Süße Stunden der Lust

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Rafe kann es kaum glauben: Als er durch einen Zufall ein Gespräch auf dem Anrufbeantworter hört, sieht er sich bitter getäuscht. Die Frau, mit der er gerade süße Stunden der Lust verbrachte, scheint nur eins zu wollen: seine Ranch ...


  • Erscheinungstag 02.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754389
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Suzanne wich blitzschnell dem Brautstrauß aus, den ihre Schwester Rebecca warf. Trotzdem landete er ausgerechnet in ihren Händen! Wie war das bloß möglich?

Warum war sie nur so traurig und beneidete Rebecca darum, wie liebevoll ihr Mann sie anhimmelte? Wahrscheinlich kam es daher, dass ihr letzter Freund sie verlassen hatte, genau wie die Männer vor ihm. Und warum hatten alle Männer sie verlassen? Hatte sie vielleicht etwas an sich, dessentwegen man sie nicht lieben konnte?

Oh ja, sie verstand es, einen Mann zu locken. Ein kleiner Flirt, ein verheißungsvolles Lächeln, aufreizende Bewegungen – schon hing der Fisch an der Angel. Doch halten konnte sie keinen.

Die Gäste lenkten Suzanne ab. Alle liefen an den weißen Klappstühlen und den Buffet-Tischen vor dem Pavillon vorbei, um Braut und Bräutigam in die Flitterwochen zu verabschieden. Ringsherum sah man schon die ersten Anzeichen des Frühlings. Tulpen und wild wachsende Blumen leuchteten auf der Bergwiese.

Im goldenen Schein der untergehenden Sonne stiegen die Frischvermählten lachend in Thomas’ Porsche mit der Aufschrift JUST MARRIED. Thomas zog Rebecca an sich und küsste sie unter Beifall und Jubelrufen.

Suzanne kämpfte den aufkommenden Neid nieder. Schließlich brauchte sie keinen Mann, um glücklich zu sein.

„Viel Spaß auf der Hochzeitsreise!“, rief Mimi.

„Macht viele Fotos!“, verlangte Alison.

„Alles Gute!“, schrie Grammy Rose.

„Fahrt vorsichtig!“, riet Hannah.

Winkend fuhren Rebecca und Thomas los und zogen Papierschlangen und Blechdosen hinter dem Wagen her.

Suzanne sah ihrem und Rebeccas Vater Bert entgegen. Heute wirkte er richtig bewegt, was bei ihm selten vorkam. Sonst drehte sich sein Leben nur um Arbeit und Geldverdienen.

„Der Junge soll Rebecca bloß gut behandeln“, brummte Bert.

„Das macht er bestimmt, Dad“, versicherte Suzanne und hakte ihn unter. „Die beiden sind total verliebt.“

„Und was ist mit dir, Kleine? Bist du glücklich?“

Normalerweise stellte ihr Vater keine so persönlichen Fragen. „Natürlich.“ Suzanne hatte einen guten Job, eine tolle Wohnung und überhaupt alles, was sie sich wünschte.

An einer Halskette trug sie das goldene Kreuz, das ihre Mutter ihr geschenkt hatte, bevor sie starb. Wenn du es trägst, wirst du meine Liebe fühlen, hatte die Mutter geflüstert. Das stimmte, und Rebecca und ihr Vater liebten sie auch, allerdings kein Mann ihres Herzens.

„Hast du eigentlich einen Freund, von dem ich nichts weiß?“, fragte ihr Vater.

„Nein, im Moment nicht.“

„Was ist denn mit deinem Boss?“

„Mit James?“

„Ja. Du scheinst dich mit Horton gut zu verstehen.“

„Wir arbeiten gut zusammen, aber das ist alles“, erwiderte Suzanne.

Eleanor, die derzeitige Frau ihres Vaters, tauchte in einem hellblauen Seidenkleid und mit Perlen an den Ohrläppchen bei ihnen auf.

