Tiffany Exklusiv Band 51

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AGENTEN KÜSSEN BESSER von SHALVIS, JILL
Schüsse hallen durch die Nacht! In letzter Sekunde gelingt es der Agentin Abby, gemeinsam mit ihrem Kollegen Conner Hawk zu fliehen! Doch statt um ihr Leben zu fürchten, genießt Abby die Verführerqualitäten von 00 Sexy und das heißeste Liebesspiel ihres Lebens …

ZART BERÜHRT, HEIß VERFÜHRT von SHALVIS, JILL
Nick wähnt sich am Ziel seiner Träume! Gerade hatte er Sex mit Danielle - der Frau, nach der er sich schon seit Jahren sehnt! Doch die lustvollen Stunden sind nur gestohlene Augenblicke des Glücks. Danielle ist auf der Flucht - vor ihrem brutalen Exfreund!

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  • Erscheinungstag 07.03.2017
  • Bandnummer 0051
  • ISBN / Artikelnummer 9783733752750
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jill Shalvis

TIFFANY EXKLUSIV BAND 51

PROLOG

Cheyenne, Wyoming
Regionales ATF-Büro

Sie hatte endlos lange Beine, und Conner Hawk stand auf Beine. Er stand auch auf Brüste und Pos. Aber Abigail Wells, seine Kollegin beim ATF und Kommunikationsexpertin, sah so rundherum fantastisch aus, dass er bei ihr sogar glatt eine Schwäche für Ellbogen entwickeln könnte.

Zu blöd, dass sie ihn nicht ausstehen konnte.

Sie ging durch das „Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms“, kurz ATF, und der weiche Stoff ihres Rocks umschmiegte mit jedem anmutigen Schritt ihre Hüften. Ihr Oberkörper war in einem Blazer versteckt. Dennoch wusste Hawk, dass sie darunter toll aussah. Ihr honigfarbenes Haar war zu einem komplizierten Knoten hochgebunden.

Als könnte sie seine Gedanken lesen, sah Abigail zu ihm hin. Prompt erstarb ihr Lächeln, und die finstere Miene erschien wieder, mit der sie ihn jedes Mal ansah, seit sie vor sechs Monaten zum Team gestoßen war. Sie war aus Seattle gekommen, wo sie im Außendienst gearbeitet hatte. Er versuchte, sie sich in einer kugelsicheren Weste vorzustellen, wie sie ihm Deckung gab, und er schwelgte bereits halbwegs in dieser Fantasie, als sie etwas zu ihm sagte.

„Sie.“ Der Ton, in dem sie das einzelne Wort aussprach, signalisierte Hawk, er solle zur Hölle fahren.

„Ich?“, meinte er, verblüfft, weil sie überhaupt das Wort an ihn gerichtet hatte. Normalerweise vermied sie es, ihn direkt anzusprechen, als hätte er irgendeine ansteckende Krankheit. Was seltsam war, da sie sich allen anderen gegenüber umgänglich, ja sogar freundlich verhielt. Dadurch wirkte ihre harte Haltung umso überraschender. Wenn sie sich auf etwas einschoss, musste man sich in Acht nehmen.

Er hatte immer wieder erlebt, dass Leute geschockt waren von ihrer unerwarteten Durchsetzungsfähigkeit, die dieses scheinbar liebenswürdige Wesen an den Tag legen konnte. Sie musste gut gewesen sein im Außendienst, wo sie wahrscheinlich von sämtlichen Ganoven schwer unterschätzt worden war. Hier in Cheyenne hielt sie sich jedoch hinter den Kulissen.

„Sie kommen zu spät“, warf sie ihm wie eine Schuldirektorin vor, die einen abtrünnigen Schüler tadelt.

Oh ja, das war auch eine Fantasie … Er zog sein Handy aus der Tasche und schaute auf das Display. Zwei Minuten. Er war zwei Minuten zu spät, und nur, weil jemand auf seinem Parkplatz stand. Das hätte er ihr wohl auch erklärt, wenn sie ihn nicht so angesehen hätte, wie Leute auf ihre Schuhe blicken, nachdem sie in Hundedreck getreten sind. Noch während er das dachte, rümpfte sie sogar die Nase. Ja, in ihren Augen – deren Farbe von einem erstaunlichen Blau war, in dem man glatt ertrinken konnte – war er tatsächlich nicht mehr als Hundedreck. Gut zu wissen.

„Tibbs will uns sehen“, verkündete sie.

Hawk folgte ihr pflichtschuldig in das Büro ihres Vorgesetzten, wobei er seinen Blick ihren Rücken hinunterwandern ließ bis zu ihrem fantastischen Po. Übel gelaunt oder nicht, sie sah zum Anbeißen aus …

Hoppla! Sie war so unvermittelt stehen geblieben, dass er gezwungen war, ihr die Hände auf die Hüften zu legen, um nicht mit ihr zusammenzustoßen.

Selbst dieser kurze körperliche Kontakt schien ihr zuwider zu sein, da sie sofort einen großen Schritt vorwärts machte, sich umdrehte und ihn wütend ansah.

Genau. Finger weg. Vielleicht sollte er sich das irgendwo aufschreiben.

„Gibt es etwas Neues über die Waffen?“, wollte sie wissen.

Großartig. Das absolut Letzte, worüber er sprechen wollte. Die Waffen. Jeder wusste von den etwa dreihundertundfünfzig konfiszierten Feuerwaffen, die aus der Asservatenkammer verschwunden waren. Direkt vor der Nase der Polizei gestohlen.

Direkt vor seiner Nase.

Natürlich fragte sie, weil er der Agent gewesen war, der die Waffen konfisziert hatte. Er hatte zwar keine Ahnung, wie es passiert war. Aber er ahnte, dass es einen Maulwurf in der Abteilung gab. Und Hawk kam ihm allmählich zu nahe.

„Nein, keine Neuigkeiten.“

„Verstehe.“ Sie bedachte ihn mit einem letzten kühlen Blick und klopfte an Tibbs’ Tür.

Verstehe? Was sollte das denn heißen? Bevor er fragen konnte, rief Tibbs, sie sollten hereinkommen.

Ihr Vorgesetzter stand hinter seinem Schreibtisch, was keinen großen Unterschied machte, da er ohnehin höchstens ein Meter sechzig groß und fast genauso breit war. Der Chef schob sich die Brille auf seiner Nase höher. „Wir haben einen Hinweis bezüglich der Bombenattentäter bekommen“, sagte er in seinem gedehnten Alabama-Akzent.

Hawk arbeitete seit zwei Jahren am Fall der sogenannten Kiddie Bombers. Irgendein Dreckskerl – oder eine Gruppe von Dreckskerlen – brachte Jugendlichen bei, wie man Bomben bastelte, mit denen dann große Unternehmen bedroht wurden, um Millionen von Dollar von ihnen zu erpressen. Bis jetzt waren zwölf Teenager gestorben, und das ATF wollte die Anführer endlich dingfest machen.

Auch Hawk wollte das. Er wollte den Anführer der Kiddie Bombers erwischen. Vor achtzehn Monaten wäre ihm das beinah bei einer Razzia in einem Lagerhaus geglückt. Er und der andere hatten im Dunkeln auf dem harten Betonboden miteinander gekämpft. Hawk hatte ihm eine Waffe entwunden und ihn angeschossen, bevor ein weiterer Angreifer sich auf ihn gestürzt hatte.

Er war mit dem Leben davongekommen, was er seinem Partner Logan zu verdanken hatte. Da die Bande nach jener Nacht Ruhe gegeben hatte, war allgemein angenommen worden, der Anführer der Kiddie Bombers sei an seiner Schussverletzung gestorben.

Vor einem Jahr aber war die Bande wieder aufgetaucht und hatte zwei große Überfälle begangen, bei denen vom ATF konfiszierte Waffen benutzt worden waren.

Hawk hatte einen Verdacht, hauptsächlich weil es nur eine Person gab, die mit allen Razzien zu tun gehabt hatte – Elliot Gaines. Andererseits war das so verrückt und abwegig, dass er es für sich behalten musste. Nur Logan hatte er von seinem Verdacht erzählt.

Allein im vergangenen Monat hatten Hawk und Logan zwei Lagerhäuser voller Munition und sonstigem Zubehör sichergestellt. Aber keinen einzigen Verdächtigen verhaftet.

„Einen Hinweis?“, wiederholte Hawk.

„Ja. Verdächtige Aktivitäten, angeblich ein Waffenarsenal. Gaines hat Leute dafür angefordert.“

Elliot Gaines war der Regionalchef – oder, wie manche ihn nannten, Gott. Es hieß, der Allmächtige habe die Nase voll von den Verzögerungen und falschen Spuren – und davon, dass das ATF jedes Mal blöd dastand.

„Ihr macht euch beide auf den Weg.“ Tibbs warf eine dicke Akte auf den Tisch, die sie sich durchlesen sollten. „Bullet City.“

Das lag irgendwo im nördlichen Wyoming, ungefähr viereinhalb Stunden entfernt, ein abgelegener kalter Ort.

„Wir haben Informationen, dass sie heute Nacht ein neues Produkt ausprobieren“, erklärte Tibbs. „Wir müssen sie während ihres privaten Feuerwerks schnappen.“

Das war Hawk nur recht. Er nahm die Akte, blätterte sie durch und erfuhr von einer Scheune, in der haufenweise belastendes Material entdeckt worden war. Der Besitzer war flüchtig.

Abby schaute ihm über die Schulter, sodass er deutlich ihre Anspannung spüren konnte.

„Ihr habt zwei Stunden“, eröffnete Tibbs ihnen. „Ihr fliegt zusammen.“

„Zusammen?“, wiederholte Abby, und ihre Stimme brach tatsächlich.

Überrascht von dieser unerwarteten Gefühlsregung, drehte Hawk sich zu ihr um.

„Sie leiten die Show vom Van aus, Abby“, sagte Tibbs. „Und Hawk von draußen. Es wird ein Team vor Ort sein.“

Abby stutzte. „Aber …“

Beide Männer wurden Zeugen, wie ihr eine leichte Röte in die Wangen schoss. Interessant, dachte Hawk. Für gewöhnlich war sie eiskalt. Was hatte sie aufgebracht? Er? Denn umgekehrt musste er zugeben, dass sie ihn ziemlich aufwühlte. Er konnte nichts dagegen tun – hinter ihrer unnahbaren Fassade verbarg sich einfach etwas Besonderes. Natürlich fand er sie körperlich anziehend, aber das allein war es nicht, was ihn seit sechs Monaten beschäftigte.

„Keine Sorge“, sagte er, „ich habe so was schon mal gemacht.“

„Sehr witzig.“ Sie presste die Lippen zusammen.

Normalerweise hätte er sich jetzt gefragt, wie lange er sie wohl küssen musste, bevor sie sich entspannte. Aber nicht in dieser Situation. „Was soll das heißen? Vertrauen Sie nicht auf meine Fähigkeiten da draußen?“

„Hawk“, mischte Tibbs sich ein.

Er hörte den warnenden Unterton seines Vorgesetzten, doch er kümmerte sich nicht darum. „Nein, ich finde, es wird höchste Zeit, dass das mal auf den Tisch kommt. Ich will es wissen, Abby. Was für ein Problem haben Sie mit mir?“

„Gar keins.“ Ihre blauen Augen wirkten kühl.

