So leicht geb ich nicht auf

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Was hatte sie, Ivy, nur bewogen, der arrangierten Ehe zuzustimmen? Sie musste wohl vorrübergehend verrückt gewesen sein! Und bevor sie sich dazu hinreißen lässt, diesen ihr völlig unbekannten Niko Varos, den ihre griechische Verwandtschaft für sie ausgesucht hat, tatsächlich zu heiraten, sagt sie lieber Nein! Niko, der von den Fotos, die er von Ivy gesehen hat, begeistert ist, findet das ausgesprochen bedauerlich. Außerdem ist er, erfolgsgewohnt und dominant, nicht daran gewöhnt, dass eine Frau sich seinen Wünschen widersetzt. Aber so leicht gibt er nicht auf. Wenn Plan A nicht funktioniert, geht er eben zu Plan B über: Ivy ist eine talentierte Innenarchitektin. Also kauft Niko, für den Geld keine Rolle spielt, eine alte Villa in San Francisco und gibt Ivy den Auftrag, sie zu einem wunderschönen Zuhause zu gestalten. Ivy ahnt nicht, dass Niko dann dort mit ihr leben möchte ...


  • Erscheinungstag 29.07.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718053
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Von tiefer Trauer und blinder Panik erfüllt, stürmte Ivy Angelis in Nikolos Varos’ Büro, das in einem Hochhaus in San Francisco lag. Wie gut, dass sein Vorzimmer verwaist gewesen war, denn es hätte sie momentan überfordert, erst noch seiner Sekretärin Rede und Antwort zu stehen. Sie musste Mr. Varos etwas erklären – und zwar so schnell wie möglich und hoffentlich auch ohne die Beherrschung zu verlieren.

Ivy nahm die vornehme Umgebung überhaupt nicht wahr. Sie wusste bereits, dass Mr. Varos ein ausgesprochen wohlhabender Mann war, und interessierte sich in ihrer jetzigen Gemütsverfassung nicht im Geringsten für irgendwelche Äußerlichkeiten. Hektisch versuchte sie, die Tränen zurückzudrängen, als sie auf den großen, hageren Mann zuging, der hinter dem aufgeräumten Schreibtisch aus Glas und Chrom stand. Sie stützte sich mit beiden Händen auf die glänzende Platte und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die gestreifte Krawatte ihres Gegenübers, während sie sich insgeheim einen Feigling nannte.

Sieh ihn an, forderte sie sich stumm auf, auch wenn dir noch so schrecklich zu Mute ist und du dich entsetzlich schämst. Jede Frau, die ihrem Bräutigam am Hochzeitstag erklärte, dass sie ihn nun doch nicht heiraten wolle, sollte dies zumindest von Angesicht zu Angesicht tun.

Ihr Herz klopfte wie verrückt, und jeder einzelne Schlag schien ihr in den Ohren zu dröhnen. Vermutlich werde ich meine eigenen Worte nicht verstehen, dachte sie, während sie sich zwang, ihn anzublicken, und wunderte sich, wie fest ihre Stimme klang, als sie sich an ihn wandte. „Mr. Varos, ich kann Sie nicht heiraten.“

Überraschung spiegelte sich in seinem Gesicht, und noch bevor er etwas erwidern konnte, fuhr sie eilig fort: „Mein Großvater ist vergangene Nacht gestorben. Als meine Mutter mich angerufen und es mir erzählt hat, ist mir klar geworden, dass ich seinetwegen unserer Hochzeit zugestimmt habe … weil ich ihn liebe … geliebt habe. Diese Verbindung war sein Wunsch, nicht meiner. Ich habe aus Loyalität zu meiner Familie eingewilligt.“

