Spiel um Sieg - und Glück

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Es geht um eine Million Dollar in einer Reality-Show: Und Millie ist ausgerechnet mit Jace in einem Team! Mit dem Mann, der sie vor Monaten zurückwies. Aber bei dem Millionenspiel, das sie um die ganze Welt führt, darf Millie nur an das Preisgeld denken. Schließlich braucht sie es für einen guten Zweck. Heißblütig tanzen sie Tango in Argentinien, klettern in gefährlichen Höhen in Südafrika und küssen sich auf den Seychellen. Erneut erwacht in Millie der Traum vom Glück mit Jace, doch dann macht er ihr einen Vorschlag, der sie am Sieg der Liebe zweifeln lässt ...


  • Erscheinungstag 17.08.2008
  • Bandnummer 1754
  • ISBN / Artikelnummer 9783863493462
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Noch zwei Minuten, Millie.“

Gleich ist es so weit, dachte Millie Kincaid, und ein Schauer durchrieselte sie. Prüfend betrachtete sie sich noch einmal im Wandspiegel der noblen Villa in Pacific Palisades. Sie erkannte sich kaum wieder. Ihr lockiges Haar war von einem Profikunstvoll aufgesteckt und ihr Gesicht von Meisterhand geschminkt worden. In dem eleganten langen Kleid sah sie aus wie eine Prinzessin und nicht wie eine Lehrerin aus einer Kleinstadt in Oregon.

Ja, sie fühlte sich ein wenig wie Aschenputtel. Nur brauchte sie keine Einladung zum Ball, um ihren Märchenprinzen zu treffen. Sie hatte ihn bereits gefunden – in der Realityshow „The Groom“ oder „Der Bräutigam“. Heute Abend würde es sich entscheiden, ob Jace Westfall aus Philadelphia, ein Finanzverwalter mit eigener Firma, sie zur Partnerin erwählte.

Millies Herz klopfte noch schneller. Sie konnte nicht glauben, dass sie es bis ins Finale geschafft hatte. Eigentlich hatte sie bloß ihre Freundin zum Casting begleitet, damit diese nicht hatte allein hingehen müssen.

Jace war ihr „Mr. Right“, dessen war sie sich sicher. Dennoch erwartete sie keinen Verlobungsring von ihm. Schließlich kannten sie sich erst einige Wochen. Aber sie wünschte sich, ungestört etwas Zeit mit ihm zu verbringen. Ohne Konkurrentinnen, Kameras und Mitarbeiter der Show.

Wie würden sie miteinander auskommen, wenn sie unter sich waren? Natürlich sagte ihr der Verstand, dass es sehr naiv war, von einem Happy End zu träumen. Trotzdem glaubte sie tief in ihrem Innern, dass sie in seinen Augen ihr gemeinsames Glück erblickt hatte.

„Millie?“ Avery, die junge Produktionsassistentin, trat auf sie zu. „Bist du fertig?“

„Ja, bin ich.“ Vorsichtig stieg sie mit ihren High Heels über die Kabel auf dem Parkettboden und ignorierte das helle Scheinwerferlicht und die surrenden Kameras.

„Du schaust toll aus. Warte nur, bis Jace dich sieht. Er wird dich lieben.“

Hoffentlich, dachte sie und erbebte, als sie sich an die Worte erinnerte, die er ihr nach einem Gutenachtkuss ins Ohr geflüstert hatte. Ich hätte nie für möglich gehalten, jemanden wie dich in dieser Show zu treffen.

„Er weiß schätzungsweise, wie ich wirklich bin.“

Hinter „Mousy Millie“, wie ihr Vater sie seit ihrer Zeit als schüchterner, unbeholfener Teenager nannte, hatte Jace die Frau in ihr erkannt, zu der sie mit ihren sechsundzwanzig Jahren inzwischen herangereift war.

Er hatte sich nach ihrem Job als Lehrerin für behinderte Kinder erkundigt und ihr aufmerksam zugehört. Auch hatte er sich sehr für ihre Gedanken, Ansichten und Träume interessiert. Er hatte mit ihr gesprochen und nicht etwa, wie ihr Vater es tat, auf sie eingeredet.