Blödsinn. Trotzdem gab er nach. „Na schön. Fein.“

„Fein.“ Sie deutete auf die Akte in seiner Hand. „Der Flug geht um zwei. Wenn Sie zu spät kommen, fliege ich ohne Sie.“

1. KAPITEL

In derselben Nacht,
fünfundzwanzig Meilen außerhalb von Bullet City, Wyoming

Als Abby die in einem Van untergebrachte Kommunikationszentrale betrat, verstummten die Männer. Typisch. Männer beschwerten sich immer, dass Frauen schwierig seien. Sie fand, dass es genau umgekehrt war.

Männer waren problematischer.

Nicht, dass es sie kümmerte, da sie jede Art von persönlicher Beziehung zu Männern aufgegeben hatte. Was ihr Leben viel einfacher machte.

Sie schob die Tür hinter sich zu und fröstelte. Der eisige Wind des Spätherbstes in den Höhenlagen der Bighorn Mountains drang ihr durch sämtliche Kleiderschichten. Sie rieb sich die kalten Hände und sah unwillkürlich zu Hawk, dessen langärmeliges schwarzes Hemd offen stand. Er hatte das T-Shirt, das er darunter trug, hochgeschoben, damit er verkabelt werden konnte.

Er stand da in seiner vollen Größe von über einem Meter fünfundachtzig, lächelte verwegen und sah sie mit seinen schokoladenbraunen Augen an. Sein Blick konnte einen je nach Belieben dahinschmelzen oder erstarren lassen. Unter einem Ärmel seines Hemds lugte eine Tätowierung auf seinem Bizeps hervor, die, wie Abby wusste, einen Falken darstellte.

Die Frauen im Büro schwärmten davon. Abby nicht. Nein, sie war aus härterem Holz geschnitzt.

Über zwei seiner Rippen verlief eine lange, kaum mehr sichtbare Narbe. Auf der Brust hatte er auch eine, die jedoch wesentlich kleiner war. Die erste stammte, wie sie Gerüchten in der Abteilung entnommen hatte, von einem Messer, die zweite von einer Kugel. Abby konnte außerdem gut seine trainierten Muskeln sehen. Er war sehr athletisch.

Hatte sie vor wenigen Sekunden noch gefroren, so wurde ihr jetzt heiß. Warum musste sie auch so genau hinsehen? Vielleicht war sie doch nicht aus härterem Holz geschnitzt. Wie dem auch sei, sie hatte mit den Männern abgeschlossen.

Seufzend ging sie auf ihre Position. Wo sie zum ersten Mal zögerte. Das ärgerte sie. Vor einem Jahr wäre sie bei einem Einsatz beinah ums Leben gekommen. Aber es war nicht geschehen. Und es würde auch hier nicht passieren.

Abby schüttelte die Nervosität ab und schaute sich um, wobei sie erneut Hawks Blick begegnete. Er musterte sie nachdenklich, während er seine kugelsichere Weste anzog. Er besaß eine hohe Auffassungsgabe, das musste sie ihm lassen.

Offenbar hatte er ihr kurzes Zögern bemerkt. Auf keinen Fall würde sie sich auch nur den Anflug von Angst anmerken lassen. Entschlossen setzte sie sich.

Aber wenn sie eine gute Schauspielerin war, dann war er noch viel besser. Seine Miene gab nicht den leisesten Aufschluss darüber, was er dachte.

Das war ihr sowieso egal. Sie hatte hier einen Job zu erledigen. Sie würde in diesem Van bleiben und für die Kommunikation des Teams verantwortlich sein, das sich auf den Weg zum Farmhaus und zu der eine halbe Meile entfernt davon liegenden Scheune machte. Dort würde die Razzia stattfinden.

„Fertig“, verkündete Watkins, nachdem er Hawk verkabelt hatte.

Hawk zog sein T-Shirt wieder herunter. „Hast du das Problem von neulich behoben?“

Abby war zwar ausgiebig damit beschäftigt gewesen, Hawks Körper zu bewundern, doch jetzt horchte sie auf. „Was für ein Problem?“

„Schlechte Verbindung.“ Watkins zuckte mit den Schultern. „Kommt vor.“

„Sollte es aber nicht“, meinte sie. „Sorgen Sie dafür, dass es nicht vorkommt.“

Watkins nickte.

Hawk versteckte die Kabel und seine trainierten Bauchmuskeln unter dem T-Shirt und sah zu Abby. Er runzelte die Stirn und schien fragen zu wollen: Na, haben Sie mich angestarrt?

Nein, hatte sie nicht. Um das zu beweisen, beschäftigte sie sich mit ihrer Ausrüstung und versuchte, nicht daran zu denken, was passiert war, als sie das letzte Mal verkabelt worden war. Elliot Gaines, ihr Boss, hatte das persönlich übernommen.

Natürlich hatte er ein persönliches Interesse an ihr gehabt, denn sie waren Freunde. Zumindest hatte sie das so gesehen. Er hatte sich allerdings mehr versprochen, viel mehr. Auf jeden Fall hatte er nicht ahnen können, wie gründlich alles schieflaufen würde … In der einen Minute noch hatte sie Gaines’ ruhiger, Respekt einflößender Stimme gelauscht, die ihr sagte, sie mache ihre Sache großartig und solle ihre Position halten. In der nächsten Sekunde hatte sie eine Waffe an der Schläfe gespürt, bevor sie als Geisel genommen worden war.

Jetzt, ein Jahr später, an einem anderen Ort, murmelte jemand leise etwas, das sie nicht verstehen konnte. Mehrere Männer hinter ihr lachten. Abby wusste, dass sie nur ihre Anspannung überspielten, höchstwahrscheinlich mit einem anzüglichen Witz, den sie gar nicht hören wollte. Sie war es zwar gewohnt, in einer Männerwelt zu bestehen. Doch musste sie zugeben, dass es heute Nacht an ihren Nerven zerrte.

Sicher, es war schon nervenaufreibend, hier zu sein, nur konnte niemand etwas dafür. Gaines hatte sie auf ihre Bitte hin nach einer Auszeit auf diesen Posten versetzt. Sie wollte sich selbst beweisen, dass sie ihren Job noch bewältigen konnte und der „Vorfall“ sie nicht mehr beeinträchtigte.

Doch angesichts ihrer feuchten Hände und dem flauen Gefühl im Magen fragte sie sich, ob sie die Geschichte vielleicht doch noch nicht ganz überwunden hatte.

„Hey.“

Erschrocken drehte Abby sich zu Hawk um. Er war bereit für seine Aufgabe und machte den Eindruck, als sei er allem gewachsen, was auf ihn zukommen würde. Er hatte bestimmt kein mulmiges Gefühl.

Die anderen unterhielten sich. Hawk stand nah bei ihr und schien ihre Unsicherheit zu spüren. „Bereit?“

Dass er ihre Nervosität bemerkte, bedeutete, dass sie sich nicht richtig im Griff hatte. „Selbstverständlich.“

Er machte keine Anstalten zu gehen. „Hören Sie, auch wenn Sie mir gleich den Kopf abreißen werden, aber ich habe den Eindruck, dass Sie …“

„Ich sagte, es ist alles in Ordnung.“ Zum Beweis drehte sie sich zu ihrem Computer um.

„Gut.“

Sie spürte, dass er sie beobachtete.

„Dann ist ja alles bestens.“

Sie hörte, wie er den anderen hinausfolgte, und schaute über die Schulter. Seine anmutigen Bewegungen verrieten seine Kraft. Und Verärgerung.

Abby atmete auf. Verdammt. Er war nicht nur ein Charmeur, sondern noch dazu ein ausgezeichneter Agent. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie seine Arbeitsauffassung mindestens ebenso bewunderte wie seinen Körper. Und sie wollte, dass er ihre Arbeitseinstellung genauso bewunderte. „Hawk.“

Er drehte sich um. Seine breiten Schultern versperrten ihr zwar die Sicht nach draußen, hielten aber nicht den eisigen Wind auf. „Ja?“

„Passen Sie auf sich auf.“

Der Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht. „Ich dachte, dafür sind Sie zuständig.“

Sie errötete, doch er hatte vollkommen recht. Er warf ihr ein sexy Lächeln zu, bevor er ging.

Abby seufzte und fächelte sich Luft zu.

„Verdammt, ist das kalt hier draußen.“

Nach Logans Feststellung des Offenkundigen blies Hawk eine Atemwolke in die Luft, die der Wind davontrug. Er und sein Kollege lagen flach auf dem Bauch auf dem Dach der verdächtigen Scheune.

Ja, es war eiskalt hier oben, nur konzentrierte Hawk sich mehr auf die Tatsache, dass sie sich ohne Sicherheitsleine zehn Meter über dem Boden befanden. Dabei hasste er Höhe.

Logan ließ sein Fernglas sinken, um seine Hände anzuhauchen. „Vielleicht können wir die Sache hinter uns bringen, bevor wir an diesem Dach festfrieren.“

Genau wie Hawk war Logan gut trainiert und für jeden erdenklichen Fall ausgebildet, ein knallharter Agent. Aber er jammerte gern, und das wusste Hawk, da sie sich seit dem achtzehnten Lebensjahr kannten, als sie zusammen in einem Erziehungslager gewesen waren. Damals waren sie Freunde geworden, und jeder kannte den anderen inzwischen durch und durch.

Um auf dieses Dach zu gelangen, hatten sie eine Horde Rottweiler betäubt, die Alarmanlage des Farmhauses ausgeschaltet und sich durch einen kleinen Wald zur Scheune geschlichen. Der Ort war gut geeignet für jede Art von krimineller Aktivität, umgeben von den scharfen, zerklüfteten Gipfeln der Bighorn Mountains sowie sanften Hügeln und Seen, die jetzt in der Dunkelheit nur als schwarze Umrisse zu sehen waren. Weit und breit gab es keine Nachbarn, nur Bären, Büffel und Kojoten.

Und etliche Wagen, die hinter dem Farmhaus geparkt waren.

Seltsam. Irgendwo müssten auch ein paar Leute sein. Aber weder im Haus noch in einer der kleinen Hütten dahinter waren sie auf jemanden gestoßen.

Blieb nur noch die Scheune übrig.

Ein eisiger Windstoß blies Hawk ins Gesicht und brannte auf seiner Haut. Er musste zugeben, dass die Sache langsam knifflig wurde. Die Metallplatten, mit denen das Dach gedeckt war, vereisten. Jede Bewegung konnte gefährlich werden. Wenn man abrutschte, fiel man zehn Meter in die Tiefe.

Dank seines Nachtsichtgerätes konnte Hawk den Boden sehr gut sehen. Die Höhe verursachte ihm Übelkeit. Aber er hatte schon in weitaus schlimmeren Situationen gesteckt. Er und Logan hatten üble Sachen mit üblen Leuten durchgestanden. Oft genug hatte ihnen dabei lediglich ihr Instinkt das Leben gerettet.

„Hoffentlich regnet es nicht, sonst verwandelt sich das Dach in eine gigantische Rutschbahn“, meinte Logan und klang dabei ganz ruhig – er war ja auch nicht derjenige mit der Höhenangst. „So ähnlich wie die beim Karneval …“

„Logan?“

„Ja?“

„Halt die Klappe.“

Logan lachte leise.

