen, musste das Bella Lucia vergessen. Und so wandte sie sich wieder den Kleidern zu, die ausgebreitet auf dem Bett lagen. Schlichte Kleider, elegante Kleider, Businesskostüme, Designerkleidung.

In Australien hatte sie so etwas nicht getragen. Dort, bei Jodie, glich sie einem lässigen Beachgirl, nicht nur vom Outfit her, sondern auch innerlich. Doch diese innere Gelassenheit fehlte ihr längst wieder, und Melbourne schien ewig her.

Dann fiel ihr der schockierend kurze Minirock in die Hände.

Heiligabend hatte er gewirkt.

Ihre Mutter hatte kein Wort darüber verloren, trotz ihres offensichtlichen Entsetzens. Stattdessen hieß sie Cal höflich in der Familie willkommen.

Max dagegen hatte Distanz gewahrt. Ob das besser war als eine Beleidigung, vermochte sie nicht zu sagen. Jedenfalls wandte er sich schnell Maddie zu und flirtete heftig mit ihr, obwohl sie mit Jack gekommen war.

Mit dem Rock hätte sie am liebsten auch die Erinnerungen an jenen Abend weggeschoben. Warum wollte er überhaupt heute mitkommen?

Sie brauchte niemanden. Weder die Mutter, die sie einfach weggegeben hatte, noch die Mutter, die sie ihr Leben lang belogen hatte. Und schon gar keine Männer, die so zuverlässig waren wie die Wettervorhersage.

Zwanzig Minuten später ging Louise ins Büro. In einem pflaumenfarbenen Kostüm, das raffiniert tailliert geschnitten war und dessen Rock ihre schönen Beine vortrefflich zur Geltung brachte. Dazu hohe Stiefel und eine glänzende Strumpfhose. Die edle Spitzenunterwäsche trug sie zu ihrem eigenen Vergnügen.

„Wir kommen ohne dich zurecht“, sagte ihre Assistentin Gemma und hielt Louise den Mantel hin. „Das Taxi wartet.“

„Danke. Falls Oliver anruft …“

„Ich kümmere mich um alles. Geh jetzt.“

„Bin schon weg.“

Louise hatte gedacht, der Tag würde sich ewig hinziehen, doch dann verging er wie im Flug. Zwischen den Meetings und all den Telefonaten fand sie kaum Zeit, sich Gedanken über das Treffen mit der Frau zu machen, der sie das Leben verdankte.

Aber jetzt bekam sie Angst. Max hatte recht: Sie wünschte sich jemanden, der ihr beistand.

Die Zeiger der Uhr von St. Martin-in-the-Fields zeigten auf kurz nach vier, als sie die National Portrait Gallery betrat.

Sie widerstand der Versuchung, sich umzusehen, denn sie wünschte sich inständig, dass Max da wäre.

Im Lift drückte sie den Knopf für die oberste Etage, wo das Restaurant lag. Von dort oben konnte man den Trafalgar Square sehen, in der Ferne Westminster Abbey und das London Eye …

Von Jodie wusste Louise bereits alles über ihre Mutter, obwohl sie vermutete, dass ihre Halbschwester die negativen Seiten stark abgemildert hatte, damit sie sich ihr eigenes Bild machte.

Und sie kannte Fotos.

Zögernd trat sie aus dem Aufzug. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie das Restaurant erreichte. Sie hatte gedacht, sie müsse sich lange umsehen, aber sie entdeckte ihre Mutter sofort. Patricia mochte Anfang fünfzig sein, doch sie war immer noch eine Schönheit.

Das rote Haar, dem sie zweifellos mit künstlicher Farbe auf die Sprünge half, umrahmte das feine Gesicht graziös. Die langen Tanzbeine hatte sie elegant übereinandergeschlagen.