„Nicht jeder findet die große romantische Liebe, Suzanne“, bemerkte Bert und trank einen Schluck Sekt. „Das heißt aber nicht, dass man keine befriedigende Partnerschaft führen kann. Du bist intelligent und kommst herum. Bestimmt findest du jemanden, der dir hilft, deine Ziele zu erreichen.“

Ihr Vater verabschiedete sich von ihr, legte den Arm um Eleanor und ging zu Grammy Rose. Suzanne passte scharf auf, ob er womöglich mit seinem Bruder Wiley zusammentraf und erneut Streit anfing. Trotz des Versprechens ihres Vaters, Rebeccas Hochzeit nicht zu verderben, war sie zu seinem Wachhund bestimmt worden.

Diese Aufgabe war erledigt, sobald er in seinen Wagen stieg. Suzanne betrachtete den Strauß in ihren Händen und berührte sacht die zarten Rosenblüten. Vielleicht hatte ihr Vater recht, und sie würde nie die große Liebe finden.

Sobald die meisten Gäste aufgebrochen waren, traf Suzanne ihre Großmutter in der gemütlichen Küche. „Ich fahre jetzt, Gram.“

„Komm erst einmal ins Wohnzimmer, Schatz“, forderte Grammy Rose sie auf.

„Es geht doch nicht um eine Aussteuertruhe, oder?“, fragte Suzanne nervös. Rebecca und ihre Cousinen hatten sie bereits davor gewarnt.

„Doch. Heute nimmst du deine mit.“

„Grammy, das ist nicht nötig. Ich treffe mich nicht einmal mit einem Mann.“ Suzanne folgte ihrer Großmutter ins Wohnzimmer mit den hübschen alten Gegenständen, Familienfotos in Rahmen und Erinnerungstücken an früher, die Suzanne stets gleichzeitig glücklich und traurig stimmten. Vielleicht hatte sie selbst sich genau deshalb modern kühl eingerichtet.

„Dein Liebesleben wird sich bald ändern“, versicherte Grammy. „Wenn du vor der Abfahrt noch in deine Truhe sehen willst, räume ich so lange die Küche auf.“

Rebecca und ihre Cousinen hatten behauptet, die Aussteuertruhen würden eine Magie besitzen, die etwas mit dem jeweiligen zukünftigen Ehemann zu tun hatte. Diesen Unsinn glaubte Suzanne nicht. In ihrer Welt gab es nur Zahlen, Verträge und Geschäftsabschlüsse, aber keinen Aberglauben. Darum beschloss sie, jetzt gleich die Truhe zu öffnen und anschließend ihrer Großmutter alle verrückten Ideen auszutreiben.

Ein Herz war kunstvoll in den glatten Holzdeckel geschnitzt. Der goldfarbene Verschluss und der rote Samt, mit dem die Truhe ausgeschlagen war, gefielen ihr auch. Hastig schob Suzanne goldfarbenes Seidenpapier zur Seite und griff nach dem obenauf liegenden Umschlag. Der Brief duftete nach Flieder. Ihre Großmutter hatte ihn mit der Hand geschrieben.

Liebe Suzanne,

Du bist für mich eine ganz besondere Enkeltochter, weil Du Dir im Leben holst, was Du haben willst. Widerstand macht Dich nur noch stärker, und Menschen, die nicht vorankommen, ermutigst Du.

Du warst bisher die Jüngste in der Familie, ein Symbol der Liebe zwischen Deinem Vater und Deiner Mutter. Du warst unser Baby, doch als Deine Mutter starb, musstest Du rasch erwachsen werden. Du hast Deinen Vater gestützt, als er dachte, ganz allein zu sein. Du hast das leere Haus mit Leben und Freude erfüllt, und Du hast uns allen gezeigt, dass man das Leben trotz Trauer und Kummer genießen kann.

In dieser Zeit der Trauer hast Du gelernt, Dein Herz vor anderen zu verschließen, damit man Dein Inneres nicht sieht. Doch manchmal müssen wir die Mauern einreißen, den Dachboden entrümpeln und nach vorne blicken. Wir müssen den Kummer herauslassen, damit unsere Seele frei wird für eine verwandte Seele.