Es war eisig kalt dort oben, und der Wind machte es nicht besser. Hawk wollte endlich loslegen. Dummerweise mussten sie hier ausharren, bis sie von Abby ihr Kommando bekamen. Der Van stand eine halbe Meile entfernt an der Hauptstraße.

„Wir müssen näher herangehen“, sagte Hawk in sein Mikrofon, während eine Böe ihm den staubigen Schmutz vom Dach ins Gesicht blies.

„Bleiben Sie auf Ihrem Posten“, befahl Abby, deren Stimme trotz des statischen Rauschens warm und sinnlich klang.

Das allein genügte, um eine heftige Reaktion in ihm auszulösen. „Wir können den Posten nicht halten.“

„Sobald ich von Watkins und Thomas etwas höre, werden wir loslegen“, erwiderte sie durch stärker werdendes statisches Rauschen.

„Wir“ hatte sie gesagt. Als ob sie dazugehöre. Er wusste, dass sie eine ausgezeichnete Außendienstmitarbeiterin gewesen war, denn er hatte ihre Akte gelesen. Vor einem Jahr war sie plötzlich aus dem Dienst ausgeschieden. Sosehr er auch nachforschte, Hawk fand keinen Grund dafür. Nach einem halben Jahr war sie wieder aufgetaucht und von Seattle nach Cheyenne versetzt worden. Seitdem tat er sein Bestes, um die Erregung zu ignorieren, die er in ihrer Nähe spürte. Und ihr schien es so lieber zu sein.

„Watkins und Thomas sind auf dem Weg zum Ost- und Westtor unter euch“, fügte sie hinzu. „Wartet auf mein Signal.“

Sie hatte gut reden, denn sie saß im windgeschützten Van. Hawk hätte darauf wetten können, dass sie den Motor laufen ließ und die Heizung hochgedreht hatte.

Sie hatte sich im Flugzeug umgezogen und den Rock, der seine Fantasie anregte, weil er auf wundervolle Weise ihre Schenkel umschmiegte – was bei jeder Bewegung, die sie machte, der Fall war –, gegen eine Hose eingetauscht. Doch die Cargohose und das langärmelige Hemd umschmeichelten ihre Kurven genauso. Wahrscheinlich würde er sie auch in einem Kartoffelsack attraktiv finden.

Logan verlagerte sein Gewicht, vermutlich um nicht am Dach festzufrieren. Hawk tat es ihm gleich, allerdings aus ganz anderen Gründen.

„Wir sind fast da“, meldete sich Thomas über Funk. „Von drinnen sind Geräusche zu hören, ein gleichmäßiges pfeifendes Geräusch.“

„Kann ich bestätigen“, echote die Stimme von Watkins. „Die Fenster sind von innen zugeklebt. Ich betrete die Scheune durch die Tür auf der südwestlichen Seite. Oh Mann, sie ist voller Munition und Werkbänke. Hier werden ganz offensichtlich Bomben gebastelt, Leute, aber es ist weit und breit niemand zu sehen.“ Er stieß einen leisen Pfiff aus. „Ehrlich, hier liegt genug von dem Zeug herum, um Las Vegas in die Luft zu sprengen.“

„Keine Verdächtigen?“, wollte Abby wissen.

„Niemand.“

„Das kann nicht sein“, murmelte sie.

Hawk stimmte ihr zu. Irgendetwas passte hier nicht zusammen, nicht nur, weil es ihnen so leicht gelungen war, unentdeckt zur Scheune zu gelangen. Jetzt fanden sie auch noch auf Anhieb das Beweismaterial. Das war zu einfach. Er schaltete sein Mikrofon aus und sah Logan an.

„Denkst du, was ich denke?“, fragte sein Freund.

„Man hat uns eine Falle gestellt statt andersherum.“

„Ganz genau.“

„Ich vermute, wir sind ihm zu nahe gekommen, und das passt ihm gar nicht.“

„Ärgern wir ihn richtig und schnappen ihn uns auf frischer Tat.“

„Watkins, durchsuchen Sie die Scheune“, befahl Abby über Funk. „Hawk, Logan, ihr überwacht die Ausgänge vom Dach aus.“

„Aber wo sind sie alle?“ Die Frage kam von Thomas. „Hier drin ist es ausgestorben wie in einer Geisterstadt.“

„Es muss noch ein weiteres Gebäude geben, das wir noch nicht entdeckt haben. Oder einen Keller“, meinte sie. „Findet es. Findet sie.“

„Hier ist niemand“, meldete sich Watkins wieder.

Logan sah Hawk an, als sie ein leichtes Vibrieren unter sich spürten. Es war kaum auszumachen wegen des heulenden Windes und des statischen Rauschens des Funkgeräts. Trotzdem war Hawk sicher, dass sie hier oben nicht mehr allein waren.

„Was ist los?“, wollte Abby wissen.

Weder Logan noch Hawk antworteten, um ihre Position in der Dunkelheit nicht zu verraten. Es war so finster, dass sie ohne die Nachtsichtgeräte die Hand vor Augen nicht gesehen hätten. Unglücklicherweise konnten die Geräte nichts gegen die Wolken von Schmutz ausrichten, die der Wind aufwirbelte, während sie sich vorsichtig zur Leiter bewegten.

Die verschwunden war. Verdammt!

„Wir haben ein Problem“, sagte Logan.

„Was?“, meldete sich Abbys sinnliche Stimme wieder.

Logan deutete mit dem Kopf nach links, und Hawk nickte. Sie würden sich trennen.

„Logan“, sagte Abby angespannt. „Hawk. Meldet euch.“

„Wir haben Gesellschaft“, sagte Logan leise. „Wir trennen uns, um denjenigen aufzuspüren.“

„Mehr Einzelheiten bitte“, verlangte Abby.

„Jemand hat uns die Leiter weggenommen.“

Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann sagte sie: „Watkins, Thomas, gebt ihnen Deckung. Sofort.“

„Auf der Westseite ist alles klar“, meldete sich Logan über Funk wie aufs Stichwort.

„Hawk?“, fragte Abby. „Melden Sie sich.“

„Oh, mir geht’s bestens, vielen Dank.“ Er betrachtete das rutschige Dach und die Entfernung bis zum Boden. Ein Schauer überlief ihn. Abby gab einen frustrierten Laut von sich, und er musste lächeln, während er sich nach allen Seiten umschaute. Doch der eisige Wind wehte eine weitere dichte Staubwolke vor sich her, sodass er weder Logan noch sonst irgendwen erkennen konnte.

Was möglicherweise ein gutes Zeichen war. Oder doch ein sehr schlechtes.

„Wo sind Sie?“, fragte Abby.

In der Hölle, daran hatte Hawk keine Zweifel. „Logan?“

„Hawk, runter“, meldete Logan sich plötzlich, dann war ein Klicken zu hören, als sei die Verbindung abgerissen.

„Logan?“ Hawk klopfte gegen den Kopfhörer. Nichts. Die Funkverbindung war tot. Trotzdem würde er so schnell wie möglich vom Dach klettern, weil er sich darauf verlassen konnte, dass Logans Instinkte genauso gut waren wie seine. Er konnte nicht viel sehen, aber er erinnerte sich daran, dass hier irgendwo in der Nähe eine hohe Eiche stand, deren Äste nah genug waren, um sie zu erreichen und den Baum hinunterklettern zu können. Von ganz oben. Du lieber Himmel!

Von rechts kam ein Geräusch, und Hawk fuhr herum. Logan oder der Feind? Er musste verschwinden.

Dafür musste er aber erst das Nachtsichtgerät abnehmen, damit er nicht nach unten schauen konnte. Nicht, dass das viel nützen würde, da er eine lebhafte Fantasie besaß und er sich die Höhe sehr gut vorstellen konnte.

Der Wind wurde stärker, und der umherwirbelnde Dreck nahm Hawk die Sicht. Er konnte sich nur noch festhalten und beten, während er langsam nach unten kletterte – auch wenn beten bei ihm nie richtig funktioniert hatte.

Als seine Füße endlich den Boden berührten, atmete er auf und hätte um ein Haar den Baumstamm geküsst. Stattdessen zog er seine Waffe und drückte sich an die Mauer der Scheune. Zu seiner Linken war ein Fenster, mit Brettern zugenagelt und von innen zugeklebt. Dennoch hätte Hawk schwören können, dass er drinnen ein Licht aufflackern sah.

Jemand war eindeutig da drin.

Watkins? Oder der geheimnisvolle Bombenbauer?

Das Funkgerät blieb weiterhin unheimlich still, und ein ungutes Gefühl beschlich ihn, als er das Nachtsichtgerät wieder aufsetzte und um die Ecke der Scheune bog. Dort fiel sein Blick auf eine Tür am Boden – ein Kellereingang. Bevor er etwas tun konnte, flog die Tür auf und wurde vom Wind gegen die Scheunenwand geknallt.

Ein Mann kletterte heraus. Hinter ihm waren stapelweise Munition und Waffen zu sehen, die sehr denen ähnelten, die der Polizei gestohlen worden waren. Hawk hielt seine Pistole bereit und wartete darauf, dass sich der verräterische Agent zu erkennen gab.

Der Mann hob den Kopf, und das war der Moment, in dem sich Hawks Verdacht bestätigte.

Gaines.

Es gelang Hawk noch, einen Schuss abzugeben, bevor eine starke Druckwelle ihn zu Boden schleuderte.

2. KAPITEL

Der Dreckskerl hatte auf ihn geschossen, und da es sich anfühlte, als seien seine Lungen kollabiert, nahm Hawk an, dass er in Brusthöhe getroffen worden war. Zum Glück trug er die kugelsichere Weste. Benommen und nach Atem ringend, versuchte er bei Bewusstsein zu bleiben, während er auf dem Rücken lag und in den nächtlichen Himmel starrte.

„Hawk? Melden Sie sich“, hörte er Abbys Stimme im Ohrstöpsel.

Melden? Er fühlte sich, als wäre er dabei, sich komplett abzumelden. Immerhin funktionierte die Funkverbindung wieder. Gut zu wissen. Und, Mann, hatte diese Frau eine tolle Stimme. Zu schade, dass er diese heftigen Schmerzen hatte und sich nicht bewegen konnte.

Oder sprechen.

„Hawk!“

Ach, war das nicht süß? Sie klang besorgt. Er war gerührt oder wäre es zumindest gewesen, wenn dieser Schmerz nicht gewesen wäre. Er musste sich aufraffen, um sich zu schützen …

Jemand stellte einen Fuß auf seine Kehle. Es war Gaines. Sein Regional Director. Verräter!

Hawk versuchte, einen Arm zu heben, um den Fuß zu packen.

„Lass es lieber.“ Gaines trat fester zu. „Du wirst sowieso bald tot sein. Ich will dich vorher nur ein bisschen leiden sehen, weil du mir so lange zugesetzt hast.“

Hawk war hilflos, eine absolut neue und unerfreuliche Erfahrung. Er bekam einfach keine Luft, und seine Brust brannte.

