Romantisches Spiel in Griechenland

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Wo ist Georgios - der Mann, der sein Leben mit ihr teilen wollte? Seit vier Wochen kein Wort von ihm! Entschlossen fliegt Miranda auf die Insel Salamyndros, wo seine reiche Familie wohnt. Dort findet sie Georgios, aber er gibt vor, sie nicht zu kennen. Warum? Miranda hat viele Fragen! Die Antwort erhält sie nicht von Georgios, sondern von seinem Bruder Lukas. Der mächtige Reeder mit den unergründlichen dunklen Augen zieht sie am nächtlichen Meer in seine Arme und beweist ihr: Liebe bedeutet unendlich mehr als das leichtsinnige Spiel, das Georgios mit ihr getrieben hat …


  • Erscheinungstag 09.05.2009
  • Bandnummer 1792
  • ISBN / Artikelnummer 9783862953264
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Mir bleibt nichts anderes übrig.“ Energisch schüttelte Miranda den Kopf, sodass ihr goldblondes Haar ihre Schultern streifte. „Ich fahre nach Salamyndros. Das kann Georgios mir nicht antun! Er ist der Vater und genauso für das Baby verantwortlich wie ich.“

„Hoffentlich machst du keinen Fehler.“ Ihre Freundin und Nachbarin Sallianne, die Besonnenere von ihnen, betrachtete sie besorgt. „Wenn er dich bei sich haben wollte, hätte er sich doch gemeldet, oder? Vielleicht hat er seiner Familie noch nicht erzählt, dass er verheiratet ist. Möglicherweise hat er es aus Rücksicht auf seine kranke Mutter verschwiegen, weil sie möchten, dass er eine Griechin heiratet.“

„Dafür ist es jetzt zu spät“, konterte Miranda. Sie war wütend, und deswegen wirkten ihre Augen in diesem Moment eher grün als grau. „Dass ich schwanger bin, ändert alles.“

Nach drei glücklichen Ehemonaten war sie eines Tages von einem Einkaufsbummel zurückgekehrt und hatte eine Nachricht von Georgios vorgefunden. Darin hatte er ihr mitgeteilt, dass seine Mutter einen Herzinfarkt erlitten hätte und er nach Salamyndros gereist wäre. Er würde bald von sich hören lassen.

Natürlich verspürte sie Mitgefühl für die kranke Frau, der sie noch nie begegnet war. Vor allem aber war sie verletzt, weil Georgios sie nicht mitgenommen hatte und sie seine Heimat gern kennengelernt hätte.

Sallianne ahnte nicht, wie tief er sie gekränkt hatte. Adam und Sara, die beiden Kinder ihrer Freundin, halfen ihr dabei, sich abzulenken. Doch die Wochen vergingen, und Georgios meldete sich nicht. Sein Handy war ausgeschaltet, und auch ihre Briefe kamen ungeöffnet zurück.

Miranda war zutiefst deprimiert, denn es sah so aus, als würde Georgios die Heirat mit ihr bereuen. Aber warum konnte er es ihr nicht sagen? Diese Ungewissheit war am schlimmsten.

Er hatte einmal erwähnt, dass es zwischen seiner Familie und ihm zum Bruch gekommen war. Ansonsten hatte er kaum über sie gesprochen, sondern ihr vielmehr vorgeschwärmt, wie schön Salamyndros sei. Soweit Miranda wusste, hatte er seine Angehörigen nicht einmal über die Hochzeit informiert.

Als sie sich kurz nach seiner Abreise unwohl zu fühlen begann, hatte sie es auf ihren Kummer zurückgeführt. Da die Übelkeit sich aber nicht legte, war sie auf Salliannes Drängen hin zu ihrem Arzt gegangen. Nachdem er ihr mitgeteilt hatte, dass sie schwanger war, war zum ersten Mal Wut auf Georgios in ihr aufgeflammt, weil er sie einfach im Stich gelassen hatte.