Ich wünsche Dir Glück, wahre Liebe und einen Mann, der Dir so viel Freude wie nur möglich schenkt.

In Liebe, Grammy Rose

P. S.: In der Truhe findest Du etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes und etwas Blaues.

Suzanne war gerührt, doch sie unterdrückte ihre Gefühle. Schließlich war sie stets nüchtern und sachlich gewesen. Gefühlsduselei lag ihr nicht. Sie hatte auch keinen Dachboden zu entrümpeln und keine Mauern einzureißen.

Erleichtert griff sie nach einem Buch über Gartenarbeit und nach Häkelnadeln. Genau wie vermutet! Der Inhalt der Truhe passte überhaupt nicht zu ihr.

Dann stockte ihr der Atem beim Anblick einer zierlichen Ringschatulle aus schwarzem Samt. Sie öffnete den Deckel und lächelte. Die einfachsten Dinge sind manchmal die besten, stand auf einem Zettel. Auf dem Kissen schimmerte der goldene Ehering ihrer Großmutter. Der Ring war schön und bedeutete ihr so viel, dass sie ihn stets in Ehren halten würde. Sollte sie jedoch jemals heiraten, würde sie sich einen großen Solitaire oder einen von Diamanten umgebenen Saphir aussuchen. Vielleicht auch einen Smaragd.

Als Nächstes fand sie einen weißen Hut, der wie ein Stetson geformt und mit einem weißen Band, einer schwarzen Schleife, Seidenrosen, Schleierkraut und einer Feder verziert war. Schnürstiefel im Westernstil mit hohen Absätzen folgten. Der letzte Gegenstand war ein Halsband aus Spitze, geschmückt mit Blümchen und Zierperlen.

Suzanne lachte laut auf. Grammy hatte sich geirrt. Diese Sachen waren bestimmt für ihre Cousine Angie oder Caitlin bestimmt. Sie selbst lebte in der Großstadt und gehörte auch dorthin. Schicke Pumps und tief ausgeschnittene Kleider entsprachen eher ihrem Stil.

Lieber würde sie sich an diesem Halsband aufhängen, als einen Mann zu heiraten, der ein Cowgirl wollte.

1. KAPITEL

Sechs Wochen später

„Willst du mich heiraten, Suzanne?“

Suzanne traute ihren Augen nicht, als ihr Boss James Horton eine dunkelblaue Samtschatulle auf das weiße Satin-Tischtuch stellte. Von ihrem Tisch aus hatten sie einen herrlichen Blick auf den Garten des Cove at Chattahoochee, das zu den exklusivsten Restaurants von Atlanta gehörte, und sie hatten soeben ein hervorragendes Essen beendet. Liebespaare waren auch hier, doch Suzanne und James feierten den Abschluss eines millionenschweren Geschäfts. Bei ihnen ging es um die Firma Horton Developers und nicht um Romantik.

Zumindest war bisher davon keine Rede gewesen …

Der Mond schien durch die Panoramafenster herein. Auf den Tischen standen rote Rosen. Ein Geiger spielte dezente klassische Weisen. Von hier aus hörte man sogar den Chattahoochee-Fluss plätschern.

„Ich … ich bin sprachlos, James“, erwiderte Suzanne schließlich und blickte ihm forschend in die hellgrünen Augen. Vielleicht war das nur ein Scherz. Möglicherweise hatte er in den letzten Wochen Gefühle für sie entwickelt. Es stimmte, dass James sich besonders aufmerksam um sie bemüht hatte, wenn sie mit Klienten essen gingen. Aber ein Heiratsantrag? Damit hätte sie niemals gerechnet. Sex wäre mit James infrage gekommen, mehr aber auch nicht.

„Mach schon auf“, drängte er amüsiert. Er hatte eindeutig damit gerechnet, dass sie überrascht sein würde. „Ich bin sicher, der Ring gefällt dir.“

Suzanne holte tief Atem und griff schließlich nach der Schatulle. Von Tiffany’s? Im nächsten Moment stockte ihr erneut der Atem. Ein sagenhafter Saphir, von zwei Diamant-Baguettes flankiert, funkelte und glitzerte in der Schatulle. Genau so einen Ring hätte sie selbst ausgesucht.