„Das tut verdammt weh, was?“

Am meisten beschäftigte ihn die Frage, ob es ihm gelungen war, Gaines’ Namen über Funk durchzugeben, bevor ihn der Schuss zu Boden geworfen hatte. Falls er nicht am Leben bleiben sollte, wollte er wenigstens, dass Logan davon erfuhr, was los war. Falls die Funkverbindung überhaupt funktionierte. „Logan …“

„Tut mir leid. Das wird eine tragische Nacht. Ihr werdet beide sterben bei dem Versuch, ein falsches Spiel zu treiben.“

Durch den Schleier der Benommenheit registrierte Hawk, dass er noch immer seine Waffe umklammert hielt. Wenn er nur die Kraft finden würde, den Arm zu heben. Während er es probierte, hörte er, wie alle sich meldeten.

Watkins. Thomas. Logan. Gott sei Dank.

Jeden Augenblick würde ihnen auffallen, dass Hawk der Einzige war, der sich nicht gemeldet hatte.

„Hawk? Melden Sie sich.“ Abby gelang es, ihre Stimme erstaunlich ruhig klingen zu lassen, obwohl ihr der Schweiß ausgebrochen war. Irgendetwas stimmte nicht, und es hatte nicht nur damit zu tun, dass die komplette Ausrüstung für volle fünf Minuten ausgefallen war.

„Ich sehe ihn nicht“, meldete sich Thomas.

„Ich auch nicht.“ Das kam von Watkins.

„Ich klettere zurück aufs Dach“, sagte Logan. „Vielleicht ist er noch oben.“

Halbwegs rechnete sie damit, dass Hawk plötzlich hereinstürmte und lachend verkündete, alles sei in Ordnung. Aber das tat er nicht.

Als er sich nach mehreren Versuchen immer noch nicht meldete, stellte sie ihn sich vor. Ihr Therapeut hatte ihr erklärt, es helfe, wenn sie sich die Ursache ihres Kummers vorstellte. Damit hatte ihr Therapeut natürlich die Männer gemeint, die sie als Geisel genommen hatten. Aber das Prinzip musste auch so funktionieren, daher konzentrierte sie sich auf das Bild von Conner Hawk.

Ihr gelang es peinlich schnell, sich ihn vorzustellen, und zwar ohne Hemd. Sie hatte ihn vor sechs Monaten, an ihrem ersten Tag, mit freiem Oberkörper gesehen. Er und Logan hatten stundenlang unter einem Truck in der brütenden Hitze gelegen und ein Haus observiert. Nach den Verhaftungen war Hawk ins Revier gekommen, um sich frische Sachen aus seinem Spind anzuziehen.

Abby saß an einem Tisch im Pausenraum und hielt mit der Gabel auf halbem Weg zum Mund inne, als er an ihr vorbeiging. Seine Augen waren müde, er hatte sich seit Tagen nicht rasiert. Er hatte die Sonnenbrille auf den Kopf geschoben und sein verschwitztes T-Shirt ausgezogen, sodass er nur noch seine gefährlich tief auf den Hüften sitzende Jeans trug, während er mit Logan über irgendetwas lachte.

Nach der Geiselnahme hatte ihr Therapeut ihr versichert, dass ihr körperliches Verlangen nach Männern irgendwann zurückkehren würde, wahrscheinlich dann, wenn sie am allerwenigsten damit rechnete. Sie war ein wenig herumgereist, hatte ihre Eltern und ihre Schwester in Florida besucht … nichts half. Aber dort im Pausenraum war das Verlangen nicht nur zurückgekehrt, sondern hatte sie regelrecht gepackt.

Conner Hawk hatte wirklich das gewisse Etwas.

Sie war unfähig, irgendwo anders hinzusehen, und saugte seinen Anblick regelrecht in sich auf – seine gebräunte, muskulöse Brust, die Tätowierung, die verschiedenen Narben, die verrieten, wie viele Jahre er schon den Helden spielte. Seine Jeans hatte zwei Risse, einen über dem Knie und einen weiteren am Oberschenkel, die noch mehr Muskeln zeigten.

Und dann hatte er in ihre Richtung gesehen und sie dabei ertappt, wie sie ihn betrachtet hatte.

Nervös hatte Abby ihre Gabel in den Schoß fallen lassen. Dummerweise war noch der Salat darauf gewesen. Das Ergebnis war Salatdressing auf Seide. Hübsch.

Seine schokoladenbraunen Augen hatten amüsiert gefunkelt. Wortlos hatte er sich ein frisches T-Shirt über den Kopf gezogen, wobei Abby sehr gut das Spiel seiner Oberarm- und Bauchmuskeln beobachten konnte. In seinem Blick lag ein Ausdruck, der sie heftig erregte.

Danach begriff er ihr eisiges Schweigen nicht als das, was es war – die verzweifelte Aufforderung an ihn, sich von ihr fernzuhalten. Aber sie konnte es ihm kaum verübeln, dass er es ihr nicht abkaufte. Ja, sie hatte ihn begehrt, sich danach gesehnt, in seinen Armen zu liegen und seine Lippen auf ihren zu spüren, während er seine starken Hände über ihren Körper gleiten ließ und ihr die Lust bereitete, die sie sich seit einem Jahr versagte.

Zum Glück war sie rechtzeitig zur Besinnung gekommen und hatte sich fortan nicht mehr gehen lassen. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.

Als Neuling in der Abteilung hatte sie sich große Mühe gegeben, sich einzufügen und ihre Kollegen kennenzulernen. Gleichzeitig versuchte sie, sich von Hawk fernzuhalten. Sie gab sich ihm gegenüber distanziert, weil sie das für sicherer hielt, solange sie nicht bereit war für die Gefühle, die er in ihr auslöste. Denn das war noch nicht der Fall.

Das bedeutete jedoch nicht, dass sie nichts für ihn empfand, denn das tat sie. Zu viel. Genau darin lag auch das Problem.

Jetzt saß sie hier mitten in der Nacht in diesem Van und wartete verzweifelt darauf, dass er sich meldete, damit sie wusste, dass er wohlauf war.

„Jemanden hat es erwischt“, meldete sich Watkins’ Stimme. „Wiederhole: Agent verwundet.“

Vor nicht allzu langer Zeit war sie die Agentin gewesen, die es erwischt hatte. Allein die Worte brachten das Entsetzen zurück. Die Erinnerung an den dunklen Raum, an die panische Angst, die sie befallen hatte, als ihre Kidnapper Informationen von ihr forderten, die sie gar nicht hatte …

Aber das war damals und nicht jetzt. Konzentrier dich, verdammt, ermahnte sie sich. „Wo ist er?“

Die Männer hinter ihr, Ken und Wayne, beide in höchster Alarmbereitschaft nach dem Ausfall der Ausrüstung, arbeiteten mit Hochdruck daran, den Kontakt herzustellen.

„Watkins“, sagte sie. „Bitte um genauere Informationen.“

Nichts.

„Thomas, sind Sie bei Watkins?“

Noch immer herrschte diese entsetzliche Stille. Abby wirbelte herum und sah ihre beiden Kollegen ungläubig an. „Ist die Verbindung schon wieder unterbrochen?“

Wayne tippte hastig auf seiner Tastatur herum. „Mist, ja.“

„Die brauchen Unterstützung dort draußen.“ Abby sprang auf und zog ihren Blazer aus.

„Was haben Sie vor?“, wollte Ken wissen.

„Ich mache mich fertig.“ Sie schleuderte ihr nutzloses Headset von sich.

„Nein, wir sollen nicht …“

„Mindestens einer unserer Leute ist verwundet, und die Funkverbindung ist unterbrochen.“ Sie zog sich eine kugelsichere Weste an und schnappte sich eine Waffe. „Wir gehen rein.“

Es entstand ein kleiner Tumult. Abby wusste nicht, ob die beiden sie aufhalten oder sich ihr anschließen wollten. Wortlos öffnete sie die Tür des Vans.

Logan rannte über das Scheunendach, wich den vereisten Stellen aus und dem Schatten, den er wahrgenommen hatte. Es war nicht Gaines, aber einer seiner bezahlten Komplizen, der von dort zurückkam, wo er Hawk zuletzt gesehen hatte.

Logan beeilte sich, um zu Hawk zu gelangen und ihm Deckung zu geben. Er duckte sich hinter einen Lüftungsschacht, um die Lage zu überblicken.

Plötzlich fühlte Logan einen heftigen Schmerz im Nacken. Als er herumwirbelte, um zu kämpfen, traf ihn ein weiterer Schlag von einem Kantholz, zumindest fühlte es sich so an, und dann flog er vom Dach.

Verdammt, jetzt hatte es ihn und Hawk erwischt …

Das ist lächerlich, dachte Abby in der eiskalten Nacht. Sie selbst hatte darum gebeten, in den Innendienst versetzt zu werden. Sie hatte sich geschworen, dass nichts sie in den Außendienst zurückbringen würde. Und nun rannte sie gleich beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten los, weil sie den Gedanken nicht ertragen konnte, dass ein Agent in der Klemme steckte.

Ken holte sie ein, und zusammen liefen sie schwer atmend durch den eisigen Wind. Sie nahmen die lange gewundene Auffahrt, die zur Ranch hinaufführte. Die Landschaft war sanft hügelig und sah bei Tag friedlich und schön aus. Nachts wirkte das Gelände jedoch unheimlich, steil und gefährlich abgelegen. Herabgefallene Fichtennadeln knisterten unter ihren Schuhen. Obwohl jederzeit die Gefahr bestand, auf einer der vereisten Flächen auszurutschen und zu stürzen, rannten sie weiter.

Der Wind machte es nicht gerade besser. Inzwischen wehte er noch stärker, falls das überhaupt möglich war, und wirbelte so staubigen Schmutz auf, dass man selbst mit den Nachtsichtgeräten kaum etwas sehen konnte.

Erst als sie das dunkle Farmhaus erreichten, blieben sie stehen, um ihre brennenden Lungen mit Luft zu füllen.

„Zur Rückseite“, sagte Ken. „Die Scheune befindet sich auf der Rückseite.“

Abby rannte los, hielt aber an der Hausecke, von wo aus sie einen guten Blick auf eine Lichtung in einem kleinen Waldstück hatte, das in diesem Sturm jedoch eher wirkte wie ein Teil der sibirischen Wildnis.

Sie wusste, dass die Scheune hinter den Bäumen lag, doch nirgends war ein Licht oder sonst ein Zeichen menschlichen Lebens zu entdecken. Abby lief nach links und Ken nach rechts, wobei sie die Bäume als Deckung benutzten.

Wo waren sie alle?

Als Abby aus dem Wäldchen herauskam, ragte vor ihr die Scheune auf, deren schwarze Silhouette sich vor dem Nachthimmel abzeichnete. Und dann sah sie ihn.

Hawk.

Er stand mit der Waffe in der Hand da und zielte auf jemanden am Scheunentor.

Entsetzt verfolgte Abby, wie Mündungsfeuer aus der Pistole aufflackerte und der Mann am Scheunentor wie eine Puppe nach hinten geschleudert wurde.

Gaines? Elliot Gaines? Was hatte das zu bedeuten? Warum war er überhaupt hier? Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken. Hatte Hawk gerade Gaines erschossen?

Gewinnen war alles. Mit dieser Gewissheit trat Gaines fester zu und spürte kaum, wie das Blut an seinem Arm herunterlief. Er war schon einmal angeschossen worden, vor anderthalb Jahren in Seattle, als er mit einem seiner eigenen Agenten in der Dunkelheit gekämpft hatte.