Er wollte etwas sagen, aber sie hob Einhalt gebietend die Hand. „Ich weiß, ich weiß, wir stammen beide aus einer griechischen Familie, die sehr in Traditionen verhaftet ist. Und es ist richtig, dass die arrangierte Ehe meiner Mutter glücklich war. Ja, und es stimmt auch, dass unsere Großväter ihr Leben lang befreundet gewesen sind und es sich sehnlichst gewünscht haben, unsere Familien miteinander zu vereinen.“ Verzweifelt rang sie nach geeigneten Worten, die sich irgendwie überzeugend anhörten. „Aber ich bin Amerikanerin, Mr. Varos. Ich wurde hier geboren … und kann das einfach nicht tun. Bitte verstehen Sie mich … und versuchen Sie, mir eines Tages zu vergeben.“

Ivy drehte sich auf dem Absatz um und flüchtete aus dem Zimmer, während sie sich erneut einen Feigling nannte. Davonzulaufen war unverzeihlich! Aber sie war kurz davor, die Fassung zu verlieren, und würde sich bestimmt nicht mehr beherrschen können und vielleicht sogar hysterisch werden, wenn er ihr – zweifellos berechtigte – Vorwürfe machte.

Die Hochzeit abzusagen war das Beste, überlegte sie. Sie hätten auf Wunsch ihrer Familien geheiratet, nicht etwa aus Liebe. Ihre Heirat war kaum mehr als ein geschäftliches Abkommen. Konnte es einen schlagenderen Beweis dafür geben als die Tatsache, dass sie, Ivy, ihren Bräutigam am Tag ihrer geplanten Eheschließung um sieben Uhr morgens in seinem Büro angetroffen hatte!

Auch war es das erste Mal überhaupt gewesen, dass sie ihn gesehen hatte. Seine internationalen Geschäfte hatten ihn bis zur letzten Minute im Ausland festgehalten. In Anbetracht all dessen durfte man sicherlich an der Wichtigkeit zweifeln, die ihre Hochzeit oder auch sie, Ivy, für ihn besaßen.

Bestimmt hatte er, der erfolgreiche Finanzberater, schon früher die Erfahrung gemacht, dass Verträge gelöst oder nicht erfüllt wurden. Vermutlich war er jetzt enttäuscht, vielleicht sogar auch ärgerlich, aber er würde den Fehlschlag verwinden. Und wenn sie, Ivy, wieder mehr sie selbst war und ihre Trauer etas überwunden hatte, würde sie ihm einen Brief schreiben und ihn um Entschuldigung bitten.

Sie fühlte sich schrecklich einsam. Wenn sich doch nur der Gesundheitszustand von Großvater Chris nicht so drastisch verschlechtert hätte, gerade als sie und ihre Mutter nach Kalifornien hatten fliegen wollen. Zoe Angelis hatte sich schon jahrelang um ihren Schwiegervater gekümmert und sehr mit sich gerungen, was sie tun sollte. Schweren Herzens war sie dann bei dem Kranken geblieben, hatte ihn im Sterben nicht allein lassen wollen und können, selbst wenn das bedeutete, dass sie die Hochzeit ihres einzigen Kindes versäumte.

Ivy wusste, dass ihre Mutter sich die Entscheidung nicht leicht gemacht hatte, und sie verstand sehr gut, dass Zoe Großvater Chris in seinen letzten Stunden nicht hatte allein lassen mögen. Sie, Ivy, hätte es auch überhaupt nicht anders gewollt. Aber dennoch fühlte sie sich jetzt entsetzlich einsam und verloren und hätte gern ihre Mutter an ihrer Seite gehabt.

Da die Heirat nun allerdings nicht stattfand, brauchte sie nur in ihr Hotelzimmer zurückzukehren, die Koffer zu packen und aus San Francisco abzureisen. Irgendwann heute würde sie wieder zu Hause in Kansas City sein, wo die traurige Aufgabe auf sie wartete, sich von ihrem geliebten Großvater zu verabschieden.