Anstatt aus dem Fenster zu schauen, unterhielt sie sich angeregt mit dem Mann vom Nebentisch, das Kinn auf die Hand gestützt. Ihr kehliges Lachen erfüllte den Raum. Der Mann konnte den Blick nicht von ihr wenden, ebenso wenig wie Louise.

Einen Moment hielt sie inne. Ein Kellner trat auf sie zu, doch sie ignorierte ihn. Sah nur ihre Mutter, und als spürte diese die Gegenwart ihrer Tochter, drehte sich Patricia Simpson Harcourt um. Ihre Blicke trafen sich.

3. KAPITEL

Ihre Mutter stand auf, und Louise trat auf sie zu. Alles kam ihr vor wie in Zeitlupe.

Keine von beiden sprach ein Wort, dann fielen sie sich in die Arme und hielten einander eine scheinbare Ewigkeit lang einfach nur fest. Irgendwann drangen die Geräusche der Umgebung wieder in ihr Bewusstsein: Gespräche von Gästen, Gläserklirren, und dann hielt Patricia Louise eine Armbreite von sich und musterte sie.

„Lass dich anschauen“, sagte sie schließlich. „Du bist so schön. Und du hast einen guten Geschmack in der Wahl deiner Schuhe.“

Louise schüttelte den Kopf. Schuhe? „Es ist wohl offensichtlich, von wem ich das habe …“ Sie stockte. „Ich weiß gar nicht, wie ich dich nennen soll.“

„Patsy, Darling, nenn mich Patsy.“ Sie lächelte. „Ich habe bereits bestellt“, fügte sie hinzu und setzte sich. „Louise? Der Name passt zu dir. Ich wollte dich anders nennen …“

„Und wie?“

„Zoë. Ich wollte dich Zoë nennen.“

„Das hätte mir gefallen.“

„Ja, aber es hat nicht sollen sein.“

Louise wollte am liebsten sofort die große Frage stellen. Warum? Stattdessen sagte sie: „Ich habe erst vor wenigen Monaten erfahren, dass ich adoptiert wurde. Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich mich früher gemeldet.“

„Nichts geschieht ohne Grund. Vor zehn Jahren war ich noch nicht der Mensch, der ich heute bin. Vielleicht wäre ich damals nicht gut für dich gewesen.“ Sie lächelte. „Doch die Welt verändert sich, und jetzt ist es höchste Zeit, dass wir uns endlich kennenlernen.“

„Vielleicht …“ Doch sie dachte dabei nicht an ihre Mutter. Was passiert war, hatte nicht in ihrer Hand gelegen. Mit Max verhielt es sich anders. Hier konnte sie das Schicksal selbst beeinflussen.

Mit einem Mal kribbelte ihr ganzer Körper vor Freude.

„Louise?“

„Ja?“

„Ich sagte, wir sollten nicht darüber nachgrübeln, was hätte sein können.“ Patricia sah Louise besorgt an. „Geht es dir gut? Das alles muss ein gewaltiger Schock für dich sein.“

„Nein, mir geht es gut.“ … wir haben kein Problem … „Kann ich dich etwas über meinen Vater fragen? Wie heißt er?“

„Jimmy. Jimmy Masters.“ Patricia seufzte. „Er fuhr ein Motorrad und sah aus wie James Dean. Er war absolut unwiderstehlich. Nicht, dass ich es lange versucht hätte …“, gestand sie mit einem reuevollen Lächeln. „Ihm zu widerstehen, meine ich. Doch er suchte das Weite, sobald ich ihm gesagt habe, dass er Vater würde, und ward nie mehr gesehen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich wollte dich nicht abgeben, Louise. Aber alle sagten, in einer Familie hättest du es besser.“ Sie nahm die Hand ihrer Tochter. „Und ich muss dich nur ansehen, um zu wissen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.“

Hatte sie das? Das wollte Louise eigentlich nicht hören. Sie sehnte sich nach Reue, stattdessen erkannte sie, dass Patricia ihrerseits Louise’ Rückversicherung brauchte. Sie wollte hören, dass es ihrer Tochter an nichts gemangelt hatte.