Mit Hawk.

Das passierte nun einmal, wenn man die besten Leute einstellte, und Hawk war der beste der Besten. Er gab nie auf, ließ nie locker. Und er hatte in aller Öffentlichkeit versprochen, nicht eher zu ruhen, bis er den Anführer der Kiddie Bombers hinter Gitter gebracht hatte.

Er hätte ebenso gut sein Todesurteil unterschreiben können.

Und jetzt war er doch tatsächlich zum Schuss gekommen. Das war übel. Doch die Explosionen, die Gaines’ Männer vorbereitet hatten, würden bald losgehen. Dann würde es mit Hawk vorbei sein. Mit Logan auch, denn es gab keine andere Möglichkeit mehr.

Und so schwer es ihm fiel, auch Abby musste daran glauben. Er musste seine Probleme nun einmal aus dem Weg räumen.

Dank seiner Leute, zu denen auch Watkins als Spitzel gehörte, war alles perfekt vorbereitet. Inzwischen würde Tibbs einen anonymen Hinweis erhalten haben, der einige Fragen in Bezug auf Hawks Rolle beim Waffendiebstahl aus dem Arsenal aufwarf und einen Durchsuchungsbefehl für seine Wohnung rechtfertigen würde. Dort würde man einen Speicherstick finden mit Informationen über die Kiddie Bombers, einschließlich Ein- und Verkäufe und Kontakte, gerade so weit verschlüsselt, dass es echt aussah.

Damit würde er Hawk die ganze Geschichte anhängen und konnte sich zur Ruhe setzen. Das Einzige, was den Erfolg dieser Nacht trübte, war die Tatsache, dass er Abby ausschalten musste. Das bedauerte er sehr, aber er konnte sein Leben nicht für einen hübschen Hintern aufs Spiel setzen, so gern er den auch gehabt hätte.

Der Erfolg war zum Greifen nah, so nah, dass er ihn schmecken konnte. Wie er es liebte zu gewinnen. Und er hatte vor, in dieser Nacht einen grandiosen Sieg zu erringen.

Er schaute auf den am Boden liegenden Mann herunter. „Noch irgendwelche letzten Gebete?“

Trotz der kugelsicheren Weste war die Wirkung des Schusses in die Brust heftig gewesen. Hawks Muskeln waren verkrampft, und es war die reinste Qual, seine Gliedmaßen wieder dazu zu bringen, seinem Gehirn zu gehorchen. Aber nur so gelang es ihm, den Knöchel des Fußes, der auf seiner Kehle stand, zu packen und Gaines zu Boden zu schleudern. Damit waren die Chancen wieder ein wenig gerechter verteilt. Hawks Kopf dröhnte, aber er musste mit seinem Gegner fertig werden. Plötzlich sah er ein Aufflackern in der Scheune. Flammen. Verdammt, das ganze Ding würde in die Luft fliegen!

Die Explosion schleuderte beide Männer nach hinten, blies das Dach von der Scheune himmelwärts und setzte das Wäldchen in Brand.

Überall um Hawk herum war die Luft von brennender Hitze erfüllt. Gaines rappelte sich benommen auf und zielte erneut auf ihn. „Es ist gar nicht so leicht, dich umzubringen.“

„Das Gleiche gilt für dich.“ Hawk bemerkte den dunklen Fleck, der sich an der Schulter auf Gaines’ Jacke bildete. „Leider habe ich dein böses Herz verfehlt, weil du mich in die Brust getroffen hast.“

Hinter Gaines’ Kopf stieg Rauch auf. „Es wird noch schlimmer“, prophezeite er.

Das stimmte. Im Augenblick war Hawk seinem Gegner hilflos ausgeliefert.

„Fahr zur Hölle“, sagte Hawk.

Gaines grinste. „Wir werden uns dort wiedersehen.“

Hawks Leben zog vor seinem geistigen Auge vorbei. Er sah seine Eltern, die zu Lebzeiten sehr stolz auf ihn gewesen waren. Die Special Forces, wo er eine grandiose Karriere gestartet hatte, bevor er zum ATF gekommen war. Wo er ebenfalls erfolgreich gewesen war. Bis zu diesem Moment.

Vielleicht hätte er ein bisschen mehr Privatleben haben sollen. Eine Frau. Kinder. Aber er hatte immer gedacht, dafür sei noch reichlich Zeit. Das war wohl ein Irrtum gewesen. Hawk musste wegen des Rauchs husten.

„Gib mir deine Waffe“, forderte Gaines ihn auf.

Hawk warf sie ihm zu und versuchte zu atmen, was nicht leicht war, da rings um sie herum Feuer loderte. Er hatte keine Ahnung, warum er immer noch am Leben war, aber er nutzte die Gelegenheit und trat Gaines gegen die Beine. Im nächsten Moment kämpften sie am Boden.

Hawk brachte seinem Gegner zwei harte Schläge bei, bevor der Überraschungsmoment vorbei war und Gaines ihm erst einen Kinnhaken verpasste und dann einen Schlag in die Rippen. Im Gegensatz zu Tibbs hatte Gaines keinen Bauch, sondern war gebaut wie ein hart trainierender Boxer. An einem guten Tag wäre er ein knallharter Gegner gewesen, aber heute war kein guter Tag für ihn, da er Hawk Schmerzen zugefügt hatte.

Während sie heftig miteinander rangen, fragte er sich, warum Gaines ihn überhaupt umbringen wollte.

Er packte ihn und zerrte an seinem Hemd, bis der Stoff riss. Darunter kam eine Narbe zum Vorschein, die offenbar von einer Schussverletzung stammte. Plötzlich hatte Hawk seinen Beweis direkt vor Augen. „Ich habe dich in jener Nacht getroffen“, meinte er keuchend. „Ich habe dich tatsächlich erwischt.“

„Aber ich habe überlebt.“ Gaines grinste schwer atmend. „Du musst wohl besser zielen üben.“

Die Hitze trieb Hawk den Schweiß auf die Stirn, der ihm in die Augen rann. Er konnte nichts erkennen außer Gaines’ Gesicht und die Flammenwand. Sie mussten die Sache jetzt beenden, auf die eine oder andere Art, sonst würden sie beide hier sterben. Hawk wischte sich den Schweiß fort und atmete ein. „Es reichte dir also nicht, die ganze Abteilung zu leiten, du musstest auch noch illegale Waffen wieder in Umlauf bringen. Warum hast du nicht gleich selbst ein paar Unschuldige getötet?“

Gaines’ Miene verhärtete sich. Er hielt sich mit der freien Hand die Schulter, was Hawks Vermutung bestätigte. Gaines hatte mehr abbekommen, als er sich anmerken lassen wollte. „Ich werde stattdessen dich töten.“

„Ich werde heute Nacht nicht sterben.“

„Wir werden beide heute Nacht sterben. Der Unterschied ist nur, dass mein Tod vorgetäuscht sein wird. Und dass du als Bösewicht dastehen wirst.“

„Du bist verrückt. Niemand wird das glauben.“

„Abby schon.“

Abby? Was hatte sie damit zu tun?

„Sie ist hier draußen.“ Gaines deutete mit dem Kopf zur Lichtung.

Hawk schaute in die Richtung, konnte jedoch nur näher kommende Flammen sehen, so nahe, dass bereits die Härchen auf seinen Armen angesengt wurden. „Wovon redest du? Sie ist im Überwachungswagen.“ Zumindest hoffte er das inständig.

„Sagen wir, die Heldenverehrung, die ich in ihr genährt habe, zahlt sich jetzt für mich aus, wenn auch nur kurz. Das und die Tatsache, dass Tibbs Beweise dafür gefunden hat, dass du der Kopf der Kiddie Bombers bist.“ Er gab einen tadelnden Laut von sich. „Schäm dich.“

Er hatte keine Ahnung, wovon Gaines redete. Er konnte Abby nirgends sehen, aber er konnte wegen des Rauchs ohnehin nicht viel sehen. Trotzdem, Abby würde den Van nicht einfach verlassen.

„Sobald sie weiß, dass ich hier in Gefahr bin, wird sie mich retten wollen“, meinte Gaines spöttisch. „Leider zu spät.“

„Sie ist fertig mit dir. Sie hat dich verraten“, improvisierte Hawk.

Gaines erstarrte. „Unsinn.“

„Willst du es darauf ankommen lassen?“ Hawk versuchte, Zeit zu gewinnen, um einen Weg aus diesem Schlamassel zu finden.

Gaines richtete sich auf und hielt nach jemandem Ausschau, ohne seine Schulter loszulassen. Suchte er Abby? „Wenn das wahr ist, werde ich meinen Zeitplan ändern.“

„Du wirst sie nicht finden.“ Denn Hawk würde zuerst bei ihr sein.

Er wich zurück, ohne zu wissen, wohin er fliehen konnte. Doch es wurde Zeit zu verschwinden. Er schaffte einen Schritt, dann gab es eine erneute Explosion. Der Qualm war inzwischen so dicht, dass Hawk keine Luft mehr bekam und nichts mehr sehen konnte. Aber er konnte sich noch bewegen, und deshalb machte er sich, so schnell er konnte, aus dem Staub.

„Verdammter Mistkerl!“, rief Gaines ihm hinterher.

Im Schutz des Qualms floh Hawk in den Wald und klammerte sich an einen Baum. Himmel, er fühlte sich, als wäre er von einem Lastwagen überrollt worden.

Er sank zu Boden, drehte sich auf den Rücken und blickte in den Himmel, der voller Rauchschwaden war. Das Nachtsichtgerät hatte er bei dem Kampf mit Gaines verloren, er konnte also nicht viel erkennen. Aber er hörte Feuerwehrsirenen und Polizeiwagen.

Anscheinend hatte Gaines es geschafft, Hawk all seine üblen Taten anzuhängen. Und das waren eine ganze Menge.

Damit saß Hawk ziemlich in der Klemme.

3. KAPITEL

Abby bekam keine Luft mehr. Sie war fast einen Kilometer weit gerannt und atmete nur noch flach, während sie geschockt auf die in Flammen stehende Scheune starrte. Aber das war nicht der Grund für ihr Entsetzen.

War sie wirklich Zeugin geworden, wie Hawk unmittelbar vor der Explosion auf Gaines geschossen hatte? Sie hatte es beim Verlassen des Vans so eilig gehabt, dass sie ihr Funkgerät vergaß. Sie hatte lediglich ihre Waffe dabei und ihr Handy, an dem eine Minikreditkarte für Notfälle befestigt war. Inzwischen hatte sie Tibbs angerufen und ihm berichtet, dass laut Thomas’ Aussage Logan vom Dach gestürzt war. Er wartete auf den Hubschrauber, der ihn ins Cheyenne Memorial Hospital bringen sollte. Von Hawk hatte sie nichts mehr gehört.

Die ganze Aktion war gründlich schiefgelaufen. Sie hatte sich bei Tibbs nach Gaines’ Anwesenheit hier erkundigt. Ihr Chef hatte ihr zugesichert, er würde es überprüfen und sich wieder melden. In der Zwischenzeit versuchte sie, mit gezogener Waffe wieder näher an die Scheune heranzukommen. Doch die Hitze hielt Abby zurück. Sie konnte weder etwas erkennen noch weiter herangehen.