Der erste Juni entwickelte sich für Nikolos Varos mehr und mehr zu einem wahren Albtraumtag. Die Maschine, mit der er von Tokio hatte zurückfliegen wollen, startete mit zweifacher Verspätung, sodass er fast die eigene Hochzeit versäumt hätte. Als er schließlich in den frühen Morgenstunden in sein Penthouse gekommen war, hatte er feststellen müssen, dass sich dort während seiner Abwesenheit ein Wasserrohrbruch ereignet hatte und in der Wohnung ein einziges Chaos herrschte. Es war ihm nichts anderes übrig geblieben, als in sein Büro zu fahren, um sich dort im Badezimmer für das offizielle Hochzeitsfrühstück umzukleiden.

Und als er gerade das Smokingjackett angezogen hatte, war seine ihm noch unbekannte Braut ins Zimmer gestürmt und hatte seinem verblüfften Assistenten erklärt, dass sie ihn nicht heiraten könne.

Vorsichtig blickte Niko um die Ecke. Das Zimmer war leer – bis auf seinen Privatsekretär, der wie vom Donner gerührt hinterm Schreibtisch stand.

Niko lehnte sich gegen den Türrahmen und atmete hörbar aus. „Was ist los, Charles?“, erkundigte er sich mit zynischem Unterton in der Stimme. „Hat man Ihnen noch nie den Laufpass gegeben?“

Die sarkastische Frage riss seinen Assistenten offenbar aus dem Zustand der Benommenheit, denn er wandte sich ihm mit blassem Gesicht zu. „Ist das gerade passiert, Sir?“

Niko fühlte sich ziemlich erschöpft. Er hatte in den vergangenen zweiundsiebzig Stunden kaum geschlafen, um alles so weit wie möglich zu regeln, damit er in Ruhe die Flitterwochen genießen konnte. „Ich bin ein Neuling auf dem Gebiet, Charles, aber die kleine Ansprache eben hörte sich für mich nach ‚auf Wiedersehen‘ an.“

Angelegentlich betrachtete er seinen wie immer mustergültig gekleideten Assistenten, bemerkte, dass er noch etwas blasser war als sonst, und hätte fast Mitleid mit ihm gehabt.

Mit ihm?

Schlagartig erkannte er, dass ihm die ganze Tragweite dessen, was sich eben abgespielt hatte, noch nicht wirklich bewusst geworden war. Er war zu müde, um wütend zu sein, spürte aber, dass sich sein Gemütszustand jeden Moment ändern konnte. Energisch stieß er sich vom Türrahmen ab und zog sich das Jackett zurecht.

„Es ist sinnlos, hier herumzustehen und sich die Wunden zu lecken. Es gibt einiges zu tun.“

„Soll ich die Gäste informieren, Sir?“

„Wie bitte?“ Verwundert runzelte er die Stirn. „Natürlich nicht.“

„Aber, Sir …“

„Charles“, unterbrach Niko ihn scharf. Er hatte nicht vor, mit ihm darüber zu diskutieren, wessen Aufgabe es war, seinen Freunden mitzuteilen, dass seine Hochzeit von seiner Braut abgesagt worden war. „Während ich meinen Gästen die schlechte Nachricht überbringe, finden Sie die Telefonnummer dieser Dame heraus.“

„Sie wollen, dass ich Ihre Verlobte im Hotel anrufe?“, fragte er beunruhigt.

Niko war bereits an der Tür, drehte sich aber noch einmal um. Was eben geschehen war, wurde ihm in seiner Bedeutung von Sekunde zu Sekunde klarer, und er spürte, wie er allmählich zornig zu werden begann. Man hatte ihn wie ein abgetragenes Paar Schuhe einfach ausrangiert, und das auch noch ausgerechnet an seinem Hochzeitstag. Aus aller Welt waren die Leute angereist, um mit ihm und seiner zukünftigen Frau zu feiern. Und während die fünfhundert geladenen Gäste aus Politik, Hochadel und Filmwelt fünfzig Stockwerke tiefer im Festsaal auf das Erscheinen des Brautpaares warteten, hatte diese Frau aus Kansas seine Zukunft und seinen Stolz mit Füßen getreten. Jetzt stand er da wie ein verdammter Oberkellner, der gerade seinen Job verloren hatte!