Freude drohte sie zu überwältigen. Schnell deutete sie zu ihrer kunstvollen Frisur und dem herrlichen Kleid. „Das ist alles nur Staffage.“

„Du und Jace, ihr seid wie Amber und Rob vor euch das perfekte Paar. Was die Zuschauer genauso empfinden, da sie auf unserer Webseite für dich als Braut gestimmt haben. Und du bist wunderschön. Also nimm das Kompliment einfach an, und sag Danke.“

Millie errötete. „Danke.“

Zweifellos war es nett von Avery, ihr Mut zu machen. Dennoch fragte sie sich, wie hübsch ihre Konkurrentin Desiree Delacroix wohl aussehen mochte. Die New Yorkerin strahlte große Vitalität sowie enormes Selbstbewusstsein aus und besaß ungeheuren Sex-Appeal. Zudem hatte sie keinerlei Probleme, sich in Jace’ Gegenwart in einem knappen Bikini zu zeigen. Wohingegen sie, Millie, sich lieber um eine Klasse kranker Schüler kümmern würde, als sich vor laufender Kamera im Badeanzug zu präsentieren.

Ja, sie zwei waren sehr verschieden, hatten aber auch einiges gemein. Beide liebten sie Kinder, glaubten an die Institution Ehe … und fühlten sich zu Jace hingezogen.

„Es geht los.“ Avery riss sie aus ihren Gedanken.

Um sie her war es plötzlich total still geworden. Millie spürte, wie jeder Nerv in ihrem Körper zu vibrieren begann und freudige Erregung sie erfasste, während sie einen Fuß vor den anderen setzte. Sie konnte es nicht mehr erwarten, Jace zu begegnen. Kaum nahm sie das Okay-Zeichen des Showmasters wahr, bevor sie auf dem Weg zum Schauplatz des Finales um die letzte Ecke bog.

Endlich sah sie ihn! Er stand auf einem über und über mit Blumen geschmückten Balkon und machte in dem schwarzen Smoking mit der roten Rose im Knopfloch eine umwerfende Figur. So würde er an seinem Hochzeitstag gekleidet sein. Unwillkürlich atmete Millie tief ein.

Dann bemerkte sie, wie seine blauen Augen ganz groß wurden, als er sie erblickte. Fast könnte man meinen, er hätte Angst, dachte sie und fühlte mit ihm. Dies war für sie beide ein bedeutsamer Moment. Energisch bekämpfte sie den Impuls, auf ihn zuzulaufen. Sie hätte ihn gern beruhigt, so, wie er ihr am ersten Abend der Show Mut zugesprochen hatte, als ihr alles zu viel zu werden drohte.

Schritt für Schritt näherte sie sich ihm, und plötzlich war ihre Welt wieder in Ordnung, denn er lächelte sie an. Ihr war, als würde die Farbe seiner Augen durch den Pazifik weiter intensiviert, der sich hinter ihm bis zum Horizont erstreckte. Werden unsere Kinder blaue Augen haben oder grüne wie ich?, schoss es ihr durch den Kopf, und sie ermahnte sich zur Vernunft.

Zweifellos eilten ihre Gedanken der Zeit enorm voraus. Doch auch das hing mit Jace zusammen. Er kam ihr nicht nur stark und zuverlässig vor, sondern bewirkte zudem, dass sie sich öffnen konnte und Risiken eingehen wollte. Ihre Träume schienen in seiner Gegenwart nicht unrealistisch zu sein.

Sollten wir eines Tages Kinder haben, überlegte sie, erben sie hoffentlich sein warmes, ungezwungenes Lächeln. Sie liebte es ebenso wie sein markantes Kinn und seine gerade Nase. Ja, er war ein sehr attraktiver Mann und darüber hinaus ungeheuer herzlich und hilfsbereit.

Zuversicht und Zufriedenheit machten sich in ihr breit. Jace wandte keinen Moment den Blick von ihr und gab ihr das Gefühl, jemand Besonderes zu sein. Sie hatte den Eindruck, auf ihn zuzuschweben, obwohl sie wusste, dass es schon rein physikalisch unmöglich war. Es sei denn, eine gute Fee hätte ihren Zauberstab geschwungen.