Sie hatte ihn auf einer Party kennengelernt und sich sofort zu ihm hingezogen gefühlt. Mit dem schwarzen Haar und dem dunklen Teint war er sehr attraktiv, und außerdem trug er sie auf Händen. Drei Monate waren sie unzertrennlich und beschlossen dann zu heiraten.

Miranda hatte ihre Eltern mit drei Jahren durch einen Verkehrsunfall verloren und war bei verschiedenen Pflegefamilien aufgewachsen, in denen sie sich nie wirklich geborgen gefühlt hatte. So war sie schon mit achtzehn in eine eigene Wohnung gezogen.

Die Heirat mit Georgios empfand sie als das höchste Glück. Endlich hatte sie jemanden, der sie wirklich liebte und mit dem sie ihr ganzes Leben verbringen wollte. Sie gab ihren Job als Empfangsdame in einer Werbeagentur auf, und er verkaufte seine Eigentumswohnung und suchte für sie ein Haus am Stadtrand von London. Voller Hingabe widmete sie sich ihrer neuen Aufgabe, es einzurichten und ihn zu verwöhnen. Und plötzlich hatte er alles ruiniert! Jetzt saß sie ganz allein und schwanger in ihrem neuen Domizil.

„Ich kann einfach nicht akzeptieren, dass er nichts mehr von mir wissen will“, sagte Miranda zu ihrer Freundin. „Es muss einen Grund für sein Verhalten geben, und wenn ich es nur herausfinden kann, indem ich zu ihm reise, dann tue ich es.“

„Mach dir bloß keine allzu großen Hoffnungen“, warnte Sallianne sie leise. „Vielleicht hat er es sich einfach nur anders überlegt und die Flucht ergriffen.“

„Und warum hätte er mich dann heiraten sollen?“, rief Miranda und kämpfte mit den Tränen.

„Vielleicht ging es ihm nur um Sex“, meinte Sallianne zögernd. „Er hat ja keinen Hehl daraus gemacht, wie sehr du ihn fasziniert hast. Dass Südländer oft Blondinen bevorzugen, ist doch bekannt. Außerdem bist du ungewöhnlich weiblich und hübsch – im Gegensatz zu mir!“ Sie blickte an sich hinunter und betrachtete abfällig ihr weites Sweatshirt und die verwaschenen Jeans. „Wenn man kleine Kinder hat, lässt man sich gehen.“

„Das glaube ich nicht!“ Wütend schüttelte Miranda den Kopf. „Warum hätte er das Haus kaufen und mich mit Geschenken überschütten sollen, wenn es ihm nur darum ging, mich ins Bett zu bekommen?“

Ihre Freundin zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Ich hoffe ja, dass ich mich irre, Miranda, aber an deiner Stelle würde ich nicht nach Griechenland fliegen. Versuch doch noch einmal, ihn zu erreichen. Auch wenn seine Familie eine Geheimnummer hat, müsste man sie irgendwie herausbekommen. Erzähl ihm von dem Baby. Vielleicht kommt er dann nach Hause.“

„Nein, er soll freiwillig zu mir zurückkehren, nicht weil er Vater wird“, sagte Miranda leise. „Ich fliege zu ihm. Dass ich schwanger bin, erzähle ich ihm erst mal nicht. Wenn er mich nicht mehr haben will, komme ich zurück und ziehe das Kind allein groß.“

Eine Woche nach diesem Gespräch verabschiedete Miranda sich von Sallianne und deren Kindern. Sie hatte einen Flug nach Korfu gebucht und ihren Koffer gepackt.

„Melde dich bald“, bat ihre Freundin sie unter Tränen. „Ich hoffe sehr, dass ich mich geirrt habe und alles gut wird.“

„Natürlich wird es das“, erwiderte Miranda lächelnd. „Vielleicht bleibe ich ja sogar auf Salamyndros.“

Ihre Zuversicht war allerdings nur gespielt. Salliannes Zweifel an Georgios hatten ihr mehr zu denken gegeben, als sie sich eingestehen wollte. Inzwischen hatte sie sich wiederholt gefragt, ob die Heirat nicht ein Fehler gewesen war und sie Georgios falsch eingeschätzt hatte. Erst im Nachhinein war ihr aufgefallen, wie wenig entschlussfreudig er war und wie oft er Entscheidungen ihr überlassen hatte.