„Na, wie findest du ihn?“

Obwohl sie nicht mit Gefühlen gerechnet hatte, störte sie doch sein nüchterner Tonfall. „Das ist der schönste Ring, den ich jemals gesehen habe.“

„Du hast mich schon nervös gemacht.“ James deutete auf den Ring. „Es gab da noch einen hübschen Smaragd, aber der hier passt meiner Ansicht nach besser zu dir.“

„Er ist perfekt.“ Suzanne löste den Blick von dem Ring. James sah wie der nette Junge von nebenan aus und nicht wie der knallharte Geschäftsmann, der er war. Maßanzüge, teure italienische Schuhe, attraktives Gesicht, weltgewandt, elegant, gut erzogen, höflich und reich – was wünschte sich eine Frau noch mehr?

In Atlanta gab es viele Frauen, die ihn liebend gern haben wollten. Wieso zögerte sie?

Er nahm ihr den Ring aus der Hand und schob ihn ihr auf den Finger. „Wir haben viel gemeinsam, mögen unsere Arbeit und bilden ein tolles Team. Das musst du doch zugeben. Wir lieben Malerei und die Oper. Gemeinsam könnten wir Horton Developers an die Spitze führen.“

Das alles stimmte, und doch … Was hatte sie erwartet? Dass ein Feuerwerk abgebrannt wurde, wenn ihr ein Mann einen Heiratsantrag machte? Dass er ihr ewige Liebe schwören würde? Ihr Vater hatte ihr doch geraten, sich einen Partner zu suchen, der ihr beim Erreichen ihrer Ziele half.

„Du brauchst nicht sofort zu antworten“, erklärte James. „Wie bei jedem Vertragsabschluss solltest du dir ein paar Tage Zeit lassen.“

Sie betrachtete den Ring, dann James und wieder den Ring. Wollte James sie wirklich heiraten, oder fürchtete er, seine Geschäftspartnerin zu verlieren?

Er schloss energisch die Schatulle. „Also, besprechen wir, wie wir Rafe McAllister dazu bringen, seine Ranch zu verkaufen.“

„Mom, ich werde die Lazy-M-Ranch auf gar keinen Fall verkaufen.“ Rafe McAllister litt mit seiner Mutter, die schon über sechzig war und heute besonders blass aussah. Ihre Hand lag matt in seiner, und ihre Stimme klang schwach.

„Ich weiß, mein Junge, dass du das nicht willst, aber wir stecken bis zum Hals in Schwierigkeiten.“

Es fiel Rafe schwer, ruhig zu bleiben. „Das stimmt, Mom, aber es ist uns schon früher schlecht gegangen. Bisher haben wir es noch jedes Mal geschafft.“

„Das war vor dem Tod deines Vaters, aber jetzt …“ Sie verstummte und strich über den handgefertigten Quilt, den sie um die Schultern gelegt hatte. Seit drei Tagen lag sie schon wegen eines neuerlichen Arthritis-Schubs im Bett.

Es traf Rafe, dass seine Mutter andeutete, er wäre nicht so tüchtig wie Frank McAllister. Hätte sie bloß die Wahrheit gekannt! Doch er wollte ihr nicht wehtun, und der Betrug durch ihren Mann hätte sie geschmerzt.

Frank McAllister hatte beim Pokern fast alle Ersparnisse verloren. Der Rest des Geldes war für Frauen draufgegangen. Dazu kamen die Arztkosten seiner Frau, die nicht von der Versicherung gedeckt wurden, weil Frank die monatlichen Beiträge nicht bezahlt hatte.

Die Lazy-M-Ranch war Rafe jedenfalls so wichtig, dass er sie im Leben nie aufgeben würde.