Dies hätte Millie nicht überrascht. Auf dem Balkon herrschte eine märchenhaft romantische Stimmung. Überall brannten Kerzen. Und die Klänge eines Lovesongs drangen aus verborgenen Lautsprechern, während weiter unten die Wellen des Pazifiks ans Ufer rollten.

Eine Brise zerzauste Jace’ hellbraune Haare. Sie wehte ihm eine Strähne in die Stirn, was ihn auf charmante Weise real wirken ließ. Aber obgleich Millie wusste, dass der Schauplatz genauso kunstvoll inszeniert war wie ihre Erscheinung, nahm die magische Atmosphäre sie völlig gefangen.

Schließlich blieb sie vor ihm stehen. „Hallo.“

„Hallo, Freckles.“ Wohlgefällig betrachtete er sie von Kopf bis Fuß. „Nur kommt mir der Name ‚Sommersprosse‘ heute Abend recht unpassend vor, denn ich kann kaum welche entdecken. Trotzdem siehst du umwerfend aus. Einfach bezaubernd.“

Seine Komplimente waren wie eine Liebkosung. Sich zu fügen und es den Mitarbeitern der Show zu überlassen, ihr Kleid auszusuchen und sie zu stylen, war offenbar klug gewesen. „Danke. Du auch. Ich meine attraktiv.“

„Millie.“ Lächelnd umfasste er ihre schmalen Hände.

„Meine süße Millie.“

Ihr Puls begann zu rasen. Jetzt würde er ihr sagen, dass er sie begehre und sich für sie entschieden habe.

„In deiner Nähe sind die letzten Wochen wie im Flug vergangen“, fuhr er warmherzig fort. „Du hattest immer wieder ein aufmunterndes Wort oder ein Lächeln für mich. Ich weiß nicht, wie ich es ohne dich durchgehalten hätte.“

„Das gilt ebenso für mich.“

„Wir hatten so viel Spaß zusammen.“

Ja, das hatten sie gehabt. Millie nickte. Allerdings war dies erst der Anfang gewesen. Sie hatten noch ewig Zeit, um sich gemeinsame Erinnerungen zu schaffen. Das ganze restliche Leben lang. Fast hätte sie geseufzt.

Jace blickte auf ihre verschränkten Hände. „Du bist meine Vertraute geworden, meine Beraterin und meine gute Freundin. Ich werde unsere Freundschaft stets sehr schätzen.“

Ihre Freundschaft? Angst stieg in ihr auf, und sie ermahnte sich zur Ruhe. Eine Beziehung und vor allem eine Ehe benötigten eine solide Basis. Freundschaft war ein hervorragendes Fundament.

Jace drückte ihre Hände, doch die Geste vermittelte ihr keine Sicherheit. Erst wenn er ihr erklärte, dass er sie erwählt habe …

„Aber“, begann er und sah sie wieder an, „du verdienst einen Besseren als mich, Millie.“

Nein, das konnte nicht sein Ernst sein! Vergebens forschte sie in seinem Gesicht nach einer Regung, die seine Worte widerlegte. Da war nichts, bis auf einen flüchtigen Ausdruck des Bedauerns in seinen Augen. Ihr wurde ganz entsetzlich zumute, und sie konnte kaum noch atmen.

„Du brauchst einen Mann, der dich so liebt, wie du geliebt werden solltest“, fuhr er fort und klang, als würde er dies zu ihrem Besten sagen. „Ich kann es nicht. Es ist mir einfach unmöglich.“

Millie hörte, wie jemand nach Luft schnappte. Sie war nicht sicher, ob sie es gewesen war oder einer aus dem Produktionsteam. Es war egal. Sie wollte weglaufen, nur schienen ihre Füße am Balkonboden festzukleben. Was, in aller Welt, sollte sie antworten? Ihre Augen brannten, aber sie war zu benommen, um zu merken, ob sie weinte oder nicht.

„Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe, Millie. Das habe ich nie und nimmer beabsichtigt. Ich … mag dich wirklich sehr.“

Er liebte sie nicht und wollte sie nicht! Die Wahrheit traf sie wie eine Speerspitze mitten ins Herz. Sie presste die Arme auf den Magen, um die aufsteigende Übelkeit zu bekämpfen.