Bis zu dem Gespräch mit ihrer Freundin war sie fest davon überzeugt gewesen, dass er einen guten Grund für sein Verhalten haben musste. Hätte Sallianne ihre Bedenken bloß für sich behalten!

Während ihres Aufenthalts in Gatwick und auch während des langen Flugs nach Griechenland fiel es Miranda schwer, diese beunruhigenden Gedanken beiseitezuschieben. Und als sie nach ihrer Ankunft auf Korfu auf das Boot wartete, das sie nach Salamyndros bringen sollte, wünschte sie, sie wäre in London geblieben.

Wäre Georgios wirklich glücklich mit ihr gewesen, hätte er ihr das nie angetan. Er wäre nicht einfach abgereist, sondern hätte sie angerufen oder auf sie gewartet und ihr alles erklärt. Dann dachte sie jedoch an das Baby und wusste, dass sie richtig handelte. Georgios würde es ihr nicht übel nehmen und sie seiner Familie vorstellen. Er hatte ihr nur erzählt, dass sein Vater tot war. Ob er Geschwister hatte, wusste sie nicht.

Das Boot, das Miranda gechartert hatte, wurde von einem jungen Mann gesteuert, der sich ihr als Stefan vorstellte. Dass sie nach Salamyndros wollte, schien ihn zu faszinieren. „Sind Sie vielleicht eine Freundin der Familie Alexidis?“, fragte er in erstaunlich gutem Englisch.

„Wie kommen Sie darauf?“, erkundigte sie sich vorsichtig.

Lässig zuckte er die Schultern. „Die Insel gehört ihnen. Normalerweise kommen keine Touristen dorthin – und nur wenig Besucher.“

„Auf Salamyndros leben doch auch andere Leute.“ Georgios hatte ihr von den Weinbergen und Olivenhainen erzählt. Irgendjemand musste diese bestellen.

„Ja, Arbeiter“, räumte Stefan ein. „Aber …“ Anerkennend musterte er ihr ärmelloses kaffeebraunes Leinenkleid, das ihre zierliche Figur vorteilhaft zur Geltung brachte. „Die einzigen Besucher sind ihre griechischen Cousins und Cousinen. Erwartet Mrs. Alexidis Sie?“

Bestimmt nicht, dachte Miranda. Seine Mutter wäre schockiert, wenn Georgios sie ihr als seine Frau vorstellen würde. Sie schüttelte den Kopf. „Ich wollte sie überraschen.“

„Wissen Sie, dass die Villa auf einem Berg liegt?“, erkundigte sich der junge Grieche. „Wie wollen Sie dahinkommen?“

„Ich miete mir einen Wagen“, sagte Miranda schnell. Sie freute sich schon darauf, die Insel zu erkunden, denn dort hatte Georgios den größten Teil seines Lebens verbracht.

„Auf Salamyndros gibt es keine Firma, die Autos vermietet. Auch keine Taxis oder öffentliche Verkehrsmittel“, klärte Stefan sie auf.

„Dann gehe ich eben zu Fuß.“

Er ließ den Blick erst zu ihren hochhackigen Riemchensandaletten und dann zu ihrem Koffer schweifen. „Oder Sie leihen sich ein Maultier.“

Miranda stimmte in sein Lachen ein, als sie sich vorstellte, wie sie mit ihrem Koffer auf einem Maultier saß.

„Oder mein Cousin Spyros bringt Sie gegen ein kleines Entgelt mit seinem Wagen hin.“ Unerwartet zwinkerte Stefan ihr zu. „Außer den Alexidis ist er der Einzige auf der Insel, der einen hat.“

Sie wollte jedoch nicht, dass jemand sie hinbrachte, denn falls es eine peinliche Begegnung werden sollte, konnte sie keine Zuschauer gebrauchen.