Ihr Handy klingelte. „Gaines ist tatsächlich dort“, erklärte Tibbs. „Anscheinend wollte er bei der Verhaftung dabei sein.“

„Um Himmels willen.“ Dann hatte Hawk also wirklich auf Gaines geschossen und sie sich die ganze Szene nicht bloß eingebildet. Das Handy noch am Ohr, rannte sie los, stolperte jedoch schon nach wenigen Schritten und stürzte der Länge nach hin, wobei sie ihre Pistole verlor. Abby drehte sich um, um zu sehen, über was sie gestolpert war, und entdeckte eine Dachplatte und … ein Gewehr?

„Abigail?“

„Ich bin noch dran, Tibbs. Alles in Ordnung.“ Sie kroch zu der Waffe, hob sie auf und verbrannte sich die Finger. Erschrocken ließ sie sie wieder fallen. Sie musste die Seriennummer nicht erst in ihren Computer eingeben, um zu wissen, dass diese Waffe zu den gestohlenen gehörte.

War Gaines deshalb gekommen? Hatte er den Verdacht gehabt, dass die Kiddie Bombers die Feuerwaffen für den eigenen Bedarf einsetzten? Und warum hatte Hawk auf ihn geschossen?

„Gaines hat per Funk durchgegeben, dass er in die Scheune gelangt ist“, erklärte Tibbs.

„Die Scheune brennt.“

„Hat er es herausgeschafft?“

„Im letzten Moment.“ Nachdem sie mehrere Minuten lang vergeblich versucht hatte, ihre Pistole wiederzufinden, nahm sie das Gewehr an sich. Sie hängte sich den Ledergurt über die Schulter und atmete tief durch, um Mut zu sammeln. Du schaffst das, sagte sie sich. Überall um sie herum loderten die Flammen, angefacht vom heftigen Wind.

Abby wusste, dass sie sich beeilen musste. Sie lief tiefer in den Wald hinein, um das Feuer zu umgehen. Das Heulen eines Wolfes ganz in der Nähe ließ sie abrupt innehalten. Es könnte noch etwas Schlimmeres sein, dachte sie. Ein Grizzly.

Zweige knackten, und Abby rannte vor Schreck weiter in Richtung Scheune, entschlossen, diesem verrückten Abend auf den Grund zu gehen.

Niemand begegnete ihr, was sie nicht zum ersten Mal beunruhigte. Warum war das ganze Anwesen verlassen? Das ergab überhaupt keinen Sinn.

Es sei denn …

Es sei denn, alles war von Beginn an inszeniert gewesen. Bei dieser Vorstellung taumelte Abby und rutschte prompt auf dem felsigen Boden aus. Es gelang ihr, sich an einem Baum festzuhalten, keine zehn Meter von der Scheune entfernt. Alles kam ihr wie ein böser Traum vor, aus dem sie am liebsten aufgewacht wäre.

Sie hatte geglaubt, Hawk zu kennen. Manchmal hatte sie sogar das Gefühl gehabt, er kenne sie auch, was verrückt war, weil sie ihn nie an sich herangelassen hatte. Die Vorstellung, dass er zu den Verbrechern gehörte – unerträglich.

Ihr Handy klingelte erneut. Sie klappte es auf.

„Wo sind Sie?“, verlangte Watkins zu erfahren.

„Ich bin …“

„Ich weiß, ich habe mich darum gekümmert“, sagte er.

„Was?“

„Nichts, ich habe in mein Funkgerät gesprochen.“

Moment mal – Funkgerät? Die Funkverbindungen waren doch unterbrochen. Ihr Herz schlug schneller. Und die Worte, die er in sein angebliches Funkgerät gesprochen hatte, erinnerten Abby an eine andere Razzia, bei der ebenfalls alles schiefgegangen war.

Gaines hatte gesagt, er habe sich darum gekümmert. Das waren seine Worte gewesen, bevor sie geschnappt worden war. Später hatte sie genau dasselbe von den Männern gehört, die sie gefangen hielten. Sie hatten per Funk mit ihrem Boss gesprochen.

Aber das war sicher nur Zufall. Oder?

„Wo sind Sie?“, wiederholte Watkins und klang dabei angespannt. „Warum haben Sie den Van verlassen?“

Sie wollte ihm antworten, zögerte jedoch. Wer waren hier eigentlich die Guten und wer die Bösen? Hawk? Oder Waktkins? Sie wurde immer verwirrter.

„Abby?“

Statt zu antworten, klappte sie ihr Handy zu und klammerte sich weiter an dem Baum fest, da sie fürchtete, ihre Beine würden unter ihr nachgeben.

Sie hatte gesehen, wie Hawk auf Gaines geschossen hatte. Hawk mit der Waffe in der Hand. Also war er der Verbrecher. Oder?

Sie war völlig durcheinander. Das alles ergab keinen Sinn. Wem konnte sie noch trauen? In der Gewissheit, auf sich allein gestellt zu sein, löste sie sich von dem Baum und rannte los … nur um ein weiteres Mal zu stolpern.

Diesmal über einen auf dem Boden liegenden Mann, der sich viel zu nah an den Flammen befand. „Elliot …“ Sie kniete sich neben ihn, legte ihm die Hände auf den Rücken und erkannte sofort ihren Irrtum.

Dieser Körper war enorm muskulös. Stöhnend drehte sie ihn auf den Rücken und sah ihre Vermutung bestätigt: Es war Hawk. Seine Augen waren geschlossen.

Rasch suchte sie seinen Puls und fand ihn zu ihrer Erleichterung. Dann richtete sie sich auf und spähte zwischen den Bäumen hindurch, die ihnen Schutz boten. Aus dem offenen Scheunentor schlugen Flammen. Im Inneren befanden sich Munitionskisten.

„Hawk!“

„Anwesend.“

Egal, auf wessen Seite er stand, sie würde ihn nicht hier liegen lassen. „Stehen Sie auf.“

„Klar.“ Aber er bewegte sich nicht. Gegen ihren Willen rührte sein Anblick sie. Mit einem Mal kam er ihr bei Weitem nicht mehr so stark und überlegen vor wie sonst.

„Das war ein Befehl“, sagte sie.

„Ich habe Sie schon verstanden.“

Sie legte ihm die Hand an die Wange und betrachtete seinen Mund, der für gewöhnlich zu einem amüsierten, spöttischen Lächeln verzogen war. Jetzt presste er die Lippen vor Schmerz zusammen. Sie hätte nie gedacht, dass sie das Lächeln einmal vermissen würde, doch so war es. „Na los, stehen Sie auf, Sie selbstgefälliger, großspuriger Kerl.“

Er hob den Kopf und sah ihr ins Gesicht. Seine Augen wirkten viel sanfter als gewöhnlich. Selbst am Boden liegend übte er noch diese unwiderstehliche Anziehung auf sie aus. „Abby.“

Wie war es möglich, dass sie inmitten dieses Chaos ein seltsames Kribbeln verspürte? Ihn nur anzusehen genügte bereits. „Wo ist Gaines?“, fragte sie.

Hawks kurz geschnittene Haare waren mit Staub und Asche bedeckt. Am Haaransatz blutete er. „In der Hölle“, antwortete er mit rauer Stimme. „Falls es Gerechtigkeit gibt.“

Du lieber Himmel, es stimmte also. Bedauern und Traurigkeit breiteten sich in ihr aus. Gaines hatte ihr einmal das Leben gerettet und ihr anschließend geholfen, wieder zu sich selbst zu finden. Und nun würde sie nie mehr die Gelegenheit bekommen, sich zu revanchieren. „Dann ist er …“

„Nein, noch nicht.“ Hawks Miene verhärtete sich.

„Ich habe gesehen, wie Sie auf ihn geschossen haben.“

„Ach ja?“ Er verzog das Gesicht. „Glauben Sie mir …“

„Soll das ein Witz sein?“ Abby musste unwillkürlich lachen. Er hatte nicht einmal versucht, es abzustreiten. „Nach allem, was ich heute Nacht gesehen habe, kann ich Ihnen überhaupt nichts mehr glauben.“

„Was immer Sie auch denken, Sie irren sich.“ Er schaute sich um. Das gefährliche Funkeln in seinen Augen ließ sie erschauern. „Er hat die ganze Sache hier inszeniert.“

Offenbar hatte er Wahnvorstellungen. Trotzdem musste sie ihn vor dem Feuer in Sicherheit bringen. „Wo tut es weh?“

Er lachte bitter. „Überall.“

„Na schön, stehen Sie auf.“

„Gleich, versprochen.“ Er schloss die Augen. „Sie halten mich also für selbstgefällig und großspurig?“

„Kommen Sie schon, Hawk.“ Er mochte die lodernden Flammen vielleicht mit einer unheimlichen Ruhe betrachten, aber sie nicht. Sie hoffte inständig, dass Elliot davongekommen war. „Stehen Sie endlich auf!“

Er versuchte es. „Geben Sie uns Deckung.“

„Was?“

„Stellen Sie sicher, dass wir niemandem in die Falle gehen. Gaines hat seine Leute hier irgendwo. Die haben für die Explosion und den Tanz gesorgt.“

Sie fügte „paranoid“ zu ihrer Liste hinzu, was in Anbetracht der Situation nicht allzu abwegig war. „Los, bewegen Sie sich.“ Sie versuchte, nicht an seinen knackigen Po zu denken, und schlang ihm von hinten die Arme um die Brust, damit sie ihn in Sicherheit bringen konnte.

„Hey, Süße, mir ist jetzt nicht danach“, murmelte er.

Sie biss sie Zähne zusammen. Genau das war einer der Gründe, weshalb sie auf Distanz zu ihm geblieben war. Er besaß einfach zu viel Sex-Appeal. „Bilden Sie sich bloß nichts ein.“ Sie zerrte an ihm. „Wieso müssen Sie auch so groß sein!“

Ohne die Augen zu öffnen, lächelte er. „Sie haben keine Ahnung.“

Na schön, sollte sie ihn jemals von hier wegbekommen, würde sie ihn eigenhändig umbringen.

„Sie riechen gut“, stellte er fest. „Sie riechen immer gut …“

„Sie träumen“, sagte Abby.

„Nein. Würde ich träumen, wäre ich nicht kurz davor, Sie anzuflehen, mir den Gnadenstoß zu geben.“ Er versuchte aufzustehen und hustete wegen des dichten Rauchs. „Doch, Sie duften wirklich toll. Sexy.“

„Hören Sie auf damit.“

„Richtig sexy. Sogar wenn Sie mir diese eisigen Blicke zuwerfen.“

„Halten Sie den Mund, Hawk.“

„Logan sehen Sie nie so an“, meinte er nachdenklich. „Oder Waktkins. Oder sonst irgendwen. Nur mich.“

Nun, sie musste zugeben, dass er recht hatte.

„Sie mögen mich nicht besonders“, sagte er und bewegte die Schulter, als hätte er Schmerzen.

„Das stimmt nicht. Ich mag Sie sehr … wenn Sie den Mund halten.“

Er seufzte. „Tja, und ich glaube, ich würde Sie sehr gern mögen, wenn Sie nackt wären.“

„Sie sind ein echter Armleuchter.“

„Armleuchter Hawk. Ja, das passt …“

Die nächste Explosion war schwächer, aber dafür nah und sehr heiß. Abby stieß ihn instinktiv zurück, sodass sie beide zu Boden stürzten. Er legte seine starken Arme um sie und drehte sich mit ihr um.