Jace hatte nie von Liebe gesprochen, und sie hatte gewusst, dass er auch Desiree geküsst hatte. Nur hatte sie gedacht – hatte sie geglaubt …

Sie hatte sich in allem getäuscht. In jedem Augenblick, den sie miteinander verbracht, in jedem Kuss, den sie ausgetauscht hatten. In allem, was sie über Jace Westfall zu wissen geglaubt hatte.

Millie war hereingelegt, benutzt und fallen gelassen worden. Und sie hatte fröhlich mitgespielt. Wie einfältig, naiv und dumm!

Endlich konnte sie die Beine wieder heben und wandte sich um. Sie zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und ignorierte die auf sie gerichteten surrenden Kameras. Hoffentlich würde sie die mitleidigen Blicke der Leute vom Produktionsteam eines Tages vergessen.

Auf geradem Weg verließ sie die Villa und stieg in die wartende Limousine. Nie wieder, schwor sie sich, wirst du erlauben, dass man so etwas mit dir macht!

1. KAPITEL

Sechs Monate später

Hast du deine Lektion beim ersten Mal nicht gelernt? fragte sich Millie. Sie stand nahe der Siegessäule auf dem Union Square in San Francisco und konnte nicht glauben, dass sie erneut an einer Realityshow teilnahm. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen. Sie sollte dringend Pete Kenner lauschen, einem der Produzenten von „Cash Around the Globe“ oder „Für Bares rund um den Globus“.

Wenn sie es wieder bis ins Finale schaffte – und sie war fest entschlossen zu gewinnen –, würde sie die nächsten dreißig Tage mit einem Kameramann und einem Tontechniker um die Welt jagen. Ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken.

„Dir ist klar, dass eine der Aufgaben sicher eine Bergbesteigung oder ein Sprung aus einem Flugzeug sein wird, und dazu fehlt dir der Mut“, meinte sie ihren Vater wieder sagen zu hören. Er hatte sie einen Feigling genannt und für zu verweichlicht und introvertiert erklärt, um sich gegen ihre Konkurrenten zu behaupten. Was, wenn er recht hatte?

„Ihr dürft die Kreditkarte einzig dazu benutzen, Flugtickets für euch und eure Begleiter zu kaufen“, erläuterte Pete die Regeln. „Es gilt, immer mit eurer Crew zusammenzubleiben. Rund um die Uhr. Bloß ins Bad und zur Toilette dürft ihr allein gehen.“

Millie strich sich eine feuchte Strähne aus der Stirn. Der trübe Junimorgen mit seinem Nieselregen trug nichts dazu bei, ihre Stimmung zu heben. Hoffentlich irrte sich ihr Vater mit seiner Prophezeiung, dass sie als Erste ausscheiden würde. Nur zu leicht konnte sie sich erneut zur Närrin machen wie schon …

Energisch gebot sie ihren Gedanken Einhalt. Denk positiv, und vertrau auf deine Fähigkeiten, ermahnte sie sich. Sie würde ihrem Vater beweisen, wie falsch er sie beurteilte.

Ja, sie hatte sich geschworen, nie mehr vor eine Fernsehkamera zu treten, und war wahrlich nicht versessen darauf. Aber ihre Mitwirkung bei dieser Show diente einem guten Zweck. Sie wollte ihren Schülern von der „Two Rivers Elementary School“ helfen. Alles Geld, das sie vielleicht gewinnen würde, sollte der Schule zufließen, deren Etat demnächst gekürzt wurde.

Bereits das Antrittshonorar war jede Mühe wert, die ihr in den nächsten dreißig Tagen abverlangt werden würde. Mit der Summe hatte sie den Fortbestand des außerschulischen Leichtathletikklubs sichern können. Sie hatte ihn für besonders zu fördernde Kinder gegründet und leitete ihn selbst.

„Die Zeit allein im Bad lässt uns nicht viel Privatsphäre“, sagte eine nicht mehr ganz so junge Frau in orangefarbenem Outfit.