„Vielleicht würde er ihn mir ja leihen. Ich möchte ihm keine Umstände machen.“

„Es wäre ihm sicher eine Ehre, Ihnen sein Auto zu leihen“, erklärte er lächelnd.

Während er wieder nach vorn blickte, hatte Miranda Zeit, die Umgebung auf sich wirken zu lassen. Mit der ungewohnten Wärme, dem vielen Grün und dem herrlichen Pinienduft hatte Korfu sie schon sehr beeindruckt. Nun blickte sie auf das blaue Wasser des Mittelmeers, das in der Sonne glitzerte.

Als sie plötzlich einen Schwarm Fische an der Oberfläche sah, hielt sie entzückt den Atem an. Und als sie dann einige Delfine bemerkte, die neben ihrem Boot her schwammen, traute sie ihren Augen kaum.

„Das ist Salamyndros“, verkündete Stefan nach einer Weile, und fasziniert beobachtete Miranda, wie die Insel immer größer wurde.

In der Mitte konnte sie den Berg erkennen, den er erwähnt hatte. Er war dicht mit Bäumen bewachsen, und an seinem Fuß lag ein kleiner Ort, bestehend aus weiß getünchten Häusern mit hellroten Dächern und einer kleinen Kirche mit einer blauen Kuppel. Sobald Stefan an dem Steg anlegte, sah sie überall bunte Wildblumen, die das Grün auflockerten.

Einige schwarzhaarige Kinder, die am Strand spielten, betrachteten sie interessiert. Nachdem Stefan etwas zu ihnen gesagt hatte, lief der größte der Jungen in Richtung der Häuser. Da Miranda den Namen Spyros aufgeschnappt hatte, vermutete sie, dass der Junge diesen nun benachrichtigen würde.

Stefan half ihr von Bord und ging, ihren Koffer in der Hand, voran zu der schmalen, unbefestigten Straße, die an dem Dorf vorbei- und um den Fuß des Bergs herumführte. Miranda hatte keine Zeit mehr, sich umzublicken, denn sie hörte das Motorengeräusch eines sich nähernden Wagens.

Als sie diesen auf sich zufahren sah, war sie schockiert. Es handelte sich um eine uraltes Modell, das aus den Fünfzigerjahren stammen musste. Der Auspuff qualmte, und zur Belustigung der Kinder kam es etwa alle zehn Sekunden zu einer Fehlzündung.

Nachdem er vor ihnen gehalten hatte, sprang Spyros heraus und lächelte sie an. „Sehr guter Wagen, sehr zuverlässig.“

Stefan sagte einige Sätze auf Griechisch zu ihm und gestikulierte dabei lebhaft, bevor er sich wieder an Miranda wandte. „Er leiht Ihnen den Wagen. Wir haben noch einen Cousin, der für Mrs. Alexidis arbeitet. Er bringt ihn morgen zurück.“

„Danke, ich werde vorsichtig damit umgehen“, erwiderte Miranda lächelnd. Dann nahm sie einige Scheine aus ihrem Portemonnaie und gab sie Spyros. „Das ist sehr nett von Ihnen.“

Nachdem Stefan ihren Koffer hinten verstaut hatte, beschrieb er ihr den Weg zur Villa. Eine Minute später sah sie die beiden, die ihr zuwinkten, im Rückspiegel.

Vielleicht hätte ich doch einen Maulesel mieten sollen, dachte sie, während sie vorsichtig die holprige Straße entlangfuhr.

Sie kam an Olivenhainen vorbei und sah durch das hinuntergelassene Fenster, wie die silbrigen Blätter sich im Wind bewegten. Gelegentlich erhaschte sie einen Blick auf das tiefblaue Meer und den weißen Strand, aber sie musste sich aufs Lenken konzentrieren. Da es immer steiler bergauf ging, fuhr sie langsamer. Trotzdem musste sie bremsen, als sie eine scharfe Kurve nahm und sich plötzlich einem Schäfer mit einer kleinen Herde gegenübersah.