„Ja, verflixt, Sie sollen meine Verlobte im Hotel anrufen. Besser gesagt, meine Exverlobte.“

„Was soll ich ihr sagen, Sir?“

„Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Charles. Das erkläre ich Ihnen, sobald ich zurück bin.“

Er verließ das Büro und wartete wenig später mit gesenktem Kopf auf den Lift, um sich der größten Demütigung seines Lebens zu stellen. Gleich würde er vor die internationale Hochzeitsgesellschaft treten und ihr mitteilen müssen, seine zukünftige Frau habe in letzter Minute erkannt, dass sie ihn nun doch nicht heiraten könne.

Starr blickte er auf die Aufzugtür und fragte sich, ob dort wohl eine Delle entstehen würde, wenn er mit der Faust dagegen schlug. Müde schüttelte er den Kopf und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Es wäre dumm, sich die Knöchel zu verletzen, nur weil eine kleine Landpomeranze ihn zurückgewiesen hatte. Energisch drückte er erneut auf den Rufknopf und spürte, wie ihn ein Anflug von Selbstverachtung überkam.

Wie arrogant hatte er, Niko, immer die Nase gerümpft, wenn in seinem Bekanntenkreis Ehen gescheitert und Familien zerbrochen waren. Ihm würde dergleichen nie passieren, hatte er gedacht und sich für besser gehalten. Sogar seine Eltern, die aus Liebe geheiratet hatten, waren auseinandergegangen, und dennoch hatte er gemeint, dass ihm das nicht widerfahren würde. „Sieh dich an“, schimpfte er sich leise, „du schaffst es noch nicht einmal, einen Bauerntrampel zum Altar zu führen.“

Nachdem er jahrelang die Streitereien seiner Eltern mitbekommen und immer wieder gehört hatte, wie sich seine Freunde niedergeschlagen über Frauen beklagten, hatte er sich entschieden, es wie seine Ahnen zu machen – und eine Ehe auf der Basis von Vernunft und gemeinsamen Glaubens- und Wertvorstellungen zu schließen.

Niko biss die Zähne zusammen, als er unwillkürlich an Ivys hastige, unverblümte Zurückweisung denken musste. Sein Großvater Dionysus hatte ihm ein ums andere Mal von der Angelis-Familie vorgeschwärmt und wiederholt erzählt, wie er Christos Angelis im Alter von zwölf Jahren vor dem Ertrinken gerettet hatte. Die beiden waren seitdem eng befreundet gewesen und hatten sich geschworen, ihre Familien zusammenzuführen.

Anfangs hatte er, Niko, nur über die Idee gelacht, eine fremde Frau aus Kansas zu heiraten. Dann hatte ihm sein Großvater ein Bild von Ivy gezeigt, das ihm ausgesprochen gut gefallen hatte. Sie war zwar keine klassische Schönheit, besaß jedoch herrlich glänzendes dunkles Haar, faszinierend große blaue Augen und ein unvergessliches, gewinnendes Lächeln.

Auch hatte ihm die Vorstellung behagt, dass ihre beiden Familien aus der griechischen Stadt Kouteopothi stammten. Sie hatten gemeinsame Wurzeln, dachten in gewisser Weise gleich und pflegten dieselben Traditionen. Und eines war ihm besonders wichtig gewesen: Mit der Heirat würde sich ein Versprechen erfüllen, das den zwei Menschen, die es sich einst gegeben hatten, sehr am Herzen lag.

Er war selbst etwas überrascht gewesen, dass es ihm eigentlich nicht allzu schwer gefallen war, sich mit der Idee anzufreunden. Sicher, er war ein vernunftbegabter Mann, der stark vom Verstand und Pflichtbewusstsein geleitet wurde, und so hatte er schließlich dem liebevollen Drängen seines Großvaters nachgegeben.