Sie alle waren für das Rennen eingekleidet worden und trugen die gleichen Sachen, die sich nur farblich unterschieden. Sogar die Rucksäcke, die auf der anderen Seite vom Union Square lagen, passten jeweils zu ihrem Dress.

„In einer Realityshow gibt es keine Privatsphäre“, erklärte Pete, als ein Passant sich neugierig erkundigte, ob hier gerade der Beginn einer neuen Staffel von „The Amazing Race“ gedreht würde.

Ganz bestimmt nicht, dachte Millie und zog den Reißverschluss der blauen Windjacke zu, während der Produzent es verneinte. Dort hätte sie nicht mitgemacht, denn sie hätte nicht als Einzelkämpferin, sondern mit einem Partner den Sieg erringen müssen.

„Habt ihr noch Fragen?“ Pete blickte in die Runde und klatschte in die Hände, als alle schwiegen. „Dann kann’s losgehen.“

Sogleich fingen die Kameras zu surren an, und Colt Stewart, der wie ein attraktiver Kriegsberichterstatter aussah, trat lächelnd an die Seite des Produzenten. „Ich bin der Showmaster bei ‚Cash Around the Globe‘. Seid ihr bereit für dieses einmalige Abenteuer?“

„Ja“, antwortete Millie zusammen mit ihren Kontrahenten.

„Ich habe euch nicht verstanden. Seid ihr bereit für dieses einmalige Abenteuer?“

„Ja!“, brüllten sie im Verein.

Colt lächelte noch breiter in die Kameras. „Willkommen zu ‚Cash Around the Globe‘. Dies ist das aufregendste und gefährlichste Rennen, das je im Fernsehen gezeigt worden ist. Sie werden keine Etappe verpassen wollen.“

Wenn ich – hoffentlich erst in einem Monat – nach Hause zurückkehre, dachte Millie, wird mein Leben wohl endlich wieder normal verlaufen. Ohne Heiratsanträge von fremden Männern. Ohne frühmorgendliche Telefonanrufe von Talkmastern. Ohne weitere Auftritte in Realityshows.

„Leute, macht euch fertig!“, forderte Colt sie auf.

Alle Wettkämpfer, einschließlich Millie, brachten sich in die ihrer Meinung nach beste Startposition. Dreimal ertönte eine Glocke von San Franciscos berühmten Cablecars und danach Colts Stimme: „Los!“

Zwei junge Männer in Schwarz und Grün rasten auf die Rucksäcke zu. Gefolgt von ihrem Kameramann Zack und dem Tontechniker Ryan, jagte Millie hinter ihnen her. Sie wollte ihnen keinen Vorsprung lassen.

Kaum hatte sie ihr blaues Gepäck umgeschnallt, sah sie etwa drei Meter entfernt einen runden Reißverschlussbeutel mit einem aufgedruckten Globus auf der Erde liegen. Sie hob ihn auf und öffnete ihn. Er enthielt dreißig Dollar, einen kleinen Schlüssel an einer Kette sowie eine Karte mit Anweisungen. Laut las sie diese wegen der Aufzeichnung vor.

„Fahr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Coit Tower, und such eine grünblaue Fahne. Dort findest du weitere Anweisungen und etwas, das dich auf den Trip um die Welt begleitet.“

Ein GPS wäre nicht schlecht, überlegte sie und betrachtete die Umgebung. Zwar hatte sie schon vom Coit Tower gehört, dem einzigen Aussichtsturm von San Francisco, war aber zum ersten Mal hier und wusste nicht, wo er war. Sie erblickte nichts als Hochhäuser, Boutiquen und Hotels. Doch dann wurde sie auf einen Polizisten aufmerksam und lief zu ihm. „Würden Sie mir bitte sagen, wo ich den Bus zum Coit Tower erreiche?“

Der Uniformierte geleitete sie zur Haltestelle. „Steigen Sie in den Dreißiger oder Fünfundvierziger, und lösen Sie einen Umsteigefahrschein. Am Washington Square wechseln Sie in den Neununddreißiger, der sie direkt dort hinbringt.“

Kaum hatte sie sich bedankt, brauste ein Bus der Linie dreißig heran. Sie kaufte Tickets für sich und ihre Crew und genoss dann die Fahrt durch China Town und Little Italy. Die beiden Viertel hießen zweifellos zu Recht so, denn hier herrschte eine Atmosphäre, wie sie sie aus Filmberichten über Italien und China kannte.