Nach einer weiteren Kurve musste sie anhalten, als ein großer Haufen Felsbrocken ihr den Weg versperrte. Offenbar hatte es hier einen Steinschlag gegeben. Zu allem Überfluss hatte sie sich nun auch noch festgefahren. Mit dem linken Vorderrad war sie in ein Schlagloch geraten und kam nicht mehr heraus, weil die Reifen durchdrehten.

Frustriert stieg Miranda aus, um die Lage einzuschätzen. Selbst wenn es ihr gelungen wäre, die Steine aus dem Weg zu schaffen, hätte sie den Wagen nicht herausbekommen. Und Stefans Beschreibung zufolge hatte sie nicht einmal die Hälfte der Strecke zur Villa zurückgelegt.

Vielleicht war es das Beste, wenn sie ihre flachen Sandalen anzog und zu Fuß weiterging. Zurückzukehren erschien ihr genauso sinnlos, wie hier zu warten. Sicher würde niemand vorbeikommen, der ihr helfen konnte.

Seufzend öffnete sie den Kofferraum, um ihre Sandalen aus dem Koffer zu nehmen. Skeptisch betrachtete sie sie. Die Sohlen waren viel zu dünn für diese unebene Straße.

Trotzdem zog sie die anderen Schuhe aus und diese an und begann, über die Steine zu klettern, nachdem sie den Wagen abgeschlossen hatte.

Als sie in dem Moment ein anderes Fahrzeug von oben kommen hörte, blieb sie stehen. Vielleicht war es Georgios. Ihr Herz klopfte schneller. Wenige Sekunden später hielt ein Landrover auf der anderen Seite des Steinhaufens, und ein Mann sprang heraus. Es war ein Fremder.

Er war größer und muskulöser als ihr Georgios und hatte herbere Züge. Die dichten Brauen und die markante Nase ließen ihn sehr männlich wirken. Das glänzende schwarze Haar fiel ihm in die Stirn. Er war ungefähr Mitte dreißig und offenbar ein Arbeiter, denn er trug ein Poloshirt, verwaschene Jeans und derbe Stiefel.

Miranda lächelte müde. „Bin ich froh, Sie zu sehen!“, sagte sie, doch er blieb ernst und betrachtete sie forschend.

„Was tun Sie hier?“, fragte er in fast akzentfreiem Englisch.

Seine Worte machten sie so nervös, dass sie das Gleichgewicht verlor und ihm praktisch vor die Füße fiel.

Dass er keine Anstalten machte, ihr hochzuhelfen, wunderte sie nicht. Offenbar hatte sie seiner Meinung nach kein Recht, hier zu sein.

Der Ausdruck in seinen Augen beunruhigte sie. „Was glauben Sie denn?“, erkundigte sie sich ärgerlich, sobald sie aufgestanden war. „Ich bin liegen geblieben.“

„Das sehe ich“, bemerkte er scharf. „Und wohin wollen Sie?“

Trotzig hob sie das Kinn und funkelte ihn an. Oben auf den Steinen war sie mit ihm auf einer Höhe gewesen. Nun musste sie zu ihm aufblicken. Er maß ungefähr einsneunzig und war damit gut einen Kopf größer als sie. Noch nie war ihr ein Mann mit so viel Charisma begegnet.