„Heute treffe ich Slim Wallace in Sugar Hill und spreche mit ihm über eine Aufstockung der Hypothek“, erklärte Rafe zuversichtlicher, als er sich fühlte. „Ruh dich aus, Mom. Ich bin bald wieder da.“

Sie nickte und strich gedankenverloren über die weiche Decke. Nachdem Rafe sich mit einem Kuss von ihr verabschiedet hatte, verließ er das Zimmer und beschäftigte sich sofort mit den ständig wachsenden Problemen. Er brauchte einen neuen Traktor, die Zäune mussten geflickt werden, und er sollte mehr Vieh anschaffen. Besseres Futter wäre auch nicht schlecht gewesen, doch das alles kostete Geld.

In dem hässlichen violetten Pick-up, den er zu Silvester bei der Verlosung des Gebrauchtwagenhändlers Wiley Hartwell gewonnen hatte, machte er sich auf den Weg nach Sugar Hill. Vielleicht konnte er das scheußliche Ding verkaufen und damit den Grundstein für eine zweite Hypothek legen. Angeblich wurde doch in Kleinstädten jedem Einwohner nach Kräften geholfen.

Hoffentlich galten die alten Werte noch, damit er diesen herzlosen Immobilienhai abwehren konnte, der auf seiner Ranch ein Einkaufszentrum bauen wollte.

Während der Fahrt nach Sugar Hill dachte Suzanne an das Gespräch mit James zurück. Sie sollte unbedingt die Lazy-M-Ranch kaufen und dafür einen ordentlichen Bonus und eine Beförderung erhalten. Das reizte sie ungemein. James hatte angedeutet, sie könnte es in der Firma bis zur Vizepräsidentin bringen. Damit wäre ihre Zukunft finanziell gesichert gewesen.

Dieser mögliche Aufstieg war auch ein Grund, warum sie den Heiratsantrag noch nicht angenommen hatte. Niemand sollte sagen können, sie hätte sich die Spitzenstellung in der Firma dadurch verdient, dass sie mit dem Boss schlief.

Die verkehrsreichen Straßen von Atlanta blieben hinter ihr zurück. Auf dem Expressway fuhr sie zuerst durch die Vororte und erreichte schließlich das offene Land, auf dem sich überall schon die Anzeichen des Frühlings zeigten.

James hatte bereits Pläne für ein gigantisches Einkaufszentrum mit Bürogebäuden und weitläufigen Wohnhausanlagen. Durch diese Erschließungsmaßnahmen würde die Wirtschaft von Sugar Hill einen gewaltigen Aufschwung nehmen, weshalb Suzanne ursprünglich überhaupt diesen Vorschlag gemacht hatte.

Drei Grundstücke kamen für James infrage, wobei er die Ranch von Rafe McAllister bevorzugte, weil sie die größte Fläche und den leichtesten Zugang zum Highway bot. James wollte die Ranch, und James bekam stets, was er wollte. Suzanne würde ihn jedenfalls nicht enttäuschen.

Ihre Schwester Rebecca hatte sie vor Rafe McAllister gewarnt, der an der Schule ein halsstarriger Störenfried gewesen war. Bisher hatte er alle noch so großzügigen Angebote von James abgelehnt. Der Rancher steckte allerdings in finanziellen Schwierigkeiten. James hatte außerdem Details über die anrüchige Vergangenheit von Rafes Vater herausgefunden.

Suzanne hoffte, diese Informationen nicht einsetzen zu müssen. Der Verkauf der Lazy-M-Ranch an Horton Developers würde jedenfalls nicht nur Rafe helfen, sondern auch die Wirtschaft von Sugar Hill verbessern. Der Charme der Kleinstadt und die Nähe eines Einkaufs-Paradieses würden zahlreiche Menschen anlocken. Davon mussten ortsansässige Firmen profitieren, darunter der Gebrauchtwagenhandel ihres Onkels Wiley, Alisons Laden für Brautausstattung, Rebeccas Buchhandlung und Mimis Café.

Suzanne war von diesen Aussichten begeistert. Nun musste sie nur noch den starrsinnigen Rafe McAllister auf ihre Seite ziehen.