„Ich hatte eine glückliche Kindheit.“

Und das stimmte. Sie war geliebt und verwöhnt worden, hatte alles bekommen, was sie sich wünschte. Alles, außer der Wahrheit und außer der Schwester, von deren Existenz sie so viele Jahre nichts gewusst hatte.

Alle wussten es. Ihre Großeltern, Max’ Eltern, und alle hatten gelogen. Diese Erkenntnis schmeckte bitter. Dennoch verdankte sie ihnen ein schönes Leben. Sie hatte immer im Bella Lucia helfen wollen, sobald Max sie nett darum bäte. Sie wollte ihren Adoptiveltern zurückgeben, was sie ihr geschenkt hatten, wollte ihr Können und ihre Kraft in den Dienst des Familienunternehmens stellen. Nur durfte sie dafür nicht das eigene Unternehmen und die hart erkämpfte Unabhängigkeit aufgeben.

Das war wichtiger als alles andere. Ihr Fels in der Brandung.

Und deshalb verstand sie, was das Bella Lucia Max bedeutete. Als seine Eltern ihn aufs Internat schickten, nur um ihn loszuwerden, als seine Mutter ihn für einen Liebhaber im Stich ließ und sein Vater bereits der nächsten Ehefrau den Hof machte, war das Bella Lucia sein Fels in der Brandung gewesen.

Während Louise zwei Mütter besaß, die ihr das Beste wünschten, war niemand jemals wirklich für Max da gewesen. Damals standen sich Louise und Max so nahe. Ihre Familie war im Grunde auch seine geworden. Und nun drohte er auch das zu verlieren …

Ohne Vorwarnung traten ihr die Tränen in die Augen. Sie blinzelte sie fort. „Ich habe ein Fotoalbum mitgebracht, möchtest du es sehen?“

Und dann blinzelten sie plötzlich beide und lachten, während Louise Patricia die Bilder zeigte. Die ersten Schritte, der erste Geburtstag, der erste Schultag …

„Sieh dir den Rest zu Hause an“, bat Louise schließlich, zwischen Lachen und Weinen. „Sonst sitzen wir beide noch mit verheulten Augen hier. Erzähl mir lieber von dir. Jodie hat gesagt, du hast wieder geheiratet. Wie ist Derek?“

Patsy strahlte. „Jede Frau sollte in ihrem Leben einen Mann wie Derek Harcourt haben.“ Als sie Tee nachschenkte, blitzte ein Diamantring auf. „Er vergöttert mich, hält mich in Schach und passt auf, dass ich meine Diät einhalte. Ich bin Diabetikerin, wusstest du das?“

„Jodie hat es erwähnt.“

„Du musst auf deine Ernährung achten. Es ist erblich bedingt.“

„Ich passe auf. Erzähl mir von euren Flitterwochen. Ihr habt eine Kreuzfahrt gemacht, nicht wahr?“

Und dann sprachen sie über die Reise, über Jodie, über Australien, Louise’ Firma und natürlich über die Valentines. Damit schloss sich der Kreis, und Patricia kam wieder auf das Thema Männer zurück.

„Ich habe meinen Derek, Jodie ihren Heath. Was ist mit dir, meine Süße?“, wollte sie wissen. „Gibt es jemanden in deinem Leben?“

Louise dachte an Max, an die Art, wie er sie ansah, wie sie empfand, wenn er sie ansah.

„Nein“, sagte sie, doch innerlich zögerte sie.

Patricia hob eine perfekt gestylte Augenbraue, und Louise lenkte sie mit lustigen Geschichten über abgelegte Freunde ab. Freunde, die sie vielleicht geheiratet hätte, wenn sie ihr einen Antrag gemacht hätten.