„Ich weiß zwar nicht, was es Sie angeht, aber ich bin auf dem Weg zur Familie Alexidis. Arbeiten Sie da?“

Wieder betrachtete er sie forschend. „Sozusagen. Und was wollen Sie?“

Er hatte sehr sinnliche Lippen, die er in diesem Moment allerdings zusammenpresste. Ärgerlich fragte Miranda sich, woher er das Recht nahm, so mit ihr zu reden, behielt es jedoch für sich. Schließlich war sie auf seine Hilfe angewiesen. „Ich möchte zu Georgios Alexidis. Wissen Sie, ob er zu Hause ist?“

Bildete sie es sich nur ein, oder wirkte er jetzt noch ablehnender? Seine braunen Augen funkelten. „Soweit ich informiert bin, erwartet er niemanden.“

„Stimmt!“ Sie konnte seinem Blick nicht standhalten. „Ich … möchte ihn überraschen.“

„Sie sind Engländerin!“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. „Georgios hat keine … Freunde in England.“

„Wenn Sie ihm sagen, dass ich hier bin, will er mich ganz bestimmt sehen!“, erwiderte Miranda empört. Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein?

„Und wenn nicht?“

„Dann fahre ich nach Hause. Aber erst will ich ihn sehen, und wenn ich den restlichen Weg zu Fuß zurücklegen muss!“

Verächtlich musterte der Fremde sie von Kopf bis Fuß. „In dem Aufzug werden Sie es wohl kaum schaffen!“

Er machte keinen Hehl aus seiner Abneigung, und sie überlegte, ob er andere immer so vorschnell verurteilte.

„Sie könnten über Ihren Schatten springen und mich mitnehmen“, schlug sie bitter vor.

„Und Sie könnten Ihren Verstand gebrauchen. Ich fahre nämlich in die entgegengesetzte Richtung.“

Seine Worte brachten sie so auf, dass sie fast die Beherrschung verloren hätte. „Dann müssen Sie wohl erst die Steine und meinen Wagen beiseite schaffen. Und in dem Fall hält mich niemand davon ab, zur Villa zu fahren.“

„Außer mir“, sagte er unwirsch.

„Und woher nehmen Sie sich das Recht, mir Vorschriften zu machen?“, konterte sie.

„Hätte Georgios Sie eingeladen, wäre es etwas anders. Aber da er offenbar nichts von Ihrem Kommen weiß, ist es meine Pflicht, Sie davon abzuhalten.“

„Ihre Pflicht?“ Obwohl seine Worte sie kränkten, funkelte Miranda ihn zornig an. „Georgios und ich … stehen uns sehr nahe.“ Dieser unsympathische Fremde brauchte nicht zu erfahren, dass sie mit Georgios verheiratet war. „Er wird sich sehr freuen, mich zu sehen.“

Drohend kniff er die Augen zusammen. „Sie irren sich, denn Sie werden feststellen, dass Georgios Sie nicht kennt.“

„Das sollte er selbst herausfinden.“ Sie wünschte, sie wäre etwas größer und müsste nicht ständig zu ihm aufblicken. Ob alle griechischen Männer so dominant waren?

Georgios hatte sie nie so behandelt. Er war immer nett und liebevoll zu ihr gewesen, und bei ihm hatte sie sich geborgen gefühlt. Ihre Beziehung war zärtlich und leidenschaftlich zugleich gewesen, und sie hatte sich gut vorstellen können, mit ihm alt zu werden.

Der Gedanke, dass dieser unsympathische Fremde sie davon abhalten wollte, Georgios wiederzusehen und ihm von dem Baby zu erzählen, bestärkte sie in ihrem Entschluss. „Wer sind Sie eigentlich?“, erkundigte Miranda sich herausfordernd. „Der Wachhund der Familie? Wimmeln Sie alle Besucher ab?“

Eisig betrachtete er sie. „Ich habe eine gewisse Entscheidungsbefugnis, aber wenn Sie so hartnäckig sind, sollen Sie Ihren Willen haben. Allerdings werden Sie enttäuscht sein, wenn Sie von Georgios erfahren, dass er Sie nicht kennt.“

Ohne ihre Reaktion abzuwarten, nahm er eine Schaufel aus dem Wagen und begann, den Weg frei zu machen. Fasziniert beobachtete Miranda das Spiel seiner Muskeln, als er die großen Steine mit den Händen hochhob und wegwarf. Er war tief gebräunt, und seine Finger waren lang und feingliedrig. Wäre sie ihm unter anderen Umständen begegnet und nicht verheiratet gewesen, hätte sie ihn vielleicht attraktiv gefunden.