Ein Unglück kommt selten allein.

Bevor Rafe zur Bank fahren konnte, erhielt er einen Anruf vom Sheriff, dass einer seiner Stiere auf dem sechsspurigen Highway stand und einen Stau von fünfzehn Kilometern Länge verursachte. Rafe fing das Tier zusammen mit seinen Helfern ein. Die Reparatur des Zauns kostete ihn zwei Stunden Arbeit und zweihundert Dollar für Material. Außerdem schmerzte das Bein von der alten Verletzung.

Als er schließlich die Bank mit dreistündiger Verspätung erreichte, lehnte der verärgerte Slim Wallace eine neue Hypothek ab und räumte ihm eine Frist von dreißig Tagen ein, um die rückständigen Zahlungen zu leisten.

Bei der Zeitung gab Rafe eine Anzeige wegen des lila Wagens auf, aber Georgiana Hamilton lachte nur. Ein solches Fahrzeug war praktisch unverkäuflich. Zu allem Überfluss sperrte ihm der alte Perkinson im Drugstore den Kredit. Medikamente für seine Mutter gab es nur noch gegen Barzahlung.

Viel mehr konnte heute eigentlich nicht schief gehen.

Nach dem ganzen Ärger beschloss Rafe, sich ein Bier zu gönnen. Im Dusty Pub plärrte Country-Musik aus der Jukebox, leere Erdnuss-Schalen lagen auf dem Fußboden, Lachen übertönte das Stimmengewirr. Alles in allem war es ein normaler Samstagabend. Erfahrene Rancharbeiter hockten an der Bar, einige junge Ranchhelfer spielten Billard, rissen Witze und betrachteten die Frauen. Es roch nach Zigarettenrauch und Parfum.

Johnny Wakefield schenkte Rafe ein Bier ein und schob ihm das Glas über die Theke zu, als eine hoch gewachsene Frau in einer nagelneuen engen Jeans und in Schuhen mit Plateausohlen vom Waschraum an die Bar kam. Die Bluse war aufreizend, Jeans und Schuhe rochen nach Geld. Was hatte so eine im Dusty Pub verloren?

„Sie heißt Suzanne Hartwell“, sagte Johnny, bevor Rafe überhaupt fragte. „Ihr Daddy ist ein berühmter Arzt in Atlanta. Hier drinnen hecheln alle hinter ihr her, seit sie hereingekommen ist.“

„Kann ich mir vorstellen“, meinte Rafe. Eine solche Frau würde ihm nicht einmal einen Blick schenken. „Was macht sie bei uns? Will sie sich auf dem Land austoben?“

„Ihre Schwester Rebecca wohnt in Sugar Hill, und Wiley Hartwell ist ihr Onkel.“

Rafe konnte sich nur schwer vorstellen, dass diese Frau mit dem exzentrischen Wiley Hartwell verwandt war, und ihre Schwester Rebecca kannte er von der Buchhandlung her, eine attraktive, aber stille und schüchterne Frau.

Suzanne Hartwell blickte ihn an, und prompt bekam er Herzklopfen. Hübsches Gesicht mit dunklen Augen, rosige Lippen mit einem verlockenden Lächeln und dazu schwarzes schulterlanges Haar, das glänzte wie das Fell eines schwarzen Pferdes. Einer solchen Frau sollte er besser aus dem Weg gehen, weil er sich an diesem Typ schon mal die Finger verbrannt hatte.

„Was trinkt die Lady?“, fragte er trotzdem.

„Weißwein.“ Johnny lachte. „Zuerst wollte sie einen Cosmopolitan – oder wie das Zeug heißt. Als sie gehört hat, dass wir so was nicht haben, hat sie Sex on the Beach bestellt. Bei uns in Sugar Hill! Dann war sie endlich mit Wein zufrieden.“

„Bring ihr ein Glas von mir.“

„Dachte ich mir doch“, sagte Johnny lachend, „dass nur du genug Mut hast, sie aufzureißen.“

Rafe nickte, obwohl es besser gewesen wäre, die Finger von der Frau zu lassen. War er nun mutig oder nur dumm? Vermutlich handelte er sich gleich einen Korb ein und wurde von den anderen in der Bar tüchtig ausgelacht.