Als es vorbei war, bemerkte sie, dass seine Armmuskeln zitterten. Er lag schwer auf ihr. „Hawk?“

Fluchend hob er den Kopf. „Machen Sie das nie wieder.“

„Was? Ihren Hintern retten?“

„Genau. Bringen Sie zuerst Ihren in Sicherheit. Verstanden?“

„Dann runter von mir.“

„Ja.“ Stöhnend richtete er sich auf und half ihr auf die Füße. Was für ein rücksichtsvoller Verbrecher, dachte sie. Und wo steckte Gaines?

Nach ihrem schrecklichen Erlebnis von damals musste Abby immer die Gewissheit haben, dass alle wohlauf waren, auch wenn sie wusste, dass jemand aus ihrem Team für all das hier verantwortlich war. „Glauben Sie, Gaines ist …“

„Fabelhaft, Sie wollen immer noch Ihren Sugar Daddy retten.“

Niemand wusste, dass sie zweimal mit Gaines ausgegangen war. Ihre Beziehung war geprägt gewesen von ihrer wundersamen Rettung und einer Freundschaft, die sie wegen ihrer neuen „Probleme“ mit Männern nicht aufrechterhalten konnte.

„Wo ist er, Hawk?“ Da er nicht antwortete, wandte sie sich ab und wollte auf die Scheune zugehen.

„Warten Sie!“ Hawk hielt sie fest. Er schien besorgt zu sein. Um sie. Das ließ sie nicht kalt. „Denken Sie nicht einmal daran zurückzugehen.“

„Ich muss aber.“

„Verdammt, Abby …“

Sie riss sich los und war schon auf halbem Weg zur Scheune, als ihr Handy vibrierte. Sie zog es aus der Tasche, las „unbekannter Anrufer“ auf dem Display und klappte es auf.

„Ich bin’s.“

Elliots Stimme löste ein Gefühl tiefer Erleichterung in ihr aus. „Wo bist du?“

„Hör mir zu. Wir sind verraten worden. Von Hawk.“

Sie versuchte, diese Worte zu verarbeiten. Doch es fiel ihr äußerst schwer, trotz alledem, was sie selbst gesehen hatte. „Bist du dir sicher?“

„Habe ich mich jemals geirrt?“

Nein, hatte er nicht, und sie wusste auch genau, was sie ihm schuldete. Dennoch … „Von welchem Telefon aus rufst du mich an? Es ist nämlich nicht deines …“

„Vertrau mir, Abby.“

Das wollte sie ja. Aber nur, weil sie Hawks Charme nie erlegen war, hieß das noch lange nicht, dass sie den Verstand verlor. Sie wusste, was für ein guter Agent er war. Einer, der an das, was er tat, glaubte und Verbrecher hinter Gitter bringen wollte. Es musste eine andere Erklärung für alles geben. „Sag mir, wo du bist …“

Eine weitere Explosion unterbrach sie und schleuderte sie unbarmherzig zu Boden. Mist! Sie kroch zwischen den Bäumen hindurch zu der Stelle zurück, an der sie Hawk zurückgelassen hatte, konnte ihn jedoch nirgendwo entdecken. Dabei wurden ihr zwei beunruhigende Tatsachen bewusst. Erstens: Gaines hatte aufgelegt. Und zweitens: Hawk war verschwunden.

4. KAPITEL

Hawk stolperte durch den nächtlichen Wald und kam langsam wieder zu sich. Die gesamte Operation war völlig außer Kontrolle geraten. Gaines wollte für immer verschwinden, und das durfte er nicht zulassen. Er musste dringend Kontakt zu Logan aufnehmen und wünschte sich verzweifelt, er hätte ein Funkgerät.

Dabei konnte er froh sein, dass sein Kopf noch auf den Schultern saß.

Abby würde stinksauer sein, weil er sich aus dem Staub gemacht hatte, aber darum würde er sich später kümmern. Falls sich herausstellte, dass sie nicht auf Gaines’ Seite stand, würde er sich entschuldigen, und alles wäre wieder wie vorher – sie würde ihn weiter ignorieren. Eines Tages würde er herausfinden, warum es ihn anmachte, dass sie ihm dauernd die kalte Schulter zeigte.

Hawk gelangte zur Rückseite der Scheune, bevor er sich dort hart auf die Hände und Knie fallen ließ. Benommen starrte er in den Dreck unter sich und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen – keine leichte Sache nach mehreren Explosionen und der Erkenntnis, dass sein Boss ein doppeltes Spiel spielte.

Aber es war doch tatsächlich so: Wie sehr sie sich auch anstrengten, an die Anführer der Kiddie Bombers heranzukommen, ihre Pläne wurden stets durchkreuzt. Wahrscheinlich verkaufte Gaines schon seit Jahren konfiszierte Waffen auf dem Schwarzmarkt und machte jeden Erfolg zunichte, indem er die Waffen wieder den Kriminellen in die Hände spielte.

Wenn Hawk noch länger darüber nachdachte, würde er sicher Kopfschmerzen bekommen. Aber so musste es nicht sein. Gaines war nicht allein. Auf keinen Fall. Wer steckte sonst noch in der Sache? Abby? Und wenn nicht sie, wer dann?

Watkins? Thomas? Tibbs?

Nicht zum ersten Mal klopfte er seine Taschen und den Gürtel ab, aber er hatte jedes Kommunikationsmittel beim Kampf verloren, sogar sein Handy.

„Wir können nicht rein wegen der Explosionen.“

Hawk hielt inne, als er eine Männerstimme hörte. Wer war das? Thomas?

„Bei unserem letzten Kontakt hat Gaines behauptet, Hawk sei für all das verantwortlich.“

Nein, nicht Thomas, dachte Hawk und zog sich leise an einem Baum hoch, um einen besseren Überblick zu haben.

„Gaines ist vermutlich tot.“

Watkins. Er war Gaines’ Komplize.

„Nein“, meldete sich eine zittrige weibliche Stimme zu Wort. „Wir wissen nicht, ob er tot ist.“

Das war Abby. Die süße, sexy Abby mit ihren hellblauen Augen, die bei jedem Lächeln sanft wurden. Und hart, sobald sie Hawk ansah.

Sie war nicht die erste Frau, die ihn so ansah. Meistens passierte es nach ein paar Drinks und einer gemeinsamen Nacht, wenn er erklärte, dass er lieber gehen wollte, weil er für eine dauerhafte Beziehung nicht tauge.

Die Wahrheit war, dass er für überhaupt keine Beziehung taugte.

Er hatte immer gedacht, dass dafür noch genug Zeit bliebe, wenn er sich einmal zur Ruhe gesetzt haben würde. Momentan sah es allerdings nicht danach aus, als würde er das noch erleben.

Abbys Handy klingelte. Der Anruf schien nur aus einer knappen Information zu bestehen, denn schon einen Moment später hörte er sie das Gerät zuklappen und seufzen. „Tibbs hat einen Speicherstick in Hawks Haus gefunden.“ Sie zögerte. „Mit Informationen über die Kiddie Bombers.“

Oh ja, man hatte ihn gründlich hereingelegt. Vielen Dank, Gaines, dachte Hawk.

„Falls Gaines tot ist …“ Watkins verstummte, doch Hawk beendete den Satz in Gedanken für ihn: Dann gelte ich als Mörder.

Die Männer um Abby schwärmten aus, wahrscheinlich um sich auf die Suche nach ihm zu machen. Gaines hatte es wirklich geschickt angestellt: Entweder würde Hawk in dieser Nacht noch sterben, oder er würde als Verräter festgenommen werden.

Und plötzlich fiel ihm noch etwas ein: Wenn Hawk mit seiner Bemerkung, Abby habe ihn auffliegen lassen, bei Gaines Zweifel gesät hatte, würde der Mistkerl versuchen, sie umzubringen.

Es spielte keine Rolle mehr, ob sie mit Gaines unter einer Decke steckte. Wenn Abby etwas zustieß, war es seine Schuld. Mist! Er kletterte vom Baum herab und lief dorthin, wo er Abby vermutete.

Um sie zu beschützen.

Doch schon nach zwei Schritten stieß er gegen ein Hindernis. Ein weiches, wohlriechendes Hindernis. Noch im Fallen erkannte er, dass die Person, die sich mit Händen und Füßen gegen ihn zur Wehr setzte, einen beachtlichen Körper und einen wundervollen Duft hatte, der ihn zugleich an Süße und Leidenschaft erinnerte.

An Abby, die ihre Arme um ihn geschlungen hatte und nun mit ihm zu Boden stürzte. Und bei der Gelegenheit musste er noch an etwas anderes denken – wie satt er es hatte, in dieser Nacht ständig im Dreck zu liegen.

Abby rutschte schmerzhaft über den harten Boden, doch das war ihr kleinstes Problem. Hawk rollte mit ihr herum und drückte sie mit seinem Körper herunter, der straff und trainiert war. Bevor sie Luft holen konnte, hielt er ihr den Mund zu und machte sie vollkommen bewegungsunfähig, was sie prompt an eine andere Zeit und einen anderen Ort erinnerte. Schiere Panik ließ sie ihre Ausbildung vergessen, sodass sie ineffektiv zappelte und damit nur sinnlos Energie verbrauchte.

„Hören Sie auf“, zischte Hawk so dicht an ihrem Ohr, dass sie seine Lippen an ihrer Haut spürte. „Ich werde Ihnen nichts tun. Was Gaines angeht, kann ich jedoch für nichts garantieren, also halten Sie still.“

Die Tatsache, dass er auf ihr lag, hier, mitten in der Nacht, umgeben von Rauchschwaden, schuf eine intime Nähe, die ihr unangenehm war. Sie waren ein ganzes Stück von der Scheune entfernt zwischen den Bäumen und somit nicht zu sehen. Dennoch hoffte sie, dass Ken oder Watkins oder sonst irgendwer ihr jeden Moment zu Hilfe eilen würde. Danach würde sie Elliot aufspüren und den Vorfällen dieser verrückten Nacht auf den Grund gehen.

„Ich werde meine Hand jetzt wegnehmen“, flüsterte Hawk. „Aber Sie rühren sich nicht und halten den Mund. Verstanden?“

Sie nickte. Natürlich nickte sie, aber kaum hob er die Hand, zischte sie: „Runter von mir!“

Er seufzte und hielt ihr erneut den Mund zu. Daraufhin fing sie wieder an zu zappeln. Sie war panisch, während er vollkommen ruhig wirkte, was sie noch mehr frustrierte.

„Abby, verdammt, hören Sie endlich auf damit.“

Sie versuchte, ihn zu beißen, doch er drückte seine Hand nur noch fester auf ihren Mund. Im schwachen Lichtschein wirkten seine Züge sanfter und ließen ihn beinah verletzlich aussehen. Was lächerlich war, da sie hier die Unterlegene war!

„Sind Sie auf Gaines’ Seite?“, wollte er wissen.

Wie bitte?

Er musterte sie genau. „Ich muss es wissen. Auf welcher Seite stehen Sie?“ Langsam nahm er die Hand wieder von ihrem Mund.