Er besaß dieselbe unwiderstehliche Anziehungskraft wie Georgios, war aber in jeder Hinsicht noch beeindruckender. Er war größer und muskulöser und hatte das gewisse Etwas, das ihn von anderen Männern abhob. Und er wirkte sehr beherrscht und strahlte eine starke Autorität aus.

Vielleicht hatte sie mit ihrer Frage, ob er der Wachhund der Familie wäre, gar nicht so danebengelegen. Möglicherweise arbeitete er als Bodyguard für die Alexidis. Georgios hatte ihr erzählt, wie wohlhabend seine Familie sei, und nur angedeutet, dass sie mit Schiffen zu tun hätten.

„Gab es noch an anderen Stellen Steinschlag?“, erkundigte der Fremde sich jetzt.

Miranda schüttelte den Kopf und überlegte, warum sie den Blick nicht von ihm abwenden konnte.

„Dann schlage ich vor, dass Sie aufhören, mich so anzustarren, und in den Landrover steigen.“

Seine Worte brachten sie auf den Boden der Tatsachen zurück. „Und was ist mit Spyros’ Wagen? Ich kann ihn doch nicht einfach hier stehen lassen.“

Verächtlich verzog er die Lippen. „Die alte Kiste? Aber wenn Sie Gewissensbisse haben, sorge ich dafür, dass jemand sie ihm zurückbringt.“

„Er blockiert die Straße“, wandte sie ein.

„Da außer mir niemand hier entlangfährt, spielt es keine Rolle“, erklärte er eisig. „Ich lasse ihn wegbringen, bevor ich Sie persönlich zum Hafen begleite.“

Die unterschwellige Drohung, die in seinen Worten lag, ließ Miranda trotz der Hitze frösteln. Sie fühlte sich sehr verletzlich, versuchte allerdings, es sich nicht anmerken zu lassen.

„Die Entscheidung sollten Sie Georgios überlassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er plötzlich nichts mehr von mir wissen will.“

Wieder kniff der Fremde die Augen zu und betrachtete sie forschend. „Sie haben wirklich eine blühende Fantasie! Als Nächstes behaupten Sie wahrscheinlich noch, Georgios und Sie wären ein Paar gewesen.“

Miranda schwieg und ging wütend zum Wagen. Zu ihrer Verblüffung öffnete er ihr die Beifahrertür und half ihr hinein. Er hatte also doch Manieren! Sein Griff war jedoch alles andere als sanft, sodass sie ihn noch eine ganze Weile spürte.

Nachdem der Fremde ihren Koffer geholt und zusammen mit der Schaufel hinten verstaut hatte, stieg er auch ein und ließ den Motor an. Nun, da er neben ihr saß, wirkte er noch größer, und sie war sich seiner Nähe noch deutlicher bewusst. Die Atmosphäre war so spannungsgeladen, dass es förmlich zwischen ihnen knisterte.

Nachdem er den Landrover gewendet hatte, fuhr er schweigend weiter bergauf. Und obwohl sie nun Gelegenheit gehabt hätte, sich umzublicken und die Landschaft auf sich wirken zu lassen, nahm Miranda nur ihn wahr.

Verstohlen betrachtete sie sein markantes Profil. Er hatte fast aristokratische Züge – eine hohe Stirn und ebensolche Wangenknochen, eine lange, gerade Nase und ein markantes Kinn. Sie fragte sich, ob sein Gesicht je irgendwelche Gefühlsregungen verriet. Obwohl sie ihn nun ganz unverhohlen betrachtete, ließ er sich nicht anmerken, ob es ihm bewusst war, und blickte unverwandt nach vorn.