Zu seiner Überraschung nahm Suzanne Hartwell nicht nur das Glas an, sondern winkte ihn sogar zu sich. Er bestellte sich noch ein Bier und bekam geradezu unerträgliches Herzklopfen, während er sich ihr näherte.

Diese Suzanne Hartwell war zwar nichts für ihn, aber vielleicht genügte schon ein einfacher Flirt, um ihn den abscheulichen Tag vergessen zu lassen.

Aus den Unterlagen hatte Suzanne genau gewusst, wo sie Rafe McAllister finden würde, nämlich im Dusty Pub, einer kleinen Kneipe am Stadtrand.

Bisher war sie keinem Mann begegnet, der so viel Kraft ausstrahlte. Pechschwarzes, zerzaustes Haar, stark ausgeprägte Wangenknochen, ernstes Gesicht. Die Krempe des schwarzen Stetsons verhinderte, dass sie ihm in die Augen sehen konnte, aber bestimmt waren das dunkle und gefährliche Augen. Rafe McAllister war vom Scheitel bis zur Sohle ein echter Cowboy.

Das Jeanshemd spannte sich über den breiten Schultern. Die beiden obersten Knöpfe standen offen, und im Ausschnitt war dunkles Haar zu sehen. Große kräftige Hände, gebräunte Haut, strahlend weiße Zähne und ein verwegenes Lächeln, das eine Frau entwaffnete.

Suzanne nahm einen Schluck Wein und ließ den Blick tiefer wandern. Die staubige alte Jeans schmiegte sich um muskulöse Schenkel, die Cowboystiefel verstärkten die maskuline Wirkung seines Ganges.

„Howdy, Ma’am.“ Seine Stimme klang tief und aufreizend. „Rafe McAllister.“

Suzanne blickte in klare braune Augen, in denen sie zu versinken drohte. „Hi, ich bin Suzanne Hartwell.“

„Habe ich schon gehört.“ Er deutete auf den Mann hinter der Theke. „Jeder Mann kennt hier inzwischen Ihren Namen.“

„Ist doch nett, wenn man auffällt.“

Bei seinem Lachen bekam Suzanne Herzflattern. Dieser Rafe McAllister war völlig anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte, und sie konnte sich mühelos ausmalen, wieso er früher in einem schlechten Ruf gestanden hatte. Bestimmt hatten alle Mütter im Umkreis von hundert Kilometern ihre Töchter vor ihm gewarnt.

In dem gerade laufenden Song ging es um Liebe mit dem falschen Partner, was absolut auf Suzanne zutraf, und sie hatte Mühe stillzuhalten, als Rafe sich auf einen Hocker schob und sein Knie ihren Schenkel berührte. Er durfte nicht so sexy auf sie wirken. Sie musste die Oberhand behalten. Außerdem war sie verlobt – mehr oder weniger, oder?

„Was führt Sie denn nach Sugar Hill?“, erkundigte er sich und stützte sich auf die Theke.

Du, dachte Suzanne, sprach es aber natürlich nicht aus. „Ich besuche Verwandte. Meine Schwester Rebecca betreibt die Buchhandlung und hat vor einigen Wochen geheiratet. Was ist mit Ihnen, Cowboy? Wohnen Sie auch in der Nähe?“

Er nickte. „Mir gehört die Lazy-M-Ranch gleich außerhalb der Stadt. Ich kenne übrigens Ihren Onkel Wiley.“

„Jeder kennt ihn“, bestätigte sie lächelnd. „Hey, haben Sie nicht an Silvester den lila Pick-up gewonnen?“

„Ja, leider.“

„Gefällt er Ihnen nicht?“

Er zuckte mit den breiten Schultern. „Das Ding läuft gut und ist bestens ausgestattet, aber die Farbe!“

„Kein Rancher hätte sie sich ausgesucht.“

„Genau.“

„Lassen Sie ihn doch neu spritzen.“

„Das mache ich wahrscheinlich auch.“

Er leerte sein Bierglas, und Suzanne gab dem Barmann einen Wink. „Diesmal geht es auf mich.“

„Nein.“ Rafe hielt ihre Hand fest, als sie zum Portemonnaie greifen wollte.