Geschäfte hatten ihn dann länger als erwartet im Ausland festgehalten, sodass er geplante Treffen mit Ivy erst verschoben und dann ganz abgesagt hatte. Aber das hatte nicht etwa zu bedeuten, dass er der arrangierten Heirat zweifelnd entgegensah. Er hatte sich an den Gedanken, sie zu heiraten, gewöhnt und einen ausgesprochen fairen Vorehevertrag für Ivy ausarbeiten lassen. Sogar sein Testament hatte er geändert!

Und dann schneit die kleine Hinterwäldlerin an unserem Hochzeitstag ungeniert in mein Büro herein und macht meine sorgfältige Planung zunichte, dachte er wütend, als sich die Fahrstuhltür endlich öffnete.

„Ivy Angelis, das wirst du mir büßen“, schwor er leise, während er voller Rachedurst in den Aufzug stieg. „Ich werde nicht viel Zeit brauchen. Drei Wochen dürften mir für mein Vorhaben genügen.“

Ivy wollte im Moment an nichts denken – weder an den Gesichtsausdruck ihres Exverlobten, als sie ihm erklärt hatte, dass sie ihn nicht heiraten könne, noch an den langen Tag, der vor ihr lag, bis sie endlich wieder zu Hause war, und ganz bestimmt nicht daran, wie man ein nicht getragenes Brautkleid am besten wieder einpackte.

Was soll ich überhaupt damit machen, es vielleicht verkaufen? fragte sie sich, als sie es vom Bügel nahm. Ihre Mutter und sie hatten Stunden damit verbracht, Hunderte von Perlen auf das langärmelige Oberteil aus Spitze zu nähen. Welch eine Zeitverschwendung! Was hatte sie, Ivy, nur bewogen, der arrangierten Ehe zuzustimmen? Sie musste wohl vorübergehend verrückt gewesen sein!

Seufzend packte sie das Hochzeitskleid zu den übrigen Sachen in den Koffer und drückte den Deckel herunter. „Hör auf, dich zu bemitleiden“, ermahnte sie sich. „Der Mann bedeutet dir nichts. Du kennst ihn nur von einem Bild her – das ihn als Siebzehnjährigen zeigt.“

Tatsächlich hatte der hagere Mann hinterm Schreibtisch kaum dem auf dem Foto geähnelt, das Großvater Chris schon seit vielen Jahren in seiner Brieftasche stecken hatte. Es war in dem Sommer aufgenommen worden, bevor ihr Großvater von Kouteopothi nach Amerika gezogen war, um bei ihrer Mutter und ihr zu leben. Vielleicht liegt es an dem Lächeln, überlegte Ivy. Denn gelächelt hatte Nikolos Varos heute Morgen zweifellos nicht, als sie in sein Büro gestürmt war.

Er hatte so blass und steif gewirkt und gar nicht dem Bild entsprochen, das ihr Großvater von ihm gezeichnet hatte. Chris Angelis hatte ihn als dynamisch, fröhlich und stets zu Späßen aufgelegt beschrieben. Aber möglicherweise hatte Niko seine Heiterkeit und Spontaneität im harten Alltag der Finanzwelt verloren.

„Und nur weil Großvater ihn so wunderbar gefunden hat, heißt das noch lange nicht, dass er auch gut zu mir gepasst hätte. Geld und Stellung sind nicht alles im Leben.“

Energisch hob Ivy den Koffer vom Bett und ließ ihn vor Schreck auf ihren Fuß fallen, als das Telefon klingelte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blickte sie zum Apparat. Wer sonst als ihre Mutter sollte sie hier anrufen? Es könnte allerdings auch Niko Varos sein, der seinen Ärger an mir abreagieren möchte, bevor ich die Stadt verlasse, schoss es ihr durch den Kopf, während sie zum Telefon humpelte. Wenn ja, könnte sie den Hörer gleich wieder auflegen. Das wäre zwar erneut eine feige Haltung, aber im Moment hatte sie genug mit sich selbst zu tun.