„Gut, dass sie nicht gefragt haben“, lachte sie. „Es wäre ein Desaster geworden.“

So plauderten sie noch eine Weile, bis Patsy gehen musste. „Ich hasse Abschiede“, meinte sie, als sie zum Aufzug gingen. „Du willst mich doch wiedersehen?“

In diesem Moment erblickte Louise Max, der sich ein Bild ansah. „Ja, ja natürlich.“

Er war wirklich gekommen, für den Fall, dass sie ihn bräuchte.

„Ich würde Derek auch gern kennenlernen.“

Die Aufzugtür öffnete sich, und Patsy trat hinein. Louise zwang sich, ihr zu folgen, ohne sich nach Max umzudrehen. So fuhr sie mit ihrer Mutter hinunter und brachte sie zum Taxistand.

„Soll ich dich wirklich nicht mitnehmen?“, fragte diese.

„Nein, alles in Ordnung. Ich rufe dich dann nächste Woche an.“

Kaum war das Taxi verschwunden, kehrte sie in die Galerie zurück und nahm den Lift in die oberste Etage.

Als sich die Aufzugtüren wiederum öffneten, sah sie Max an genau derselben Stelle stehen wie zuvor. Sie wusste nicht, ob sie sich mehr darüber ärgerte, dass er offenbar damit gerechnet hatte, dass sie zurückkam. Oder ob sie sich nur freuen sollte, weil er gekommen war.

„Ich dachte, ich bleibe lieber hier stehen, bevor wir uns im ganzen Gebäude suchen.“

Gemeinsam fuhren sie wieder hinunter.

„Nur, wenn ich zurückgekommen wäre.“

„Stimmt.“ Er sah ihr ins Gesicht. „Du ähnelst ihr.“

„Ja. Es ist sonderbar. Mein Leben lang habe ich geglaubt, Ivy zu ähneln.“

„Sie ist trotzdem deine Mutter, Lou. Sie hat dich großgezogen. Und du hast viel mit ihr gemeinsam. Manches rein zufällig, die Haarfarbe, die Größe, aber in einigen Gesten gleichst du ihr, wie du deinen Kopf hältst, dich bewegst. Du hast Klasse.“

„Und Patsy nicht?“

„Patsy?“

„Es ist ein bisschen spät, um sie Mum zu nennen, oder?“ Louise zuckte die Schultern.

„Patsy passt zu ihr.“ Max nahm Louise’ Arm, als sie zur Tür gingen.

Louise verkniff es sich, ihm den Arm zu entziehen. „Was meinst du denn damit?“

„Gar nichts. Sie ist eben ein Blickfang, Lou.“ Er grinste. „Lass sie bloß nicht zu nah an meinen Vater ran. Er hat eine Schwäche für temperamentvolle Frauen.“

„Dein Vater hat eine Schwäche für alle Frauen.“

„So war das Leben jedenfalls nie langweilig“, erwiderte er betont gleichmütig.

Diesmal war es Louise, die seinen Arm hielt.

„Ich glaube nicht, dass du ermessen kannst, wie gut du es eigentlich hast“, sagte Max ernst. „Himmel, wie ich dich immer um deine Familie beneidet habe.“

„Wegen unserer Normalität?“

„Ja, genau das habe ich mir gewünscht. Keine besonderen Vorkommnisse, ein ruhiges normales Leben.“

„Du bist ein Pechvogel.“ Louise lachte. „Wie geht es Tante Georgina?“

„Sie ist in Mexiko und zeichnet. Dort scheint das Licht optimal zu sein. Im Moment lebt sie mit einem gewissen José zusammen, der halb so alt ist wie sie.“ Er sah sie an. „Ruf Ivy an, Louise. Wirf nicht etwas Gutes weg, nur um einem Hirngespinst nachzujagen.“

Louise schüttelte den Kopf, wollte nicht zugeben, dass er im Grunde recht hatte. Max war kaum dem Kleinkindalter entwachsen gewesen, als seine Eltern sich getrennt hatten. Und seitdem sah er verschiedene Stiefmütter und Halbgeschwister kommen und gehen und erlebte die unzähligen Liebesdramen seiner Mutter mit. Niemand, dachte Louise, niemand hat ihm jemals den Vorrang gegeben. Kein Wunder, dass er sein ganzes Herzblut ins Geschäft steckte. Das Bella Lucia hatte ihn nie verletzt.