„Es ist doch nur ein Bier“, wandte Suzanne überrascht ein. „Und wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Frauen laden oft Männer ein.“

„Vielleicht in der Großstadt, aber nicht in Sugar Hill“, wehrte er ab und schob einen Zwanziger über die Theke.

Suzanne versuchte sich abzulenken und achtete auf die anderen Gäste. Viele von ihnen tanzten, und Rafes Bein zuckte rhythmisch. Ihm gefiel Country-Musik offenbar. Ihr waren die Lieder über betrügerische Ehefrauen und kranke Hunde auf der Ladefläche von Pick-ups mit abgesägten Schrotflinten zu simpel. Elton John oder Dave Matthews waren ihr lieber.

Wie auch immer, sie musste diesen Mann zum Reden bringen, auch wenn sie schon die Hälfte seiner Lebensgeschichte kannte. „Also, Rafe, besitzen Sie eine große Ranch?“

Er nickte und griff nach dem Bierglas. „Einige hundert Morgen. Ich züchte Vieh und auch Pferde.“

„Ich wollte schon immer Reiten lernen.“

„Ach ja?“, fragte er und lachte. „Na, dann kommen Sie doch auf die Lazy-M-Ranch. Für Sie sattle ich gern ein Pferd, und Ihnen bringe ich auch sehr gern noch etwas bei.“

Suzanne hielt seinem herausfordernden Blick stand. „Vielleicht mache ich das auch.“

„Tun Sie es.“

„Möchten Sie tanzen?“ Sie konnte kaum glauben, was sie soeben gesagt hatte, aber vielleicht entspannte sie sich auf der Tanzfläche und erinnerte sich an den Grund ihres Aufenthalts in Sugar Hill. Von diesem aufreizenden Typ durfte sie sich nicht von ihrem Auftrag abbringen lassen, einem Typ, der vermutlich Frauen sammelte wie ein kleiner Junge Spielzeugautos.

Aus seinen Augen traf sie ein verlangender Blick. Sehr gut. Dann litt wenigstens nicht nur sie unter den Symptomen unerfüllter Sehnsucht.

Als die Musik wechselte und die Paare sich zu langsamen Klängen aneinander schmiegten, warf Rafe einen Blick auf ihren Ring. „Ich möchte nicht im Revier eines anderen Mannes wildern.“

„Ich gehöre niemandem, Rafe“, versicherte sie.

„Na, dann wollen wir mal“, sagte er lächelnd, führte sie auf die Tanzfläche und zog sie an sich.

Suzanne hatte oft mit ihren Freundinnen und James angesagte Lokale von Atlanta besucht, doch nie zuvor war sie von einem Tanz so fasziniert gewesen wie jetzt. Rafes kräftiger Körper drückte sich an sie, seine Schenkel rieben sich an ihren Beinen, und ausnahmsweise fühlte sie sich trotz ihrer beachtlichen Größe neben einem Mann klein.

So war das eigentlich nicht geplant. Sie sollte mit Rafe McAllister sprechen, seine Schwachstelle finden und ihn zum Verkauf der Ranch überreden, nicht jedoch in seinen Bann geraten.

„Sie fühlen sich himmlisch an“, raunte er ihr zu.

Autor

Rita Herron
Schon im Alter von 12 schrieb Rita Herron ihre ersten Krimis. Doch sie wuchs in einer Kleinstadt auf – noch dazu in bescheidenen Verhältnissen – und konnte sich eigentlich nicht vorstellen, das „echte“ und einfache Leute wie sie Autoren werden könnten. So dauerte es viele Jahre, bis sie den Weg...
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