„Hallo, Mama?“

Einen Augenblick herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung, dann folgte ein knappes, gedämpft klingendes „Nein.“

Ivy wusste sofort, dass er es war. „Oh … Mr. Varos.“ Sie schluckte. „Ich … ich habe jetzt keine Zeit. Ich muss mein Flugzeug erreichen“, erklärte sie und griff zu einer kleinen Notlüge, denn sie hatte keinen Platz mehr auf einer Maschine nach Kansas City reservieren lassen können. Alle Flüge waren ausgebucht gewesen, sodass man sie auf die Warteliste gesetzt hatte.

„Es wird nicht lange dauern.“

Sie schloss die Augen und setzte sich aufs Bett. „So?“ Seine entsetzlich ruhig klingende Stimme brachte sie aus dem Konzept. Anstatt den Hörer wie beabsichtigt aufzulegen, fragte sie zu ihrer eigenen Überraschung: „Was kann ich für Sie tun?“

„Da Sie von Beruf Restauratorin historischer Gebäude sind, möchte ich, dass Sie drei Wochen in Kalifornien bleiben, auf meinem kürzlich erworbenen viktorianischen Anwesen wohnen, das Ihr Zuhause hätte sein sollen, und Ihre Fachkenntnisse einbringen, um es wieder in seinem alten Glanz erstrahlen zu lassen. Wie Sie wissen, ist die Renovierung Teil des Ehevertrags gewesen. Die Arbeiten müssen in sechs Monaten abgeschlossen sein, denn dann soll dort eine wichtige Veranstaltung stattfinden. Die Zeit drängt also.“

Ungläubig schüttelte Ivy den Kopf. Das hatte sie nun wahrlich nicht erwartet. Sachlich und ohne jeden Anflug von Ärger in der Stimme unterbreitete er ihr ein Angebot. Er verhielt sich ganz wie ein nüchtern denkender Unternehmer, der routiniert einen Auftrag erteilte. Wie dumm war sie doch gewesen, dass sie befürchtet hatte, sie hätte ihn mit der Zurückweisung in letzter Minute verletzt haben können! Geschäftsabschlüsse wurden im Allgemeinen doch nur mit dem Verstand getätigt und kein bisschen mit dem Herzen!

Und der kaltblütige Finanzberater am anderen Ende der Telefonleitung war nicht nur nicht wütend, sondern bot ihr einen Traumjob an. Abgesehen davon, dass sie ihrem Großvater eine Freude hatte machen wollen, hatte sie unter anderem deshalb der Heirat zugestimmt, weil Niko Varos ein einflussreicher Mann mit besten Verbindungen war.

Wiederholt hatte sie sich in den vergangenen Wochen gesagt, dass er von der Ehe profitiere, indem er sich eine Frau und Gastgeberin sowie – laut Vertrag – zwei Kinder sicherte, und dass ihr die Heirat beruflich sehr nutzen würde. Sie hatte die Situation mit dem Verstand betrachtet, denn von Gefühlen war in der Abmachung nicht die Rede gewesen. Wenn sie Nikos Herrenhaus in ein Schmuckstück verwandelte, hatte sie nüchtern analysiert, würde ihr Werk bestimmt in der Fachpresse lobend kommentiert werden und sie sich einen guten Ruf erwerben. Warum sollte nur er durch die Hochzeit gewinnen? Wenn er Beruf und Familie miteinander verbinden konnte, wieso dann nicht auch sie?