„Ich bin auf der Seite der Guten!“

Er sah sie durchdringend an. „Ich habe keine Ahnung, ob Sie lügen …“

„Das tue ich nicht!“

Sein Kinn streifte ihres, und sie wurde sich der Art, wie er sie festhielt, sehr bewusst. Einerseits hielt er sie so fest, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte, zugleich fühlte es sich aber auch erstaunlich sanft an. Welcher Verbrecher kümmerte sich denn darum, ob er jemandem wehtat oder nicht?

„Ich musste nur sichergehen.“ Er sagte das in einem unbekümmerten Ton, als säßen sie bei Tee und Gebäck zusammen, statt hier auf dem Boden zu liegen. „Wenn Sie nicht zu den Bösen gehören, dann sind Sie zurückgekommen, um mir zu helfen?“

„Ja“, log sie und schloss für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln. Sie wünschte, sie könnte ihm helfen. Sie wünschte, sie könnte eine Verbindung herstellen zwischen dem, was sie gesehen hatte, und dem, was ihr Herz ihr sagte – dass dieser aufregende Mann unmöglich diese Tat begangen haben konnte, deren Zeugin sie gewesen war.

Sie schätzte sein Gewicht ein. „Ich bin zurückgekommen, um Ihnen zu helfen.“ Um Sie festzunehmen. „Hawk …“ Sie musste es tun, und trotzdem sagte sie, ohne recht zu wissen, warum: „Es tut mir leid.“ Und dann rammte sie ihm ihr Knie zwischen die Beine.

Als er vor Schmerz aufstöhnend über ihr zusammensackte, schubste sie ihn von sich und saß im nächsten Moment rittlings auf ihm, die Brüste gegen seine Brust gepresst. Sie drückte seine Arme auf den Boden. Dann beging sie den monumentalen Fehler, ihm ins Gesicht zu sehen.

Der Ausdruck in seinen Augen verriet, dass er trotz seines unbekümmerten Tons von eben große Schmerzen haben musste. „Du liebe Zeit“, keuchte er, immer noch außer Atem, und hustete.

Aber sie konnte sich keine Reue erlauben, ganz gleich, wie sehr sie sich zu ihm hingezogen fühlte, und unabhängig davon, ob sie ihn für einen guten Agenten hielt. Sie würde nicht den Fehler begehen zu glauben, dass sie lange die Oberhand behalten würde. Wenn er ihr wirklich entkommen wollte, konnte er das.

„Ich werde Verstärkung anfordern müssen“, sagte sie langsam und war sich seines Körpers und seiner mühsam beherrschten Anspannung nur allzu bewusst. Seit einem Jahr war sie einem Mann körperlich nicht mehr so nahe gekommen.

Seit genau einem Jahr, zwei Wochen und drei Tagen.

Warum ließ er sich von ihr zu Boden drücken? Sie wusste es nicht. Auf jeden Fall brauchte sie ihre Waffe …

„Nicht.“ Er brachte ein Lächeln zustande. „Ach, kommen Sie, wir brauchen keine Verstärkung. Wir beide können das ganz allein unter uns ausmachen.“

„Ich will überhaupt nichts von Ihnen, das wissen Sie genau. Ich wollte nie etwas von Ihnen.“

„Ach nein?“

„Nein!“

„Und als ich Sie damals dabei ertappt habe, wie Sie mir beim Umziehen zugesehen haben – haben Sie da vielleicht nur nach Muttermalen Ausschau gehalten?“

Na schön, er hatte sie ertappt. „Ich wollte trotzdem nichts von Ihnen“, beharrte sie. „Du lieber Himmel, nur ein Idiot würde das glauben.“

„Bis jetzt haben Sie immer die Desinteressierte gespielt.“ Hawk lächelte verwegen.

Abby wollte sich nicht von ihm ablenken lassen, denn sie spürte seine Kraft. Vorsichtig verlagerte sie ihr Gewicht. Fast hätte er sie an ihre Waffe herankommen lassen, aber dann suchte er ihren Blick. Und was sie in seinen Augen las, ließ sie innehalten. Bedauern und Resignation waren in ihnen und Traurigkeit, was sie ein wenig irritierte.

In der nächsten Sekunde hatte er den Spieß umgedreht, sie zu Boden geworfen und unter sich begraben.

„Woher haben Sie die Waffe?“

„Ich habe sie nach der Explosion gefunden.“

„Oder Sie haben sie von Gaines, aus der Scheune.“ Er drückte sie noch ein wenig fester herunter.

Sie bekam nur mit Mühe Luft und wollte schreien, doch er hielt ihr den Mund zu.

„Ich kann nicht zulassen, dass Sie auf mich schießen oder um Hilfe schreien“, sagte er bedauernd und hängte sich den Trageriemen des Gewehrs über die Schulter. „Tut mir leid, dass Sie Angst haben. Ich werde Ihnen nichts tun.“

Ha, versuchte sie zu sagen, ich habe keine Angst. Aber in Wahrheit hatte sie solche Angst, dass sie nicht einmal diese Lüge herausbrachte.

„Haben Sie noch andere Waffen, von denen ich wissen sollte?“ Er ließ ihre Hände los, die er ihr über dem Kopf zusammengehalten hatte, und fing an, sie abzutasten. Seine Hand glitt auf intime Weise über ihren Körper. Abby sog scharf die Luft ein. Er roch überraschend gut, wenn man berücksichtigte, was er in dieser Nacht schon alles hinter sich hatte.

„Nicht schreien“, warnte er sie. „Versprechen Sie es.“

Sie nickte. Sie würde ihm alles versprechen, wenn er nur von ihr heruntersteigen würde, damit sie wieder Luft holen konnte. Außerdem baute sie darauf, dass irgendwer sie jeden Moment entdecken würde.

„Gut. Ich fühle mich nämlich ziemlich schuldig, und ich brauche Ihre Mithilfe.“ Mit diesen Worten nahm er die Hand von ihrem Mund.

Sofort wollte sie losschreien, doch er hielt sie davon ab.

Diesmal, indem er seinen Mund auf ihren drückte. Sie war so perplex, dass sie sich gar nicht wehrte. Er küsste sie.

Sie musste sich sehr zusammenreißen, um sich nicht gehen zu lassen … was sich jedoch als beinahe unmöglich erwies angesichts seiner wundervollen Lippen auf ihren, seiner Zunge in ihrem Mund und des sinnlichen Gefühls, das sich augenblicklich in ihr ausbreitete.

Du lieber Himmel. Sechs Monate lang hatte sie sich gefragt, wie es wohl sein würde, seine Hände auf ihrem Körper zu spüren. Die Realität übertraf ihre Fantasien bei Weitem. Nur war dies dummerweise nicht der geeignete Zeitpunkt, um dahinzuschmelzen.

Ohne etwas von ihrer inneren Qual zu bemerken, küsste er sie einfach immer weiter. Seine Lippen waren erstaunlich sanft und zugleich fest. Und noch während sie über diese Erkenntnis nachdachte, kam ihr eine weitere: Sie war wie ein kleines ängstliches Häschen erstarrt. Dabei hatte sie sich vorgenommen, sich niemals wieder so zu verhalten. Genau deswegen hatte sie sich von Gaines überreden lassen, wieder in ihren Job zurückzukehren. Deswegen hatte sie sich entschieden, in der Kommunikationsabteilung zu arbeiten, wo sie am Geschehen teilnahm, ohne in Gefahr zu geraten. Oder?

Er strich mit der Zunge über ihre Unterlippe und verführte sei zu einem erotischen Zungenspiel, was Abby daran erinnerte, dass sie kurz davor war, völlig zu vergessen, wo sie sich befanden.

Nein, das konnte sie nicht zulassen. Zum zweiten Mal setzte sie ihr Knie ein.

Leider fehlte diesmal das Überraschungsmoment, denn er verlagerte sein Gewicht, sodass sie nur seinen Oberschenkel traf und er sie weiterküssen konnte.

Noch immer lag er auf ihr. Sie wand sich, woraufhin er sie nur noch fester herunterdrückte. Unglaublicherweise weckte er damit wundervolle Gefühle in ihr, die sie seit langer Zeit vergessen hatte.

Schließlich hob er den Kopf und sah ihr ein wenig außer Atem ins Gesicht. „Zwei Dinge. Erstens: Gaines will mich tot sehen, und zweitens: Ich fürchte, er will auch dich aus dem Weg räumen. Du musst mir also glauben.“

„Nein …“

„Verdammt.“ Hawk schien sich zu beherrschen. „Na schön. Du willst mir nicht glauben. Dann bleibt mir keine andere Wahl.“

Er griff nach hinten und zog etwas aus der Tasche. Handschellen.

„Hawk!“

„Tut mir leid.“

„Hey, warte eine Minute …“

Er ließ den Stahlring an ihrem Handgelenk zuschnappen und den anderen an seinem. Jetzt waren sie aneinandergekettet.

5. KAPITEL

Watkins stand am Rand der Lichtung und spürte die Hitze auf seinem Gesicht. Der Wind wehte ihm den Rauch in die Augen. Nach den Explosionen und nachdem das Feuer außer Kontrolle geraten war, hatte er Gaines’ Leute hierhergeführt.

Ihr Job war erledigt. Die meisten würden mit dem Anteil verschwinden, den Gaines ihnen gegeben hatte. Einige, die zu gierig waren, würden jedoch weitermachen.

Das war nicht sein Problem.

Sein Handy vibrierte. Er schaute auf das Display und verzog das Gesicht. Für einen kurzen Moment erwog er, sich einfach nicht zu melden, aber das konnte schlecht für seine Gesundheit sein. „Ja?“

„Wie, zum Teufel, ist Logan in den Helikopter gekommen?“, fragte Gaines. „Er sollte tot sein. Du solltest ihn töten.“

Watkins schloss die Augen. Er war im Lauf der Jahre sehr gut bezahlt worden, daher hatte er keine Skrupel, was den Verlauf dieser Nacht anging. Nur hatte er sich nicht damit einverstanden erklärt, Logan zu beseitigen. Oder Abby.

Kein Geld der Welt konnte ihn dazu bewegen, sie sterben zu sehen. „Das ist nicht meine Schuld. Sam hat es vermasselt und nicht dafür gesorgt, dass Logan auch wirklich tot ist, bevor er ihn vom Dach geworfen hat. Und dann befahl Abby mir …“

„Du lässt dir von einer Frau Befehle erteilen? Damit bist du wertlos.“

Watkins stockte der Atem. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Er drehte sich langsam um und entdeckte zwei Männer mit Kapuzen.

Gaines’ Männer. „Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt verschwinden?“

„Leb wohl, Watkins“, sagte Gaines am anderen Ende der Leitung. Dann hob einer der Männer seine Waffe und richtete sie auf Watkins’ Brust.

Autor

Jill Shalvis
New York Times-Bestsellerautorin Jill Shalvis lebt in einer Kleinstadt in Sierras, voller verschrobener Mitmenschen. Jegliche Ähnlichkeit mit den Quirky Charakters in ihren Büchern ist, naja, meistens zufällig. Besuchen Sie sie auf ihrer Website www.jillshalvis.com, um mehr über Jills Bücher und ihre Abenteuer als Berge erklimmendes Stadtkinde zu lesen.
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