Nachdem sie auf dem Telegraph Hill den Neununddreißiger verlassen hatte, suchte sie rund um den Coit Tower vergebens nach der Fahne. Auch in der mit farbenprächtigen Wandmalereien ausgestatteten Eingangshalle wurde sie nicht fündig. Also würde sie wohl ihre Höhenangst bekämpfen und sich auf den Turm hinaufwagen müssen.

Sie besorgte Karten für sich und ihre Begleiter, um den Lift zu benutzen. Oben angekommen, stieg sie mutig die Wendeltreppe zur höchsten Aussichtsplattform hinauf, die von Rundbogenfenstern begrenzt wurde. In sicherer Entfernung blieb sie stehen und bewunderte selbstvergessen den trotz des trüben Wetters noch immer herrlichen Blick auf San Francisco.

Momente später erinnerte sie sich daran, weshalb sie eigentlich hier war. Sie sah sich um und entdeckte die Fahne, die im Wind flatterte, und einen verschlossenen Kasten. Schon holte sie den Schlüssel aus der Tasche, schaffte es jedoch nicht, die Kassette aufzumachen.

„Warum funktioniert es nicht?“ Sie betrachtete die Box genauer und bemerkte ein zweites Schloss. Wieder probierte sie vergebens, den Metallbehälter zu öffnen, und Angst breitete sich in ihr aus. Wenn es ihr nicht gelang, die Anweisungen zu lesen, würde sie als Erste ausscheiden. Sie ließ den Schlüssel stecken und musterte das Behältnis erneut. „Wie kriege ich es bloß auf?“

„Hiermit“, antwortete ein Mann hinter ihr.

Milly drehte sich um, erblickte zunächst einen Schlüssel an einer Kette und danach denjenigen, an dessen Hand dieser baumelte. Jace Westfall. Ihr stockte der Atem. Nein, er konnte unmöglich hier sein.

Sie fühlte sich plötzlich ganz wacklig auf den Beinen, als würde sie auf einem Berg oder hohen Turm stehen. Was sie auch tat! Gleich stürze ich ab, dachte sie in einem Anflug von Panik, und versage ein zweites Mal.

Verflixt, sie hatte sich nach besten Kräften auf dieses Rennen vorbereitet, aber nicht auf ein Wiedersehen mit Jace! „Was machst du hier?“ Sie erkannte ihre Stimme kaum.

Nimm dich zusammen, ermahnte sie sich. Wenn sie die Fassung verlor, lieferte sie den Produzenten der Show nur das Drama, das sie sich von dieser Begegnung erhofften. Zweifellos war das Aufeinandertreffen geplant.

„Wetten, Freckles, dass sich der Kasten mit diesem Schlüssel öffnen lässt?“

Millie zuckte zusammen, als er den Kosenamen verwandte, und war unfähig zu antworten. Sie wollte nichts mit ihm zu schaffen haben, selbst wenn er der einzige Mann auf Erden wäre. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass sich ihnen ein zweiter Kameramann näherte, und presste die Arme auf den Magen.

„Bist du okay?“ Flüchtig blickte Jace sie besorgt an.

Wenn er doch zu schauspielern aufhörte! Sein Mitleid war nichts als Heuchelei. Ihn interessierte einzig, sich vor der Kamera gut darzustellen. Nein, sie würde nicht wieder auf sein attraktives Äußeres und seine charmante Art hereinfallen.

Am letzten Abend von „The Groom“ war sie todunglücklich gewesen. Aber sie hatte dann schnell begriffen, dass sie alle sich von der Atmosphäre in der Show hatten mitreißen lassen. Nichts war echt gewesen, nicht einmal ihre Gefühle. „Mir geht es prima.“

Starr sah sie auf sein Outfit. Er trug das Gleiche wie sie. Warum … Das konnte nur eines bedeuten! Ihr wurde entsetzlich zumute. Hatte es nicht geheißen, dass sie hier etwas finden werde, das sie auf den Trip um die Welt begleite? Jace war nicht nur gekommen, um ihr den Schlüssel auszuhändigen!