„Miss Angelis?“

„Oh, ja, ich bin noch am Apparat.“

„Wie lautet Ihre Antwort?“

Ivy hatte noch keine Sekunde darüber nachgedacht, ob sie das Angebot vielleicht annehmen sollte, denn sie konnte noch immer nicht fassen, dass er sie überhaupt fragte. Die Situation war einfach zu absurd. Vor einer Stunde hatte sie ihn als Bräutigam zurückgewiesen, und jetzt bot er ihr einen absoluten Traumjob an. „Aber … Das ist sehr … Sind Sie sicher?“

„Wie Sie mir bereits gesagt haben, Miss Angelis, haben Sie nicht lange Zeit. Dürfte ich also um Ihre Antwort bitten?“

Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Das Angebot auch nur flüchtig zu erwägen schien ihr ein Beweis dafür zu sein, dass sie nicht mehr recht bei Verstand war. Verwirrt atmete sie ein. Sie hatte wegen ihres gebrochenen Versprechens ein entsetzlich schlechtes Gewissen und fand es sehr großmütig von ihm, dass er ihr dennoch den Auftrag erteilen wollte. Durfte sie überhaupt darüber nachdenken? Durfte sie ihn überhaupt ablehnen? Wie viele Restauratorinnen aus Kansas City erhielten schon die Chance, dass man in der Fachpresse über sie schrieb?

„Sind Sie noch da?“

„O ja, das bin ich.“ Plötzlich kam ihr ein Gedanke, den sie unbedingt aussprechen musste. „Es ist nett von Ihnen, mir den Job anzubieten … in Anbetracht der ganzen Situation. Nur sorge ich mich …“

„Wenn ich überhaupt dort sein werde, Miss Angelis, dann nicht, um Sie zu sehen, und jeder Besuch wird kurz sein.“

Woher hatte er gewusst, was sie hatte sagen wollen? Konnte er Gedanken lesen? Er schien nicht nur großzügig, sondern auch ein ausgesprochen intuitiver Mensch zu sein. Ivy begann zu schwanken. Wenn ihn ihr Wortbruch nicht störte, warum sollte sie sich dann diese einzigartige Chance entgehen lassen?

„Natürlich müsste ich erst einmal nach Kansas City zurückkehren, um von meinem Großvater …“ Die Stimme versagte ihr vor Schmerz über den noch so frischen Verlust.

„Das ist selbstverständlich. Ich schätze, eine Woche dort dürfte Ihnen reichen. Teilen Sie mir die Ankunftszeit Ihres Fluges mit. Man wird Sie dann abholen.“

Ivy bemerkte erst nach einigen Sekunden, dass er das Telefonat beendet hatte. Offenbar betrachtete er die Angelegenheit als abgemacht.

Verwirrt blickte sie den Hörer an und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Eigentlich tut er das nicht ganz zu Unrecht, führte sie sich vor Augen, denn schließlich habe ich nicht Nein gesagt. Auch würden sie beide davon profitieren, wenn sie die Renovierung des Herrenhauses übernahm. Sie könnte durch hervorragende Arbeit ihr schlechtes Gewissen etwas beruhigen, und er würde eine enorme Wertsteigerung seines Anwesens erfahren. Außerdem wäre bei dem Projekt ihre gesamte Aufmerksamkeit gefordert, sodass sie kaum Zeit hätte, um über den Verlust ihres geliebten Großvaters nachdenken zu können.

„Okay, Mr. Varos, wir sehen uns dann in einer Woche“, sagte sie leise und legte den Hörer auf.

Reglos blieb sie auf dem Bett sitzen und blickte starr ins Leere. Was war das bis jetzt für ein schrecklicher Tag gewesen, voller Leid und Schuld. Sie hatte sich noch nie im Leben so schlecht benommen und schämte sich entsetzlich. Es erschien ihr absolut widersinnig, dass sie ausgerechnet von demjenigen für ihr schlimmes Verhalten belohnt wurde, den sie damit verletzt hatte.

Aber hatte sie Niko Varos wirklich verletzt? Eben am Telefon hatte er sich ausgesprochen gleichmütig angehört, als machte ihm das Ganze überhaupt nichts aus. Ivy schüttelte verständnislos den Kopf und wusste nicht, ob sie über seine Unerschütterlichkeit verwirrt oder bestürzt sein sollte. Doch eines wusste sie genau: Sie sollte endlich zum Flughafen aufbrechen, damit sie so schnell wie möglich nach Hause kam, um ihre Mutter zu trösten und sich von ihrem geliebten Großvater zu verabschieden.