Da er sie völlig ignorierte, sah Miranda schließlich aus dem Fenster. Noch immer säumten Olivenhaine die Straße, und ab und zu entdeckte sie grasende Schafe zwischen den Bäumen. Als die Landschaft dann karger wurde und es nicht mehr so steil bergauf ging, beugte Miranda sich gespannt vor, weil es jetzt bis zur Villa nicht mehr weit sein konnte.

Ihr Herz klopfte schneller, als sie diese von Weitem sah. Es handelte sich um ein weitläufiges, weiß getünchtes Gebäude mit einem roten Dach und einer breiten Eingangstreppe. Die Fensterläden waren alle verschlossen. Hinter einer niedrigen weißen Mauer erstreckte sich der üppige Garten. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass die Familie Alexidis ein so großes Anwesen besaß, und sie wunderte sich, dass Georgios sich in England mit einem kleinen Haus begnügt hatte. Hatte er womöglich festgestellt, dass er sein altes Leben vermisste, und war deshalb hierher zurückgekehrt?

Einen Moment lang wünschte Miranda, sie hätte auf Sallianne gehört und wäre ihm nicht nachgereist. Als sie sich aber zu ihrem Begleiter umdrehte und dessen Miene sah, beschloss sie, nicht klein beizugeben. Was wäre es für ein Triumph für sie, wenn Georgios sie in die Arme nahm. Und dass er es tun würde, stand für sie außer Zweifel. Falls er in England nicht glücklich gewesen war, wollte sie bei ihm in Griechenland bleiben.

Offenbar war der Fremde davon überzeugt, dass sie die Insel gleich wieder verlassen würde, denn er ließ ihren Koffer im Wagen, nachdem sie ausgestiegen waren. Er führte sie in einen mit exquisiten Antiquitäten eingerichteten klimatisierten Raum, in den durch die geschlossenen Fensterläden nur wenig Sonnenlicht hereindrang.

Dass er sich im Haus seiner Arbeitgeber so selbstverständlich bewegte, irritierte Miranda. Als er sie aufforderte, sich zu setzen, blieb sie stehen. Auf der Schwelle drehte er sich zu ihr um.

„Wie heißen Sie? Georgios möchte sicher wissen, wer Sie sind.“

Sollte sie „Mrs. Alexidis“ erwidern? Damit würde sie ihn bestimmt aus der Fassung bringen. „Sagen Sie einfach ‚Miranda‘. Dann kommt er sofort.“

Nachdem er ihr einen verächtlichen Blick zugeworfen hatte, ging er. Sie erschauerte heftig, weil sie seine Nähe immer noch spürte und ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren.

Regungslos stand sie eine ganze Weile da, bis sie endlich Schritte hörte. Mit klopfendem Herzen ging sie zur Tür. Jetzt würde alles gut werden! Sobald sie in den Armen ihres Mannes lag, konnte dieser unsympathische Fremde ihr nichts mehr anhaben.

Bestürzt stellte Miranda fest, dass er Georgios begleitete. Beide Männer sahen ihr ernst entgegen, und erst in diesem Moment fiel ihr die Ähnlichkeit zwischen ihnen auf. Es waren gar nicht so sehr ihre Züge, sondern ihre Haltung, ihre Kopfform und der eisige Ausdruck in ihren Augen.

„Georgios!“ Miranda nahm ihren ganzen Mut zusammen und streckte ihm lächelnd die Arme entgegen. Als er stehen blieb, fügte sie fröhlich hinzu: „Ich habe mir solche Sorgen gemacht, weil du dich nicht gemeldet hast. Was ist passiert? Warum war dein Handy die ganze Zeit aus? Ich habe dich schrecklich vermisst!“

Autor

Margaret Mayo
Margaret Mary Mayo wurde am 7. Februar 1935 in der Grafschaft Staffordshire, England, geboren und hat diese Region noch nie verlassen. Sie hatte nie vor Autorin zu werden, obwohl sie das Lesen liebte. Nachdem ihre beiden Kinder, Adrian und Tina, geboren waren und schließlich zur Schule gingen, nahm sie ihre...
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