„Ich rufe sie an“, versprach Louise.

„Wann?“

„Bald.“ Dann lenkte sie das Thema wieder auf Patricia. „Du meinst also, Ivy hat Klasse, während Patsy einfach nur schön ist? Dann frage ich mich, was bei mir mehr durchschlägt.“

Max wusste, dass sie sich auf gefährlichem Terrain bewegten.

„Also?“, forderte sie ihn auf.

„Das kann man nicht in Worte fassen“, wich er aus. Wie sollte er ihre Ausstrahlung beschreiben? Die unterschwellige Erregung, die sie immer in ihm auslöste, den Duft ihres Haars, kaum merklicher als eine Brise in einem reifen Weizenfeld, die Farbe der Augen, die je nach Stimmung von blaugrau zu schwarzgrau wechselte wie das Meer, der Mund …

Max ertappte sich dabei, wie er auf ihren Mund starrte. Die sinnlichen Lippen waren leicht geöffnet, als wollte sie etwas sagen. Sie hatten die Farbe der kleinen reifen Pflaumen, die er als Kind im Garten seiner italienischen Großmutter gepflückt hatte. Während sein Vater sich mit Ehefrau Nummer drei verlustierte.

„Meinst du, wir bekommen zu dieser Tageszeit ein Taxi?“, fragte er hastig.

Wortlos hob Louise eine Hand, und prompt tauchte ein Taxi auf.

„Wohin fahren wir?“, wollte sie wissen, als sie einstiegen.

Wir? Das klang vielversprechend.

„Nach Mayfair. In mein Büro. Dort werde ich dir ein Angebot machen, das du einfach nicht ablehnen kannst.“

„Das hört sich allerdings gut an“, sagte sie und rutschte auf dem Rücksitz des Taxis durch, um ihm Platz zu machen.

Max’ Blick fiel auf ihren zarten Fußknöchel … und die unwiderstehlich schönen Beine.

Doch er musste sich zusammennehmen. Er gab dem Fahrer die Adresse vom Berkeley Square, dem Standort des Bella Lucia Mayfair samt der dazugehörigen Büros.

Jetzt strahlte Louise. Welch ein Unterschied zu dem Moment, als sie in der Galerie eingetroffen war. Da bemerkte sie ihn nicht, weil er vor ihr angekommen war, und sah angespannt und nervös aus. Das Treffen mit ihrer Mutter war gut verlaufen. Vielleicht hatte es doch etwas Gutes. Immerhin lebte Patsy in London …

„Es interessiert mich, was du mir bieten willst, damit ich einwillige.“ Sie lächelte rätselhaft. „Ich hoffe, du hast dir für den Rest des Abends nichts vorgenommen.“

Max versuchte, den Gedanken an den Papierberg, der sich auf seinem Schreibtisch stapelte, zu verdrängen. „Ich habe Zeit.“

Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Max, in Louise’ Gesicht lesen zu können. Dann sah sie aus dem Fenster, als wäre der Feierabendverkehr interessanter als jedes Angebot, das Max ihr machen konnte. „Fang an.“

„Womit?“ Sollte er hier im Taxi mit ihr verhandeln?

„Fass es in Worte. Inwiefern ich Patsy ähnle.“ Sie sah ihn direkt an.

Und Max beschlich das ungute Gefühl, dass sie mit ihm spielte. Sie wusste ganz genau, was sie wollte, und zur gegebenen Zeit würde sie damit herausrücken. Aber bis dahin würde sie ihn schwitzen lassen.

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