Bekümmert stand sie auf, nahm ihr Gepäck und verließ schweren Herzens das Hotelzimmer.

Auch nachdem Niko den Smoking gegen legere Kleidung getauscht hatte, fühlte er sich nicht besser. Er war noch immer so wütend, dass er sich wunderte, keinen Schaum vor seinem Mund zu sehen, als er kurz in den Spiegel sah, bevor er das Badezimmer verließ und in das angrenzende Büro zurückkehrte. Sein Assistent hatte gerade zu Ende telefoniert und stand vom Schreibtischstuhl auf.

„Wann kommt sie?“

Charles wandte sich ihm mit ernster Miene zu. „Nächste Woche. Ich habe mich genau an Ihre Anweisungen gehalten und ihr gesagt, dass sie vom Flughafen abgeholt wird.“ Hektisch begann er, die Papiere auf dem Schreibtisch zu ordnen. „Woher wussten Sie, dass sie das Angebot annehmen würde, Sir?“ Kurz blickte er auf.

„Gier und Stolz, Charles. Man muss nur den richtigen Köder auswerfen.“

Charles ergriff einige Aktenmappen und presste sie an sich. „Sie hat mich für Sie gehalten, Sir“, meinte er mit fast vorwurfsvoller Miene.

Niko fluchte leise. Ein skrupulöser Mitarbeiter war nicht immer nur ein Segen. Es verstieß sogar schon gegen Charles’ Auffassung von Korrektheit, dass er dieses kleine Missverständnis nicht hatte aufklären dürfen.

„Sie werden doch nichts Unbesonnenes tun, Sir?“

Niko hörte den besorgten Unterton in der Stimme seines Assistenten und musste sich sehr zusammenreißen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. „Natürlich nicht. Ich werde mir meinen Racheplan sorgfältig überlegen“, erwiderte er und hatte den Eindruck, dass Charles noch blasser wurde, soweit dies überhaupt noch möglich war.

„Aber … aber Sir, Sie haben den Direktor von Megatronics zum Weinen gebracht. Sie können so …“

„Reden Sie keinen Unsinn. Er hat nicht geweint. Er hatte eine Augenentzündung“, belehrte er ihn grimmig, denn er war mit seiner Geduld fast am Ende. „Außerdem hat er sich idiotisch benommen. Er hat Millionen verschwendet, weil er nicht wie versprochen auf meinen Rat gehört hat. Ich habe ihm nur aufgezeigt, wie falsch seine Vorgehensweise war. Miss Angelis wird lediglich einige praktische Erfahrungen darin sammeln“, fuhr er leiser, eigentlich im Selbstgespräch fort, „was ich mit Leuten mache, die mir gegenüber ihr Wort nicht halten.“

„Du meine Güte …“

Niko sah Charles’ besorgte Miene und spürte, wie sich Mitleid in ihm regte. Sein Assistent war ein ausgesprochen fähiger Mitarbeiter, aber die kleinste Rücksichtslosigkeit bereitete ihm Schwierigkeiten.

Beschwichtigend legte er ihm die Hand auf die Schulter. „Blicken Sie nicht so beunruhigt drein. Ich verspeise Miss Angelis nicht bei lebendigem Leib.“ Er rang sich ein Lächeln ab. „Ich lasse meiner lieben Ex nur … meine ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen.“

Autor

Renee Roszel

Renee ist mit einem Ingenieur verheiratet, was einen großen Vorteil und einen kleinen Nachteil hat. Der Vorteil: Wann immer ihre Kinder Probleme in Mathe haben, kann er helfend einspringen, denn Renee könnte es ganz sicher nicht! Der Nachteil: Seine Liebeserklärungen tendieren dazu, sehr sachlich zu sein – er ist und...

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