„Du nimmst an ‚Cash Around the Globe‘ teil?“

Er nickte.

Millie zuckte zusammen. Sie war erneut benutzt und hereingelegt worden. Wie sollte sie es aushalten, Jace tagtäglich zu begegnen, wenn ihr bei diesem Treffen schon übel wurde? „Ich fasse es nicht, was du gemacht hast. Du hast mich in eine Falle gelockt.“

„Die Idee stammt nicht von mir.“ Jace schob den Schlüssel in das zweite Loch und schloss die Kassette auf. „Pete, einer der Produzenten, hat wohl davon gesprochen, dass es Überraschungen geben werde. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dir wieder gegenüberzustehen.“

„Ich ebenfalls nicht. Ich hatte auf ein GPS gehofft.“

„Vielleicht ziehen wir voreilige Schlüsse.“

Hoffentlich, dachte sie flehentlich, während er den Deckel öffnete.

„Es ist nur ein Beutel darin“, erklärte er und holte ihn heraus.

„Also liegen wir entweder an letzter Stelle oder …“

„… sie schicken die Wettkämpfer zu unterschiedlichen Orten.“

Einst hatte sie seine Fähigkeit, ihre Sätze zu vollenden, als Zeichen dafür gewertet, wie sehr sie miteinander harmonierten. Inzwischen wusste sie es besser.

Er öffnete den Beutel und zog eine Karte heraus.

„Lies vor!“, forderte sie ihn auf.

„Herzlichen Glückwunsch, dass ihr es gemeinsam geschafft habt, an eure Anweisungen zu kommen. Und Zusammenarbeit ist auch der Schlüssel zum weiteren Erfolg in diesem Wettstreit. Ihr zwei seid ab jetzt eines von acht Teams, die um das Preisgeld kämpfen. Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum ‚Marina Green‘, und sucht dort nach den Instruktionen für die nächste Aufgabe.“

„Wir bilden also ein Team.“

„Ja.“ Jace nickte.

Na wunderbar, dachte Millie, Jace und ich stehen uns wie vor sechs Monaten wieder vor der Kamera gegenüber. Sie unterdrückte einen Seufzer. Zu jammern oder Trübsal zu blasen würde – leider – nicht das Geringste ändern. „Was machen wir jetzt?“

„Wir schwingen uns in einen Bus.“

„Nein, das habe ich nicht gemeint …“ Angestrengt überlegte sie, wie sie es am besten ausdrückte. Sie war sich nur zu bewusst, dass alles in Bild und Ton festgehalten wurde. Hoffentlich gewöhnte sie sich bald wieder daran, sonst war sie verloren. Welch ein Glück, dass die Technik zumindest noch nicht so weit war, ihre Gedanken und Gefühle aufzuzeichnen. „Was unternehmen wir … unsretwegen?“

„Was möchtest du tun?“

Aussteigen! Aber das konnte und durfte sie nicht. So viele Kinder brauchten ihre Hilfe. Zum Beispiel die kleine Bonnie mit dem Downsyndrom, die nicht genug von Prinzessinnen hören und wie der Blitz laufen konnte. Oder der achtjährige Autist Samuel, der ein Mathegenie und toller Speerwerfer war. Oder …

„Ich schätze …“, sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, „… ich will die Million gewinnen.“

Es sind lediglich dreißig Tage, die du hinter dich bringen musst, redete sie sich gut zu, während sie die Wendeltreppe hinunterging. Einen Monat lang konnte sie alles überstehen – selbst Jace Westfall. Und danach wünschte sie ihn nie wiederzusehen.

Jace mochte zwar gelassen wirken, nur war er es nicht im Mindesten. Was unternehmen wir unsretwegen?, hatte Millie ihn ernst gefragt. Wenn er es bloß wüsste. Energisch drückte er auf den Rufknopf des Aufzugs. Er hatte sich als Kandidat bei „Cash Around the Globe“ beworben, um mit dem Preisgeld seine Firma und die Familie zu retten. Doch nun …

Nachdenklich blickte er zu Millie hin, die mit geschlossenen Augen an der Mauer lehnte. Er konnte nicht glauben, dass sie hier war. Aber es war kein Trugbild, das zeigten ihm die leisen Veränderungen.

Ihr Pferdeschwanz war länger, obschon sich die Haare an den Enden nach wie vor kräuselten. Außerdem war sie dünner geworden, besaß allerdings immer noch eine wohlproportionierte weibliche Figur.

Einiges war auch gleich geblieben. Zum Beispiel die verflixten Sommersprossen in ihrem Gesicht, über die er stets hatte streicheln wollen. Deutlich spürte er, dass er sich irgendwo freute, ihr wiederzubegegnen. Das war nicht gut.

Ich will die Million gewinnen!, hatte sie zu seiner Überraschung gesagt. Nie hätte er für möglich gehalten, dies aus dem Mund der süßen, bezaubernden Millie zu hören. Was machte sie hier? Ihr Vater war steinreich. Sie brauchte das Geld nicht. Zumindest nicht so nötig wie er und seine Familie.

Das hohe Antrittshonorar und der Siegespreis hatten ihn den Widerwillen überwinden lassen, erneut vor die Kamera zu treten und sich einer Demütigung auszusetzen. Doch wegen Millies unerwartetem Auftauchen begann er plötzlich, sich alles noch einmal zu überlegen. Das gefiel ihm überhaupt nicht. Normalerweise traf er eine Entscheidung und rüttelte dann nicht mehr daran.

Dass du sie jetzt überdenkst, ist nicht ihre Schuld, ermahnte er sich. „Möchtest du einen Schluck Wasser?“

Sie öffnete die Augen und blickte ihn verletzt an. „Nein, danke. Mir geht es gut.“

Ja, sicher. Der Wettstreit war noch keine Stunde alt, und sie sah aus, als hätte sie sich bereits um den halben Globus gekämpft. Sie war nicht in der Lage, aufrecht zu stehen, und der Rucksack konnte jeden Moment an ihrer schlanken Figur entlang zu Boden gleiten. Das Rennen rund um die Welt würde sie zermürben, und er wollte nicht, dass ihr erneut Schmerz zugefügt wurde.

„Ich nehme dein Gepäck.“

Sogleich schnallte sie sich den Rucksack wieder fest um.

„Kein Problem.“

Vom ersten Tag ihrer Begegnung an hatte er sich zu ihr hingezogen gefühlt. Sie war liebenswürdig und verständnisvoll. Aber je näher er sie kennengelernt hatte, umso mehr hatte er gemerkt, wie unterschiedlich sie waren und lebten.

Zweifellos war sie eine tolle Frau, suchte jedoch mehr in einer Beziehung, als er ihr geben konnte. Er hatte ihnen beiden viel Leid erspart, indem er sie vor sechs Monaten im Finale von „The Groom“ zurückgewiesen hatte.

Was nicht hieß, dass er sie nicht weiterhin mochte. Außerdem konnte er ihren Wunsch zu gewinnen nachempfinden, musste allerdings realistisch sein. Sie war wie seine Mutter und Schwestern ein Mensch, der umsorgt und beschützt werden musste. Nein, er wollte es nicht auch noch mit der verletzbaren Millie zu tun haben.

Er brauchte einen anderen Partner. Jemanden, der sich den Herausforderungen geradewegs stellte. Einen Teamkameraden, der nie kapitulierte und keinen Einsatz scheute, um die Million zu gewinnen. Er, Jace, konnte es sich nicht leisten, zu verlieren.

Ungeduldig drückte er wieder auf den Rufknopf. „Das dauert ja eine Ewigkeit.“

Autor

Melissa McClone
Melissa war schon immer ein Fan von Märchen und Geschichten mit Happy End. Doch bis ihre Englischlehrerin Liebesromane im Unterricht thematisierte, hatte sie das Genre noch nicht für sich entdeckt. Aber danach hatte sie eine neue Leidenschaft. Überflüssig zu sagen, dass sie ihrer Lehrerin auf ewig dafür dankbar...
Mehr erfahren